00:00:08
Neulich ist uns was passiert.
00:00:12
Also so nah waren wir Crime schon lange nicht mehr.
00:00:16
Also an diesem einen Abend, also dauernd ich gerade dabei raus aus einem Haus zu gehen,
00:00:21
sind aber noch im Treppenhaus.
00:00:23
Und wir hören plötzlich eine Frau von draußen wie am Spieß.
00:00:30
Schreien, also wirklich so ein richtig markerschütternder Schrei.
00:00:34
Ja, sowas habe ich wirklich noch nie in meinem ganzen Leben gehört.
00:00:37
Also das hat einem richtig doll irgendwie so eine Art Gänserhaut gemacht.
00:00:42
Und ich habe ja auch noch verstanden, wie die Frau gesagt hat, also geschrien hat,
00:00:47
warum hilft mir denn keiner?
00:00:49
Ja, und wir uns dann angesehen, sofort rausgerannt, wie irre.
00:00:53
Wir dachten halt wirklich, das passiert da jetzt gerade direkt auf der Straße
00:00:58
und waren schon so kampfbereit oder was auch immer.
00:01:01
Also sie sind dann aus der Tür gerannt und die Straße ist komplett leergefegt.
00:01:08
Also da war nichts.
00:01:09
Und das war so unheimlich, weil diese Szenerie gar nicht zu dem gepasst hat,
00:01:13
was wir jetzt dachten zu sehen.
00:01:16
Allerdings hatte ich auch anfangs irgendwie ein bisschen das Gefühl,
00:01:18
dass der Schrei eher aus dem Hinterhof kam.
00:01:20
Also so richtig verorten konnte man den meiner Meinung nach nicht.
00:01:23
Aber im Hinterhof war auch nichts.
00:01:25
Und wir sind dann nochmal so die Straße auf und ab gelaufen,
00:01:28
um zu gucken, ob die Frau irgendwo im Busch liegt oder so.
00:01:32
Ja, weil das war halt in meinem Kopf drin, dass da jetzt irgendwo eine Frau gerade angegriffen wurde
00:01:37
und halt noch irgendwo sein muss, weil das ja so nah war.
00:01:41
Und wir haben aber ja nichts gefunden und dann habe ich die 110 angerufen.
00:01:45
Und ihr könnt ja jetzt mal raten, was dann passiert ist.
00:01:49
Ich habe zwei Minuten in der Warteschleife verbracht.
00:01:53
Also das muss man sich mal vorstellen.
00:01:56
Die Frau hätte ja vielleicht selbst in dem Moment noch den Notruf wählen können.
00:02:00
Und dann hätte sie da einfach zwei fucking Minuten in der Schleife gehangen.
00:02:05
Also in der Zeit hätte ja sonst was passieren können.
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Manche Menschen haben halt keine zwei Minuten, die sie dann warten können.
00:02:11
Das hat mich einfach so aufgeregt.
00:02:14
Ja, weil wir ja auch so dachten, die braucht halt jetzt die Hilfe.
00:02:17
Was tun wir jetzt?
00:02:18
Ja, und deswegen waren wir dann ja auch so aufgelöst, weil das einen so fertig macht,
00:02:22
diese Szenarien, die man dann im Kopf hat, weil dieser Schrei halt wirklich so schlimm war.
00:02:28
Und irgendwann bin ich dann ja zum Glück durchgekommen bis zu dem Polizisten
00:02:32
und habe dann eben gesagt, was passiert ist und ob die jetzt mal jemanden schicken können.
00:02:37
Genau, also Laura hat geschildert, was passiert ist und auch, was sie dachte, was der Frau zugestoßen ist.
00:02:43
Die hat zum Beispiel gesagt, also das hat sich angehört, als wäre eine Frau gerade in ein Auto gezerrt worden
00:02:50
und bei der Schrei dann verstummte, so als ob die danach dann weggefahren wären.
00:02:54
Das war eine Version von dir, ne?
00:02:57
Oder die zweite war halt, als ob jemand die Frau in einen Busch gezerrt hätte und die dann ausgenockt hätte.
00:03:03
Das fand ich tatsächlich noch eher das Wahrscheinlichere, weil wir ja keine Autotür gehört haben
00:03:10
und auch kein Auto, das irgendwie jetzt mit quietschenden Reifen losgefahren wäre oder so, ne?
00:03:15
Aber so schlimm die Situation war, ich musste da echt ein bisschen lachen.
00:03:20
Weil du halt, also man hat halt richtig gemerkt, du hast jetzt Bilder im Kopf.
00:03:24
Und die willst du jetzt mitteilen.
00:03:26
Und ich dachte mir halt so, ich wollte halt denen das klar machen, dass das gerade passiert
00:03:32
sein könnte, damit die jetzt sofort losfahren, ne?
00:03:36
Weil ich schon dachte, zwei Minuten bin ich da schon in der Warteschleife und wahrscheinlich
00:03:40
ist da so ein gelangweilter Typ dran, der jetzt schon dreimal irgendwelchen Lärmbelästigungen
00:03:45
gehört hat, weißt du?
00:03:48
Nur ich hab mir dann natürlich auch in dem Moment gedacht, ich weiß nicht, ob das so
00:03:51
eine gute Idee ist, dem Polizisten mögliche Tatszenarien zu erzählen, weil das ist so
00:03:58
wie wenn du mit einer ergoogelten Diagnose zum Arzt gehst und sagst, also ich glaub, ich hab
00:04:03
Meinst du, ich hab mich damit vielleicht dann auch verdächtig gemacht?
00:04:07
Ne, aber wie eine Irre hast du dich angehört, glaube ich.
00:04:11
Wie eine hysterische einfach.
00:04:14
Auf jeden Fall haben die dann gesagt, die kommen rum und wir haben uns die Zeit damit
00:04:17
vertrieben, Leute bei einer Bar nebenan zu fragen, ob die nichts gehört hatten.
00:04:21
Die meinten auch nein.
00:04:22
Und dann kam auch ein Polizeiwagen, den haben wir dann angehalten und gesagt, dass wir die
00:04:27
Und dann sagen die, ja, der Einsatz, der wurde schon ausgelöst, das war aber auf der Parallelstraße.
00:04:32
Also kam der Schrei am Ende doch vom Hinterhof, zumindest da aus der Richtung.
00:04:36
Und dann sagt er halt, da hat sich eine Frau, ein Arm in einem elektrischen Tor eingequetscht.
00:04:44
Es war so ungefähr das Gegenteil von meinem Szenario.
00:04:49
Und dann dachte ich so, also ich glaube ja trotzdem, dass unsere Reaktion richtig war, die Polizei
00:04:57
zu rufen und so.
00:04:58
Aber wir haben definitiv zu viel Crime konsumiert, dachte ich dann.
00:05:03
Nein, ja, nee, also ich fand dann, nee, weißt du, was ich direkt gedacht habe?
00:05:08
Ich habe gedacht, wie dramatisch kann man eigentlich sein?
00:05:12
Weil dieser Schrei, der war Todesangst, ja.
00:05:15
Also sowas habe ich noch nie vorher gehört.
00:05:18
Ach, du meintest nicht uns mit wie dramatisch kann man sein, sondern.
00:05:22
Also ich glaube immer noch, das, was die erlebt hat, war jetzt fast arm ab.
00:05:29
Wir wissen ja nicht, wie schwer die jetzt verletzt war.
00:05:32
Nee, also das glaube ich überhaupt nicht.
00:05:34
Also für sie in ihrem Kopf bin ich mir ganz sicher, dass es ganz schlimm war, weil sonst
00:05:39
schreit man wahrscheinlich nicht so.
00:05:42
Aber ich muss ganz ehrlich sagen, ich konnte danach halt dann auch nicht mehr einschlafen
00:05:48
durch diese ganze Aufregung.
00:05:50
Und das ist ja mindestens genauso schlimm wie ein eingequetschter Arm.
00:05:53
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, ein Podcast der Partner in Crime.
00:05:58
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:06:01
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:06:03
Und ich bin Laura Wohlers.
00:06:04
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Uber-Thema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
00:06:09
darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:06:12
Hier geht es auch ein bisschen lockerer zu.
00:06:14
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt.
00:06:17
Das ist für uns einfach immer nur so eine Art Comic-Relief mal zwischendurch, damit wir auch
00:06:21
mal aufatmen können.
00:06:22
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:06:24
Heute geht es bei uns um die Schrift und ihre Rolle bei der Verbrechensaufklärung.
00:06:29
Paulina, hast du eigentlich schon mal eine Unterschrift gefälscht?
00:06:33
Ja, deine halt, ne?
00:06:35
Du meine und ich deine.
00:06:39
Stimmt, aber hier sagen wir jetzt lieber nicht wofür.
00:06:42
War es ein offizielles Dokument oder vielleicht nur eine Geburtstagskarte?
00:06:50
Aber ich habe auch schon mal eine Unterschrift von jemand anderem gefälscht und zwar von einer
00:06:56
Aber eigentlich war das so eher unfreiwillig.
00:06:59
Es war nämlich in meiner Zeit als Praktikantin bei einem großen Sender und die Moderatorin hatte
00:07:05
halt Besseres zu tun, offenbar, und hat mich deshalb dann eben darum gebeten, ihre Autogrammkarten
00:07:12
für sie zu signieren.
00:07:13
Ach, schade, dass sie dich selber darum gebeten hat, weil manchmal machen das ja so die Managements
00:07:20
Und dann hätte ich jetzt gefragt, ob du das sagen kannst, aber...
00:07:24
Boah, das würde ich niemals machen.
00:07:25
Und damit brichst du jetzt natürlich viele Herzen dann, wenn du jetzt den Namen veröffentlichen
00:07:29
würdest, weil die ganzen AutogrammkartensammlerInnen, die sind dann schwer enttäuscht.
00:07:34
Ja, aber wenn ich es nicht sage, dann fragen sich ja wahrscheinlich noch viel mehr, was jetzt
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die von der, also diese Sammler und SammlerInnen, ne?
00:07:44
Das ist vielleicht ja noch ein bisschen undankbarer.
00:07:48
Aber ich werde den Namen nicht sagen, natürlich.
00:07:50
Ich habe auch mal Autogrammkarten gefälscht, aber ein bisschen anders, als ich noch beim
00:07:54
Frühstücksfernsehen gearbeitet habe, da wollte mal jemand von mir unterschriften und hat dafür
00:07:59
Bilder ausgedruckt von einer Person, die angeblich ich war.
00:08:04
Das war aber so eine andere Moderatorin von RTL.
00:08:08
Boah, das waren ja ganz große Paulina-Kraser-Fans, wenn sie das falsche Bild dann da zulegen.
00:08:17
Ja, also es waren vor allem auch so fünf Fotos von der und dann habe ich halt Bilder
00:08:22
von mir genommen, meinen Kopf ausgeschnitten und das dann auf diese Bilder dieser anderen
00:08:27
Moderatorin geklebt und habe dann darunter meinen Namen gesetzt.
00:08:32
Das kann ich jetzt hier so offen erzählen, weil so eine Art von Fälschung, genauso wie
00:08:39
wenn Laura die Unterschriften von der Moderatorin fälscht, das ist jetzt nicht strafrechtlich
00:08:45
relevant. Also wird zumindest, gehen wir mal von aus, nicht verfolgt. Allerdings gilt die
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eigene Unterschrift oder halt auch Handschrift als so individuell wie der Fingerabdruck.
00:08:55
Und daher kann die Handschrift auch dabei helfen, Verbrechen aufzuklären. Und wie das
00:09:00
genau funktioniert, darum geht es in den beiden Fällen, die wir euch heute mitgebracht haben.
00:09:04
Und manchmal reichen auch nur ein paar Buchstaben für die Lösung eines Verbrechens.
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Einige Namen sind geändert. Die Triggerwarnung zu meinem Fall findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
00:09:14
Der Bahnkilometer 107,4 auf der Strecke zwischen Halle und Leipzig liegt nahe dem Städtchen
00:09:21
Schkeuditz. Die Landschaft ist unspektakulär, die weiten Felder sind jetzt Ende Januar 1981 mit
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Mitten im Weiß bahnt sich ein orangener Farbkleck seinen Weg entlang der Gleise. Uwe Teuerkorn ist 19 und
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Streckenläufer bei der Reichsbahn. In seiner orangefarbenen Signalweste ist er täglich hier
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unterwegs, um zu kontrollieren, ob Bahngleise und Schwellen intakt sind. Sein wichtigstes Werkzeug ist
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ein Laschenschlüssel, mit dem er lockere Schrauben festzieht. Beim Kilometerstein 107,4 liegen alte
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Betonschwellen, die darauf warten, von Uwe abgeholt zu werden. Schon von Weitem entdeckt er dazwischen aber
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auch etwas, das dort nicht hingehört. Einen alten braunen Reisekoffer aus Kunstleder, der leicht von
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Schnee bedeckt ist. Der muss aus einem Zug gefallen sein, denkt Uwe. Er ist neugierig. Ist Geld drin oder
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eine Levis-Jeans aus dem Westen? Das wäre ein Fund, den er nicht melden, sondern heimlich mit nach Hause
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nehmen würde. Uwe beschließt nachzusehen, aber die Sache ist ihm auch nicht ganz geheuer, also öffnet er den
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Koffer nicht mit den Händen, sondern benutzt seinen Laschenschlüssel. Doch was er unter Zeitungspapier
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und Plastiktüten entdeckt, ist kein unverhoffter Schatz, sondern ein Schock.
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Zwei Wochen zuvor. Lukas ist aufgeregt. Heute, am 15. Januar 1981, geht für ihn ein Traum in Erfüllung.
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Der Siebenjährige darf zum ersten Mal ins Kino. An diesem Donnerstag wird um halb vier der
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Kinderzeichentrickfilm Däumelinchen gezeigt. Blondschopf Lukas ist der kleinste und zierlichste
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seiner Freundesgruppe. Grund dafür ist, dass er keinen leichten Start ins Leben hatte. Fast acht
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Wochen war er zu früh auf die Welt gekommen. Seit ein paar Monaten geht er jetzt schon zur Schule. Hier
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kommt er aber genauso mit wie alle anderen. Er ist ein fleißiger Schüler, besonders Sport und Musik
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machen ihm Spaß. Manchmal sitzt er stundenlang vor dem Fernseher, schaut sich Musiksendungen an und versucht
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auf seiner kleinen Spielzeuggitarre, die sein Papa Karl ihm geschenkt hat, mitzuspielen.
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Vater Karl, der als Kraftfahrer nicht wirklich oft zu Hause ist und sich so nicht viel um seine Kinder
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Lisa und Lukas kümmern kann. Das muss Marianne übernehmen. Die schlanke Frau mit den dunklen Haaren
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arbeitet als Laborantin in einem Chemiewerk hier in Neustadt bei Halle und versucht nach ihrer Schicht,
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so schnell es geht zurück zu ihren Kindern zu kommen. So wie heute, als sie ihrem Sohn den Ausflug
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ins Kino erlaubt. Es hat geschneit und so stapft Lukas dick eingepackt in seinen blau-grünen Mantel
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und die braunen Stiefel von zu Hause los. Auf dem Kopf eine braune Pelzmütze. Seine elfjährige
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Schwester Lisa begleitet ihn. Etwa 600 Meter sind es bis zum Kino. Das letzte Stück läuft Lukas allein.
