00:00:08
Ehrlich jetzt, wie fandest du den Urlaub mit meiner Familie?
00:00:15
Überragend, toll, aber auch überragend im Sinne von unerholsam.
00:00:21
Ja, genau so ging es mir auch.
00:00:26
Also mir hängt es wirklich noch immer in den Knochen.
00:00:30
Ich bin noch immer müde, weil in dem Zimmer, in dem ich geschlafen habe, lauter Holzwürmer waren und Skorpione.
00:00:37
Ich habe noch nicht den Schlaf aufholen können, der mir gefehlt hat, weil wir bis um halb vier Karten gespielt haben.
00:00:44
Und ich glaube, meine Stimme ist auch so ein bisschen noch angeschlagen, weil ich mit Lauras Bruder Julian bis spät in die Nacht unserem gemeinsamen Hobby nachgegangen bin.
00:00:53
Was daraus besteht, ganz laut zu Musik mitzusingen.
00:00:57
Aber ich würde es jederzeit wieder tun.
00:01:01
Ja, es war jetzt tatsächlich eher so der Lorette-Mars-Urlaub, wie die Deutschen es sagen würden, als ein Wellness-Urlaub.
00:01:11
Aber eigentlich hätten wir uns das ja schon von Anfang an denken können, weil es läuft ja eigentlich jedes Mal so ab, wenn wir in München-Gladbach sind.
00:01:18
Nee, aber da sind wir nie so lange wach. Und ich habe mich wirklich gefragt, woran lag das? Woran lag es denn jetzt, dass das so war?
00:01:26
Ja, an meinen Familienmitgliedern natürlich, die einen schlechten Einfluss auf dich haben. Ich bin halt aber auch sehr schwach. Ich habe keinen Rückgrat, wenn es um Wein trinken und Karten spielen geht.
00:01:40
Weil wenn wir alleine sind, machen wir das auch nicht. Da gehen wir auch früh ins Bett.
00:01:44
Wir beide jetzt?
00:01:45
Ja, wir beide, genau, haben eine andere Art von Urlaub.
00:01:49
Aber dein Mann meinte ja, als ich weg war, da wart ihr dann nicht so lange wach am nächsten Tag. Und da habe ich mich ganz schlimm gefühlt.
00:01:57
Bin ich das Zugpferd der Versuchung?
00:01:59
Nein, nein, nein, nein, der wollte dich nur ärgern, wie er das auch im Urlaub die ganze Zeit gemacht hat.
00:02:05
Außer beim Schwimmen, also beim Kartenspiel, da muss ich nämlich leider sagen, hat dein Mann kein einziges Mal gewonnen gegen mich.
00:02:13
Stimmt, du bist die Schwimmqueen.
00:02:15
Es kann ja auch gar nicht wirklich an mir liegen, weil, wie du schon gesagt hast, wenn wir beide zusammen sind, dann sind wir ja nicht so.
00:02:21
Also haben wir offenbar eine andere Dynamik und darüber bin ich sehr froh, denn wir planen ja im Oktober auch nochmal längere Zeit zu verreisen.
00:02:30
Genau, und da bin ich mir ganz sicher, dieser Urlaub wird anders verlaufen.
00:02:34
Also vielleicht mal für euch, es hört sich vielleicht jetzt so an, als würden Paulina und Laura nur noch im Urlaub sein.
00:02:43
Das stimmt auch, aber nur, weil wir die letzten vier Jahre so gut wie gar nicht im Urlaub waren.
00:02:49
Und wenn wir im Urlaub waren, haben wir im Urlaub gearbeitet.
00:02:52
Ja, und jetzt haben wir durch neue Redakteurinnen so viel Unterstützung beim Podcast, dass wir uns das jetzt mal gönnen können, auch mal auszuschalten.
00:03:01
Die Frage, die ich aber viel eher bekomme, den Urlaub betreffend, ist gar nicht, wieso seid ihr so oft im Urlaub, sondern...
00:03:08
Oder kommt denn dann trotzdem alle zwei Wochen mordlos?
00:03:13
Aber die Frage, die ich eher kriege, ist, wieso wollt ihr auch noch zusammen in den Urlaub fahren, wenn ihr schon so eng zusammenarbeitet und eine Firma zusammen habt?
00:03:24
Natürlich, weil es niemand anderen gibt, der drei Wochen in den Urlaub fahren kann.
00:03:32
Das auf jeden Fall auch, das ist ganz praktisch. Aber es ist tatsächlich auch so, dass wir halt viel arbeiten. Und da sind wir dann halt viel, auch nur Kolleginnen.
00:03:42
Aber im Urlaub sind wir dann, weil wir uns gegenseitig dazu zwingen, runterzukommen, sind wir dann auch mal wieder nur Freundinnen.
00:03:50
Und das fehlt einem ja so im Arbeitsalltag so ein bisschen. Und deswegen finde ich, brauchen wir diese Urlaube auch.
00:03:57
Ja, und ich habe das auch jetzt in dem Urlaub nochmal gemerkt, dass wir so ein paar Gespräche hatten oder so Situationen, wo wir was über den anderen wieder erfahren haben,
00:04:07
was, glaube ich, halt in einem normalen Setting, sage ich jetzt mal, gar nicht rausgekommen wäre.
00:04:12
Ja, genau. Schon alleine für diese paar Momente sind Urlauben oder Reisen irgendwie so schön für eine Beziehung, ob das jetzt eine Freundschaft ist oder eine partnerschaftliche Beziehung.
00:04:25
Und deswegen freue ich mich auch schon so doll darauf, drei Wochen mit dir wegzufahren.
00:04:30
Herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime. Mein Name ist Paulina Kraser.
00:04:35
Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen, über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:04:44
Wir reden hier auch ein bisschen lockerer miteinander. Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit hier fehlt,
00:04:50
sondern für uns ist es zwischendurch immer mal so eine Art Comic Relief, damit wir auch mal aufatmen können.
00:04:55
Das ist aber natürlich nicht respektierlich gemeint.
00:04:58
Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, was macht der Staat eigentlich nach dem Verbrechen für die Opfer und deren Hinterbliebenen?
00:05:05
Es ist ja so, dass der Staat das Gewaltmonopol hat. Wir BürgerInnen dürfen ja gar keine Verbrechen bekämpfen.
00:05:11
Und deswegen ist es auch Aufgabe des Staates, für eine Entschädigung zu sorgen, wenn seinen BürgerInnen dann doch was passiert.
00:05:19
Und dafür gibt es Rechte, die Opfern, deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach einem Verbrechen zustehen.
00:05:27
Und wir wissen aber von betroffenen Personen, dass es oft ein richtiger Kampf ist, so eine Entschädigung überhaupt zu bekommen.
00:05:34
Und damit ja auch irgendwie die Anerkennung, ob das jetzt physisch ist oder psychisch.
00:05:42
Und zwei Geschichten solcher Betroffenen erzählen wir euch heute.
00:05:46
In dem Fall, von dem ich heute berichte, geht es natürlich auch um den Kampf danach und es geht um den Kampf ums Überleben.
00:05:55
Aber die Geschichte beginnt erstmal mit dem Kampf um die Suche nach der Antwort, was ist eigentlich passiert.
00:06:04
Die Nacht auf dem 9. Januar 2011 ist stockfinster und es schüttet wie aus Eimern.
00:06:14
Die Autobahn ist klatschnass und die Sicht schlecht.
00:06:17
Die schimmerige Beleuchtung einiger weniger Autobahnlichter aus der Ferne dringt nur spärlich durch die Windschutzscheibe des Golfs auf die Rückbank, wo Peter sitzt.
00:06:27
Sein Bruder fährt ihn und einen Freund nach Hause.
00:06:29
Gerade führt es die drei Männer über das Kreuz Bonn-Nord über die A565, als Peters Bruder plötzlich sagt,
00:06:37
Ich glaube, da lag was auf der Fahrbahn.
00:06:39
Dann dreh doch mal um, sagt Peter darauf, der wissen will, was da mitten in der Nacht auf der Autobahn liegt.
00:06:46
Peters Bruder nimmt die nächste Ausfahrt und fährt wieder zurück.
00:06:49
Das Auto fährt in gemäßigtem Tempo weiter.
00:06:52
Und jetzt sieht auch Peter, dass da etwas auf dem Seitenstreifen liegt.
00:06:56
Und mit jedem Meter, den sie sich nähern, sind sie sicherer.
00:07:00
Das ist ein Mensch.
00:07:04
Der Sonntagmorgen ist noch jung.
00:07:06
Die Sonne hat sich noch nicht blicken lassen.
00:07:07
Barbara liegt noch im Bett, als ihr Telefon sie um halb sechs aus dem Schlaf reißt.
00:07:12
Es ist der Anruf, der ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird.
00:07:16
Daniel liegt auf der Intensivstation.
00:07:18
Daniel ist ihr einziges Kind.
00:07:21
Ihr ganzer Stolz.
00:07:22
Die beiden wollten an diesem Sonntag etwas zusammen unternehmen.
00:07:25
Daraus wird jetzt nichts.
00:07:28
Statt gemeinsam mit ihm am Frühstückstisch sitzt Barbara wenig später neben einem Bett auf der Intensivstation der Neurochirurgie in der Uniklinik Bonn.
00:07:35
Und darin liegt ihr Sohn.
00:07:37
Dort, wo Daniel lernen wollte, Menschen das Leben zu retten, kämpft er jetzt um sein eigenes.
00:07:42
Der 23-Jährige will nämlich wie viele andere in der Familie mal Arzt werden.
00:07:46
Sein Notendurchschnitt von 2,0 hat allerdings nicht gereicht, um direkt mit dem Medizinstudium zu starten.
00:07:53
Also macht er zunächst eine Ausbildung zum Rettungsassistenten und anschließend ein FSJ in einer Klinik für Epileptologie, um die Wartesemester zu überbrücken.
00:08:01
Daniel wird dort oft für seine Zuverlässigkeit und Sorgfältigkeit gelobt.
00:08:06
Aber in wenigen Monaten ist es endlich soweit und er kann sich an der Uni Bonn für das Medizinstudium einschreiben.
00:08:12
Als er von dem Elternhaus in Hennef in eine eigene Wohnung nach Bad Godesberg zieht, tröstet Mutter Barbara sich mit dem Gedanken, dass er noch bei ihr gemeldet ist und die beiden nur knapp 30 Kilometer trennen.
00:08:23
Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn bleibt auch nach seinem Auszug eng.
00:08:27
Sie besuchen sich gegenseitig regelmäßig und unternehmen öfter was miteinander.
00:08:31
So, wie sie es sich an diesem Sonntag auch vorgenommen hatten.
00:08:34
Daniel trägt einen weißen Krankenhauskittel.
00:08:37
Unzählige Schläuche und Kabel sind an ihm angeschlossen.
00:08:41
Barbara erfährt, dass er letzte Nacht schwer verletzt auf dem Randstreifen der Autobahn Kreuzborn-Nord gefunden wurde.
00:08:46
Auf seinem Körper verteilen sich diverse Schürfwunden und Hämatome.
00:08:50
Außerdem hat er eine massive Kopfplatzwunde an der linken Schläfe.
00:08:55
Die rechte Gesichtshälfte und die Nase sind großflächig geschürft.
00:08:59
Seine Augenlider sind wegen einer Fraktur der knöchernden Augenhöhlen geschwollen und sein Stirnknochen ist gebrochen.
00:09:05
Für Barbara ist der Anblick kaum zu ertragen.
00:09:09
Eine Träne nach der anderen läuft über ihre Wange und tropft auf Daniels Hand, die sie fest umklammert.
00:09:15
Die Monitore piepen rhythmisch, während sie ihm ins Ohr flüstert, wach auf, bitte wach auf.
00:09:21
Aber Daniel zeigt keine Regung.
00:09:23
Was ist bloß mit ihm geschehen?
00:09:25
Eine Frage, die niemand beantworten kann.
00:09:27
Daniel aufgrund seines Zustands nicht und Barbara nicht, weil sie es nicht weiß.
00:09:31
Und bisher hat sich auch noch niemand anderes gemeldet, der oder die Barbara mit Informationen versorgen kann.
00:09:37
Bisher weiß sie nur von den ÄrztInnen, dass Daniel einen Blutalkoholwert von 5 Promille gehabt haben soll.
00:09:43
Daraufhin haben sie ihn ins künstliche Koma versetzt.
00:09:46
Sein Zustand ist kritisch.
00:09:48
Die Verletzung am Kopf ist so schwer, dass sie allein durch einen Sturz nicht zustande gekommen sein kann.
00:09:53
Deswegen hat das Verkehrskommissariat der Polizei Köln die Ermittlungen wegen Verkehrsunfallflucht aufgenommen.
00:09:59
Hauptkommissar Hartmut Schremmer leitet sie.
00:10:01
Wegen Daniels starker Alkoholisierung und seinen Verletzungen gehen er und sein Team davon aus,
00:10:07
dass Daniel betrunken zu Fuß über die Autobahn gelaufen ist und dann von einem Auto angefahren wurde.
00:10:12
Dass sich Fußgänger dort in der Autobahn näher aufhalten, sei gar nicht so ungewöhnlich,
00:10:17
weil dort direkt ein Wohngebiet angrenzt.
00:10:19
Von dem Fahrzeug, das Daniel touchiert haben soll, fehlt allerdings jede Spur.
00:10:23
Nur Daniels persönliche Gegenstände konnten dort nachts sichergestellt werden.
00:10:28
Armbanduhr, Handy und seine Basecap lagen im nassen Gras des Grünstreifens verteilt.
00:10:32
Bei Tageslicht sind die BeamtInnen allerdings wieder vor Ort, um nach weiteren Hinweisen zu suchen.
00:10:38
Doch sie finden nichts, was mit dem Unfall in Verbindung gebracht werden kann.
00:10:42
Was sie auch nicht finden, und das ist etwas seltsam, sind die Gläser von Daniels Brille.
00:10:47
Das Modell hat kein richtiges Gestell, also die Gläser liegen in keiner Fassung,
00:10:52
sondern sind ohne Rand mit den Bügeln und dem Nasenstück verbunden.
00:10:56
Finden lassen sich aber nur die Bügel.
00:10:58
Das lässt bei Hauptkommissar Schremmer das Gefühl aufkommen, dass hier was komisch ist.
00:11:03
Die Polizei gibt eine Pressemeldung über den Einsatz heraus, die auf der Online-Seite des Express veröffentlicht wird.
00:11:09
In dem Artikel wird auf Daniels lebensbedrohlichen Zustand aufmerksam gemacht
00:11:13
und ZeugInnen werden gebeten, sich bei der Polizei Köln zu melden.
00:11:16
Schon am nächsten Tag geht um 13.45 Uhr ein Anruf bei der Dienststelle ein.
00:11:22
Der Anrufer stellt sich als Georg vor und sagt, er sei ein guter Freund von Daniel.
00:11:27
Er sagt, er sei am Samstag mit Daniel feiern gewesen.
00:11:30
Irgendwann sei der dann einfach weg gewesen.
00:11:32
Nichts Ungewöhnliches erzählt Georg, Daniel habe besonders, wenn er betrunken war, öfter mal einen polnischen gemacht.
00:11:38
Deswegen habe er sich auch nicht weiter gesorgt und erst jetzt erfahren, dass Daniel etwas Furchtbares zugestoßen ist.
