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#102 Dritte halbzeit

Mordlust
Neulich schimpfte ich noch über die Berliner Polizei,
die ja relativ untätig dabei zusah,
wie Diebe damals das Fahrrad meines Ex-Freundes geklaut hatten
und es dann auch noch verscherbeln wollten.
Wo die Polizei einfach meinte,
ja, das könnt ihr jetzt selber machen, so nach dem Motto.
Die Übergabe, um das Fahrrad zurückzukaufen,
das wir dann bei Ebay gefunden hatten.
Genau, das sollten wir selber machen.
Jetzt muss ich sagen.
Und Stopp.
Weißt du, wo wir auch geschimpft haben?
Bei der Warteschleife immer wieder.
Ja, immer nur am Meckern.
Weil wir halt beide jetzt bisher nicht so die besten Erfahrungen gemacht haben.
Ist aber natürlich auch ein bisschen überspitzt formuliert.
Und ich weiß auch, dass die Berliner Polizei andere Dinge zu tun hat,
als eine Fahrradübergabe zu überwachen.
Aber jetzt hatte ich zunächst eine sehr gute Erfahrung.
Und zwar ist Folgendes passiert.
Ich teile mir mit meinem Ex-Freund nicht nur das Sorgerecht für Fussel.
Ach so, nee, gemeinsames Sorgerecht, muss man ja sagen.
Also wir haben nicht nur das gemeinsame Sorgerecht für Fussel,
sondern auch für eine Vespa, die wir uns halt damals zusammen angeschafft haben.
Diese Vespa steht meistens bei ihm rum und ist auch meistens von ihm im Gebrauch.
Und jetzt wurde die gestohlen.
Nein, jetzt gerade, wo ich zum ersten Mal gelernt habe, wie man die anmacht.
Laura hat schon Kämpfe mit dieser Vespa ausgefochten.
Also sie weiß einige Geschichten zu erzählen, diese Vespa.
Auf jeden Fall, ja.
Jetzt wurde sie auch noch gekidnappt.
Und mein Ex-Freund hat das dann natürlich gleich der Polizei gemeldet.
Wir, relativ traurig.
Klar, die findet man nie wieder.
Dann ruft irgendwann ein Polizist bei meinem Ex-Freund an und sagt,
wir haben die Vespa gefunden.
Wo ich mich schon gefragt habe, wie kann man denn eine Vespa finden?
Ist ja nicht so, als ob die auf der Straße rumliegen und dann denkt man,
ich habe eine gefunden.
Es ist ja in der DNA der Vespa, dass sie so auf der Straße rumsteht.
Also wie soll sie jemand finden?
Aber es war so, dass zwei Polizisten Streife gefahren sind.
Und irgendwie kam es denen seltsam vor, dass so zwei Vespas zwischen zwei Autos geparkt waren.
Also so, als sollte man die auch nicht sehen.
Und dann haben sie sich die Nummernschilder genauer angeguckt
und haben dann festgestellt, dass eines der Nummernschilder als gestohlen gemeldet wurde.
Weil sie das dann in so ein System eingegeben haben?
Ja.
Okay.
Auf jeden Fall haben sie dann bei meinem Ex-Freund angerufen.
Der musste dann da hinkommen.
Und es stellte sich heraus, die gestohlene Vespa war nicht unsere.
Da klebte allerdings unser Nummernschild dran.
Dann hat er sich ein bisschen umgeguckt und sah dann aber irgendwo anders unsere Vespa stehen.
Also haben die offenbar mehrere Vespas gestohlen und die Nummernschilder untereinander ausgetauscht.
Dieser Sinn erschließt sich mir noch nicht so richtig, warum man das macht.
Ja, aber warte mal ganz kurz.
Also war diese Vespa dann, also eure Vespa dann eine von den beiden, die da standen?
Nee, ich glaube, die stand noch weiter weg.
Okay.
Also es hat sich da offenbar um einen organisierten Vespaklau gehandelt.
Ja.
So.
Denn die Polizisten, die haben auch noch mehr Nummernschilder in unserem Sitz gefunden.
Also zumindest haben sie auch noch mehr Nummernschilder geklaut.
Auf jeden Fall kam dann erstmal die Spurensicherung und hat von den Vespas überall an dem Lenkrad, an den Helmen, die unterm Sitz waren, erstmal DNA-Proben genommen.
Was mich ziemlich verwundert hat, denn man hätte ja auch einfach warten können, bis die Leute rauskommen und dann die das nächste Mal benutzen.
Ich gehe mal davon aus, das hätten sie vielleicht an diesem Tag auch schon getan.
Aber offenbar ist es weniger aufwendig, dann die Spurensicherung zu beauftragen.
Auf jeden Fall hat mein Ex-Freund dann beobachtet, wie eine der Vespas abtransportiert wird.
Und da meinte er, was machen sie denn jetzt damit?
Und da meinten die, naja, wir stellen die jetzt sicher.
Meinte er, warum stellen sie denn nicht meine sicher?
Und dann meinte der, naja, der andere Mann, dem eine gehört, der ist jetzt gerade im Urlaub.
Und deswegen können wir jetzt nur die sicherstellen.
Sie können sich ja um den Verbleib ihrer eigenen kümmern.
Aber dadurch, dass er die ja nicht wegfahren konnte, war das natürlich recht schwierig.
Hat ihn auch aufgeregt.
Dann haben die gesagt, also fahren sie die auf jeden Fall oder schieben sie die hier weg, weil hier wird die ja ganz sicherlich wiedergefunden.
Also hat er die dann auf den Privatparkplatz geschoben, auch so zwischen Autos versteckt.
Und da stand sie nun halt.
Das war an einem Sonntag und am Montag musste der arbeiten und hatte keine Zeit.
Und dann hat er halt am Dienstag irgendeinen Rollertypie angerufen.
Und dann wollten die halt am Dienstag diese Vespa da wegholen.
Ja.
Ja, jetzt kannst du ja mal raten, welche Vespa zurückgeklaut wurde oder nochmal neu geklaut wurde.
Auf jeden Fall ist sie jetzt schon wieder nicht mehr in unserem Besitz.
Aber das kann ja nicht sein, dass die Polizei da nicht hilft.
Wenn die die eine irgendwie wegbringen, dann könnten die doch auch eure mitnehmen und irgendwo sicher hinbringen.
Wobei ich auch sagen muss, die sind ja kein Transportunternehmen.
Naja.
Und kutschieren dann da die Vespa so rum, ja.
Das war, das ist, das ist ja nicht irgendeine Vespa.
Das ist ja ein Beweismittel.
Genau.
Also, weiß nicht.
Also auf jeden Fall Props an diese ersten Polizisten, die diese Vespa überhaupt gefunden haben.
Das waren ja immer dieselben.
Ach.
Das ist ja alles an einem Tag passiert.
Ach ja, nee.
Dann, dann nehme ich alles zurück.
Ich denke, man muss sich jetzt einfach damit abfinden, dass sie gegangen ist.
Wir vermissen sie jetzt sehr.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
darüber sprechen und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Wir reden hier auch ein bisschen lockerer miteinander.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt,
sondern das ist für uns immer eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Heute geht es bei uns um Gewalt im Fußball.
Fußball ist ja jetzt eher kein Thema, das bei uns jetzt so furchtbar nahe liegt.
Oder bist du großer Fan und ich weiß aus irgendwelchen Gründen noch nichts davon?
Absolut überhaupt gar nicht.
Also es gibt mir gar nichts.
Ich gucke nicht mal mehr WM oder EM, wie man das ja früher sonst so gemacht hat.
Aber ich beneide alle Leute, in denen Fußball irgendwas auslöst.
Also meine Freundin Tatjana zum Beispiel ist großer BVB-Fan und die treffen sich immer in ihrer Fußballgruppe und schauen das Spiel, grillen dabei und regen sich dann halt, weiß ich nicht, über Leute, auf deren Namen ich noch nie gehört habe.
Und ich hätte das halt auch gerne, also dass man sich so mit irgendwas identifizieren kann.
Ja, weil du ja auch bei anderen Spielen, wo du aber selber halt partizipierst, ja sehr dich mitreißen lässt.
Aber vielleicht, ja, ist das dann einfach nichts für dich, wenn du nicht selber irgendwie dabei mithelfen kannst, dass man gewinnt.
Ja, gefühlt, wenn ich mir Fußballfans so anschaue, dann denken die das aber schon.
Und zwar, indem man dann am lautesten brüllt zum Beispiel.
Aber ja.
Ja, also ich bin ja auch kein offizieller Fan.
Ich muss ja Fan von Borussia Mönchengladbach sein, weil jeder, der aus Mönchengladbach kommt, muss das eigentlich sein.
Also man dürfte dann theoretisch auf jeden Fall nicht BVB-Fan sein.
Das wäre quasi Hochverrat.
Aber genau, dafür, dass bei uns am Essenstisch jeden Tag über Fußball geredet wurde, habe ich gar keine Ahnung vom Fußball.
Ich kann dir nicht mal abseits erklären.
Und ich habe auch wirklich zwei linke Füße.
Ach, finde ich aber auch eine blöde Sache, dass Frauen immer abseits erklären sollen.
Ist doch scheißegal.
Also, weiß ich nicht.
Es gibt bestimmt auch noch andere Sachen als abseits, ja.
Mich wundert es tatsächlich, also, dass du so gar nicht fußballaffin bist, denn du bist ja Spielertochter.
Genau.
Ich bin Spielertochter und war auch jedes Wochenende auf dem Platz oder im Stadion, wo es halt gerade, wo mein Vater halt eben gerade war.
Aber es hat mich halt nicht interessiert.
Ja, also wir sind auf jeden Fall nicht prädestiniert dafür, heute diese Folge hier zu kicken.
Aber wir versuchen es.
Ja.
Also warum wir heute darüber reden wollen, ist, weil es bei so Großveranstaltungen wie Fußballspielen oder halt generell innerhalb von so großen Fangruppen natürlich auch immer mal aus unterschiedlichen Gründen zu Gewalt kommen kann.
Ja, in der letzten Saison vor Corona, die ja eher so repräsentativ ist als jetzt die letzten beiden, gab es zum Beispiel fast 800 Verletzte in den Fußballstadien der ersten und zweiten Liga.
Aber auch außerhalb von so großen Arenen bringt Fußball natürlich immer wieder Opfer von Gewalt hervor.
Von zwei Fällen, die ohne den Sport nicht passiert wären, erzählen wir euch heute.
Mein Fall zeigt, dass auch eine gesichtslose Masse nicht vor Strafe schützt.
Einige Namen habe ich geändert.
Es wird geschrien, gejubelt, gegrölt und gebot.
Die 40.000 Fußballfans im Félix-Boulin-Stadion fiebern an diesem Nachmittag um die Wette.
Deutschland gegen Jugoslawien.
In der Vorrunde der Fußball-WM 1998 in Frankreich.
Den Zusehenden knallt die Sonne ins Gesicht, die Teams das Runde gleich viermal ins Eckige.
Es ist eine spannende Partie, die die weit angereisten UnterstützerInnen hier im französischen Lens an diesem Juni-Tag verfolgen dürfen.
Wovon sie im ausverkauften Stadion nichts mitbekommen, ist die Gewalt, die sich vor den Toren der WM-Arena entlädt.
Von den aggressiven Männern, die den Fußball vorschieben, um ihre Wut an PolizistInnen und anderen angeblichen Fans rauszulassen.
Von den deutschen Hooligans, die nicht aufhören zuzutreten, bis die Person unter ihnen sich nicht mehr bewegt.
Knapp neun Stunden zuvor.
Pass gut auf dich auf, ruft Lorette ihrem Mann Daniel nach, der um kurz vor acht ihre gemeinsame Wohnung
in der Polizeikaserne in Arras verlässt, um zur Arbeit zu gehen.
Ein Satz, der zu Daniels Morgenroutine gehört wie das Zähneputzen.
Der zweifache Familienvater ist nämlich Polizist und damit ja eigentlich ständiger Gefahr ausgesetzt.
Heute soll der 43-Jährige die 20 Minuten nach Lens fahren, um mit seiner Kollegschaft dafür zu sorgen,
dass das WM-Spiel zwischen Deutschland und Jugoslawien ohne größere Zwischenfälle stattfindet.
Doch als der große, schlanke Mann mit den dunkelbraunen Augen und den fast schwarzen Haaren an diesem 21. Juni die unscheinbare Kleinstadt im Norden Frankreichs erreicht,
ist diese nicht wiederzuerkennen.
Der Ort mit 35.000 EinwohnerInnen ist an diesem Sonntag komplett von Fußballfans überschwemmt.
60.000 sind gekommen und mitgebracht haben sie eine unangenehme Stimmung.
Schon am Morgen liegt Aggressivität in der Luft, im kleinsten Austragungsort dieser Weltmeisterschaft.
Denn zu den tausenden AnhängerInnen ihrer Mannschaften haben sich auch sogenannte Problemfans gemischt,
deren vorrangiges Ziel die gewalttätige Auseinandersetzung ist.
Hooligans.
Im Vorfeld hatten deutsche Hooligans bundesweit zum Frankreich-Überfall aufgerufen.