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Doch das Däumelinchen sieht er nicht. Am Abend wartet seine Familie mit dem Essen auf ihn,
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aber Lukas kommt nicht. Die Eltern werden unruhig. Eine solche Verspätung sieht ihm gar nicht
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ähnlich. Freundinnen und Bekannte werden durchtelefoniert. Marianne klingelt in der
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Nachbarschaft und sucht auf den Spielplätzen in der Umgebung nach ihrem Sohn. Ohne Erfolg.
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Irgendwann hält sie es nicht mehr aus, verlässt die Wohnung und überquert die Straße. Direkt
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gegenüber nämlich liegt das Revier der Volkspolizei. Dort meldet sie Lukas als vermisst. Die
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BeamtInnen reagieren sofort. Der Junge ist schließlich erst sieben, es ist schon dunkel und
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noch dazu eisig kalt. Routinemäßig wird nicht nur der Bereich zwischen der Wohnung und dem Kino
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durchforstet, sondern auch die Kellerräume des Wohngebiets. Tags darauf wird der Radius noch
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ausgeweitet. Seen und Kanäle werden durchsucht. Lukas könnte irgendwo ins Eis eingebrochen sein.
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Auch das unterirdische Versorgungs- und Leitungssystem der Stadt wird durchkämmt. Parallel schaltet sich die
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Mordkommission ein. Die soll zunächst nur beraten und die Suche koordinieren. Doch der Leiter der
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Kommission, Siegfried Schwarz, zieht von Anfang an nicht nur einen Unfall in Betracht. Zwei Tage nach
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Lukas' Verschwinden erscheint in der Zeitung Freiheit eine Vermisstenanzeige. Die Bevölkerung wird um
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Mithilfe gebeten. Dabei sind solche Meldungen zu dieser Zeit nicht üblich, um die BürgerInnen
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nicht zu beunruhigen. Aber die Hallenser Bezirksleitung der SED, der Sozialistischen
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Einheitspartei Deutschlands, reagiert sensibel auf das Verschwinden von Lukas. Sie bereitet gerade
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einen Parteitag vor. Ein solcher Vorfall passt nicht ins Bild der DDR, wo es laut Regierung doch
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keine Verbrechen gibt. Daher soll Lukas so schnell wie möglich gefunden werden. Doch obwohl
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hunderte Einsatzkräfte Tage und Nächte lang nach ihm suchen, fehlt jede Spur. Bis zu dem Tag,
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knapp zwei Wochen später, an dem Uwe Theuerkorn an der Reichsbahnstrecke, knapp 20 Minuten von Halle
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entfernt, den zerschlissenen braunen Reisekoffer findet. 77 Zentimeter breit, 45 Zentimeter hoch,
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22 Zentimeter tief. Hineingepresst, eine Kinderleiche. Es dauert nicht lang, da steht fest, es handelt
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sich bei dieser um Lukas. Die Obduktionsergebnisse lassen außerdem erahnen, welche Hölle der kleine
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Junge in seinen letzten Stunden erlebt haben muss. Lukas wurde sexuell missbraucht und anschließend
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durch stumpfe Gewalteinwirkungen gegen den Kopf und massive Stichverletzungen in die Brust
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getötet. Jetzt ändert sich die Rolle von Siegfried Schwarz, dem Leiter der Mordkommission,
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vom Berater zum Hauptverantwortlichen. Schwarz ist Ermittler mit Leib und Seele. Als Junge musste
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er mit seiner Familie aus Schlesien flüchten, mit 18 ging er zur Polizei, arbeitete sich vor
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fünf Jahren bis zum Chef der Mordkommission hoch. Nun ist er es, der Lukas' Eltern die
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schreckliche Nachricht überbringt. Er fühlt mit ihnen. Der 45-Jährige mit dem Goldzahn hat
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selbst vier Söhne, der Jüngste so blond wie Lukas und fast genauso alt. Lukas' Vater
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Karl reagiert aggressiv auf die Nachricht, droht den Täter umzubringen, wenn er ihn zu fassen
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bekommt. Mutter Marianne hingegen reagiert gefasst. Schwarz gibt den Eltern daraufhin
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ein Versprechen. Egal wie lange es dauert, der Mörder ihres Sohnes wird gefunden und seiner
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gerechten Strafe zugeführt. Um dieses Versprechen so schnell wie möglich wahrzumachen, konzentriert
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sich schwarz auf den Koffer und das viele Zeitungspapier darin. Und steht damit am Beginn eines der
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aufwendigsten Ermittlungsverfahren überhaupt. Bei der Analyse des Koffers zeigt sich schnell,
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dass verwertbare Fingerabdrücke hier Fehlanzeige sind. Zu lange lag er im Schnee. Das Papier darin
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ist eine bunte Mischung. Tageszeitungen, Illustrierte, ein Frauenjournal. Die Seiten, manche glatt,
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manche geknüllt, sind stark durchnässt. Auch da gibt es keine Fingerabdrücke, Staubspuren oder
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ähnliches. Allerdings entdecken die KriminaltechnikerInnen etwas Erstaunliches. Die Kreuzworträtsel auf
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einigen der Seiten sind ausgefüllt. Sechs davon fast ganz, in anderen finden sich wenigstens ein paar
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Begriffe. Alle in Blockbuchstaben und alle Rätsel scheinen von derselben Person ausgefüllt worden zu
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sein. Siegfried Schwarz ist überzeugt, wer den Menschen findet, der gerätselt hat, findet den, der Lukas
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getötet hat. Um diese Person zu finden, gibt es nur eine Möglichkeit. Schriftproben müssen her,
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und zwar so viele wie möglich. Aber bei Schwarz ist die Hoffnung groß. Die Handschrift ist auffällig,
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daher könnten selbst ungeübte PolizistInnen markante Buchstaben beim Vergleichen erkennen.
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Zum Beispiel läuft das große A oben nicht spitz, sondern rund zusammen. Außerdem gibt es zwischen dem
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linken senkrechten Strich und dem restlichen Teil des Buchstabens eine kleine Lücke. Schreibunterbrechung
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nennt sich das. Gleiches gilt für das B, das D und das M. Und das große Z hat keine spitzen Ecken,
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sondern geschwungene Bögen. Schwarz holt sich also SchriftgutachterInnen in sein Team, die die Rätsel
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analysieren sollen. Sie bestätigen, beim sogenannten Schreibverursacher handelt es sich eindeutig immer um
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dieselbe Person. Und die lässt sich auch näher beschreiben. Wegen der altmodischen Linienführung,
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den Schreibunterbrechungen und Schnörkeln muss es jemand sein, der das Schreiben vor langer Zeit
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gelernt hat. Vor der Gründung der DDR. Die Sachverständigen glauben auch, das Geschlecht
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zu wissen. Eine Frau mittleren Alters muss die Rätsel ausgefüllt haben. Die Ermittelnden sind sich
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allerdings einig, dass eine Frau körperlich wahrscheinlich nicht in der Lage war, Lukas
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allein so schwer zu verletzen. Aber sie gehen davon aus, dass sie den Täter kennt. Die SchriftgutachterInnen
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stellen dann unter dem Titel Grafische Fahndungstabelle Koffer eine Liste mit den prägnantesten Buchstaben
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zusammen. Für die PolizistInnen, die die Schriftproben einsammeln und vergleichen sollen.
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Schreibleistungen werden die Schriftproben offiziell genannt. Und solche brauchen sie von
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allen NeustädterInnen, die über 15 Jahre alt sind. Mann wie Frau, um ganz sicher zu gehen. Denn sie sind
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alle zunächst verdächtig. Das größte Problem bei dieser Aktion ist die schiere Masse. Über 50.000
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Menschen kommen potenziell als TäterInnen in Frage. Dazu noch die mehr als 200.000 BewohnerInnen von
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Halle, BesucherInnen und Leute, die am 15. Januar 1981 auf Durchreise waren. Um systematisch vorzugehen,
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teilt Siegfried Schwarz Neustadt in Abschnitte ein. Nun heißt es, in jedem Block an jeder Wohnungstür
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klingeln und um Schriftproben bitten. Viele PolizistInnen entscheiden sich freiwillig für
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dieses Klinkenputzen. Denn viele haben selbst Kinder. Lukas' schreckliches Schicksal treibt die ganze Stadt
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um. Daher sind die meisten auch bereit, Schriftproben abzugeben. Aber schnell wird
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deutlich, dass die Aktion noch viel aufwendiger ist als zunächst angenommen. Oft sind nicht alle
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BewohnerInnen zu Hause. Wohnungen müssen zwei- oder dreimal abgeklappert werden. Außerdem brauchen viele
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sehr lange, um die Probe abzugeben. Sie sind es einfach nicht gewohnt, so viel in Blockbuchstaben zu
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schreiben. Parallel dazu werden potenzielle ZeugInnen befragt und mutmaßliche Verdächtige
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vernommen. Dazu zählen nicht nur fast 100 Personen, die in irgendeiner Beziehung zu Lukas und seiner
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Familie stehen. Rund 200 polizeilich registrierte Homosexuelle und pädophile Personen müssen ein
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Alibi vorweisen. Okay, aber polizeilich registrierte Heterosexuelle nicht. Nee, alles klar. Ja, und es werden
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auch noch 250 Vorbestrafte, also die wegen Sittlichkeitsdelikten, also vor allem Sexualstraftaten
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vorbestraft sind, befragt. Und über 1000 Menschen, die regelmäßig in dem Kino in Neustadt sind. Je
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länger die Ermittlungen dauern, desto stärker wächst die Sorge, dass der Täter davon Wind
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bekommt und flieht. Doch die noch größere Sorge, er wird erneut zuschlagen, wenn man ihn nicht bald zu
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fassen bekommt. Daher wird weiter ausgeweitet. Allein von drei der größten Arbeitgeber in der Region,
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den Chemieunternehmen Buna und Leuner sowie der Deutschen Reichsbahn, werden über 70.000 Personalakten
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eingeholt. Kleinbetriebe in Halle und Neustadt steuern 34.000 weitere Schriftproben bei. Außerdem
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beschafft sich die Volkspolizei rund 250.000 Meldepapiere von öffentlichen Ämtern und 95.000
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Telegramme. Sogar die Schulen müssen mithelfen. Kinder durchsuchen die Keller der Plattenbauten nach
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Altpapier und bringen in den kommenden Monaten rund 60 Tonnen davon zur Polizei. Dort wird das Papier
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sortiert und nach Kreuzworträtschen durchsucht. Auch die Presse wird involviert. Am 9. April platziert die
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Polizei in der Tageszeitung Freiheit ein Kreuzworträtsel, das die SchriftgutachterInnen
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entwickelt hatten. Die Fragen sind einfach. Zum Beispiel Abkürzung für die Vereinigten Staaten
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von Amerika oder umgangssprachlicher Ausdruck für Großvater. Als Belohnung winken 10 Mark. Das
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Ergebnis fast 11.000 Einsendungen. Auch die Stasi, die Geheimpolizei der DDR, mischt mit. Sie beschafft auf
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eigenem Weg Schriftproben. Unter anderem von Parteimitgliedern und Funktionären, die sich
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den PolizistInnen verweigern. Während sich so bei der Polizei die Überstunden häufen, türmen sich die
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Berge an Schriftproben auf. Technische Programme, die bei dem Vergleich helfen, gibt es nicht. Alles
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analog. Um sicherzugehen, dass die Ermittelnden trotz der unglaublichen Masse an Material weiter
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aufmerksam arbeiten, streuen die Vorgesetzten immer wieder gefälschte Proben ein, die der gesuchten
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Handschrift stark ähneln. Wow. Ja. Was für ein Aufwand. Das finde ich auch so krass, dass sie das dann
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nochmal so gegenchecken. Richtig gut. Aber trotz aller Bemühungen vergehen Monate, ohne auch nur eine
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einzige Spur. In der Wohnung von Lukas Familie herrscht genau wie bei der Polizei seit dem 15.
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Januar Ausnahmezustand. Vater Karl kann mit dem Tod seines Sohnes nicht umgehen. Er drängt seine Trauer
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in Alkohol. Und dann wird er wütend. Vor allem auf die Polizei, die nichts unternehmen würde und auf
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das Schwein, Zitat, das seinen Sohn auf dem Gewissen hat. Mutter Marianne leidet unter der Aggressivität
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ihres Mannes und die reißt eine Kluft zwischen die beiden. Nach außen hin ist Marianne zwar still, doch auch
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in ihr toben die Gefühle. Trauer, Wut, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit. Mit Tochter Lisa versucht sie
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immer wieder über das, was geschehen ist, zu sprechen. Doch es gelingt ihr nicht richtig. Weil sie aber mit
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irgendjemandem reden muss, entscheidet sich Marianne schließlich für eine psychiatrische Behandlung. Aber
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die Schuldgefühle, nicht gut genug auf Lukas aufgepasst zu haben, verschwinden nicht. Sie haben sich bei
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Marianne eingenistet wie ein bösartiger Tumor, der sie jeden Tag quält. Auch innerhalb der Polizei
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kommt es im Sommer 1981 zu einer Krise. Ein halbes Jahr wird nun schon ermittelt, ohne den kleinsten
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Hinweis. Viele Einsatzkräfte verlieren den Mut, sie glauben nicht mehr daran, die furchtbare Tat allein mit
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ein paar Buchstaben aufklären zu können. Zu lange arbeitet man schon daran, zu groß ist die Menge an
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Schriftproben. Gleichzeitig wächst der Druck. Nach wie vor sind zahlreiche Kräfte im Einsatz, die viel Geld
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verschlingen. Die Regierung will endlich Ergebnisse. Sonst werden die Ermittlungen eingestellt, heißt es von
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oben. In Neustadt appelliert die Bevölkerung in Briefen an die EntscheiderInnen. Der Täter könne noch
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immer zuschlagen. Möglicherweise habe er das schon getan. Zahlreiche PolizistInnen würden fast pausenlos
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arbeiten. Viele hätten selbst kleine Kinder und große Angst um sie. Es könne nicht im Sinne der
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Bevölkerung sein, die Ermittlungen einzustellen. Das wirkt. Wenige Tage später kommt die Anordnung, den Täter zu
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stellen. Und zwar um jeden Preis. Dann wird es Herbst. Die Blätter an den Bäumen haben sich bunt
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gefärbt. Am 27. Oktober 1981 wäre Lukas acht Jahre alt geworden. Doch anstatt mit ihm am Tisch zu
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sitzen und ihn beim Kuchen essen und Geschenke auspacken zu beobachten, müssen Marianne, Karl und
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Lisa sein Grab auf dem Nordfriedhof besuchen. Geliebt und unvergessen haben sie auf den dunklen Stein
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gravieren lassen. Knapp zwei Wochen später, am 10. November, klingeln die PolizistInnen dann an der
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nächsten Wohnungstür auf der Liste. Luftlinie ist die ca. 400 Meter von Lukas Elternhaus entfernt.
