00:00:08
Laura, bist du wach?
00:00:13
Ich fühle mich wach.
00:00:15
Ich fühle mich sehr wintermüde.
00:00:17
Aber ansonsten bin ich jetzt auch gerade wach.
00:00:19
Also zumindest so wach, um jetzt die Episode aufzunehmen.
00:00:23
Das ist schön, ja.
00:00:25
Also zum Anfang wollen wir jetzt nochmal Bezug nehmen auf eine Sache.
00:00:30
Von der wir vor ein paar Folgen gesprochen haben.
00:00:32
Und zwar mein Aufwachen während meiner Narkose bei meiner Arm-OP.
00:00:37
Ja, ich finde, das ist auch überfällig, weil die Leute waren etwas, empört ja auch einige darüber,
00:00:45
dass du das so wie in so einem Nebensatz erwähnt hast, als wäre das gar keine Rede wert.
00:00:50
Und haben bei Instagram nach mehr verlangt.
00:00:54
Ich hatte das nur ganz kurz angeschnitten und offenbar hat es einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
00:00:59
Und deswegen kamen viele Nachfragen, aber auch viele Erfahrungsberichte, die wir sehr beredenswert fanden.
00:01:06
Deswegen also jetzt nochmal von vorne.
00:01:08
Ich wurde am Arm operiert, nachdem ich einen Surfunfall hatte, während Laura und ich im Urlaub waren.
00:01:14
Und während dieser OP lag ich auf dem Bauch.
00:01:17
Mein rechter Arm, der war so nach rechts ausgestreckt.
00:01:19
Der wurde vorher komplett betäubt und lahmgelegt.
00:01:23
Also auch so, dass ich den dann Stunden danach nicht mehr bewegen oder spüren konnte.
00:01:27
Das wird gleich noch wichtig, deswegen erzähle ich das.
00:01:29
Und während dieser OP bin ich also aufgewacht, weil ich gemerkt habe, irgendwie bekomme ich keine Luft mehr.
00:01:34
Und es stieg in mir natürlich die Panik auf.
00:01:37
Und dann bin ich mit dem Oberkörper so hochgekommen, wollte was sagen.
00:01:41
Und erst da habe ich dann gemerkt, dass ich gerade operiert werde, weil der Beatmungsschlauch noch in meinem Hals steckte und ich nichts sagen konnte.
00:01:50
Und die Anästhesistin, die hat dann offenbar das Narkosemittel wieder hochgeschraubt und ich bin wieder eingeschlummert.
00:01:55
Und ich konnte mich danach auch noch daran erinnern.
00:01:58
Aber die Anästhesistin, die ist dann auch gleich danach, also nach meiner Aufwachphase, zu mir gekommen, um mit mir darüber zu sprechen.
00:02:05
Und sie meinte dann aber auch noch, das kann schwere Traumata auslösen.
00:02:09
Und wenn sie damit ein Problem haben, dann kommen sie bitte danach zu mir und dann besprechen wir das nochmal.
00:02:15
Nun schrieben einige danach, die entweder selbst AnästhesistInnen sind oder halt im OP assistieren oder halt sowas selber erlebt haben, dass das super war, dass die mich sofort danach aufgeklärt hat.
00:02:26
Ja, das habe ich auch gedacht.
00:02:27
Ja, weil das offenbar auch nicht immer gang und gäbe ist, dass man gleich danach aufgeklärt wird, sondern es gibt offenbar auch Situationen, wo Leute versuchen, das nachher zu verschleiern.
00:02:40
Damit der Patient oder die Patientin dann halt Ruhe gibt.
00:02:43
Und das wäre bei mir fatal gewesen, denn als ich zu Hause war und Laura dann kurz weggegangen ist, wollte ich ein Schlummerchen machen noch.
00:02:52
Weil man war ja dann auch noch vom Narkosemittel betäubt und bin also quasi gleich nach der OP dann nach Hause.
00:03:00
Und da bin ich regelmäßig, also immer nach so ein paar Sekunden hochgeschreckt und mein Körper hat so nach Luft verlangt.
00:03:09
Also hätte ich das nicht verbinden können damit, dass das wahrscheinlich ist, weil ich im OP aufgewacht bin, dann hätte ich ja überhaupt nicht gewusst, was los ist und hätte mich vollkommen hilflos und verwirrt gefühlt.
00:03:22
Ja, und ich kann mir vorstellen, wenn man nicht darüber aufgeklärt wird, dass das für Leute auch deswegen so schlimm ist, weil man sich vielleicht dann ja gar nicht richtig erinnert, sondern denkt, das ist so eine Art Traum gewesen oder so und das dann gar nicht richtig einzuordnen weiß.
00:03:37
So, und ich habe mich jetzt ein bisschen erkundigt, wie kann das eigentlich passieren?
00:03:40
Also das ist so, dass eine Narkose ja überwacht wird. Dafür sind die Anästhesistinnen ja da, also die einzuleiten und dann zu überwachen.
00:03:46
Und das kann man so basismäßig mit Blutdruck und EKG machen.
00:03:49
Es gibt aber dann auch andere Geräte, die ja zum Beispiel so Hirnströme messen, womit man das dann wohl genauer überwachen kann.
00:03:56
Das haben aber nicht alle Krankenhäuser und die müssen das auch nicht haben.
00:04:00
Und das ist halt auch eine Kostenfrage.
00:04:02
Allerdings haben mir einige vom Fach geschrieben, dass man das trotzdem hätte erkennen müssen, weil ich ja nun schon so weit war, dass ich mich aufgebäumt habe.
00:04:10
Und trotzdem gibt es aber keine sichere Methode zur Überwachung, weil Menschen das unterschiedlich abbauen.
00:04:17
Und manchmal gibt es auch einen neuen Schmerzreiz, der dann für das Aufwachen in dem Moment sorgt.
00:04:21
Das war jetzt bei mir nicht der Fall, weil mein Arm ja so abgeklemmt war.
00:04:25
Aber mein Glück war offenbar, dass das Muskelrelaxan, was ich vorher bekommen habe zum Intubieren, das baut sich dann nach einer Weile ab.
00:04:34
Und danach ist man sozusagen nicht bewegungsunfähig oder so.
00:04:38
Und das kam mir ja jetzt zugute, weil es gibt bestimmte OPs, bei denen man sich nicht bewegen kann, beispielsweise, weil die am Bauch durchgeführt werden oder so.
00:04:48
Wo man also aufwacht und man nicht auf sich aufmerksam machen kann und es dann teilweise auch länger nicht bemerkt wird.
00:04:55
Das nennt man Awareness.
00:04:57
Und da habe ich einige Erfahrungsberichte zugeschickt bekommen, die haben sich wirklich furchtbar angehört.
00:05:05
Und mir nochmal gezeigt, es ist jetzt auch nicht nur so ein Mythos, dass das passieren kann während einer OP.
00:05:10
Sondern wenn ich den Fachkräften Glauben schenken kann, wovon ich jetzt mal ausgehe, die mir geschrieben haben, dann passiert das schon auch manchmal.
00:05:19
Nicht häufig, aber auch nicht so selten.
00:05:24
Ja, und deswegen finde ich es halt auch so wichtig, dass man das den Patientinnen danach auch sagt und mit denen darüber redet und zum Beispiel wie bei dir ja auch Hilfe anbietet.
00:05:33
Weil das war ja auch das Erste, was ich zu dir gesagt habe.
00:05:37
So, boah, voll gut, dass sie das gesagt hat, weil ich irgendwie eine Woche zuvor eine Grace Anatomy Folge gesehen hatte, wo Derek Shepard gerade neuer Chief of Surgery war und sich irgendwie nichts zu Schulden kommen lassen wollte.
00:05:50
Und bei einer OP von dem ist eine Person aufgewacht, die hatte nicht diese Awareness, sondern die hat sich auch bewegt, also die hat auch geschrien.
00:05:57
Und als die am Ende wieder aufgewacht ist, ganz normal aus der Narkose, hat der Derek Shepard sich dafür entschieden, ihr das nicht zu erzählen und zu sagen, ja, die OP lief super, alles perfekt gelaufen.
00:06:10
Und die Frau hatte sich am Anfang auch nicht daran erinnert, aber dann im Laufe der Zeit schon und wollte das Krankenhaus dann halt auch verklagen.
00:06:18
Weil die richtige Probleme danach mit diesem Trauma, was sich bei ihr entwickelt hat, dann hatte.
00:06:24
Ja, und das kann sich halt eben auch dadurch verstärken, wenn man nicht darüber aufgeklärt wird, was währenddessen passiert ist.
00:06:32
Das haben mir halt auch einige geschrieben, dass die sich ganz sicher sind, dass sie wach waren und es abgestritten wurde.
00:06:36
Und mir wurde aber auch gesagt, es gibt natürlich so Fachanwälte für Medizinrecht und so.
00:06:41
Aber wenn man das Krankenhaus verklagen will, hat man da auch wenig Handhabe, weil man vorher ja eh alles unterschreibt und das Risiko damit auch eingeht, dass sowas passieren kann.
00:06:51
Und dann schrieb mir auch eine, dass sie auch schon mal von ihrem Chef angehalten wurde, das sozusagen nicht einzugestehen, dass ich da vielleicht nicht in jedem Moment an die Überwachungspflicht gehalten wurde.
00:07:05
Ja, wie schlimm ist das, wenn das dein Chef von dir verlangt?
00:07:09
Du willst es eigentlich sagen, weil du weißt, wie wichtig das für die PatientInnen ist, aber willst halt auch nicht deinen Job verlieren.
00:07:17
Aber was machst du jetzt in Bezug auf diese verkackte Narkose, also in deinem Fall?
00:07:23
Also ich werde mir auf jeden Fall das Narkose-Protokoll zuschicken lassen.
00:07:28
Das ist wohl ganz normal, dass man das machen kann.
00:07:31
Aber ich werde da jetzt gar nichts weitermachen, weil ich einfach nur froh bin, dass die mir das gesagt hat und weil ich ja auch nichts davon getragen habe.
00:07:39
Also kein Traumata oder so.
00:07:40
Und ich denke mir so, ich kann das verstehen, wenn andere Menschen, die das erlebt haben, komplett anders sehen und anders erleben, weil die dann dadurch am Ende komplett beeinträchtigt sind oder so.
00:07:50
Aber bei mir ist das jetzt halt so, guck mal, wir machen Fehler und dann sagen wir das vielleicht irgendwann nochmal, aber das ist dann nicht schlimm.
00:07:58
Und die machen natürlich auch mal Fehler und das ist natürlich sauschlimm, aber es wird halt auch mal passieren.
00:08:05
Ja, solange da Menschen an anderen operieren, ist es natürlich immer fehleranfällig.
00:08:10
Ja, deswegen müssen ja auch alle Menschen endlich von Maschinen ersetzt werden.
00:08:16
Ich möchte nicht von einem Roboter operiert werden.
00:08:20
Das ist halt auch eher, weil wir manchmal, wenn wir für irgendeine App oder so, wenn wir davon erzählen, dann kommt immer so, mein Job wird durch eine Maschine ersetzt.
00:08:31
Naja, auf jeden Fall bin ich froh, dass die diese Verantwortung auf sich nehmen und dann wie in meinem Fall auch noch dazu stehen, wenn es dann nicht gut lief und nicht versucht haben, das zu vertuschen.
00:08:42
Und das war jetzt auch eine Art Soft-Launch für das heutige Thema der Folge.
00:08:46
Aber erstmal und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
00:08:52
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:08:54
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:08:56
Und ich bin Laura Wohlers.
00:08:58
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen, über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:09:06
Hier geht es um True Crime und das heißt, da stehen auch immer Schicksale von Menschen dahinter.
00:09:11
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
00:09:12
Das machen wir auch, selbst wenn wir zwischendurch mal ein bisschen ungehemmter kommentieren.
