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#111 Die geiseln

Vielleicht haben es einige von euch
schon auf unserem Instagram-Account
Mordlust, der Podcast, gesehen.
Wir wollen aber, dass es die ganze Welt erreicht.
Deshalb nochmal hier, wir suchen neue
Mitarbeitende für unsere Produktionsfirma.
Genau, unsere kleine Firma
wächst und wächst und wir haben große
Pläne, was den Podcast-Markt
betrifft und deswegen suchen wir noch
RedakteurInnen für einen
neuen seriellen True-Crime-Podcast.
Wir suchen welche für Mordlust
und auch jemanden, der
Hochkant-Videos schneiden
kann. Und zwar in
pfiffiger Art.
Frech auch.
So wie man das macht. Und trendy
auch.
Also wenn ihr zufällig richtig gut
schreiben und recherchieren könnt,
eine journalistische Ausbildung habt
und oder diese pfiffigen Videos schneidet,
dann schaut bitte mal bei uns
bei Instagram vorbei.
Da findet ihr alle
Infos zu Aufgaben und auch
Profil in unserer Highlight-Bubble.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust,
einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre
Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es
ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir
zwei wahre Kriminalfälle
nacherzählen, über die diskutieren und auch
mit Menschen mit Expertise sprechen.
Hier geht's um True-Crime, also auch um
Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir
zwischendurch mal etwas ungehemmt
kommentieren.
Das ist für uns eine Art Comic-Relief,
aber natürlich nicht
despektierlich gemeint.
Am 4. August 1971
überfallen Hans-Georg Rammelmeier und
Dimitri Todorov in München eine Filiale
der Deutschen Bank, nehmen fünf Menschen
als Geiseln, um zwei Millionen Mark und
einen Fluchtwagen zu erpressen und
schreiben damit Kriminalgeschichte.
Und das damals ist die erste
Geiselnahme in der BRD.
Und am Ende auch die, die dazu geführt
hat, dass wir heute einen Straftatbestand
namens Geiselnahme haben.
Und das ist auch das Oberthema für
diese Folge.
Geregelt wird dieser Straftatbestand
im Paragraf 239b vom StGB.
Und damit eine Straftat juristisch auch
als Geiselnahme definiert wird, müssen
verschiedene Faktoren zusammenkommen.
Also zum einen muss jemand eine Person
entführen oder sie in seine Gewalt
bringen.
Im Gegensatz zu einer Entführung weiß
die Polizei bei einer Geiselnahme aber
in der Regel, wo sich das Opfer
befindet.
Da muss dieses Opfer entweder über eine
Woche gefangen gehalten oder ihm mit
schwerer Körperverletzung oder sogar
mit dem Tod gedroht werden.
Und das alles muss am Ende den Zweck
erfüllen, dass das Opfer oder irgendeine
andere Person, also zum Beispiel ein
Bankmitarbeiter oder eine Polizistin,
dass die irgendetwas Bestimmtes tun
oder auch eben nicht tun.
Zum Beispiel einen Fluchtwagen
bereitstellen oder zwei Millionen Euro
herausgeben.
Und so eine Geiselnahme, die wird mit
mindestens fünf Jahren
Freiheitsstrafe geahndet.
bei der Geiselnahme 1971, also die in München, da ist die Polizei nicht
vorbereitet.
Also es gibt, weil es eben noch nicht gab, keinen Ablaufplan, an den man sich irgendwie
halten kann oder halt Erfahrungen aus ähnlichen Fällen.
Man entscheidet sich dann letztendlich dafür, den Fluchtwagen
bereitzustellen und als Hans-Georg Rammelmeier dann mit einer der Geiseln einsteigen will,
schießen die Polizistinnen.
Rammelmeier schießt zurück und schließlich sterben er und seine Geisel im Kugelhagel.
28 Schüsse werden später gezählt, drei aus Rammelmeiers Waffe trafen das Opfer.
Der zweite Geiselnahmer ergibt sich und kommt für 22 Jahre ins Gefängnis, weil er nicht nur
die Geiselnahme begangen hat, sondern auch noch auf einen Polizisten geschossen hat.
Aber auch wenn die Polizei heute besser vorbereitet ist, stellt eine Geiselnahme die
immer vor besondere und eigentlich immer unvorhersehbare Herausforderungen.
Wie das aussehen kann, zeigen euch heute zum einen unsere beiden Fälle und unser Experte,
den wir heute zu Gast haben, der erzählt uns auch ein bisschen darüber.
Der hat nämlich als Polizist jahrelang Selbstverhandlungen in Geiselnahmen geführt.
Bei der Geschichte, von der ich heute erzähle, habe ich einige Namen geändert.
Der Duft von Glühwein liegt in der Luft.
Auf dem Grill brutzeln Würstchen und am Eingang begrüßen zwei sechs Meter hohe Lebkuchenmänner
die BesucherInnen.
Hier auf dem Weihnachtsmarkt in Aachen sind an diesem Mittwochvormittag noch einige auf der
Suche nach den letzten Geschenken.
Denn übermorgen ist Heiligabend.
Nur einen Kilometer weiter ist von der Vorfreude auf das Fest nicht ein Funken zu spüren.
Im Gegenteil.
Gegenüber vom Hauptbahnhof sitzt ein Mann in einer gefährlichen Falle.
Er telefoniert, um über sein Leben zu verhandeln.
Das, was er von der Person am anderen Ende der Leitung erfährt, bringt ihn in Rage.
Zornig blafft er in den Hörer.
Wollen Sie mir mein Leben ruinieren auf diese Art und Weise?
Herzlichen Glückwunsch.
Frohe Weihnachten.
Circa 50 Stunden zuvor.
Knapp sieben Kilometer entfernt.
Es ist ein nasskalter Morgen.
In der Sicherheitsfirma Gräbner in Würselen bricht an diesem 20. Dezember 1999 die letzte
Arbeitswoche für Nadine und Armin, beide 30 Jahre alt, vor Weihnachten an.
Nadine arbeitet als Sekretärin, Armin als Fahrer im Unternehmen, das unter anderem für Objektschutz
und Geldtransporte zuständig ist.
Dass dieser Montag kurz vor den Feiertagen aber alles andere als entspannt startet, ist
den beiden spätestens klar, als um kurz vor neun ein Mann die Geschäftsräume betritt.
Er trägt einen langen, schwarzen Mantel, schwarze Lederhandschuhe und eine schwarze Sturmhaube,
die sein Gesicht bis auf Augen und Mundpartie komplett verdeckt.
In der Hand hält er eine Pistole, den Finger am Abzug.
Nadine und Armin erschrecken.
Was passiert hier?
Ein Überfall?
Doch als der Maskete anfängt zu sprechen, legt sich der Schock schnell.
Er begrüßt die beiden, redet ruhig und mit freundlicher Stimme und fragt nach ihren Namen.
Die beiden sind sich sicher, das Spiel bereits durchschaut zu haben.
Bestimmt hat Gerhard, der Chef, das hier angeleiert.
Dieser Überfall ist ein Training.
So etwas kommt in der Branche immer mal wieder vor.
Der Chef will sehen, wie gut das Personal mit Stresssituationen am Arbeitsplatz umgehen kann.
Bleiben beim Anblick des Vermunten mit einer Waffe alle gefasst oder verlieren sie den Kopf
und flippen aus.
Nadine und Armin verstehen, dass es jetzt auf eine gute Performance ankommt
und machen mit, als der Unbekannte sie mit Handschellen aneinanderkettet und zwei Handgranaten mit einer Art Reißleine an ihren Rücken befestigt.
Dieser Schauspieler ist offenbar sehr gut vorbereitet und seine Requisiten wirken erschreckend echt.
Je mehr Zeit vergeht, desto unruhiger werden Nadine und Armin.
Jetzt reicht es doch mal langsam.
Könnte Gerhard nicht bald mal kommen und das Theater auflösen?
Sie vielleicht auch mal loben, weil sie so gelassen reagiert haben?
Doch Gerhard kommt lange nicht.
Erst zweieinhalb Stunden später, gegen halb zwölf, betritt der massige Mann mit den kurzen braunen Haaren,
dem freundlichen Gesicht und der Brille die Geschäftsräume der Sicherheitsfirma.
Mit diesem Schritt durch die Tür taucht der 41-Jährige ein in einen Albtraum, der ein tödliches Ende haben wird.
Spätestens als die immer noch aneinandergeketteten Nadine und Armin in das überraschte Gesicht ihres Chefs blicken,
verstehen sie, dass das hier kein Spiel ist, sondern tödlicher Ernst.
Gerhard will wissen, was hier vor sich geht.
Doch der Maskierte macht schnell deutlich, dass er hier derjenige ist, der die Befehle gibt.
Geld her oder ich schieße.
Gerhard versucht gefasst zu bleiben.
Am besten tut er, was der Mann sagt, damit niemandem etwas passiert.
Also hält er still, als der Mann mit der Pistole auch an ihm eine Handgranate befestigt.
Da muss er dem Vermummten den Weg zum Tresorraum zeigen.
Wie fromme Lämmer trotten er, Nadine und Armin dorthin, im Rücken der Maskierte mit der Pistole.
Er befiehlt Gerhard, die Tresore zu öffnen.
Doch die massiven Metallbehälter sind bis auf ein bisschen Münzgeld leer.
Obwohl er sich bemüht, sich nichts anmerken zu lassen, macht sich in Gerhard die Angst breit.
Er kann dem Räuber nicht das geben, was er verlangt.
Doch er hat kaum Zeit zum Nachdenken.
Wo ist das Geld, will der Vermummte wissen.
Gerhard antwortet wahrheitsgemäß in der Landeszentralbank in Aachen.
Diese Info genügt dem Mann.
Dann fahren wir mal dahin.
Kurz darauf rast ein gepanzerter dunkelblauer Geldtransporter mit dem gelb-grauen Logo der Firma Gräbner vom Hof des Sicherheitsunternehmens.
Auf dem Fahrersitz Gerhard, das Lenkrad fest umklammert und das Gaspedal gedrückt.
Auf der Rückbank Nadine und Armin.
Gerhard muss fahren, fahren, fahren, über rote Ampeln, ohne das Tempolimit zu beachten und ohne anzuhalten, als die vier bemerken, dass sie von drei Polizeistreifen verfolgt werden.
Nach acht Kilometern ist das Ziel erreicht.
Die Landeszentralbank am Aachener Hauptbahnhof, mitten in der Stadt.
Von hier aus werden die verschiedenen Geschäftsbanken in NRW mit Bargeld versorgt.
Einlass bekommen nur autorisierte Personen und Fahrzeuge.
Bei dem Diensthabenden an der Schranke ist Firma Gräbner bekannt.
Er lässt den Wagen passieren und öffnet das Tor, damit der VW in die Schleuse, die zur Tiefgarage führt, einfahren kann.
Dort stellt Gerhard das Fahrzeug ab, alle müssen aussteigen.
Wieder treibt der vermummte Gerhard und seine beiden Angestellten vor sich her, in die erste Etage der Bank, wo sich der Kassenbereich befindet.
Mit der Pistole in der Hand erzwingt er die Herausgabe der Tageseinnahmen, 1,8 Millionen Mark.
Genau die Beute, die er sich erhofft hatte.
Nach dem erfolgreichen Banküberfall müssen Gerhard, Nadine und Armin mit ihm wieder zurückgehen.
Sie sollen als seine Geiseln mit ihm und der Beute fliehen.
Doch so wie sich der Räuber das vorgestellt hat, läuft es nicht.
Das Tor, durch das sie erst vor wenigen Minuten gefahren sind, ist plötzlich geschlossen.
Aus der Tiefgarage gibt es kein Entkommen.
Sie sitzen in der Falle.
Dass die vier aus dieser Situation so schnell nicht wieder rauskommen, war klar, als um 12 Uhr bei der Polizei ein Notruf aus der Firma Gräbner einging.
Ein bewaffneter Mann habe ihren Chef und zwei KollegInnen in seine Gewalt gebracht und sei jetzt mit ihnen im Tresorraum, berichtete eine Mitarbeiterin der Sicherheitsfirma, die den Überfall aus sicherer Entfernung mitbekam am Telefon.
Als der Geldtransporter wenige Minuten später vom Hof der Firma fuhr, nahm die Polizei die Verfolgung auf.
In dem Moment, als der dunkelblaue VW im Inneren der Landeszentralbank verschwindet, kann Winrich Granitzka, der im 80 Kilometer entfernten Polizeipräsidium in Köln das Kommando übernimmt, es nicht fassen.
Dass ein Täter freiwillig in eine Tiefgarage fährt, aus der es mit dem Wagen nur einen Ausweg gibt, die noch dazu der LZB gehört, einer Bank, die einem Hochsicherheitstrakt gleicht, grenzt für ihn an Wahnsinn.
Doch für die Polizei ist die Entscheidung des Geiselnehmers eine große Chance und so gibt Winrich Granitzka die Anweisung, das Tor zu schließen und es unter keinen Umständen wieder zu öffnen.