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Doch die Bewohnerin Ingrid Bach, Mitte 40, geschieden und Mutter von zwei erwachsenen Töchtern, ist nicht
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zu Hause. Die BeamtInnen erfahren, dass sie als Saisonkraft in einem Lokal an der Ostsee arbeitet. Also wird die
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Polizei dort beauftragt, eine Schriftprobe von ihr einzuholen. Sieben Tage später, am 17. November, geschieht dann in
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Neustadt das Unglaubliche. Ingrids Probe ist ein Treffer. Die Buchstaben aus dem Kreuzworträtsel im
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Koffer müssen von dieser Frau stammen. Die CCF-Aufgabe ist tatsächlich gelöst. Nachdem 551.198
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Schriftproben überprüft worden sind. Wow. Die KollegInnen an der Ostsee werden verständigt. Sie sollen
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sofort mit Ingrid Bach sprechen. Doch die ist nicht mehr da. Sie ist auf dem Weg nach Werder bei Potsdam,
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um ihre Tochter zu besuchen. Sie quillt schwarz, macht sich noch in der Nacht auf den Weg. Am frühen Morgen
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kommen er und seine KollegInnen in Werder an. Jetzt müssen sie geschickt vorgehen. Sie sprechen nicht über den
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wahren Grund, warum Ingrid Bach und ihre Tochter Julia sie zurück nach Neustadt begleiten müssen. Es sei etwas
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mit der Wohnung. Beide sind überrascht, doch sie folgen breitwillig. Auf der Fahrt nach Neustadt erzählt die
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20-jährige Julia den PolizistInnen von sich und ihrem Freund Manuel, der ebenfalls aus Neustadt kommt. Gemeinsam arbeiten
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die beiden in Friedrich Roda. Sie als Kellnerin, er als gelernter Installateur im technischen Bereich. Bei den
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ermittelnden Leuten sofort die Alarmglocken. Ein Mann im direkten Umfeld der Schreibverursacherin? Das
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könnte der Täter sein. Während eine Streife zu Manuel nach Friedrich Roda fährt, wird Ingrid Bach auf der
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Wache in Neustadt schließlich der Koffer gezeigt, in dem Lukas Leiche gefunden wurde. Und den kann die 45-Jährige
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eindeutig als ihren identifizieren. Sie bestätigt auch, dass sie die Kreuzworträtsel ausgeführt hat.
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Julia wird daraufhin eingehender zu Manuel befragt. Sie erzählt, dass sie ihn vor zweieinhalb Jahren
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kennengelernt hat. Sie war 17, er 16. Ihre Freundinnen fänden ihn süß, würden sie sogar um ihn
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beneiden. Aber Julia erzählt noch ein bisschen mehr. Etwas, das die Ermittlungen erschaudern lässt. Und zwar,
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dass sie Manuel wirklich gern habe, aber auch, dass er manchmal ein bisschen komisch sei. Sie wird
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deutlicher und berichtet von Manuels sexuellen Fantasien. Dass er kleine Jungs besonders gern habe.
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Vielleicht sogar lieber als sie. Dass er oft Kataloge für Kinderunterwäsche anschaue. Und dass sie ihm vor
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dem Sex davon erzählen müsse, wie er mit kleinen Jungs dasselbe macht, was sein Großvater früher auf dem
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Bauernhof mit den Schweinen gemacht hat. Wie er sie schlachtet. Nein. Als kurz darauf,
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ein höflicher junger Mann mit feinen Zügen vor den Polizistinnen sitzt, kann man nicht glauben,
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dass dieser solche Fantasien haben soll. Manuel ist schmal, nicht allzu groß und spricht mit leiser,
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freundlicher Stimme. Und er streitet alles ab. Erst spät in der Nacht fängt der 18-Jährige an zu
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reden. Er und Julia kommen ab und zu nach Neustadt, wenn sie ein paar Tage frei haben, sagt er. Wenn
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Julias Mutter an der Ostsee ist, schaut Julia in der Wohnung immer wieder mal nach dem Rechten. Auch
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Manuel hat einen Schlüssel. Daher sind die beiden auch Mitte Januar dort. Julia muss dann schon früher
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wieder zum Arbeiten nach Friedrichroda. Manuel bleibt noch. Am 15. Januar kommt er zufällig am Kino
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vorbei, als Lukas dort steht. Manuel bemerkt, dass der Anblick des Jungen ihn sexuell erregt. Er
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spricht ihn an. Er habe Spielzeugautos zu Hause. Lukas fasst Vertrauen und geht breitwillig mit. In der
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Wohnung von Julias Mutter befiehlt Manuel dem Jungen dann, sich auszuziehen und auf die Couch zu legen.
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Manuel missbraucht ihn. Nachdem er zum Höhepunkt kommt, setzt er sich hinter das Kind und entschließt
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sich schließlich dafür, mit Lukas das zu machen, was sein Opa früher mit den Schweinen gemacht hat.
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Mit einem Hammer schlägt er Lukas auf den Kopf, trägt ihn danach in die Wanne und schlägt dort noch
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mehrmals auf ihn ein. Mit einem Messer verletzt er den Jungen dann noch mehrfach. Von der Gewalt sexuell
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erregt, befriedigt Manuel sich selbst, bevor er die Leiche in Plastikbeutel einwickelt. Er presst sie
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dann regelrecht in einen Reisekoffer, den er in der Wohnung seiner Schwiegermutter in Spee findet. Die
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Lücken stopft er mit Zeitungspapier aus, damit kein Blut nach außen dringt. Dann macht er sich auf den
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Weg zum Bahnhof und steigt gegen 18 Uhr in den Zug nach Leipzig. Es dauert eine Zeit, bis er den Koffer
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unbemerkt aus dem Fenster werfen kann. In Leipzig angekommen, fährt er mit dem nächsten Zug zurück. Hammer und
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Messer entsorgt Manuel in einem der Müllcontainer des Wohnblocks. Trotz der furchtbaren Details,
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die ans Licht gekommen sind, macht sich auf der Polizeidienststelle ein Gefühl der Erleichterung
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breit. Endlich. Zehn Monate nach Lukas' Verschwinden ist der Täter gefasst. Die Buchstabenspur hat die
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Ermittelnden tatsächlich zu ihm geführt. Am Tag nach Manuels Vernehmung geht Siegfried Schwarz erneut
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über die Straße zur Wohnung von Lukas' Familie, um sein Versprechen einzulösen. Als ihm die Wohnungstür
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geöffnet wird, sagt er, wir haben den Mörder ihres Sohnes gefunden. Die Eltern reagieren,
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wie es Schwarz mittlerweile von ihnen kennt. Marianne nimmt die Nachricht gefasst auf. Karl
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rast vor Mut. Der Prozess gegen Manuel beginnt am 16. Juni 1982. Obwohl die Staatsanwaltschaft
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verfügt hat, dass der Name des Angeklagten und Details zur Tat nicht an die Presse gelangen
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dürfen, findet die Verhandlung öffentlich statt. Denn mit diesem Prozess wollen Staat und Justiz
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ein Exempel statuieren. Der Andrang im Bezirksgericht Halle ist riesig. Zusätzliche
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Stühle werden herangeschafft, damit im größten Saal noch mehr Menschen Platz finden. Unter den
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ZuhörerInnen sind auch Lukas' Eltern. Sie fassen sich an den Händen, als Manuel in den Saal geführt
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wird. Die Anklage lautet auf Mord in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch. Als Manuel sich nach der
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Anklageverlesung einlässt, spricht er darüber, wie er mit sieben Jahren auf dem Bauernhof des
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Großvaters zum ersten Mal beim Schweineschlachten zugeschaut hat. Dass er dann immer öfter
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fantasiert habe, selbst zu schlachten. Aber nicht Schweine, sondern kleine niedliche Jungen. Außerdem
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erzählt er von sexuellem Missbrauch in der Kindheit. Als er acht Jahre alt war, habe ihn der Schuhmacher,
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bei dem seine Mutter Schuhe reparieren ließ, mehrfach zu sich eingeladen. Dann habe er sich vor
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seinen Augen selbst befriedigt und ihn auch angefasst. Seine Eltern hätten davon gewusst, aber der Missbrauch
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hat sie noch nie mit ihrem Sohn aufgearbeitet. Auch Manuels Freundin Julia berichtet noch einmal
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von Manuels Vorlieben und Tötungsfantasien, die sie aber nie ganz ernst genommen habe.
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Lukas' Eltern verfolgen den Prozess mit steinernen Minen. Sie wirken beinahe teilnahmslos. Nur einmal, als Details der Tat besprochen werden, kommt es zu einem Zwischenfall. Karl steht auf, droht Manuel mit der Faust und ruft, ich bring dich um, wenn das Gericht nicht dafür sorgt. Karl, der sichtlich angetrunken ist, wird daraufhin des Saals verwiesen. Marianne bleibt allein zurück.
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Als nächstes wird der psychiatrische Sachverständige in den Zeugenstand gerufen. In seinem Gutachten kommt er zu dem Schluss, dass man von einem völlig beherrschenden Triebdruck sprechen müsse, statt von Sexualität.
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Aber auch, dass Manuel sowohl intellektuell als auch psychisch in der Lage gewesen wäre, sich mit seinem Sexualerleben kritisch auseinanderzusetzen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
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Der Gutachter stuft Manuel wegen seiner schwerwiegenden abnormen Entwicklung seiner Persönlichkeit mit Krankheitswert als vermindert zurechnungsfähig ein.
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Der Verteidiger versucht daraufhin das Gericht zu überzeugen, dass Manuel während der Haft therapeutische Hilfe brauche und anschließend in einer Anstalt zur Resozialisierung untergebracht werden solle.
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Beides wird abgelehnt.
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Am Ende wird Manuel wegen Mordes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
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Der Mörder seines Sohnes sitzt jetzt in Haft.
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Doch über Lukas Tod und das, was seinem Sohn angetan wurde, kommt Vater Karl nie richtig hinweg.
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Er trinkt immer hemmungsloser und schmiedet wilde Rachepläne, wie er ins Gefängnis gelangen und Manuel umbringen könnte.
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Weder Marianne noch seine Tochter Lisa dringen noch zu Karl durch.
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Marianne erträgt das Verhalten ihres Mannes noch etwa ein Jahr.
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Dann reicht sie die Scheidung ein.
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In der Wohnung, die auch Lukas zu Hause war, wollen weder Marianne noch Karl weiterleben.
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Sie zieht mit Lisa in ein anderes Apartment im selben Block.
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Karl findet eine Wohnung am anderen Ende der Stadt.
00:31:31
Lisa sieht er nur noch selten.
00:31:33
Der Kontakt zwischen Karl und Marianne bricht komplett ab.
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Nach der Wende bekommen Lukas' Eltern dann Bescheid, dass der Fall neu verhandelt wird.
00:31:41
Denn Manuels Verurteilung entspricht nicht dem Recht der BRD.
00:31:45
Er war zum Zeitpunkt noch keine 21 Jahre alt, galt also als Heranwachsender.
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Nun ist zu prüfen, ob er nach Jugendstrafrecht verurteilt werden muss.
00:31:53
Bis dahin wird er in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht, zum ersten Mal.
00:31:58
Im November 1991, zehn Jahre nach seiner Verhaftung, wird Manuel also erneut einem Richter vorgeführt.
00:32:04
Dem schmalen jungen Mann von damals sieht er nicht mehr ähnlich.
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Seine Ex-Freundin Julia ist nicht unter den ZuhörerInnen.
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Auch Lukas' Vater Karl ist nicht da.
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Mutter Marianne tritt als Nebenklägerin auf.
00:32:16
Als sie hörte, dass Manuel freikommen könnte, hat sie sich über den Weißen Ringen einen Anwalt besorgt.
00:32:21
Denn Marianne hat sich geschworen, alles dafür zu tun, dass es bei Manuels lebenslanger Haftstrafe bleibt.
00:32:27
Es ist das Einzige, was sie für ihren Sohn noch tun kann, und das ist sie ihm schuldig.
00:32:32
Ein neues psychiatrisches Gutachten wiederholt vieles, was schon damals festgestellt worden ist.
00:32:37
Manuel sei ein krankhafter Sadist, aber auf dem Weg der Besserung.
00:32:41
Doch wie hoch die Gefahr eines Rückfalls ist, kann nicht geklärt werden.
00:32:45
Der Richter setzt den Prozess bis Mai daher aus.
00:32:47
Bis dahin soll Manuel in der Berliner Charité beobachtet werden.
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Am 2. Mai 1992 erklärt der Gutachter dann, dass damals eine entwicklungsbedingte Form von Sadismus vorgelegen habe,
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die über die Jahre hinweg therapierbar sei.
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Um diese Heilung voranzutreiben, sei es zwingend nötig, dass Manuel so schnell wie möglich wieder Kontakt zur Außenwelt bekommt.
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Diese Forderung wehrt die Staatsanwaltschaft vehement ab.
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Man habe zwar eine Verantwortung für den Mann, aber auch für gefährdete Kinder.
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Daher plädiert man auf eine Einweisung in psychiatrische Behandlung.
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Schließlich entteilt das Gericht, das Urteil auf Mord in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch beizubehalten.
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Die lebenslange Haftstrafe wird aber auf die Jugendhöchststrafe von 10 Jahren herabgesetzt.
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Und die ist bereits im November 1991 abgelaufen.
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Für Marianne bricht die Welt ein zweites Mal zusammen.
00:33:35
Manuel kommt aus dem Gefängnis frei und wird zur psychiatrischen Behandlung in die Landesklinik Bernburg eingewiesen.
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1999 wird er dann auch dort entlassen.
00:33:45
Er geht erst nach Thüringen und lebt später mit einer neuen Frau und einem Stiefsohn in Magdeburg.
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Dort stirbt Manuel im Alter von 50 Jahren nach einer schweren Krankheit.
00:33:55
Am 15. Januar 2013.
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Auf den Tag genau 32 Jahre, nachdem er dem kleinen Lukas sein Leben auf so brutale Weise genommen hatte.
00:34:07
Also was für ein Fall und was für eine Ermittlungsarbeit.
00:34:11
Ich weiß jetzt auch, warum wir das schon so oft vorgeschlagen bekommen haben, den Kreuzworträtselfall mal zu machen.
00:34:16
So heißt er ja auch in den Medien.
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Was mich wirklich verwundert, ist diese Freundin von dem Manuel.
00:34:23
Also wenn mir mein Freund, Partner, was auch immer, sagen würde, er hat Fantasien davon, wie er kleine Jungen umbringt und das noch in einer Kombination mit Sexualität.
00:34:36
Also ich hoffe, dass heutzutage alle so aufgeklärt sind, dass sie sich da sofort Hilfe suchen.
00:34:42
Oder unterstützen, Hilfe zu suchen.
00:34:44
Und bei der Julia, die ja nicht in echt Julia heißt, aber bei der ist jetzt später auch noch rausgekommen, dass sie doch auch noch ein bisschen mehr offenbar wusste.
00:34:57
Weil die hat 2013 nämlich ein Buch rausgebracht mit dem Titel Der Kreuzworträtselmord, die wahre Geschichte.
00:35:04
Und darin schreibt sie, dass sie Manuel bei der Tat in der Wohnung ihrer Mutter überrascht hat.
00:35:11
Und Manuel sie da aber dann nicht gehen lassen wollte und danach so psychisch unter Druck gesetzt hat.
00:35:16
Das hat natürlich auch die Polizei mitbekommen und sich natürlich gefragt, ob Julia damals dann doch mehr in das Verbrechen involviert war.