00:11:45
Erst durch Georgs Informationen setzt sich nach und nach ein Bild zusammen, was in den letzten Stunden vor Daniels Auffinden passiert ist.
00:11:54
Samstag, 8. Januar 2011. Der Tag vor der Nacht.
00:12:00
Daniel geht's heute nicht so gut.
00:12:03
Ihm hängt der gestrige Abend noch in den Knochen.
00:12:05
Oder besser gesagt, im Magen und im Kopf.
00:12:08
Er hatte mit einem Kumpel am Vorabend wohl ein paar Bier zu viel getrunken.
00:12:12
Und das, obwohl er wusste, dass der heutige Tag auch nicht ohne sein würde.
00:12:16
Denn heute hat Clemens Geburtstag und die Feierlichkeiten zu seinen Ehren starten schon um 14.30 Uhr.
00:12:21
Auf mehrere Autos aufgeteilt macht sich die Gruppe aus 25 Personen auf nach Venlo in den Niederlanden, um dort Lasertag zu spielen.
00:12:30
Daniel kennt nur drei von ihnen.
00:12:32
Das Geburtstagskind Clemens, den Kumpel, mit dem er gestern schon getrunken hat, und Georg.
00:12:36
Wenn die nicht dabei wären, hätte Daniel wahrscheinlich abgesagt.
00:12:40
Daniel ist nämlich nicht besonders kontaktfreudig, wird es aber mit jedem Schluck Bier ein bisschen mehr.
00:12:45
Schnell ist auch der Kater von gestern vergessen und Daniel angetrunken.
00:12:49
Dass er heute auf dem Geburtstag ist, hat Daniel seiner Mutter nicht erzählt.
00:12:52
Würde er vielleicht morgen machen, wenn sie sich sehen.
00:12:55
Heute jedenfalls wird sie es nicht mehr erfahren.
00:12:57
Der Akku von Daniels Handy ist bereits seit Mittags leer.
00:13:00
Nach dem Lasertag-Spiel wird auf der Rückfahrt weiter getrunken.
00:13:03
Die Stimmung ist ausgelassen.
00:13:06
Mit Daniel im Auto sitzt auch eine junge Frau namens Marie.
00:13:09
Er hat sie heute erst kennengelernt.
00:13:10
Die beiden unterhalten sich gut und Daniel findet Marie nett.
00:13:13
Deswegen freut es ihn, als Marie zustimmt, auch noch mit in eine Disco zu kommen.
00:13:17
Damit die FahrerInnen dort auch mittrinken können, beschließt man, die Autos zu Hause abzustellen
00:13:22
und von Bonn mit dem Zug weiter nach Köln zu fahren.
00:13:24
Vom Bahnhof Köln-West geht es dann zu Fuß durch die Nieselregen Richtung Klapsmühle.
00:13:29
Die Klapsmühle ist eine urige Tanzbar und bezeichnet sich selbst als Partylokal Nummer 1 in Köln.
00:13:36
Daniel war da noch nie.
00:13:37
Dort soll Clemens Geburtstag seinen würdigen Abschluss finden.
00:13:40
Dafür zieht Daniel auf dem Weg noch 30 Euro an einem Bankautomaten am Friesenplatz.
00:13:45
Um ca. halb elf reiht er sich zu seiner Gruppe in die lange Schlange vor der Klapsmühle ein.
00:13:49
Bereits von draußen hört man dumpfe Musik.
00:13:52
Stück für Stück rückt die Schlange auf und Daniel kommt dem Türsteher näher.
00:13:56
Dieser scheint nicht ganz zufrieden mit Daniels Outfit.
00:14:00
Er trägt eine verwaschene Jeans und ein blau-weiß kariertes Hemd.
00:14:03
Darüber einen olivgrün gummierten Anorak, der eigentlich ein bisschen zu groß für seine schmale Statur ist.
00:14:08
Obwohl der am Rücken noch schmutzig von der letzten Silvesterfeier ist,
00:14:12
ist der Anorak nicht der Grund für die Beschwerde des Türstehers.
00:14:16
Der deutet nämlich auf die Käppi im Kamouflagemuster mit der gelb gestickten Aufschrift
00:14:21
Israel Defense Forces.
00:14:22
Ohne die geht Daniel selten aus dem Haus.
00:14:26
Er hängt an ihr, weil sie ein Andenken von einem Israelurlaub mit seinem Vater ist.
00:14:30
In einer Reihe von Souvenirshops ist sie ihm sofort aufgefallen,
00:14:33
weil Daniel sich für Politik und das Militär interessiert.
00:14:36
Sein Vater schenkte sie ihm.
00:14:38
Widerwillig, aber höflich setzt er sie ab und lässt sie an der Garderobe zurück.
00:14:42
Gegen 22.37 Uhr schiebt sich Daniel dann in das stickige, rappelvolle Lokal.
00:14:48
Die Stimmung könnte besser nicht sein.
00:14:50
Nach einem Willkommens-Schnaps an der Bar wird ein Bier nach dem anderen auf Clemens wohl getrunken.
00:14:54
Der DJ spielt hauptsächlich Mainstream, ab und an auch mal einen Karnevalsschlager.
00:14:59
Das lockt selbst den schüchternden Daniel auf die Tanzfläche.
00:15:03
Es wird so wild gefeiert, dass seine Brille durch einen unbeabsichtigten Schlag kaputt geht.
00:15:08
Die Gläser bleiben unversehrt, aber ein Bügel ist angeknackst.
00:15:11
An der Cocktailbar lernt Daniel dann zum Glück eine geschickte junge Frau kennen, die ihn provisorisch flickt.
00:15:17
Die Brille sitzt jetzt zwar ein bisschen schief, aber es geht schon.
00:15:20
Die meiste Zeit des Abends verbringt Daniel mit Georg, aber vor allem mit Marie.
00:15:24
Er unterhält sich gut mit ihr.
00:15:26
So gut es eben bei dem Geräuschpegel geht.
00:15:29
Daniel erzählt ihr, dass er als Austauschschüler in seiner Schulzeit in den USA war.
00:15:33
Die beiden verstehen sich immer besser, aber Daniel rechnet sich keine großen Chancen aus.
00:15:37
Das erzählt er an dem Abend einem Freund.
00:15:39
Er hat kein besonders ausgeprägtes Selbstwertgefühl und glaubt nicht, dass er irgendwann mal eine Freundin haben wird.
00:15:46
Um 1.25 Uhr schlägt Georg dann vor, ein Foto mit seinem Handy von den beiden zu machen.
00:15:50
Daniel schickt sich noch schnell die schiefe Brille auf den Kopf.
00:15:53
Marie legt ihre blonden, langen Haare auf die rechte Schulter und stellt sich eng mit Daniel zusammen.
00:15:58
Ihre Köpfe berühren sich.
00:15:59
Ein kurzer Blitz und dieser Moment ist für die Ewigkeit festgehalten.
00:16:03
Daniel begutachtet das Bild.
00:16:05
Er sieht sich über beide Ohren grinsen.
00:16:07
Seine Wangen sind gerötet.
00:16:08
Er schaut etwas müde aus und durch seinen Drei-Tage-Bart älter, als er eigentlich ist.
00:16:13
Im Laufe des Abends verliert sich die Gruppe in der Menschenmenge aus den Augen.
00:16:17
Irgendwann fällt auf, dass Daniel nicht mehr da ist.
00:16:20
Obwohl man ausgemacht hatte, nach der Feier gemeinsam mit der Bahn zurückzufahren, macht sich keiner großartig Gedanken.
00:16:26
Georg feiert an diesem Abend noch bis morgens weiter und weiß nicht, dass sein Freund gegen 3 Uhr knapp 30 Kilometer von ihm entfernt bewusstlos auf einem Seitenstreifen auf der Autobahn liegt und sich ihm langsam ein Wagen nähert.
00:16:38
Der Wagen, in dem Peter, sein Bruder und ein Freund sitzen.
00:16:41
Noch während die drei durch den Regen auf den Körper zugehen, wählt Peter den Notruf.
00:16:46
Ist schon bekannt, versichert man ihm am Telefon.
00:16:48
Drei Minuten zuvor war bei der Polizei ein Anruf von einem Mann eingegangen, der ebenfalls aus dem Auto heraus nur einen verschwommenen Umriss am Rand wahrnahm.
00:16:57
Der Regen befeuchtet Peters Kleidung, ihm wird kalt.
00:17:00
Er ist aufgeregt und zittrig.
00:17:02
Ich weiß nicht, ob ich sowas kann, hört er seinen Bruder sagen, als er sich bereits neben den jungen Mann auf den nassen Asphalt kniet.
00:17:09
Er liegt in Bauchlage quer zur Fahrtrichtung auf dem Seitenstreifen, mit den Füßen zur Fahrbahn.
00:17:14
Die Arme stecken unter seinem Körper.
00:17:16
Sein Gesicht ist voller Blut.
00:17:18
Peter, als Physiotherapeut geschult, fühlt den Puls und die Atmung.
00:17:22
Beides ist zwar vorhanden, aber der Mann ist nicht ansprechbar.
00:17:26
Während der gemeinsame Freund einige Meter entfernt mit einer Warnweste bedelt, um vorbeifahrende Autos zu wahren,
00:17:31
holt Peters Bruder seine Jacke aus dem Auto, um Daniel zu zudecken.
00:17:35
Peter legt eine Hand auf ihn und redet beruhigend auf ihn ein.
00:17:38
Nach einer gefühlten Ewigkeit flimmert aus der Ferne dann endlich Blaulicht.
00:17:43
Niemand hatte zum Zeitpunkt des Schnappschusses, den Georg von Daniel und Marie gemacht hat, geahnt,
00:17:48
dass dieses Bild kurze Zeit später durch die Medien gehen und es auf Plakaten in der Nähe der Klapsmühle hängen wird.
00:17:55
Und, dass darunter groß Belohnung 2000 Euro für sachdienliche Hinweise angepriesen werden.
00:18:01
Am liebsten würde Barbara Daniel an den Schultern packen und wachrütteln.
00:18:12
Und sie wünscht sich, dass das jemand auch bei ihr macht, dass sie aufwacht aus dem Albtraum, in dem sie gefangen ist.
00:18:18
Noch zwei Tage nach dem schicksalhaften Abend liegt ihr Sohn im Koma und es steht nicht gut um ihn.
00:18:23
Es hat sich eine Hirnschwellung entwickelt.
00:18:25
Barbara hat mal gehört, dass man Koma-PatientInnen über gewisse Reize erreichen kann.
00:18:30
Jeden Tag fährt sie mit ihrem Mann zum gemeinsamen Sohn, um bei ihm zu sein.
00:18:34
Sie streichelt ihn, redet mit ihm, liest ihm die Nachrichten aus der Tageszeitung vor.
00:18:38
Sie setzt ihm sogar Kopfhörer mit Musik auf die Ohren.
00:18:41
Doch weder die Beatles noch die Stones holen Daniel zurück.
00:18:44
Während Barbara nichts weiter tun kann, außer an Daniels Bettkante zu sitzen und auf ein Happy End zu hoffen,
00:18:50
hat das Ermittlungsteam durch Georgs Aussage nun endlich einige Anhaltspunkte, mit denen sie weiterarbeiten können.
00:18:57
18 Gäste des Geburtstages werden vernommen, darunter auch Clemens, Georg und Marie.
00:19:02
Alle sagen übereinstimmend und unabhängig voneinander das Gleiche aus.
00:19:06
Man habe Daniel in der Klapsmühle irgendwann einfach nicht mehr gesehen und niemand habe weiter darüber nachgedacht.
00:19:11
Bei den Vernehmungen fällt den Ermittelnden aber ein Detail ins Auge.
00:19:15
Keiner von ihnen berichtet, dass Daniels Sturz betrunken war.
00:19:18
Betrunken, ja, aber so, dass man sich trotzdem noch gut mit ihm unterhalten konnte.
00:19:23
Er habe weder geleilt noch geschwankt und habe außer dem Cassis-Liquor zur Begrüßung an der Bar den gesamten Tag nur Bier getrunken.
00:19:32
Dass Daniel nicht volltrunken wirkte, bestätigt auch der Türsteher der Klapsmühle.
00:19:36
Auf ihn habe er recht schüchtern und nicht besonders alkoholisiert gewirkt.
00:19:39
Er erinnert sich gut an Daniel, weil er ihn noch beim Verlassen der Disco gesehen hat.
00:19:44
Man hatte ihm an der Garderobe die falsche Mütze ausgehändigt.
00:19:47
Daniel merkte das aber erst, als er schon draußen war.
00:19:50
Ein anderer Türsteher hat die Käppi dann nochmal getauscht.
00:19:53
Dann ging Daniel allein Richtung Straße.
00:19:55
So ein Verhalten ist mit 5 Promille kaum zu erwarten.
00:19:59
Abgesehen davon, dass so eine Dosis maximal bei schweren AlkoholikerInnen zu erwarten ist und für Untrainierte sogar tödlich enden kann.
00:20:07
Am 14.01.2011, fünf Tage nach Daniels Auffinden, wird der Promillewert, den die Klinik ermittelt hat, hinterfragt.
00:20:15
Hauptkommissar Hartmut Schremmer ordnet eine erneute Prüfung an und tatsächlich stellt sich heraus, dass da ordentlich was schiefgelaufen ist.
00:20:22
Ein Rechenfehler.
00:20:25
Die Klinik hat den Wert als Atemalkoholkonzentration eingetragen.
00:20:28
Weil dieser aber mit ganz anderen Quotienten multipliziert wird als der Blutalkoholwert, ist ein viel zu hoher Promillewert dabei rausgekommen.
00:20:36
Und so hätte Daniel auch gar nicht ins Koma gelegt werden müssen.
00:20:39
Der Wert wird auf 1,96 Promille korrigiert.
00:20:44
Durch die angenommene hohe Alkoholisierung sei man von vornherein von einem ganz falschen Geschehen ausgegangen, geben die Ermittlenden zu.
00:20:52
Man hatte angenommen, dass Daniel vollkommen orientierungslos über die Autobahn getalket sei.
00:20:56
Das sieht man jetzt anders.
00:20:58
Wenn er beim Verlassen der Disco noch in der Lage war, seine Käppi von einer anderen zu unterscheiden, muss er auch dazu fähig gewesen sein, sich nicht unüberlegt in eine solche Gefahrensituation zu bringen.
00:21:09
Zeitgleich zu dieser Erkenntnis kommt eine wichtige Zeugin ins Spiel, die die Ermittlung in eine komplett andere Richtung lenkt.
00:21:15
Die Überwachungskamera, die direkt über dem Discoeingang hängt.
00:21:18
Genau das, was der Türsteher aussagt, sieht Kommissar Schremmer auch auf den Bildern des Überwachungsvideos.
00:21:25
Daniel verlässt allein, ohne Ausfallerscheinung, geradegehend die Disco.
00:21:29
Laut Zeitstempel um exakt 2.36 Uhr.
00:21:33
Die erste Meldung über einen gefährlichen Gegenstand auf der Fahrbahn ging bei der Polizei um 3.04 Uhr ein.
00:21:39
Das heißt, Daniel hatte maximal 28 Minuten gebraucht, um dorthin zu kommen.
00:21:44
Und das wäre nur mit einem Pkw möglich gewesen.
00:21:48
Aber keiner seiner Freunde hat ihn mitgenommen.
00:21:50
Und anrufen konnte er ja auch niemanden, da sein Handy ja seit Mittags bereits aus war.