00:09:16
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:09:21
Vor genau einem Jahr, da hat ein Verbrechen stattgefunden, das in Deutschland für ziemlich viele Schlagzeilen gesorgt hat und das uns auch von vielen HörerInnen zugeschickt wurde,
00:09:32
weil das Verbrechen offenbar für sehr großes Entsetzen gesorgt hat.
00:09:36
Und zwar war das der PolizistInnen-Mord in Rheinland-Pfalz.
00:09:39
Den Fall hätten wir heute auch sehr gerne erzählt.
00:09:41
Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.
00:09:43
Ich weiß nicht, ob ihr euch da noch alle dran erinnert, aber da wurden Ende Januar 2022 zwei StreifenwagenpolizistInnen durch Schüsse in den Kopf getötet.
00:09:53
Die zwei, eine 24-Jährige und ein 29-Jähriger, die hatten einen Kastenwagen angehalten und wollten die beiden Männer darin kontrollieren.
00:10:01
Und in diesem Auto lagen zu der Zeit 22 tote Rehe und Hirsche, die die Männer illegal geschossen hatten.
00:10:07
Also die haben gewerbsmäßige Wilderei betrieben.
00:10:10
Und damit die beiden nicht auffliegen, wurden die BeamtInnen dann eben getötet.
00:10:15
Und das Landgericht Leverkusen hat dann Ende November letzten Jahres so geurteilt.
00:10:20
Und zwar hat es gesagt, das war ein Mord aus Verdeckungsabsicht.
00:10:23
Und damit sind wir jetzt auch bei unserem heutigen Thema.
00:10:25
Das ist nämlich ein Mordmerkmal.
00:10:27
Das gehört zur dritten Gruppe der Mordmerkmale.
00:10:30
Das sind die, die den besonders verwerflichen Zweck beschreiben, den die TäterInnen mit der Handlung verfolgen.
00:10:38
Also da geht es jetzt nicht um die Gründe, wie zum Beispiel, dass jemand aus Eifersucht tötet oder aus Mordlust oder so,
00:10:44
sondern darum, eine vorher passierte Straftat zu verdecken.
00:10:48
In dem Fall vom PolizistInnenmord halt die Wilderei.
00:10:52
Häufig geht es bei der Verdeckungsabsicht also darum, irgendwie die einzigen ZeugInnen eines Verbrechens zu beseitigen,
00:10:59
damit die einen halt nicht verraten können oder damit keine Spuren entdeckt werden können,
00:11:03
die irgendwie zum Täter oder zur Täterin führen.
00:11:05
Und der Sinn dahinter, also warum diese Verdeckungsabsicht in diese Mordmerkmale mit aufgenommen wurde,
00:11:11
ist, dass man quasi sagt, mit so einer Tötung würde bereits begangenes Unrecht,
00:11:17
also der ersten Straftat, mit weiterem Unrecht verknüpft werden.
00:11:21
Und das ist laut Gesetz eben so übel, dass man sagt, darauf muss es die höchste Strafe geben,
00:11:28
die unser Strafgesetzbuch kennt.
00:11:30
Und das ist eben Mord.
00:11:32
Aber es wird auch aufgenommen wegen des Opferschutzes.
00:11:35
Weil die Gefahr ist ja groß, dass jetzt zum Beispiel ein auf frischer Tat entdeckter Einbrecher glauben könnte,
00:11:41
okay, ich habe jetzt eh nichts mehr zu verlieren.
00:11:43
Und ich erschieße die Zeugin oder den Zeugen jetzt, dann werde ich nicht erwischt.
00:11:47
Und dass man dann mit so einer hohen Strafe, also der Lebenslangenstrafe droht,
00:11:52
das soll dann von solchen Kurzschlussentscheidungen abhalten.
00:11:57
Was ich ein bisschen absurd finde, weil die wenigsten von den Mordmerkmalen wissen
00:12:04
und von der Verdeckungsabsicht erst recht nicht, weil das halt nicht so oft vorkommt
00:12:09
und auch nicht so in den Medien irgendwie so präsent ist.
00:12:12
Also das als Präventionsgedanken zu nehmen, finde ich schon ein bisschen abenteuerlich.
00:12:16
Ja, es ist ja auch so, dass generell einige bezweifeln, ob so hohe Strafandrohungen dann wirklich auch dazu führen,
00:12:23
dass weniger solcher Straftaten passieren.
00:12:25
Im Eifer des Gefechts, eines Einbruchs, weiß ich nicht, ist das wahrscheinlich auch zu bezweifeln.
00:12:31
Denn der Mord aus Verdeckungsabsicht, der kommt immer mal wieder vor, trotz der hohen Strafen.
00:12:37
Und das zeigen auch die beiden Fälle, die wir euch heute mitgebracht haben.
00:12:41
Alle Namen habe ich geändert.
00:12:45
Es ist 10 Uhr morgens, als Dara auf dem großen Grundstück ihrer Schwiegereltern am Stadtrand von Wuppertal ankommt.
00:12:51
Sie bahnt sich den Weg der Auffahrt hoch durch den großen Garten der SeniorInnen in Richtung Villa.
00:12:57
In der Umgebung des Dunkelgrün der Natur mit den hohen ausladenden Bäumen und den üppig beblümten Blumenbeeten
00:13:03
wirkt der quietschgelbe Anstrich irgendwie deplatziert.
00:13:07
Sonnenschein heißt das große Anwesen, obwohl das Gelb eher an einen in die Jahre gekommenen Anstrich eines Schullandheims erinnert.
00:13:15
Wie jeden Tag ist Dara hier, um Edgar und Marianne bei den Einkäufen, dem Haushalt und ihren ärztlichen Besuchen zu unterstützen.
00:13:22
Doch diesmal ist etwas anders.
00:13:25
Als Dara am Eingang angekommen ist, sieht sie, dass die Haustürsperrangel weit offen steht.
00:13:30
Das verwundert sie. Unter keinen Umständen würden ihre Schwiegereltern Marianne Ende 80, Edgar Anfang 90 die Haustür offen lassen.
00:13:38
Die beiden sind sehr auf Sicherheit bedacht, lassen nie Fremde rein und haben sich extra eine Alarmanlage installieren lassen.
00:13:45
Was soll sie jetzt machen? Einfach so reingehen kommt für sie nicht in Frage.
00:13:48
Also klingelt sie. Einmal, zweimal, nichts.
00:13:52
Edgar, Marianne, ruft sie. Doch niemand antwortet.
00:13:57
Dara lugt vorsichtig durch die offenstehende Tür und sieht, dass ein Bild im Eingangsbereich schief hängt.
00:14:02
Da überkommt sie ein mulmiges Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht.
00:14:06
Dara greift nach ihrem Handy und wählt beunruhigt die Nummer ihres Sohnes Julian.
00:14:11
Dass sie gerade ihn anruft und nicht ihren Ex-Mann, den Sohn von Edgar und Marianne, hat einen Grund.
00:14:16
Holger ist schon lange mit seinen Eltern zerstritten.
00:14:19
Die Beziehung zwischen ihnen hat jahrelang gelitten, weil der 55-Jährige vor allem seinem Vater nicht wirklich gerecht werden konnte.
00:14:26
Holger musste sich von seinem Vater immer wieder anhören, eine Tochterfirma des Familienunternehmens in Brasilien gegen die Wand gefahren zu haben.
00:14:34
Der Streit zwischen den beiden Männern war irgendwann so eskaliert, dass Holger nicht mal mehr das Grundstück seiner Eltern betreten darf.
00:14:41
Seitdem ruhen die Hoffnungen von Edgar und Marianne auf ihrem Enkel Julian.
00:14:45
Der 25-Jährige soll später anstelle seines Vaters das Familienunternehmen weiterführen.
00:14:50
Als Julian in seinem blütenweißen Audi S1 auf das Grundstück der Großeltern fährt, ist Dara froh, nicht mehr allein sein zu müssen.
00:14:57
Kurz vor dem Haus der Jägers stoppt er seinen Wagen und steigt aus.
00:15:01
Er läuft ums Haus herum, weil auch er nicht einfach hereinspazieren will und versucht von außen einen Blick ins Innere zu erhaschen.
00:15:07
Viel erkennen kann er nicht.
00:15:09
Die dicken Stoffgardinen versperren den Blick in die Räume.
00:15:11
Nur eine zerschlagene Glasvitrine kann man von außen sehen und das rausgerissene Schubladen davor liegen.
00:15:18
Das sieht nicht gut aus.
00:15:20
Also die Tür steht offen und man sieht von außen, dass was runtergefallen ist.
00:15:26
Aber sowohl die Schwiegertochter und auch sozusagen der Enkel gehen nicht rein.
00:15:33
Ja, die haben zu viel Ehrfurcht.
00:15:35
Also die haben zwar ein gutes Verhältnis miteinander.
00:15:38
Es ist jetzt aber wahrscheinlich nicht so, wie du mit deiner Ohmsen das Verhältnis hast, dass du da sofort reinspazieren würdest oder so.
00:15:46
Das sind schon sehr angesehene, ältere, betagte Leute und irgendwas hindert die beiden daran, da jetzt einfach so rein zu spazieren.
00:15:56
Ja, das ist gut zu wissen, weil ich hätte jetzt gedacht, ich wäre halt, wenn das bei meiner Oma war, direkt reingerannt.
00:16:02
Denn ich hätte Angst gehabt, dass sie vielleicht, ja, dass irgendwas Schlimmes passiert ist und sie Hilfe braucht.
00:16:07
Ja, wobei, ich bin einmal, da war ich so 16, 17 nach Hause gekommen und da stand die Tür sperrangelweit offen.
00:16:13
Und da habe ich auch reingerufen und da hat niemand geantwortet.
00:16:17
Und dann hatte ich Sauangst, dass da jetzt ein Einbrecher drin ist und bin deswegen dann auch nicht reingegangen.
00:16:24
Obwohl meine Mutter vielleicht da hätte drin sein können oder so.
00:16:27
Und habe dann jemanden angerufen und gewartet, bis die Person kam auch.
00:16:31
Es ist Viertel vor elf, als sich neben Julians Audi nun auch die Streifenwagen der Polizei auf dem Grundstück einfinden.
00:16:38
Dara und Julian warten bereits nervös auf die BeamtInnen.
00:16:42
Mutter und Sohn berichten, wie sie die Villa vorgefunden haben und dass sie sich große Sorgen machen.
00:16:46
Die BeamtInnen stellen fest, dass das Haus auf den ersten Blick keine Einbruchsspuren aufweist.
00:16:51
Einen Überfall schließen sie trotzdem nicht aus.
00:16:54
Mit gezogener Waffe betreten die Einsatzkräfte das Haus der Jägers.
00:16:57
Schon im Eingangsbereich erkennen sie eine Spur der Verwüstung.
00:17:01
Überall treten die BeamtInnen auf zerbrochenes Glas.
00:17:04
Geöffnete Schmuckkästen wurden durch die Gegend geworfen, deren Inhalt sich auf den Fluren und in den Zimmern verteilt.
00:17:10
Die PolizistInnen tasten sich vorsichtig von einem Zimmer durchs nächste.
00:17:14
Sollte das alte Ehepaar überfallen worden sein, besteht die Gefahr, dass die VerbrecherInnen noch im Haus sind.
00:17:19
Hinter der Tür eines Raumes machen die BeamtInnen dann eine schreckliche Entdeckung.
00:17:24
Edgar liegt regungslos auf dem Boden vor seinem Bett.
00:17:27
Sein schmaler Kopf ist blutüberströmt und auch im Rest des Raumes finden sich vereinzelt Blutflecken.
00:17:33
Neben dem alten Mann liegt eine kleine Bronzestatue.
00:17:36
Sonst ist niemand im unteren Geschoss.
00:17:38
Also bahnen sich die Einsatzkräfte den Weg die schmalen Stufen einer Wendeltreppe hoch, die sie ins Obergeschoss des Hauses führt.