00:35:25
Beziehungsweise ob sie sich halt möglicherweise wegen Beihilfe oder Mittäterschaft schuldig gemacht hat.
00:35:29
Die haben sich dann daraufhin bei Julia gemeldet.
00:35:32
Und Julia und der Verlag haben dann erklärt, dass das Buch Fiktion sei, beziehungsweise ein Roman, der zwar auf wahren Begebenheiten basiere, aber im Übrigen frei erfunden sei, um mehr Spannung aufzubauen.
00:35:46
Das ist nicht dein Ernst.
00:35:47
Wie schlimm ist das?
00:35:48
Hä, und damit ist sie jetzt davongekommen oder was?
00:35:50
Und die darf das Buch weiter vertreiben.
00:35:53
Das gibt's ja gar nicht.
00:35:54
Ja, also die haben dann die trotzdem vernommen.
00:35:58
Also die haben nochmal mehr nachgefragt.
00:36:00
Und laut Staatsanwaltschaft passen ihre Aussagen von früher mit dem, was sie in ihrem Buch schreibt, halt auch überhaupt nicht zusammen.
00:36:07
Also es war zum Beispiel nicht klar, ob sie in der Wohnung war, als Lukas noch gelebt hat.
00:36:13
Im Frühjahr 2014 werden die Ermittlungen dann aber wegen mangelnder Beweise eingestellt, weil es konnte also am Ende nicht überprüft werden, ob Julia in der Wohnung war, als Manuel Lukas getötet hat.
00:36:26
Und auch weil Manuel kurz vor der Veröffentlichung des Buches gestorben war, konnte man natürlich ihn auch nicht mehr danach befragen.
00:36:33
Naja, vielleicht ist das ja auch Absicht so gewesen, dass das Buch erst rauskommt, als Manuel verstorben war.
00:36:39
Denn ansonsten hätte es da vielleicht noch ein paar unangenehme Fragen gegeben.
00:36:43
Ja, aber so oder so, ne?
00:36:46
Also jetzt zu sagen, das Buch ist ein Roman und da haben wir jetzt irgendwas, um Spannung aufzubauen.
00:36:52
Sorry, aber das ist ja, wie ihr sagt, auf wahren Begebenheiten.
00:36:56
Es handelt sich um einen Jungen, dessen Mutter auch noch lebt und das vielleicht auch lesen kann.
00:37:02
Also wie schlimm.
00:37:03
Das Buch heißt Die wahre Geschichte.
00:37:08
Was ist mit ihr verkehrt?
00:37:10
Also das dann auch noch so zu nennen, da kriege ich wirklich Wutanfälle innerlich.
00:37:16
In meinem Aha geht es jetzt darum, was diese SchriftgutachterInnen im Fall von Lukas eigentlich genau gemacht haben und wie der forensische Schriftvergleich, so heißt das nämlich offiziell, heute aussieht.
00:37:27
Weil in dem Fall, der ist ja von 1981, da war die Technik ja noch nicht so weit wie jetzt.
00:37:33
Also da lag der Fokus vor allem auf dem augenscheinlichen Vergleich der Schrift beziehungsweise der Buchstaben.
00:37:39
Diese Sachverständigen, die hatten ja diese Übersicht mit den auffälligen Buchstaben aus den Kreuzverträtschen so zusammengestellt, also A, B und dann hat eben das so abgedruckt, wie die Ingrid das geschrieben hatte.
00:37:51
Und das hat man dann einfach in Anführungszeichen mit den Schriftproben der Leute verglichen.
00:37:57
Und weil die Handschrift von Ingrid eben so auffällig war, konnten das sogar so ungeübte PolizistInnen machen.
00:38:03
Und da haben dann nicht nur die SchriftgutachterInnen dran gearbeitet.
00:38:06
Generell geht es bei dem forensischen Schriftvergleich auch genau darum, also um die Schriftmerkmale.
00:38:11
Und zu denen zählen sowas wie Schriftlage, also ob man eher so nach links oder nach rechts geneigt schreibt, Schriftgröße, Druckrhythmus, der Abstand zwischen den Wörtern und auch einfach so die Proportionen der Buchstaben.
00:38:24
Aber auch zum Beispiel, wie jede einzelne Buchstabe geschrieben wird.
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Also beispielsweise, ob das große A mit einem Strich von unten links nach oben rechts beginnt oder ob das in der Spitze anfängt und von da die beiden Striche nach links und rechts unten macht.
00:38:40
Wie schreibst du denn das A?
00:38:41
Äh, ich schreib, fang unten links an, geh hoch und geh wieder runter, mach diese Pyramide und dann schreibe ich den Mittelstrich.
00:38:48
Ne, ich fang auch oben an.
00:38:49
Ne, du fängst oben an.
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Machst du dann erst nach links unten und dann nach rechts unten.
00:38:55
Ist ja voll aufwendig.
00:38:57
Ja, weil wenn du unten anfängst, wie ich, links und gehst nach oben, da musst du ja gar nicht irgendwie nochmal neu ansetzen, sondern gehst dann direkt wieder hoch unten.
00:39:04
Da sparst du natürlich eine Menge Zeit mit, wenn du es anders machst.
00:39:10
Naja, auf jeden Fall, wie ihr jetzt merkt, ist die Form von Buchstaben sehr individuell.
00:39:15
Aufschlussreich sind aber auch so individuelle Eigenheiten wie jetzt irgendwelche Schnörkel oder Herzen statt Punkte auf dem kleinen i, was ich mit zwölf natürlich auch sehr gerne gemacht habe.
00:39:26
Ja, toll war das.
00:39:27
Hast du auch Herzen gemacht oder hast du so runde...
00:39:29
Ne, Kringelchen.
00:39:31
Ja, und in dem Kreuzwort Rätselmord, da hat man eben ja weitestgehend ohne irgendwelche technischen Hilfsmittel gearbeitet.
00:39:39
Heute werden vor diesem eigentlichen Vergleich noch sogenannte physikalisch-technische Untersuchungen durchgeführt.
00:39:47
Das ist jetzt immer der erste Schritt, egal ob es jetzt darum geht, irgendwie eine Unterschrift auf Echtheit zu überprüfen oder darum herauszufinden, wer einen bestimmten Text geschrieben hat.
00:39:57
Das Wichtigste ist, dass das Schriftstück, das analysiert werden soll, im Original vorliegt, also nicht als Kopie oder Foto, weil sonst kann man diese Untersuchung nicht durchführen.
00:40:08
Drei gibt es davon standardmäßig und die erste ist die mikroskopische Untersuchung.
00:40:13
Wie der Name schon sagt, wird das Schriftstück dann eben unter Mikroskop betrachtet.
00:40:17
Da sieht man dann zum Beispiel, ob es bei einer Unterschrift eine Vorzeichnungsspur gibt, an der sich orientiert wurde, weil Abpausen ist nämlich eine ganz beliebte Fälschungsmethode.
00:40:27
So habe ich das damals auch bei Mamas Unterschrift für meine Fehlstunden gemacht.
00:40:31
Und außerdem kann man natürlich durch das Mikroskop vergrößern und dann auch die Strichbeschaffenheit, so heißt das, bewerten.
00:40:39
Also man kann sehen, ob die Unterschrift zügig und flüssig geschrieben wurde oder eher langsam und malend.
00:40:45
Und Letzteres spricht natürlich dann eher dafür, dass nicht die Person, der die Unterschrift gehört, unterschrieben hat, sondern halt jemand anderes.
00:40:52
Aber es ist zum Beispiel auch verräterisch, wenn die Unterschrift jetzt eins zu eins so aussieht wie das Original, weil man nie exakt gleich unterschreibt.
00:41:00
Obwohl ich ja finde, dass deine Unterschrift schon eigentlich relativ konstant ist.
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Und bei mir habe ich immer das Gefühl, dass es komplett, also immer komplett anders aussieht.
00:41:13
Und ich wüsste jetzt zum Beispiel auch nicht, wie man dann herausfinden wollen würde, welche die Originalunterschrift ist, weißt du?
00:41:20
Ich habe mal jemanden dabei erwischt, wie er meine Unterschrift gefälscht hat.
00:41:25
Zumindest habe ich auf dem Stundenzettel meiner alten Arbeit eine Unterschrift gesehen, die nicht meine war, die aber meine sein sollte.
00:41:35
Ja, damit man so ein bisschen mit der Abrechnung trickst.
00:41:38
Auf jeden Fall, das war ja auch okay und sie brauchten diese Unterschrift jetzt irgendwie dringend.
00:41:43
Aber ich fand es einfach seltsam, dass mir das gleich ins Auge gefallen ist, obwohl ich überhaupt gar nicht ausmachen konnte, woran ich das erkannt habe.
00:41:52
Weil die war schon sehr genau nachgemacht.
00:41:54
Aber ich konnte einfach nur sehen, irgendwas stimmt halt nicht.
00:41:58
Ich meine, das war jetzt meine eigene Unterschrift, aber selbst da konnte ich halt nicht mal das genau festmachen, woran ich das jetzt erkenne.
00:42:04
Die ExpertInnen wiederum wissen ja ganz genau, auf welche Charakteristika einer Unterschrift die dann achten müssen.
00:42:11
Ja, und durch diese mikroskopische Untersuchung können die bei so Unterschriften dann auch sehen, wo sozusagen da so Unterbrechungen während des Schreibens waren.
00:42:24
Also wo man zum Beispiel den Stift dann mal kurz angehoben hat oder so kurz gestoppt hat, um sich dann nochmal die Vorlage anzugucken und dann weiter nachzumalen.
00:42:35
Weißt du, was ich meine?
00:42:36
Ja, das kann man darunter auch sehen, weil das dann so ganz bisschen dicker halt ist.
00:42:41
Und nach dieser mikroskopischen Untersuchung kommt die strahlungstechnische Untersuchung.
00:42:46
Und dafür wird so ein bestimmtes Dokumentenprüfgerät verwendet.
00:42:50
Da legt man das Schriftstück dann rein und das wird mit verschiedenen Beleuchtungseinheiten belichtet.
00:42:55
Also mit unterschiedlich starkem Licht, Filtern und halt auch aus unterschiedlichen Winkeln.
00:43:00
Und so lässt sich dann zum Beispiel feststellen, ob immer der gleiche Stift verwendet wurde.
00:43:06
Also wenn zum Beispiel ein Geldbetrag mit einem schwarzen Kugelschreiber hingeschrieben wurde und dann hat jemand anderes mit einem blauen noch ein paar Nullen dran gehängt, das kannst du und ich, das können wir wahrscheinlich ja auch noch so selber mit dem Auge sehen.
00:43:19
Aber mit dieser Untersuchung lassen sich auch so feinste Farbnuancen erkennen, wenn man zwei schwarze Stifte gewählt hat, aber die halt nicht die gleichen waren oder so.
00:43:27
Als drittes Standardverfahren gibt es dann noch die elektrostatische Oberflächenprüfung und damit kann man so Druckspuren sichtbar machen.
00:43:35
Also wenn man zum Beispiel ein Blatt Papier aus einem Block nimmt, dann hat sich ja in der Regel von den Blättern vorher irgendwas durchgedrückt und das Gerät, das da benutzt wird, das kann halt solche Spuren sichtbar machen.
00:43:47
Und dann kann man noch andere Infos über den Schreibenden bekommen, was vielleicht vorher geschrieben wurde oder so.
00:43:53
Und das Interessante ist, dass in Deutschland alle Menschen mehr oder weniger nach derselben Vorlage in der Schule das Schreiben lernen.
00:44:00
Also alle fangen am Anfang eigentlich gleich an zu schreiben.
00:44:04
Und im Laufe der Jahre entwickelt sich dann aber so eine persönliche Handschrift und die ist ja dann auch so individuell wie ein Fingerabdruck.
00:44:11
Aber die Handschrift ist nicht so konstant wie ein Fingerabdruck, weil sich das Schriftbild ja irgendwie beeinflussen lässt, wenn man jetzt zum Beispiel auf so einer unebenen Oberfläche schreibt
00:44:22
oder weil jemand zum Beispiel in einem Drohbrief oder so seine Schrift absichtlich verstellt, um nicht so leicht identifiziert werden zu können.
00:44:30
Mein Fall zeigt, dass man sich sorgfältig überlegen sollte, welche Waffen man benutzt.
00:44:44
Am Ende könnte man mit den eigenen geschlagen werden.
00:44:47
Einige Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung dazu findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:44:55
Schlinge um Kindermörder wird enger.
00:44:58
Ein Brief zu viel.
00:45:00
Die Briefspur des Mädchenmörders.
00:45:03
Die Presse überschlägt sich mit Schlagzeilen.
00:45:06
Nicht nur medial ist die Aufregung groß, sondern auch innerhalb der Polizei und in der deutschen Bevölkerung.
00:45:12
Anfang November 2008 steht ein Team aus 30 KriminalbeamtInnen kurz davor, die Tötung eines 13-jährigen Mädchens aus Nordrhein-Westfalen aufzuklären.
00:45:21
Nach mehr als vier Jahrzehnten.
00:45:23
Das Ungewöhnliche.
00:45:25
Die Spur zum mutmaßlichen Täter hat dieser mit Briefen selbst gelegt.
00:45:30
Ein Massengentest im Saarland soll den Mann nun endgültig überführen.
00:45:34
Doch dann kommt alles ganz anders.
00:45:40
Raus aus dem Dorf, rein ins Abenteuer.
00:45:43
Das ist Lydia Schürmanns großer Wunsch.
00:45:46
Die 13-jährige Schülerin lebt mit ihren Eltern und zwei jüngeren Brüdern in St. Vieth in der Nähe von Bielefeld.
00:45:53
Es ist ein kleiner Ort, idyllisch gelegen.
00:45:56
Doch viel mehr als Wiesen und Felder, eine barocke Fahrkirche und die Freiwillige Feuerwehr gibt es hier nicht.
00:46:02
Deshalb möchte Lydia endlich etwas von der Welt sehen.
00:46:05
Ein konkretes Ziel hat das Mädchen mit den kurzen braunen Haaren schon vor Augen.
00:46:10
In den Ferien will Lydia ihre Tante besuchen, die in Frankreich lebt.
00:46:14
Doch als sie ihrer Mutter Monika von ihren Plänen erzählt, reagiert die ganz anders als erhofft.
00:46:20
Monika erlaubt die Reise nicht.
00:46:22
Lydia wird wütend.
00:46:24
Dieses Nein will sie nicht so einfach hinnehmen.
00:46:27
Sie protestiert.
00:46:28
Doch ihr Widerstand führt nicht dazu, dass Monika die Entscheidung noch einmal überdenkt.
00:46:34
Lydia bekommt Hausarrest.
00:46:36
Sie wird auf ihr Zimmer geschickt, wo sie den restlichen Donnerstagnachmittag verbringen soll.
00:46:41
Als sich die Tür im Obergeschoss hinter ihr schließt, dreht Mutter Monika von außen den Schlüssel um.
00:46:47
Zu ihrer Tante darf sie nicht und jetzt nicht einmal mehr raus.
00:46:51
Lydia ist eingesperrt.
00:46:53
Ein Zustand, der ihr überhaupt nicht gefällt.
00:46:56
Aber sie denkt nicht daran, ihre Zeit allein im Zimmer totzuschlagen.
00:46:59
Sie will nach Frankreich.
00:47:01
Am liebsten sofort.