Der Verbrecher darf mit den Geiseln auf keinen Fall fliehen, nicht auszudenken, was für ein Blutbad das geben könnte, wenn er mit den Handgranaten in den Bahnhof oder zum Weihnachtsmarkt gelangt.
Dass der Maskete mit den Geiseln flieht und womöglich noch weitere unbeteiligt in das Drama reingezogen werden, ist für Granitzka der schlimmstmögliche Ausgang, den er um jeden Preis verhindern will.
Denn in seinem Kopf hat sich eine furchtbare Erinnerung breitgemacht.
Die Erinnerung an einen Einsatz, den er als Einsatzleiter nicht wie gewünscht hatte zu Ende bringen können.
Ein Einsatz, der jetzt jede seiner Handlungen beeinflusst.
Der Einsatz in Gladbeck.
Elf Jahre zuvor, im August 1988, ereignet sich dort ein Geiseldrama, das die Polizei lange, tatenlos und überfordert verfolgt und das schließlich ein schreckliches Ende nimmt.
Als die Einsatzkräfte, die Irrfahrt der drei GeiselnimmerInnen durch die halbe Bundesrepublik nach drei Tagen Flucht mit dem Auto beenden, sind zwei Geiseln tot.
Falls ihr mehr dazu wissen wollt, Laura hatte das Geiseldrama von Gladbeck in Folge 29 erzählt.
Deswegen sagt mir auch der Name was von dem Typen.
Ich dachte die ganze Zeit, woher kenne ich den?
Genau, der hat bei dem Geiseldrama mitgewirkt und auch jetzt bei diesem und weil er eben diese Erinnerung von Gladbeck noch so präsent hat und das natürlich auch Einfluss auf ihn genommen hat, weil es so schrecklich ausgegangen ist, lautet die Anweisung von Winrich Granitzka jetzt, das Tor bleibt zu.
Diese Entscheidung wird Gerhard, Nadine und Armin so zwar nicht mitgeteilt, doch sie erfahren am eigenen Leib, welche Konsequenzen das hat.
Die Stimmung in der Tiefgarage kippt, als der Maskierte merkt, dass es kein Entkommen gibt.
Akzeptieren will er das aber nicht.
Im Minutentag droht er der Geschäftsleitung der Bank via Telefon, dass er jede Stunde eine der Geiseln erschießen werde, wenn das Tor geschlossen bleibt.
Als Gerhard das hört, ergreift ihn Todesangst.
Und dann fängt der Maskierte auch noch an zu schießen, auf die Überwachungskameras und auf ein Fenster.
Gerhard, Nadine und Armin zucken erschrocken zusammen.
Die Polizei hört die Schlüsse live mit, über das Telefon des stellvertretenden LZB-Leiters.
Der fordert die BeamtInnen aufzuhandeln.
Doch es bleibt dabei, das Tor öffnet sich nicht.
Vom Polizeipräsidium im 80 Kilometer entfernten Köln aus gibt Einsatzleiter Winrich Granitzka die Anweisung,
die gesamte Landeszentralbank zu evakuieren und mit ihr zahlreiche Wohnungen, Geschäfte und Gaststätten in der Gegend.
Das Viertel wird abgesperrt. Weder Autos noch Busse dürfen passieren.
Rund 700 PolizistInnen beziehen Stellung rund um die Landeszentralbank.
In Köln richtet Winrich Granitzka währenddessen einen sogenannten ständigen Stab ein.
In diesem Stab werden verschiedene Mitarbeitende und ExpertInnen unterschiedlichen Aufgaben zugeteilt.
Nur kurz, solche Stäbe, die werden bei polizeilichen Großeinsätzen gebildet.
Und das sind zum einen sowas wie planbare Einsätze, also wie Demonstrationen, aber eben auch Amokläufe oder eben Geiselnahmen.
Und Winrich Granitzka, der setzt jetzt eben so eine Verhandlungsgruppe zusammen.
Ihr Sprecher, Helmut Neuhaus, nimmt übers Telefon Kontakt zu dem Geiselnehmer in der Tiefgarage auf.
Mit Gladbeck im Hinterkopf weiß Winrich Granitzka, welche Verantwortung auf seinen Schultern lastet.
Wenn der 56-Jährige einen Fehler macht, setzt er damit das Leben von drei Geiseln aufs Spiel.
Fieberhaft spielen er und sein Team in Köln sämtliche Möglichkeiten durch, um in die Tiefgarage zu kommen und die Geiseln zu retten.
Doch die LZB gleicht einer Festung.
Was grundsätzlich sinnvoll ist, um Geld sicher aufzubewahren, wird der Polizei jetzt zum Verhängnis.
Selbst die Spezialkräfte finden keinen geeigneten Zugang zur Tiefgarage.
Sie können sich lediglich an die Fenster des Teils der Garage heranpirschen, der überirdisch liegt.
Die Bilder, die ihre Helmkameras aufnehmen, geben mit denen der Überwachungskameras in der Tiefgarage Einblicke in das Martyrium, dem Gerhard, Nadine und Armin ausgesetzt sind.
Ihre Welt ist zusammengeschrumpft auf die Tiefgarage.
Ein Gefängnis mit dicken weißen Mauern und einem gepflasterten Boden.
Und zwischen ihnen ein Vermummter, der über Leben und Tod richtet.
Noch immer versucht er, einen Ausweg zu finden.
Hinter einer Tür vermutet er eine Möglichkeit zur Flucht.
Gerhard erhält den Befehl, sie mit der Handgranate, die vorher an Nadine hing, aufzusprengen.
Er macht, was ihm befohlen wird, und wirft sie.
21, 22.
Eine Handgranate explodiert üblicherweise nach drei Sekunden.
23.
Peng.
Die Tür hält stand.
Sieben Stunden sitzen Gerhard und seine beiden Angestellten nun schon in der Tiefgarage fest.
Sieben Stunden, in denen sie nicht wissen, was als nächstes passiert, ob der Geiselnehmer einen klaren Kopf behalten wird und sie hier lebend wieder rauskommen werden.
Und Gerhard weiß, seit knapp sieben Stunden hat seine Frau furchtbare Angst um ihn und davor, bald Witwirt zu sein.
Genauso lange befindet er sich in Angst und hofft darauf, dass die Verhandlungen um freien Abzug endlich fruchten.
Doch nichts passiert.
Weil das Tor noch immer nicht geöffnet wird, befiehlt der maskierte Armin gegen 19 Uhr, sich mit dem Rücken an ein Fallrohr zu stellen, das von der Decke in den Boden geht.
Gerhard und Nadine müssen fassungslos mit anschauen, wie Armin mit einer sogenannten Totmannschaltung stehend an dem Rohr fixiert wird.
Die hält, was ihr Name verspricht.
Sollte Armin eine falsche Bewegung machen, etwa aus Müdigkeit zusammensacken, löst sich der Stift der Handgranate und sie explodiert über seinem Kopf.
So muss Armin also regungslos dastehen. Minute um Minute, Stunde um Stunde.
Mit seinem möglichen Todesurteil nur wenige Millimeter von seinem Kopf entfernt.
Der psychische Druck wird immer größer.
Und das ist das perfide an der Falle.
Denn theoretisch ist Armin selbst Herr über sein Schicksal.
Kann er standhalten und hält seinen Körper die Anspannung aus, hat er zunächst nichts zu befürchten.
Vergeht aber Stunde um Stunde und wird die Panik so groß, dass er einknickt, bedeutet das seinen sicheren Tod.
Gerhard kann dieses Elend kaum mit ansehen.
Es tut ihm so leid, seine Angestellten so zu sehen.
Und auch wenn sie hier nicht im Büro sind, fühlt sich Gerhard verantwortlich für seine Mitarbeitenden.
Er darf jetzt nicht die Fassung verlieren, muss den Überblick behalten, will sich kümmern, Armin beistehen.
Und so kann er den Geiselnehmer nach einer Weile überreden, ihm zu erlauben, Armin an einer Zigarette ziehen zu lassen.
Und noch etwas erlaubt er.
Gerhard darf seine Frau Daniela anrufen.
Und wie erwartet, ist die Außer-sich-Versorge.
Gerhard dagegen bemüht sich, ruhig und besonnen zu bleiben.
Panik macht alles nur schlimmer.
Er versucht, sich auf den Moment zu konzentrieren.
Er freut sich, mit ihr zu sprechen, sagt, dass es ihm gut gehe, dass er wohl auf sei.
Als er das Gespräch beendet, fragt ihn der Vermummte, wie lange er schon mit seiner Frau verheiratet sei.
Und ob sie denn schöne Jahre miteinander verbracht hätten.
Da wird Gerhard klar, dass er Danielas vertraute Stimme gerade vielleicht zum letzten Mal in seinem Leben gehört hat.
In vier Tagen ist Heiligabend, wird Daniela Weihnachten diesmal ohne ihn verbringen müssen.
Feiern sie vielleicht nie wieder zusammen.
Die Verzweiflung nagt an Gerhards Seele.
Doch er versucht, sie zu verdrängen.
Er muss stark bleiben.
Wer weiß, was geschieht.
Um 22 Uhr, es ist Stunde 13 der Geiselnahme, ist Schichtwechsel bei der Polizei.
Noch immer gibt es keine konkrete Lösung, um die Geiseln zu retten.
Einzig eine zweite Tür, über der ein grünes Notausgangsschild prangt, könnte für die Spezialkräfte der Weg in die Tiefgarage sein.
Doch während sie einen möglichen Zugriff besprechen, müssen sie auf dem Monitor mit ansehen, wie der Geiselnahmer auch diesen Plan durchkreuzt.
Als könnte er Gedanken lesen, lässt er Gerhard den Geldtransporter umparken.
Mit dem Heck vor die Tür, die Schnauze in Richtung des Tores nach draußen gerichtet.
Dieser Schachzug macht die Zugriffschancen der Polizei zunichte.
Und noch etwas macht Einsatzleiter Winrich Kranitzka zu schaffen.
Noch immer wissen sie nicht, wer der Mann unter der Maske ist.
Allerdings verstehen spätestens jetzt alle, dass sie es hier mit einem eiskalt berechnenden Täter zu tun haben.
Ein Täter, der sich sehr gut vorbereitet und so eine Situation geschaffen hat, mit der auch erfahrene PolizistInnen nicht gut umgehen können.
Geschweige denn seine Geiseln.
Aber Gerhard und die anderen beiden tun, was ihr Peiniger sagt.
Denn zwischen der Angst, die nahezu den ganzen Körper erfüllt, ist dann noch das winzige Stück Hoffnung, dass doch noch alles gut geht, wenn sie nur brav mitmachen.
Und so hat Armin nach fünf qualvollen Stunden, in denen er regungslos dastehen musste, sein Martyrium der Todmannschaltung überwunden und wird wieder von dem Rohr losgebunden.
Zumindest ein bisschen können die drei jetzt aufatmen.
Dann befiehlt der Geiselnahmer, die paar Meter zum Fahrzeug zu gehen.
Zu viert steigen sie in den gepanzerten Transporter und verharren dort den Rest der Nacht.
Dienstag früh gegen 6.30 Uhr muss Gerhard aus dem Wagen wieder Kontakt zur Polizei aufnehmen und die Forderung des Geiselnahmers von vor ein paar Stunden wiederholen.
Das Tor soll geöffnet werden, damit er mit Gerhard und Armin fahren kann.
Nadine würde er freilassen.
Doch Verhandler Helmut Neuhaus verneint.
Als Antwort hält der vermummte Gerhard die Pistole vor die Nase.
Er muss sie nachladen.
Gerhard steckt die Patronen in das Magazin.
Der Geiselnahmer stellt ein Ultimatum.
Entweder das Tor ist in fünf Minuten offen oder er schießt Armin an.
So, dass er nicht sofort stirbt.
Das betont er.
Die Anspannung in dem Auto ist unerträglich.
Die Minuten verstreichen.
Der Geiselnahmer schaut erwartungsvoll auf das Tor.
Doch es bewegt sich nicht.
Da sieht Gerhard, wie der Vermummte schon die Pistole auf Amins Oberschenkel richtet.
Wieder fordert er den Verhandler am Telefon auf, das Tor zu öffnen.
Es passiert nichts.
Im Polizeipräsidium in Köln schallt ein Schuss durchs Telefon.
Kurz darauf ein zweiter.
Und Schmerzensschreie, die durch Mark und Bein gehen.
Was ist passiert, will der Sprecher der Verhandlungsgruppe wissen.
Gerhard antwortet, ich denke mal, sie haben es gehört.
Ich habe einen Schuss gehört.
Ja, sagt Gerhard.
Und er fügt hinzu, ich kann bald nicht mehr.
Die Gedanken vom Einsatzleiter Winrich Granitz gar rasen.
Wie schwer Armin getroffen wurde, ist aus der Ferne schwer zu beurteilen.