00:17:44
Auch dort herrscht Unordnung.
00:17:46
Tücher wurden augenscheinlich wahllos aus den Kommoden rausgezogen und auf den Boden geworfen.
00:17:51
Hat hier jemand nach etwas gesucht?
00:17:53
In einem Durchgangszimmer dann die nächste schreckliche Entdeckung.
00:17:57
Vor einem geöffneten Sekretär schwimmt eine Brille in einer riesigen Blutlache.
00:18:02
Darüber sitzt auf einem Stuhl eine alte Frau mit blondem Haar.
00:18:05
Es ist Marianne.
00:18:07
Aus ihrer linken Schläfe klafft eine Platzwunde.
00:18:09
Um ihren Hals hängt eng zusammengeschnürt ein rosafarbener Schal.
00:18:13
Draußen vor dem Haus auf der Straße warten Mutter Dara und Sohn Julian noch immer nervös darauf zu erfahren,
00:18:19
was die Beamtinnen im Hausinneren vorgefunden haben.
00:18:22
An ihnen rast ein Rettungswagen vorbei, aus dem ein Notarzt springt und ins Haus hetzt.
00:18:27
Mutter Dara versucht ihren weinenden Sohn zu beruhigen, obwohl sie selbst mit den Nerven völlig am Ende ist.
00:18:32
Der junge Mann mit den dichten braunen Haaren und der nerdig anmutenden Brille erzählt den Beamtinnen,
00:18:37
die mit ihnen vor dem Haus stehen, schluchzend, dass sich sein Opa schon lange beobachtet gefühlt habe.
00:18:43
Er habe ihm auch von Leuten berichtet, die er durch den Gartenhabestreifen sehen.
00:18:47
Julian habe seine Ängste und Befürchtungen aber nie ernst genommen.
00:18:51
Unter Tränen erzählt er, dass er seine Großeltern auch gestern kurz besucht habe,
00:18:55
aber wegen seiner Kopfschmerzen nicht lange geblieben sei.
00:18:58
Wäre er nur eine Stunde länger geblieben, hätte er dann das Unglück verhindern können, fragt sich Julian laut.
00:19:04
Während die Beamtinnen mit Dara und Julian sprechen, nähert sich ein Mann der Gruppe.
00:19:08
Es ist Daras Ex-Mann Holger.
00:19:10
Dass er das letzte Mal hier war, ist lange her.
00:19:14
Die ersten Jahre nach der Sache in Brasilien war er noch ein paar Mal zu Besuch gekommen, wenn Edgar nicht daheim war.
00:19:19
Er traf seine Mutter in dessen Abwesenheit.
00:19:21
Die heimlichen Treffen im Elternhaus blieben aber nicht immer geheim, was oft zum Streit zwischen Edgar und Marianne führte.
00:19:28
Dass Mutter Dara und Vater Holger, die bereits geschieden sind, und Sohn Julian also noch einmal gemeinsam an diesem Ort zusammenkommen,
00:19:35
hätte sich niemand von ihnen denken können.
00:19:37
Nachdem sich die Einsatzkräfte im Inneren des Hauses einen Überblick über die Lage verschafft haben,
00:19:42
teilen sie den dreien mit, was sie dort vorgefunden haben.
00:19:44
Edgar und Marianne sind tot.
00:19:46
Offenbar einem brutalen Verbrechen zum Opfer gefallen.
00:19:49
Ein Schock für die drei, die wenig später von der Seelsorge betreut werden müssen.
00:19:54
Während das Polizeiaufgebot vor der gelben Villa immer größer wird,
00:19:58
beginnen im Haus die ersten Ermittlungen, die schon bald zu Tage fördern werden.
00:20:02
Dass es innerhalb der Familie Jäger weitaus mehr Konflikte gab,
00:20:06
als die Streitigkeiten über eine Tochterfirma in Brasilien
00:20:09
und die enttäuschten Erwartungen von Edgar und Marianne.
00:20:12
Für Edgar und Marianne galt schon immer ohne Fleiß kein Preis.
00:20:17
Es ist die damals 26-jährige Marianne, die 1955 die Firma ihrer Eltern mit in die Ehe bringt.
00:20:24
Ein Familienunternehmen, das Großmaschinen für die Schraubenproduktion herstellt.
00:20:28
Weil Mariannes Familie allerdings ein männlicher Nachkomme für die Firmenübernahme fehlt,
00:20:32
fällt die Wahl auf Edgar, der diese Aufgabe mit großem Engagement,
00:20:36
Fleiß und wirtschaftlichem Weitblick übernimmt.
00:20:39
Edgar zieht den Familienbetrieb in den darauffolgenden Jahren hoch,
00:20:43
expandiert und baut Zweigstellen im In- und Ausland auf,
00:20:46
mit jeweils mehreren hundert Mitarbeitenden.
00:20:48
Edgars Erfolg im Unternehmen beschert dem jungen Paar schon früh Wohlstand,
00:20:52
der es ihnen ermöglicht, gleich nach der Eheschließung die Gelbe Villa in Wuppertal zu beziehen.
00:20:57
Über die Jahre bauen die beiden diese immer weiter aus,
00:21:00
inklusive Sauna und Schwimmbad im ersten Stock und verziehen die Wände mit Gemälden.
00:21:06
Da Edgar und Marianne ein Faible für Kunst haben, gründen sie 1995 die Edgar-und-Mariane-Jäger-Stiftung,
00:21:12
die der Förderung von KünstlerInnen in der Umgebung dienen soll.
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Dass es den beiden finanziell so gut geht, liegt vor allem an Edgars Charakter und seiner Durchsetzungskraft.
00:21:21
Denn wenn Edgar sich was in den Kopf setzt, gibt er nicht eher auf, bis er hat, was er will.
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Ohne Rücksicht auf Verluste.
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Menschen in seinem Umfeld beschreiben ihn als Machtmenschen, der ohne mit der Wimper zu zucken Mitarbeitende entlässt,
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weil sie nicht in seinem Sinne performen oder sich seinem Willen widersitzen.
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Obwohl die Jägers nach außen eine Bilderbuch-Ehe führen, sieht es hinter geschlossenen Türen ganz anders aus.
00:21:44
Denn trotz Heirat will Edgar außereheliche Affären, und zwar viele.
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Marianne weiß davon und findet sich in einer Ehe mit getrennten Schlafzimmern und getrennten Konten wieder,
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in der sie sich immer zurücknimmt, um ihrem Mann den Auftritt zu überlassen.
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Die beiden streiten viel.
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Trotzdem ist sie Edgar wegen der Übernahme der Familiengeschäfte dankbar.
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Deswegen und weil sie finanziell sehr viel schlechter aufgestellt ist als er,
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entscheidet sie sich gegen eine Scheidung, um nach außen den Schein einer glücklichen Ehe zu wahren.
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1961 kommt ihr gemeinsamer Sohn Holger zur Welt.
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Edgars Hoffnungsträger.
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Eines Tages soll er die Firma, sein Lebenswerk übernehmen und weiterführen.
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Doch alles kommt ganz anders als geplant.
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Holger beginnt auf Drängen seines Vaters das Maschinenbaustudium,
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zeigt aber mehr Interesse an den StudentInnenverbindungen als an den Uni-Inhalten.
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Als Edgar merkt, dass sein Sohn nicht die erwarteten Ergebnisse liefert,
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ordnet er seine Sekretärin an, alle Studienbescheinigungen und Leistungsnachweise penibel abzuheften
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und setzt seinen Sohn unter massiven Druck.
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Doch es hilft nichts.
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Holger bricht das Studium ab und steigt mit 29 Jahren, ohne dafür richtig ausgebildet zu sein,
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ins Familienunternehmen ein.
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Dort bekommt er die Aufgabe, eine Tochterfirma in Brasilien zu leiten.
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Doch wieder kann Holger den hohen Erwartungen seines Vaters nicht entsprechen.
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Mit ihm als Chef fährt die Firma in Brasilien Verluste in Millionenhöhe ein.
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Noch dazu verschwinden Firmengelder.
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Edgar wirft Holger vor, das Geld veruntreut zu haben.
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Holger erklärt den Verlust durch mafiöse Strukturen in Brasilien.
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Mit einer Sache konnte Edgar noch nie umgehen und das sind Lügen.
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Obwohl er seinem Sohn den Betrug nicht nachweisen kann, bricht er mit ihm, so wie er es mit anderen
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Geschäftspartnern zuvor auch getan hatte.
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Für Edgar bedeutet der Misserfolg im Brasilien Gesichtsverlust.
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Dass sein Sohn die Firma in den Ruin trieb, so wie Edgar es sagt, schmerzt ihn zutiefst.
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Er fühlt sich hintergangen und betrogen und so bricht er 1996 jeglichen Kontakt zu Holger ab.
00:23:40
Allerdings pflegen die Großeltern weiterhin den Kontakt zu Enkel Julian, den sie sehr ins
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Herz geschlossen haben.
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Als der 1991 geboren wird, verbringen Edgar und Marianne viel Zeit mit ihm.
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Anders, als sie es früher mit Sohn Holger getan haben.
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Marianne kocht ihm sein Lieblingsessen, Edgar bringt ihm später im hauseigenen Schwimmbad das
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Dass das so gut läuft, trotz Kontaktabbruch mit Holger, ist vor allem Dara zu verdanken.
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Sie ist diejenige mit dem Sinn für die Familie, die an Holgers Eltern festhalten will.
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Auch noch, nachdem sie und Holger sich 2011 scheiden lassen.
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Da ist Sohn Julian mittlerweile 20 Jahre alt.
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Trotzdem fühlt es sich für ihn so an, als würde seine Familie langsam zerbrechen.
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In dieser Zeit sind seine Großeltern für ihn eine große Stütze.
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Mit ihnen bespricht er auch die anwaltlichen Schreiben, die seine Mutter Dara von seinem Vater
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Holger geschickt bekommt.
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Da Edgar noch immer einen Gräuel auf seinen Sohn hat, unterstützt er lieber indirekt seine
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Schwiegertochter mit Ratschlägen als seinen eigenen Sohn.
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Julian entwickelt wegen des innigen Verhältnisses mit seinen Großeltern auch schon früh einen
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Sinn fürs Geschäftliche, bekommt von ihnen sogar schon vor seinem 18.
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Geburtstag zwei Waldgrundstücke geschenkt.
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Und in Edgar reift der Gedanke, den Wunsch eines familiären Nachfolgers doch noch nicht
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aufgeben zu wollen.
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In Julian sieht Edgar viel Potenzial.
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Von nun an steckt er all seine Aufmerksamkeit, die er die Jahre zuvor in seinen Sohn Holger
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investiert hatte, nun also in seinen Enkel Julian.
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Edgar finanziert ihm das Maschinenbaustudium und führt ihn in wirtschaftliche Zusammenhänge
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Julian weiß, was es für seinen Großvater bedeutet, nun doch noch Hoffnung auf einen
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Nachfolger zu haben.
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Einmal schreibt Julian ihm zum Geburtstag eine Karte, auf der steht: "Ich bin stolz, dich
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als Opa zu haben.
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Ich hoffe, ich werde dir irgendwann gerecht und kann irgendwann mal in deine Fußstöpfen
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Wobei das sehr schwer wird, da du sehr große hinterlassen wirst.
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Ich liebe dich wirklich sehr und ich hoffe, du bleibst mir lange erhalten.
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Alles Gute, mein lieber Opa.
00:25:33
Nun muss Juli, wie ihn sein Opa genannt hat, die Nachfolge von Edgar offenbar eher antreten,
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als er gedacht hat.
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Denn Edgar wird sich nicht mehr um die Geschäfte kümmern können.
00:25:43
Dafür hatte jemand gesorgt, der ihn und Marianne offenbar mit zerstörerischer Wut aus dem Leben
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Erst schlug die Person auf beide ein und erdrosselte sie danach.
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Wer hat das getan und warum?