Der Nazi-Jargon ist nicht versehentlich gewählt.
Lens wurde in beiden Weltkriegen von deutschen Soldaten besetzt und nun hört man in der Stadt Parolen wie
Wir sind wieder einmarschiert oder Wir sind deutsch.
Den Überfall, den Daniel und seine vielen KollegInnen heute verhindern sollen,
setzt die Horde Männer dann gegen Mittag um.
Von der Innenstadt wollen sich mehrere hunderte Hooligans ihren Weg zum Stadion bahnen.
Viele von ihnen haben keine Karten bekommen und hoffen vor Ort noch welche ergattern zu können.
Doch der Weg zur WM-Arena wird schon frühzeitig von der Polizei gesperrt.
Ein Durchkommen ist nur mit gültigem Eintrittsticket möglich.
Das sorgt für Unmut.
Und so formieren sich die Problemfans vor den Polizeisperren zu einem Angriff.
Laut wird gegrölt, wir haben euch was mitgebracht.
Hass, Hass, Hass.
Und auf die Bullen.
Dabei bewegen sich die Hooligans in gewohnter Manier in geschlossenen Reihen auf die Sperren zu,
nur um kurz vor ihnen anzuhalten und langsam wieder zurückzuweichen.
Dieses Vor- und Wieder-Zurück, was sie selbst Katz-und-Maus-Spiel nennen, dauert mehrere Minuten an.
Gleichzeitig fliegen Stühle, Glasflaschen und Getränkedosen aus der Menge.
Schaufenster werden eingeschlagen.
Bis die Polizei die Situation in den Griff bekommt und einige Männer festnimmt.
Die Situation entspannt sich und die Hooligans ziehen sich zum Fußballgucken in die umliegenden Cafés und Bars zurück.
Denn jetzt ist Anpfiff und damit auch Pause für Daniel und seine KollegInnen.
Kurz vor Ende des Spiels bekommt der französische Polizist dann den Auftrag,
sich mit zwei anderen in einer kleinen, ruhigen Seitenstraße in der Nähe des Stadions zu positionieren,
um die dort geparkten Einsatzfahrzeuge zu überwachen und ein mögliches Durchkommen von Hooligans zu verhindern.
Die Rue Romolde-Pauwurst ist gesäumt von kleinen Reihenhäusern auf der einen
und einem Zaun, hinter dem die dicht bewachsene Böschung hoch zu den Bahngleisen führt, auf der anderen.
Alles scheint ruhig, nichts zu tun für Daniel und seine Kollegen.
Die drei Polizisten schwitzen und langweilen sich also in der Mittagshitze, als ein kleiner Junge vorbeikommt.
Der neunjährige Mathieu spricht Daniel an, die beiden unterhalten sich und fangen irgendwann an,
den Fußball des Neunjährigen hin und her zu kicken.
Um 16.15 Uhr ist Abpfiff im WM-Stadion.
2-2 ist die Partie ausgegangen.
Die deutsche Elf hat sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert und das spüren auch die Hooligans in der Innenstadt.
Sie strömt zurück auf die Straßen.
Ziel ist erneut die Arena.
Nun hoffen sie dort auf jugoslawische Gleichgesinnte zu treffen, um sich endlich prügeln zu können.
Doch wieder kann die Polizei sie von ihrem Vorhaben abhalten, auch wenn sie dafür einiges einstecken muss.
Kein Durchdringen für die Masse an gewalttätigen Männern, zumindest an den großen Zufahrtswegen.
Die Gruppe sprengt sich auf, versucht jetzt in kleineren Scharen andere Routen zum Stadion zu finden.
Es ist eine Nachricht über Funk, die Daniel dazu bringt, das Fußballspielen mit dem kleinen Mathieu zu beenden und sich seinen Helm aufzusetzen.
Hooligans seien auf dem Weg zu ihm, hört er aus dem Lautsprecher dröhnen.
Er macht sich bereit auf das, was da kommen mag, als eine Spaziergängerin die Seitenstraße entlangläuft und warnt,
gehen Sie nach Hause, es wird einen Sturm geben.
Nur wenige Minuten später weiß Daniel, was die Frau meinte.
Eine Gruppe an mindestens 50 Männern rollt in der kleinen Gasse auf ihn zu.
Hier können wir durch, hier sind nur drei, wird auf Deutsch gerufen, was Daniel natürlich nicht versteht.
Er und seine Kollegen schreien Stopp, doch die Männer hören nicht auf, entschieden auf sie zuzumarschieren.
Die drei Polizisten weichen einige Schritte zurück, Daniel greift nach seinem Gewehr.
Seine Gegenüber sind ebenfalls bewaffnet, mit Schildern und Werbetafeln.
Sie tragen sie mit ausgestreckten Armen vor sich her, erst bedrohlich ruhig, dann immer schneller, bis sie anfangen zu laufen.
Daniels Kollegen rennen davon, er bleibt stehen, wird zur Zielscheibe.
Ein Mann holt mit einem Schild aus und trifft Daniel im Gesicht.
Dabei fliegt ihm sein Helm vom Kopf und sein Gewehraufsatz aus der Hand.
Daniel fällt zu Boden, wo er seitlich liegen bleibt und sich die Hände schützend vor den Kopf hält.
Um ihn herum scharen sich mehrere Hooligans.
Sie fangen an, auf ihn einzuschlagen und einzutreten.
Die Tritte gehen in den Bauch, gegen den Kopf, die Arme, seine Brust und in den Schritt.
Vollspann, immer wieder.
Daniel verliert das Bewusstsein.
Trotzdem hören die Hooligans nicht auf.
Wie ein Raubtier verweist sich die Gruppe an Männern, die ihr Opfer sind wie im Blutrausch.
Einer nach dem anderen lässt seine Wut an Daniel aus.
Dann greift einer nach dem am Boden liegenden Gewehraufsatz und nutzt ihn als Schlagstock.
Metall trifft auf Daniels Kopf.
Blut fließt aus seinem Mund, den Ohren, Nase und Augen.
Sein Schädel bricht.
Zwei Minuten lang entlädt sich die Gewalt, bis die Männer aus Angst vor herannahenden PolizistInnen fliehen.
Zurück bleibt Daniel, der mit offenen Augen noch immer auf der Seite liegt und um dessen Kopf sich eine dunkelrote Pfütze gebildet hat.
Rettungskräfte bringen den Polizisten schließlich ins Universitätsklinikum, wo die Ärzteschaft unermüdlich um sein Leben kämpft.
Am nächsten Tag steht in der Weltpresse nicht das Endergebnis des WM-Vorrundenspiels im Vordergrund, sondern das Ergebnis eines brutalen Angriffs auf einen französischen Polizisten durch deutsche Hooligans.
Daniel liegt im Koma und das mit irreparablen Hirnschäden.
Die Welt ist schockiert.
Die Bild macht passend dazu mit einem Foto der Tat auf und schreibt dazu das Foto, das die Welt entsetzt.
Darauf zu sehen ist Daniel, wie erregungslos am Boden liegt.
Über ihn beugt sich ein Mann in Jeans und blauem T-Shirt, der ganz offensichtlich auf Daniels Kopf einschlägt.
Links und rechts stehen zwei Männer, zwei weitere rennen durchs Bild.
Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nennt die Tat von Lens eine Schande für unser Land.
Klaus Winkel, damaliger Außenminister, spricht von einem Krebsgeschwür der Fußballwelt.
Und während der DFB diskutiert, ob man die Mannschaft nicht besser vom Turnier zurückziehen solle,
fängt die deutsche Bevölkerung an, für Daniel zu beten und zu spenden.
Mehrere hunderttausend Mark kommen in den nächsten Tagen zusammen.
Außerdem übergeben deutsche PolizistInnen ihren französischen KollegInnen
150.000 persönliche Genesungswünsche und Geschenke.
Daniel bekommt von alledem nichts mit.
Sechs Wochen lang liegt er im Koma.
Und als er wie durch ein Wunder wieder aufwacht, ist sein Leben nicht mehr dasselbe.
Der 43-Jährige ist rechtzeitig fast vollständig gelähmt.
Auf einem Auge blind, auf dem anderen nur noch eingeschränkt fähig zu sehen.
Er hört nur sehr schlecht, kann nicht mehr riechen, nicht mehr schmecken.
Er hat Gleichgewichtswahrnehmungs- und Berührungsstörungen, Albträume, Angst und ihm fällt es sehr schwer zu kommunizieren.
Er kann nicht richtig sprechen und auch nur sehr schlecht begreifen, was seine Frau Lorette und seine Söhne Vincent und Nicolas ihm darüber erzählen, was passiert ist.
Denn an die Tat kann sich Daniel nicht erinnern.
Sie ist aus seinem Gedächtnis gelöscht.
Alles, was er weiß, erfährt er jetzt von seiner Familie und aus den Medien.
So hört er auch, dass die mutmaßlichen Täter bereits festgenommen wurden.
Manche noch an Ort und Stelle am 21. Juni, andere durch Ermittlungen in der Hooligan-Szene.
Einer seiner Peineger sitzt in Frankreich in U-Haft, fünf weitere in deutschen Gefängnissen.
Allesamt junge Männer zwischen 20 und 30 Jahren, aus ganz Deutschland.
Alles Hooligans oder zumindest der Szene anhängig.
Alle schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ob wegen Körperverletzung, Nötigung oder weil man Waffen aus einer Kaserne geklaut hat.
Gegen vier von ihnen kommt es bereits knapp zehn Monate nach der Tat zum Prozess vor dem Essener Landgericht.
Aufgrund des öffentlichen Interesses wird die Verhandlung in den größten Raum im zweiten Stock des Gebäudes gelegt.
In dem holzvertefelten Saal mit den acht Meter hohen Decken, der an diesem Tag trotzdem aus allen Nähten platzt,
soll zum ersten Mal ein deutsches Gericht Urteile für eine im Ausland begangene Straftat fällen.
Auf der Anklagebank sitzen Marcel, Dominik, Tom und Martin.
Blass sind sie um die Nase herum und ordentlich.
Mit gebügelten Hemden, gestriegeltem Haar und gesenktem Blick lauschen sie der Anklage,
als würde es hier um einen dummen Jungstreich gehen.
Aber angeklagt sind sie wegen gemeinschaftlichen versuchten Mordes,
schwerer Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch.
Die vier sollen mit unvorstellbarer Gefühlskälte und aus niedrigen Beweggründen immer wieder auf Daniel eingetreten
und mit einem Gewehraufsatz und einem Reklameschild auf seinen Kopf eingeschlagen haben.
Ohne jeden Anlass hätten sie ihrem Opfer so schwerste Verletzung zugefügt,
die in der Vernichtung eines menschlichen Lebens enden sollte.
So der Staatsanwalt, der den Angeklagten außerdem die Lust an körperlicher Misshandlung vorwirft.
Gleich zu Beginn der Verhandlung entschuldigen sich drei der Männer auf der Anklagebank.
Marcel, Dominik und Tom erklären, dass ihnen, Zitat,
die Sache in Lanz, furchtbar Leidtäte.
Die letzten beiden geben außerdem Teilgeständnisse ab.
Dominik und Tom räumen Fußtritte ein.
Sie hätten sich mitreißen lassen von der Menge.
Dominik erklärt, er sei wie elektrisiert gewesen,
habe zugetreten wie gegen einen Fußball.
Doch beide sprechen nur von einigen wenigen Tritten
und bestreiten, dass diese sich gegen den Kopf des Opfers gerichtet hätten.
Anders als in ihren Aussagen bei der Polizei
wollen sie jetzt nichts mehr über ihre Mitangeklagten sagen.
Die, Marcel und Martin, schweigen indes.
Ihre Anwälte haben ihnen dazu geraten,
denn die wissen, wie schwierig es ist,
ihnen einzelne Tatbeiträge nachzuweisen.
Denn hier gilt es, die individuelle Schuld nachzuweisen,
um medizinisch neutrale Befunde
und um die Frage, welche Verletzungen auf welche Einwirkungen zurückgehen.
Dass eine Anklage wegen versuchten Mordes
bei so einer Art Verbrechen riskant ist
und eine Verurteilung nicht gerade sicher,
weiß auch die Staatsanwaltschaft.
Aber dass es so schwierig werden würde,
wie sich in den nächsten Verhandlungstagen herausstellen soll,
hätte wohl niemand erwartet.
Ein Zeuge nach dem anderen springt ab,
will plötzlich nichts mehr von seinen polizeilichen Aussagen wissen.
Besonders problematisch ist die Berufung
auf das Aussageverweigerungsrecht von Peter L. aus Bochum.
Er hatte bei seiner Aussage kurz nach der Tat
die vier Angeklagten schwer belastet,
hat er explizit angegeben, gesehen zu haben,
wie Marcel immer wieder mit einem Gegenstand
auf Daniels Kopf eingeschlagen hatte.
Auch er macht jetzt auf Anraten seines Anwalts einen Rückzieher.
Und das steht ihm auch zu,
weil er in der Menge der Angreifer mitlief
und Daniel möglicherweise selbst verletzt haben könnte.
Die Zeugen, die Aussagen müssen, können sich plötzlich nicht mehr erinnern
und geben teils haarsträubende Ausreden zum Besten.