00:47:03
Vom Kinderzimmerfenster aus sieht sie über die Wiesen und Felder bis zur Autobahn.
00:47:07
Da kommt ihr ein Gedanke.
00:47:09
Sie packt ihre große rote Ledertasche und macht sich auf den Weg nach draußen.
00:47:13
Bekleidet mit einem blauen Anorak, einem rot-blau karierten Rock und schwarzen Halbschuhen,
00:47:19
klettert sie durch das Fenster im ersten Stock des Mehrfamilienhauses
00:47:22
und balanciert dann auf dem Dach neben der Regenrinne entlang.
00:47:26
Das macht sie aber nicht zum ersten Mal.
00:47:28
Mit ihren Brüdern klettert sie dann nämlich öfter rum.
00:47:31
Nach ein paar Schritten springt sie auf das Garagendach und von dort auf den Boden.
00:47:36
Dann macht sie sich auf den Weg Richtung Autobahn, um per Anhalter so schnell wie möglich nach Frankreich zu kommen.
00:47:42
Bis zur A2 sind es querfeldein nur gut zwei Kilometer zu Fuß.
00:47:47
Die Reise kann losgehen.
00:47:49
Dreieinhalb Monate später.
00:47:52
August 1962 ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch.
00:47:57
Kommissar Ernst Reker, der Leiter der Bielefelder Mordkommission, hat an diesem Sonntag Bereitschaftsdienst.
00:48:03
Doch der Tag verläuft ohne Zwischenfälle und so kann er in aller Ruhe, wie geplant, in seinem Garten arbeiten.
00:48:09
Aber dann durchbricht das Klingeln des Telefons die Idylle des Sommerabends und mit dem ruhigen Bereitschaftsdienst ist es mit einem Schlag vorbei.
00:48:19
Reker wird in die Wistinghausener Sende gerufen, ein Gebiet südlich von Bielefeld, rund 40 Kilometer entfernt von Lydias Heimatdorf St. Vieth.
00:48:27
An diesem Sonntag sind dort Pilzsammler unterwegs, die auf volle Körbe hoffen.
00:48:32
Doch auf der Suche nach Steinpilzen oder Maronen entdecken sie etwas Grauenvolles.
00:48:37
Aus einem Loch im Boden ragt ein Arm.
00:48:40
Kurz nach 19 Uhr sind Ernst Reker und die Bielefelder Mordkommission vor Ort.
00:48:46
Sie graben und finden unter der Erde den Körper, zu dem der Arm gehört.
00:48:50
Es ist die Leiche eines Mädchens.
00:48:53
Ihrem Zustand nach zu urteilen, muss sie dort schon einige Zeit liegen.
00:48:57
Ihre Kleider sind bereits teilweise zersetzt, aber die Ermittlerinnen erkennen, dass das Mädchen eine blaue Jacke und einen karierten Rock trägt.
00:49:04
Ernst Reker hat sofort eine Vermutung, arbeitet sein Team doch schon seit April mit Hochdruck daran,
00:49:10
die vermisste Lydia aus St. Vieth wiederzufinden.
00:49:13
Und schon am nächsten Tag bestätigt sich diese Vermutung.
00:49:17
Lydias Eltern erkennen die Kleidung ihrer Tochter.
00:49:20
Bei der Obduktion werden Würgemale am Hals des Mädchens festgestellt.
00:49:25
Anzeichen für ein Sexualverbrechen gibt es nicht.
00:49:28
Was ist geschehen?
00:49:30
In den dreieinhalb Monaten, die seit Lydias Verschwinden vergangen sind, ist die vermissten Akte immer dicker geworden.
00:49:37
Ein Stück weit schafft es die Polizei, Lydias Schicksal zu rekonstruieren.
00:49:41
Nachdem Monika ihrer Tochter am 26. April Stubenarrest gegeben hat, will sie am Abend nach ihr schauen.
00:49:48
Doch als sie die Tür aufschließt, muss sie feststellen, dass das Kinderzimmer leer ist.
00:49:53
Das Fenster steht offen. Von Lydia keine Spur.
00:49:56
Gegen 20.30 Uhr meldet Monika ihre Tochter als vermisst.
00:50:00
Die Suche nach dem Mädchen beginnt.
00:50:03
In den folgenden Tagen und Wochen gehen zahlreiche Hinweise bei der Polizei ein.
00:50:07
Eine Nachbarin, die im selben Haus wie Lydias Familie wohnt, kann genau sagen, wann sie Lydia zum letzten Mal gesehen hat.
00:50:14
Sie hat draußen auf dem Hof Wäsche aufgehängt, als das Mädchen vom Zimmerfenster aus aufs Dach geklettert ist.
00:50:21
Ungewöhnlich war das nicht. Schließlich haben Lydia und ihre Brüder dort regelmäßig gespielt.
00:50:25
Eine weitere Frau aus dem Dorf gibt an, beobachtet zu haben, wie Lydia Richtung Autobahn unterwegs war.
00:50:30
Dort angekommen, wurde ein Straßenarbeiter auf die Schülerin aufmerksam.
00:50:34
Er sagt aus, dass er gegen 16.15 Uhr gesehen hat, wie sie versucht hat, Autos anzuhalten.
00:50:41
Einer, der auf der Autobahn an Lydia vorbeigefahren ist, ist Werner Berg.
00:50:45
Als er bei der Polizei seine Zeugenaussage macht, erinnert er sich gut an den Nachmittag des 26. April.
00:50:51
Er sieht das Mädchen am Fahrbahnrand stehen, in der Hoffnung, dass eins der Fahrzeuge anhält.
00:50:56
Werner Berg ist allerdings nicht derjenige, der für Lydia stehen bleibt.
00:51:01
Sein Chef hat es den Kraftfahrern ausdrücklich verboten, AnhalterInnen in den Firmenwagen mitzunehmen.
00:51:07
Daher fällt er weiter, beobachtet Lydia allerdings noch im Rückspiegel.
00:51:11
Werner Berg sieht, wie hinter ihm ein roter LKW anhält.
00:51:15
Ob das Mädchen dann auch einsteigt, kann er nicht feststellen, denn das Fahrzeug gerät aus seinem Blickfeld.
00:51:20
Da trifft Werner Berg einen seltsamen Entschluss.
00:51:24
Er legt auf dem nächsten Parkplatz einen Stopp ein und wartet auf den roten Lastwagen.
00:51:28
Als er kurz darauf an ihm vorbeifährt, sieht Werner Berg, dass das Mädchen neben dem Fahrer sitzt.
00:51:34
Und er erkennt, dass es sich nicht um einen klassischen LKW handelt, der eine Ladefläche hat, um Güter zu transportieren.
00:51:39
Das rote Fahrzeug ist ein Sattelschlepper und der ist nicht beladen.
00:51:44
Die Zugmaschine fährt also ohne Auflieger.
00:51:46
Werner Berg's Aussage ist für die Polizei sehr wertvoll.
00:51:51
Denn jetzt haben die BeamtInnen eine Spur, die sie verfolgen können, um das Mädchen wiederzufinden.
00:51:57
Lydia wollte nach Frankreich.
00:51:59
Die Route über Belgien liegt nahe.
00:52:01
Daher beginnt die Suche an den belgischen Grenzübergängen.
00:52:04
1962 werden an den Ländergrenzen in Europa noch alle, die ein- oder ausreisen, kontrolliert.
00:52:10
Selbst Transportfahrzeuge werden zum Teil registriert.
00:52:14
An der deutsch-belgischen Grenze gilt das allerdings nur für Fahrzeuge, die Fracht transportieren.
00:52:19
Unbeladene, wie der rote Sattelschlepper, nicht.
00:52:21
Da die Polizei davon ausgeht, dass der Fahrer seine Ware kurz vor dem Tag von Lydias Verschwinden in Deutschland abgeliefert hat,
00:52:28
ermitteln sie also alle beladenen Fahrzeuge, die in der Zeit nach Deutschland eingereist sind.
00:52:34
Die Liste, die sie nach und nach zusammentragen, ist lang.
00:52:37
Es sind die Zulassungsnummern von 253 belgischen LKW.
00:52:42
Die Daten werden über Interpol an die belgischen Behörden übermittelt.
00:52:46
Diese stellen fest, welche Zulassungsnummern zu Sattelschleppern gehören.
00:52:50
So lässt sich der Kreis von potenziellen Mitfahrgelegenheiten weiter eingrenzen.
00:52:55
Von 253 Fahrzeugen kommen nur noch 20 in Frage.
00:53:00
Deren Fahrtenbücher überprüfen die belgischen PolizeibeamtInnen und finden die Antwort,
00:53:06
nach der ihre deutschen KollegInnen schon so lange suchen.
00:53:09
In einem der Bücher ist am Nachmittag des 26. April 1962 eine Fahrt von Bielefeld nach Ghent registriert.
00:53:17
Zurückgelegt hat die Strecke ein Sattelschlepper eines belgischen Holzhandels.
00:53:22
Und auch der Fahrer ist dokumentiert.
00:53:25
Am Steuer saß an diesem Tag ein Mann namens Victor van Rynna.
00:53:30
Nach Absprache mit den belgischen Behörden darf Kriminalkommissar Recker van Rynna selbst vernehmen.
00:53:36
Der Belgier sagt aus, sich noch gut an das Mädchen zu erinnern, dass er am 26. April ein Stück mitgenommen habe.
00:53:43
Viel geredet habe es nicht, aber ein paar Mal geweint.
00:53:46
Im Laufe der Fahrt habe er erfahren, dass Lydia zuvor Streit mit ihrer Mutter gehabt habe und nun nach Frankreich wolle.
00:53:53
In Bottrop habe Victor van Rynna dann Pause gemacht.
00:53:56
In einer Autobahnraststätte hätten er und Lydia Erbsensuppe gegessen.
00:54:00
Er habe beide Teller bezahlt, Lydia habe kein Geld dabei gehabt.
00:54:04
Erst dann habe er erfahren, dass Lydia ohne Ausweis unterwegs sei.
00:54:07
Der Belgier habe das Mädchen aber nicht illegal ins Ausland bringen wollen, da er Ärger am Grenzübergang gefürchtet habe.
00:54:14
Also sei für Lydia in Elmt, knapp 200 Kilometer von ihrem Zuhause entfernt, die Fahrt in dem roten Sattelschlepper zu Ende gewesen.
00:54:21
Van Rynna sagt der Polizei, er habe das Mädchen dort aussteigen lassen und seinen Weg allein fortgesetzt.
00:54:28
Da er bisher der letzte Bekannte ist, der Lydia lebend gesehen hat, werden seine Aussagen akribisch genau überprüft.
00:54:35
Seine Fahrtenbücher dokumentieren, dass er nach dem Nachmittag des 26. April nicht mehr im Raum Bielefeld, wo Lydias Leiche später gefunden wird, unterwegs war.
00:54:44
Laut Kriminalkommissar Recker gibt es keinen Grund, an Van Rynnaerts Schilderungen zu zweifeln.
00:54:50
Nichts deutet auf irgendwelche Ungereimtheiten hin.
00:54:53
Die Mordkommission hält den Belgier nicht für verdächtig und so wird weiter ermittelt.
00:54:58
Wie und vor allem mit wem die 13-Jährige in ihre Heimat zurückgekommen ist.
00:55:03
Am 5. Juli 1968, knapp sechs Jahre nachdem Lydias Leiche gefunden wurde, berichtet Aktenzeichen XY ungelöst über den Fall Lydia Schürmann.
00:55:15
Eduard Zimmermann, der damalige Moderator der ZDF-Sendung, bittet das Publikum vor den Fernsehern um Mithilfe zur Aufklärung.
00:55:23
4.000 Mark sind zur Belohnung für hilfreiche Hinweise ausgesetzt.
00:55:27
Trotz aller Bemühungen und intensiver Ermittlungen verzeichnen die Kripo-BeamtInnen keine Erfolge.
00:55:33
Schließlich wird die Akte geschlossen.
00:55:35
Es besteht kaum noch Hoffnung, die Person zu finden, die für Lydias Tod verantwortlich ist.
00:55:40
Jahre, sogar Jahrzehnte vergehen.
00:55:44
Als Deutschlands Traum vom Sommermärchen Mitte Juli 2006 gerade ausgeträumt ist, geht beim Polizeipräsidium Westpfalz in Kaiserslautern ein Brief ohne Absender ein.
00:55:54
Auf dem Bogen steht in krakeliger Handschrift, ich habe ein Geständnis zu machen.
00:55:59
Ich bin alt und krank und halte Rückschau auf mein Leben.
00:56:02
Mit einer Sache komme ich nicht fertig.
00:56:05
Ich habe einen Menschen getötet.
00:56:07
Anfang der 60er war ich unterwegs und habe ein Mädchen per Anhalter mitgenommen.
00:56:11
Sie war etwa 15.
00:56:12
Ich habe einen Menschen getötet.
00:56:15
Ich wollte sie doch nicht töten.
00:56:17
Ich wollte mich stellen, habe es aber immer wieder nicht geschafft.
00:56:20
Nach Prüfung, ob die Schilderung zu einem Fall in den 60ern passt, stößt man zeitnah auf Lydia Schürmann.
00:56:35
Und so nimmt die Polizei Bielefeldt 44 Jahre nach Lydias Verschwinden die Ermittlungen wieder auf.
00:56:42
Lydias Eltern erfahren davon nichts mehr.
00:56:44
Beide sind mittlerweile verstorben.
00:56:47
Also dieser Typ schreibt jetzt einen Brief, dass er es war, um sein Gewissen zu erleichtern an die Polizei und schreibt aber nicht, wer er ist.
00:56:55
Warum schreibt er das denn nicht in sein blödes Tagebuch rein?
00:56:59
Also was soll das?
00:57:01
Also entweder er will jetzt sein Gewissen erleichtern und helfen oder eben nicht.
00:57:09
Aber dann, also das verstehe ich jetzt überhaupt nicht.
00:57:12
Oder möchte er jetzt, dass sie nach ihm suchen, damit das ein bisschen spannend ist für ihn oder was?
00:57:17
Das weiß ich nicht, ich habe mit diesem Menschen nicht geredet.
00:57:20
Ich finde es total blöd, muss ich sagen.
00:57:23
Ja, das sehen die PolizistInnen natürlich auch ganz genauso, weil die wissen ja überhaupt nicht, wo sie ansetzen sollen jetzt.
00:57:28
Ein Mittel für die Polizei ist aber die Öffentlichkeit.
00:57:31
Und deswegen wird auch in der Presse über den ominösen Brief berichtet.
00:57:36
Ist es durch dieses Geständnis tatsächlich möglich, den Fall aus den 60ern doch noch aufzuklären?
00:57:43
Einer, der aus der Zeitung von dieser spektakulären Wendung erfährt, ist Dieter Ebenhöch.
00:57:49
Den Kriminalhauptkommissar aus Nürnberg macht das anonym verfasste Schreiben stutzig.
00:57:54
Er erinnert sich an einen Brief zu einem anderen Fall, der im vergangenen Herbst bei seiner Dienststelle einging, der diesem hier überraschend ähnlich sieht.
00:58:04
Er beginnt mit den Sätzen, ich wende mich an sie, in einem länger zurückliegenden Fall.
00:58:09
Davon berichtete mir ein Freund, dem ich jedoch keinen Glauben schenkte.