00:25:55
Diese Frage versuchen die Ermittelnden bereits fieberhaft zu beantworten.
00:25:59
In der Villa beginnt bereits die Spurensuche nach Hinweisen.
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Das ganze Haus wird von der Polizei auf den Kopf gestellt.
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Das BKA und Spezialkräfte aus zwei Landeskriminalämtern nehmen jeden Zentimeter genannt.
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hinaustens unter die Lupe.
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Um den großen Garten und das Haus aus der Luft zu sichten, kommt sogar eine Drohne
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Schnell wird klar, was die Beamt*innen schon bei der ersten Begehung vermutet haben.
00:26:21
Einbruchsspuren an Türen oder Fenstern hat es nicht gegeben und außer der zerbrochenen
00:26:25
Glasvitrine und herausgerissenen Schubladen deutet auch nichts auf einen Einbruch hin.
00:26:31
Vielmehr wirkt das Bild auf die Ermittelnden so, als wollte hier jemand den Eindruck eines Einbruchs
00:26:37
Denn trotz der etlichen Wertgegenstände, die Edgar und Marianne im Haus hatten, dem Schmuck
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und den Gemälden fehlt absolut nichts.
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Also erklärt die Polizei und die Staatsanwaltschaft kurz darauf in einer Pressemitteilung, dass
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ein Raubüberfall ihrer Meinung nach ausgeschlossen werden kann.
00:26:53
Vernehmungen von Zeug*innen sollen noch mehr Aufschluss über das Umfeld von Edgar und
00:26:59
Am Tag 4 der Spurensicherung im Haus wird in Edgars Büro nach weiteren Hinweisen gesucht und
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alle seine Dokumente durchforstet.
00:27:07
Auf seinem Schreibtisch finden die Ermittler*innen bei seinen anderen Unterlagen eine ausgedruckte
00:27:12
E-Mail, die drei Tage vor Edgars und Mariannes Tod von Edgar selbst verfasst wurde.
00:27:17
Eine E-Mail, die einen Verdacht säht.
00:27:21
Doch dieser Hinweis reicht noch nicht aus, um einen Haftbefehl zu erlassen.
00:27:25
Der Verdacht muss sich erst noch erhärten.
00:27:29
März findet die Trauerfeier in der Immanuelskirche in Wuppertal statt.
00:27:33
Jeder Platz ist besetzt, als die Takte von Mozarts Zauberflöte den Gottesdienst eröffnen.
00:27:38
Die Jägers waren in der Umgebung bekannt und wurden sehr geschätzt.
00:27:41
Angehörige, Geschäftspartner*innen und Nachbar*innen sind gekommen, um den beiden die letzte Ehre
00:27:47
Der Reihe nach halten sie Lesungen und Ansprachen, Gedichte werden vorgetragen.
00:27:51
Auch der Geschäftsführer der Jägerstiftung möchte einige Worte zum Abschied loswerden.
00:27:56
Andächtig sagt er: "Was bleibt, ist ihre Liebe.
00:27:59
Die Liebe und das Vertrauen zu denen, die zu ihnen gehörten, die sie mochten."
00:28:04
Unter Tränen bedankt sich Holger am Ende für die riesige Anteilnahme, während das Bild
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seiner Eltern hinter ihm steht.
00:28:10
Auf dem Foto sehen Edgar und Marianne glücklich aus.
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Beide lächeln in die Kamera.
00:28:15
Die Anwesenden trauern heftig um das alte Ehepaar.
00:28:18
Auch, weil man noch immer weiß: Irgendwo läuft die Person, die das getan hat, frei
00:28:24
Ohne zu wissen, dass sie sogar unter ihnen ist.
00:28:29
April, einen Monat nach der Tat, wird endlich das letzte Puzzlestück gefunden, das keine
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Fragen oder andere Vermutungen mehr zulässt.
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In einem Wagen werden auf einer Fußmatte eindeutig Marianne zuzuordnende DNA-Spuren gefunden.
00:28:41
Übertragen wurden die Spuren offenbar durch Gegenstände, die bei der Tat von ihr beblutet
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und später dann auf die Fußmatte abgelegt wurden.
00:28:48
An einer Mütze, die sich ebenfalls in dem Auto befindet, kann man eine Blutschuppe sicherstellen,
00:28:53
die zu Edgar gehört.
00:28:55
Ein Volltreffer.
00:28:56
Jetzt sind die Beamt*innen sicher, der Täter gehört zur Familie.
00:29:00
Und Edgar hatte mit seiner E-Mail, die er ausgedruckt auf dem Schreibtisch hatte liegen
00:29:04
lassen, selbst auf ihn hingewiesen.
00:29:06
In der E-Mail ging es um einen Streit, den er vorher mit dem Familienmitglied hatte, und
00:29:10
im letzten Satz stand geschrieben: "Ich gehe davon aus, dass am kommenden Sonntag dies
00:29:15
endgültig erledigt sein wird.
00:29:17
Viele Grüße, dein Opa."
00:29:21
Adressiert war die E-Mail an Julian, dem Hoffnungsträger der Familie.
00:29:26
Er war der Letzte, der seine Großeltern lebend gesehen hatte, der letzte Kontakt.
00:29:30
Es war Julian, der sich bereits während des Polizeieinsatzes seltsam äußerte, weil er sich
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Vorwürfe machte, dass er nicht eine Stunde länger geblieben war, obwohl er gar nicht hätte
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wissen können, ob seine Großeltern nicht vielleicht auch in den frühen Morgenstunden des darauffolgenden
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Tages getötet wurden.
00:29:45
Bei einer Zeugenvernehmung verlangte er nach einem Taschentuch, weil er so viel schluchzte.
00:29:49
Doch als er ging und die Beamt*innen hineinschauten: "Weirder move, da ist trocken."
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Ende Juni klicken bei Julian die Handschellen.
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Ihm wird vorgeworfen, seine Großeltern aus Habgier umgebracht zu haben.
00:30:04
Er wird zur Untersuchungshaft in die JVA gebracht.
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Doch dort ist er nicht alleine.
00:30:08
Die Polizei hegt den Verdacht, dass Julian bei der Tat Unterstützung hatte.
00:30:13
Im Rahmen der Ermittlungen gegen ihn haben die Beamt*innen nämlich auch sein Umfeld unter
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die Lupe genommen und sich von verschiedenen Zeug*innen Speichelproben geben lassen.
00:30:21
Tatsächlich deckt sie sich am Ende eine mit einer DNA-Spur am Tatort, nämlich die von Alex, einem 44 Jahre alten Freund von Julian, den er kurz vor der Tat immer wieder vergeblich versucht hatte zu erreichen.
00:30:33
Jetzt sitzt Julian also in Haft und schweigt.
00:30:36
Ein Schock für das Umfeld.
00:30:38
Ein Schock für das Umfeld.
00:30:39
Niemals hätte man sich träumen lassen, dass der Kronprinz der Familie so etwas tun würde.
00:30:44
Nur warum tat er es?
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Wir springen zurück.
00:30:48
Dass Julian der neue Hoffnungsträger der Großeltern ist, weiß er schon früh.
00:30:53
Die Zuneigung emotionaler Art und ihre Zuwendung finanzieller Art lassen ihn ein luxuriöses Leben leben.
00:30:59
Seine Eltern, die mittlerweile ein Restaurant betreiben, könnten ihm das kaum bieten.
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Zwar halten sich Edgar und Marianne mit Geld-Schenkungen zurück, bei materiellen Schenkungen sitzt die Brieftasche aber lockerer.
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Und so kommt es, dass Julian sich schon früh über sein Aussehen und teure Klamotten definiert.
00:31:15
Julian wird ein selbstbewusster junger Mann, der sich anderen oft überlegen fühlt und meint, vieles besser zu wissen als sein Umfeld.
00:31:22
Im September 2013 schreibt er sich für das Wintersemester in Maschinenbau ein.
00:31:26
Doch bereits ein Jahr später wird er von der Universität ex-matrikuliert, nachdem er bis dahin keine einzige Prüfung geschrieben hat.
00:31:33
Trotzdem gaukelt er von jetzt an, sowohl Edgar und Marianne als auch seiner restlichen Familie vor weiterhin fleißig zu studieren.
00:31:40
Julian weiß, wie wichtig Edgar das Studium ist und befürchtet einen Streit mit ihm.
00:31:45
Vor allem aber befürchtet er, nicht weiter finanziell von seinen Großeltern unterstützt zu werden, die für seine Miete,
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sein Auto und auch sonstige Kosten aufkommen.
00:31:53
Während die also weiterhin an der Wunschvorstellung des Familiennachfolgers festhalten, trifft Julian sich mit seinen Freundinnen in Clubs und Bars und schlägt sich die Nächte um die Ohren.
00:32:03
Das Geld und die Immobiliengeschenke seiner Großeltern verprasst er für Markenklamotten, teure Sportwagen und für sehr erfolglose Firmengründung in der Gas-, Strom- und Automobilbranche.
00:32:13
In einem Jahr haut er 600.000 Euro auf den Kopf.
00:32:17
Doch darüber verliert er kein einziges Wort gegenüber seinen Großeltern.
00:32:20
Zu ihnen ist er nett, höflich, mimt den perfekten Enkel.
00:32:24
Innerlich belächelt Julian aber seine Großeltern.
00:32:27
Er schaut auf sie herab, weil sie sein Spiel, so vermutet er, nie durchschauen werden.
00:32:31
Julian ist sich sicher, dass er damit nie auffliegen wird.
00:32:34
Und selbst wenn, ihn sein Großvater auch nicht mit Konsequenzen strafen würde.
00:32:38
Julian ist seine einzige Chance auf einen erblichen Nachfolger.
00:32:42
Tatsächlich gehen Edgar und Marianne ihrem Enkel eine ganze Weile auf den Leim, halten ihn für einen sparsamen, zurückhaltenden Mann und freuen sich, wenn er jeden Sonntag zum Kaffeetrinken bei ihnen vorbeikommt.
00:32:54
Das Einzige, was die Großeltern betrübt, sind die fehlenden Nachweise über Julians Präsenz an der Uni.
00:33:00
Julian tut die Nachfragen damit ab, dass es das heute an seiner Uni nicht mehr geben würde.
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Doch Edgar vertraut seinem Enkel nicht.
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Monatelang brodet es in ihm.
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Er hat das Gefühl, hintergangen zu werden.
00:33:11
Als ein Gespräch mit einem Bekannten, der an der Universität Vorlesungen gibt, ergibt, dass die Studierenden sehr wohl Leistungs- und Präsenznachweise erhalten, ist Edgar außer sich.
00:33:21
Als Julian einige Zeit später seinem Opa auch noch die Angaben zu einer Schenkungssteuer verweigert, die er im Laufe der Jahre auf Edgars Zuwendung hätte zahlen müssen, eskaliert ein Streit am Tee.
00:33:31
150.000 Euro hat Julian trotz mehrerer Mahnungen noch immer nicht bezahlt.
00:33:35
Schulden und Zahlungsverzug sind Dinge, die nicht in Edgars Bild von der Familie passen.
00:33:40
Deswegen schreibt Edgar daraufhin die Mail, in der steht, dass er davon ausgeht, dass das Problem am kommenden Sonntag endgültig erledigt sein wird.
00:33:48
Es ist jener Sonntag, an dem Julian sich zum Haus seiner Großeltern aufmacht, um auch dieses Mal wieder das Theater vom gehorsamen Enkel vorzuspielen.
00:33:55
Doch diesmal fällt sein Großvater nicht auf seine Darbietung rein.
00:33:59
Sein Todesurteil.
00:34:01
Am 23. März 2018, fast ein Jahr nach Edgars und Mariannes Tod, beginnt am Landgericht Wuppertal der Prozess gegen Julian.
00:34:08
Im Zuschauerraum ist es eng. Unzählige PressevertreterInnen quetschen sich neben neugierige Beobachtende.