Der Einsatzleiter weiß nicht, wie viel Zeit bleibt.
Die Lage scheint ausweglos.
Bewusst in Kauf nehmen, dass eine Geisel möglicherweise verblutet
oder der Forderung des Geiselnehmers nachkommen und ein zweites Glattbeck riskieren.
Winrich Granitz gar trifft eine Entscheidung.
Dem Geiselnehmer wird ein Angebot gemacht.
Freier Abzug ohne die Geiseln.
Da fällt ein dritter Schuss.
Gerhard kann kaum hinsehen, wie sein Kollege zugerichtet wurde.
Verwundet an Oberschenkel, Fuß und Schulter liegt er im Transporter, schreit und wimmert.
Gerhard ist sich sicher, diese Laute nie wieder vergessen zu können.
Armin klingt nicht mehr wie ein Mensch, sondern wie ein verwundetes Tier.
Gerhard muss den PolizistInnen beschreiben, wie und wo Armin von den Kugeln getroffen wurde
und hofft, dass diese Eskalation jetzt endlich dazu führt, dass die Polizei sie hier rausholt.
Zwar bewertet Winrich Granitz gar die Verwundung aus der Ferne nicht als lebensgefährlich,
doch gegen 13 Uhr, die drei Geiseln sind jetzt schon seit über 24 Stunden in der Tiefgarage gefangen,
kann der Einsatzleiter nicht länger tatenlos zusehen.
Zum Schein will er auf die Forderung des Geiselnehmers eingehen.
Der will einen Fluchtwagen, weil die Autobatterie des gepanzerten Geldtransporters inzwischen leer ist.
Den soll er bekommen, wenn er im Gegenzug zwei Geiseln frei und die Handgranaten in der Tiefgarage lässt.
Gerhard auf der anderen Seite am Telefon gibt diese Bedingung weiter, zögert danach keine Sekunde und sagt mit fester Stimme,
ich bin bereit, mit ihm in das Fahrzeug einzusteigen und wegzufahren.
Was dann passiert, liegt nicht mehr an meinen Händen.
Dann können auf jeden Fall zwei Leute überleben.
Aber der Maskete ist nicht überzeugt.
Ohne Handgranaten werde er die Tiefgarage nicht verlassen.
Der Deal platzt.
Insgesamt spricht Gerhard 250 Mal mit Helmut Neuhaus, ganze elf Stunden lang.
In dem einen Ohr hört er die Stimme des Polizisten durch das Telefon,
im anderen die Anweisung des Vermummten, der bewaffnet neben ihm steht.
Wie Engel und Teufel, die auf seinen Schultern sitzen.
Gerhard versucht beiden gerecht zu werden.
Nur so kann er das Leben seiner Angestellten und sein eigenes vielleicht noch retten.
Gegen 22 Uhr verabschiedet sich Verhandler Helmut Neuhaus von Gerhard und übergibt an seinen Kollegen.
Bei der Polizei ist wieder Schichtwechsel.
Wie gern würde auch Gerhard einfach nach Hause gehen.
Seit über 30 Stunden ist er gefangen.
Und er weiß nicht, ob er dieses Gefängnis je wieder lebendig verlässt.
Die Nacht müssen er und Nadine wieder in dem gepanzerten Transporter verbringen.
Dort, wo Armin schon seit dem Morgen liegt, wimmernd und verwundet.
Aber am Leben.
Auch der Vermummte nimmt im VW Platz.
In der Hand hält er die Granate, die er vor Stunden mit Armin an dem Fallrohr befestigt hatte, fest umklammert.
Den Splint hat er gezogen.
Sollte die Polizei versuchen, in die Tiefgarage einzudringen und ihn zu erschießen, will er sie werfen.
Die schwarze Waffe, die er in seiner Faust hält, ist für ihn seine Lebensversicherung.
Das muss Gerhard der Polizei immer wieder übermitteln.
Genau wie die Einsatzkräfte am anderen Ende der Leitung, hofft er, dass der Geiselnehmer vernünftig ist und den Splint wieder in die Granate steckt.
Doch alle Bitten sind zwecklos.
Stunde um Stunde vergeht.
Gerhard, der nicht wie die anderen hinten im Transporter, sondern auf dem Fahrersitz sitzt, spürt, wie ihn seine Kräfte zu verlassen drohen.
Er hat seit über 40 Stunden nicht geschlafen.
Und so bekommt er nicht mit, wie auch dem Vermummten die Augen zu fallen und ihm, während er in den Sekundenschlaf übertritt, die Granate aus der Hand gleitet.
21, 22.
Gerade noch rechtzeitig wacht der Maskite auf und kickt sie geistesgegenwärtig aus dem Wagen.
Eine Sekunde später explodiert die Granate mit einem ohrenbetäubenden Knall.
Splitter treffen Nadine durch die Tür des Wagens im Kopf und Rücken.
Auf dem Polizeipräsidium in Köln haben die BeamtInnen alles mit angehört.
Und obwohl Einsatzleiter Granitz gar Nadines Verletzung genau wie die von Armin nicht als lebensgefährlich einstuft, ist ihm klar, dass nun etwas geschehen muss.
Er gibt die Anweisung, die stundenlang verboten war.
Das Tor soll geöffnet werden.
Allerdings nicht, um den Geiselnehmer in die Freiheit zu entlassen, sondern um ihm zu zeigen, welche Geschütze die Polizei aufgefahren hat, um ihn endlich dazu zu bringen, aufzugeben.
Vor dem Tor positioniert sich jetzt also ein großer gepanzerter Wagen.
An den Seiten stehen S.E.K.-Kräfte, ihre Maschinengewehre im Anschlag.
Das Tor öffnet sich und die Polizei präsentiert dem Geiselnehmer ihr Großaufgebot an Einsatzkräften.
Das erste Mal seit 44 Stunden sehen die Insassen des Fahrzeugs jetzt die Außenwelt durch das große Tor der Tiefgarage.
Und trotzdem scheint ein Ausweg und die Freiheit noch in weiter Entfernung.
Das Großaufgebot zeigt, wie ernst die Lage ist.
Blechern tönen nun Worte über eine Lautsprecheranlage in die Tiefgarage.
Achtung, Achtung, Achtung, eine Durchsage an den Mann im Fahrzeug.
Lassen Sie die drei Personen frei.
Ich wiederhole, eine friedliche Lösung ist noch möglich.
Es ist nicht zu spät.
Das erste Mal reagiert der Geiselnehmer jetzt selbst auf die direkte Ansprache.
Der kurze Wortwechsel mit dem Mann, der noch immer nicht identifiziert ist, reicht den Beamtinnen, um endgültig zu verstehen.
Er lässt sich von der Armada an Einsatzkräften nicht beeindrucken.
Deshalb werden sie hier mit Verhandlungen nichts mehr ausrichten.
Das Tor wird wieder geschlossen.
Drinnen der Geiselnehmer, gefangen an seinem eigenen Tatort, draußen die Polizeikräfte und 80 Kilometer entfernt der Einsatzleiter,
der die Strippen zieht und dafür jetzt dringend eine andere Taktik braucht.
Er muss den Geiselnehmer aus seinem Versteck locken.
Nur so gibt es eine Chance, die Geiseln zu retten.
Am Mittwochmorgen, Tag 3 der Geiselnahme, entscheidet Winrich Granitzka deshalb,
den Geiselnehmer den Fluchtwagen zur Verfügung zu stellen, den er seit Stunden fordert.
So könnte es gelingen, ihn in einen Hinterhalt zu locken.
Und zeitgleich muss Granitzka eine zweite Entscheidung treffen.
Eine, die selbst ihn als erfahrenen Polizisten an seine Grenzen bringt.
Er denkt darüber nach, den finalen Rettungsschuss freizugeben.
Die Erlaubnis, den Geiselnehmer zu töten.
Eine schwierige Frage der Ethik, der Moral und auch des Glaubens.
Was ist ein Menschenleben wert?
Und wird er sich nach dieser Entscheidung morgens beim Rasieren im Spiegel noch in die Augen sehen können?
Mit seinen engsten Vertrauten zieht er sich zur Beratung zurück.
Gemeinsam fragen sie sich, können wir es verantworten, diese Lage jetzt zu beenden,
um den Preis, dass wir einen Menschen, den Täter, gezielt umbringen müssen?
Alle im Kreis wissen, dass der finale Rettungsschuss auch ein hohes Risiko für die Geiseln birgt.
Doch niemand sieht eine andere Lösung.
Die Polizisten, alle Männer, die Jahre im Dienst sind, fassen sich an den Händen und geben sich ein Versprechen.
Wir stehen zusammen dafür ein.
In der Tiefgarage sieht Gerhard wenig später von seinem Platz im Transporter aus,
wie sich am Mittwochvormittag, 48 Stunden nach Beginn der Geiselnahme, das Tor ein zweites Mal öffnet.
Dieses Mal steht kein gepanzerter Polizeiwagen davor, sondern ein dunkelgrauer Mercedes fährt herein.
Das Fluchtauto, nach dem er so oft am Telefon fragen musste.
Als der Fahrer, ein SEK-Beamter, in voller Montur die Garage wieder verlässt,
kommt der Vermummte neben ihm in Bewegung.
Gerhard muss mit ihm aussteigen und die vollen Geldtaschen vom Transporter zum Mercedes tragen.
Dann muss er über die Beifahrertür einsteigen und auf den Fahrersitz klettern.
Der Maskierte mit der Pistole weicht ihm nicht von der Seite.
Gerhard dreht den Schlüssel um und fährt in Schrittgeschwindigkeit aus der Garage auf den Hof.
Doch weiter geht es nicht.
Die Ausfahrt ist von Polizeiwagen blockiert.
Und plötzlich geht der Motor aus.
Gerhard wundert sich darüber.
Immerhin hat er nichts gemacht.
Der Motor lässt sich auch nicht wieder anstellen.
Hat die Polizei etwa Zugriff darauf?
Auch der Geiselnehmer kapiert, dass hier etwas nicht nach seinem Plan läuft.
Überall sind PolizistInnen.
Gerhard und er können nirgendwo hin.
Dann spürt Gerhard die Faust des Geiselnehmers an seiner Brust und wie er sie in sein Hemd schiebt.
Einen Moment später hört er, wie der Vermummte ins Handy spricht.
Die Granate steckt in seinem Hemd.
Wenn ich getroffen werde, wenn ich getroffen werde, ist er tot.
Und tatsächlich.
Der Geiselnehmer hat in seiner Faust die Handgranate, die er fest an Gerhards Brust drückt und die von seinem Hemd verdeckt wird.
Weil sie nicht wegfahren können, muss Gerhard über die Beifahrertür wieder aussteigen.
Wie ein menschliches Schutzschild presst ihn der Vermummte an sich.
Noch immer steckt dessen Hand in seinem weiß-blau gestreiften Hemd.
Gerhard spürt die entsicherte Granate dort, wo sein Herz sitzt, als sie zusammen Schritt für Schritt rückwärts zurück Richtung Tiefgarage gehen.
Ich kann das gar nicht.
Wie schlimm ist das eigentlich?
Ja.
Ich kann das gar nicht.
Also ich finde das gerade so aufregend.
Das ist ganz schlimm.
Ja.
Er versteht, dass der Vermummte jetzt, wo er nicht fliehen kann, wieder hinter den dicken Betonmauern Schutz suchen will.
Wieder zurück in die Hölle, in der er drei Tage lang ausharren musste.
Erst jetzt nimmt Gerhard seine Umgebung zum ersten Mal richtig wahr.
Er sieht die vielen Einsatzkräfte in den Hecken, auf den Bahngleisen, auf den Dächern der umliegenden Gebäude.
Tausend Gedanken rasen ihm durch den Kopf.
Einer bleibt.
Ich werde diesen Platz nicht mehr lebend verlassen.
Als Gerhard das realisiert, steigt Wut in ihm auf.
Wollen Sie mir mein Leben ruinieren auf diese Art und Weise?
Herzlichen Glückwunsch.
Frohe Weihnachten.
Schnauzt er den Verhandler am Telefon an.
Doch der Zorn weicht Traurigkeit und Resignation.
50 Stunden hat er gekämpft.
Für sich, seine Angestellten, seine Familie.
Jetzt hat er keine Kraft mehr.
Er lässt die Hand, die das Telefon hält, senken.
Gerhard kapituliert.
Nur ein kleines Stück entfernt von Gerhard und dem Vermummten, der sich noch immer hinter ihm versteckt, schlägt ein Projektil in die Betonmauer der Bank ein.
Das war jetzt ein Warnschuss, hört Gerhard den Beamten am Telefon sagen.
Sein Peiniger antwortet, wenn sie mich erschießen, ist er auch tot.
Mit dem Geiselnehmer im Rücken und der entsicherten Handgranate auf der Brust lässt Gerhard sich wieder zum Fluchtauto dirigieren.
Der Vermummte will offenbar nicht ohne seine Beute zurück.