So erklärt ein Augenzeuge, er habe seine Brille am Tatort vergessen,
sodass er nichts und niemanden mehr Klarhabe erkennen können.
Nach dem 10. Prozestag sagt Daniels Anwalt Harald Wostry,
der hier in Essen stellvertretend für seinen Mandanten steht,
Es ist schon frustrierend, wenn Zeugen weitaus mehr wissen,
als sie hier sagen.
Da funktionieren bestimmte Kanäle ganz gut,
womit er auf die Kommunikation in der Hooligan-Szene anspielt,
bei der es heißt,
Hauptsache keinen Kameraden verpfeifen.
Auch der in Frankreich inhaftierte mutmaßliche Mittäter Henning W.
sagt aus, er sei nur mit Daniel zusammengeprallt.
Weil die Polizisten schwer bewaffnet waren,
habe ich dabei ein Holzschild vor meinem Körper getragen,
um mich zu schützen, erklärt er.
Sein Anwalt legt dem Gericht daraufhin Fotos vor,
die beweisen sollen,
dass sein Mandant bei den brutalen Misshandlungen von Daniel abseits stand.
Als der Richter Rudolf Esters daraufhin fragt,
wie der Urheber dieser Bilder denn heißt,
um ihn nach weiteren Fotos zu fragen,
blockt der Anwalt ab.
Esters weiß, wie wichtig Fotos
für die Überführung und Verurteilung der Angeklagten
in diesem Prozess sind.
Daher wird auch der Mann geladen,
der das Foto schoss,
das die Bild nach der Tat als
das Foto, das die Welt entsetzt, veröffentlichte.
Der ganze Film aus der Kamera
ist Teil der staatsanwältlichen Beweiskette.
Denn deutlich auf den Bildern zu erkennen
sind Dominik und Tom,
die dem auf dem Boden liegenden Daniel bedrohlich nahe kommen.
Auch Martin ist zu sehen,
wie er ein Reklameschild in Richtung des Opfers wirft.
Nur Marcells Gesicht sucht man vergebens.
Denn er dreht dem Fotografen den Rücken zu.
Er ist es nämlich,
der auf dem Titel der Boulevardzeitung
über Daniel gebeugt ist und zuschlägt.
Das wissen alle hier im Saal.
Und das hatte ein anonymer Zeuge der Polizei
auch im Vorfeld versichert.
Doch bisher will das niemand hier persönlich vor Gericht bezeugen.
Anderthalb Monate nach Prozessstart
betritt dann Daniel zum ersten Mal den Gerichtssaal.
Zusammen mit Lorette ist er gekommen,
weil er den Tätern ins Gesicht sehen möchte.
Selbst wird Daniel nicht in den Zeugenstand treten.
Es ist ihm sowohl psychisch als auch physisch gar nicht möglich.
Das übernimmt seine Frau für ihn.
Lorette erklärt zu Anfang ihrer Aussage,
dass es für die beiden wichtig war,
nach Deutschland zu kommen.
Auch weil sie das Gefühl haben,
dass das ganze Volk auf ihrer Seite ist.
Dann führt die 40-Jährige eindrücklich aus,
wie Daniels und ihr Leben
sich seit dem 21. Juni 1998 verändert haben
und sorgt damit für eine bedrückende Atmosphäre im Saal.
Die Frau mit den dunklen Haaren sagt,
man hat ihm die Freiheit genommen.
Seit dem Angriff habe Daniel alles verloren,
was sein Leben ausgemacht habe.
Er kann seinem Beruf nicht mehr nachgehen,
den er sehr geliebt hat.
Nicht mehr Auto fahren,
keinen Sport mehr machen.
Lesen, schreiben, zeichnen, basteln.
Alle Leidenschaften, die er hatte,
kann er nicht mehr ausüben.
Nicht mal ein Werkzeug halten.
Immer muss jemand da sein.
Er kann nicht ohne Hilfe leben.
Das Schlimmste für ihn und sie sei aber,
dass er nicht mehr richtig kommunizieren könne.
Haben sie den Eindruck,
dass er sie versteht,
fragt Richter Esters.
Zögernd antwortet sie,
ja, doch.
Wenn man ganz einfache Worte benutzt.
Versteht er Witze,
fragt der Vorsitzende dann.
Lorette ist überrascht über die Frage,
überlegt und antwortet mit Nein.
Daniel verfolgt die Antworten seiner Frau ungerührt.
Dominik hingegen weint auf der Anklagebank.
Nach Loretts Aussage entschuldigt er sich bei Daniel.
Ich habe sie ein- bis zweimal getreten.
Ich schäme mich sehr dafür,
was ich ihnen und ihrer Familie angetan habe.
Ich möchte mich entschuldigen,
obwohl es ihnen nicht weiterhilft,
sagt er und bricht wieder in Tränen aus.
Auch Tom entschuldigt sich bei Lorette und Daniel.
Martin und Marcel schweigen.
Je weiter der Prozess voranschreitet,
desto klarer wird,
dass eine Verurteilung aller wegen versuchten Mordes utopisch ist.
Einzig und allein bei Marcel wäre es möglich,
da er für die schweren Kopfverletzungen gesorgt hat,
indem er mit dem Gewehraufsatz zuschlug.
Doch dafür braucht es den anonymen Zeugen,
der der Polizei gegenüber erklärt hat,
dass es sich bei dem Mann in dem blauen T-Shirt
und der Jeans auf dem Foto um Marcel handelt.
Die Polizei und die Staatsanwaltschaft
wissen natürlich, wer der anonyme Zeuge ist.
Aber die BeamtInnen haben ihm versprochen,
seine Identität nicht preiszugeben
und das werden sie auch unter keinen Umständen tun.
Denn aus Sicht der Polizei
ist der Schutz von InformantInnen unerlässlich,
um auch in Zukunft auf die Hilfe solcher Quellen zählen zu können.
Warte mal kurz.
Also wie genau war das?
Weiß man das?
Ja.
Also dieser anonyme Zeuge hat ja bei der Polizei ausgesagt.
Also die haben den Namen von ihm,
aber er wollte nicht, dass das öffentlich gemacht wird
und schon gar nicht auch beim Prozess oder so.
Genau.
Und der Richter sagt aber,
dass man nicht einen höheren Sagen von einem Polizisten
oder einer Polizistin jetzt,
dass das halt reichen würde, um den zu überführen.
Er möchte die Person selbst hören
oder einen Augenzeugen oder eine Augenzeugin oder sowas.
Ah.
Und so verrät selbst niemand etwas,
als der Richter höchstpersönlich darum bittet.
Im Gerichtssaal kündigt Esdras schließlich an,
dass er nun selbst nach dem Unbekannten suchen will.
Das kann eine Kammer ja,
also Selbstermittlung anstellen.
Was Esdras nicht weiß ist,
dass der anonyme Zeuge gerade selbst vor ihm im Saal sitzt.
Es ist Burkhard Matiak,
Fanbetreuer beim FC Schalke 04.
Matiak hatte, als er kurz nach der Tat die Bild-Zeitung aufschlug,
direkt erkannt, wer da über dem französischen Polizisten gebeugt stand und zuschlug.
Er erkennt Marcel seit Jahren durch seine Arbeit auf Schalke.
Und er erkennt ihn nicht nur anhand seiner Frisur und seiner Figur,
sondern vor allem auch anhand des T-Shirts,
das damals nur von Personen aus dem inneren Zirkel der Gelsenkirchener Hooligan-Szene getragen werden durfte.
Nach Absprache mit seiner Frau hatte er sich bei der Polizei gemeldet.
Wichtig war dem 31-Jährigen nur,
sein Name dürfe nicht veröffentlicht werden,
sonst verliere er seinen Job und könne auch direkt das Land verlassen.
Jetzt sitzt Matiak im Saal und weiß,
dass seine Anonymität wahrscheinlich nicht mehr lange halten wird.
Denn es ist dem Gericht bekannt,
dass er sich sehr gut in der Hooligan-Szene in Gelsenkirchen auskennt,
also der Stadt, aus der Marcel stammt.
Und so dauert es auch nicht lange,
bis er eine Vorladung vom Essener Landgericht bekommt.
Er und seine zwei Kollegen.
Matiak hadert mit sich.
Er hat Angst vor der Rache der Hooligans und davor, seinen Job zu verlieren.
Am Ende entscheidet er sich aber dafür auszusagen
und damit seine Karriere im Fußball zu beenden.
Am 1. Oktober wird Matiak durch einen Hinterausgang in das Essener Landgericht geschleust.
Seine Familie wurde schon an einen geheimen Ort gebracht,
an dem sich Matiak die Wochen nach der Verhandlung sicherheitshalber aufhalten soll.
Als der Fernbetreuer schließlich den Gerichtssaal betritt,
ändert sich die Stimmung im Raum auf einen Schlag.
Er ist der Zeuge, auf den hier alle warten.
Außer die Angeklagten und ihre rechtlichen Vertreter.
20 Minuten lang sitzt Matiak im Zeugenstand.
Hier bestätigt er nochmal seine Aussage,
die er bei der Polizei im Juli 1998 gemacht hatte.
Er erkenne Marcel auf dem Foto zu 98,5 Prozent anhand von Haarschnitt, Figur und eben des T-Shirts.
Seine Aussage unter Eid ist die Wende im Prozess.
Schon am nächsten Verhandlungstag legt auch Marcel ein Teilgeständnis ab, das allerdings nicht wirklich eins ist.
Er gibt jetzt endlich zu, der Mann auf dem Foto zu sein, erklärt aber, er habe nur einmal mit einer grünen Bierflasche zugeschlagen.
Wahrscheinlich gegen den Oberarm.
Auch Martin bricht letztendlich sein Schweigen, ein Geständnis verlässt seine Lippen aber nicht.
Am 9. November 1999, dem 32. Sitzungstag, werden endlich die Urteile verkündet.
Tobias, Tom und Martin bekommen 6, 5 bzw. 3,5 Jahre wegen gefährlicher Körperverletzung.
Tobias und Tom konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie Daniel mit ihren Tritten am Kopf getroffen haben
und es gebe auch keinen verletzlichen Anhaltspunkt dafür,
dass sie von vornherein den Tod oder eine schwere Körperverletzung des Beamten in Kauf genommen haben.
Das gilt auch für Martin, dem am Ende gar kein Gewaltakt gegen Daniel nachzuweisen war,
weil nicht sicher festgestellt werden konnte, dass das Schild, das er warf, Daniel auch tatsächlich traf.
Trotzdem wird Martin verurteilt, womit der Richter ein deutliches Zeichen setzt.
Wer in einer gewalttätigen Menge mitläuft, haftet für die Taten, die aus dieser heraus begangen werden,
auch wenn er selbst nicht zuschlägt.
Und das ist tatsächlich was, was ich mir in der Vergangenheit generell gewünscht hätte.
Also jetzt mal losgelöst von dem Fall, dass man sich immer vorher bewusst macht,
wo man da mitläuft und Teil welcher Gruppe man sich macht.
Ja, ich finde die Entscheidung des Gerichts hier auch genau richtig.
Marcel dagegen erhält zehn Jahre, wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen.
Die Kammer ist sich sicher, dass er es war, der mit dem Gewehraufsatz auf Daniels Kopf eingeschlagen
und ihm damit den Schädel gebrochen hat.
Und zwar nur, um die anderen Peiniger in ihrer Gewalttätigkeit noch zu übertrumpfen
und weil es ihm Spaß gemacht hat, den am Boden liegenden Polizisten körperlich zu misshandeln.
Weil er, genau wie Dominik, bei der Tat angetrunken war, hat sich das mildernd auf sein Strafmaß ausgewirkt.
In seiner Urteilsbegründung erklärt Richter Esters, die Angeklagten sind keine Monster, sondern Menschen.
Auch wenn sie sich an jenem unseligen Tag wie Monster verhalten haben.
Es dürfe kein Exempel statuiert, sondern die persönliche Schuld der Angeklagten gesühnt werden.
Alle haften dafür, dass Daniel zu Boden geschlagen und getreten wurde.
Doch für die lebensgefährlichen Kopfverletzungen müsste allein der Verursacher gerade stehen.
Auch zwei weiteren Hooligans wird noch der Prozess gemacht.
Henning W., der in Frankreich verhaftet wurde, wird dort zu fünf Jahren verurteilt.
Er war es, der Daniel den ersten Schlag mit dem Schild versetzt hatte.
Bei seinem Prozess ist die Aussage des neunjährigen Mathieu,
der mit Daniel kurz vor der Tat Fußball gespielt hatte und so beim Angriff noch in unmittelbarer Nähe war,
die, die den Mann letztendlich hinter Gittern bringt.
Markus P., ein weiterer Hooligan, wird in Bochum zu drei Jahren und vier Monaten verurteilt.
Bei diesem Prozess ist Marcel, also der Haupttäter, als Zeuge geladen.
Zum ersten Mal gibt er hier zu, Daniel mit einem Gewehraufsatz gegen den Kopf geschlagen zu haben.
Vorher war das ja immer nur die Flasche.
Für Daniel und Lorette ändern diese Urteile nicht viel.
An jenem 21. Juni ist unser Leben zerstört worden.