00:34:14
Julian betritt im dunkelblauen Anzug den großen Gerichtssaal und nimmt auf der Anklagebank Platz.
00:34:19
Sein Haar ist blatt nach hinten gestylt, sein Blick leer.
00:34:22
Rechts und links von Julian platzieren sich jeweils zwei RechtsvertreterInnen.
00:34:26
Wenige Meter entfernt sitzt Alex, der Mitangeklagte.
00:34:30
Auch Julians Vater Holger ist da.
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Er tritt als Nebenkläger auf, um Einsicht in alle Akten zu erhalten und um zu erfahren, was genau passiert ist.
00:34:37
Dass sein Sohn zu sowas fähig sein könnte, ist für ihn eine schreckliche Vorstellung.
00:34:42
Mit der Verlesung der Anklageschrift wird der Prozess eröffnet.
00:34:46
Ein Indizienprozess, für den bis Anfang September 35 Verhandlungstage angesetzt sind.
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Laut Anklageschrift sollen Julian und Alex, Edgar und Marianne gemeinsam nach einem Streit zuerst niedergeschlagen und dann erdrosselt haben.
00:34:58
Und zwar weil Julian befürchtet haben soll, dass sein Großvater ihm den Geldhahn zudreht, wenn dieser von dem Abbruch des Studiums erfährt.
00:35:05
Diese Vorwürfe will Julians Verteidigung so nicht stehen lassen.
00:35:08
Direkt nach der Verlesung ergreift einer seiner Anwälte das Wort und erklärt entschieden,
00:35:12
Julian hat seine Großeltern innig geliebt.
00:35:15
Er bestreitet mit aller Bestimmtheit, die schreckliche Tat begangen zu haben.
00:35:19
Die mangelhafte Beweislage wird das im Laufe der Hauptverhandlung klären.
00:35:23
Einer der Punkte, die Julians Verteidigung an der Tatsachenarmen Anklage ankreidet, ist der Todeszeitpunkt.
00:35:30
Der ist ihrer Ansicht nach nämlich fraglich.
00:35:32
Julian sei vermutlich längst nicht mehr in der Villa gewesen, als seine Großeltern starben.
00:35:36
Wie jeden Sonntag sei er dort zum Kaffee eingeladen gewesen und habe nach gut einer Stunde das Anwesen verlassen.
00:35:42
Außerdem wirft Julians Verteidiger der Polizei und Staatsanwaltschaft vor, viel zu einseitig ermittelt zu haben.
00:35:48
Andere mögliche TäterInnen hätten sie kaum geprüft.
00:35:51
Julian sagt zu all den Anschuldigungen nichts, lässt sich nicht ein.
00:35:55
Das Gericht erarbeitet sich also unter anderem anhand der Spuren, die man im Wagen und im Haus gefunden hatte,
00:36:00
und anhand der ZeugInnen-Aussagen ein Bild davon, wie die Tat am 19. März abgelaufen sein könnte.
00:36:06
Nach Ansicht des Gerichts sei die Stimmung zwischen den beiden Männern an jenem Tag angespannt gewesen.
00:36:11
Julian habe gewusst, dass sein Opa mit ihm über die Schenkungssteuer habe sprechen wollen.
00:36:15
Der 91-Jährige Edgar sei gleich zur Sache gekommen und habe wissen wollen, wieso sein Enkel die Zahlung bisher nicht geleistet habe.
00:36:22
Julian habe Edgar dann eine Ausrede nach der anderen aufgetischt.
00:36:26
Doch diesmal habe Edgar sie nicht geschluckt und weiter auf Antworten gepocht.
00:36:30
Dann sei der Ton strenger geworden.
00:36:32
Edgar habe mit Konsequenzen gedroht und Julian in dem Moment begriffen, was das für ihn bedeutet.
00:36:37
Der Verlust von Geld, Prestige, seine Wohnung und das Auto.
00:36:41
Dass das Gespräch so abläuft, habe Julian nicht kommen sehen und dann den folgenschweren Entschluss gefasst, seinen Großvater zu töten.
00:36:48
Dann habe er nach einem Gegenstand gegriffen, was das für einer ist, kann die Kammer nicht final feststellen,
00:36:54
und damit seinen Opa niedergeschlagen.
00:36:57
Edgar habe sich gewehrt, gegen Julian aber keine Chance gehabt.
00:37:00
Danach habe Julian seinem zu Boden geschlagenen Opa etwas um den Hals gelegt und damit etwa drei Minuten lang zugezogen, bis er tot war.
00:37:08
Danach sei Julian ins Obergeschoss gegangen, wo Marianne gerade ein Bridge-Turnier organisiert habe.
00:37:13
Sie habe den Schlag nicht kommen sehen.
00:37:15
Nachdem sie bewusstlos war, habe Julian sie mit ihrem eigenen Schal erdrosselt.
00:37:19
Inwieweit Alex in die Tat involviert gewesen sei, kann das Gericht nicht feststellen.
00:37:24
Fest steht nur, dass seine DNA an einem Kissen, das mit Edgars Blut behaftet war, gefunden wurde.
00:37:29
Er sich also um den Tatzeitpunkt herum im Haus aufgehalten haben muss.
00:37:33
Anders ist die Spurenlage bei Julian.
00:37:36
In seinem weißen S1 hatte man Blutspuren von Edgar und Marianne entdeckt und außerdem Faserspuren von ihm an ihrer Kleidung gesichert.
00:37:44
Am 13. November 2018 spricht das Gericht sein Urteil.
00:37:48
Julian habe nicht aus reiner Habgier gehandelt, wie es die Staatsanwaltschaft annimmt.
00:37:53
Vielmehr ist die Kammer davon überzeugt, dass Julian im Streit mit seinem Großvater aus Wut und Verzweiflung beschlossen hat, ihn zu töten.
00:38:00
Und damit ist bei dieser Tat kein Mordmerkmal erfüllt.
00:38:03
Anders sieht es allerdings im Fall seiner Großmutter aus.
00:38:06
Die tötete Julian nach Ansicht des Gerichts, nämlich um den vorherigen Totschlag seines Großvaters zu verdecken.
00:38:12
Und damit sei diese Tat als Mord zu werten.
00:38:16
Am Ende wird Julian vom Wuppertaler Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt.
00:38:20
Wegen Mordes an seiner Großmutter und Totschlags an seinem Großvater.
00:38:24
Außerdem stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest, was eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren quasi ausschließt.
00:38:31
Edgar und Marianne hätten Julian ihr ganzes Leben lang eigentlich nur Gutes getan, meint der vorsitzende Richter.
00:38:37
Und so wurde es ihnen gedankt.
00:38:39
Alex wird vom Gericht freigesprochen.
00:38:42
Es sei zwar erwiesen, dass er im Haus der Jägers gewesen sei, der Grund dafür sei aber unklar.
00:38:47
Wir können nicht davon ausgehen, dass er etwas Strafbares zwingend getan haben muss, sagt der Richter am Ende der Urteilsverkündung.
00:38:54
Sowohl Julian als auch Alex nehmen das Urteil regungslos entgegen.
00:38:58
Dara hingegen, Julians Mutter, weint bitterlich.
00:39:01
Von hinten hört man sie verzweifelt rufen.
00:39:03
Das können sie nicht machen.
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Direkt daneben sitzt Alex' Familie, die lacht, feiert und jubelt.
00:39:09
Die Hoffnungen darauf, dass eine Revision was an dem Urteil ändert, sind groß.
00:39:13
Sowohl auf Seiten der Staatsanwaltschaft als auch bei Dara und Julian.
00:39:16
Doch sie werden nicht erfüllt.
00:39:18
2020 sind beide Verurteilungen rechtskräftig.
00:39:21
Alex bleibt frei, Julian schuldig.
00:39:23
Zudem wird er als erbunwürdig erklärt.
00:39:26
Julian hatte sein ganzes Leben gut vom Geld seiner Großeltern gelebt.
00:39:31
Anstatt sich selbst etwas aufzubauen, hat er lieber gelogen.
00:39:33
Anstatt in die Fußstapfen seines Großvaters zu treten, wie er auf seiner Geburtstagskarte schrieb, brach er lieber das Studium ab und trat in die seines Vaters.
00:39:41
Irgendwie ironisch, dass Edgar gerade diesen als Verbrecher betitelte, obwohl es doch sein geliebter Enkel war, der ihn tötete.
00:39:52
Zu diesem Fall habe ich so viel zu sagen.
00:39:54
Hier auf meinem rosanen Post-it habe ich sehr viele Notizen mir gemacht, während du geredet hast.
00:40:00
Also, erst mal zu Julian.
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Solche Menschen machen mich so wütend, ja.
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Erst mal, dass er dann so von oben herab den Großeltern gegenübergetreten ist.
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Von wegen, ja, die checken ja eh nicht, was ich hier mache.
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Dass ich nicht zur Uni gehe und dass ich denen eigentlich nur alles vorspiele.
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Ja, dass der sich dann da so, dass der dann so überheblich und so arrogant ist und sich aber immer schön alles von denen einsteckt.
00:40:28
Also, er fühlt sich super schlau und überlegen und dann rastet er aber wie so ein kleines Baby aus, als es dann doch rauskommt und natürlich der Opa ihm dann nicht mehr alles in den Arsch schieben will.
00:40:41
Ja, bei dem Fall sind meine Gedanken ganz viel um den Opa gekreist.
00:40:47
So wie sich das aus dem Urteil rausgelesen hat, war das wirklich keine nette Person.
00:40:52
Sehr kalt, sehr berechnend, sehr geschäftstüchtig und nicht sehr umgänglich.
00:40:58
Und ich habe mir gedacht, weil offenbar hat der Edgar wirklich immer gedacht, der wird von Leuten enttäuscht, betrogen und hintergangen.
00:41:08
Wenn dir solche Sachen immer wieder passieren, dann liegt es wahrscheinlich auch an dir.
00:41:11
Der hatte einen sehr hohen Wertestandard und Leistungsstandard auch immer an die Leute in seiner Umgebung gesetzt.
00:41:20
Und das war höchstwahrscheinlich nicht immer sehr fair, aber er hat sich ja so gefühlt.
00:41:26
Er hat sich ja immer verraten gefühlt.
00:41:29
Und auch wenn das gar nicht so war, finde ich diesen Gedanken daran, dass du immer denkst, du wirst von allen nur enttäuscht, finde ich irgendwie auch super traurig.
00:41:39
Und ich glaube, dass er mit seinem Enkel, da der ja jetzt schon 91 war, dass der dem wirklich noch viel mehr hat durchgehen lassen als seinem eigenen Sohn damals.
00:41:48
Weil das ja nun die letzte Chance eben auf diesen Nachfolger war.
00:41:53
Und dann kommt es aber doch wieder zu diesem Höhepunkt, wo er erkennen musste, der Enkel wird ihn genauso enttäuschen wie sein eigener Sohn vor 20, 30 Jahren.
00:42:02
Und es hat sich quasi nichts geändert.
00:42:05
Und dann wird er von dem auch noch getötet.
00:42:07
Und das kriegt er in dem Moment ja auch mit, weil er hat sich gewehrt.
00:42:11
Er hat sich gewehrt und dann hat der Enkel den auch noch erdrosselt.
00:42:14
Und das wissen wir ja, geht auch nicht immer so schnell.
00:42:17
Ja, ich finde auch diese Person Edgar ganz schwierig.
00:42:21
Also am Anfang, als du das erzählt hast, wie der da drauf ist, wenn ihn einmal jemand enttäuscht, ist die Person weg.
00:42:28
Sogar der eigene Sohn.
00:42:30
Dann hat er diese hohen Wertestandards an seine Mitarbeitenden und seine Familie.
00:42:37
Aber selber möchte er noch hier und da mal eine andere Frau im Bett haben und so.
00:42:42
Glaube ich auch wirklich, dass das echt keine einfache Person war.