Gerhard muss die beiden Geldtaschen mit den 1,8 Millionen Mark aus dem Mercedes nehmen.
Und dann drängt ihn der Maskierte, der sich eng an ihn presst, Schritt für Schritt Richtung Straße.
Das Ziel ist der Weihnachtsmarkt, hört er den Vermummten in seinem Ohr.
Und wenn die Polizisten hier rausspringen, lasse ich die Handgranate los.
Über die Monitore im Kölner Präsidium sieht Winrich Granitzka den Vermummten und seine Geisel zusammensacken.
Wie Marionetten, denen man die Fäden durchgeschnitten hat.
Der Präzisionsschützer hat seinen Job gemacht.
Hier und heute wird es kein zweites Gladbeck geben.
Doch noch ist es nicht vorbei.
Winrich Granitzka beginnt zu zählen.
21, 22, 23.
Wann explodiert die Handgranate an Gerhards Brust?
24, 25.
Nichts passiert.
Er sieht, wie zwei Kampfmittel entschärfer der GSG 9 auf die zweiregungslosen Körper zu stürmen.
Es ist kurz vor Weihnachten, das wollen wir doch beide erleben.
Als diese Worte zu ihm durchdringen, löst sich Gerhard aus seiner Schockstarre.
Er nimmt den GSG 9 Mann wahr, der vor ihm kniet und mit ruhiger Stimme zu ihm spricht.
Die Sturmhaube hat er sich vom Kopf gezogen.
Gerhard kann ihm ins Gesicht blicken.
Und er begreift, dass er jetzt tun muss, was der Profi sagt.
Gerhard merkt, dass er mit seinen Händen die Faust des toten Geiselnehmers umklammert,
die mit der Handgranate noch immer auf seiner Brust liegt.
Und ihm ist klar, dass die Granate jede Sekunde noch explodieren und ihn in den Tod reißen kann.
Ganz genau folgt er den Anweisungen der beiden GSG 9 Kräfte.
Als Gerhard nach quälend langen Minuten sieht, wie es den beiden Experten gelingt, die Granate zu sichern, kann er es kaum fassen.
Er steht auf, noch immer blass im Gesicht und macht ein paar Schritte.
Langsam und unsicher, aber allein.
Ohne den Vermummten, der so viele Stunden wie ein Schatten an ihm klebte.
Und den die PolizistInnen als Adnan H. identifizieren.
Ein 46-jähriger Berufsverbrecher, der wegen schweren Raubs und Geiselnahme schon viele Jahre in Haft saß.
Zweimal war er in seine Heimat Bosnien abgeschoben worden, aber illegal wieder nach Deutschland eingereist.
Deswegen ist über ihn jetzt auch nicht mehr öffentlich bekannt, weshalb ich jetzt auch leider nicht mehr zu ihm erzählen kann.
Aber was wir von ihm wissen, seine letzte Geiselnahme hatte er mit seinem Leben bezahlt.
Einsatzleiter Winrich Granitzka und die insgesamt 700 beteiligten PolizistInnen atmen auf.
Das Geiseldrama ist beendet und alle drei Geiseln sind am Leben.
Zu verdanken ist das vor allem Gerhard.
Er wird öffentlich für seinen seltenen Mut und seine ungewöhnliche Fürsorge gewürdigt.
Den Respekt zeugt man Gerhard nicht nur dafür, dass er in seiner Geistesgegenwart die Handgranate festgehalten hat,
als der Geiselnähmer tot zusammensackte, sondern auch schon für sein Verhalten in den Stunden davor, bei den Verhandlungen am Telefon.
Dabei loben ihn Winrich Granitzka und sein Team für seine ungewöhnliche Disziplin und dafür,
dass er trotz der enormen Belastungen so gut wie nie die Fassung verloren hat und extrem kontrolliert und stressresistent war.
Dabei wäre seine Gelassenheit Gerhard fast zum Verhängnis geworden.
Auf Verhandler Helmut Neuhaus wirkte er ab und zu fast abgeklärt, fast zu abgeklärt.
Zum Beispiel als Armin angeschossen wurde und Gerhard trotzdem gefasst blieb.
Deshalb verdächtigten ihn die Einsatzkräfte zwischendurch sogar als Mittäter.
Umso größer ist jetzt der Respekt der PolizeibeamtInnen,
als sich herausstellt, dass Gerhard seine Emotionen einfach nur extrem gut unter Kontrolle hatte,
um das Leben seiner beiden Angestellten und sein eigenes zu retten.
Als Gerhard realisiert, dass er es geschafft hat, dass er erlöst ist von diesen 50 Stunden langen Qualen,
blickt er nicht mehr zurück auf den Mann, der ihn so lange in seiner Gewalt hatte.
Er lässt den Toten hier hinter sich und schaut nach vorn ins Leben.
Seine Frau Daniela wird dieses Weihnachten nicht allein verbringen.
Und die beiden werden noch viele weitere Ehejahre gemeinsam haben dürfen.
Das ist für ihn das größte Geschenk.
Und das hat er sogar zwei Tage vor Weihnachten bekommen.
Also ich weiß nicht, wie Gerhard das ausgehalten hat.
Ich, die das jetzt von dir erzählt bekommen habe, ich konnte es ja fast gar nicht aushalten, die Spannung.
Und weil ich die ganze Zeit dachte, wieso, also als dann der Schuss gefallen ist,
habe ich gedacht, jetzt renn los.
Ich habe einfach so gedacht, wieso bewegst du dich jetzt nicht und rennst jetzt los,
weil ja diese Handgranate in drei Sekunden in die Luft fliegt.
Und wie kann man so geistesgegenwärtig sein, dass man die dann so doll festhält in dem Moment?
Bei mir hätte wahrscheinlich der Fluchtinstinkt eingesetzt, was ja komplett dumm gewesen wäre.
Ja, weil er hätte die Handgranate mit der Faust des toten Geiselnehmers wahrscheinlich nicht mehr aus seinem Hemd rausziehen können.
Ja, und ich finde es auch so krass, dass der Granitzka das so durchgezogen hat, obwohl das schon 48 Stunden ging und zwei Geiseln verletzt waren,
dass er quasi so lange erstmal zu seiner Entscheidung gestanden hat, dass es eben kein zweites Gladbeck geben wird
und dann aber auch die Verantwortung übernommen hat, diesen Todesschuss zu geben.
Also das finde ich schon eine krasse Leistung.
Ja, wobei ich mir manchmal denke, ist das sicher die beste Alternative, den nicht fliehen zu lassen?
Oder riskiert man so nicht vielleicht halt noch eher das Leben der drei Geiseln, die bei ihm sind?
Ja, aber wenn du den fliehen lässt, dann ist er ja außerhalb deiner, aber dann kannst du ihn fast gar nicht mehr kontrollieren.
Und das ist natürlich dann potenziell eine größere Gefahr.
Ja, aber du weißt ja nicht, wie viele Geiseln er bis dahin dann schon umbringt.
Also der hat dreimal auf den Armin geschossen.
Das ist schon echt ein deutliches Signal.
Ja, ja. Aber er hatte ja nicht, wie angekündigt, seine Geiseln getötet.
Ich glaube, das hat der Einsatzleiter ja dann auch irgendwie alles so in seine Überlegungen mit einbezogen.
Und ich habe jetzt schon den Eindruck gehabt, dass er da viel aus Gladbeck gelernt hat.
Ja, das hat er und zwar nicht nur in Bezug darauf jetzt einen Geiselnehmer fliehen zu lassen,
sondern auch in Bezug auf die Presse.
Gladbeck lief bei uns unter dem Oberthema Medienjustiz.
Weil bei Gladbeck einfach das Schlimme war, dass es eine ganze Zeit eine Live-Berichterstattung gab,
dass die JournalistInnen den TäterInnen und den Geiseln hinterhergefahren sind.
Die haben sogar Interviews während dieser Geiselnahme mit denen gemacht.
Und hier, und deswegen kennt man diesen Fall auch eigentlich kaum,
haben die von Anfang an gesagt, keine Presse, so wenig wie möglich.
Weil wenn die Presse darüber nicht berichtet, dann findet dieser Fall in der Öffentlichkeit jetzt auch erstmal nicht statt.
Und deswegen gibt es auch heute tatsächlich nicht so viel Material, außer eine Doku bei ZDF-Info.
Das haben die auf jeden Fall viel, viel besser gemacht als bei Gladbeck und da sehr dazugelernt.
Und deswegen war das auch so eine Art Trostpflaster für die ganze Polizei und so Einsatzkräfte.
Ja, um zu zeigen, das können wir auch anders.
Was ich an diesem Fall ganz interessant fand, dass es aus diesen 50 Stunden Geiselnahme am Ende diesen einen Ausweg gab.
Und das war der finale Rettungsschuss.
Und um den geht es jetzt in meinem AHA.
Also dieser Begriff Rettungsschuss, der beschreibt eine gezielte Tötung von StraftäterInnen und zwar mit einem Schuss in den Kopf.
Und das ist aber die wirklich Ultima Ratio, also das letzte Mittel, was angewendet werden darf.
Und das kommt auch wirklich nur zum Einsatz, wenn sich eine oder mehrere Personen in Lebensgefahr befinden und die auf keine andere Art gerettet werden können.
Und dieses Konzept dahinter, das wurde 1973 entwickelt als Reaktion auf zwei Geiselnahmen in München, die ziemlich eskaliert sind.
Und zwar einmal 1971, da gab es eben diese Geiselnahme in der Bank, von der wir am Anfang erzählt haben.
Und ein Jahr später gab es dann auch noch das Attentat bei den Olympischen Sommerspielen,
wo eine palästinensische Terrororganisation die israelische Mannschaft überfallen und zwei Sportler ermordet und neun als Geiseln genommen hat.
Und bei diesem Versuch, die Geiseln zu retten, sind alle neun und ein Polizist ums Leben gekommen.
Und danach hatte man also gesagt, wir brauchen jetzt ein Mittel, um solche Geiselnahmen mit so wenig Opfern wie möglich zu beenden.
Und als es dann 1974 wieder zu einer Geiselnahme in Deutschland kam, da hat die Polizei dann zum ersten Mal entschieden, diesen Rettungsschuss einzusetzen
und dann auch den Täter zu töten und die Geiseln dadurch zu retten.
Damals überfiel ein Ingenieurstudent eine Commerzbankfiliale in Hamburg.
Der Mann war damals 28 und nahm Mitarbeiterinnen und Kundinnen als Geiseln und forderte dann auch einen Fluchtwagen,
denn ansonsten würde er die Geiseln töten, sagte er.
Und dieser Fluchtwagen, der wurde ihm dann auch bereitgestellt.
Und als er mit einer der Geiseln die Bank verließ, wurde er dann wie der Geiselnehmer in Aachen durch diesen finalen Rettungsschuss getötet.
Theoretisch ist das so, dass jeder Polizist und jede Polizistin so einen Schuss abfeuern kann.
Aber in der Praxis sind das halt meistens Präzisionsschützinnen von so Spezialeinsatzkommandos.
In der Regel ist es dann auch so, dass nicht nur einer, sondern mehrere auf die angreifende Person zielen und auch gleichzeitig schießen.
Und das liegt daran, dass die Person so getroffen werden muss, dass sie dann halt auch wirklich sofort tot ist und nicht noch irgendwie schnell schießen kann.
Oder halt wie in meinem Fall jetzt die Handgranate loslassen kann oder noch unnötig leiden muss.
Und bei dem Fall in Aachen, da war das auch so, dass rund um die Bank, da standen halt mehrere Präzisionsschützinnen, die positioniert waren.
Aber weil der endgültige Befehl von der Einsatzleitung erst so spät kam, hatte zum Schluss nur noch einer von ihnen den richtigen Winkel, um den Geiselnehmern dann halt so wie nötig treffen zu können.
Und deswegen war es dann nur noch dieser eine Schuss.
Also in den meisten Bundesländern ist der finale Rettungsschuss in den Polizeigesetzen verankert.
Nur in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Regelung dazu.
Und wenn da ein Angreifer oder eine Angreiferin dann gezielt getötet wird, kann sich die Person, die geschossen hat, dann natürlich auch nicht auf diese Regelung berufen.
Und bei den anschließenden Ermittlungen muss dann halt geschaut werden, ob das hier irgendwie anders rechtlich gerechtfertigt werden kann.
In den anderen Bundesländern wird der finale Rettungsschuss aber natürlich dann auch in einem Ermittlungsverfahren auf seine Rechtsmäßigkeit überprüft.
Und das ist eben nicht so, dass in jedem Bundesland die Einsatzleitung die Entscheidung für diesen Rettungsschuss trifft.
Also in Schleswig-Holstein und Bremen zum Beispiel, da liegt die finale Entscheidung beim Schützen oder bei der Schützin.
Also das heißt, die entscheiden dann, ob sie auch wirklich schießen oder nicht.