00:21:55
Und bei Fremden wäre er niemals mitgefahren.
00:21:58
Da sind sich seine Freundinnen und Barbara sicher.
00:22:00
Eine weitere Möglichkeit.
00:22:03
Das Überwachungsvideo zeigt nämlich auch, dass Daniel nicht nach links oder rechts den Bürgersteig entlang geht,
00:22:08
sondern zielgerichtet auf die Fahrbahn zusteuert.
00:22:11
Und dort stehen um diese Zeit auch Taxen, die auf Laufkundschaft warten.
00:22:15
Allerdings hatte Daniel ja nur 30 Euro abgehoben, bevor er in die Disco ging.
00:22:19
Davon hatte er etwa die Hälfte für Eintritt und Getränke ausgegeben
00:22:22
und die andere Hälfte war unter seinen persönlichen Gegenständen am Fundort.
00:22:26
Aus dem letzten Kontoauszug geht hervor, dass Daniel nach der Abbuchung nur noch 10,86 Euro auf dem Konto hatte.
00:22:32
Eine Taxifahrt von Köln nach Bonn kostet ca. 50 Euro.
00:22:35
Das heißt, Daniel hätte sich die Fahrt nicht leisten können.
00:22:38
Und vielleicht war genau das das Problem.
00:22:42
Wurde er vielleicht deswegen mitten auf der Autobahn ausgesetzt und dann anschließend von einem vorbeifahrenden Auto angefahren?
00:22:50
Kommissar Schremmer geht dieser Spur nach und lässt Befragung an den beiden Taxiständen durchführen,
00:22:54
die am nächsten zur Disco liegen.
00:22:56
Weil eine Rückverfolgung einzelner Taxifahrten nicht möglich ist,
00:23:00
werden innerhalb eines Zeitraums von vier Stunden alle dort haltenden TaxifahrerInnen auf den Vorfall angesprochen.
00:23:05
Es folgt eine Befragung des Taxirufs Köln, eine zentrale Leitstelle für unterschiedliche Taxiunternehmen.
00:23:11
Weitere 16 Betriebe, die nicht diesem Taxiruf angehören, werden auch noch gesondert kontaktiert.
00:23:17
Daraufhin meldet sich eine Zeugin, die eine interessante Beobachtung gemacht haben will.
00:23:22
Die Taxifahrerin schildert, sie habe in der besagten Nacht eine Frau nach Bonn gebracht.
00:23:27
Die beiden passierte in das Autobahnkreuz Köln-Süd auf der A555,
00:23:32
als sie von einem Taxi angeblinkt und überholt worden seien.
00:23:35
Als die Taxifahrerin später ins Kreuz Bonn-Nord einfuhr,
00:23:39
habe sie ein Taxi, eine Mercedes-B-Klasse, auf dem Seitenstreifen stehen sehen.
00:23:44
Genau dort, wo Daniel von Peter gefunden wurde.
00:23:47
Sie sagt, es könnte dasselbe gewesen sein, das sie zuvor überholt hatte.
00:23:51
Es soll Licht angehabt haben, jedoch keine Warnblinkanlage.
00:23:55
Personen habe sie nicht erkennen können.
00:23:58
Aufgrund dieser Aussage wird eine Fotoliste sämtlicher B-Klasse-Taxen zusammengestellt
00:24:03
und der Zeugin vorgelegt.
00:24:04
Aber keines der 58 Fahrzeuge kann von ihr als dasjenige, welches identifiziert werden.
00:24:09
Und auch die Frau, die die Taxifahrerin mitgenommen haben will, wird nicht gefunden.
00:24:13
Diese Spur verläuft also im Sand.
00:24:15
Trotzdem scheint es dem Kommissar immer wahrscheinlicher,
00:24:18
dass es sich hier nicht um einen Unfall handelt.
00:24:21
Er zieht zunehmend in Betracht,
00:24:22
dass Daniel auch Opfer eines Gewaltverbrechens geworden sein könnte.
00:24:26
Darauf weisen auch Daniels Klamotten und seine persönlichen Gegenstände hin.
00:24:30
Unfalltypische Beschädigungen fehlen nämlich.
00:24:32
Die Uhr, die Käppi, das Handy.
00:24:34
Nichts sieht so aus, als wäre es über den Asphalt gerutscht.
00:24:37
Außerdem fehlt von den Brillenglässern nach wie vor jede Spur.
00:24:41
Die rechtsmedizinische Untersuchung von Daniels Verletzung stellt zudem fest,
00:24:45
dass die ganzen Schürfwunden und Hämatome an seinem Körper auffällig gering ausgeprägt sind.
00:24:50
Ein Verkehrsunfall wird von der Rechtsmedizin aber dennoch nicht ausgeschlossen.
00:24:54
Aber der erfahrene Ermittler weiß, dass normalerweise wesentlich größere Verletzungen zu erwarten sind,
00:24:59
wenn ein Mensch von einem Auto angefahren wird.
00:25:01
Ein Bericht der Polizei fasst es später in der Akte so zusammen.
00:25:05
Ein alleiniger Sturz von Daniel scheidet aufgrund der Verletzung aus.
00:25:08
Möglich erscheint die Eskalation zwischen zwei Personen mit einem Schlag auf den Kopf von Daniel,
00:25:13
wobei die leichteren Verletzungen durch einen anschließenden Sturz erklärbar wären.
00:25:17
Das würde auch die verstreuten persönlichen Gegenstände erklären.
00:25:20
Weniger wahrscheinlich ist, dass Daniel abgesetzt wurde und dann von einem weiteren Fahrzeug touchiert wurde,
00:25:26
was dann zum Sturz führte.
00:25:27
Hiergegen spricht, dass seine Kleidung keine Anhaltspunkte dafür hergibt
00:25:31
und gleich zwei unbekannte Beteiligte involviert wären.
00:25:34
Damit erhärtet sich der Verdacht, dass Daniel von einem Taxi mitgenommen wurde
00:25:39
und es auf der Fahrt Streit um Geld gab.
00:25:42
Wenn es zu einer Eskalation in dem Fahrzeug gekommen ist,
00:25:45
würde das auch erklären, warum man Daniels Brillengläser nie finden konnte.
00:25:48
Der Fahrer oder die Fahrerin könnte sie im Dunkeln leicht übersehen haben,
00:25:52
weshalb sie noch im Auto liegen könnten.
00:25:54
Für Schremmer ist das die wahrscheinlichste Theorie.
00:25:57
Der Einzige, der für die Aufklärung sorgen könnte, ist Daniel selbst.
00:26:01
Die ÄrztInnen hatten Barbara versichert, dass er schon bald widersprechen würde,
00:26:05
wenn er erstmal außer Lebensgefahr sei.
00:26:07
Doch obwohl das Schlimmste zunächst überstanden scheint,
00:26:10
wacht Daniel trotzdem nicht auf.
00:26:12
Erst nach 66 Tagen öffnet Daniel seine Augen wieder.
00:26:16
Er blickt um sich, reagiert durch Mimik auf Ansprachen.
00:26:19
Sein Vater ist bei ihm und beschreibt diesen Moment als den ergreifendsten,
00:26:23
den er sich vorstellen könne.
00:26:24
Sofort ruft er Barbara an, die sich umgehend auf den Weg macht.
00:26:28
Für Barbara ist es eine enorme Befreiung, dass ihr Sohn wieder zurück ist,
00:26:32
wieder bei ihr ist.
00:26:33
Die Hoffnung ist groß, dass er endlich Licht ins Dunkel bringen kann.
00:26:36
Aber durch die schwere Schädel-Hirn-Verletzung ist Daniel halbseitig gelähmt
00:26:41
und muss viele Fähigkeiten wie zum Beispiel das Sprechen neu lernen.
00:26:44
Nach dem Krankenhaus folgt ein langer, langer Aufenthalt in einer Reha-Klinik,
00:26:49
wo sich ein Kreis schließt.
00:26:51
Der Mann, der sich neben anderen dort um Daniels Rehabilitation kümmert,
00:26:56
der mittlerweile als schwerbehindert gilt,
00:26:59
ist niemand Geringeres als Peter, derjenige, dem Daniel sein Leben zu verdanken hat.
00:27:04
Peter arbeitet als Physiotherapeut in dieser Einrichtung und wusste deswegen in der Nacht
00:27:09
auf den 9. Januar 2011 genau, was zu tun war, als er Daniel auf dem Randstreifen der Autobahn fand.
00:27:15
Er trägt dazu bei, dass Daniel gute Fortschritte macht.
00:27:18
Er kann nach ein paar Monaten mithilfe wieder 10 Schritte gehen
00:27:21
und sich sogar wieder an Gesprächen beteiligen,
00:27:23
wenn ihn seine Familie und seine Freundinnen besuchen.
00:27:26
Er kann Unterhaltungen folgen, Kommentare zum Inhalt abgeben
00:27:30
und auch Fragen dazu stellen.
00:27:32
Aber über die verhängnisvolle Nacht kann er nichts erzählen.
00:27:35
Daniel erinnert sich nicht.
00:27:37
Barbara quält der Gedanke, nicht zu wissen, was passiert ist.
00:27:41
Sie glaubt fest, dass es noch jemanden da draußen gibt, der etwas weiß.
00:27:44
Deswegen geht sie sogar zur Aktenzeichen XY ungelöst.
00:27:47
Doch den erhofften Erfolg bringt das nicht.
00:27:50
Ein Jahr gibt die Polizei Daniel Zeit zur Erholung,
00:27:53
bevor er im Beisein seiner Eltern angehört wird.
00:27:55
Aber eine förmliche Vernehmung ist aufgrund der schweren Schädel-Hirn-Verletzung nicht möglich.
00:28:00
Die Fragen werden nahezu kindgerecht gestellt.
00:28:02
Trotzdem hat Daniel nach wie vor kein Erinnerungsvermögen.
00:28:06
Nach dem Gespräch geraten die Ermittlungen ins Stocken.
00:28:08
Daraufhin wird die Akte um den Fall 2012 ohne abschließendes Ergebnis geschlossen.
00:28:14
Mit fatalen Folgen für die Familie.
00:28:16
Da nicht zweifelsfrei nachweisbar ist, welche und ob hier überhaupt eine Straftat vorliegt,
00:28:22
deren Opfer Daniel geworden ist, greift das Opferentschädigungsgesetz nicht.
00:28:26
Da Daniel starke Schädigungen davon getragen hat, hätte das für die Familie eine monatliche Zahlung bedeuten können.
00:28:31
Und dadurch hätte Barbara viel mehr Möglichkeiten gehabt, Daniels Rehabilitation finanziell zu unterstützen.
00:28:38
Dass sie weiterhin für alle Rechnungen in Vorleistung gehen muss, ist für sie zweitrangig.
00:28:42
Viel wichtiger ist ihr, dass Daniel alle ärztlich verordneten Zusatztherapien bekommen würde.
00:28:47
Dass ihm das nach allem, was sie durchmachen mussten, nicht gewährt wird, will Barbara nicht akzeptieren.
00:28:52
Und deswegen kommt sie zum Prozess.
00:28:54
Aber das Sozialgericht Köln klammert sich an das rechtsmedizinische Gutachten,
00:28:58
in dem es heißt, dass es sich auch um einen Verkehrsunfall handeln könnte,
00:29:02
obwohl es keine unfalltypischen Verletzungen gibt.
00:29:05
Im Mai 2012 fällt der Richter das niederschmetternde Urteil und lehnt den Antrag auf Zahlung ab.
00:29:10
Wie ein geprügelter Hund verlässt Barbara das Gericht.
00:29:13
Barbara hätte mit einer Entschädigungszahlung gerne ihre Wohnung behindertengerecht umgebaut
00:29:18
und eine Pflegekraft eingestellt.
00:29:19
Dadurch hätte sie Daniel nach Hause holen können.
00:29:22
Stattdessen kommt er nach der Reha in eine Pflegeeinrichtung für behinderte Menschen.
00:29:26
Mit dem Aufenthalt in der Reha-Klinik bei Peter enden auch die intensiven Therapien.
00:29:31
Und mit Daniel geht's wieder bergab.
00:29:33
Es geht ihm von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr schlechter.
00:29:37
Die halbseitige Lähmung hat sich nicht zurückgebildet.
00:29:40
Laufen kann er nicht.
00:29:41
Durch das Schädel-Hirn-Trauma ist auch das Kurzzeitgedächtnis kaum mehr vorhanden.
00:29:45
Er hat keine zeitliche und räumliche Orientierung mehr, kann nicht alleine essen oder auf Toilette gehen.
00:29:51
Daniel ist rund um die Uhr auf Pflege angewiesen.
00:29:53
Am schlimmsten sind für Barbara die Anfälle, die mit der Zeit immer heftiger und häufiger werden.
00:29:58
Aus dem Nichts fängt Daniel dann an zu schreien und schlägt auf das Seitenteil seines Rollstuhls.
00:30:03
Sein ganzer Körper versteift sich.
00:30:05
Kalter Schweiß legt sich auf seine Stirn.
00:30:07
Sein Herz rast in seiner Brust.
00:30:09
Und es hört erst dann auf, wenn er vor Erschöpfung keine Kraft mehr hat.
00:30:13
Ich kann nicht mehr, wimmert Daniel dann.
00:30:16
Fragt seine Mutter.
00:30:17
Ich weiß es nicht.
00:30:19
Ich weiß es nicht.
00:30:21
Das sind die Momente, wo sich Barbara am hilflosesten fühlt.
00:30:25
Sie sieht, wie sich ihr Sohn in sich selbst gefangen fühlt.
00:30:27
Von dem friedlichen, lebenslustigen jungen Mann ist nicht mehr viel übrig.
00:30:32
Am 18. März 2020 läuft Daniels Fall wieder bei Aktenzeichen XY über die Bildschirme.
00:30:38
Diesmal ohne Barbara.
00:30:39
Mittlerweile ist sie so verzweifelt, dass sie und ihr Mann die Belohnung auf 10.000 Euro erhöhen.
00:30:44
Und wieder bringt Aktenzeichen XY einen Hoffnungsschimmer.
00:30:47
Nach einem Hinweis werden die Ermittlungen wieder aufgenommen.
00:30:50
Diesmal von der Kripo Bonn.
00:30:52
Denn man ist nun der Meinung, es handele sich um ein versuchtes Tötungsgelikt.
00:30:56
Nach dem Hinweis kommt es zu Durchsuchungsmaßnahmen und Vernehmungen eines möglichen Tatverdächtigen.
00:31:01
Aber der Tatverdacht kann nicht erhärtet werden.
00:31:04
Mangels weiterer Ermittlungsansätze wird das Verfahren im November 2020 dann wieder eingestellt.
00:31:10
Und deswegen greift auch diesmal das Opferentschädigungsgesetz für Daniel nicht.
00:31:15
Barbaras Traum vom umgebauten Heim, damit ihr Sohn endlich wieder nach Hause kann, wird damit wieder nicht in Erfüllung gehen.
00:31:21
Heute ist Daniel 35.
00:31:24
Er wollte mal Arzt werden.
00:31:26
Jetzt ist er auf ewig Patient.
00:31:28
Kommissar Hartmut Schremmer ist mittlerweile im Ruhestand und konnte der verzweifelten Mutter keine Antworten liefern.
00:31:34
Barbara beschäftigt immer nur eine Frage.
00:31:37
Warum hat man unserem Kind die Zukunft genommen?