00:42:46
Aber ich finde es wirklich so schlimm von, also so enttäuscht zu werden.
00:42:51
Ich finde das ja dann auch immer so, ich sehe das ja auch immer so persönlich, wenn mich jemand enttäuscht.
00:42:57
Ja, und denke nicht, ah, das ist jetzt die Unfähigkeit der anderen Person, irgendwas zu machen oder so.
00:43:01
Sondern das ist jetzt, wird gegen mich direkt gerichtet.
00:43:04
Und wenn es aber von deiner eigenen Familie ist und es um etwas geht, was du alleine aufgebaut hast und wahrscheinlich echt viel Blut, Schweiß und Tränen in dieses Projekt, in diese Firma gepackt hast.
00:43:17
Ja, dann tut mir der nämlich auch irgendwie echt leid am Ende des Tages.
00:43:21
Also wobei ja auch eigentlich wirklich Marianne hier die traurige Person ist.
00:43:26
Und sie wird ihr Leben lang hintergangen von ihrem Mann.
00:43:29
Die Firma kommt eigentlich aus ihrer Familie.
00:43:32
Aber weil sie eine Frau ist 1955, wird ihr nicht zugetraut, die Firma zu übernehmen, weil sie muss Kinder gebären.
00:43:40
Dann ist sie in dieser wahnsinnig unglücklichen Ehe, wo nur gestritten wird, traut sich aber auch nicht, sich scheiden zu lassen, weil sie das Geld gar nicht hat.
00:43:48
Die haben getrennte Konten.
00:43:49
Sie würde finanziell da mit wirklich Verlust rausgehen.
00:43:52
Also so stand das im Urteil drin.
00:43:54
Also wird das in deren Ehevertrag oder in deren Testament so geregelt gewesen sein.
00:43:59
Und dann will sie nur dieses Bridge-Turnier vorbereiten und wird erschlagen.
00:44:04
Ja, das habe ich auch gerade gedacht.
00:44:07
Und sie war ja wahrscheinlich echt nicht diejenige, die den Druck auf Julian ausgeübt hat bezüglich dieser Firma, sondern der Opa und alles schlimm.
00:44:17
Gehe ich mal von aus, zumal sie ja auch noch Kontakt zu ihrem Sohn gehalten hat, nachdem ihr Mann schon mit dem gebrochen hatte.
00:44:26
Bei dem Fall war es ja so, dass Edgar von Julian als erstes getötet wurde und dann Marianne.
00:44:31
Und er hat sie getötet, wissen wir, um den Totschlag an seinem Opa zu verdecken.
00:44:35
Also wir sehen, es sind hier relativ eindeutig zwei unterschiedliche Taten, weil sie ja auch an zwei unterschiedlichen Menschen begangen wurden.
00:44:42
So, das heißt, wir gucken uns jetzt Julians Motivation für die erste Tat an.
00:44:46
Das war Wut offenbar.
00:44:47
Und die Motivation für die zweite Tat, das war die Verdeckung.
00:44:51
Man kann das deutlich voneinander abgrenzen.
00:44:53
Und so einfach ist das aber nicht immer.
00:44:55
Und darum geht es jetzt in meinem Aha.
00:44:56
Damit von einem Verdeckungsmord ausgegangen werden kann, sind im Wesentlichen zwei Dinge von Bedeutung.
00:45:02
Also es muss eine Straftat gegeben haben, die als erstes passiert.
00:45:05
Irgendeine muss auch nicht eine Tötung gewesen sein.
00:45:08
Aber als zweites muss dann eine Tötung passieren, die dazu dient, die vorherige Tat zu verschleiern.
00:45:13
Und jetzt kommt die Krux.
00:45:14
Diese beiden Handlungen müssen getrennt voneinander ablaufen.
00:45:18
Und das ist ganz wichtig.
00:45:19
Ansonsten kann man das Mordmerkmal der Verdeckung nämlich nicht festmachen.
00:45:23
Und das ist aber nicht immer so leicht wie in dem Fall, den ich jetzt gerade erzählt habe.
00:45:27
Hier ein Beispiel.
00:45:28
Ein Täter schlägt sein Opfer, sagen wir mal, weil ihm sein Gesicht nicht passt.
00:45:32
Und er begeht zunächst nur eine Körperverletzung.
00:45:36
Und gleich danach beschließt er aber, das Opfer zu töten, damit das ihn dann wegen der Körperverletzung nicht anzeigen kann.
00:45:43
Das ist jetzt hier ein mögliches Problem für das Gericht.
00:45:46
Die Taten, die richten sich anders als bei mir, jetzt gegen dieselbe Person und die folgen unmittelbar aufeinander, also auch zeitlich.
00:45:53
Wir wissen jetzt in dem fiktiven Beispiel ja, dass es eigentlich zwei unterschiedliche Motivationen für diese Taten gab.
00:45:59
Also das Gesicht passte nicht und das andere Mal war es die Angst vor der Anzeige.
00:46:03
Aber wie macht ein Gericht das fest?
00:46:05
Also gerade auch, wenn der Angeklagte jetzt nichts sagt.
00:46:08
Um einen Verdeckungsmord zu verurteilen, braucht man nämlich eine klare Zäsur zwischen den Taten, also diese Abgrenzung.
00:46:16
Aber wenn man die nicht hat, dann müsste man von Totschlag ausgehen.
00:46:19
Panthea Farazadi, Anwältin für Strafrecht, hat uns erklärt, wie das Gericht in so einem Fall trotzdem manchmal Rückschlüsse auf eine mögliche Zäsur schließen kann.
00:46:28
Grundsätzlich ist es immer schwierig, Gedankenvorgänge bei Gericht nachzuweisen.
00:46:33
Also alles, was den Vorsatz betrifft, besonders wenn es um bedingten Vorsatz sich handelt, der auch ausreichend wäre für so einen Verdeckungsmord, ist es sehr, sehr schwierig, bei Gericht den Tatnachweis zu führen.
00:46:44
Es sind alles immer gedankliche Vorgänge des Täters.
00:46:49
Aber man kann aus vielen Hintergründen und Einzelheiten Rückschlüsse ziehen, wie zum Beispiel, wenn man sieht, dass das Opfer zunächst an einer Körperverletzung hat, zwingend leiden müssen.
00:47:00
Also wenn man Körperverletzungsstellen sieht und dann später aufgrund einer anderen Art und Weise dann die Tötung erfolgt ist.
00:47:07
Dann kann man daraus Rückschlüsse ziehen, selbst wenn der Täter sich diesbezüglich gar nicht äußert.
00:47:12
So und das macht man mit Hilfe von Sachverständigen.
00:47:14
Wenn die Verdeckungsabsicht im Nachhinein aber nicht zweifellos festgestellt werden kann, dann muss davon ausgegangen werden, dass es eine Tat war.
00:47:21
Also hätte das Gericht in unserem fiktiven Fall jetzt sagen müssen, der Täter wollte das Opfer von Anfang an umbringen oder hat den Tod eben zumindest billigend in Kauf genommen.
00:47:30
Und dann ist es eben Totschlag, womit der Angeklagte besser wegkommen würde als mit einem Mord.
00:47:35
Und wir wissen im Zweifel für den Angeklagten.
00:47:38
Wo so eine Zäsur aber ganz klar stattfindet, ist zum Beispiel, wenn Laura jetzt einen Diebstahl begehen würde und ich würde das sehen und sage aber du, gib mir einfach dein schwarzes T-Shirt, das ich dir eh schon mal geklaut hatte und dann verrate ich das nicht.
00:47:51
So und das macht sie dann auch, aber nach einer Woche denke ich mir, nee, ist doch irgendwie ein doofer Deal und sagt dann, du weißt was, ich verpfeife dich jetzt doch.
00:47:58
Und dann pustet sie mir das Licht aus und das ist dann eine große Zäsur, allein schon wegen des Zeitraums dazwischen.
00:48:05
Und deswegen säße sie dann ganz schnell wegen Mordes.
00:48:08
Und das alles nur wegen dieses doofen.
00:48:10
Ach nee, das war ja nicht das T-Shirt.
00:48:12
Was habe ich begangen?
00:48:16
Was habe ich denn geklaut?
00:48:21
Der Deal, da verstehe ich dich, dass du dann doch zur Polizei wolltest.
00:48:26
In dem Fall, den ich jetzt erzähle, ist diese Zäsur nicht ganz so klar wie bei dem Diebstahl.
00:48:35
Alle Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
00:48:42
Es ist der Tag vor Heiligabend 1995.
00:48:45
Der Streckenabschnitt zwischen Hohenstein, Ernstthal und Glauchau ist viel befahren.
00:48:50
Die Menschen wollen zu ihren Liebsten, bepackt mit Koffern und Tüten voller Weihnachtsgeschenke.
00:48:55
Während sie voller Freude in die Heimat fahren, liegt an der Stelle, an der sie gerade mit 100 kmh vorbeirauschen, eine junge Frau im Schotterbett der Schienen.
00:49:04
Eine Frau, die vor kurzem noch im gleichen Zug war wie sie.
00:49:10
In der Reha-Klinik in Kreischer sitzt Doreen Keller heute wie auf heißen Kohlen.
00:49:14
Die 20-Jährige kann den Feierabend kaum erwarten.
00:49:17
Wie eigentlich fast jeden Freitag.
00:49:19
Denn Freitag bedeutet Heiko in die Arme schließen.
00:49:22
Auch heute will die junge Röntgenassistentin nach der Arbeit sofort zu ihm, in ihre über 100 km entfernte Heimatstadt Krimetschau.
00:49:29
Seit ungefähr einem Dreivierteljahr führen die beiden jetzt schon eine Fernbeziehung.
00:49:33
Kennen tun sie sich aber schon länger.
00:49:35
Eine ganze Zeit waren Doreen und Heiko nur befreundet, doch dann wurde irgendwie mehr draus, sodass auf den ersten Kuss die große Liebe folgte.
00:49:43
Genau deshalb hat Doreen beschlossen, auch heute zu Heiko zu fahren, obwohl sie übermorgen schon wieder zurück in der Klinik sein muss.
00:49:50
In zwei Tagen ist nämlich der 24.
00:49:52
Dezember, Heiligabend, und Doreen ist zum Dienst eingeteilt.
00:49:56
Nicht gerade toll an Weihnachten zu arbeiten, aber Doreen versteht das.
00:50:00
Sie ist noch relativ neu hier.
00:50:02
Noch nicht mal ein Jahr ist sie fest angestellt und Kinder hat sie im Gegensatz zu vielen ihrer KollegInnen noch keine.
00:50:07
Wir tun einfach so, als ob der 23. schon Heiligabend ist, hatte sie ihrem Freund am Telefon vorgeschlagen.
00:50:13
Dann sind wir nicht so traurig, dass ich über die Feiertage Dienst habe.
00:50:17
Nächstes Jahr soll aber eh schon alles anders sein, denn Doreen hat nicht vor, noch lange in Kreischer zu arbeiten.
00:50:22
Bald will sie kündigen.
00:50:23
Seit Monaten träumen Heiko und sie nämlich schon davon, gemeinsam nach Chemnitz zu ziehen, in die Großstadt.
00:50:29
Die beiden haben sogar bereits Wohnungen besichtigt.
00:50:32
Wenn alles klappt, können sie dort bald ihre eigene kleine Familie gründen.
00:50:35
Dann hätte das andauernde Vermissen endlich ein Ende und auch das wöchentliche Pendeln.
00:50:42
Als die Uhr fünf schlägt, darf sie endlich los.
00:50:44
Doreen nimmt ihre schwarze For You-Reisetasche, die ihr ihre Eltern letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt haben,
00:50:49
und wirft die Gurti ihres kleinen blau-weiß gestreiften Rucksacks über die Schultern.
00:50:53
Dann nimmt sie den Bus, der in der Nähe der Klinik hält und sie zum Bahnhof bringt.