Und das finde ich irgendwie krass, weil die ganze Zeit wird diese ganze Aktion von irgendjemandem geleitet, der alle Entscheidungen trifft.
Und diese wichtigste letzte Entscheidung musst du dann treffen.
Ja, ich finde das auch nicht richtig, weil wir haben in unseren Folgen ja schon öfter darüber geredet, dass Verantwortung, wenn sie von mehreren Personen getroffen wird oder auf mehreren Ebenen von unterschiedlichen Personen, dass die sich dann aufteilt.
Und in so einem Fall, wo dein Job daraus besteht, andere Menschen zu beschützen, finde ich das eigentlich gut, dass das nicht in der Hand von einer Person liegt, die dann am Ende auch noch mit eventuell rechtlichen Konsequenzen rechnen muss und die Person war, die dann abgedrückt hat.
Ja, finde ich auch. Und diese Person hat ja auch gar nicht alle Informationen und den Überblick so wie eine Einsatzleitung.
Also ich finde das total schwierig, das so zu regeln. Also es ergibt für mich gar keinen Sinn.
Weil dann würde ich immer eher sagen, nee, mache ich nicht, wenn ich die Schützin wäre.
Ja, dann bist du da natürlich in dem Job super falsch, weil das musst du natürlich bereit sein zu tun.
Aber gerade wenn da mehrere SchützInnen sind und dann schießen drei und zwei dann nicht oder vielleicht ist da dann, ich weiß nicht, ich finde, da sind ganz viele psychologische Sachen, die in dem Moment irgendwie in so einer Person sich abspielen können.
Und das finde ich viel besser, wenn das ausgelagert wird an eine Person, die nicht ihren Finger am Trigger hat.
Ja, und jemand, der der Person vorgesetzt ist.
Also wir sehen, es gibt viele Sachen, die man über den finalen Rettungsschuss diskutieren kann.
Zum Beispiel auch den Namen. Also GegnerInnen sagen auch finalen Todesschuss.
Und es ist tatsächlich ja auch eine Art Euphemismus.
Also Rettungsschuss, so kann man das natürlich auch sehen, wenn es darum geht, die Geiseln zu retten.
Aber am Ende für den Täter oder die Täterin ist das natürlich ein Todesschuss.
Und was auch kritisiert wird, ist, dass die Tötung von einem Täter oder einer Täterin nie per Gesetz geregelt werden dürfe.
Also dass man das immer von Tat zu Tat entscheiden muss, ob das wirklich das einzige Mittel war, um jemand anderen zu retten.
Und was am Anfang auch befürchtet wurde, nachdem dieses Konzept entwickelt wurde, ist, dass diese tödlichen Schüsse dann viel häufiger vorkommen würden, wenn es eine rechtliche Regelung dafür gibt.
Aber das ist laut Statistik der Innenministerkonferenz nicht der Fall.
Also im Jahr 2014 hat die Polizei 51 Mal auf Personen geschossen.
Dabei wurden 31 verletzt und sieben getötet.
1970 dagegen wurde 160 Mal auf Menschen geschossen und 17 von ihnen wurden getötet.
Diese finalen Rettungsschüsse, die werden leider im Verhältnis besonders häufig angewendet, wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen für andere eine Bedrohung darstellen.
Mein Fall zeigt, wie ein gewöhnlicher Arbeitstag zur Tragödie wird, nur weil ein Mensch nicht bereit ist, Hilfe anzunehmen.
Alle Namen habe ich geändert.
Neu renovierte Mehrparteienhäuser, dazwischen Grünflächen mit Eichen- und Haselnusssträuchern und ein Spielplatz.
Das ist die Karlsruher Nordstadt.
Hier lebten bis Mitte der 90er Jahre US-amerikanische Soldatinnen.
Heute, 2012, ist die Wohnsiedlung mit Straßennamen wie Louisiana Ring oder Kentucky Allee vor allem bei Familien beliebt.
Es ist eine beschauliche Wohngegend.
Die Menschen schätzen die Ruhe, den Platz und das viele Grün.
Zu der satten Farbe bilden die Männer, die an diesem Juli-Tag vor einem der Häuser stehen, einen Kontrast.
Mit ihren schwarzen Anzügen und Krawatten passen sie so gar nicht in das Bild der lebensfrohen Wohnsiedlung.
Und erst recht nicht, als sie mit ernsten Minen einen von dunkelblauem Stoff verhüllten Leichnam aus dem Haus tragen.
Ein paar Stunden zuvor.
Hubberts Job als Sozialarbeiter führt ihn an diesem Morgen als erstes in den Norden Karlsruhe zu einer Zwangsräumung.
Von der kleinen Stadt, in der der 54-Jährige mit seiner Frau Annemarie lebt, braucht er für den Weg dorthin ca. eine halbe Stunde mit dem Auto.
Zeit, um sich zu wappnen.
Denn mit anzusehen, wie jemandem das eigene Zuhause unter den Füßen weggezogen wird, ist nicht einfach.
Auch nach Jahren und etlichen dieser Einsätze nicht.
Aber genau deshalb ist Hubberts ja da.
Mit seinen grauen Haaren, der eckigen dunklen Brille und seiner ruhigen Art soll er den Menschen in dieser Situation beistehen und ihnen Lösungen für die Zukunft aufzeigen.
Denn auch wenn alles auf den ersten Blick aussichtslos erscheint, ist er derjenige, der ein Ass im Ärmel hat.
Eine Notunterkunft steht immer zur Verfügung.
So kann der Sozialarbeiter dafür sorgen, dass niemand wirklich ohne Dach über dem Kopf dasteht, auch wenn sich das im ersten Moment so anfühlt.
Diesmal sind diese Menschen Dagmar und ihr langjähriger Freund Raphael.
Die 55-Jährige hatte seit Monaten die Nebenkostenabrechnung für ihre Eigentumswohnung nicht mehr bezahlt, weshalb ihre vier Wände an einen jungen Mann zwangsversteigert wurden.
Heute will der neue Eigentümer in die Drei-Zimmer-Wohnung einziehen und Dagmar samt Freund Raphael müssen weichen.
Um kurz vor 8 Uhr morgens kommt Hubert vor dem fünfgeschossigen Mehrfamilienhaus an.
Neben ihm parken noch zwei weitere Autos.
Aus ihnen steigen Gerichtsvollzieher Frank und Schlosser Hassan.
Beide unabdingbar für die ordentliche Durchführung einer Zwangsräumung.
Die drei begrüßen sich und besprechen kurz das Vorgehen.
Sofern die Tür von alleine geöffnet und Schlosser Hassan nicht gebraucht wird, übernehmen Hubert und Frank.
Gerichtsvollzieher Frank wickelt die Formalitäten ab, Hubert kümmert sich um die Bedürfnisse der BewohnerInnen.
Abgemacht.
Dann go.
Wenn sie durch sind, können dann gleich die Möbelpacker hoch, die mittlerweile auch mit ihrem Transporter vor dem Haus zum Stehen gekommen sind.
Im fünften Stock, direkt vor der Dachgeschosswohnung angekommen, wird geklingelt.
Gewartet.
Noch mal geklingelt.
Aber die Tür bleibt zu.
Vielleicht ist ja niemand zu Hause.
Also muss Hassan doch ran.
Für den 33-jährigen Schlosser sollte die Tür kein Hindernis darstellen.
Er arbeitet fast rund um die Uhr für den Schlüsseldienst, um seiner Frau Serap und den beiden Kindern ein schönes Leben zu ermöglichen.
In Gedanken ist Hassan sowieso gerade oft bei seiner Frau, denn die ist hochschwanger mit ihrem dritten Kind.
Jeden Tag könnte es soweit sein.
Doch als er das Werkzeug gerade am Schloss ansetzt, geht die Wohnungstür auf und Hassan, Hubert und Frank blicken in das Gesicht eines Mannes Anfang 50.
Es ist Raphael, Dagmas Freund.
Er bittet die drei Männer herein und erklärt, dass Dagmar krank im Bett liegt.
Dann führt Raphael, Hubert, Frank und Hassan durch einen schmalen Flur bis in ein großes Wohnzimmer.
Dabei streift Hubert's Blick durch die Wohnung.
Dank der jahrelangen Erfahrung in seinem Beruf weiß er, erst der Blick in die privatesten Räume von Menschen offenbart,
welche Schicksale sich hinter den Haustüren verbergen.
Vermüllte, stinkende Wohnungen sind für ihn an der Tagesordnung.
Doch was ihn überrascht?
Heute ist das anders.
Alles ist aufgeräumt und sauber.
Das Wohnzimmer scheint das Herzstück zu sein.
Von hier gehen drei Türen ab.
Wahrscheinlich zur Küche, Bad und Schlafzimmer.
In der Mitte stehen zwei große Sofas, ein Sessel und ein Couchtisch.
Und an der Wand findet sich ein riesiger Fernseher, der vor sich hinläuft, als hätte man hier nicht gerade einen wichtigen Termin vor sich.
Während Hubert versucht, die Situation einzuschätzen, verhält sich Raphael höflich wie ein Gastgeber.
Die Besucher mögen doch Platz nehmen, bittet er freundlich.
Das werden sie nicht tun, das weiß Hubert.
Auch Frank ist das klar, der das Zepter immer als erstes in die Hand nimmt.
Der 47-jährige Familienvater macht den Job als Gerichtsvollzieher schon lang genug, um zu wissen, dass solche Situationen für die Betroffenen alles andere als einfach sind.
Aber das Unvermeidliche hinaus zu zögern, macht es der Erfahrung nach nicht besser.
Lieber kurz und entschlossen, so wie beim Pflaster abreißen.
Also setzt er an und sagt, wir sind nicht gekommen, um uns aufzuhalten, sondern um diese Wohnung zu räumen.
Doch sobald Frank den Satz zu Ende gesprochen hat, stürmt Raphael plötzlich aus dem Zimmer.
Verdutzt warten die drei Männer darauf, was als nächstes passiert.
Das könnte alles sein, nur nicht das, was sich tatsächlich in den nächsten Sekunden abspielt.
Raphael stürzt zurück ins Wohnzimmer, hat plötzlich eine Waffe in der Hand und bevor die drei reagieren können, zielt er auf Frank und schießt.
Einmal, zweimal, in beide Oberschenkel.
Oh Gott, einfach so.
Der Gerichtsvollzieher fällt zurück und landet auf dem einen Sofa.
Er schreit und wimmert, während das Blut seine Hosenbeine dunkelrot färbt.
Hubert ist fassungslos.
Wie konnte die Situation so schnell eskalieren?
Frank hatte doch lediglich gesagt, worum es ging und Raphael sicherlich gewusst, dass das der Grund ihres Besuches war.
Diese Gedanken schießen Hubert durch den Kopf und Panik breitet sich in seinem Körper aus.
Wie ferngesteuert sitzen er und Hassan sich auf die andere Couch, während Frank ihnen gegenüber stöhnt und mit schmerzverzerrtem Gesicht vor sich hin leidet.
Während Hubert jetzt fieberhaft überlegt, wie sie aus den Fängen des offenbar wahnsinnig gewordenen entkommen können, klingelt es plötzlich an der Tür.
Sind das die Möbelpacker, die endlich mit ihrer Arbeit anfangen wollen?
Voller Hoffnung, dass die Situation gleich beendet sein wird und Frank ärztliche Hilfe bekommen kann,
bleiben Hubert und Hassan wie angewurzelt sitzen, als Raphael das Wohnzimmer in Richtung Eingang verlässt.
Als er kurz darauf zurückkommt, hat er nicht die Mitarbeiter der Umzugsfirma dabei, sondern einen Mann namens Günther.
Der hatte die Wohnung um April für sich und seine Lebensgefährtin ersteigert.
Voller Vorfreude war er in sein neues Zuhause gekommen, nur damit es sich innerhalb von Sekunden in den Vorhof der Hölle verwandelt.
Raphael zwingt auch Günther jetzt dazu, sich zu setzen.
Er nimmt komplett entgeistert im Sessel Platz.
Nun sitzen die vier Männer um den Wohnzimmertisch, fast so wie bei einem Kaffeekränzchen.
Doch anstatt Kuchen serviert ihnen der Gastgeber jetzt Kabelbinder und fordert Hassan dazu auf, die anderen damit zu fesseln.
Der Schlosser gehorcht und die anderen lassen sich ohne Widerstand die Arme hinter dem Rücken fixieren.
Sie alle wissen, dieser Typ hat eine Waffe und er scheut sich nicht, sie zu benutzen.
Das hat er unmissverständlich demonstriert.
Als Hassan fertig ist, gibt Raphael die nächste Anweisung.
Hassan soll sich jetzt von ihm ebenfalls die Hände verbinden lassen.
Auch er soll sich seinem Schicksal ergeben, komplett handlungsunfähig werden.
Aber anstatt, dass Hassan die Arme vor die Brust nimmt, schlägt er gegen Raphaels Hand, in der, der die Waffe hält.