Mehr Jahre Haft hätten daran sowieso nichts geändert, erklärt Lorette gegenüber der Presse.
Während seine Peiniger in den nächsten Jahren nach und nach aus den verschiedenen Gefängnissen entlassen werden,
quillt sich Daniel jede Woche zur Logopädie, um besser sprechen lernen zu können,
zur Physiotherapie, um sich wieder besser bewegen zu können und zu den kurzen Spaziergängen mit Lorette.
Jede zehn Meter, die er mehr schafft, sind ein großer Etappensieg in seinem Kampf für ein kleines bisschen mehr Selbstbestimmung.
Mittlerweile wohnt die Familie nicht mehr in Arras.
Sie musste relativ schnell nach der Tat raus aus der Wohnung in der Polizeikaserne.
Die Behörden machten hier keine Ausnahme.
Wer aus dem Polizeidienst ausscheiden muss, der hat eben keinen Anspruch mehr auf eine Wohnung,
auch nicht nach 24 Jahren Staatsdienst.
Oh Gott, das ist ja einfach nur furchtbar.
Ohnehin wäre ihr altes Zuhause aber auch gar nicht geeignet.
Daniel und Lorette mussten sich ein behindertengerechtes Haus kaufen.
Von den Spendengeldern aus Deutschland und den Hilfen des DFB war es ihnen finanziell möglich.
Mehr als 500.000 Mark sind zusammengekommen.
Mehr als sie brauchen.
Deshalb geben sie das Geld auch weiter an Bedürftige.
So spendet Lorette der Feuerwehr im Ort beispielsweise über 1.500 Euro aus Dankbarkeit dafür,
wie sich die Rettungskräfte an diesem schicksalhaften Tag um ihren Mann gekümmert haben.
Im Oktober 2000 wird dann die Daniel-Nivell-Stiftung gegen Gewalt im Fußball gegründet.
Vom DFB, der FIFA, der UEFA und dem französischen Verband FFF.
Eine Million Mark Gründungskapital wird bereitgestellt, um dabei zu helfen,
dass sich eine Tat wie die in Lens niemals und nirgends wiederholt.
In den nächsten Jahren ist Daniel mit seiner Gesundheit beschäftigt.
Was Daniel in der Zeit zurückgewonnen hat, ist sein Humor, sein Gedächtnis und die Liebe für den Fußball.
Immer wieder kommt er der Einladung des DFB nach, Spiele in Frankreich oder in Deutschland zu sehen.
So wie 2018 das Spiel Frankreich gegen Deutschland in Paris.
Vor Anpfiff gibt es noch einen Empfang.
Dort trifft Daniel auf unseren damaligen Außenminister Heiko Maas.
Der überreicht ihm das Bundesverdienstkreuz und erklärt,
Und der Politiker dankt Daniel.
In ihrer Situation hätten sich viele entschieden, Deutschland oder dem Fußball den Rücken zuzukehren.
Und wer hätte es ihnen verübeln können?
Aber sie haben einen anderen Weg gewählt.
Sie selbst nehmen regelmäßig an Fanprojekten und deutsch-französischen Fußballspielen teil.
Für so viel Mut, so viel menschliche Größe gebührt ihnen unser größter Respekt.
Also es ist einfach so erdrückend zu sehen, wie junge Männer, weil die denken, das ist ein Spaß oder so,
ein Leben auf so brutale Art und Weise verändern können und zerstören können auch teilweise.
Ja, also ich kann mir das gar nicht vorstellen, was dann in denen los ist.
Also wir wissen ja von dieser Gruppendynamik, ja, und die hat da auch sicher eine Rolle gespielt.
Aber einer nach dem anderen hat einfach zugetreten und auf jemanden, der schon am Boden liegt, eingeschlagen.
Der nicht mal, weißt du, der nicht mal irgendwie von der anderen gegnerischen Hooligan-Szene ist,
sondern jemand, der nicht kämpfen und sich prügeln wollte,
sondern der einfach nur einen Durchgang bewachen sollte, ja.
Ja, daran habe ich auch gedacht.
Wir haben neulich ja so einen Post auf Instagram veröffentlicht,
wo wir nach Jobs gefragt haben, die Leute machen, die gefährlich sind.
Und diese Jobs sind ja so wichtig und eigentlich müsste es doch für sowas auch eine Gefahrenpauschale geben oder was.
Also dann als Polizist oder als Sicherheitsperson sich da immer diesen Verrückten auszusetzen,
die sich da Bier reinkippen und meinen, da irgendwie Krieg spielen zu müssen.
Ja, das hat Heiko Maas auch in seiner Rede nochmal betont,
dass Daniel ja quasi stellvertretend für alle Sicherheitskräfte steht,
die jeden Tag aus der Tür gehen und für die breite Bevölkerung für Sicherheit sorgen wollen.
Das ist deren Arbeit, das ist deren Aufgabe, das möchten sie machen.
Und dabei setzen sie sich dann so einer Gefahr aus.
Und da muss man sich mal vorstellen, das war bei einem Fußballspiel.
Also der Anlass war ein Fußballspiel und nicht der Anlass ist ein Terroranschlag oder irgendwas anderes.
In meinem Fall habe ich ja jetzt immer wieder das Wort Hooligan benutzt.
Und in meinem Aha soll es jetzt darum gehen, was Hooligans eigentlich ausmacht
und warum sich diese Art von Fans, sind ja keine richtigen Fans,
aber halt immer noch so hartnäckig hält.
Also bei Hooligans steht auf jeden Fall Fußball nicht im Vordergrund,
sondern eben Gewalt und oft auch eine politische Ideologie.
Der bekannteste Hooligan aus Deutschland war wohl Sigrid Borchardt, a.k.a. SS-Sigi.
Bevor der letztes Jahr gestorben ist, gehörte der nämlich zur Neonazi-Splitterpartei Die Rechten
und war eben auch Anführer der Dortmunder Hooligan-Gruppe Borussenfront.
Und ja auch im Fall von Daniel, das habe ich jetzt nicht mit in die Geschichte genommen,
weil ich jetzt nicht über jeden einzelnen Täter so einen Lebenslaufabriss machen wollte,
aber auch da hatten sich bei einigen der Verurteilten rechte Tendenzen gezeigt.
Und ich weiß nicht, ob ihr euch daran erinnert,
aber im Oktober 2014 gab es in Köln auch mal einen Vorfall der sogenannten Hugeser.
Das sind Hooligans gegen Salafisten.
So ein Netzwerk aus vor allem rechten Hooligans, die sich eben Salafisten entgegenstellen.
Und das wollten die in diesem Oktober 2014 bei einer Kundgebung auch machen.
Aber dieses Entgegenstellen, das artete dann in typischer Hooligan-Manier in Straßenschlachten aus.
Ende vom Lied, 49 Beamtinnen wurden verletzt, 330 Anzeigen gestellt und 141 Strafverfahren eingeleitet.
Es geht also oft um Gewalt im politischen Kontext.
Und an was erinnert uns das?
Du hast es eben schon gesagt, an Krieg.
In Lens hatten die deutschen Hooligans ja auch nicht ohne Grund, wir sind wieder einmarschiert gerufen.
Es ist nämlich schon so, dass die sogenannte dritte Halbzeit, also die Zeit für die Schlägereien zwischen den gegnerischen Hooligans, dass die einer richtigen Militäroperation gleicht.
Weil da sind halt zwei Gruppen, die sich auch zum Teil selber als Krieger bezeichnen.
Und die gehen dabei langsam und koordiniert aufeinander zu.
Manchmal 20, manchmal 50 pro Seite, aber halt auch immer ausgeglichen.
Und die ganz harten und starken Männer laufen vorne und halten die Deckung.
Harten und stark in Anführungszeichen, ne?
Ja.
Die sich so fühlen wahrscheinlich.
Und in den Reihen dahinter stehen die sogenannten Techniker.
Also da ist es koordiniert und offenbar gibt es einen Schlachtplan, wie bei Römischen Legion oder einem Gladiatorenkampf.
So beschreiben es zumindest zwei Hooligans gegenüber der SZ.
Karl Mollenhauer, Chefpsychologe der Berliner Polizei, spricht gegenüber der Erste Zeitung von archaischen Bedürfnissen und einer Aggressivität, die in diesen Männern tobt und raus will.
Außerdem gäbe es unter den Hooligans einen Wunsch nach einem starken Gemeinschaftserlebnis und halt danach einem Gegner Stärke zu beweisen.
Es geht also um das Wir-Gefühl, aber auch den gleichzeitigen Aggressionsabbau.
Ein aktiver Hooligan hat uns natürlich anonym erzählt, dass bei ihm aber der Kick an erster Stelle steht.
Er meinte, dass man es als außenstehende Person niemals begreifen könne, wie es ist, wenn man halt diesen Adrenalinkick noch nie hatte.
Hände schwitzen, Puls wird schneller und man weiß, gleich geht's los.
So hat er es uns gegenüber beschrieben.
Ein anderer Hooligan, der der Weiß ein Interview gegeben hat, der sagt auch, dass er es eigentlich gar nicht so geil findet, andere zu verletzen.
Aber, Zitat, Fäuste zu verteilen, sei der größte Kick, den er kennt.
Wow.
Ja, und Typen wie die kommen übrigens aus der Breite der Gesellschaft.
Also darunter finden sich Ärzte und Akademiker genauso wie Arbeitslose.
Frauen, sogenannte Hooli-Girls, sind aber noch selten in der Szene.
Das hört sich so harmlos an auch.
Ja, stimmt.
Sie dürfen auch nicht bei den Kämpfen mitmachen, so wie ich das recherchiert habe.
Naja, auf jeden Fall so ganz genaue Zahlen darüber, wie viele Hooligans es jetzt insgesamt in Deutschland gibt, haben wir nicht gefunden.
Es gibt Schätzungen der Bundeszentrale für politische Bildung.
Dort geht man von rund 7.000 aus.
Aktuellere Zahlen hat die zentrale Informationsstelle Sporteinsätze, die sich um die Sicherheit in Stadien kümmert.
Laut deren Jahresbericht gab es im Jahr 2019 mehr als 2.300 sogenannte Kategorie-C-Fans, also gewaltsuchende Fans in den Stadien der 1. und 2. Bundesliga.
Allerdings sind das nicht immer alles Hooligans.
Aber damit man mal so ein Gefühl hat über das Ausmaß der Hooligans, also in Anbetracht der Masse an Fans,
die es für die 1. und 2. Bundesliga in Deutschland gibt, ist das natürlich nur ein sehr kleiner Prozentsatz.
Und auch bei meinem Fall habe ich einige Namen geändert.
Das Jahr ist gerade zwei Monate alt und doch es ist ein bisschen wie Weihnachten.
Zumindest, wenn man an diesem 20. Februar 2019 Fan der Fußballmannschaft Schalke 04 ist.
Die blau-weiße Mannschaft aus dem Ruhrgebiet konnte in den letzten Jahren keine großen Erfolge feiern,
steht jetzt aber im Achtelfinale der Champions League.
Für mehr hat es bisher nur selten gereicht, aber heute könnten die Männer auf dem Feld ihre Fans endlich wieder stolz machen,
indem sie gegen Manchester City gewinnen.
Auch wenn das in der 18. Minute noch nicht danach aussieht.
Das Gelsenkirchener Stadion ist an diesem Tag blau.
Viele Fans auch.
Die Soundkulisse, eine Karkophonie aus Fangesang, Pöbeleien und dem Puffen zündender Bengalos.
Besonders die sogenannte Nordkurve legt vor.
Dort sitzen die ganz besonderen Fans, die Ultras.
Ihr Fantum reduziert sich nicht nur auf die Leistung der Mannschaft oder das neckische Fachsimpeln mit einem BVB-Fan.
Sie sind Fans, die weit mehr für ihren Verein tun würden als normale Fans.
Sie denken sich die aufwendigsten und spektakulärsten Choreografien aus.
Beispielsweise eine blau-weiße Illustration eines Schalker Bergmanns auf einem Stoffbanner,
der von tausenden Fans über deren Köpfen gehalten wird, sodass er sich über die ganze Tribüne zieht.
Dazu simple und inbrünstige Fangesänge, teilweise selbst gedichtet.
Jeder soll wissen, wer sie sind und wofür sie stehen.
Alles für die Mannschaft, alles für den Verein.
Schalke ist ihr Leben.
Bei frischen 5 Grad haben sich die meisten Fans in Wollmützen, Schals und Fleece-Jacken ihres Herzensvereins gekleidet.
Ein Rundumblick durch die Ränge der Arena auf Schalke legt eine königsblaue pulsierende Masse frei.
Nur eine kleine Ecke zwischen Südtribüne und Ostkurve leuchtet in einem helleren Blau.
Auch die Fans von Manchester City haben es sich nicht nehmen lassen, die fast 1000 Kilometer nach Gelsenkirchen zu reisen, um wiederum ihre Jungs anzufeuern.
Unter ihnen ist heute auch Phil.
Phil, kurze Haare mit Geheimratsecken und drei Tage Bart, ist durch und durch Manchester-Fan.
Das zieht sich auch durch seine Facebook-Timeline.