00:31:40
Das Auf und Ab der letzten elf Jahre hat ihr zugesetzt.
00:31:43
Die ständige Ungewissheit lässt sie innerlich nach und nach zerbrechen.
00:31:47
Wie lange sie das noch aushält, weiß sie nicht.
00:31:49
Aber für ihren Sohn versucht sie weiter für die Wahrheit zu kämpfen.
00:31:53
Bis zu ihrem letzten Atemzug.
00:31:55
Wenn nicht sie, wer dann?
00:31:56
Sonst hat Daniel niemanden mehr.
00:31:58
Nach den anfänglichen Besuchen ist mit der Zeit sein kompletter Freundeskreis weggebrochen.
00:32:03
Nur Georg schaut ab und an nochmal bei seinem Freund vorbei und erkundigt sich bei Barbara nach ihm.
00:32:08
Weder Hauptkommissar Hartmut Schremmer noch Mama Barbara haben die Hoffnung aufgegeben, dass es da draußen irgendjemanden gibt, der oder die den entscheidenden Hinweis liefern kann.
00:32:18
Dass vielleicht sogar der Mensch selbst, der an dieser Tat beteiligt war, die Kraft und die Stärke aufbringen kann, sich zu stellen.
00:32:28
Also das wünsche ich der Barbara und auch ihrem Mann so sehr, dass sie da nochmal irgendwann weiterkommen.
00:32:36
Und vielleicht weiß ich nicht, vielleicht erreichen wir auch mit der Folge hier noch jemanden, der das noch nicht mitbekommen hat oder der sich jetzt erst erinnert, nach deiner Schilderung jetzt nochmal, damit sie auch endlich Klarheit darüber haben, was passiert ist.
00:32:53
Ja, und das wünscht sich Barbara natürlich auch sehr.
00:32:57
Kurzer Hinweis an der Stelle, wir haben den Fall zusammen mit Aileen Merchan zusammen erarbeitet.
00:33:03
Das ist eine Journalistin, die selbst auch Kontakt zu Daniels Mutter hat, weswegen wir jetzt hier manche Szenen auch etwas genauer beschreiben konnten als üblich.
00:33:12
Und es wäre wirklich, wirklich wichtig, dass sich jemand meldet, denn es ist ja so, dass man schon auch davon ausgehen kann, dass es einen Täter gibt.
00:33:22
Also es gab ja diese eine Person, die im Visier war, der man das aber am Ende nicht nachweisen konnte, die Tat begangen zu haben.
00:33:29
Aber damit ist ja auch irgendwie nahezu ausgeschlossen, dass es eine andere Erklärung als Fremdeinwirkung für Daniels Verletzungen gibt.
00:33:37
Aber dann finde ich es ja noch schlimmer, dass diese Entschädigungszahlungen nicht geleistet werden.
00:33:42
Wenn die Polizei davon ausgeht, dass es schon eine Straftat war, dann finde ich es ja noch unfairer, dass man vom Versorgungsamt nicht diese Entschädigung zahlt.
00:33:55
Oder zumindest ja einfach anerkennt, dass er Opfer geworden ist und so der Familie vielleicht ermöglichen würde, ihn wieder nach Hause zu holen.
00:34:07
Genau, weil die Polizei ja tatsächlich auch in diesem Tötungsdelikt dann ermittelt hat.
00:34:11
Aber sie können halt nichts beweisen.
00:34:14
Und ich glaube, dieser Fall zeigt deswegen auch auf ganz erschreckende Weise ganz gut, welche Probleme es bei dieser Opferentschädigung geben kann.
00:34:23
Und um das noch ein bisschen mehr nachvollziehen zu können, weshalb Daniel und seine Mutter nicht entschädigt wurden,
00:34:29
geht es jetzt in meinem Aha mal um die Voraussetzungen für diese Entschädigung.
00:34:33
Also anspruchsberechtigt ist erstmal jede Person, die in Deutschland oder auf deutschem Hoheitsgebiet Opfer einer Gewalt hat wurde
00:34:42
oder durch deren Abwehr eine gesundheitliche Beeinträchtigung erlitten hat.
00:34:47
Also das können halt alle Sachen sein, die man aus unserem Podcast so kennt.
00:34:52
Sexualverletzungen, Sexualstraftaten oder eben Tötungsdelikte und auch solche, wo es keinen körperlichen Angriff gab.
00:34:59
Also beispielsweise ein Giftmord oder Kindesvernachlässigung kann auch darunter fallen.
00:35:03
Oder auch wenn man fahrlässig eine Tat mit einem gemeingefährlichen Mittel begangen hat, also einer Bombe zum Beispiel.
00:35:11
Ansonsten muss die Gewalt hat aber ein vorsätzlicher, tätlicher Angriff gewesen sein.
00:35:16
Also heißt der Täter oder die Täterin muss in feindlicher Willensrichtung gehandelt haben.
00:35:21
Und dadurch, dass man ja offiziell nicht genau weiß, was Daniel an diesem Abend passiert ist, wird das hier eben zum Problem.
00:35:28
Das hat uns auch nochmal Arndt Kempkins erklärt, der sich auf Versicherungs- und Verkehrsrechts spezialisiert hat.
00:35:34
Man bekommt also diese Sondervergütung nach dem Opferentschädigungsgesetz bekommt man nur, wenn man quasi Opfer eines böswilligen, nämlich eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, also der durch nichts gerechtfertigt ist, tätlichen Angriff verletzt wurde.
00:35:48
Also muss man diese Anspruchsvoraussetzungen als Antragsteller auch nachweisen.
00:35:53
Wenn man das nicht nachweisen kann, wenn beispielsweise ein Unfall im Raum steht, dann bekommt man diesen Schutz nach dem Opferentschädigungsgesetz nicht.
00:36:01
Und das führt natürlich zu Problemen.
00:36:02
Denn wenn man nicht nachweisen kann, dass es so ein Angriff ist, sondern nur ein Unfall, geht man leer aus.
00:36:08
Und das, obwohl man eigentlich nicht mal ein Urteil oder einen ermittelten Täter oder eine Täterin braucht, um Leistung, also so eine Entschädigung zu erhalten.
00:36:19
Es gab mal den Fall, da war ein Typ im Pascha in Köln, also im Bordell.
00:36:23
Und als der raus ist, wurde der mit einem Baseballschläger angegriffen.
00:36:27
Da wurde auch wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt.
00:36:29
Die Ermittlungen wurden dann aber wieder eingestellt, weil die TäterInnen halt nicht gefunden werden konnten.
00:36:34
Und sein Antrag auf Entschädigung wurde auch erst abgelehnt, weil er den Nachweis nicht erbringen konnte, dass der Angriff halt vorsätzlich und rechtswidrig war.
00:36:46
Also bei so einem Angriff mit einem Baseballschläger würde man ja schon eher noch davon ausgehen, als jetzt zum Beispiel bei Daniel, dass das ein vorsätzlicher.
00:36:55
Ja, aber auch den Baseballschläger hat niemand gesehen. Es gibt keine Kameraaufzeichnung.
00:37:01
Also, ich hau dir einmal auf den Bauch und du sagst, die hat mich gehauen und ich sag Beweis.
00:37:07
Also, diesen Nachweis zu erbringen, das ist auch ähnlich schwierig hier in diesem Fall.
00:37:12
Vor allem, weil er und noch jemand anderes sich dann halt in Widersprüche verstrickt haben und so.
00:37:17
Aber der Typ ist dann vors Sozialgericht und das Gericht hat dann gesagt, ja, das konnte jetzt das Opfer tatsächlich nicht nachweisen.
00:37:25
Aber ja nur, weil schlampig ermittelt wurde.
00:37:27
Also, heißt, da wurden nicht rechtzeitig Befragungen durchgeführt und so.
00:37:32
Und deswegen wurde ihm dann am Ende auch eine Entschädigung zugesprochen.
00:37:35
Ohne Urteil, ohne zu wissen, wer der Täter ist.
00:37:37
Jetzt haben wir hier bei Daniel ja aber keine schlampigen Ermittlungen gehabt.
00:37:41
Aber halt eben dieses andere Problem, es kann sich nicht mal Daniel selbst mehr erinnern.
00:37:45
Und da aber dieser Nachweis über den vorsätzlichen, rechtswidrigen, täglichen Angriff irgendwie vorliegen muss, sieht das hier eben sehr schwierig aus für die Familie.
00:37:56
Und weißt du, was mich da so ein bisschen einfach ärgert?
00:37:59
Dass man da nicht so sagt, im Zweifel für das Opfer, weißt du?
00:38:05
Ja, vor allem, weil es wirklich ja nicht weit hergeholt ist.
00:38:10
Aber wir sehen jetzt einen Grund dafür, die Entschädigungszahlung nicht zu bekommen ist, dass die Beweise fehlen.
00:38:17
Es gibt aber noch andere Gründe, warum abgelehnt werden kann.
00:38:20
Zum Beispiel, wenn das Opfer selbst in organisierte Kriminalität verwickelt ist.
00:38:25
Es sei denn, es kann irgendwie nachgewiesen werden, dass der Angriff jetzt nichts damit zu tun hat.
00:38:30
Oder beispielsweise, wenn das Opfer selbst eine Schädigung verursacht hat oder das Verhalten, Zitat, unbillig war.
00:38:37
Zum Verständnis hier ein paar Beispiele.
00:38:39
Opfer sagt im Streit zum späteren Täter, dass er ein verkacktes Arschloch ist.
00:38:44
Täter pfeffert dem Opfer eine, sodass der taub wird.
00:38:48
Keine Entschädigungszahlung wegen verkacktes Arschloch.
00:38:51
So, und wenn wir uns jetzt dieses Beispiel hier nehmen, dadurch, dass man bei Daniel theoretisch ja auch nicht weiß, was passiert ist, könnte es halt auch sein, dass es einen Streit vorher gegeben haben könnte, an dem sich Daniel beteiligt hat oder er sich selbst in eine Gefahr gebracht hat.
00:39:08
Und wenn sowas der Fall gewesen ist, dann könnte das halt auch zu diesen Ausschlussgründen führen.
00:39:14
Ja, anderes Beispiel.
00:39:16
A sagt zu B, wenn du dich hauen willst, komm rum.
00:39:19
Dann gefährdet man sich ja selbst und da wird auch nicht gezahlt.
00:39:22
Oder wenn das Auswärtige Amt durch einen Reise- und Sicherheitshinweis vor Terroranschlägen gefahnt hat und jemand dann bei einem Anschlag verletzt wird, gibt es auch keine Zahlung.
00:39:32
Und es gibt auch kein Geld, wenn du ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Annemarie hast, die du gerade erst im KitKat kennengelernt hast und sie dich vorsätzlich mit einer Geschlechtskrankheit ansteckt.
00:39:42
Ja, schuldeigen.
00:39:42
Nun ist es aber so, und das hat mich echt positiv überrascht, das OEG greift, wenn es denn greift, nicht nur bei den Opfern selbst, sondern auch bei nahen Angehörigen.
00:39:53
Und ja auch bei Personen, die beispielsweise bei der Tat in Anführungszeichen nur daneben stehen oder zum Beispiel die sind, die ein Opfer auffinden und dadurch dann schwere gesundheitliche Schäden erleiden.
00:40:05
Da spricht man dann von sogenannten Schockschäden.
00:40:09
Und der Sinn dahinter ist, dass auch nicht unmittelbar durch die Tat geschädigte Personen, wie jetzt zum Beispiel AugenzeugInnen, also sogenannte Sekundäropfer, eine Entschädigung erhalten können.
00:40:19
Wer jetzt allerdings als nicht unmittelbar geschädigte Person gilt, musste schon einige Male vor Gericht ausgefochten werden.
00:40:29
Es klagte 2006 ein Zehnjähriger eine Beschädigtenrente nach dem Amoklauf am OIZ ein.
00:40:37
Darüber haben wir im Podcast hier ja auch schon mal gesprochen.
00:40:39
Amoklauf am Olympia-Einkaufszentrum in München.
00:40:42
Am 22. Juli ist also der Zehnjährige, wir nennen ihn jetzt Leon, beim Fecht-Training.
00:40:48
Abgemacht ist, dass er danach von seinen Eltern und seiner Schwester wieder abgeholt wird, die halt kurz zum Olympia-Einkaufszentrum wollen.
00:40:55
Doch nachdem das Training beendet ist, kommen die halt nicht wie vereinbart.
00:40:59
Und dann kommt die Fecht-Trainerin und erzählt Leon, dass es im OIZ eben diesen Amoklauf gegeben habe.
00:41:05
Und Leon versucht dann daraufhin, seine Familie auf dem Handy zu erreichen.
00:41:09
Und für Leon ist das natürlich ganz, ganz schlimm, weil er große Angst hat, dass er halt seine Eltern und seine Schwester nie wieder sehen wird.
00:41:17
Richtig schlimm wird es für ihn dann, als die ganzen Rettungswagen an der Sporthalle vorbeifahren.
00:41:22
Und da hat Leon dann auch nicht nur Angst um seine Familie, sondern auch, dass ihm selbst was passieren kann.
00:41:28
Erst Stunden später erfährt Leon dann, dass es seiner Familie gut geht.
00:41:32
Danach macht Leon eine Therapie, weil er über das Ereignis halt nicht so gut hinwegkommt.
00:41:37
Also die ÄrztInnen, die stellen auch eine posttraumatische Belastungsstörung bei Leon fest.
00:41:42
Er, und ich denke, dass damit eigentlich seine Eltern gemeint sind, will dann Entschädigung für Gewaltopfer und beantragt dann, dass die Heilbehandlung übernommen wird und dass er eine Beschädigtenrente bekommt.
00:41:55
Das sind bei Leon jetzt damals in dem Jahr 156 Euro im Monat.
00:41:59
Und das wird dann aber abgelehnt, weil Leon ja kein Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, täglichen Angriffs war.
00:42:06
Also er selbst war bei dem Amoklauf ja auch gar nicht dabei.
00:42:08
Aber Leon, also beziehungsweise seine Eltern, aber Leon, sagt, dass seine Familie dem Amoklauf ja irgendwie schon ausgesetzt war.
00:42:17
Und der Amoklauf gleiche ja einer schweren Straftat.
00:42:20
Was ein bisschen eine seltsame Argumentation ist, weil ein Amoklauf ist eben keine Straftat, sondern eine Bezeichnung für einen Vorgang einer oder mehrerer Straftaten.
00:42:30
Also wenn bestimmte Sachen gegeben sind.
00:42:32
Aber die Eltern sind ja auch nicht Opfer dieser Straftaten geworden, die in einem Amoklauf passieren.
00:42:37
Die Eltern wiederum meinen aber schon.
00:42:40
Also sie sagen, sie seien Opfer eines Amoklaufs und Leon damit Sekundäropfer, weil er ja die Nachricht von dieser Straftat erhalten habe.
00:42:47
Und tatsächlich gibt es auch die Fälle, dass Angehörige, wenn sie eben die Nachricht bekommen, dass ein Familienmitglied ermordet wurde, zum Beispiel einen Schock erleiden und dann so eine Entschädigung bekommen.
00:42:58
Aber da geht es eben um die Tötung von Familienangehörigen und hier wurden ja Fremde getötet.
00:43:04
Ja, es tut mir auch auf jeden Fall sehr leid, dass dem Leon das so zugesetzt hat.
00:43:11
Und ich kann mir auch vorstellen, dass die Eltern sich auch wie Opfer von diesem Amoklauf gefühlt haben.