Einen Moment überlegt Hubert aufzuspringen, doch die Fesseln an seinen Händen erinnern ihn daran, Hassan damit keine Hilfe zu sein.
Er bleibt auf dem Sofa sitzen und muss von dort aus hilflos mit ansehen, wie es neben ihm ein kurzes Handgemenge gibt.
Wie es Hassan nicht gelingt, Raphael die Waffe abzunehmen.
Wie Raphael auf Hassan zielt und wie er fünfmal abdrückt.
Fünfmal knallt es ohrenbetäumt laut.
Jetzt ist es das Sofa, das sich dunkelrot verfärbt.
Hubert ist in einem Albtraum gefangen.
Ja, also das ist ja ein Gemetzel.
Einfach nur krank.
Direkt neben ihm auf dem Sofa liegt Hassan, gegenüber Frank.
Da wird ihm klar, wenn dieser Mann ohne mit der Wimper zu zucken auf Frank und Hassan schießen kann, dann wird er auf sie alle schießen, so wie sie hier vor ihm sitzen.
Hubert fühlt Todesangst, während der Fernseher läuft.
Er wendet seinen Blick von dem Sterbenden neben sich ab und starrt in das Empfangsgerät.
Es läuft irgendein Beitrag über eine Supermarktkette, doch Hubert sieht keine Bilder von vollen Regalen.
Er sieht sein Leben, Augenblicke aus seiner Kindheit und Jugend, seine über alles geliebte Frau Annemarie, seine Tochter und seinen Vater, den er beerdigt hat.
54 Jahre, gefüllt mit schönen Erinnerungen, mit traurigen Momenten, mit wertvollen Erfahrungen.
Mit allen Dingen, die ihn zu dem Menschen gemacht haben, der er heute ist.
Und dann macht sich in Hubert's Kopf noch etwas anderes breit.
Ein Gedanke, der sich einnistet und immer mehr Platz einnimmt.
Hubert will nicht sterben.
Nicht jetzt und hier, nicht in diesem Wohnzimmer.
Nicht durch die Hand eines Mannes, der vier Männer als Geiseln genommen hat, weil er seine Wohnung nicht aufgeben will.
Hubert weiß, dass er kaum Möglichkeiten hat, dem Mann mit der Waffe etwas entgegenzusetzen.
Aber er greift die eine, die sich ihm bietet.
Er besinnt sich auf seinen Job als Sozialarbeiter.
Er ist derjenige, der Menschen in schwierigen Lebenssituationen hilft.
Er ist derjenige, der für seine Klientinnen Probleme löst.
Und während Hassan nur ein Stück neben ihm immer schwächer atmet,
wendet Hubert schließlich seinen Blick vom Fernseher und schaut Raphael direkt in die Augen.
Und dann beginnt er zu sprechen.
Ich bin doch hier, um ihnen zu helfen.
Diese Räumung ist nicht das Ende.
Ich kann ihnen helfen, mit ihrer Freundin Dagmar eine neue Wohnung zu finden.
Es gibt immer einen Ausweg.
Sie müssen nicht auf der Straße leben.
All die Sätze, die er sich schon oft hat, sagen hören, die aber noch nie solch ein Gewicht hatten wie jetzt gerade.
Hubert hält an dem einzigen Strohhalm fest, den er hat, während er davon ausgeht, dass sein Gegenüber ihm eh nicht richtig zuhört und in jedem Moment anschnauzen wird, die Klappe zu halten.
Doch Raphael lässt ihn reden.
Minutenlang.
Hubert versichert, dass ihm und den Behörden das Schicksal des Paares keinesfalls egal sei.
Daher hätten sie auch mehrfach versucht, mit Dagmar vor der Räumung Kontakt aufzunehmen.
Zweimal sei er sogar da gewesen.
Geklingelt habe er vergeblich, aber er habe Nachrichten hinterlassen, mit der Bitte, sich mit ihm in Verbindung zu setzen, um zu besprechen, wie es weitergeht.
Eine Rückmeldung habe er nie erhalten.
Hubert redet und redet, obwohl er nicht das Gefühl hat, dass seine Worte Gehör finden.
Trotzdem bemüht er sich, Raphael dabei ins Gesicht zu sehen.
Gleichzeitig versucht er unbemerkt den Kabelbinder, der seine Handgelenke hinterm Rücken zusammenschnürt, Stück für Stück zu lockern.
Die Minuten vergehen.
Für Hubert fühlen sie sich an wie eine Ewigkeit.
Über eine halbe Stunde redet er mit Engelszungen auf den Mann ein, der ihn und die anderen gefangen hält.
In einem Raum, in dem sie nicht wissen, was als nächstes passiert und welcher Schritt möglicherweise den Tod bedeutet.
Und dann hat der Mann offenbar die Nase voll von Huberts Beteuerung.
Raphael fordert ihn auf, aufzustehen und zu ihm zu kommen.
Hubert ist perplex.
Warum verlangt er das?
Will er ihn jetzt zum Schweigen bringen?
Voller Angst steht er auf und geht langsam ein paar Schritte.
Als er direkt vor dem Mann steht, der bereits sieben Schüsse abgefeuert hat, sagt er,
ich zeige dir mal was, deutet dabei auf seine Weste und öffnet eine kleine Tasche nach der anderen.
Hubert kann nicht glauben, was er da sieht.
Noch mehr Waffen, Munition, sogar zwei Handgranaten verbergen sich darin.
Nur, dass du weißt, was hier abgeht, erklärt ihm Raphael.
Und dann schiebt er noch vier Wörter hinterher, die Hubert im ersten Augenblick nicht versteht
und die dann, als er ihre Bedeutung begreift, auf einmal alles verändern.
Aber du kannst abhauen.
Hubert's Fluchtreflex setzt ein und gleichzeitig eine lebende Angst.
Es ist in der Mann, der bewaffnet ist, als würde er in eine Schlacht ziehen, jetzt wirklich gehen
oder ist es ein Trick?
Was, wenn er sieht, dass er schon dabei war, seine Fesseln zu lösen?
Geistesgegenwärtig wendet Hubert Raphael nicht den Rücken zu.
Ohne sein Gesicht von seinem Peiniger abzuwenden, nähert er sich im Rückwärtsgang der Wohnzimmertür.
Schau mich nochmal an, fordert der Mann dann.
Das macht Hubert.
Er schaut seinem Geiselnehmer ein letztes Mal in die Augen.
Und als er schließlich an der Tür ist, dreht er sich um, so schnell er kann, reißt die Tür auf, läuft durch den Gang und raus aus der Wohnung,
in der Günther und die Verletzten Frank und Hassan weiter um ihr Leben fürchten.
Also dieses Schau mich noch einmal an, da dachte ich jetzt gerade, du sagst, er erschießt ihn jetzt doch.
Wieso soll er ihn nochmal anschauen sonst?
Ich finde das auch ganz merkwürdig, aber auch irgendwie sowieso den Täter sehr schwer einzuschätzen, also was er mit seinem Verhalten eigentlich will.
Die fünf Etagen rennt er nach unten, so schnell ihn seine Füße tragen.
Das ist so richtig Albtraummaterial.
Also, dass du weißt, da ist eigentlich jemand hinter dir her und du willst einfach nur rennen, rennen, rennen, um dein Leben rennen.
Ja, und er hatte auch noch die ganze Zeit Angst, dass er eben hinterherkommt oder dann aus dem Fenster von oben noch schießt, als er draußen ist.
Ja.
Als Hubert nach fast einer Stunde in Gefangenschaft aus der Haustür kommt und frische Luft einatmet, hört er einen Schuss und dann noch einen und noch einen.
Gegen 9 Uhr geht bei der Polizei in Karlsruhe ein Notruf ein.
Geiselnahme in der Nordstadt heißt es.
Kurzzeit später rücken insgesamt rund 200 Beamtinnen an.
Ein paar von ihnen sperren das Gebiet um das Wohngebäude mit der Nummer 115 weiträumig mit rotem Flatterband ab.
In der direkten Nachbarschaft werden drei Wohnblocks evakuiert.
Ein Gymnasium wird abgeschlossen.
SchülerInnen und Lehrkräfte bekommen die Anweisung, in den Klassenzimmern zu bleiben.
Auf dem Gelände gehen 80 Spezialeinsatzkräfte in Stellung.
Zum Teil schwer bewaffnet und mit Helmen und Schilden geschützt.
Über dem Areal rotiert ein Hubschrauber.
In den Nebenstraßen positionieren sich nicht nur einige MedienvertreterInnen, sondern auch zahlreiche Rettungsfahrzeuge.
In einem von ihnen wird Hubert versorgt.
Während man sich notärztlich um ihn kümmert, muss er der Polizei Rede und Antwort stehen.
Sie brauchen seine Aussagen jetzt, denn nur so können sie die Lage in der Dachgeschosswohnung einschätzen und entsprechend handeln.
Parallel dazu wird ein Verhandlungsteam gebildet, das so schnell wie möglich Kontakt zu dem Bewaffneten aufnehmen soll.
Die Einsatzkräfte rufen auf dem Festnetztelefon der Wohnung an und probieren auch die Handynummern von Frank, Hassan und Günther.
Doch aus dem Wohnzimmer im fünften Stock gibt es keine Reaktion.
Fieberhaft wegen die Verantwortlichen in der Einsatzleitung ab, ob sie die Wohnung zum Zugriff freigeben können oder nicht.
Sie zögern.
Zu groß erscheint ihnen die Gefahr, der sie ihre SEK-KollegInnen aussetzen würden.
Sie wissen nicht, wie sich die Situation in der Wohnung verändert hat, nachdem Hubert freigelassen wurde.
Sie wissen nur, dass der Mann, der ihn in seiner Gewalt hatte, unberechenbar ist und bis an die Zähne bewaffnet.
Doch dann melden die BeamtInnen, die bereits im Gebäude positioniert sind, eine unerwartete Entwicklung.
Aus der Wohnung im Dachgeschoss dringt Rauch.
Es riecht verbrannt.
Jetzt müssen die Spezialkräfte aktiv werden.
Um 11.48 Uhr, knapp drei Stunden nachdem Hubert als einziger der Wohnzimmerhölle entkam, stürmen sie die Wohnung.
Im ersten Moment können sie das Schreckensszenario, das sich ihnen bietet, nicht einmal sehen.
Zu dicht ist der Qualm, den der brennende Wohnzimmerteppich verströmt.
Dann, langsam, offenbart sich ihnen das ganze Ausmaß des Verbrechens.
Hassan liegt mit Schüssen durchsiebt tot auf dem Boden.
Frank und Günther sitzen auf der Couch bzw. im Sessel, beide durch einen gezählten Kopfschuss getötet.
Im Zimmer nebenan finden sich zwei weitere Leichen.
Auf dem Bett liegt Dagmar mit einer Schusswunde in der Brust.
Auch sie wurde im Laufe des Vormittags von ihrem Lebensgefährten erschossen.
Wann genau, lässt sich später nicht mehr exakt rekonstruieren.
Und das letzte Opfer ist Raphael selbst.
Auf der Pressekonferenz, die wenig später einberufen wird, spricht der Oberstaatsanwalt von einer geplanten Hinrichtung.
Das zeige das Waffenarsenal, das die Kripo-BeamtInnen in der Wohnung zutage fördern.
Zwei Langwaffen, zwei Pistolen, ein Revolver und Munition.
Auch die Handgranaten, von denen Hubert berichtete, werden beschlagnahmt.
Im Keller entdecken sie in einem Waffenschrank noch zwei Schrotflinten und noch mehr Munition.
Der Täter habe sich offenbar auf ein langes Gefecht vorbereitet.
Die Polizeipräsidentin bezeichnet die Situation als hochkomplex.
Sie sei atypisch und schwer zu handeln gewesen.
Es gab nichts zu verhindern und nichts zu retten, sagt sie bestimmt.
Während die Öffentlichkeit über das Verbrechen informiert wird, sucht Anne-Marie ihren Mann Hubert.
Von der Polizei vor Ort hatte sie erfahren, dass er ins Krankenhaus gebracht wurde.
Welches konnte man ihr nicht sagen, also ruft sie eins nach dem anderen an.
Doch nirgends wurde ein Hubert eingeliefert.
In einer Klinik sagt man ihr, dass er auf der Polizeidienststelle sein soll, zur Vernehmung.
Als Anne-Marie sich dort meldet, ebenfalls Fehlanzeige.
Obwohl ihr gesagt wurde, dass Hubert überlebt hat, wächst der Gedanke, dass man ihr nicht die Wahrheit sagen wollte, ins Unermessliche.
Und sie glaubt schon, dass sie ihren Mann für immer verloren hat,
als sie ihn auf einer anderen Polizeistelle doch noch wiederfindet, in den Arm nimmt und für eine ganze Zeit nicht mehr loslässt.
Für die Angehörigen der Männer, die an diesem Morgen neben Hubert saßen, wird diese Horrorvorstellung zur Wirklichkeit.