00:58:13
Ich hatte außerdem etwas Angst, mich zu melden, da er mir einen Mord berichtete.
00:58:18
2003 sei dieser Freund an Krebs gestorben und den Verfasser würden jetzt allmählich Gewissensbisse plagen, schreibt er in dem Brief.
00:58:28
Daher sei es an der Zeit der Polizei, von diesem angeblichen Mord zu erzählen, den der verstorbene Freund vor 35 Jahren begangen haben will.
00:58:36
Und genau wie bei Lydia liegt dieser Fall weit in der Vergangenheit.
00:58:40
Und da hat er auch nicht geschrieben, wie der Freund heißt oder was?
00:58:46
Am 1. März 1970 macht ein Passant in der Nähe von Ulm einen grausigen Fund.
00:58:53
Auf einem Feld entdeckt er die Leiche einer Frau.
00:58:56
Nackt und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, liegt der Körper eingewickelt in eine Wolldecke und mit einem Hanfstrick verschnürt.
00:59:03
Bei der Obduktion wird festgestellt, dass die Frau erschlagen und mit mehreren Stichen in den Hals getötet wurde.
00:59:09
Anhand von Fingerabdrücken kann sie identifiziert werden.
00:59:12
Es ist die 29-jährige Heiderose Berchner.
00:59:16
Heiderose kommt 1940 in Berlin zur Welt.
00:59:20
Nach dem Krieg wächst das Mädchen in mehreren Kinderheimen in der DDR auf.
00:59:24
Später flüchtet sie in den Westen, nach Nürnberg.
00:59:27
Mit 18 fängt sie an, als Prostituierte zu arbeiten.
00:59:30
Nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Ulm und Augsburg.
00:59:34
Für die Polizei ist Heidi, wie sie im Rotlichtmilieu vor allem genannt wird, keine Unbekannte.
00:59:40
Immer wieder wird sie wegen illegaler Erwerbsunzucht festgenommen.
00:59:44
Ende der 1960er kommt sie deshalb ins Frauengefängnis Eichach.
00:59:49
Heiderose liebt Blumen und weil sie keinen festen Wohnsitz hat, trägt sie die oft so lange mit sich herum, bis sie verwelkt sind.
00:59:56
Das wenige, was sie sonst noch besitzt, bewahrt sie in einem Schließfach am Nürnberger Hauptbahnhof auf.
01:00:02
Die Ermittlungen, die nach ihrem gewaltsamen Tod eingeleitet werden, ergeben,
01:00:07
dass die junge, schlanke Frau mit den blonden, kurzen Haaren zuletzt in einer Kneipe am Dianaplatz in Nürnberg gesehen wurde.
01:00:13
In dieser Gegend haben sich 1970 viele Speditionen angesiedelt,
01:00:17
deren Mitarbeiter Heidis Arbeit gerne in Anspruch nehmen und ihr dadurch auch einen Schlafplatz bieten.
01:00:23
Und hier schließt sich der Kreis, denn einer von ihnen soll der Freund des Briefeschreibers gewesen sein.
01:00:29
Wie du schon richtig gesagt hast, einen Namen nennt er nicht.
01:00:32
Er sagt nur, dass sein Freund ihm gestanden habe, auf Heidi in der Nacht zum 1. März 1970 im Streit eingeschlagen und sie dann erstochen zu haben.
01:00:41
Ihre Leiche habe er mit seinem Opel-Diplomat nach Ulm gebracht, sie in die Wolldecke einer Umzugsspedition gewickelt,
01:00:48
mit Benzin übergossen und angezündet.
01:00:51
Ähnlich wie im Fall Lydia versuchte die Polizei auch im Fall Heidi wenige Monate nach der Tat
01:00:56
mithilfe eines Beitrags bei Aktenzeichen XY an ZeugInnenhinweise zu kommen.
01:01:01
Doch trotz des Fernsehbeitrags finden die ErmittlerInnen damals keine heiße Spur.
01:01:07
35 Jahre später trifft der anonyme Brief im Herbst 2005 bei der Kripo Nürnberg ein.
01:01:13
Also nicht mal knapp ein Jahr vor dem Brief, der später mit Lydia in Verbindung gebracht wird.
01:01:18
Bei der Analyse stellen Kriminalhauptkommissar Dieter Ebenhöch und sein Team fest,
01:01:22
dass das Schreiben über den Freund des Verfassers, der Heidi getötet haben will, viele Details zur Tat enthält.
01:01:29
Der Opel-Diplomat zum Beispiel passt zu den damals gesicherten Reifenspuren.
01:01:33
Dieses Auto zu finden ist nach so langer Zeit nahezu unmöglich.
01:01:37
1970 waren allein in Nürnberg 1500 Opel-Diplomat zugelassen.
01:01:43
Die Datensätze zu den HalterInnen hat das Kraftfahrtbundesamt längst gelöscht.
01:01:48
Zudem sind inzwischen Anfang der 2000er Jahre viele der HalterInnen bereits verstorben.
01:01:52
Glaubt man dem Schreiben, ist auch der Mann, der Heidi getötet haben soll, inzwischen tot.
01:01:58
Doch die Kripo-BeamtInnen und Dieter Ebenhöch schließen nicht aus, dass der Verfasser des Briefes selbst der Täter ist,
01:02:05
der, wie er schreibt, Gewissensbisse hat, aber nicht den Mut, sich zu stellen.
01:02:09
Als dieser Brief den Kripo-BeamtInnen in Nürnberg vorliegt, wird die Akte zu Heidi wieder geöffnet,
01:02:15
allerdings ohne bahnbrechenden Erfolg.
01:02:18
Als Kripo-Chef Dieter Ebenhöch in Nürnberg jetzt im Sommer 2006 von den Entwicklungen im Fall Lydia Schürmann liest,
01:02:24
erkennt er die Parallelen zwischen dem Brief über Heidi und dem über Lydia.
01:02:30
Fall liegt lange zurück, anonyme Absender, Gewissensbisse, Insider-Informationen.
01:02:35
Auch wenn im Fall von Lydia nicht alle stimmen.
01:02:38
Lydia war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens nicht 15, sondern 13 Jahre alt.
01:02:44
Anders als der Brief, in dem es um Lydia geht, ist der Brief über Heidi zwar mit dem Computer geschrieben,
01:02:49
doch die Adresse wurde von Hand auf den Umschlag notiert.
01:02:53
Und diese Handschrift bringt jetzt die entscheidende Erkenntnis.
01:02:58
Sie ist dieselbe wie die vom Schreiben über Lydia.
01:03:01
Handelt es sich möglicherweise also um denselben Täter, der jetzt nach Jahrzehnten endlich gefasst werden könnte.
01:03:09
Die BeamtInnen wird dann eine neue Spur, die sie allerdings nirgends hinführt.
01:03:14
Die Ermittlungen versacken also erneut im Sande.
01:03:17
Bis ein halbes Jahr später, im Januar 2007, wieder Post ohne Absender eingeht.
01:03:22
Diesmal ist ein Schreiben adressiert an das Polizeipräsidium Bielefeld.
01:03:27
In Großbuchstaben steht da,
01:03:29
Ich könnte etwas zum Mord an Lydia Schürmann sagen, falls dieser Fall nicht geklärt sein sollte.
01:03:35
Sie stammte aus St. Viet bei Wiedenbrück und verstarb 1962.
01:03:39
Sie wurde nämlich per Anhalter mitgenommen, von der Grenze bei Elmt in die Gegend der Senne bei Bielefeld.
01:03:46
Falls sie den Täter noch nicht kennen, könnte ich ihnen bei diesem Fall helfen.
01:03:50
Kann dieser dritte Brief tatsächlich helfen, herauszufinden, was mit Lydia geschehen ist,
01:03:56
nachdem sie sich auf zu ihrer Tante gemacht hatte?
01:03:58
Die Ermittlungen gehen davon aus, dass alle drei Schreiben von derselben Person stammen.
01:04:03
DNA-Spuren auf den drei Briefen bestätigen die Vermutung.
01:04:06
Derselbe Mann hat alle drei Schriftstücke verfasst.
01:04:09
Allerdings gibt es in der Datenbank niemanden, dem diese DNA zugeordnet werden kann.
01:04:15
Dafür sorgt kurz darauf, im Juni 2007, ein weiterer Brief für Aufregung.
01:04:20
Der geht diesmal allerdings nicht bei der Polizei,
01:04:23
sondern bei der Gemeinde Weißkirchen im nördlichen Saarland ein.
01:04:27
Dort wird gerade ein Konzert von Schlagerstar DJ Ötzi geplant.
01:04:31
Darauf freuen sich aber offensichtlich nicht alle.
01:04:34
Wir wollen den DJ Ötzi hier nicht haben.
01:04:38
Diesen Nestbeschmutzer.
01:04:40
Wenn der auf die Bühne geht, wird er abgeknallt.
01:04:43
Dann hat sein letztes Stündlein geschlagen.
01:04:48
Der gehört hier nicht hin.
01:04:49
Steht auf dem weißen Papierbogen in schwarzen, mit Computer geschriebenen Großbuchstaben.
01:04:54
Derartige Drohbriefe nimmt die Polizei ernst.
01:04:58
Das Schreiben wird akribisch untersucht und die Analyse ergibt,
01:05:02
dass die DNA-Spuren, die auf dem Ötzi-Drohbrief gefunden werden,
01:05:05
mit der Spur übereinstimmt, die auf den drei Briefen zu Lydia und Heidi gefunden wurde.
01:05:11
Nun kann die Polizei den Suchradius auf die Hochlandregion im Saarland eingrenzen.
01:05:16
In dem Kuvert, das an die Gemeinde Weißkirchen adressiert ist,
01:05:19
liegt nämlich nicht nur der DJ Ötzi Drohbrief,
01:05:22
sondern auch ein Zeitungsausschnitt, der das Konzert des Schlagerstars ankündigt.
01:05:27
Dieser Veranstaltungshinweis ist in einem Anzeigeblatt namens Wochenspiegel in der Region entschieden.
01:05:34
Davon wurden 16.000 Exemplare an Haushalte in Weißkirchen und vier Nachbargemeinden verteilt.
01:05:40
Für die Polizei ist also klar, der Verfasser der Briefe muss von dort kommen
01:05:44
oder sich zumindest im Sommer 2007 dort aufgehalten haben.
01:05:48
Außerdem ging der Ötzi Drohbrief wie die anderen zuvor an einem Montag ein
01:05:54
und er wurde im Briefzentrum 68 in Mannheim abgestempelt.
01:05:58
Dort werden auch die Briefe bearbeitet, die am Wochenende im Saarland aufgegeben werden.
01:06:03
Diese neuen Erkenntnisse sind für viele der ca. 6.300 EinwohnerInnen in Weißkirchen ein Schock.
01:06:10
Hier in diesem beschaulichen Kurort mit Kneipanlagen und Drehorgelmuseum so ein Verbrecherleben?
01:06:16
Während die BürgerInnen das kaum fassen können,
01:06:20
freuen sich die ErmittlerInnen über die heiße Spur, die ihnen der Täter sogar selbst gelegt hat.
01:06:24
Mit dem Brief, der einer zu viel war.
01:06:28
Das Puzzle setzt sich weiter zusammen.
01:06:31
In der Gegend um Weißkirchen stehen viele Alten- und Pflegeeinrichtungen.
01:06:35
Die Kripo-BeamtInnen vermuten, dass in einem von ihnen die Person lebt, die Lydia und Heidi getötet hat.
01:06:41
PsychologInnen, Sprach- und SchriftwissenschaftlerInnen und SoziologInnen analysieren die Briefe
01:06:47
und zeichnen ein Bild eines Verfassers.
01:06:49
Er ist männlich, wahrscheinlich deutscher und muss inzwischen mindestens 64 Jahre alt sein,
01:06:54
da er schon 1962 Auto fahren konnte.
01:06:57
Die ExpertInnen sind auch der Meinung, dass der Mann krank ist, wie er selbst geschrieben hat.
01:07:02
Vermutlich hat er bei einer Spedition gearbeitet,
01:07:05
war in den 60er und 70er Jahren viel in Deutschland unterwegs
01:07:08
und lebte damals einige Zeit in Bielefeld und Nürnberg.
01:07:12
1970 fuhr er vermutlich einen Opel-Diplomat.
01:07:15
Das legen die Reifenspuren an dem Ort, an dem Heidi gefunden wurde, nahe.
01:07:20
Außerdem kannte er das Rotlichtmilieu.
01:07:22
Und die Polizei mutmaßt, dass der Mann für weitere Verbrechen verantwortlich sein könnte.
01:07:27
Im Raum Nürnberg wurden nämlich zu dieser Zeit, als der Briefeschreiber vermutlich dort gelebt hat,
01:07:32
vier weitere Prostituierte getötet.
01:07:35
Auch diese Fälle sind bislang nicht aufgeklärt.
01:07:37
Dass auch diese Frauen Opfer des Briefeschreibers geworden sind,
01:07:41
schließen die ErmittlerInnen nicht aus.
01:07:43
Den Charakter des Mannes beschreiben die ErmittlerInnen als egoistisch,
01:07:47
er gilt als intelligent, selbstgerecht und gefühlskalt.
01:07:51
Obwohl er von Gewissensbissen schreibt, findet er keine Worte der Reue oder des Mitleids.
01:07:56
Möglicherweise treibt ihn Geltungsdrang dazu,
01:07:58
nach so vielen Jahrzehnten diese Briefe zu schreiben, nimmt die Polizei an.
01:08:04
Um den mutmaßlichen Täter nun endlich zu finden,
01:08:06
richten die Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen, Bayern und dem Saarland
01:08:10
eine Ermittlungskommission mit etwa 30 Mitgliedern ein.
01:08:13
Kriminalkommissar Ernst Reker, der die Ermittlungen im Fall Lydia in den 60ern leitete,
01:08:18
ist nicht mehr Teil davon.
01:08:19
Er befindet sich mittlerweile im Ruhestand.
01:08:22
Weil die Verbrechen an Lydia und Heidi Jahrzehnte zurückliegen,
01:08:25
sitzen an den Schreibtischen nun andere ErmittlerInnen,
01:08:28
die die Fälle noch einmal akribisch aufrollen sollen.
01:08:32
Parallel dazu werden die BürgerInnen deutschlandweit wieder übers Fernsehen um Hilfe gebeten.
01:08:37
Die Berichte zu Lydia, die nach einem Streit von zu Hause abgehauen ist
01:08:42
und sich mit ihrer Mutter nie wieder versöhnen konnte,
01:08:44
und Heidi gehen bei Aktenzeichen XY nun in Serie.
01:08:48
Auch beim Fernsehen hat es einen Stabwechsel gegeben.
01:08:51
Diesmal berichtet Moderator Rudi Zerne.
01:08:54
Zweimal im August 2007 und im Mai 2008 erzählt ein Ermittler von den Briefen
01:08:59
und dass Lydia und Heidi wohlmöglich demselben Täter zum Opfer gefallen sind.
01:09:04
Vielleicht erkennt jemand vor dem Bildschirm die Handschrift auf den Brief umschlägen.
01:09:08
Die öffentliche Fahndung soll auch dabei helfen, den Briefeschreiber weiter unter Druck zu setzen.