00:43:17
Genau, aber es geht ja eben gar nicht um die Eltern, sondern um Leon.
00:43:22
Und sicherlich war das ganz schlimm für den.
00:43:24
Aber es ist eben nicht so, dass nur weil du davon ausgehst, dass deiner Familie vielleicht was passiert ist und dann ist das gar nicht so, dass du dann dafür eine Entschädigungszahlung bekommst.
00:43:37
Übrigens kleine Randnotiz zu der Werbung, weil wir so viele Nachrichten dazu immer kriegen.
00:43:42
Alle aktuellen Codes findet ihr immer unter dem Link von jeder Folge.
00:43:46
Ihr könnt also, wenn ihr später erst ein Code einlösen wollt, auf egal welche Folge gehen und in der Beschreibung schauen.
00:43:52
Unter dem Link, da sind alle aufgelistet.
00:43:55
Mein Fall erzählt von Tanja, die mir ihre Geschichte selbst aufgeschrieben und damit gezeigt hat, dass sich eine Entschädigung für Opfer leider nicht immer wie eine anfühlt.
00:44:05
Einige Namen habe ich geändert.
00:44:07
Die Triggerwarnung findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
00:44:10
Anders als ein Gipsbein ist eine verletzte Seele nicht gleich für andere sichtbar.
00:44:17
Auch nicht für die SachbearbeiterInnen des Landesamts für Gesundheit und Soziales, die sich um die Entschädigung von Opfern von Gewaltverbrechen kümmern sollen.
00:44:25
Und anders als Betroffene können sie auch nicht wirklich wissen, wie es sich anfühlt, Opfer zu sein.
00:44:30
Kann man es den SachbearbeiterInnen dann überhaupt übel nehmen, wenn sie Betroffene dann auch wie eine Sache behandeln?
00:44:40
Ein Freitagabend in Kreuzköln.
00:44:43
Kein schlechter Ort, um sich treiben zu lassen.
00:44:45
Das sehen auch Tanja und ihre Freundin Lena so.
00:44:48
Rund um den U-Bahnhof Schönleinstraße verläuft die unsichtbare Trennlinie zwischen Kreuzberg und Nordneukölln,
00:44:55
wo sich die Hauptstadt von ihrer beliebtesten Seite zeigt.
00:44:58
Ein perfektes Pflaster für die nächtlichen Kneipentouren, die Tanja so sehr liebt.
00:45:03
Der erste Stopp für die beiden Frauen Anfang 30 ist eine kleine Bar in der Diefenbachstraße.
00:45:08
Das ein oder andere Bier findet den Weg in Tanjas Hände und einen Schnaps gibt's aufs Haus.
00:45:13
Gegen Mitternacht wechseln die Freundinnen dann die Location.
00:45:17
Es zieht sie ein paar Meter weiter ins Epizentrum des Kiezes.
00:45:21
Eine Kultkneipe in der Schönleinstraße, die praktisch 24-7 geöffnet hat und morgens nur kurz zum Feuchtdurchwischen schließt.
00:45:29
Nachts werden hier Fremde zu Freundinnen auf Zeit.
00:45:32
So hatte es Tanja schon oft erlebt.
00:45:34
Heute soll es anders werden.
00:45:36
Tanja merkt nicht, wie ein fremder Mann sie schon von Weitem erspäht und sich seinen Weg zu ihr bahnt.
00:45:43
Erst als er direkt vor ihr steht, bemerkt sie ihn.
00:45:45
Der Whisky dämpft ihr Frühwarnsystem und so kommt sie mit dem großen athletischen Typ mit den dunklen Haaren und der großen Nase ins Gespräch.
00:45:53
Irgendwann im Laufe des Abends verabschiedet sich Can.
00:45:56
So hatte er sich vorgestellt, weil er kurz etwas aus seiner Wohnung holen will.
00:46:00
Als er wieder zurück ist, gibt er eine neue Runde aus.
00:46:03
Alkohol fließt in Strömen und Tanja bekommt immer weniger von dem mit, was um sie herum passiert.
00:46:09
Auch nicht, dass sie dann gegen 5 Uhr die Bar verlässt.
00:46:12
Ohne Cardigan, ohne Jacke, dafür aber mit Can.
00:46:16
Er ist nicht ihr Typ, darüber kann selbst der Alkohol nicht hinwegtäuschen.
00:46:21
Warum sie trotzdem mitgeht, weiß sie nicht.
00:46:23
Der Weg zu seiner Wohnung ist nicht weit und ehe Tanja sich versieht, findet sie sich in einem fremden Zimmer wieder.
00:46:29
Als sie dann seine Finger auf ihrem Oberarm spürt, schrillen auf einmal doch alle Alarmglocken.
00:46:35
Du berührst mich nicht, presst sie in bestimmtem Ton hervor.
00:46:39
Reflexartig greift Tanja nach ihrem schwarzen Beutel und steuert auf die Zimmertür zu.
00:46:43
Da stellt sich Can ihr in den Weg.
00:46:45
Die Situation kippt von einer Sekunde auf die andere.
00:46:48
Can bekommt Tanjas Beutel zu fassen, zieht sie damit zurück, wobei einer der Träger reißt.
00:46:54
Dann stößt er Tanja nach unten.
00:46:56
Ob sie auf einem Bett oder einem Sofa landet, weiß sie nicht.
00:46:59
In diesem Moment schießt ihr das Adrenalin durch den Körper und alles um sie herum wird ganz still.
00:47:05
Sie hat Todesangst und deshalb schreit sie, so laut sie kann.
00:47:09
Irgendjemand im Haus muss sie hören.
00:47:11
Es ist schließlich Samstagmorgen.
00:47:13
Aber niemand hilft und Tanja überkommt das Gefühl des absoluten Alleinseins.
00:47:18
Ihre Schreie verstummen, als der Mann anfängt, sie ins Gesicht zu schlagen.
00:47:22
Immer wieder haut er mit der flachen Hand zu, im Wechsel.
00:47:26
Rechts, links, rechts, links.
00:47:28
Begleitet von Worten, die fast genauso doll wehtun.
00:47:31
Schlampe, Hure, schreit er ihr immer wieder ins Gesicht.
00:47:34
In Tanja läuft derweil ein inneres Überlebensprogramm ab.
00:47:38
Nur nicht Nichtstun, sonst bringt er dich um, denkt sie.
00:47:42
Sie traut sich jetzt zwar nicht mehr zu schreien, dafür wehrt sie sich mit aller Kraft.
00:47:47
Aber schnell wird ihr klar, dass sie gegen diesen Mann körperlich keine Chance hat.
00:47:50
Als nächstes versucht Tanja deshalb, ihn mit Worten zum Aufhören zu bringen.
00:47:55
Das kannst du doch nicht wollen, ist ein Satz, der ihre Lippen verlässt.
00:47:59
Doch das scheint Jan nur noch wütender zu machen.
00:48:02
Denn er greift zu, mit beiden Händen, um Tanjas Hals und drückt.
00:48:06
Tanja nimmt die nächsten Sekunden nur noch in Fetzen wahr.
00:48:09
Sie sieht ihn über sich, unscharf, und sie spürt, wie er ihr ganzes Gesicht ableckt.
00:48:16
Wie er versucht, seine Zunge in ihren Mund zu schieben, wie er ihren ganzen Körper begrapscht und wie er seine Hand unter ihre Leggings und ihren Slip rammt.
00:48:24
Siehst du, was ich jetzt kann, brüllt er.
00:48:28
Für Tanja ist das alles zu viel.
00:48:30
Sie steigt aus ihrem Körper aus und sieht das, was mit ihr passiert, nur noch von oben.
00:48:34
Bis sie auf einmal im Flur steht und sich alles dreht.
00:48:38
Sie weiß nicht, wohin.
00:48:39
Sie reißt eine Tür auf.
00:48:41
Geht rein, doch schafft es nicht abzusperren.
00:48:44
Jan zerrt sie zurück.
00:48:45
Zurück auf den weichen Untergrund.
00:48:47
Zurück zu seinen Händen, die sich erneut um ihren Hals schließen.
00:48:51
Dann löst sich das Zimmer auf und anstelle dessen rückt ein großes Nichts.
00:48:55
Tanja weiß nicht, wann und warum Jan von ihr abgelassen hat, aber irgendwann ist da kein fremder Körper mehr auf ihr.
00:49:02
Sie greift zu ihrem Handy, wählt die Nummer ihrer besten Freundin Madeleine.
00:49:06
Ich bin in einer Wohnung, der Typ lässt mich nicht gehen, stammelt Tanja.
00:49:09
Madeleine fordert sie auf, den Hörer weiterzureichen.
00:49:12
Tanja tut, wie ihr geheißen und hört jetzt, wie Jan mit ihrer Freundin spricht.
00:49:16
Was geredet wird, bekommt sie nicht mit.
00:49:19
Madeleine erzählt ihr später, dass sie ihn mit der Polizei gedroht hat.
00:49:22
Dann hat Tanja plötzlich selbst wieder das Handy in der Hand und folgt Madeleines Anweisung, sofort die Wohnung zu verlassen.
00:49:29
Tanja rennt sehr viele Stufen nach unten, verlässt das Haus und sitzt wenig später erst in der U8 und dann gegen 10 Uhr morgens in Madeleines Wohnung.
00:49:37
Du hast mir das Leben gerettet, sagt Tanja immer wieder, während Tränen über ihre Wangen laufen.
00:49:43
Wie ein Häufchen Elend sitzt sie da, ihre langen braunen Haare zerzaust, der Hals voller roter Würgemahle, die Augen geschwollen und die Oberarme mit Hämatomen überseht.
00:49:54
Es dauert nicht lang, da kningelt es an der Tür.
00:49:57
Madeleine hatte die Polizei gerufen.
00:49:59
Tanja soll erzählen, aber jedes Wort kostet Kraft.
00:50:03
Der Vorgang wird als versuchtes Tötungsdelikt aufgenommen und die BeamtInnen alarmieren den Rettungsdienst.
00:50:09
Es geht sofort in die Charité, wo Tanja rechtsmedizinisch von einer Ärztin untersucht wird.
00:50:15
In einem sterilen Raum muss sie sich bis auf die Unterwäsche ausziehen.
00:50:18
Ihre Verletzungen werden begutachtet, vermessen und fotografisch dokumentiert.
00:50:24
Das Verletzungsbild passt zu ihren Schilderungen.
00:50:27
Typische Abwehrverletzungen und Verletzungen, die wahrscheinlich von grobem Anpacken, Hand- oder Faustschlägen und Beknijung herrühren.
00:50:34
Ausgehend von der Intensität der Würgemahle an ihrem Hals und den punktförmigen Einblutungen der Gesichtshaut und beider Augenlider,
00:50:41
stellt die Ärztin fest, dass für Tanja zeitweise akute Lebensgefahr bestand und gegen ihren Hals mindestens 30 Sekunden lang durchgängig mit massiver Gewalt eingewirkt wurde.
00:50:52
Weil Tanja sich an einige Stunden gar nicht erinnern kann, steht der Verdacht im Raum, dass ihr möglicherweise K.O.-Tropfen verabreicht wurden.
00:50:59
Doch einer Blutentnahme, genauso wie einer gynäkologischen Untersuchung, verweigert sie sich.
00:51:05
Sie kann nicht mehr.
00:51:06
Sie will einfach nur raus.
00:51:08
Raus aus diesem Raum.
00:51:09
Raus aus diesem Krankenhaus.
00:51:11
Raus aus ihrem Körper und ihrem Leben.
00:51:13
Entgegen dem ärztlichen Rat verlässt Tanja also das Krankenhaus und findet sich am Abend in ihrem eigenen Bett wieder.
00:51:20
Eigentlich müsste sie jetzt in der Konzerthalle stehen und sich um die Garderobe kümmern.
00:51:24
Einer ihrer Jobs neben dem Studium.
00:51:26
Aber dazu ist sie nicht imstande.
00:51:28
Ihr Körper hat den Betrieb eingestellt.
00:51:30
In den nächsten Stunden leisten drei Freundinnen in ihrem regungslosen Körper Gesellschaft.
00:51:34
Sie haben Angst um Tanja.
00:51:36
Angst, dass sie sich etwas antun könnte.
00:51:39
Suizidal war sie zwar noch nie, aber in diesen ersten Tagen ist sie dem Wunsch, einfach nicht mehr aufzuwachen, sehr nah.
00:51:45
Einfach den Ausknopf tätigen, der die Bilder im Kopf stoppt.
00:51:49
Die Bilder, die sich ihr immer wieder aufdrängen.
00:51:52
Die kurzen Sequenzen.
00:51:53
Die Worte, die der Mann ihr ins Gesicht gebrüllt hat.
00:51:56
Zwei Tage nach der Tat muss Tanja nochmal erzählen.
00:52:00
In der Dienststelle des LKA.
00:52:02
Der Kripo-Beamte, der ihr gegenüber sitzt, ist jung.
00:52:04
Ende 20, Anfang 30.
00:52:06
Er stellt immer wieder dieselben Fragen, nur in einem anderen Wortlaut.
00:52:11
Die Richtigkeit von Tanjas Angaben soll dadurch überprüft werden.
00:52:15
Obwohl sie hier als Opfer aussagt, fühlt sie sich so selbst wie eine Verdächtige.
00:52:20
Eine verlässliche Personenbeschreibung kann sie nicht abgeben.
00:52:23
Genauso wenig wie detaillierte Angaben zum Tatort.
00:52:25
Sie kann sich einfach nicht genau erinnern und schämt sich dafür.
00:52:29
Am nächsten Tag bekommt Tanja nochmal Besuch von der Polizei.
00:52:33
Sie soll den schwarzen Beutel und den Slip übergeben, den sie am Tatabend trug.
00:52:37
Beides sind jetzt keine persönlichen Gegenstände mehr, sondern Spurenträger.
00:52:41
Während die Polizei ihre Arbeit macht, sind Tanja und ihre BeschützerInnen komplett überfordert.
00:52:47
Es ist klar, es geht nicht ohne professionelle Hilfe.
00:52:50
So wendet sich Tanja schließlich an den weißen Ring.
00:52:53
Acht Tage nach der Tat kommt eine ehrenamtliche Mitarbeiterin, die selbst betroffen ist, zu Tanja nach Hause.
00:52:58
Im Zuge ihres Gesprächs verweist die Frau Tanja darauf, dass sie unbedingt einen Opferentschädigungsantrag stellen soll,
00:53:05
falls, Zitat, irgendwas von der Tat bleibt.
00:53:09
Sie erzählt von Leistungen zur Heilbehandlung und einer monatlichen Grundrente.
00:53:13
Bei dem Wort Rente muss Tanja automatisch an alte Menschen denken.
00:53:17
Sie kann sich jetzt nicht mit einem Antrag oder mit irgendwelchen Behörden rumschlagen.
00:53:21
Sie hat gerade andere Probleme.
00:53:22
Irgendwo in ihrer Nachbarschaft wohnt ein Mann, der sie fast erwürgt hat.
00:53:26
Da Tanja auch nicht mehr weiß, was sie ihm alles in der Nacht von ihr erzählt hat,
00:53:30
wacht sie jeden Morgen mit Angst auf und geht jeden Abend mit ihr wieder ins Bett.
00:53:35
Ein paar Tage später spricht sie dann als Akutpatientin bei einer Psychiaterin vor.
00:53:39
Diese leistet erste Hilfe in Form von Antidepressiva.