Als Hassans Frau Serab vom Tod ihres Mannes erfährt, bricht die hochschwangere Frau unter Tränen zusammen.
Sie kommt ins Krankenhaus, wo sich die Ärztinnen aufgrund ihrer Verfassung für einen Notkaiserschnitt entscheiden.
Fast genau 24 Stunden, nachdem Hassan seinen letzten Atemzug getan hat, macht seine Tochter ihren ersten.
Boah, ich glaub das nicht.
Bei der Polizei wird eine 15-köpfige Ermittlungsgruppe gebildet, um die Hintergründe der Bluttat aufzuarbeiten.
Die Beamtinnen finden heraus, dass Raphael Mitglied in einem Schützenverein war und so gelernt hat, mit Waffen umzugehen.
Doch lediglich eine Schrotflinte befand sich illegal in seinem Besitz, die anderen hatte er sich beschafft.
Mit der Polizei ist der 53-Jährige vorher nur ein einziges Mal aneinandergeraten.
Vor neun Jahren, wegen eines Diebstahls, bei dem er ein Messer dabei hatte.
Durch Befragungen aus seinem Umfeld wird klar, dass Dagmar und Raphael sehr zurückgezogen gelebt und kaum soziale Kontakte hatten.
Auch keine Arbeit.
Das ist ein wichtiger Hinweis, denn noch immer tappt die Polizei wegen des Tatmotivs im Dunkeln.
Klar ist, dass Raphael die Wohnung nicht räumen wollte.
Dabei wäre ein Neuanfang, wie sich dann herausstellt, finanziell kein Problem gewesen.
Vom Erlös der zwangsversteigerten Wohnungen waren beim Amtsgericht für Dagmar mehrere 10.000 Euro hinterlegt worden.
Das Geld hatte sie allerdings nie abgeholt.
Raphael war aber wohl spielsüchtig.
Doch da keine gravierende finanzielle Notlage bestanden hat, will man sich seitens der Ermittlungsgruppe am Ende auf kein eindeutiges Motiv festlegen.
Was vielleicht auch damit zu tun hat, dass Ermittlungen um einen Totentäter möglicherweise nicht mit demselben Nachdruck unternommen werden wie bei einem Lebenden.
Aber das habe ich jetzt gesagt.
Nach zwei Wochen heißt es zumindest abschließend von den Behörden, Zitat,
Da nach den durchgeführten Ermittlungen an der Täterschaft des 53-Jährigen nicht zu zweifeln ist,
hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe das Ermittlungsverfahren nunmehr eingestellt.
Die Solidarität und das Mitgefühl der BürgerInnen dagegen ist weiterhin riesig.
Die Stadt gedenkt der Opfer in einer Trauerfeier.
Im Rathaus liegt ein Kondolenzbuch aus.
Ein Konto wird eingerichtet, um die Familien der Opfer finanziell zu unterstützen.
Darauf sind gut zwei Monate nach der Tat mehr als 160.000 Euro eingegangen.
Der einzige Überlebende der Tat zieht sich zurück.
Auf Anraten der ÄrztInnen fährt Hubert mit Anne-Marie für ein paar Tage an die Nordsee.
Auch um den JournalistInnen zu entkommen, die vor seinem Haus lauern, um ihn mit Fragen zu bombardieren.
Doch auch mit der frischen Meeresbrise um die Nase fällt es ihm schwer, zur Ruhe zu kommen.
Hubert kann nicht schlafen, kriegt Albträume und hat den Drang, immer wieder mit seiner Frau über den Morgen zu sprechen,
der sein Leben aus den Fugen geraten ließ.
Immer wieder von vorne, immer wieder jedes kleine Detail durchkauen.
Auch Anne-Marie hat in dieser Zeit Probleme einzuschlafen.
So machen die beiden ein Zeichen aus, wie man dem anderen bzw. der anderen in der Nacht signalisiert, dass man wach ist.
Einfach kurz die Hand auf die andere Seite des Bettes legen.
Wenn sich dann direkt etwas regt, wird gesprochen und wieder gemeinsam an den 4. Juli zurückgekehrt.
Zu den Albträumen, in denen die Tat immer und immer wieder von vorne beginnt
und bei denen die Protagonisten Menschen aus seinem Bekanntenkreis sind,
gesellen sich mit der Zeit Fragen, viele Fragen.
Was hätte ich gemacht, wenn ich die Waffe zu fassen gekriegt hätte?
Hätte ich auf den Täter schießen und so alle retten können?
Was ihm noch mehr zu schaffen macht, ist die Tatsache, dass er als einziger entkommen konnte.
Warum hatte ich Glück und die anderen nicht?
Als Hubert's Krankenschreibung ausläuft, soll er im Sozialamt an einer anderen Position wieder eingegliedert werden.
Er steigt mit zwei Stunden pro Tag ein, kopiert Unterlagen, macht Ablage, einfache Arbeiten.
Nach und nach sollen aus den zwei Stunden vier werden.
Doch die ÄrztInnen merken bald, das funktioniert nicht.
Mehr als zweieinhalb Stunden pro Tag sind zu viel für Hubert.
Denn auch wenn sein Körper unversehrt ist, sind seine seelischen Wunden noch lange nicht geheilt.
Mental kämpft er jeden Tag mit den Erlebnissen in der Dachgeschosswohnung und ist deshalb nicht belastbar.
Schließlich wird ihm angeboten, in Frührente zu gehen.
Zuerst kann er sich das nicht vorstellen, das hatte er nie so geplant.
Aber dann willigt er ein und ist am Ende froh darüber, nicht mehr in die Behörde zu müssen.
Stattdessen geht Hubert in die Therapie, ein-, zweimal die Woche, zweieinhalb Jahre lang.
Stück für Stück erarbeitet er sich sein altes Leben zurück.
Er lernt, wieder allein in einem geschlossenen Raum zu sein.
Wieder Aufzug zu fahren.
Sogar dann, wenn eine zweite, fremde Person zusteigt.
Und er lernt, mit den Albträumen, die ihn quälen, umzugehen.
Mit seinem Therapeuten erarbeitet er eine Strategie.
Hubert übt immer wieder, den Tathergang in seinem Kopf so umzuwandeln, dass er gut ausgeht
und nicht nur er, sondern auch Frank, Hassan und Günther mit ihm zusammen überleben
und zurück zu ihren Familien dürfen.
So gewinnt Hubert wieder die Kontrolle über sein Leben.
Und er schafft es sogar, dem Haus, das zu seiner persönlichen Hölle wurde, den Schrecken zu nehmen.
Er kann heute, zehn Jahre nach der Tat, vor dem großen grauen Wohnblock in der Karlsruher Nordstadt stehen,
ohne in Panik auszubrechen.
Er weiß, von der Wohnung im Dachgeschoss geht keine Gefahr mehr aus.
Der Mann, der ihn als Geisel genommen hat, kann ihm nichts mehr anhaben.
Er hat den 4. Juli 2012 nicht überlebt.
Hubert schon.
Und das ist, was zählt.
Also was für eine absolute Albtraumvorstellung.
Auch, dass er der Einzige ist, der da am Ende lebend rauskommt.
Also das kannst du dir doch gar nicht erklären.
Wenn du das denn so nachher reflektierst.
Also was denkst du dann?
Offenbar hat Hubert ja in dem Moment irgendwas richtig gemacht, was die anderen falsch gemacht haben.
Oder ist das jetzt reine Willkür gewesen?
Ja, er hatte ja dem Täter schon das Gefühl geben wollen, dass er ihm helfen will.
Also das war ja so das Ding.
Und Günther, der die Wohnung gekauft hat, der hat ja gar nichts gesagt.
Frank war am Anfang halt ja sehr klar, hier wird jetzt nicht gequatscht, sondern ausgeräumt.
Und Hassan hat ihn ja überwältigt.
Also irgendwie ist es ja schon so gewesen, jeder, der sich gegen ihn oder seinen Plan gestellt hat, wurde angeschossen.
Man weiß das ja dann vorher nicht.
Also es könnte ja sein, dass der Täter sich von dem Gerede von Hubert irgendwie wahnsinnig an der Nase rumgeführt vorkommt in der Situation.
Ja, Hubert hatte auch Angst, dass der Täter von ihm gleich genervt sein könnte und ihn auch anschießt.
Ja, oh Gott.
Ja, also ich glaube, das ist halt was, was man im Nachhinein wirklich ganz, ganz schwer verdauen kann.
Also, dass du auch weißt, du reagierst in dem Moment intuitiv.
Und hättest du vielleicht einen anderen Satz gesagt oder hätte der Raphael das mit den Fesseln gesehen, dann wäre das vielleicht für Hubert auch tödlich geendet.
Ja, was dieser Fall auch wieder so deutlich zeigt, ist, finde ich, was so eine Straftat mit jemandem macht, der überlebt hat.
Dass er nicht wieder in seinen Beruf zurückkommen konnte.
Mit Mitte 50 musste er dann in Frührente gehen.
Und auch seine Frau sagt heute noch, es ist nicht mehr das Leben wie vorher.
Und das ist jetzt schon zehn Jahre her.
Und das finde ich wirklich richtig schlimm und auch wichtig, sich das nochmal vor Augen zu führen, dass das für immer bleibt.
Ich bin für ihn sehr froh, dass er sie hat.
Weil wie du das erzählt hast, mit diesem Signal und dass sie dann wieder und wieder das durchkauen, da ist auch nicht jeder zu bereit.
Und das kann auch nicht jeder psychisch leisten, einer anderen Person so eine Stütze zu sein, nach so einem Vorfall.
Ja, stimmt.
Ich glaube, was auch total schwierig ist bei dieser Bewältigung von diesem Tag ist, dass der Hubert und die anderen ja wirklich kaum eine Möglichkeit hatten, da rauszukommen.
Der hat denen ja nichts angeboten.
Ja, also es war einfach, ihr seid jetzt hier und das ist euer Todesurteil, ohne dass sie irgendwie aktiv das Geschehen hätten beeinflussen können.
Genau. Das ist auch ein bisschen so die Krux bei diesem Fall.
Es war ja so, dass die Polizei für eine Geiselnahme angerückt ist.
Die haben den Notruf von Hubert bekommen.
Er hat gesagt, da ist eine Geiselnahme oben in dem Dachgeschoss und so weiter.
Und die haben dann auch das entsprechende Prozedere in Gang gesetzt, ein Verhandlungsteam gebildet und ja auch versucht, Raphael zu kontaktieren.
Und auch in der Presse ist überall von der Geiselnahme in Karlsruhe zu lesen.
Allerdings ist, und das weiß jeder, der ganz am Anfang bei dieser Folge ganz genau zugehört hat, diese Geiselnahme juristisch gesehen gar keine.
Weil eben was Entscheidendes fehlt und zwar gibt es keine Forderung.
Hubert und die anderen wurden ja nicht festgehalten und bedroht, damit sie oder eine andere Person etwas Bestimmtes für Raphael machen.
Auch wenn Hubert geglaubt hat, dass Raphael sie festhält, um seine Wohnung nicht aufgeben zu müssen.
Er hat sowas ja nie explizit formuliert und auch nicht versucht, irgendwie die Polizei zu rufen und nach irgendwas zu fragen.
Und wahrhaft rechtlich wäre es im Fall von Hubert, wäre es denn zu einem Prozess irgendwann gekommen, dann möglicherweise um Freiheitsberaubung oder Nötigung gegangen.
Naja und man muss ja auch sagen, der Gedanke liegt jetzt nicht so fern.
Also auch wenn er die Forderung jetzt nicht formuliert hat, vielleicht ist ihm ja auch währenddessen eingefallen, das bringt jetzt alles nichts und ich gehe danach dann wahrscheinlich eh ins Gefängnis.
Aber eigentlich ist die Situation, die er geschaffen hat, ja schon eine typische Geiselnahme-Situation mit einer Forderung, ich möchte die Wohnung behalten.
Ja und deswegen haben wir den Fall bei der Recherche zu diesem Thema auch so schnell gefunden, weil so vieles eben auf die Geiselnahme hindeutet.
Aber wie gesagt, nehmen Täter in ihre Geiseln ja eigentlich als Pfand sozusagen für etwas anderes, wie Geld, Waffen, Fluchtwagen oder sowas.
Es gibt aber auch ganz andere Forderungen.
Im Jahr 2000 überfielen in Nigeria zum Beispiel 35 Piraten zwei Bohrinseln der Firma Shell und nahmen 165 Mitarbeitende als Geiseln.
Für deren Freilassung forderten sie dann feste Arbeitsplätze bei einer Ölförderfirma.
Für sich selbst.
Ja, für sich selbst.
Ob die da mittlerweile fest angestellt sind, konnte das Internet mir leider nicht sagen.
Ich gehe aber mal schwer davon aus, nein.
Also es gibt Forderungen, die ergeben einfach nicht so viel Sinn.
So, nehmt das Geld und haut ab.
Aber Arbeitsplätze oder Kita-Plätze, das kann nicht gut werden für die Leute, die da anfangen.