Der 31-Jährige ist extra mit seinen Eltern, seiner Schwester und Freundinnen der Familie aus England angereist, um laut und unmännlich rauszubrüllen, dass Manchester zu gewinnen hat.
Die eigentlichen Gästeblöcke W und V trennt eine Plexiglasscheibe von den Heimfans.
Doch Phil und Anhang feuern aus Block S1 heraus an, direkt neben den Gästeblöcken, wo sich Heimfans und Gästefans mischen.
Die fehlende Barriere ist der Risikoerwartung des heutigen Spiels geschuldet.
Und die ist im Gegensatz zu anderen Spielen heute laut Veranstalter und Sicherheitsbehörden nicht sonderlich hoch.
Daher mischt sich an einer Stelle in Block S1 das helle Manchester City Blau mit dem Schalker Königsblau.
Dort, wo die Grenze fließend zwischen hell und Königsblau verläuft, sitzt heute auch Björn neben seinen Freunden.
Seine Arme und das breite Kreuz stecken heute in einer schwarzen Jacke, die dunklen Haare unter einer Mütze.
Der 30-Jährige schenkt seiner Mannschaft, die sich unten am Feld wacker schlägt, aber wenig Aufmerksamkeit, dafür umso mehr den tosenden Manchester-Fans neben ihm.
Jörn gehört zu den Hugos.
Die Hugos sind benannt nach dem Gelsenkirchener Kohlebergwerk Zechehugo und stehen für Tradition und radikales Ausleben ihrer Werte und Normen, die nicht unbedingt mit denen der Gesellschaft übereinstimmen.
In Gelsenkirchen gibt es zwei große Ultragruppen, die Gelsenkirchener Ultras und die Hugos.
Im Gegensatz zu den Ultras sind die Hugos eine sogenannte Hultra-Gruppe.
Einige der Hugos sind bei den Ultras rausgeflogen, weil sie zu militant waren.
Zwar gibt es unter ihnen auch leidenschaftliche Fans, die viel für den Verein tun und die Stimmung im Stadion tragen, allerdings ebenso solche, die sich regelmäßig und straff organisiert zu Prügeleien treffen.
Und dazu gehörte in den vergangenen Jahren auch Björn oft.
Normalerweise richtet sich das Hass-Monopol der Hugos an eine ganz bestimmte Mannschaft.
Die regionalen Gegner.
Tod und Hass dem BVB.
So steht es auf vielen Straßenschildern, Hauswänden und Stromkästen gesprayt.
BVB-Anhänger sind hier heute allerdings nirgends zu finden.
Dafür aber ein nicht abgesicherter Gästeblock voller Manchester-Fans.
Wie ein lauer Jäger lässt Björn seinen Blick schweifen.
Die tosenden Manchester-Fans eine Horde hellblauer Schafe.
Das Bier, das gerade durch seinen Kreislauf läuft, dreht sein Überdruckventil Stück für Stück weiter auf.
Er sieht eine Masse potenzieller Rivalen.
Das 1-0 für Manchester wird in Minute 38 bereits ausgeglichen, was durch tosenden Beifall gewertschätzt wird.
In Minute 45 kurz vor der Halbzeit dann das ersehnte Tor, das Schalke in Führung schießt.
Björn und seine beiden Begleiter verfolgen das Spiel allerdings nur halbherzig.
Wichtiger ist, ihnen ihren Pegel zu halten, weshalb sie ihre Plätze immer wieder verlassen, um nachzutanken.
Bis sie in der Halbzeit ein erstes Spektakel beobachten können.
Im Stadionumlauf, also dem Ring um die Arena herum, wo sich zur Halbzeit vor allem Fans mit voller Blase und Würstchenappetit versammeln, entwickelt sich eine typische Pöbelei.
Mittendrin ist auch Phil, der eigentlich gerade für Bier ansteht, sich aber nicht nehmen lässt, da mitzumischen.
Schalker schubsen Manchester-Fans, Manchester-Fans bewerfen Schalker mit Bechern, OrdnerInnen mischen sich ein.
Es ist unangenehm, aber nicht bedrohlich.
Die Halbzeitpause ist vorbei, alle gehen wieder auf ihre Plätze und verfolgen weiter das Spiel.
Bis zur fünfundachtzigsten Minute kann Schalke die Führung halten, was fast jeden hier im Stadion überrascht.
Das Spiel geht in die entscheidende Schlussphase, dann der Ausgleich.
Obwohl hellblau allen Grund zum Feiern hat, hat Phil das Spiel auf dem Rasen auch schon aus dem Fokus verloren.
Allerdings nicht, weil etwas anderes seine Aufmerksamkeit beansprucht.
Vielmehr fällt es ihm nach seinem heftigen Alkoholkonsum überhaupt schwer, sich auf etwas zu konzentrieren.
Er, seine Schwester und sein Vater verfolgen das Spiel in den letzten Minuten schon gar nicht mehr von ihren Sitzen aus, sondern vom Umlauf.
Praktischerweise hängt auch im Umlauf ein Bildschirm, auf dem man das Spiel verfolgen kann.
Phil bewegt sich ein Stück weg von seinem Vater und seiner Schwester, schaut gebannt auf den Monitor.
Schließlich wird es gerade besonders spannend.
In der 90. Minute dann fällt das von den Manchester-Fans ersehnte Tor.
3 zu 2.
Alle glotzen auf den Bildschirm, der in Zeitlupe wiedergibt, wie sich die Engländer in Führung schossen.
Phil jubelt.
Alle seine Emotionen entladen sich Richtung Schalke-Fans.
Gehen deren Fanblock hält er beide Mittelfinger hoch.
Nicht wissen, dass er bereits im Visier einiger Schalke-Fans ist, brüllt er noch provozierend, als ein Schalke-Fan an ihm vorbeiläuft.
Wieder zum Monitor zugewandt, stellt sich Phil jetzt direkt hinter zwei weitere Schalke-Fans.
Hinter die Falschen.
Denn die beiden gehören zu Björn.
Einer von ihnen dreht sich um und mustert Phil von oben bis unten.
In diesem Moment betreten Björn und noch ein weiterer Freund den Umlauf.
Die beiden haben sich ihre Kapuze über die Köpfe geschoben.
Die Stimmung ist angespannt.
Die beiden nähern sich ihren Bekannten vor dem Monitor.
Während die Nachspielzeit läuft und das restliche Stadion gebannt auf den Rasen blickt,
haben Björn und seine Bekannten nur Augen für das, was um sie herum passiert.
Björn interessiert zwar das Spiel nicht, es ist aber immer noch sein Verein, der hier lächerlich gemacht wird.
Phil hingegen, trunken vor Glück über die Führung und Alkohol,
kriegt weder von Björn und seinen Bekannten etwas mit, noch davon, dass er ein bisschen runterschrauben sollte.
Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits 2,8 Promille und schiebt sich durch Björns Gruppe.
Einer von Björns Kumpels rempelt Phil mit Absicht an.
Danach gibt's Gepöbel unter den beiden Männern.
Wer da genau vor ihm steht, wer Björn und seine Freunde sind und vor allem, wozu sie fähig sind, weiß Phil nicht.
Er weiß nicht, mit welcher Kraft sie die Vereinsehre verteidigen können.
Noch während des Wortgefechts legt Phil den Rückwärtsgang ein und weicht wie ein Tier zurück in die Herde seiner Manchester-Fans.
Doch sein defensives Verhalten besänftigt Björn und seine Kumpels nicht.
Wie in einem Western werden nun nachdrücklich und mahnende Blicke geworfen.
Ein weiterer von ihnen zieht sich die Kapuze auf den Kopf.
Alles, was jetzt passiert, könnte die Aufmerksamkeit der wenige Meter entfernten szenekundigen PolizistInnen auf sich ziehen.
In Hooligan-Kreisen ist das Hochziehen der Kapuze oder etwa des Fanschals vor das Gesicht nicht nur Maßnahme zum Schutz vor Identifikation,
es ist auch das Zeichen, dass sich jetzt geprügelt werden soll.
Phil checkt das nicht. Sein Vater schon.
Weshalb der mahnt, den Zeigefinger in Richtung Björns Gruppe hebt.
Das war ein erhobener Finger zu viel.
Jetzt ist Phil's Vater im Visier.
Nur einen kurzen Moment lässt die Gruppe ihn außer Acht, um einen Blick Richtung Block S2 zu werfen.
Keine Sicherheitsleute.
Björn feuert Blicke und stumme Flüche.
Einer seiner Freunde kommentiert aus dem Off, die wollen Stress und gleich geht's los.
Danach setzt sich das Gespann in Bewegung.
Phil's Vater, der die Blicke in seine Richtung mitbekommt,
klatscht provozierend in die Hände.
Einer aus dem Gespann löst sich, tritt nach vorne und dann geht alles ganz schnell.
Die erste Faust trifft ihr Ziel.
Einer von Björns Freunden steht unvermittelt gegen den Kopf von Phil's Vater.
Er taumelt zurück.
Phil's Schwester, die eben noch hinter ihrem Vater stand,
schiebt sich an ihm vorbei, breitet die Arme aus, um zu schlichten.
Zwei Männer bäumen sich vor ihr auf.
Björn schiebt sich an ihnen vorbei, Richtung Phil.
Der Schlag gegen seinen Vater hat das Eis gebrochen.
Die Tür zur Brutalität steht jetzt weit offen.
Phil hatte das Geschehen bisher aus sicherer Distanz beobachtet und sich nicht weiter eingemischt.
Also steht er da, seine Hände in die Hosentaschen gesteckt.
Damit beschäftigt, dem Geschehen zu folgen und gerade so stehen zu bleiben.
Und so sieht er nicht, wie sich Björn von Links schnellen Schrittes nähert.
Björns Gesicht ist zur Faust geballt, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt.
Seine Grenze ist überschritten.
Ein Zurück gibt es nicht.
Dann löst er die Arme aus der Verschränkung, holt mit dem einen weit aus.
Seine Faust fliegt durch die Luft in Richtung Filzkinn.
Das Geräusch eines Schädels, der auf dem Boden aufschlägt,
splitternde Knochen oder das Zischen,
wenn ein bengalisches Feuer die oberste Hautschicht wegbrennt,
all die Dinge hat Björn schon lange nicht mehr gehört.
Obgleich sie lange Zeit lebenserfüllender Alltag waren.
Dabei hatte Björns Kindheit zunächst nach einer ganz normalen ausgesehen,
die nicht darauf stießen lässt, auf welche Abwege er mal geraten wird.
Seine Eltern, zwei bodenständige Bankkaufleute,
bieten Björn und seiner älteren Schwester ein gutbürgerliches Leben in Gelsenkirchen.
Bis ein Schicksalsschlag das harmonische Familienleben auf den Kopf stellt.
Björn ist gerade zwölf, da wird bei seiner Mutter Krebs diagnostiziert.
Seine schulischen Leistungen lassen nach.
Mit 14 verliert er seine Mutter dann.
Einige Zeit später trifft ihn schon der nächste Verlust.
Ein Freund begeht Suizid.
Für Björn bricht eine ganze Welt zusammen.
Ein normales Familienleben, Kicken auf dem Bolzplatz,
gesellige Ferien, Freizeiten und ein harmonisches Heim.
All das, was sein Leben vorher ausgemacht hat, gibt es von diesem Zeitpunkt an nicht mehr.
Halt findet er in einer Gruppe, die schnell zur Ersatzfamilie wird.
Den Hugos.
Die Hugos allerdings gehen im Gegensatz zu vielen anderen Ultras
hart und kompromisslos gegen gegnerische Fans vor.
Was hier zählt, ist das Recht des Stärkeren und das muss regelmäßig bewiesen werden.
Seine angestauten Aggressionen prügelt Björn sich von da an bei regelmäßigen Auseinandersetzungen von der Seele.
Um seine rationalen Gedanken beiseite zu schieben, nimmt er Drogen.
Mit 20 fasst jedes Wochenende Kokain, Speed und Ecstasy.
2009, da ist er 23 Jahre alt, fällt er das erste Mal bei der Polizei auf.
Einige aus den Hooligan- und Ultragruppen der verfeindeten Fanlager des BVB
stimmen zu, ein A-Jugendspiel dafür zu nutzen, um sich zu bekämpfen.
Normalerweise interessiert diese Art von Spiel fast niemanden.
Außer der A-Jugend selbst.
Die 22 teilweise minderjährigen jungen Männer sind sonst nur umgeben von Eltern, Geschwistern, Bekannten
und hier und da mal einen Sportjournalist oder eine Sportjournalistin der Tageszeitung.
An diesem 29. November 2009, sonntags um 11 Uhr morgens, sind außerdem noch 200 gewaltbereite junge Männer dabei,
die wie zwei ferngesteuerte Kriegsfronten aufeinander losgehen.
Als Wurfgeschosse dienen brennende Fackeln und zertrümmerte Betonplatten.
Björn ist ganz vorn dabei.
Belegend nimmt er in Kauf, dass Kinder und Familien verletzt werden.
Erst das Pfefferspray der Wachleute treibt die wilderne Meute in die Flucht.
Björn muss daraufhin 3000 Euro Strafe zahlen.
Zwei Jahre später, die nächste Anklage.