00:53:42
Zeit für Gespräche bleibt keine, aber Tanja will auch nicht.
00:53:45
Sie will zurück in ihr Leben.
00:53:47
Und so schleppt sie sich nach den Semesterferien direkt wieder zur Uni,
00:53:50
zurück zu den Literatur- und kulturwissenschaftlichen Inhalten.
00:53:53
Sie hat keine Zeit mehr zu verschenken, denkt sie sich.
00:53:57
Mit 33 ist sie sowieso spät dran mit Studieren.
00:54:00
Die Vorlesungen und Seminare sind anstrengend und während die anderen in den Pausen über Studieninhalte diskutieren,
00:54:06
telefoniert Tanja mit der Kripo.
00:54:08
Die BeamtInnen haben sich die Bilder der Überwachungskameras aus der Bar besorgt
00:54:11
und Tanja soll sich die ansehen.
00:54:13
Das katapultiert sie zurück zu dem Abend, an dem ein Riss durch ihr Leben gegangen ist.
00:54:19
Auf den Bildern erkennt sie sich an der Bar wieder und den Mann, der ihr das angetan hat.
00:54:24
Wie er wie ein Jäger durch die Kneipe streift und vor ihr Halt macht.
00:54:28
Am liebsten würde Tanja ins Video steigen und sich selbst da rausholen.
00:54:32
Stoppen, was nicht mehr zu stoppen ist.
00:54:34
Nachdem sie den Mann klar identifiziert hat, wird ein Standbild des Videos ausgedruckt
00:54:39
und dem Personal in der Bar übergeben.
00:54:41
Sollte dieser Mann noch einmal das Lokal aussuchen, solle man sofort die Polizei rufen.
00:54:46
Und tatsächlich wird der Gesuchte gesichtet.
00:54:49
Am 15. Mai verlässt ein Barmann die Kneipe, um für seine KollegInnen aus der Nachtschicht Kaffee zu holen.
00:54:55
Draußen entdeckt er dann plötzlich den Mann von den Überwachungsbildern.
00:54:58
In Begleitung einer augenscheinlich alkoholisierten Frau.
00:55:01
Der Barmann beobachtet, in welches Haus die beiden gehen und ruft die 110.
00:55:05
Daraufhin überprüft die Polizei alle männlichen Personen, die in dem besagten Haus wohnen,
00:55:10
und kommt vier Tage später mit Fotos zurück.
00:55:13
Der Zeuge kann auf Bild 3 den Mann wiedererkennen, der auch am 1. April Gast in der Kneipe war.
00:55:20
Es ist Can S., Jahrgang 1971, zweifacher Vater, geschieden, Bauarbeiter, aktuell wohnhaft in dem Haus,
00:55:27
das weniger als 100 Meter von der Bar entfernt steht.
00:55:30
Und Polizei bekannt.
00:55:32
Immer wieder lagen in der Vergangenheit Anzeigen gegen ihn vor.
00:55:35
So soll er beispielsweise eine Bekannte nach einem Streit wegen einer Taxirechnung in ihrer Wohnung bedroht und festgehalten haben.
00:55:42
Trau dich nicht aus der Wohnung, sonst lebst du nicht sehr lange, steht dazu in seiner Akte.
00:55:46
Außerdem soll er seine Ex-Frau unter anderem gewürgt und lautstark als Schlampe und Hurentochter beschimpft haben.
00:55:52
Vor den Augen seiner Kinder.
00:55:54
Doch am Ende werden alle Anzeigen eingestellt.
00:55:57
Wir haben ihn, ist der Satz, der in Tanja an diesem 20. Mai ein wenig Erleichterung auslöst.
00:56:04
Doch dieses Gefühl weicht schon bald einem, das sie so von sich noch nicht kannte.
00:56:08
Bösartige Verachtung.
00:56:11
Vergeltungsfantasien nehmen ihren Kopf ein und Tanja stellt sich bildlich vor,
00:56:15
welche Praktiken man anwenden könnte, um den Mann zu erniedrigen und ihm den größtmöglichen Schmerz zuzufügen.
00:56:21
Ende Juli erfährt sie dann, wann es zur Hauptverhandlung kommen soll.
00:56:25
Ende Oktober. Drei Prozesstage sind angesetzt.
00:56:28
Während Tanja das Sommersemester noch irgendwie gemeistert hat, merkt sie jetzt, dass es einfach zu viel ist.
00:56:33
Ihre Psychiaterin diagnostiziert eine posttraumatische Belastungsstörung und das Wintersemester fällt flach.
00:56:39
Der Prozess, der unaufhaltsam auf sie zurollt, schwebt wie ein Damoklesschwert über ihr.
00:56:44
So bedrohlich, dass Tanja Anfang Oktober in einer Traumaambulanz vorstellig wird.
00:56:49
Die Psychologin, zu der Tanja durchgelassen wird, spricht mit ihr unter anderem über den Antrag auf
00:56:54
Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Versorgungsbezügen nach dem Opferentschädigungsgesetz.
00:56:59
Von diesem hatte Tanja ja schon durch die Frau vom Weißen Ring gehört.
00:57:02
Gemeinsam mit der Psychologin füllt sie den Antrag aus, der am 4. Oktober 2016 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales eingeht.
00:57:11
Nur zwei Wochen später beginnt der Prozess gegen Can S.
00:57:14
Ihm wird vorgeworfen, Tanja mit Gewalt zu sexuellen Handlungen genötigt, lebensgefährlich, körperlich misshandelt und in Lebensgefahr gebracht zu haben.
00:57:22
Weil Tanja nicht mehr sicher sagen konnte, ob er auch mit dem Finger in sie eingedrungen ist, wird die Tat nicht als Vergewaltigung gewertet.
00:57:30
Am ersten Verhandlungstag soll Tanja, die durch ihren Anwalt als Nebenklägerin beim Prozess vertreten wird, als Zeugin aussagen.
00:57:37
Für 12.40 Uhr ist sie geladen, doch den Saal kann sie nicht pünktlich betreten.
00:57:41
Eine Panikattacke und ein Weinkrampf hindern sie daran.
00:57:44
Es dauert eine ganze Weile, bis Tanjas Anwalt sie davon überzeugen kann, nun doch ihre Aussage zu machen.
00:57:51
Während sie dann beim Eintreten in den Saal tunlichst vermeidet, den Täter anzusehen, wird sie vom Gericht dazu aufgefordert.
00:57:57
Denn obwohl bereits der DNA-Beweis erbracht ist und Spuren von ihm auf Tanjas Kleidung und in ihrem Slip sichergestellt wurden,
00:58:03
soll sie den Mann auf der Anklagebank mit einem Fingerzeig identifizieren.
00:58:07
Tanja nimmt all ihren Mut zusammen, schaut kurz auf, zeigt auf ihn, ohne ihn wirklich anzusehen.
00:58:14
Und jetzt muss Tanja noch einmal die schlimmste Nacht ihres Lebens Revue passieren lassen.
00:58:19
Außerdem auf die Anschuldigung ihres Peinigers eingehen.
00:58:22
John S. hatte der Polizei gegenüber nämlich erklärt, Tanja wollte von ihm Geld für Kokain haben.
00:58:28
Sie habe ihm, als er ihr mitgeteilt habe, noch 70 Euro zu Hause zu haben, Sex gegen Geld angeboten.
00:58:34
Zu Hause hätten sie dann gemeinsam Kokain genommen und weiter Alkohol getrunken.
00:58:38
Danach würden seine Erinnerungen aussetzen.
00:58:41
Er könne sich nur noch entsinnen, dass Tanja Sex haben wollte und es dann zu einem Streit kam,
00:58:46
in dessen Verlauf sie ihn im Gesicht gekratzt hätte.
00:58:49
Er wäre dann wütend geworden und hätte sie mit der flachen Hand geschlagen.
00:58:52
Tanja abgeleckt oder gewürgt zu haben, bestreitet er.
00:58:56
Tanja hat das Gefühl, sie würde für mitschuldig erklärt und betont,
00:59:00
dass sie dem Mann weder Drogen noch sich selbst angeboten hat und auch nicht zuerst handgreiflich wurde.
00:59:06
Nach gefühlten Stunden im Zeugenstand verlässt sie das Gerichtsgebäude auf zwei Beinen.
00:59:11
Wie ein Mensch fühlt sie sich aber nicht mehr.
00:59:14
Anfang November fährt sie noch einmal zum Landgericht Berlin.
00:59:17
Noch einmal nimmt sie Platz in dem holzvertiefelten Gerichtssaal.
00:59:20
Diesmal richtet sie ihren Blick ganz bewusst auf ihren Peiniger.
00:59:23
Diesmal sieht sie ihn direkt an.
00:59:25
Nicht mehr viel ist da von dem Typen, der sie vor einem halben Jahr mit seinem Körpergewicht auf dem Bett fixiert hatte.
00:59:31
Er sieht plötzlich ganz klein aus.
00:59:33
Eingefallen wirkt er.
00:59:34
An Muskelmasse hat er offenbar auch verloren.
00:59:36
Tanjas Anwalt hatte sie schon darauf eingestimmt, dass viele nach den ersten Monaten in Urhaft abbauen.
00:59:42
Aber jetzt, wo sie es mit eigenen Augen sieht, irritiert sie der Anblick,
00:59:46
erfüllt sie gleichzeitig aber auch mit einem flüchtigen Anflug von Genugtuung.
00:59:50
Doch dann fängt John S. an zu sprechen.
00:59:53
Sein Schlusswort, in dem es einzig und allein um ihn geht.
00:59:56
Darum, was für ein liebevoller, fürsorglicher Vater er ist.
01:00:00
Eine Entschuldigung bei Tanja verlässt seine Lippen nicht, ebenso wenig wie ein Geständnis.
01:00:04
Weil der Mann auf der Anklagebank gar nicht mehr aufhört zu sprechen,
01:00:08
interveniert der Richter irgendwann mit dem Hinweis, dass er zum Schluss kommen soll.
01:00:11
Am liebsten würde sich Tanja an Ort und Stelle übergeben.
01:00:15
Oder laut loslachen.
01:00:17
Ihr Anwalt merkt, wie es in ihr brodelt und flüstert ihr ins Ohr, dass sie Ruhe bewahren soll.
01:00:22
Das fällt ihr schwer.
01:00:23
Vor allem, als das Urteil verkündet wird.
01:00:26
Jan S. wird wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung
01:00:31
und wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
01:00:36
Für Tanja zu wenig.
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Nach dem Prozess versucht sie, ihr Leben zurückzuerobern.
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Sie geht wieder zur Uni und setzt zeitweise sogar die Antidepressiva ab.
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Will es jetzt, wo der Mann in Haft sitzt, der ihr das angetan hat,
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wieder ohne probieren, wieder zu sich selbst zurückfinden.
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Anfang 2018 kommt es dann.
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Das Antwortschreiben vom Landesamt für Gesundheit und Soziales.
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Ein Jahr und zwei Monate, nachdem Tanja gemeinsam mit der Psychologin den Antrag gestellt hatte.
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In dem Schreiben steht, dass Tanja im Februar 2019 durch eine Amtsärztin psychologisch begutachtet werden soll,
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um zu prüfen, ob Anspruch auf Opferentschädigung besteht.
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Als der Termin kurz bevor steht, ist Tanja nervös, aber auch vorsichtig optimistisch gestimmt.
01:01:20
Schließlich soll das Ganze ja der Opferhilfe dienen.
01:01:22
Es kommt anders.
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Drei Stunden lang sitzt die mittlerweile 35-Jährige in einem großzügigen Behandlungszimmer in einem typischen Berliner Altbau.
01:01:31
Drei Stunden lang soll Tanja nicht nur von der Tat erzählen,
01:01:35
Sondern ihren kompletten Lebenslauf offenlegen.
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Angefangen vom Kindesalter in chronologischer Reihenfolge.
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Sie muss alle Stationen ihres Lebens rekapitulieren.
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Soziale, schulische, berufliche und familiäre.
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Alles, was sie in ihrem Leben je wütend, traurig und hilflos gemacht hat.
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Darunter die schwierige Trennung ihrer Eltern, der Weggang ihrer Mutter,
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Der frühe Tod ihres Vaters und den Übergriff eines Arztes im Kleinkindalter.
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Also wozu? Tut das jetzt Not?
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Ja, also der Nachweis über die Tat, die ist zwar durch den Schuldspruch des Täters ja irgendwie erbracht,
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Aber von Amts wegen muss halt so ein Ursachenzusammenhang ermittelt werden.
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Laut allgemeinem medizinischen Stand ist eine Sexualstraftat zwar in Zitat signifikant erhöhtem Maße geeignet,
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eine posttraumatische Belastungsstörung nach sich zu ziehen.
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Es soll aber ausgeschlossen werden, dass nicht auch etwas anderes in Tanjas Biografie der mögliche Auslöser für ihr Leid ist.
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Wenn die erlittenen Schäden nämlich nicht auf die Tat selbst zurückzuführen sind,
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ist ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz hinfällig.
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Hat sie denn vorher versucht, mal einen Antrag zu stellen?
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Nach der Begutachtung will die Ärztin noch Tanjas Reflexe testen, aber Tanja kann nicht mehr.
01:02:59
Sie will nicht, dass diese fremde Frau ihr jetzt auch noch auf die Knie klopft.
01:03:03
Sie steht kurz vor dem Kreislaufzusammenbruch.
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Nach dem Termin fällt Tanja erstmal zurück in ein tiefes, schwarzes Loch.
01:03:10
So tief, dass sie zwei Wochen später bei der Amtsärztin anruft und nach Hilfe fragt.
01:03:14
Daraufhin spricht ihr die Medizinerin eine Empfehlung für eine Psychiaterin aus, bei der sich Tanja dann auch meldet.
01:03:20
Es dauert mehrere Wochen und Testläufe mit verschiedenen Antidepressiva, bis Tanja wieder halbwegs stabil ist.
01:03:27
Im Oktober 2019, acht Monate nach der Begutachtung, ergeht dann der Bescheid.
01:03:34
Anerkannte Schädigungsfolgen, posttraumatische Belastungsstörung.
01:03:37
Der sogenannte Grad der Schädigungsfolgen wird auf 30 beziffert, dem niedrigsten Grad.
01:03:43
Für Tanja bedeutet das erstmal eine monatliche Grundrente in Höhe von 156 Euro.
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Tanja weiß nicht, ob sich das alles gelohnt hat.
01:03:52
Red Traumatisierung, das Fallen zurück ins tiefe Loch und das alles für 156 Euro im Monat.
01:03:59
Dank der Nachzahlung bis kurz nach der Tat ist Tanja aber imstande, sich zumindest finanziell die nächsten Monate über Wasser zu halten.
01:04:06
Ihre nächtlichen Nebenjobs musste sie nach der Tat nämlich aufgeben.
01:04:10
Zu laut, zu eng, zu viel.
01:04:14
Tanja findet schließlich ihren Weg zurück ins Studium, schließt dieses sogar mit einem Einserschnitt ab.
01:04:19
Danach stürzt sie sich ins Berufsleben, arbeitet als Autorin für verschiedene Podcast-Produktionen.
01:04:24
Trotzdem vergeht kein Tag, an dem sie nicht an die Tat denkt oder ihr Körper sie daran erinnert.
01:04:29
Tanja kann nicht mehr ein- und durchschlafen.
01:04:32
Sie ist oft geschafft, müde.