00:50:57
Während sie dort angekommen am Gleis auf den Regionalexpress 4412 wartet, der von Dresden nach Zickau fährt, steigt die Vorfreude weiter.
00:51:05
Kurz nach sieben rollt der Zug dann pünktlich ein.
00:51:08
Fünf Haltestellen sind es bis zum Glauchauer Bahnhof ihrem Ziel.
00:51:12
Dort will Doreen auf schnellstem Weg zu Heiko, deshalb lässt sie sich direkt im ersten Wagen hinter der Lok auf einen der blau-grauen Stoffsitze fallen.
00:51:19
Eigentlich passen in jeden Waggon der zweiten Klasse mindestens 86 Fahrgäste.
00:51:24
Doch heute ist ihrer fast leer.
00:51:25
Außer ihr sind gerade einmal zwei weitere Personen hier.
00:51:29
Ein junger blonder Mann, der ein kariertes Holzfällerhemd trägt, und eine schick gekleidete Frau.
00:51:33
Doreen packt sich ihren Walkman auf die Ohren, lauscht der Musik und schaut aus dem Fenster.
00:51:38
Noch knapp eineinhalb Stunden, dann wird sie Heiko wieder in die Arme schließen können.
00:51:42
Bevor sie Glauchauer erreicht, beschließt Doreen noch kurz zur Toilette zu gehen, damit sie nicht gleich bei Heiko muss.
00:51:47
So bahnt sie sich ihren Weg durch den schmalen Gang, als sie plötzlich schnelle Schritte hinter sich vernimmt.
00:51:52
Doreen dreht sich um.
00:51:54
Es ist der blonde Mann aus ihrem Waggon.
00:51:56
Er bietet ihr an, aus seiner Dose Bier zu trinken.
00:51:59
Doreen ist irritiert und lehnt ab, mit dem Hinweis, dass sie dringend zur Toilette müsse.
00:52:04
Die 20-Jährige öffnet die Tür zum WC, doch bevor sie sie verriegeln kann, schiebt der Fremde einen Fuß in den Spalt.
00:52:10
Doreen reagiert sofort und drückt mit aller Kraft gegen die Tür.
00:52:14
Doch sie hat keine Chance gegen den fast 20 Zentimeter größeren Mann.
00:52:17
Der schiebt sich schnell in die enge, stinkige Zugtoilette, zu Doreen, in der die Angst aufsteigt.
00:52:23
Was will der Typ von ihr?
00:52:27
Knapp 10 Kilometer entfernt wartet Heiko bereits am Bahnsteig auf Doreen.
00:52:30
Viel zu früh ist der 20-Jährige losgefahren, um seine Freundin auf keinen Fall in der Kälte warten zu lassen.
00:52:35
Völlig durchgefroren späht Heiko in die Dunkelheit, als endlich der Zug in der Ferne auftaucht und es gleichzeitig aus den Lautsprechern tönt.
00:52:42
Es hat Einfahrt der Regionalexpress 4412 aus Dresden.
00:52:46
Bitte Vorsicht an der Bahnsteigkante.
00:52:49
Pünktlich um 20.37 Uhr fährt die Lok ein.
00:52:52
Normalerweise steht Doreen schon an der Tür und blickt mit ihren dunklen Augen nach draußen, auf der Suche nach Heiko.
00:52:57
Doch dieses Mal kann der seine Freundin mit den blonden Locken nirgendwo erkennen, weder hinter den großen Glasfenstern, noch hinter einer der Türen.
00:53:04
Ein paar Reisende steigen aus.
00:53:07
Heiko schaut nach links und rechts, den Bahnsteig entlang.
00:53:10
Doch Doreen kann er nicht entdecken.
00:53:11
Als die Plattform kurze Zeit später wieder menschenleer ist, läuft Heiko zu einem Schaffner, um zu fragen, wann der nächste Zug aus Dresden kommt.
00:53:19
In einer Stunde ist die Antwort.
00:53:21
Vielleicht hat Doreen ja den ersten verpasst.
00:53:24
Und weil das Jahr 1995 ist und sie deshalb kein Handy hat, hätte sie ihm auch nicht Bescheid sagen können.
00:53:29
Also beschließt Heiko zu warten.
00:53:31
An einem Automaten zieht er sich ein Kakao.
00:53:34
Dann hat er genau eine Stunde auf einer der Bänke aus, bis die nächste Bahn aus Dresden einrollt.
00:53:38
Aber wieder kann er Doreen unter den Reisenden nicht finden.
00:53:42
Kurzerhand entscheidet Heiko mit seinem Trabi zu Doreens Eltern zu fahren, die hier gleich um die Ecke wohnen.
00:53:47
Vielleicht wissen die ja, wo ihre Tochter steckt.
00:53:49
Uwe Keller fällt aus allen Wolken, als der Freund seiner Tochter vor der Tür steht und erzählt, dass Doreen nicht am Bahnhof aufgetaucht ist.
00:53:58
Vielleicht wurde sie auf der Arbeit aufgehalten, ist ein erster Gedanke.
00:54:01
Seine Tochter ist doch immer so pflichtbewusst.
00:54:03
Ohne Zeit zu verlieren, sucht Uwe die Telefonnummer der Reha-Klinik Doreens Arbeitsplatz raus.
00:54:08
Doch der Diensthabende am anderen Ende der Leitung erzählt ihm, dass sich Doreen bereits gegen 17 Uhr abgemeldet hat.
00:54:15
Dann ist sie vielleicht im Zug eingeschlafen.
00:54:17
Dann wäre sie in Zwickau gelandet.
00:54:19
Das hält auch Heiko für möglich, also machen sie sich gemeinsam auf den Weg dorthin.
00:54:23
Vater und Schwiegersohn ins B.
00:54:25
Doch auch am Zwickauer Bahnhof gibt es keine Spur von der 20-Jährigen.
00:54:30
Unruhigt gehen die beiden Männer zurück zu Heikos Trabant.
00:54:33
Es ist fast 24 Uhr, als Uwe von Heiko wieder zu Hause abgesetzt wird.
00:54:38
Die kommenden Stunden sind Uwe und seine Frau Silke wach.
00:54:42
Voller Sorge, doch auch voller Untätigkeit.
00:54:44
Sie wissen nicht, was nun am besten zu tun ist.
00:54:47
Um 6 Uhr morgens halten sie es nicht länger aus und verständigen die Polizei.
00:54:51
Wenig später geht die Vermisstenmeldung an alle sächsischen Dienststellen raus und die Suche nach Doreen beginnt.
00:54:59
Es ist ungefähr 10 Uhr morgens, als die Rettungskräfte vorsichtig Schritt für Schritt die steile, leicht eingeschneite Böschung zu den Gleisen hinunterklettern.
00:55:07
Ein Zugführer hatte kurz zuvor eine leblose Frau gemeldet, die am Streckenkilometer 104 liegen soll.
00:55:13
Tatsächlich. Eine Frau, deren Bauch und Beine entblößt und von blauen Flecken und Schürfwunden übersät sind.
00:55:19
Ihr heller Rollkragenpullover und ihr BH hängen knapp unter ihrem Hals,
00:55:24
während ihre Jeans und ihr Slip in die gegensätzliche Richtung bis an ihre Füße heruntergezogen sind.
00:55:29
Das rechte Handgelenk der Frau steckt in einem Gürtel, dessen Ende durch die Schnalle gezogen und zu einer Fessel geknotet wurde.
00:55:35
Das Gesicht der Frau ist kaum zu erkennen.
00:55:38
Ihre zerzausten Haare begraben es unter sich.
00:55:40
Was man allerdings sieht, ist, dass in ihrem Mund ein blutdurchdrängter Stofffetzen steckt,
00:55:45
der wohl einmal weiß gewesen sein muss, und dass ihr Hals rote Würgemahle aufweist.
00:55:50
Auf der Suche nach Lebenszeichen versucht ein Arzt, die blutverklebten Lider der Frau zu öffnen.
00:55:55
Mit einiger Anstrengung gelingt es ihm, doch ihre Augen sind bereits starr.
00:55:59
Genauso wie der eiskalte Rest ihres Körpers.
00:56:02
Am späten Nachmittag des 23. Dezember betritt Uwe einen gekachelten, kühlen Raum.
00:56:08
Es ist der Sektionsraum der Rechtsmedizin.
00:56:11
Sein Blick fällt auf einen langen Tisch aus Edelstahl, auf dem der steife, blasse Körper einer Frau liegt.
00:56:16
Das blonde, lockige Haar, die dunkelbraunen Augen.
00:56:19
Uwe muss kein zweites Mal hinschauen. Es ist Doreen.
00:56:22
Beim Anblick seiner ältesten Tochter zieht es dem Mann mit dem grauen Wuschelkopf den Magen zusammen.
00:56:27
Unglaublich viele Gefühle strömen gleichzeitig durch ihn hindurch.
00:56:30
Sein Kind ist brutals zugerichtet.
00:56:33
Kaum eine Stelle des Körpers scheint unverletzt zu sein.
00:56:36
Der Rechtsmediziner erklärt Uwe, dass Doreen erstickt sei, und zwar an einem Stoffknebel.
00:56:42
Genauer, an der weißen Männerunterhose, die ihr tief in den Rachen gedrückt worden war.
00:56:46
Und dann ist da noch eine Sache.
00:56:48
An Doreens Körper wurden frische Spermaspuren sichergestellt.
00:56:52
Das ist zu viel für Uwe.
00:56:54
Er kann nicht mehr und stürzt aus dem Raum, in dem seine tote Tochter liegt.
00:56:58
Durch Uwes Identifikation hat die Polizei die Bestätigung, dass es sich bei der aufgefundenen Leiche,
00:57:04
um die es seit kurzem vermisste Doreen Keller handelt, die am Tag zuvor zu ihrem Freund wollte.
00:57:09
Da man Teile ihres Gepäcks in einem Abteil gefunden hat, ist man sich sicher, dass sie am 22.12. in den Express gestiegen war.
00:57:16
Daher soll die Bahn jetzt genauer unter die Lupe genommen werden.
00:57:20
Hierzu rücken MitarbeiterInnen der KTU an.
00:57:22
Diese finden im ersten Wagen Blutspuren und einige lange blonde Haare.
00:57:27
Auch an den Türen können sie Spuren von Doreen sichern.
00:57:30
Und an einem Fenster.
00:57:32
Für diese Spurenlage gibt es eigentlich nur eine Erklärung.
00:57:35
Doreen muss durch das Fenster aus dem Zug gesprungen oder geworfen worden sein.
00:57:41
Außerdem stoßen die KriminaltechnikerInnen auf die Reste einer Pizza und eine Bierdose.
00:57:45
Noch mehr DNA-Material, das die Ermittelnden zum Täter führen könnte.
00:57:48
Beste Voraussetzungen also.
00:57:50
Denn seit einigen Jahren wird in Deutschland bei der Ermittlung von schweren Straftaten die DNA-Analyse eingesetzt.
00:57:56
Heißt, sobald die BeamtInnen einen Verdächtigen haben, können sie sein Erbgut mit dem der Spermaspur und denen im Zug abgleichen.
00:58:03
Um den zu finden, wendet sich die Polizei an die Öffentlichkeit.
00:58:06
An Heiligabend 1995 wird daher eine Pressekonferenz angesetzt.
00:58:11
Sachlich berichtet der Ermittlungsleiter den JournalistInnen von den bisherigen Erkenntnissen.
00:58:15
Danach werden die PressevertreterInnen darum gebeten, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass dringend ZeugInnen gesucht werden.
00:58:21
Kurz darauf schon meldet sich eine Frau, die im Waggon mit Doreen saß.
00:58:26
Sie kann den Angreifer genau beschreiben.
00:58:27
Mit ihrer Hilfe erstellt die frischgebildete Sonderkommission ein Phantombild, das sofort mit einer Pressemitteilung rausgeschickt wird.