Also keine schöne Stimmung.
Nee.
In der Ukraine hat ein Mann 2020 13 Menschen in einem Bus in seine Gewalt gebracht und auch ziemlich merkwürdige Forderungen gestellt.
Der Geiselnnehmer war offenbar Tierschützer, weil er forderte unter anderem von Präsident Zelensky, dass der auf seiner Facebook-Seite ein Video postet, in dem er Werbung für Earthlings macht.
Das ist eine Doku für den Tierschutz.
Und das hat der Präsident dann auch gemacht.
Ja, ist ein Opfer, das kann man dann irgendwie bringen, um Menschenleben zu retten.
Ich finde es aber irgendwie trotzdem weird.
Auf Facebook auch noch.
Ja, weil das ja auch so ein bisschen vielleicht dazu anspornt, also den Täter, dass der noch andere Forderungen stellt, wenn dem so schnell nachgegangen wird.
Aber zum Glück war das eben nicht so und nach einigen Stunden hat die Polizei den Bus auch gestürmt.
Der Mann ergab sich und niemand wurde verletzt.
Am schönsten fand ich aber folgenden Fall.
In einem schwedischen Gefängnis haben zwei Insassen 2021 zwei Justizvollzugsbeamtinnen als Geiseln genommen.
Sie forderten für alle der 20 Insassen ihrer Abteilung Dönerpizza.
Die haben sie bekommen.
Das ist so ein Dürrüm dann, ne?
Ja, ja, ja.
Nee, das war schon Pizza mit Döner drauf.
Dönerfleisch.
Mhm.
Ah.
Obwohl, weiß ich gar nicht, was ist eine Dönerpizza oder sind da nochmal Döner drauf?
Nee, ich glaube, Dönerpizza ist eher so eine gerollte, so ein gerolltes Ding.
Vielleicht.
Ich finde, das hört sich gar nicht so schlecht an.
So oder so, meine ich.
Also ich habe jetzt nachgesehen, es ist nur das Fleisch.
Also überraschenderweise sind da keine ganzen Döner noch auf der Pizza drauf.
Komisch.
Schade.
Ja, sie haben das jedenfalls bekommen, diese Pizzen.
Und wenig später wurden die Geiseln freigelassen.
Also wir sehen, es gibt seltsame Forderungen, welche die nachvollziehbar sind, wie die Dönerpizza.
Welche, die weniger nachvollziehbar sind.
Aber manchmal geht es auch gar nicht um den Gegenstand an sich, also um das, was gefordert wird.
Das hat uns Matthias Schranner erzählt.
Der hat als Polizist jahrelang Verhandlungen geführt und ist mittlerweile auch als Verhandlungsexperte in Wirtschaft und Politik tätig.
Die Frage ist immer, wie der Täter denkt und was für den Täter wichtig ist.
Also das kann, es kann natürlich sein, dass der wirklich einen Fluchtwagen haben möchte.
Es kann aber natürlich auch sein, dass Fluchtwagen für ein Motiv steht, also einmal wichtig genommen zu werden.
Also wenn jetzt ein Täter zum Beispiel eine schwarze S-Klasse aus Fluchtwagen verlangt, dann könnte sein, dass dahinter auch das Bestürfnis steht, wichtig genommen zu werden.
Wenn der eine große Geldsumme fordert, eine Million, dann könnte das ein Anzeichen sein, dass es auch darum geht, eine bestimmte Aufmerksamkeit zu bekommen.
Also das heißt, man muss sich schon überlegen, was hinter dieser Forderung steht.
Also wir sehen, es kommt darauf an, herauszufinden, was will das Gegenüber eigentlich.
Und oberste Regel ist erstmal immer, ihm das Gefühl zu geben, ernst genommen und respektiert zu werden.
Und um das hinzukriegen, da gibt es ein gewisses Schema, nach welchem diese Gespräche zwischen VerhandlerInnen und den GeiselnehmerInnen ablaufen sollten.
Also was man immer zu Beginn versucht, nämlich diesen Druck der Entscheidung rauszunehmen.
Also das Erste, was man sagt, ist, dass man sagt, sie brauchen sich jetzt nicht entscheiden.
Sie machen eh was, sie für richtig halten, wir können sie eh nicht dran hindern.
Aber bevor sie eben etwas machen, ist unser Vorschlag, dass wir reden, alle Optionen prüfen und dann können sie machen, was sie möchten.
Also man gibt dem Täter, dem Geiselnehmer das Gefühl, dass er immer noch die Macht hat, dass er immer noch derjenige ist, der entscheiden kann.
Aber man nimmt diesen ultimativen Druck raus, dass er jetzt gleich etwas entscheiden muss.
Und dann weiß man, dass man, wenn man mit den Menschen anfängt zu reden, es ist auch eine sehr respektvolle, eine sehr ruhige Herangehensweise.
Also nicht, was man so in Krimis meist sieht, so diese harsche, auch aggressive Verhandlungsart, sondern sehr ruhig, sehr respektvoll.
Man spricht den Täter natürlich per sie an, man versucht Gemeinsamkeiten zu entdecken, man versucht dann tatsächlich eine sehr ruhige Gesprächsbasis herzustellen.
Herr Schranner spricht hier übrigens von Geiselnehmer und Täter, weil Geiselname ein sehr männliches Delikt ist.
Seiner Einschätzung nach sind es in 99 Prozent der Fälle Männer.
Deshalb werden bei der Polizei auch immer mehr Frauen als Verhandlungsführerinnen eingesetzt,
weil die laut Schranner noch stärker das Gefühl vermitteln, nicht irgendwie als Konkurrenz aufzutreten,
sondern, dass sie eben zuhören und helfen, eine Lösung zu finden.
Und was ich an der Stelle auch mal sagen kann, es ist im echten Leben übrigens nicht so,
dass wie bei Mindhunter in der ersten Folge die Angehörigen dazu geholt werden,
um den Geiselnehmer oder die Geiselnehmerin zu beruhigen und zum Aufgeben zu bringen oder so.
Hä? In welcher Welt ergibt das Sinn, dass die Angehörigen die Geiselnehmer beruhigen?
Eher passiert das noch andersrum.
Ja, also ich habe das auf jeden Fall bei Mindhunter ja gesehen, aber auch noch in anderen Filmen,
sodass quasi die Angehörigen, die halt quasi so überreden sollen, so Schatz, das hat gar keinen Sinn und so.
Die nennen die Geiselnehmer in Schatz.
Was?
Naja, die Angehörigen, die Frau, die Frau vom Geiselnehmer, die sagt zu dem Schatz, es macht doch keinen Sinn.
Ach, ich dachte die Angehörigen vom Opfer.
Ach nee, sorry, ja, ja, ja, vom Täter.
Ach so, ach so, ach so, ja.
So klingt das natürlich auch gar nicht mehr so absurd.
Ja, und natürlich bringt das so oder mit den anderen Angehörigen nicht so viel,
weil das die Situation in der Regel ja noch viel emotionaler machen würde, als sie ohnehin schon ist.
Genau, und wichtig ist ja einfach nur, dass eben die VerhandlerInnen, den TäterInnen die Möglichkeit vermitteln,
dass es tatsächlich eine Lösung geben kann.
Und dass man die dann im Gespräch nach und nach miteinander erarbeitet.
Und zumindest denen das Gefühl gibt, weil eigentlich steht natürlich an erster Stelle die Befreiung der Geiseln.
Das hat uns auch unser Experte erklärt.
Aber es gibt auch Geiselnahmen, bei denen die Polizei nicht verhandelt und die Menschen dann einfach ihrem Schicksal überlassen werden.
Nämlich bei Geiselnahmen durch Terrorgruppen.
Das wurde zumindest 2013 beim G8-Gipfel so beschlossen.
Also, dass die Länder kein Lösegeld an TerroristInnen zahlen.
Und da hat sich die USA auch direkt mal dran gehalten, ein Jahr später.
Zu dem Zeitpunkt war nämlich der US-amerikanische Kriegsreporter James Foley bereits seit zwei Jahren Geisel der IS.
Und die Terrorgruppe, die verlangte für seine Freilassung 130 Millionen US-Dollar.
Aber die USA wollte und wollte nicht zahlen.
Und im August 2014 wurde der Reporter deshalb enthauptet und seine Leiche im Internet präsentiert.
Deutschland hatte sich 2013 den G8-Staaten bei der Entscheidung, kein Geld an TerroristInnen zu zahlen, angeschlossen.
Daran hält man sich aber mutmaßlich nicht so wirklich.
Zumindest wurden kurz nach Foley's Tod zwei Deutsche aus den Fängen von Abu Sayyaf-TerroristInnen auf den Philippinen befreit.
Nach Angaben der Terrorgruppe sollen dafür angeblich 4,4 Millionen Euro geflossen sein.
Bestätigen will die Regierung das nicht.
Im Gegensatz zu Deutschland gibt sich die USA also eigentlich als nicht erpressbar.
Aber nun gab es ja jetzt vor kurzem den Fall von Brittany Griner.
Das ist diese US-Basketballspielerin, die im Februar 2022 bei der Einreise nach Russland festgenommen wurde.
Weil laut russischer Behörden so Vape-Kartuschen für E-Zigaretten mit 0,5 Gramm Haschischöl in ihrem Gepäck gefunden wurden.
Dafür wurde die 31-Jährige zu neun Jahren Haft verurteilt und in ein russisches Straflager gesteckt.
Bei so einer krass unangemessenen Strafe war natürlich relativ schnell klar,
dass es sich hier nicht um einen normalen Prozess oder so handelt, sondern um eine politische Aktion von Russland.
Und deswegen wurde daraufhin dann auch der Sonderbeauftragte für Geiselnahmen der US-Regierung dazu geholt.
Es ging dann im Juli los mit den Verhandlungen mit Russland.
Und tatsächlich kam es dann im Dezember zu einem Gefangenaustausch.
Und Griner wurde befreit und gegen den russischen Waffenhändler Viktor Buth ausgetauscht,
der auch der Händler des Todes genannt wird.
Und das wurde von einigen US-AmerikanerInnen kritisch gesehen, weil die jetzt Sorge vor ihrem nächsten Urlaub haben offenbar.
Nämlich davor, dass sie dann verhaftet werden, damit das Urlaubsland dann irgendwelche Forderungen an deren Heimatstaat stellen kann.
Ja, aber ich muss schon sagen, ich finde es interessant, wie anders die USA da jetzt reagiert hat.
Also, dass die USA in Bezug auf die Terrorgruppen so streng an ihrem Kurs festhalten und den Foley da so im Stich gelassen haben.
Das muss man sich ja mal vorstellen.
Die anderen, die mit dem festgenommen wurden und aus Europa kamen, die wurden freigelassen, weil die Länder gezahlt haben.
Und der steht da und denkt sich, what the fuck, wieso komme ich aus den USA?
Also, der war da ja auch als Journalist.
Der hat darüber berichtet, der ist da nicht in den Urlaub hingefahren.
Naja, egal.
Auf jeden Fall ging es da ja in Anführungsstrichen nur um Geld.
Und bei Russland jetzt, ich weiß, Russland ist keine Terrorgruppe, aber da wurde sich dann schon in Relation sehr schnell geeinigt.
Ja, also, was man hier an der Stelle vielleicht auch nochmal sagen sollte, man kann natürlich verstehen, warum die USA keine 130 Millionen an den sogenannten islamischen Staat zahlen wollten.
Und denen damit natürlich auch nicht bei ihrem Krieg, den sie führen wollten und Aufrüstung und so bei den Sachen einfach nicht helfen wollten.
Also, indirekt.
Genau sowas hätte ja eben dann auch der Startschuss für weitere Entführungen und Geisernahmen werden können.
Ja, aber ich finde, man kann seine Bürger in solchen Fällen eigentlich ja nicht im Stich lassen.
Also, egal wie viel Geld es kostet und egal, was für Kriminelle man dann da im Zweifel für freilassen muss, weil wer nimmt sich denn das Recht, so über ein Menschenleben zu entscheiden?
Vor allem, weil du als Staatsbürger oder als Staatsbürgerin bist du ja eigentlich nur ein Spielball in irgendwelchen politischen Auseinandersetzungen.
Also, ja, ich glaube, wir werden das jetzt hier heute nicht lösen können, dieses Problem befürchte ich.
Aber ich bin froh, dass Deutschland offenbar generell schon zahlt und ich kann aber auch total verstehen, dass sie das öffentlich abstreiten, dass sie das machen.
Ja, ja, ich bin auch froh darüber.
Übrigens, in Deutschland, also wenn man sich jetzt im Land befindet, dann kann man sich auch relativ sicher sein, keine Geisel zu werden.
Es ist nämlich so, dass immer weniger Geiselnamen vorkommen.
Das nimmt immer mehr ab.
Im Jahr 1995 waren das noch 128 und 2021 nur noch 30.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Hohlers.
Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
Schnitt Pauline Korb.