Björn wird mit zwei Päckchen Drogen in einer Disco erwischt.
Diesmal sind es 4500 Euro Strafe.
Zu diesem Zeitpunkt hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser.
Geldprobleme hat er aber nie.
Sein Großvater schenkte ihm schon mit 18 ein Aktiendepot, mit dem er die Strafen zahlt, die er mit Waffen und Fäusten verursacht.
Ein bekannter Hooligan vermittelt ihm dann 2013 einen Job, der mehr aus sich bietet.
Er soll helfen, eine Freizeitanlage auf die Beine zu stellen.
Die Gewaltexzesse finden weiterhin statt.
Auch seinen Körper füttert er weiterhin mit hochprozentigem Alkohol und Amphetamin.
Trotzdem beeindruckt er seine neuen Chefs so nachhaltig, dass sie ihm einen Ausbildungsplatz anbieten.
Björn hat an einigen Kämpfen teilgenommen, bei denen sein Kopf einige Schläge kassiert hat.
Geschadet hat es seinem Denkvermögen nicht.
Noch während der Ausbildung investiert er in das Unternehmen und ist von einem Tag auf den anderen mit 25% Selbstgesellschafter.
Von seiner Beteiligung kauft die Firma eine Lasertag-Anlage, die so viele BesucherInnen anzieht, dass das Unternehmen mittlerweile ein riesiger Indoor-Freizeitpark ist.
Björn schließt die Ausbildung 2016 erfolgreich ab und setzt seine Karriere als dritter Geschäftsführer fort.
Ein Jahr später verliebt er sich.
Er führt eine glückliche Beziehung, lebt der Arbeit wegen gesünder.
Alkohol gibt es nur noch zu den besonderen Anlässen.
Immer noch bis zum Umfallen, aber immerhin nicht mehr täglich.
Die Drogen redet seine Freundin ihm schließlich ganz aus.
All das nicht von jetzt auf gleich.
Es dauert, aber es klappt.
Mit seiner Freundin lebt er zusammen und die Geschäfte laufen gut.
Die Hugos sind immer noch seine Ersatzfamilie.
Sein Leben läuft jetzt wieder gut bürgerlich, in geregelten Bahnen und vor allem unauffällig.
Unauffällig heißt aber auch, dass nicht klar ist, ob sich Björn weiterhin bei Drittort-Auseinandersetzungen,
also irgendwo im Wald oder auf verlassenen Industriegeländen prügelt.
Die Polizei weiß davon zumindest nichts.
Vielleicht lässt er sich einfach nicht mehr erwischen.
Vielleicht nimmt er Abstand von illegalen Prügeleien.
Im Hobby lebt er die aber weiter aus.
Björn ist nämlich MMA-Kämpfer und das spiegelt sich auch in seinem Auftreten wieder.
Seine Statur zeigt, dass Ärger schmerzhaft enden könnte.
MMA, Mixed Martial Arts, ein Kampfsport, bei dem mit Vollkontakt und allen Kräften auf den Gegner eingeschlagen wird.
Gewalt und Brutalität sind Schlüsselwörter in der allgemeinen Kritik.
Der 20. Februar 2019 ist zwar kein Freitag oder Samstag.
Es ist ein Mittwoch und trotzdem hatte Björn heute beschlossen, sich die Festplatte zu löschen und sich ordentlich zu betanken.
Und obwohl er selbst stark alkoholisiert ist, scheint das seiner Treffsicherheit nichts abzutun.
Der Faustschlag sitzt.
Philts Kopf wird in die entgegengesetzte Richtung gedrückt und er wird sofort bewusstlos.
Er fällt.
Ungebremst trifft sein Kopf auf den Boden.
Der Beton tut sein Übriges.
Regungslos bleibt er liegen, Arme und Beine von sich gestreckt.
Neben dem Schauspiel kassiert Philts Vater, der ebenfalls noch auf dem Boden versucht voranzukrabbeln, noch einen Tritt.
Einer von Björns Freunden dreht sich ein letztes Mal um und schlägt auch Philts Schwester unvermittelt ins Gesicht.
Für die gewaltbereiten Schalke-Fans ist die Show vorbei.
Das Spiel hat ihre Mannschaft verloren, sie die Auseinandersetzung gewonnen.
Keines Blickes würdigt Björn dem, was er angerichtet hat.
Es ist kurz vor 23 Uhr, als die Männer in aller Ruhe das Stadion verlassen.
Sie nehmen sogar die Kapuzen ab, um kein Aufsehen zu erregen.
Während Philts Vater und seine Schwester, über deren Lippe das Blut rinnt, außer sich sind, weil Phil regungslos am Boden liegt,
gehen in den Messenger-Chats der Männer, die auf sie losgegangen sind, Nachrichten rum wie
»Gut umgeklatscht, die Affen«, »Boom, Boom« und »Schöner Punch« übrigens.
Am nächsten Morgen sind Radio und die Presse voll von Nachrichten über das Champions League-8-Finale vom Vortag.
Die Schlagzeilen berichten über Unglückliche und späte 2 zu 3 gegen Manchester City.
Das tue den sogenannten Königsblauen so richtig weh.
Die Niederlage der Mannschaft interessiert Björn nicht.
Es ist eine andere Meldung, die ihn stutzig macht.
Manchester-Fan in Lebensgefahr.
Am Rande des Champions League-Achtelfinales sei es zu einer folgenschweren Auseinandersetzung gekommen.
Ein Faustschlag verletzte einen Engländer so schwer,
dass er nun wegen eines massiven Schädel-Hirntraumas in akuter Lebensgefahr schwebe.
Eine Mordkommission ermittle bereits in dem Fall.
War er das gewesen?
22.50 Uhr im Umlauf vor dem Gäste-Fan-Blog S1 heißt es.
Björn weiß, das ist der Ort, an dem der Kopf seines Gegners am Vortag auf den harten türkisen Betonboden aufschlug.
Kein Zweifel, er ist der Täter, nach dem gesucht wird.
Björn weiß, was zu tun ist.
Er muss sich einen Strafverteidiger nehmen.
Er kontaktiert Wolfgang Herr.
Wolfgang Herr wird vielleicht einigen ein Begriff sein.
Zusammen mit seinen KollegInnen Sturm und Stahl übernahm Herr die Verteidigung von Beate Zschäpe.
Ein Anwalt, der beherrscht und besonnen über seine Fälle erzählt,
der aber mit Vorliebe medienwirksame und komplexe Prozesse übernimmt.
Der Rheinländer mit der runden Brille hat schon ganz andere Kaliber erfolgreich vertreten.
Ohne Umschweife macht sich Herr auf den Weg zu Björn.
Sie besprechen die Lage und fahren gegen Abend gemeinsam zum nächsten Polizeipräsidium.
Björn informiert die BeamtInnen darüber, dass er der Mann sei, den sie suchen.
Währenddessen liegt Phil im Koma.
Seine Familie bangt an seinem Bett.
Dort, wo ein gewöhnlicher betrunkener Fußballfan vielleicht eine Nase gebrochen oder die Lippe aufgerissen hätte,
hinterließ Kampfsport Labjörn ein regelrechtes Trümmerfeld aus Frakturen, inneren Blutungen und potenziell tödlichen Schäden.
Phil's ungebremster Sturz brach seinen Schädel.
Er hat eine Hirnblutung und Ödeme, muss notoperiert werden.
Die körperlichen Schäden sind so schwerwiegend, dass er zudem noch eine Lungenembolie bekommt.
Niemand weiß, ob er das Auswärtsspiel überleben wird.
Den BeamtInnen im Polizeipräsidium sitzt am 21. Februar 2019 ein verzweifelter und ängstlicher Björn gegenüber.
Mit zittriger und tränenerstickter Stimme berichtet er, wie er von Phil's Verletzung gehört hat,
dass ihm schlecht wurde und dass er niemals geplant hat, jemanden ernsthaft zu verletzen.
Björn kommt in Untersuchungshaft.
Ob ein kampfsporterfahrender Mann, der seit Jahren aktives Mitglied einer gewaltsuchenden Vereinigung ist,
nicht besser wissen müsste, was passiert, wenn er einen betrunkenen Mann gezielt K.O. schlägt,
wird die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Eine konkrete Anklage steht allerdings noch nicht fest.
Wie die letztlich aussehen wird, hängt davon ab, ob Phil den Schlag überleben wird.
Jeden Tag bangt Björn im Gefängnis um den Ausgang seiner Schlägerei.
Wird er am Ende für den Tod eines Menschen verantwortlich sein?
Am 6. März erhält Björn auf diese Frage eine Antwort.
Was ist passiert?
Sag's!
Phil ist aus dem Koma erwacht.
Ein Glück.
Die ÄrztInnen attestieren, dass er die Verletzung gut überstanden hat, wenn es auch knapp für ihn war.
Wahrscheinlich wird er sogar vollständig genesen.
Die Beschuldigung der Staatsanwaltschaft lautet nun versuchter Mord.
Die Begründung?
Als trainierter Kampfsportler hätte Björn wissen müssen, dass sein gezielter Schlag schwerwiegende Folgen haben muss.
Fünf Monate sitzt Björn in Untersuchungshaft, bis er entlassen wird.
Einmal in der Woche muss er sich bei der örtlichen Polizeistelle melden.
Aber Björn ist ambitioniert. Er belässt es nicht dabei.
Umgehend nimmt er an einem Anti-Aggressionstraining teil, in dem er ganz besonders seine emotionale und soziale Kompetenz und den Umgang mit Konfrontationen verbessern will.
Gleichwohl versucht er überall einen fernen Beauftragtenkontakt zu Phil aufzunehmen.
Er will sich unbedingt entschuldigen.
Er schafft es, bis zu Phil's Mutter durchzukommen, bittet sie um ein Treffen mit ihrem Sohn.
Er will nach England reisen und Phil persönlich die Hand reichen.
Sogar 10.000 Euro Entschädigung möchte er ihm aus freien Stücken zahlen.
Vergeblich.
All die Kontaktversuche werden von Phil und seinem Anwalt abgeblockt.
Björn schreibt einen Brief. Irgendwie muss er ihn schließlich erreichen.
Und tatsächlich.
Wochen später erhält er eine Antwort.
Phil will weder Geld noch Kontakt.
Er will endlich in Ruhe gelassen werden.
Es dauert mehr als drei Jahre, bis der Prozess vor der Strafkammer des Essener Landgerichts endlich stattfindet.
Aus Zeitmangel und wegen Corona mussten angesetzte Termine immer wieder verschoben werden.
Im Mai 2022 ist es dann soweit.
Björn ist der Hauptangeklagte.
Neben ihm auf der Anklagebank die drei Männer, die am Tag des Achtelfinales Phil's Vater und Schwester verletzt haben.
Die britische Familie hingegen ist nicht gekommen.
Phil möchte möglichst nichts mehr mit dem Vorfall zu tun haben.
Er und seine Familie schicken einen Nebenklagevertreter.
Sie sind nicht mal auf die Aufforderung des Gerichts eingegangen,
zumindest per Videoscheite befragt zu werden,
was deutlich zur Aufklärung hätte beitragen können.
Gleich zu Beginn wendet sich der Vorsitzende an Björn.
Sie haben großen Einfluss darauf, wie dieses Verfahren läuft.
Für den mittlerweile 33-Jährigen fordert die Staatsanwaltschaft drei Jahre Freiheitsentzug.
Aus dem versuchten Mord ist mittlerweile gefährliche Körperverletzung geworden.
Auch, weil jetzt im Raum steht, ob Phil und vor allem sein Vater die Auseinandersetzungen nicht provoziert hätten.
Um darüber Klarheit zu bekommen, werden Videoaufnahmen des Spieltags aus dem Stadion gezeigt.
Darauf zu sehen ist Phil's Vater, wie er nicht nur vor dem ersten Schlag in die Hände klatscht,
sondern sich auch selbst die Kapuze hochzieht.
Auch Phil schiebt sich auf den Aufnahmen seine Jacke bis über die Nase,
zieht sie allerdings gleich danach wieder runter.
Ein Zeuge, der vor Ort als zähnekundiger Beamter arbeitete,
stuft das Verhalten von Phil und seinem Vater rückblickend als provokant ein.
Strafverteidiger Herr verteidigt Björns Verhalten damit,
dass er davon ausging, dass die Engländer an einer einvernehmlichen Auseinandersetzung interessiert waren
und dass er sich spontan zu der Tat habe hinreißen lassen.
Gegen das Spontan spricht, dass auf der Videoaufnahme zu sehen ist,
wie Björn und seine Kumpels die Köpfe zusammenstecken.
Das Gericht wertet das als gemeinschaftlichen Tatentschluss.
Daraufhin hat erst Björns Kumpel Phil's Vater,
danach Björn Phil und danach ein weiterer Phil's Schwester umgehauen.
Der Kumpel, der Phil's Schwester schlug, wird vor Gericht von Burkhard Benicken vertreten.
Wenn man regelmäßig die Bild-Zeitung liest, kommt man um diesen Namen nicht herum.
Star-Strafverteidiger und Advokat des Bösen sind einige wenige reißerische Beschreibungen des Anwalts,
der gerne damit hausiert, wie er eindeutig schuldige und brutale TäterInnen vor der Haft bewahrt.