01:04:34
Die Belastungsgrenze hat sich nach unten korrigiert.
01:04:37
In lauten Restaurantsitzen geht nicht mehr.
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Feiern, Alkohol trinken erst recht nicht.
01:04:42
Auch fremde Menschen zu Freundinnen werden lassen, wenn auch nur auf Zeit, ist nicht mehr drin.
01:04:47
Urvertrauen weg.
01:04:48
Ende Mai 2021 bekommt Tanja dann unerwartet Post.
01:04:53
Ein Schreiben vom Lageso.
01:04:55
Die Sachbearbeiterin beabsichtigt eine Nachuntersuchung durch den ärztlichen Dienst.
01:05:01
Tanja soll eine Schweigepflichtentbindung einreichen, sofern sie wegen der Folgen der Tat noch in ärztlicher Behandlung ist.
01:05:06
Tanja macht, wonach sie gefragt wird,
01:05:09
Woraufhin das Lageso bei Tanjas Psychiaterin, die ihr noch jeden Monat Antidepressiva verschreibt, einen Befund einholt.
01:05:15
Die Verdachtsdiagnose lautet Posttraumatische Belastungsstörung.
01:05:19
Fünf Monate lang hört Tanja nichts mehr.
01:05:22
Im Oktober wird ihr dann das nächste Schreiben zugestellt.
01:05:26
Darin heißt es, Zitat,
01:05:27
Der Bescheid des Versorgungsamtes Berlin vom 9.07.2018 wird von Amts wegen mit Wirkung vom 01.01.2022 voraussichtlich aufgehoben.
01:05:38
Es ergeht folgende neue Entscheidung.
01:05:39
Die durch die Gewalttat eingetretene Gesundheitsstörung ist folgenlos abgeheilt.
01:05:44
Eine Schädigungsfolge liegt nicht länger vor.
01:05:47
Was, was, was, was, was, was, was, das schreiben sie ihr nicht einfach, ohne sie gesehen zu haben?
01:05:53
Obwohl sie von Tanjas Psychiaterin wissen, dass sie noch jeden Monat Antidepressiva nimmt.
01:05:59
Und trotz dieser Verdachtsdiagnose auf Posttraumatische Belastungsstörung.
01:06:04
Als Tanja das liest, fängt ihr Herz an zu rasen.
01:06:10
Ihr wird schlecht.
01:06:11
Auch Worte können Waffen sein und die Satzbausteine des maschinellen Vordrucks treffen Tanja mit voller Wucht.
01:06:17
Folgenlos abgeheilt.
01:06:19
Klingt in ihren Ohren wie Verhöhnung.
01:06:21
In dem Schreiben steht weiter, dass Tanja die Gelegenheit eingeräumt wird, zu dem, Zitat, genannten Sachverhalt Stellung zu nehmen.
01:06:28
Die Frist dafür beträgt vier Wochen.
01:06:29
Der genannte Sachverhalt ist Tanjas Leben.
01:06:32
Und als sie das klar wird, rollt sie sich auf ihrem Sofa zusammen und weint.
01:06:37
Erst zwei Tage später findet sie die Kraft, auf den Brief zu antworten.
01:06:41
Versucht, Worte für das zu finden, was sie immer wieder bewegungsunfähig macht, seitdem John S. in ihr Leben getreten ist.
01:06:47
Eine Antwort kommt erst ein halbes Jahr später.
01:06:51
Im April dieses Jahres.
01:06:52
Es ist die Einladung zum persönlichen Gespräch.
01:06:56
Sechs Jahre nach dem Tag, der Tanjas Leben in ein Vor- und ein Danach geteilt hat.
01:07:00
Wieder soll Tanja bei der Gutachterin vorsprechen, die sie schon einmal befragt hat.
01:07:05
Die sie mit ihrer Begutachtung in ein tiefes, schwarzes Loch katapultiert hat.
01:07:10
Tanja hat Angst vor dem Termin, der mit großen Schritten näher kommt.
01:07:14
Zwei Wochen vor dem 24. Mai lähmt sie die Furcht und Tanja muss die meiste Zeit in der Horizontalen verbringen.
01:07:20
Dann ist es soweit.
01:07:22
Mit FFP2-Maske und Schnappatmung betritt Tanja das große Behandlungszimmer im Berliner Altbau.
01:07:27
Dann prasseln die Fragen auf sie hinab.
01:07:31
Tanja hat das Gefühl, den Beweis erbringen zu müssen, dass ihr die Anerkennung der Schädigungsfolgen weiterhin zusteht und wünscht sich, sie hätte sich vorher Notizen gemacht.
01:07:49
Alles, was ihr den Alltag schwer macht und auf die Gewalttat zurückzuführen, ist aufgelistet.
01:07:54
Sie ist vergesslich geworden nach der Tat, also fällt ihr jetzt nicht alles ein.
01:07:59
Manches ist auch schon so fest mit ihrem Alltag verwoben, dass sie es gar nicht mehr als Fremdkörper wahrnimmt.
01:08:04
Sie beantwortet die Fragen der Gutachterin nach bestem Wissen und Gewissen.
01:08:08
Dass sie irgendwo zwischen Tränen, Taubheitsgefühlen und Atemnot teilweise sozial erwünschte Antworten gegeben hat, wird ihr erst später bewusst.
01:08:18
Nach einer Stunde, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, ist die Begutachtung endlich vorbei.
01:08:22
Tanja fühlt sich leer und niedergeschlagen.
01:08:25
Am Abend schreibt sie ihrer Psychiaterin noch eine lange E-Mail, bittet sie nochmal einen detaillierten, aktuellen Befund an die Gutachterin zu senden.
01:08:33
Bis heute wartet Tanja noch immer auf einen Brief, wartet darauf zu erfahren, ob sie auch in Zukunft als Opfer entschädigt werden soll oder nicht.
01:08:42
Tanjas Widerspruch ist noch in Bearbeitung.
01:08:45
Solange werden ihr jetzt 164 Euro monatlich ausgezahlt, unter Vorbehalt.
01:08:50
Wann sie mit einer Antwort rechnen kann, wurde ihr nicht mitgeteilt.
01:08:54
Aus Erfahrung weiß sie, dass man lange warten kann.
01:08:57
Eine Ablehnung wäre für Tanja bitter.
01:08:59
Ein herber Rückschlag.
01:09:01
Ein Beweis dafür, dass die gesundheitlichen Folgen der Tat von den SachbearbeiterInnen des Lageso nicht anerkannt werden.
01:09:07
Von den seelischen ganz zu schweigen.
01:09:09
Während der Tat hat sich Tanja wie eine Zielscheibe des Täters empfunden.
01:09:15
Für die Kripo und das Gericht war sie Geschädigte, Zeugin oder Nebenklägerin.
01:09:19
Für ihren Anwalt war sie Mandantin.
01:09:21
Und für das Lageso ist sie eine Sache, ein Aktenzeichen.
01:09:25
Wenn sie so darüber nachdenkt, dann hat sich das Opferentschädigungsgesetz für sie eher wie ein Opferschädigungsgesetz angefühlt.
01:09:33
Also ich finde das so hart.
01:09:36
Wir wissen ja, dass das sehr schwierig ist nach einem Übergriff und vielleicht auch nach einem sexualisierten Übergriff.
01:09:43
Dass man erstmal versucht, nicht zu sterben.
01:09:46
Und dann muss man sich aber all diesen Untersuchungen und all diesen Befragungen auch noch aussetzen.
01:09:53
Und das Ding ist ja auch, um jetzt zum Beispiel in Tanjas Fall überhaupt den Täter zu überführen, muss sie das ja direkt danach machen.
01:10:01
Und sie muss das ja nicht nur den PolizistInnen gegenüber erzählen, sondern dann auch nochmal den MedizinerInnen im Krankenhaus, die sie untersucht haben.
01:10:10
Und dann auch ihrem Anwalt und so weiter.
01:10:13
Und sie muss es immer und immer wieder erzählen, damit es überhaupt erstmal zu diesem Strafverfahren kommt.
01:10:18
Und das ist für viele einfach nach der Tat auch schwierig.
01:10:22
Du möchtest dich doch erstmal verkriechen.
01:10:24
Manche verstehen das auch überhaupt nicht im ersten Moment, was da überhaupt passiert ist.
01:10:30
Und es ist ja auch einfach ein Scherz, dass diese Tat 2016 passiert ist und sie den Termin für die Begutachtung, um eine Entschädigung zu bekommen, 2019 bekommen hat.
01:10:41
Wozu sind denn diese Zahlungen da?
01:10:44
Also nach unserer Recherche ja jetzt, vor allem für Leute, die finanziell vielleicht nicht so aufgestellt sind, dass sie sich das aus der Portokasse bezahlen können.
01:10:54
Und die brauchen es doch dann jetzt.
01:10:57
Also nach der Tat.
01:10:58
Also nach der Tat.
01:10:59
Bei Tanja war es wirklich teilweise richtig schwer.
01:11:04
Die hatte Existenzängste.
01:11:06
Die konnte ja nicht mehr ihren Nebenjobs machen, die nachts waren und laut waren.
01:11:11
Und als der Prozess war, da hatte sie ja noch nichts gehört vom Nageso und wusste auch nicht, ob sie jemals da Geld bekommt oder nicht, hatte sie sich dann auch schweren Herzens dafür entschieden, dass eine Einigung mit dem Täter über Schmerzensgeld zu machen.
01:11:27
Und so wurde dann auch im Prozess quasi festgelegt, dass er ihr 5000 Euro gibt.
01:11:34
Und für sie war das wirklich so schlimm und das war eine reine wirtschaftliche Entscheidung, weil sie ohne das Geld nicht überlebt hätte.
01:11:42
Und sie wollte auf keinen Fall, dass es so rüberkommt wie ein Entgegenkommen oder so, weil das für sie wirklich null damit zu tun hatte, sondern einfach nur, um zu überleben.
01:11:51
Also verständlich, dass sie es gemacht hat, aber auch traurig, dass sie es machen musste, wenn du es eigentlich nicht möchtest.
01:11:57
Also im Gegensatz zu Daniel hatte Tanja ja laut Lageso zumindest eine Zeit lang Anspruch auf Opferentschädigung, weil sie wurde nachweislich Opfer einer Straftat.
01:12:09
Es gab ein Strafverfahren, sie hatte den Antrag ausgefüllt, sich begutachten lassen und dann war man ja zu dem Schluss gekommen, Tanja hat eine posttraumatische Belastungsstörung, die klar Folge der Tat war.
01:12:19
Was man als Opfer, Angehörige oder auch hinterbliebene Person dann erwarten kann und wie das entschieden wird, darum geht es jetzt in meinem Aha.
01:12:27
Also sobald von behördlicher Seite anerkannt wird, dass man Opfer ist, gibt es eben diese verschiedenen Leistungen, auf die man Anspruch haben kann.
01:12:34
Darunter fällt dann eben zum Beispiel die Übernahme von Kosten für verschiedene Behandlungen.
01:12:39
Bei Tanja wurde beispielsweise die Therapie in der Traumaambulanz übernommen.
01:12:42
Aber auch wenn jetzt jemand durch eine Straftat so doll körperlich geschädigt wurde, dass die Person eine Prothese braucht, dann wird das zum Beispiel auch übernommen.
01:12:53
Daneben gibt es noch die Entschädigungszahlung, also wo tatsächlich direkt Geld auf das Konto der Betroffenen fließt.
01:12:59
Das kann unter anderem das Geld für die Beerdigung sein, wo Hinterbliebene momentan knapp 2000 Euro bekommen oder die Hinterbliebenenrente für die Lebenspartner in dies so bei 500 Euro.
01:13:11
Und für Opfer gibt es ja auch eine Rente, die der kleine Leon bzw. seine Eltern, von denen du eben erzählt hast, ja auch gerne hätten.
01:13:18
Und die Höhe dieser Rente ist von einer bestimmten Zahl abhängig und zwar dem sogenannten Grad der Schädigungsfolge.
01:13:25
Da hatte Tanja ja 30, die niedrigsten Grad.
01:13:29
Wenn man so eingestuft ist, kriegt man jetzt halt eben die 164 Euro.
01:13:32
Maximalgrad ist 100 und da kriegt man dann 854 Euro.
01:13:37
Ich habe mich dann gefragt, wie das eigentlich so jetzt quasi auf einen Cent ausgerechnet wird, weil die Zahlung, die soll ja zum Ziel haben, Zitat, die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Tat auszugleichen.
01:13:51
Also wie will man das überhaupt in Geld messen?
01:13:56
Und die Behörden, die machen das so.
01:13:58
Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes versucht anhand von medizinischen Unterlagen wie halt Befunden und Diagnosen oder selbst eingeholten Gutachten herauszufinden,
01:14:07
wie beeinträchtigt die Betroffenen durch die Folgen der Tat im alltäglichen Leben sind.
01:14:12
Am einfachsten ist das natürlich anhand von medizinischen Diagnosen, an denen die sich orientieren können.
01:14:19
Also toll, dass man das individuelle Leid an so einer Tabelle ablesen kann.
01:14:44
Und bei Tanjas posttraumatischen Belastungsstörungen war es halt 30.
01:14:50
Und weil das der niedrigste Grad ist, kann Tanja natürlich schnell unter diese Marke rutschen, wenn es ihr jetzt nach Auffassung des Lageso besser geht, was ja auch passiert ist.
01:15:00
Weil es wird halt immer wieder geprüft, ob der Grad noch derselbe ist.
01:15:05
Weil es kann ja eben schon sein, dass es den Leuten mit der Zeit besser geht.
01:15:08
Und Tanja geht es natürlich auch besser als direkt nach der Tat.
01:15:12
Aber die Einschränkungen, die diese Tat immer noch nach sich zieht, sind immer noch da.
01:15:18
Also, dass es ihr nicht möglich ist, zum Beispiel in einem Büro zu arbeiten.
01:15:22
Dass sie nicht mehr in eine Bar gehen kann, obwohl sie das so geliebt hat, dass sie nicht mehr belastbar ist.
01:15:28
Und dass sie ja auch keine neue Beziehung eingehen kann.
01:15:31
Ja, und das Ding mit diesen Nachuntersuchungen ist, dass die für sehr viele Betroffene halt auch super problematisch sind.
01:15:38
Weil, wie wir ja jetzt auch an Tanjas Fall gesehen haben, können die Begutachtungen auch retraumatisierend sein.
01:15:46
Also, wir haben jetzt hier bei der Vorbereitung oft von Betroffenen gehört oder gelesen, die richtige Angst vor diesen Begutachtungen gehabt haben.
01:15:54
Eben einmal, weil sie ja die schlimmste Zeit ihres Lebens nochmal Revue passieren lassen müssen.
01:15:59
Und dann auch noch, weil sie Angst haben, dass ihnen dann halt nicht geglaubt wird, wie schlecht es ihnen geht.
01:16:05
Und das ist dann eben auch für einige ein Grund, den Antrag auf Entschädigung gar nicht erst zu stellen.
01:16:11
Die bayerische Traumatherapeutin Dorothea Rau-Lemke sagt gegenüber dem Weißen Ring sogar, dass sie vor und nach GutachterInnen-Terminen immer wieder Suizidprävention betreiben müsse.
01:16:22
Und auch vielen Menschen inzwischen meist davon abrät, einen Antrag auf Entschädigung zu stellen.
01:16:28
Und das ist ja mal richtig bitter.