01:09:13
Nach der Ausstrahlung der Sendung im Mai 2008 gehen 20 neue Hinweise bei der Ermittlungskommission ein.
01:09:19
Der erhoffte Treffer ist nicht dabei.
01:09:21
Ein paar Monate später, im Herbst 2008, bereitet die Ermittlungskommission eine Großoffensive vor,
01:09:28
um das von der Presse genannte Phantom, das möglicherweise für noch mehr Tötungsdelikte verantwortlich ist,
01:09:34
endlich zu schnappen.
01:09:35
Zumindest hat der Schreiber in der Zwischenzeit Hinweise dafür in weiteren Briefen geliefert.
01:09:41
Darin gesteht er, nicht nur Lydia und Heidi getötet zu haben, sondern noch elf andere Frauen.
01:09:48
Ein Massengentest soll den Mann nun endlich überführen.
01:09:52
Im Umkreis der Gemeinde Weißkirchen werden 5000 Männer, die älter als 65 sind, um eine Speichelprobe gebeten.
01:10:00
Da meldet sich der anonyme Briefeschreiber noch einmal.
01:10:02
Es ist inzwischen sein siebter Brief.
01:10:05
Er sei gar nicht aus Weißkirchen oder Umgebung, schreibt er, sondern habe absichtlich eine falsche Fährte gelegt.
01:10:11
Die ErmittlerInnen glauben ihm nicht.
01:10:13
Sie sehen dieses Schreiben als verzweifelten Versuch der Schlinge, die sich immer enger um ihn zieht, zu entkommen.
01:10:19
Das will die Polizei auf keinen Fall zulassen.
01:10:22
Ihn zu schnappen, könnte 13 Verbrechen auf einen Schlag aufklären.
01:10:26
Mitte November startet der Massengentest.
01:10:30
Wer die Kriterien erfüllt, aber eine Speichelprobe verweigert, wird eingehend befragt.
01:10:34
Niemand wird entkommen, machen die ErmittlerInnen klar.
01:10:37
Sollte es nötig sein, werde die Justiz eingeschaltet, um an Proben zu kommen.
01:10:41
Die Kripo gibt sich siegessicher.
01:10:44
Bis sie den richtigen haben, ist es nur noch eine Frage der Zeit.
01:10:49
Aber dann kommt alles ganz anders als geplant.
01:10:53
Kurz nachdem die ersten Männer ihre Probe abgegeben haben, macht der Briefträger Andreas Langer bei der Arbeit in Weißkirchen eine seltsame Entdeckung.
01:11:01
Ihm fällt eine Postkarte vom Bayerischen Chiemensee in die Hände.
01:11:05
Die Schrift auf der Rückseite kommt ihm irgendwie bekannt vor.
01:11:09
Besonders das E im Adressfeld ist auffällig.
01:11:12
Dann dämmert Andreas etwas.
01:11:14
Könnte es sein, dass der anonyme Briefeschreiber, nachdem seit Jahren gesucht wird, diese Postkarte verfasst hat?
01:11:23
Andreas meldet seinen Verdacht bei der Polizei.
01:11:25
Und die verhaftet wenig später den Mann, der seit drei Jahren anonyme Geständnisbriefe schickt.
01:11:31
Matthias Hoffmann, der in Weißkirchen lebt und sich nun mit einer Ansichtskarte vom Chiemensee adressiert an seine Eltern selbst enttarnt hat.
01:11:40
Der Verfasser ist endlich gefasst.
01:11:43
Doch statt Freude herrscht bei der Ermittlungskommission Enttäuschung.
01:11:49
Matthias Hoffmann ist nicht der Mann, der 1962 Lydia und 1970 Heidi getötet hat.
01:11:55
Denn Matthias ist 34 Jahre alt und somit damals noch gar nicht geboren.
01:12:01
Doch woher weiß der falsche Fährtenleger so viel über die Fälle?
01:12:06
Die Antwort darauf bekommen die BeamtInnen bei seiner Wohnungsdurchsuchung.
01:12:10
Im Keller finden sie ein riesiges Archiv an Videokassetten und DVDs.
01:12:15
Darunter sind Folgen von Aktenzeichen XY, die bis in die 60er Jahre zurückreichen.
01:12:20
Und dazu zahlreiche Zeitungsausschnitte aus den 60er und 70er Jahren.
01:12:25
Was ihm zu den beiden ungeklärten Verbrechen in die Hände fällt, sammelt Matthias über Jahre.
01:12:29
Bei seiner Vernehmung gesteht er alles.
01:12:32
2005 beginnt er sein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.
01:12:35
Der Grund dafür ist vermutlich der Wunsch nach Aufmerksamkeit.
01:12:40
In den drei Jahren schickt Matthias immer wieder Briefe und weckt dadurch Hoffnung bei den Ermittelnden
01:12:45
und nicht zuletzt bei den Menschen, die Lydia und Heidi nahestanden, dass der Täter doch noch geschnappt werden kann.
01:12:51
Sein letztes Schreiben wird Matthias zum Verhängnis.
01:12:54
Als sich die ersten Männer in Weißkirchen für den Massengentest melden,
01:12:58
weist er sich selbst in eine psychiatrische Klinik am Kiensee ein.
01:13:02
Von dort schickt er seinen Eltern in Weißkirchen eine Karte, die zufällig bei Postbote, Andreas und dann bei der Polizei landet.
01:13:10
Der Möchtegern-Mörder aus dem Saarland.
01:13:13
Fahndung nach Frauenmörder endet überraschend.
01:13:16
Postbote entlarvt den selbsternannten Mörder.
01:13:19
So titelt die Presse nur zwei Wochen, nachdem sich die Polizei so sicher war,
01:13:24
die beiden Jahrzehnte alten Verbrechen endlich aufzuklären.
01:13:28
Die Polizei hatte am Ende zwar den mysteriösen Briefeschreiber mit seinen eigenen Waffen schlagen können,
01:13:33
mit denen er sich mit aller Gewalt Aufmerksamkeit beschafft hatte,
01:13:36
doch von der Person, die Lydia und Heidi tatsächlich getötet hat, fehlt bis heute jede Spur.
01:13:43
Tatsächlich sind die ErmittlerInnen keinen Schritt weiter gekommen.
01:13:48
Die Fährte, dass es sich bei den beiden Fällen um denselben Täter handeln könnte, existiert nicht mehr.
01:13:53
Sie wissen also weniger als zuvor.
01:13:56
Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
01:13:59
Oh mein Gott, wie ich einfach abkotzen würde, wenn ich diese ErmittlerInnen wäre, ja.
01:14:06
Wie schlimm ist das denn bitte?
01:14:09
Das geht doch gar nicht.
01:14:12
Die denken, die sind kurz vor der Lösung, ja, von zwei, vielleicht sogar 13,
01:14:17
obwohl da hätte ich dann auch schon irgendwie gedacht, das kann ja nicht, kann ja gar nicht alles stimmen,
01:14:22
Verbrechen und dann ist es auch nicht mal so, dass die den dann so befragen und es dann rauskommt,
01:14:28
sondern dass es einfach so glasklar ist, weil der noch so jung ist, dass das halt nicht war.
01:14:33
Ich habe mir halt auch gedacht, der hat ja so viel Staatskosten verursacht.
01:14:38
Die haben diesen Massengentest da schon angeschoben.
01:14:41
Da saßen 30 Mitglieder von einer Mordkommission zusammen, die da gebietsübergreifend irgendwie gesucht haben.
01:14:49
Und deswegen haben wir auch bei der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Saarbrücken gefragt,
01:14:52
wie sich das verhält eigentlich, ob der zur Rechenschaft gezogen werden kann.
01:14:57
Allerdings haben wir da nur die Antwort bekommen, dass dazu elektronisch kein zugehöriger Vorgang zu finden ist.
01:15:04
Und dann hat die im Haus noch rumgefragt und es konnte sich auch niemand mehr daran erinnern.
01:15:08
Okay, also die Staatsanwaltschaft weiß nicht, ob es da noch ein Verfahren gab, offenbar.
01:15:12
Nee, das ist ja total, das ist ja total unbefriedigend.
01:15:19
Was ich aber auch so krass fand, ist dieser Andreas, der Briefträger.
01:15:24
Also erstens mal, dass er das, dass er so genau hinguckt, dass er das so erkennen kann, ja.
01:15:31
Also muss ich jetzt offenbar davon ausgehen, dass BriefträgerInnen meine Postkarten lesen.
01:15:36
Also natürlich lesen die die Postkarten, weil die müssen ja lesen, wo die Postkarten sind.
01:15:42
Postkarten hin muss.
01:15:44
Ja, klar, das müssen sie schon.
01:15:45
Und diese Schrift hat er halt erkannt.
01:15:49
Ja, na, es ging ja um das Adressfeld.
01:15:51
Ja, aber ich glaube ehrlich gesagt, dass er sicherlich dann auch das andere alles gelesen hat.
01:15:56
Also er muss ja das Adressfeld lesen und ich glaube nicht, dass die Zeit dafür haben, die restliche Karte noch zu lesen.
01:16:02
Andreas hat die Karte gelesen.
01:16:04
Andreas hat das Brief geheimnisvoll.
01:16:08
Du schreibst doch sowieso keine Karten.
01:16:10
Ich habe noch nie von dir eine Karte bekommen.
01:16:12
Also keine Furcht.
01:16:14
Naja, ist ja auch egal.
01:16:16
Auf jeden Fall finde ich den Andreas einen krassen Typ, ja.
01:16:20
Also wow, dass er das so erinnern kann, ja.
01:16:24
Finde ich so krass.
01:16:25
Das wäre jetzt aber ein Trugschluss zu glauben, dass jeder Mensch ohne weiteres Handschriften so einfach identifizieren kann.
01:16:32
Das zeigt auch eine Studie der Australian Catholic University aus dem Jahr 2002.
01:16:37
Dafür haben zehn Personen zwölf Monate lang immer wieder Proben ihrer eigenen Unterschrift abgegeben.
01:16:43
Dann mussten 25 Freiwillige versuchen, die Unterschriften von den zehn Personen zu fälschen.
01:16:49
Üben konnten die dafür so lange, wie sie wollten.
01:16:52
Und zum Schluss sollten sie die zwei Fälschungen abgeben, von denen sie dachten, die seien am besten gelungen.
01:16:58
Und dann mussten wiederum 17 ExpertInnen, sogenannte Handschriften-Sachverständige, von Kriminalbehörden aus Australien und Neuseeland, die insgesamt 150 Signaturen auf Echtheit analysieren.
01:17:10
Dann gab es auch eine Vergleichsgruppe.
01:17:12
Da bekamen 13 StudentInnen, die halt von so einem Schriftvergleich keine Ahnung hatten, die gleiche Aufgabe.
01:17:20
Bei jeder Unterschrift mussten dann die TeilnehmerInnen angeben, ob sie sie für echt oder gefälscht hielten oder ob sie sich nicht sicher waren.
01:17:28
Und das Ergebnis war dann, dass die Studierenden bei jeder fünften Unterschrift daneben lagen.
01:17:34
Die Schriftsachverständigen aber nur in jedem zwanzigsten Fall, also nur bei 3,4 Prozent.
01:17:40
Und sie haben halt auch deutlich öfter angegeben, kein endgültiges Urteil fällen zu können.
01:17:45
Also die LeihInnen haben wesentlich öfter sich für richtig oder falsch entschieden, obwohl ihnen auch gesagt wurde, dass eine falsche Entscheidung zur Verhaftung einer unschuldigen Person führen könnte.
01:17:58
Was auch auffällig war, ist, dass die Handschriften-Sachverständigen vor allem bei den echten Unterschriften unsicher waren.
01:18:05
Also die Gefälschten haben sie meist auch als gefälscht identifiziert.
01:18:09
Und um diese Handschriften-Sachverständigen und wie sie arbeiten, geht es jetzt in meinem Aha.
01:18:15
Benedikt Armbruster ist einer von 55 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die als Handschriften-Sachverständige, auch SchriftgutachterInnen genannt, arbeiten.
01:18:25
Die alle haben zuvor eine dreijährige Ausbildung beim Kriminaltechnischen Institut der Landeskriminalämter oder beim Bundeskriminalamt durchlaufen.
01:18:34
Und die meisten von ihnen, die arbeiten auch noch bei Behörden.
01:18:37
Aber so etwa 20 sind freiberuflich tätig und meist durch die IHK öffentlich bestellt und vereidigt.
01:18:43
Benedikt Armbruster ist einer von ihnen.
01:18:45
Vorher hat er mehrere Jahre für das LKA Hessen gearbeitet.
01:18:48
Und er hat uns erzählt, welche Rolle das Thema Handschrift heute noch spielt.
01:18:54
Die Handschrift hat im Alltag nach wie vor einen hohen Stellenwert.
01:18:57
Gerade im Rechtsverkehr ist die Unterschrift nicht wegzudenken.
01:19:00
Natürlich ändert sich durch die Digitalisierung möglicherweise das Medium.
01:19:04
Zum Beispiel Unterschriften-Tablets werden zunehmend eine Rolle spielen.
01:19:08
Elektronisch erfasste Unterschriften liegen da nicht mehr in Papierform vor, sondern müssen digital ausgewertet werden,
01:19:14
sodass man künftig verstärkt mit IT-Experten zusammenarbeiten wird.
01:19:18
Aber auch Drohschreiben oder Erpresserschreiben werden immer noch häufig von Hand geschrieben.
01:19:22
Handschrift ist ja immer etwas Persönliches.
01:19:25
Es wirkt auf den Empfänger persönlicher und emotionaler.
01:19:28
Der psychische Druck ist höher.
01:19:30
Benedikt Armbruster bearbeitet im Jahr 60 bis 80 Fälle.
01:19:37
Die sind alle unterschiedlich zeitintensiv, je nachdem, ob es sich zum Beispiel um eine kurze Unterschrift oder ein mehrseitiges Testament handelt.
01:19:45
Und um eine Unterschrift auf Echtheit zu überprüfen, braucht er im Schnitt drei Tage bis eine Woche.
01:19:50
Allein deshalb, weil diese Standarduntersuchungen, von denen du ja vorhin gesprochen hast, recht aufwendig sind.
01:19:56
Und dabei geht es immer um unterschiedliche Sachverhalte.
01:20:00
In Strafverfahren ist es ziemlich deliktübergreifend, in der Regel natürlich Betrug, Urkunden, Fälschung.
01:20:06
Aber da kann eigentlich in sämtlichen Deliktsbereichen die Handschrift irgendeine Rolle spielen,
01:20:11
sodass Untersuchungen hier eigentlich in allen Deliktsbereichen denkbar sind.
01:20:15
Wenn Benedikt Armbruster alle Untersuchungen durchgeführt hat, dann erstellt er ein Gutachten, an dessen Ende er schließlich zu einem Ergebnis kommt.
01:20:23
Und die sind aber immer Wahrscheinlichkeitsgrade.
01:20:25
Also das Ergebnis heißt dann, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist Person X der Verfasser oder die Verfasserin dieser Unterschrift oder dieses Textes.
01:20:34
Oder halt eben andersrum.
01:20:36
Also kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
01:20:39
Wichtig, um zu so einem Ergebnis zu kommen, ist halt das Vergleichsmaterial.
01:20:44
Je besser das ist, umso sicherer kann dann eine Aussage getroffen werden.