Ein Mann, der selbst gern Worte wie Verhör statt Vernehmung nutzt
und damit an die ungleichen Prozessbedingungen aus DDR-Zeiten erinnert.
Er schämt sich sehr für die Ohrfeige, die er der Frau gegeben hat,
sagt Benicken über seinen Mandanten vor Gericht.
Was Björn vor Gericht zur Last gelegt wird,
ist, dass er und seine Aggressionsbereitschaft schon vorher polizeilich bekannt waren.
Björn ist bereits vorbestraft und damit polizeilich als Gewalttäter Sport eingestuft.
Außerdem gilt er als Fan der Kategorie C.
Zu der Gruppe zählen Fans, die nicht nur gewaltbereit sind,
sondern, wie du ja vorhin auch schon gesagt hast, Gewalt auch noch aktiv suchen.
Das ist die eine Seite von Björn.
Aber er hat auch noch eine andere.
Über die Menschen im Ruhrgebiet sagt man, sie seien hart, aber herzlich.
Björn ist ein Ruhrpott-Urgestein.
Seine Härte zeigt sich auf dem Spielfeld,
seine Herzlichkeit in karikativen Aktionen seiner Firma.
Diese sind in Gelsenkirchen allseits bekannt.
Seit mittlerweile zehn Jahren stemmt er eine gemeinnützige Spendenaktion
für die Caritas in Gelsenkirchen.
Es ist eine Herzensangelegenheit, Verantwortung für die Schwächsten der Gesellschaft zu übernehmen
und ihnen zu helfen, sagt er in einem Statement auf der Webseite der Caritas.
Das Gericht ist der Ansicht, dass Björn die Konsequenzen des Sturzes gar nicht im Blick hatte.
Also das Film mit seinen 2,8 Promille und seiner Unterlegenheit, er war nämlich kein professioneller Kämpfer,
nach so einem Schlag dermaßen auf den Kopf fällt und dieser bricht, wäre Björn laut Urteil nicht bewusst gewesen.
Außerdem wird ihm zugute gehalten, dass seine letzte Verurteilung schon sieben Jahre her ist
und er beruflich und sozial verankert ist.
Auch sein Verhalten nach der Tat überzeugt die Kammer.
Er hat sich umgehend gestellt und vollständig gestanden.
Außerdem hat er mehrere Versuche unternommen, sich bei Phil zu entschuldigen.
Im Prozess sichert Björn Phil eine Entschädigung von 35.000 Euro zu, die Phil später auch annimmt.
Das Gericht wettet das im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs strafmildernd.
Björns letzte Worte klingen aufrichtig.
Ich hätte mich gerne bei ihm persönlich entschuldigt, sagt der 33-Jährige.
Das Urteil lautet zwei Jahre auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung.
Die Chance, dass er wieder straffällig wird, ist geringer als die, dass er sein Leben weiterhin im Griff hat, findet der Richter.
Die beiden anderen Schläger bekommen Bewährungsstrafen, jeweils sechs und acht Monate.
Der dritte Mann im Bunde wird wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt.
Phil hatte sich nach der Tat nur einmal auf Facebook geäußert.
Ich habe Klammern am Hinterkopf, mein Kiefer neu verdrahtet und einen Zahn verloren, schreibt er damals und bedankt sich für den Support bei anderen Manchester City-Fans.
Weiter schreibt er, dass er gerade nochmal lernen muss, Treppen hinauf und hinunter zu gehen und als Teil seiner Therapie Tee und Toast zu bereiten muss.
An den eigentlichen Vorfall erinnere er sich nicht.
Seine Genesung dauert zwar etwas, aber schließlich gewinnt Phil den Kampf ins Leben zurück.
Ähnlich erfolgreich wie sein Verein, der Schalke im Rückspiel mit 7 zu 0 ordentlich den Hintern aufriss.
Also weiß ich ja nicht, wenn man jemanden, also wenn man überhaupt so ein Mixed Martial Arts Kämpfer ist, dann würde ich schon mal behaupten, dass man weiß, wie seine Pflege auf jemanden, der kein Mixed Martial Arts Kämpfer ist, einwirken können.
Und wenn der Phil, weißt du, wenn er zurückfällt und direkt auf den Kopf fällt, auf den Schädel drauf fällt und zwar so, dass der bricht, ne?
Dann würde ich mal behaupten, dass dieser Schlag auch mit solch einer krassen Wucht ausgeführt wurde.
Weil wenn er quasi zuschlägt und mit nicht so einer dollen Wucht, dann ist es ja auch oft so, dass man erstmal auf dem Poppes landet oder ein bisschen noch auf dem Oberkörper.
Weißt du, was ich meine? Also von meiner eigenen Schädelbruch-Erfahrung weiß ich nämlich auch, mit was für einer Wucht das passieren muss.
Sag nochmal, wie es bei dir passiert ist.
Ähnlich dramatisch.
Es war diesmal nicht Courtney Bauer.
Nee, ich war einfach als Kind auf der Küchenarbeitsoberfläche gehockt und hab da halt einfach gehockt und gespielt.
Und dann bin ich rückwärts mit dem Kopf erst, äh, mit dem Kopf auf den Boden geknallt.
Und dabei hab ich eine Schädelfraktur bekommen.
Da bin ich dann auch direkt auf den Kopf.
Sechs oder fünf oder so.
Ja.
Ich lag aber nicht im Koma.
Also das war jetzt auch nicht so schlimm wie bei Phil, ne?
Aber, weißt du, also ich, ja, ich weiß nicht.
Natürlich kann ich das jetzt nicht so gut einschätzen, aber ich denke mir so, wie viel zwei Jahre auf Bewährung, ne?
Ja.
Ja, also gut, er war fünf Monate in Untersuchungshaft, aber er war auch vorbestraft.
Ich weiß nicht, was ich von diesem Urteil halten soll.
Also ich denke, man muss auch beachten, auch wenn das natürlich keine Entschuldigung für irgendwas ist, aber dass sowohl Phil als auch Björn beide hackedicht waren.
Mhm.
Und zwar so, dass zumindest Phil fast gar nichts mehr mitgerissen hat.
Und ich denke, in diesem Fall habe ich ein bisschen Verständnis für das Urteil, weil ich nach dem, was ich von dem Björn gelesen habe, wirklich das Gefühl habe, dass es ihm sehr, sehr leid tut.
Und das rechtfertigt ja dann noch nicht so eine geringe Strafe, ne?
Aber ich glaube auch wirklich, der ist damit jetzt durch.
Also der war ja schon vorher jahrelang unauffällig.
Der ist halt mal auf eine schiefe Bahn und dann, ja, es gab Vorstrafen, aber jetzt auch nicht Vorstrafen, die auf ein ähnliches Kaliber wie dem hier hätten schließen lassen.
Und man muss ja auch einfach mal sagen, der Vater, so wie ich das im Urteil gelesen habe, also der war auch ein bisschen auf Randale aus, ja.
Ja.
Deswegen rechtfertigt das jetzt nicht, aber es war auch nicht, dass die jetzt einfach irgendwelche Leute umgenietet haben.
Das muss man ihm ja wirklich zugute halten, diese ganzen Entschuldigungsversuche und die Entschuldigung, weil das kennen wir aus anderen Fällen eben ganz anders.
Und auch aus meinem Fall, von Daniel Nivell, da haben sich halt auch nicht alle entschuldigt und das hat ziemlich lange gedauert und auch nicht, weißt du, wäre denen das gar nicht so nachgewiesen worden mit Fotos und bla bla bla.
Weißt du, bei deinem, bei Björn, der hat sich ja schon vor Verurteilung, wollte er sich ja schon entschuldigen.
Er war geständig und so.
Und bezüglich dieser Entschuldigung, manchmal hat man ja, Courtney Bauer hat sich ja bei dir auch entschuldigt, hattest du ja auch nicht das Gefühl, dass das ehrlich gemeint war.
War das.
Aber der Björn hat ja ganz oft versucht, den Film zu kontaktieren und hat sich selber diese Wege gesucht, wie er an ihn rankommen könnte.
Ja, das finde ich auch, das ist gut, dass das Gericht sowas auch berücksichtigt.
Im Gegensatz zu den Tätern aus deinem Fall war mir jetzt hier nicht so richtig klar, ob Björn jetzt eigentlich ein Hooligan oder ein Ultra war.
Also er hat sich zwar in der Ultraszene bewegt, allerdings war er ja voll gewaltbereit.
Und gerade das wollen ganz viele aus der Ultraszene gar nicht in ihren Reihen haben.
Und die Gruppierung der Hugos, zu den Björn gehörte, die bezeichnen sich ja auch selber als Hultras, also als eine Art Mischform von Hooligans und Ultras.
Und tatsächlich gibt es da manchmal Überschneidungen.
Es kommt zum Beispiel vor, dass Mitglieder der Ultraszene bei den Hooligans mitkämpfen dürfen.
Grundsätzlich muss man aber beides eher unterschiedlich definieren, hat uns auch ein Fanbeauftragter im Interview gesagt.
Ultras sind Fangruppen, deren Leidenschaft weit über das normale Fan-Dasein hinausgeht.
Die sind vor allem oft im Stadion.
Und hier spielt bei manchen Gruppierungen natürlich auch Gewalt eine Rolle, aber in dieser Gruppe sind es die positiven Effekte, die überwiegen.
Das hat uns jemand vom BVB erzählt.
Also die Ultras, die tragen die Stimmung im Stadion und die kümmern sich um diese Choreografien.
Und auch der soziale Aspekt wird da großgeschrieben.
Also man hilft sich da nicht nur untereinander, indem man Jobs vermittelt, Geldprobleme löst und gebrochene Herzen irgendwie versucht zu heilen.
Bei den Ultras, da werden auch anderen geholfen.
Auf der Seite Faszination Fankurve findet man eine ganz lange Liste von Spendenaktionen vieler deutscher Ultragruppen.
Und das geht von Obdachlosenhilfe über Unterstützung für Pflegekräfte und Inklusionsarbeit.
Björn aus meinem Fall wurde aber wegen seiner Prügeleien und der öffentlichen Gewaltexzesse von der Presse halt eher in diese Ecke der Hooligans gesteckt.
Wobei man auch nicht weiß, ob sich da jedes Blatt vorher informiert, was eigentlich was ist.
Nach meiner Recherche hatte ich auf jeden Fall deutlich das Gefühl, dass die Ultras in der Regel fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und halt auch gute Werte und Normen vertreten wollen.
Und auch gegen Rechtsruck wird einiges gemacht.
Zwei Beispiele, die sogar die gesamte Vereinskultur verändert haben, hat uns der BVB gegeben.
Die haben uns nämlich erzählt, die wollten hier nicht namentlich in Erscheinung treten, deswegen sagen wir immer der BVB, ja.
Aber es war jemand vom Verein.
Also die haben uns erzählt, dass viele immer denken, dass St. Pauli schon immer links gewesen sei.
Aber das stimmt so gar nicht.
Die hatten eine extrem rechte Althool-Szene, die halt in den 80er und 90er Jahren sehr präsent war.
Aber irgendwann mit der Gründung von so Ultragruppen haben die dann geschafft, diese Althools aus dem Stadion zu drängen und den Club komplett in seinem Image nach außen hin zu verändern.
Und in München ist es auch ähnlich gelaufen.
Also es gab lange eine gewalttätige rechte Szene und die wurden dann auch von den Ultras aus dem Stadion gedrängt.
Es ist aber tatsächlich so, auch wenn bei den Ultras auf jeden Fall der Fußball im Vordergrund steht, kommt das natürlich auch in diesen Gruppen immer mal wieder zu Schlägereien oder Auseinandersetzungen in den Stadien.
Und die Vereine an sich, die finden solche Aktionen von Ultras natürlich problematisch und auch alles, was gewaltsuchende Hooligans angeht, wenn es in ihrem Stadion passiert.
Aber sehr weit geht ihre Handhabe ja nicht.
Der Verein ist ja nicht die Polizei.
Aber man versucht schon, solche Fans mit Sanktionen zu bestrafen.
Also beispielsweise mit dem Entzug der Mitgliedschaft oder Stadionverbot.
Was ja so richtige Hardcore-Hooligans auch nicht immer trifft, weil diese sogenannten dritten Halbzeiten, die finden ja halt auch nicht im Stadion statt.
Genau.
Also was die mehr trifft, ist dann, wenn so ganze Gruppen vom Verein verboten werden.
Aber wenn sowas bevorsteht, dann merken die Hooligans das relativ schnell.
Also bevor sie dann gar nicht mehr ins Stadion dürfen oder halt ganze Gruppen verboten werden, lösen die sich meist pro forma halt schon von alleine auf.
Die Dortmunder Hooligan-Gruppe 0231 Riots, die immer wieder mit gewalttätigen Aktionen auffiel, machte das zum Beispiel 2017, bevor man die irgendwie verbieten konnte.
Die führenden Mitglieder gingen dann aber einfach zu den Northside-Hooligans über, also eine andere Gruppe.
Markus Bierzer, Fernbeauftragter des Vereins Rot-Weiß-Essen, hat uns noch erzählt, dass er speziell Stadionverbote eher schwierig findet.