01:16:30
Das ist richtig schlimm, ja.
01:16:31
Und obwohl es Tanja nach dieser ersten Begutachtung, die sie hatte, ja schon so schlecht ging, hat sie sich ja dafür entschieden, das Ganze nochmal zu machen.
01:16:40
Obwohl sie mir erzählt hat, dass sie heute jetzt nicht mehr auf diese 164 Euro so angewiesen ist.
01:16:46
Warum sie das trotzdem durchgezogen hat, hat sie mir noch in einer E-Mail geschrieben.
01:16:52
Also ich habe mich gefragt, sind mir die 164 Euro monatlich das wirklich wert?
01:16:56
Lässt sich mein Seelenheil mit Geld aufwiegen?
01:17:00
Umkehrüberlegung.
01:17:01
Was passiert, wenn ich nicht hingehe?
01:17:04
Ich bin mir sicher, dass viele Betroffene aus Selbstschutz den Weg der Vermeidung gehen und denke meinen Gedanken weiter.
01:17:10
Bin ich es mir selbst und anderen nicht schuldig, darauf hinzuweisen, dass Trauma kein Verfallsdatum hat?
01:17:16
Habe ich nicht die Pflicht, für mich einzustehen?
01:17:19
Was passiert, wenn wir alle den Weg der Vermeidung gehen?
01:17:22
Fälscht das nicht die Statistiken?
01:17:24
Verklärt das nicht das Bild von Trauma-Folgeschäden?
01:17:27
Und führt das nicht langfristig auch dazu, dass weniger Ressourcen für Betroffene zur Verfügung gestellt werden?
01:17:33
Weil ich das nicht will, bin ich hingegangen und würde in Zukunft auch wieder hingehen.
01:17:39
Was Tanja übrigens von Anfang an wichtiger war als das Geld und die Übernahme von Behandlungskosten,
01:17:44
ist die Anerkennung ihres Leids durch den Staat.
01:17:47
Also, dass die Behörden sehen, dass sie Opfer geworden ist.
01:17:51
Und genau diese Anerkennung, die bekommen halt viele Betroffene erst gar nicht.
01:17:55
Also aus der Statistik zur staatlichen Opferentschädigung, daraus wissen wir,
01:17:59
dass im Jahr 2021 ca. 15.000 Anträge auf Entschädigung gestellt wurden,
01:18:04
aber nur ca. 4.100 anerkannt wurden.
01:18:08
Und dafür wurden dann aber wiederum knapp 7.000 abgelehnt.
01:18:11
Da gibt es so eine Differenz, die wird als erledigt bezeichnet.
01:18:14
Das kann dann unter anderem sein, wenn ein Antrag zurückgezogen wird oder so.
01:18:18
Oder man sich dann anders einigt.
01:18:20
Und die Gründe, warum abgelehnt wird, die werden jetzt nicht statistisch erfasst.
01:18:25
Aber auf Nachfrage des Weißen Rings geben die meisten dieselben Antworten.
01:18:29
Und zwar fehlende Mitwirkung, also der Opfer, fehlende Glaubhaftmachung, fehlende Beweise.
01:18:35
Weil die Opfer ja nachweisen müssen, dass die Tat ursächlich für ihre gesundheitlichen Schäden ist.
01:18:41
Aber gerade wenn Menschen so komplexe Gewalterfahrungen erlebt haben, ist das ja mega schwer.
01:18:47
Also z.B. bei sexuellem Missbrauch in der Kindheit.
01:18:51
Erstens sind so lange zurückliegende Taten ja an sich schon schwer nachzuweisen.
01:18:55
Also ob die überhaupt stattgefunden haben.
01:18:58
Und dann natürlich auch, dass die Symptome, die die Person jetzt, keine Ahnung, 20 Jahre später hat,
01:19:05
tatsächlich auf diese Taten zurückzuführen sind.
01:19:08
Und diesen ganzen Prozess, den beschreiben eben viele, die Opfer einer Gewalt hat, wurden dann auch als unerträglich.
01:19:15
Panorama hat schon zwei Beiträge zum Opferentschädigungsgesetz gemacht
01:19:19
und an den Fällen gezeigt, mit was die Opfer da so zurechtkommen müssen.
01:19:23
Ein Beitrag aus 2013 heißt im Titel
01:19:27
Ohne Erbarmen, wie Gewaltopfer von Behörden schikaniert werden.
01:19:31
Die Beiträge verlinken wir euch dann auch nochmal in der Folgenbeschreibung.
01:19:34
Und da hört man halt Stimmen, dass von den Ämtern vor allem versucht wird,
01:19:38
den Grad der Beschädigung halt nahezu herunterzuschrauben.
01:19:41
Also bei einem Fall, da mussten erst mal 16 GutachterInnen an das Opfer ran.
01:19:46
Das geht gar nicht.
01:19:47
Und manchmal sitzen die Versorgungsämter das auch aus,
01:19:51
liefern sich auch einen ellenlangen Kampf mit den Sozialgerichten.
01:19:54
Und selbst in dieser Statistik vom Opferentschädigungsgesetz,
01:19:58
da ist teilweise halt von mehrjähriger Bearbeitungszeit der Anträge die Rede.
01:20:03
Mal ganz abgesehen davon, dass wenn dann auch in den meisten Fällen
01:20:06
nur die Heilungsbehandlungskosten übernommen werden.
01:20:08
Also so langfristige Rentenzahlungen, die werden auch nur selten gewährt.
01:20:12
Und das alles sorgt natürlich dafür, dass Betroffenen von offizieller Seite
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dann ja auch irgendwie der Opferstatus verwehrt wird
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und ihnen dann die Anerkennung für ihr Leid fehlt, was denen widerfahren ist.
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Und viele sehen das eben so, als würden sie dann zum zweiten Mal Opfer werden.
01:20:29
Ja, das war auf jeden Fall auch bei Tanja so.
01:20:32
Und ich habe sie noch gefragt, was sie sich anders gewünscht hätte.
01:20:36
Und ihre schriftliche Antwort war,
01:20:39
Da, wo es um Leistungen geht, muss geprüft werden, ob und in welchem Umfang ein Anspruch besteht.
01:20:44
Dessen bin ich mir bewusst.
01:20:46
Trotzdem möchte ich anregen, dass das ganze Feststellungsverfahren durchs Lageso
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beziehungsweise die zuständigen Amtsärzte menschenfreundlicher gestaltet werden könnte.
01:20:56
Als Mensch, der bereits Traumatisches durchlebt hat, hätte es mir geholfen,
01:20:59
wenn der genaue Ablauf der Begutachtung mir im Vorfeld kommuniziert worden wäre.
01:21:04
Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs finde ich auch problematisch.
01:21:08
Wenn ein Nachweis über die Tat erbracht wurde und bereits eine psychiatrische Diagnose über eine Störung vorliegt,
01:21:14
könnte man es auch einfach dabei belassen,
01:21:16
anstatt einen traumatisierten Menschen nochmal durch seine komplette Biografie zu schicken.
01:21:22
Und was die Feststellung des Schädigungsgrades angeht.
01:21:25
Es ist ein utopischer Gedanke, aber vielleicht sollte sich mal ein Expertenrat,
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der sich nur aus betroffenen Menschen zusammensetzt, dieser Tabelle annehmen.
01:21:34
Ich bin mir sicher, dass sich die Zahlen dann in andere Bahnen verschieben würden.
01:21:38
Wenn du die abstrakten medizinischen Fachtermini nicht nur in den Mund nimmst,
01:21:43
sondern jeden Tag am eigenen Leib erlebst, werden sie zur Lebenswirklichkeit.
01:21:47
Vielleicht wäre das eine gute Qualifikation, um andere dahingehend beurteilen zu können.
01:21:52
Ja, also mal abgesehen davon, dass wir nicht wissen,
01:21:56
ob bei den Menschen in der Behörde nicht vielleicht doch die ein oder andere betroffene Person mit darin sitzt,
01:22:02
kann ich den Wunsch natürlich nachvollziehen,
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dass Menschen nur beurteilen können, wie es anderen geht,
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wenn sie auch mit denen geredet haben und nicht nur auf eine Tabelle gucken.
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Ja, jetzt ist es so, dass der Weiße Ring schon seit mehr als zehn Jahren dafür kämpft,
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dass es halt für Menschen wie Tanja besser wird.
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Die Opferschutzorganisation wurde deshalb auch mit ins Boot geholt,
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als es jetzt darum ging, ein neues Gesetz zur Entschädigung zu formulieren.
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Und das wird ab 2024 in Kraft treten.
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Was besser werden soll, hat uns die Bundesgeschäftsführerin des Weißen Rings, Bianca Biver, erklärt.
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Einer zum Beispiel der wesentlichen Vorteile im Verhältnis zu der jetzigen rechtlichen Grundlage
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ist die Tatsache, dass psychische Gewalt anerkannt wird.
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Das ist was, was wir seit Jahren, Jahrzehnten eigentlich einfordern.
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Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, Stalking.
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Wir wissen, dass Menschen von Stalking genauso Belastungsfolgen haben wie durch körperliche Straftaten.
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Es ist genauso psychisch schwer beeinträchtigend, wenn ich Jahre teilweise jemanden habe,
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der mich verfolgt, der am Arbeitsplatz ist, der vor meiner Haustür steht,
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der mich Tag und Nacht tatsächlich belästigt.
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Und diese Straftaten, die eben in Anführungszeichen nur psychische Gewalt darstellen,
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werden ab dann auch als Gewalttat anerkannt.
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Und das ist beispielsweise einer der großen Vorteile.
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Was weiterhin sehr positiv ist, ist die Vielfalt der Ansprüche.
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Also ich kann eben hin bis zu sehr ausdifferenzierten Rentenleistungen erhalten.
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Ich kann auch als Angehöriger unter Umständen Ansprüche bekommen.
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Also es ist ein sehr umfangreiches und sehr ausgeklügeltes System an Entschädigungen,
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was vom Recht her eben positiv ist.
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Außerdem sollen die Entschädigungszahlen an sich höher ausfallen als jetzt.
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Also Tanja würde dann ab 2024, wenn es ihr dann überhaupt genehmigt wird,
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statt den 164 Euro dann beispielsweise 400 Euro im Monat bekommen.
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Aber eine Sache, die ja auch besonders Tanja umtreibt, ist diese Beweislast,
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die momentan beim Opfer liegt.
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Was sich da ab 2024 ändern soll, hat uns Frau Biver so erklärt.
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Also es ist tatsächlich, dass man stärker darauf hingeht, dass eben vermutet werden kann,
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dass eine Tat ursächlich für den Schaden ist.
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Was meine ich damit?
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Bisher ist eigentlich einer der größten Probleme, dass ich oftmals keine Zeugen habe.
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Ich habe oft, wenn Sie bei Sexualstraftaten schauen, habe ich nur Täter und Opfer.
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Teilweise habe ich eben keine Strafrechtsverfahren, weil ich keine Anzeige erstatte.
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Das heißt, ich habe nachher in diesem Entschädigungsverfahren immer das Problem,
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dass ich als Opfer den Beweis erbringen muss,
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dass tatsächlich meine jetzige Schädigung von dieser Tat verursacht wurde.
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Und das soll eben verbessert werden, indem man diese Vermutung gelten lassen will,
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dass es eben hinreichend wahrscheinlich ist.
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Es ist eben zu vermuten, dass eine Vergewaltigung, ein Missbrauch,
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eine schwerste körperliche Straftat zu diesen konkreten vorliegenden Störungen geführt hat.
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Also das heißt, die Beweislast, die verschiebt sich dann ab 2024 auf die Behörden.
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Also wenn es jetzt zum Beispiel keine Unterlagen über ein Strafverfahren mehr gibt
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oder auch keine Nachweise mehr, dann gibt es jetzt in Zukunft die Beweiserleichterung.
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Und das ist halt eben so, dass Grundlage für die Entscheidung
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auch die Angaben eines Opfers zum Tathergang sein können,
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wenn es halt eben keine anderen Beweismöglichkeiten gibt.
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Und die Behörden müssten dann, wenn sie jetzt eine Zahlung verweigern würden,
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erst mal beweisen, dass das Opfer schon vorher krank war
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oder halt diese Schäden eine andere Ursache haben.
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Und in Bezug auf einen Fall wie den von Daniel bedeutet das halt laut Biver,
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dass in Zukunft höchstwahrscheinlich anders entschieden würde.
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Also so, dass dann auch ein Fremdverschulden angenommen wird,
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weil vermutet werden kann, dass Daniel eben Opfer einer Straftat geworden ist.
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Das Problem ist hier nur, leider gilt dieses Recht nicht rückwirkend.
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Also dann halt erst für die Taten, die ab 2024 passieren.
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Also leider wird es dann so sein, dass Daniel in der Hinsicht selbst nichts davon hat.
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Auf die Frage, wo es auch in Zukunft noch Probleme geben wird,
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hat Frau Biver erst mal klargestellt, dass sie und auch der ganze Weiße Ring mit dem Gesetz an sich happy sind.
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Es kommt dann ab Inkrafttreten des neuen Gesetzes dann wirklich laut ihr einzig und allein auf die Behörden an.
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Also auf die EntscheiderInnen, die Menschen, die da halt an den Schreibtischen sitzen.
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Weil klar, es gibt dann andere Gesetze, aber die haben ja trotzdem immer noch eine Art Ermessensspielraum.
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Und da will der Weiße Ring natürlich ab 2024 dann ganz genau hinschauen,
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ob die neuen Regeln auch tatsächlich angewandt werden und im Zweifel auch wirklich für das Opfer entschieden wird.
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Also wir sehen, es tut sich schon langsam was.
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Aber was am wichtigsten ist, ist, dass Betroffene erst mal überhaupt von ihren Rechten wissen.
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Und das ist halt leider auch nicht häufig so.
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Also das zeigt die Statistik eben auch, 2021 wurden 165.646 Menschen Opfer einer Gewalttat.
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Und nur 15.000 haben überhaupt einen Antrag für Entschädigung gestellt.
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Und das sind gerade mal 9 Prozent.
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Und wir wissen, dass sich Betroffene eines Verbrechens hilflos und im Stich gelassen fühlen.
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Und vielleicht, vielleicht, vielleicht hilft diese Folge ja, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf die Rechte zu lenken,
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die man als betroffene Person hat.
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Ja, womit wir am Ende unserer heutigen Folge angekommen wären.
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Es gibt noch ein Anliegen von uns.
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Ich habe neulich mal in eine Folge reingehört.
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Und da kam diese Bookbeat-Werbung.
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Da empfiehlt Laura ja oft Thriller oder Krimis.
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Und es gibt dieses eine Intro, was ich aus Spaß mal reingemusiziert, dass du musiziert hast.
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Ja, rein performt habe in das Mikro.
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Und was jetzt immer benutzt wird.
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Paulina spricht von Lauras Crime Corner und dem Intro dazu.
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Genau, und das ist ganz furchtbar cringe.
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Also, falls jemand von euch die Tage Zeit und Lust hat, für Lauras Crime Corner, was ich ja mit LKK ankündige, ein neues Intro zu bauen, was sich nicht so anhört, als hätte das einer eingesprochen, die nicht bei Verstand ist, dann schickt uns gerne was.
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Wir sind dafür Vorschläge offen.
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Der andere Remix, der für uns gemacht wurde, der hat es ja bis auf die Tour geschafft.
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Es steht also möglicherweise eine große Karriere bevor.