01:20:48
Wenn man jetzt allerdings nur so ein Kragelchen macht, wie meine Ärztin bei so einem Überweisungsschein, das reicht halt meistens nicht aus, so Armbrustdarm.
01:20:57
Im Extremfall eine Unterschrift, die aus drei Kreuzen besteht, diese drei X-Unterschriften.
01:21:03
Da wird man letztendlich ja keine Aussage treffen können, weil dazu jeder in der Lage ist.
01:21:08
Und auch jeder ist mehr oder weniger dazu in der Lage, das so nachzumachen, weil da einfach an Individualität nichts vorhanden ist.
01:21:17
Oder diese Ärzteunterschriften, die einfach nur aus so einem Haken bestehen, da lässt sich in der Regel nicht viel machen.
01:21:24
Wenn einem aber als Vergleichsmaterial viele Texte mit vielen Buchstaben zur Verfügung stehen, dann haben die Gutachter eine gute Ausgangslage, um sich ein Urteil zu bilden.
01:21:35
Aber auch bei vielen Zeichen kann das in Zukunft Probleme geben.
01:21:38
Und zwar dann, wenn Computer oder Roboter anfangen, so wie wir zu schreiben.
01:21:43
An der University of Bath hier in England forscht man nämlich gerade an künstlicher Intelligenz, die echte Handschriften nachahmen kann.
01:21:51
Und wenn man diese künstliche Intelligenz, also mit Wörtern füttert, die du jetzt zum Beispiel geschrieben hast, dann kann die halt lernen, wie du schreibst.
01:21:59
Und die lernt nicht nur die einzelnen Buchstaben, sondern auch die Verbindungen dazwischen.
01:22:03
Das Programm kann also deinen ganzen Schreibfluss nachahmen und dann eigenständig in deine Handschrift schreiben.
01:22:10
Wie creepy ist das?
01:22:12
Und natürlich könnte dieses System dann theoretisch auch deine Handschrift mit krimineller Absicht fälschen.
01:22:20
Fachverständige wie unser Experte Benedikt Armbruster kennen solche Probleme natürlich, die durch künstliche Intelligenz aufkommen können.
01:22:27
Aber er sagt auch, dass solch eine KI-Handschrift dann ja nur digital vorliegt.
01:22:32
Und es wäre ja zumindest heute noch so, dass im Rechtsverkehr, also auf wichtigen Dokumenten etc., die Originalunterschrift zählt.
01:22:41
Aber ich meine, hier in London habe ich meinen Mietvertrag 2018 elektronisch unterschrieben und zwar nur mit meinen Initialen, was ich damals schon sehr befremdlich fand, aber was halt alles elektronisch war.
01:22:55
Ja, und ich denke mir halt auch so, am Ende ist das ja nur eine Frage der Zeit, bis das alles digital geht.
01:23:00
Also als ob wir in 20 Jahren noch so viel auf Papier unterschreiben.
01:23:04
Glaube ich nicht.
01:23:04
Nee, glaube ich auch nicht.
01:23:05
Bei der Überführung von StraftäterInnen hat man früher noch zu anderen Analysen bezüglich des geschriebenen Wortes gegriffen.
01:23:13
Und zwar zur Graphologie.
01:23:15
Die besagt, dass man aus der Handschrift die Persönlichkeit des Verfassers beziehungsweise der Verfasserin ablesen kann.
01:23:21
Also welche Charaktereigenschaften die Person hat und wie es um ihre Psyche bestellt ist.
01:23:26
Graphologie wird manchmal fälschlicherweise mit dem forensischen Schriftvergleich gleichgesetzt.
01:23:33
Aber das sind zwei völlig unabhängige Sachen.
01:23:35
Und außer, dass man bei beiden die Handschrift untersucht, haben die auch eigentlich nichts gemein.
01:23:40
Die Graphologie ist außerdem halt auch gar nicht wissenschaftlich belegt.
01:23:44
Schon alleine, weil man seine Handschrift ja auch selber verstellen kann.
01:23:47
Und die sich dann auch über die Jahre durch das Alter oder eine Krankheit verändern kann.
01:23:51
In der Polizeihistorischen Sammlung Dresden gibt es aus dem frühen 20. Jahrhundert verschiedene Lehrtafeln zum Thema Handschrift.
01:24:00
Und unter dem Titel
01:24:01
Die Handschrift als Spiegelbild kriminogener Disposition
01:24:05
sollten PolizistInnen damals lernen, welche Zusammenhänge es zwischen Handschrift und Verbrechen gibt.
01:24:11
Also auf so einer Tafel hat man zum Beispiel Schriftbilder von Nichtkriminellen und Schriftproben von VerbrecherInnen gegenübergestellt.
01:24:20
Und da hat man dann unterschieden.
01:24:21
MörderInnen schreiben anders als DiebInnen und BetrügerInnen schreiben dann auch nochmal wieder anders.
01:24:28
Ja, die BetrügerInnen, die machen immer ein Herz aufs I.
01:24:32
Das ist alles natürlich Quatsch.
01:24:35
Wir wissen, es gab in der Kriminologie früher allerhand Blödsinn.
01:24:39
Es gibt ja auch diese Phrenologie, also diese sogenannte Schädellehre.
01:24:43
Da hat man ja früher auch gedacht, dass man anhand der Form des Schädels irgendwelche Charaktereigenschaften oder Veranlagungen erkennen kann.
01:24:51
Ja, und so ähnlich ist das hier mit dieser Schrift auch.
01:24:54
Ja, die Handschrift kann auf jeden Fall nichts über die Psyche aussagen, aber sie kann doch so ein paar Infos auf jeden Fall liefern.
01:25:02
Zum Beispiel, wie alt die Person ungefähr ist, wo sie herkommt und welchen Bildungshintergrund sie hat.
01:25:07
Das finden die ExpertInnen dann über sprachliche Merkmale heraus, wie zum Beispiel den Schreibstil oder mögliche Fehler halt bei Rechtschreibung oder Grammatik.
01:25:16
Je nachdem, welcher Wortschatz auch verwendet wird, lassen sich auch Rückstöße auf Beruf oder Hobbys ziehen.
01:25:23
Also wer zum Beispiel Thorax sagt statt Brustkorb, der könnte irgendwo im medizinischen Bereich arbeiten.
01:25:29
Wer in Berlin in Anführungsstrichen wohnhaft ist, statt dort wohnt, der klingt dann auch eher nach einem Beamten oder nach einer Beamte.
01:25:38
Aufschlussreich sind aber auch Wörter, die aus einem Dialekt oder einer anderen Sprache stammen.
01:25:44
Und das finde ich wirklich irre, also wie unterschiedlich man auch von Bundesland zu Bundesland Wörter benutzt.
01:25:50
Also ganz normale Wörter, jetzt nicht so wie cringe oder so, ja.
01:25:54
Weil als ich nach Bayern zum Studieren gegangen bin, da habe ich zum Beispiel gelernt, dass man da eher statt gehen, laufen benutzt.
01:26:03
Also die sagen immer laufen, wenn die gehen meinen.
01:26:06
Also wenn die sagen, ich gehe jetzt mal kurz in die BIP, dann sagen die, ich laufe mal kurz in die BIP, obwohl die gar nicht wirklich laufen.
01:26:14
Gibt es ja nicht.
01:26:15
Ja, ist einfach eine Lüge.
01:26:17
Das ist ja auch so mit diesem, was ich früher auch immer gesagt habe und offenbar ist es auch so ein norddeutsches Ding, dass man sagt, ich möchte nicht, dass du mich anfällst.
01:26:29
Das war mir nicht klar vorher, dass es anfasst heißt.
01:26:32
Ja, und mein Mitbewohner in Berlin, der hat immer zu saufen, ballern gesagt und das kenne ich tatsächlich als etwas ganz anderes.
01:26:45
Durch so eine Vergleiche von Wörtern können tatsächlich auch immer mal wieder Verbrechen aufgeklärt werden.
01:26:51
2011 gab es ja diesen drohenden Anschlag auf den Signal Iduna Park, also das Fußballstadion von Borussia Dortmund.
01:26:59
Da hatte halt ein Unbekannter per Mail gedroht, dort Sprengstoff zu zünden.
01:27:04
Und gleichzeitig gingen in der deutschen Botschaft von Islamabad Mails ein, die andeuteten, dass der ebenfalls anonyme Schreiber Hinweise zu diesem Anschlag habe.
01:27:15
Das Bundeskriminalamt hat dann die Ermittlungen aufgenommen und die E-Mails dann unter anderem von SprachforensikerInnen analysieren lassen.
01:27:23
Und die Texte wurden auch mit der nationalen Tatschreibensammlung abgeglichen.
01:27:28
Diese Datenbank wurde in den 80ern angelegt und hält inzwischen rund 60.000 Texte.
01:27:33
Und bei diesem Abgleich stellte sich dann heraus, dass der Schreiber, der die Mails nach Islamabad geschickt hatte, derselbe ist wie der Mann, der auch die Mails über die Sprengsätze geschrieben hatte und die Sprengsätze auch gelegt hatte.
01:27:46
Und der Vergleich hat noch was aufgedeckt.
01:27:49
Der Verfasser bedrohte nämlich nicht nur den BVB, sondern ist auch noch für eine weitere bis dahin ungeklärte Straftat verantwortlich.
01:27:56
Und zwar hatte er ein Jahr zuvor, also 2010, die Drogeriekette DM erpresst, indem er immer wieder angekündigt hatte, auf Filialen Anschläge mit Sprengstoff und Chemikalien zu verüben oder halt Lebensmittel zu vergiften.
01:28:11
Monatelang hat er so versucht, von DM 2,5 Millionen Euro zu erpressen.
01:28:15
Durch diesen Tonfall in dem Schreiben kamen die SprachforensikerInnen dann schließlich darauf, dass hinter dem DM-Erpresserbriefen und diesen E-Mails über den BVB-Attentat dieselbe Person steckte.
01:28:29
Aber warum wir ja überhaupt nur auf dieses Oberthema gekommen sind, das hat ja mit einem anderen Verbrecher zu tun.
01:28:34
Und zwar einem der größten Verbrecher der Weltgeschichte, der auch durch forensischen Schriftvergleich überführt wurde.
01:28:41
Und zwar SS-Reichsführer Heinrich Himmler, also einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust.
01:28:47
Der wollte, um seiner Bestrafung zu entkommen, nach dem Krieg untertauchen und aus Deutschland fliehen.
01:28:52
Und dazu hatte der sich als einfacher Soldat verkleidet und war mit gefälschten Papieren unterwegs.
01:28:58
An der Grenze wurde der dann von britischen Soldaten aufgehalten, unter anderem von Granville Greyer aus Birmingham.
01:29:07
Der war misstrauisch, weil der Mann nicht wirklich zu den anderen Soldaten passte und auf dem Ausweis von Himmler, der sich da als Heinrich Hitzinger ausgegeben hat, ein Stempel drauf war, der auf die SS-Mitgliedschaft hinwies.
01:29:21
Himmler musste dann den Satz, ich muss das Reinigungsgerät mitbringen, 34 Mal aufschreiben.
01:29:27
Und durch seine Schrift identifizierten ihn die Soldaten schließlich mit Hilfe eines Schriftvergleichs zweifelsfrei als Heinrich Himmler.
01:29:34
Also sie hatten ihn dann gefasst.
01:29:36
Aber leider hat der Mann sich dann ja trotzdem seiner Strafe entziehen können, weil er sich einen Tag später suizidiert hatte.
01:29:44
Aber dieser Zettel, mit dem Himmler überführt worden ist, der wurde im März dieses Jahres hier in England, in der Nähe von Birmingham, bei einer Auktion versteigert.
01:29:54
Die Verwandten von Granville Greyer, also diesem Soldaten, der den Himmler überprüft hatte, die hatten diesen Zettel nämlich in seinem Nachlass gefunden.
01:30:04
Und am Ende wird dieser Zettel zusammen mit Himmlers Waschtasche und so einer Medaille für 4200 Pfund versteigert, also für knapp 5000 Euro.
01:30:17
Das finde ich irgendwie komisch.
01:30:19
Warum stellt man das nicht in irgend so ein Mahnmuseum aus?
01:30:23
Hat das jemand zu Hause?
01:30:25
Die Waschtasche?
01:30:27
Finde ich ganz, weiß ich nicht, finde ich auch ganz geschmacklos so eine Versteigerung.
01:30:33
Ich weiß noch, in München wurde 2016 auch mal so eine Nazi, also eine Nazi-Versteigerung gefühlt gemacht.
01:30:40
Und da konnte man unter anderem die Unterhose von Hermann Göring ersteigern.
01:30:46
Und jemand hat die tatsächlich für 3000 Euro ersteigert.
01:30:51
Nee, das finde ich überhaupt nicht gut.
01:30:54
Und dann, also ich meine, wir hatten ja schon Probleme bei so ein paar Mörder-Billia-Sachen.
01:30:59
Also wo man so Sachen von SerienmörderInnen kauft, weil man die Kunst toll findet oder irgendwie was von denen besitzen möchte.
01:31:08
Aber das hier, wo es dann wirklich historisch ja auch noch so eine Komponente gibt, das finde ich wirklich echt fragwürdig.
01:31:17
Naja, also grundsätzlich kann Text, egal ob jetzt handschriftlich oder nicht, bei jeder Straftat eine Rolle spielen.
01:31:24
Also der Klassiker ist ja das Erpresserschreiben, aber inzwischen schauen sich die SprachexpertInnen auch Mails, Chatverlaufe oder auch Social-Media-Posts an.
01:31:33
Seitdem gefühlt alle ein Handy haben, haben die ErmittlerInnen ja zwar auch immer mehr Text zu analysieren.
01:31:39
Allerdings sagt die Sprachwissenschaftlerin Sabine Erhard, die den Fachbereich Sprache und Audio am Kriminaltechnischen Institut des BKA leitet gegenüber der dpa,
01:31:48
dass unsere Sprache dadurch, dass wir halt so viel schreiben, spontaner geworden ist.
01:31:54
Und davon würden die ExpertInnen profitieren.
01:31:57
Je mehr man schreibt, desto weniger kann man sich Mühe geben und desto mehr Individuelles enthält die Sprache, sagt Erhard.
01:32:04
Und natürlich gehören zu der Analyse der Texte auch Emojis.
01:32:07
Ich meine, wenn wir jetzt deine und meine letzten fünf Emojis posten würden, ohne zu sagen, welche zu wem gehören,
01:32:15
dann wüssten ja sicherlich auch alle, welche deine sind und welche meine sind.
01:32:20
Meinst du, lass bitte machen.
01:32:23
Die ersten fünf sind die hier oben bei oft benutzt und dann die Reihe lang oder nach unten?
01:32:31
Nee, die ersten obere Reihe waagerecht.
01:32:35
Schick mal deins.
01:32:40
Also die ersten fünf.
01:32:40
Eins, zwei, drei.
01:32:46
Das hier sind meine.
01:32:47
Ich finde es tatsächlich ein bisschen schwierig.
01:32:51
Höchstens an einem Emoji, finde ich, könnte man es erkennen.
01:32:54
Doch, das könnte man schon erkennen.
01:32:56
Gucken wir mal auf Instagram, ob das wirklich so leicht ist.