Solange man die Leute ins Stadion lässt, sagt er, könnte man sie halt ja dann zumindest in der Zeit vom Spiel kontrollieren.
Der Druck der Öffentlichkeit und auch Kameraüberwachung in den Stadien verhindere in der Regel auch schlimmere Ausschreitungen.
Aber alles, was außerhalb passiert, sei unter dem Radar der Vereine und oft auch dem der Polizei.
Aber wie wir ja jetzt auch durch deinen Fall und die Zahlen vom Anfang wissen, kommt es ja auch im Stadion zu Gewalt.
Egal, ob Kameraüberwachung oder Sicherheitspersonal da ist und egal, ob jetzt unter Hooligans, Ultras oder auch ganz normalen Fans.
Und um dagegen vorzugehen, haben die meisten Vereine verschiedene Maßnahmen eingeführt.
Zum Beispiel das Projekt Panama.
Und wo geht es jetzt nach Panama?
Also wenn wir beide jetzt im Dortmunder Westfalenstadion wären, ich eine Sicherheitsmitarbeiterin und du eine Stadionbesucherin, die mich das fragt, dann würde ich dich jetzt zu einem Raum bringen, einem Safe Space, der von psychosozialen NotfallversorgerInnen des DRK betreut wird.
Panama ist nämlich ein Hilfsangebot des BVB für alle StadionbesucherInnen, die sich irgendwie unsicher fühlen oder auch zum Beispiel sexuell belästigt werden.
Und sexualisierte Gewalt ist tatsächlich ein Thema, das zumindest offiziell im Fußball gar keine Rolle spielt.
Also in dem Jahresbericht Fußball für die Saison 18, 19 gibt es dazu zum Beispiel gar keine Zahlen.
Und auch auf konkrete Anfrage bei der zentralen Informationsstelle Sporteinsätze hat man uns gesagt, dass dazu keine Zahlen vorliegen.
Heißt aber natürlich nicht, dass das im Kontext Fußball nicht stattfindet, also Stichwort Dunkelfeld.
Wir sind bei der Recherche zum Beispiel auf Lena gestoßen.
Die hat der Deutschen Welle erzählt, dass sie innerhalb ihres bekannten Kreises keine einzige Frau kennt, die nicht auch schon mal bei Fußballspielen belästigt wurde.
Auch Antje Grabenhorst, sie ist Mitglied des Netzwerks gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt.
Sie sagt, dass man sich eigentlich immer auf die allgemeine deutsche Statistik berufen sollte.
Und die besagt ja, dass ungefähr jede dritte Frau in ihrem Leben einmal Opfer sexualisierter Gewalt wird.
Ja und innerhalb des Fußballkontexts kann sich diese Form von Gewalt ganz unterschiedlich äußern.
Also das können so eklige Banner sein, wie das von Dynamo Dresden-Fans 2018 auf dem Stand.
Zitat, ihr müsst heute Abend hungern, weil eure Fotzen mit euch im Block rumlungern.
Wow.
Ja, aber das können natürlich auch irgendwelche Grabsch-Attacken auf den Tribünen sein oder besoffene Anmachsprüche oder natürlich schlimmstenfalls Vergewaltigung.
So wie im April 2018, Triggerwarnung, da ist ein Sonderzug der Borussia Mönchengladbach vom Auswärtsspiel in München zurück nach Hause gefahren.
Und der Zug ist mit 750 InsassInnen komplett voll, genau wie die InsassInnen selbst.
Plötzlich bleibt der Zug dann außerplanmäßig in einer Kleinstadt stehen, weil eine 19-jährige Frau zitternd vor der Zugtoilette steht und sagt, sie sei vergewaltigt worden.
Der mutmaßliche Täter wird dann festgenommen, vor Gericht wird dann aber festgehalten, dass beide alkoholisiert waren, wobei die Frau explizit viel getrunken haben soll.
Ja, und einen kurzen Rock hatte sie wahrscheinlich auch noch an.
Also das ist auf jeden Fall selbe Argumentation.
Weil der Typ an dem Tag auch noch männlichen Fußballfan schwer verletzt hatte, wird er am Ende wegen Vergewaltigung an der 19-Jährigen und schwerer Körperverletzung an dieser anderen Person zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt.
Der ging aber in Revision und wird dann letztendlich wegen der Vergewaltigung auch noch freigesprochen, es sei nicht offensichtlich gewesen, dass die Frau keinen Sex mit ihm haben wollte.
Befand dann das Gericht.
Ja, bei solchen Verfahren, wo Aussage gegen Aussage steht, wissen wir ja mittlerweile, ist eine Verurteilung gar nicht so einfach, leider.
Aber nicht nur Frauen sind im Fußball eine marginalisierte Gruppe.
Wenn wir mal kurz die Perspektive wechseln und von den Rängen aufs Spielfeld gehen, da sieht man, auch SchiedsrichterInnen sind oft besonders harter Gewalt ausgesetzt.
Am Ende sind sie es ja auch irgendwie die, die die Entscheidungsgewalt über Sieg und Niederlage im Fußball haben.
Und da gibt es natürlich den ein oder anderen Problem-Fan, der damit nicht glücklich ist und das auch zeigt.
So, und unter anderem wegen solcher Fans kam es übrigens zum allerersten Geisterspiel ever in Deutschland.
Also ein Fußballspiel komplett ohne Publikum.
Und zwar hatten da 1985 Fans einen Schiri von oben bis unten angeschüttet.
Das ist einfach sau ekelhaft, oder?
Ich finde es auch gar nicht so lustig.
Aber ich stelle mir nur diese Situation vor, dass sich da so Leute drum um einen Menschen versammeln und dann sich wie so Lamas eben verhalten und den alle anspucken.
Ja, aber auch, also ich meine, jemanden ins Gesicht zu spucken oder anzuspucken ist generell, finde ich, also das ist so herabwürdigend.
Und wenn, stell dir mal vor, das machen irgendwie 100 Leute mit dir.
Sau ekelhaft und schlimm.
Ja, beides.
Ich kenne von meinen Stadienbesuchen immer nur diese Gesänge gegen die Schiris.
Also, ne.
Schiri, wir wissen, wo dein Auto stand.
Voll getankt.
Hat gut gebrannt.
Ja, auch das würde ich als Schiri nicht lustig finden.
Ne, also wenn die Gewaltbereitschaft da schon in Gesängen signalisiert wird.
Ne.
Ja.
Vor allem, weil sowas ja auch zu deren Alltag gehört, ne.
Also, so Beleidigungen und Gewaltandrohungen, ganz schlimm finde ich das.
Vor allem, weil die ja eben halt auch manchmal wahrgemacht werden.
Also, 2020 wurde ein niederländischer Schiri bei einem Amateurspiel nach Abfiff von Spielern so stark verprügelt,
dass er wegen schweren Hirnverletzungen wenig später im Krankenhaus verstorben ist.
Sein Sohn war übrigens Spieler an diesem Tag und musste dann das Drama aus nächster Nähe mit ansehen.
Und ich glaube, dass die dann wahrscheinlich auch noch dachten, ja, dann bevorzugt der jetzt seinen Sohn oder so ein Quatsch.
Ja.
Und so Vorfälle haben natürlich auch Konsequenzen für den Sport an sich, ne.
Also, es wird tatsächlich immer schwieriger, Spiele mit Schiedsrichtern zu besetzen, weil halt immer weniger Bock haben.
Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich die Zahl bereitwilliger Schiris fast halbiert.
Lukas Gewiss ist Schiedsrichter und berichtet in einem Interview davon, dass Vereine halt oft keine Konsequenzen ziehen, wenn Schiris angegriffen werden.
Und dann ist das natürlich auch kein Wunder, dass es immer weniger werden.
Also, das finde ich auch komplett absurd.
Ja.
Das ist aber tatsächlich was, was vorwiegend im Amateurfußball stattfindet, weil die halt kaum Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Also, nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt.
Ja, das hat sich zum Beispiel auch in Brasilien gezeigt.
Da hat 2013 ein Schiedsrichter einem Spieler die rote Karte gegeben.
Der Spieler hat daraufhin mit Schlägen und Tritten gegen den Schiri reagiert.
Und dann hat der Schiri ein Messer gezogen und dem Spieler einfach zweimal ins Herz gestochen.
Daraufhin sind dann die Fans aufs Spielfeld gerannt und haben den Schiri, ja, wie soll ich das jetzt sagen?
Die haben den enthauptet und seinen Kopf auf einen Stock gepickt.
Ich glaube das nicht.
Und in die Mittellinie gerammt.
Das ist so.
Also.
Das ist ja wie ein Horrorfilm.
Das war 2013, ja.
Ja.
Und 2014 war ja die WM in Brasilien.
Da hat man sich dann ja mal fragen können, ob das überhaupt sicher genug ist eigentlich, ne?
Ja.
Die Antwort kennen wir ja.
Du meinst, um das jetzt auf, on a lighter note zu beenden hier.
Ja.
Meine Lieblingsballsportart, ja, absolut, weil ich ja gar keinen Fußball kann, ist es jetzt neuerdings Paddle.
Ah ja.
Das möchte ich ja auch mal unbedingt machen, aber das machen wir ja zusammen in Italien.
Ja.
Wir bringen dir das bei.
Also wird dann ja wahrscheinlich deine auch Ballpaddle-Tennis sein.
Oder hast du noch eine andere Lieblingsballsportart?
Ja, Völkerball.
Oh, das habe ich auch geliebt.
Das finde ich ganz toll.
Und jetzt fällt mir gerade ein, meine letzte Erfahrung mit Völkerball war allerdings nicht so geil.
Ich habe das nämlich ja nochmal als Erwachsene gespielt.
Und zwar im Fernsehprogramm.
Und zwar war ich, das war richtig unangenehm, da war ich vom Frühstücksfernsehen beim großen Promi-Völkerball-Turnier.
Promi in Anführungsstrichen.
Und das Frühstücksfernsehen hatte da eben auch ein Team gestellt und da war ich drin.
Und es gab dann auch so Trainings vorher mit Evil Jared und so.
Das ist nur witzig.
Und das Geile ist, ich war so motiviert.
Ich war so dabei.
Und dann war ich so, ich möchte meine Leistung jetzt hier natürlich im Abendprogramm am Wochenende oder wann auch immer das war, im Fernsehen präsentieren.
Und dann spielen wir gegen die Bachelor-Mannschaft.
In dieser Bachelor-Mannschaft waren dann alle Bachelor, die bisher bei Bachelor mitgemacht haben oder was?
Also Bachelor und die Bachelösen.
Also nicht nur Männer.
Okay.
Dann ist das ja fairer.
Ja.
Auf jeden Fall hat mir Paul Janke dann diesen Völkerball so mit voller Wucht in die Fresse gedonnert, dass ich wirklich, also kennst du das, wenn du merkst, dass dir das Blut sozusagen in die Nase, weißt du, dass du, das ist so ein ganz komisches Gefühl, wenn, also wie bei Courtney Bauer, weißt du ja, wie sich das anfühlt, wenn man was so doll auf die Nase kriegt.
Und das war so doll, dass ich wirklich dachte, meine Nase ist gebrochen.
Also, und vor allem, ich stand dann da total benebelt und musste dann ja noch runter vom Spielfeld, hab mich dann auf die Treppe gesetzt und da war dann eine von der, also eine Bachelorette, die da schon ausgeschieden war.
Und wir haben uns dann kurz unterhalten und dann hab ich zu ihr gesagt, ich kämpfe gerade damit, nicht anzufangen zu heulen einfach, ja, weil es so schlimm war.
Und ich wollte natürlich auch nicht, dass mir das jemand ansieht, aber ich hab überall gezittert.
Boah.
Das war einfach richtig scheiße.
Und dann hat mir irgendein Redakteur, hat mir dann nachher so ein Eis, Eisding.
Eispack.
Eispack auf die Nase gegeben.
Und dann kam natürlich Paul Janke irgendwann an mit, wie könnte es auch anders sein, einer Rose auf der Klappe.
Nein, nein, das ist ja ein Witz.
Du hättest den verklagen müssen, weil am Ende waren es wahrscheinlich dieselben Schmerzen, die ich hatte, nachdem Courtney Bauer mir einringt.
Also, das weiß ich tatsächlich gar nicht.
Wie das denn bei einem Ballspurt, das glaube ich nicht, dass ich das hätte machen können.
Also, wenn du dir die Nase gebrochen, wenn der dir die Nase damit gebrochen hätte, ja.
Hä, bei einem Ballspurt, wo es darum geht, dass man auf den ganzen Körper zielt?
Nee, man zielt sicher nicht auf den Kopf.
Ja, vielleicht hat das ja nicht mit Absicht gemacht.
Also, ich bezweifle, dass man beim Hockey oder so, wenn ich jemanden mit dem Auto überfahre, mache ich das auch nicht mit Absicht.
Okay.
Muss ich trotzdem zahlen.
Okay, also gehen wir davon aus, er hat es nicht mit Absicht gemacht, ja.
Könnte ich Paul Janke dann trotzdem noch verklagen?
Wir möchten eine Antwort von den JuristInnen unter euch haben.
Nur theoretisch wollen wir das wissen.
Ja.