00:58:34
Unter dem Bild prangt im großen fetten Buchstaben der Satz.
00:58:37
Für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, setzt die Polizei 5000 Mark Belohnung aus.
00:58:42
16. Januar 1996.
00:58:46
In Krimitschau bleibt der kleine rote Streifen des Thermometers im Minusbereich stecken.
00:58:50
Trotz der Kälte versammeln sich heute mehr als 100 Menschen auf dem Friedhof.
00:58:54
Es sind FreundInnen, Verwandte, Bekannte und Kolleginnen von Doreen, die vor der kleinen, mit Asche gefüllten Urne zusammenrücken und Blumen und Kränze niederlegen.
00:59:03
Auch VertreterInnen der Deutschen Bahn sowie der Krimitschau-Oberbürgermeister sind gekommen.
00:59:07
Dass so viele Menschen mit ihnen trauern und ihr Mitgefühl ausdrücken, berührt Vater Uwe und Mutter Silke.
00:59:13
Doch den Schmerz, den sie empfinden, kann es nicht lindern.
00:59:17
Zu groß ist das Loch, das seit Doreens Tod in ihren Herzen klafft.
00:59:20
Dazu kommt, dass sie in jeder Minute daran erinnert werden, unter welchen Umständen ihre älteste Tochter aus dem Leben gerissen wurde.
00:59:26
Unter die Trauergäste mischen sich nämlich auch einige ErmittlerInnen, die darauf achten, ob aus der Menge irgendwelche fremden Männer hervorstechen.
00:59:33
Doreens Familie möchte bald zur Ruhe kommen, deshalb hat sie nur noch einen Wunsch.
00:59:38
Der Mann, der ihnen ihre Tochter für immer genommen hat, soll so schnell es geht gefasst werden.
00:59:43
Auf eine rasche Ergreifung des Täters pocht auch die Polizei.
00:59:46
Weil die Suchmithilfe des Phantombilds allerdings bisher erfolglos blieb, klopfen die ErmittlerInnen jetzt beim Fernsehen an.
00:59:52
Sowohl die ARD als auch der MDR berichten daraufhin ausführlich über Doreens Fall.
00:59:56
Anschließend trudeln 750 Hinweise bei den Behörden ein.
01:00:00
Aber keiner führt sie zu dem Mann aus dem Zug.
01:00:02
Doch die Polizei lässt nicht locker.
01:00:05
Sie zieht verschiedene unabhängige FallanalytikerInnen hinzu, lässt Täterprofile erstellen, überprüft über 400 Alibis und tappt dennoch weiterhin im Dunkel.
01:00:13
Auch die Erhöhung der Belohnung auf 50.000 D-Mark, für die Uwe hart kämpfen musste, bringt nichts.
01:00:20
So vergehen knapp zwei Jahre.
01:00:22
Im September 1997 beschließen Uwe und Heiko dann, selbst aktiv zu werden und im Fernsehen aufzutreten.
01:00:29
Fahndungsakte heißt das neue Format auf Sat.1, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit der Unterstützung der Öffentlichkeit ungelöste Fälle aufzuklären.
01:00:36
Zum Auftakt der Sendung wird Doreens Fall mithilfe von SchauspielerInnen nachgestellt.
01:00:40
Danach sieht man Heiko und Uwe im hell erleuchteten Studio in Berlin.
01:00:44
Heiko hat lange mit sich gerungen, ob er wirklich bei der Aufzeichnung mitwirken will.
01:00:48
Er ist sich nicht sicher, ob er vor laufender Kamera die richtigen Worte findet.
01:00:52
Doch Uwe konnte ihn schließlich überzeugen.
01:00:55
Vor den Augen von über 2,6 Millionen Zuschauenden erzählen die beiden von der schlimmsten Zeit ihres Lebens.
01:01:02
Auch ein Polizeipsychologe ist dabei.
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Er erklärt, um welche Art von Täter es sich handeln könnte, damit das Publikum nach dem richtigen Ausschau halten kann.
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Doch während der Ausstrahlung glühen die Telefonleitungen.
01:01:13
Über 70 Hinweise aus ganz Deutschland werden direkt an die Kripo in Chemnitz weitergeleitet.
01:01:17
Doch wieder führt keiner die Ermittlungen auf die so lang ersehnte heiße Spur.
01:01:23
Ein Jahr später tritt dann das sogenannte DNA-Identitätsfeststellungsgesetz in Kraft, was die Arbeit der Polizei im ganzen Land grundsätzlich verändern wird.
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Denn von nun an werden die genetischen Fingerabdrücke schwerer StraftäterInnen aus ganz Deutschland in einer Datei beim Bundeskriminalamt gesammelt.
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Unabhängig davon, ob die Personen bereits gefasst und verurteilt wurden oder ob sie noch auf freiem Fuß sind und es sich nur um eine DNA von einem Tatort handelt.
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Mithilfe eines Computerprogramms können diese DNA-Muster dann mit Spuren von anderen Taten abgeglichen werden.
01:01:54
Aber es dauert noch ein weiteres Jahr, bis der sogenannte Zugmord dran ist.
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Und zwar am 23. Dezember 1999, genau vier Jahre und einen Tag nach Doreens Tod.
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Ein Spezialist im BKA jagt die DNA, die aus den Spermaspuren gesichert werden konnte, durch die neue Datenbank.
01:02:12
Und dann ein Treffer.
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René Klein ist der Name des Mannes, der auf dem Computerbildschirm erscheint.
01:02:19
Ein 28-jähriger Gleisbauer, der bereits in Haft ist.
01:02:22
Seit mehr als zwei Jahren setzt er nämlich seine lebenslange Freiheitsstrafe wegen der Ermordung einer Sexarbeiterin ab.
01:02:28
Sechs Tage später wird René Klein in der JVA in Bruchsal vernommen.
01:02:33
Gleich zu Beginn belehrt der Kommissar ihn, dass er sich nicht selbst belasten muss.
01:02:37
Doch Klein sagt, er wolle sich äußern.
01:02:40
Also beginnt der Kommissar mit der offiziellen Vernehmung.
01:02:42
Er stellt dem Straftäter Fragen.
01:02:45
Klein antwortet auf jede Einzelne.
01:02:47
Ob er Doreen Keller getötet habe?
01:02:50
Ob er sie aus dem Zug geworfen habe?
01:02:53
Warum er sie getötet habe?
01:02:55
Weil sie ihn mit einer Anzeige gedroht habe.
01:02:58
Ob er sie vorher vergewaltigt habe?
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Der Sex sei einvernehmlich gewesen.
01:03:03
Wenn er einvernehmlich war, warum sollte sie ihn dann anzeigen?
01:03:06
Genau die Frage hat der Polizist ihm dann auch gestellt.
01:03:10
Und er sagt, Zitat,
01:03:12
Ich kann nur wiederholen, dass ich die Frau nicht vergewaltigt habe.
01:03:17
Nach drei Stunden beendet der Kommissar die Vernehmung.
01:03:19
Kurz darauf wird Haftbefehl erlassen.
01:03:21
Es ist Donnerstag, der 20. Juli 2000.
01:03:25
80 ZuschauerInnen haben sich in dem großen Saal der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Chemnitz eingefunden,
01:03:30
in dem Uwe Keller den wartenden JournalistInnen geduldig Rede und Antwort steht.
01:03:34
Er und seine Frau Silke haben beschlossen, im Prozess die Nebenklage anzutreten.
01:03:39
Für mich hat der Mörder zweier Frauen jegliches Recht auf ein Leben in Freiheit verwirkt,
01:03:43
sagt Uwe in eines der Mikrofone.
01:03:45
Dann setzt er sich und alle Blicke richten sich gebannt in Richtung Tür,
01:03:48
durch die jetzt René Klein den Saal betritt.
01:03:51
In Handschellen wird der große Mann mit den blonden Haaren zur Anklagebank geführt.
01:03:55
Die Kapuze seines Pullovers hängt ihm tief ins Gesicht.
01:03:58
Sie schützt ihn vor den neugierigen Blicken der ZuschauerInnen und den Kameras der Presse.
01:04:02
Der Anklagebank gegenüber sitzen Uwe und Silke.
01:04:06
Nicht mehr als fünf Meter trennen Doreens Eltern von dem Mann,
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der ihr Leben, wie sie es kannten, für immer verändert hat.
01:04:12
Uwe schaut klein tief in die Augen.
01:04:14
Viereinhalb Jahre hat er auf diesen Tag gewartet,
01:04:17
gekämpft, gehofft und niemals aufgegeben.
01:04:19
Beim Anblick des Peinigers seiner Tochter
01:04:22
kommen Uwe all die schmerzhaften Erinnerungen und Gefühle wieder hoch,
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in dem Kocht, tobt und schreit es.
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Doch er nimmt all seine Kraft zusammen
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und schafft es, sich zumindest äußerlich nichts anmerken zu lassen.
01:04:32
Direkt neben ihm sitzt seine Frau.
01:04:35
Stocksteif starrt sie auf den Boden.
01:04:37
Silke bringt es nicht fertig, aufzublicken.
01:04:39
Und damit ist sie nicht alleine.
01:04:41
Auch Heiko kann dem Mann nicht ins Gesicht schauen.
01:04:44
Das schafft er emotional nicht.
01:04:45
Deshalb ist er gar nicht erst zu dem Prozess erschienen,
01:04:48
den der Oberstaatsanwalt jetzt mit der Verlesung der Anklageschrift eröffnet.
01:04:52
René Klein wird vorgeworfen, Doreen Keller getötet zu haben,
01:04:56
damit er sich den Konsequenzen der vorherigen Vergewaltigung nicht stellen muss.
01:05:00
Somit lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft, Vergewaltigung und Mord mit dem Merkmal der Verdeckungsabsicht.
01:05:06
Wollen Sie sich zu dem Geschehen äußern, fragt der Vorsitzende Richter.
01:05:10
Ein bestimmendes Nein kommt von der Anklagebank zurück.
01:05:13
René Klein schweigt.
01:05:15
Deshalb werden im Gerichtssaal die Protokolle der polizeilichen Vernehmung vorgelesen,
01:05:19
in denen er immer wieder darauf pocht, Doreen nicht vergewaltigt zu haben.
01:05:22
Er habe sie zudem erst gefesselt und geknebelt, nachdem sie gedroht hatte, ihn anzuzeigen, steht da.
01:05:28
Auch einige Bilder vom Fundort und von Doreen, wie sie halbnackt und blutverschmiert neben den Gleisen liegt,
01:05:34
werden in Augenschein genommen.
01:05:35
Anschließend bekommen drei Sachverständige das Wort.
01:05:39
Einer ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.
01:05:41
Im Zeugenstand versucht er dem Gericht einen Einblick in Kleins Inneres zu gewähren.
01:05:45
Sein Sexualleben ist eher auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gerichtet, heißt es.
01:05:50
Er sei ein Egozentriker, unzufrieden, leicht reizbar, aggressiv und unbeherrscht.
01:05:55
Das Gutachten des Arztes erzählt auch von Kleins Kindheit, die geprägt von Gewalt und sexuellen Übergriffen war.
01:06:01
Außerdem bescheinigt der Sachverständige dem Angeklagten ein IQ von 89, also eine leicht unterdurchschnittliche Intelligenz.
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Eine Verminderung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit kann er bei ihm allerdings nicht erkennen.
01:06:13
Ja, und das war es dann auch schon, sodass am selben Tag, dem ersten Verhandlungstag, bereits die Schlussplädoyers gesprochen werden.
01:06:25
Das verraten wir noch nie, oder?
01:06:28
Bei so einem Fall meinen Sie, nur einen Verhandlungstag zu brauchen, um alle Fragen abschließend zu klären?
01:06:35
Das ist, glaube ich, nicht normal.
01:06:37
Und der Staatsanwalt, der fordert nicht nur eine lebenslange Haftstrafe, sondern auch die besondere Schwere der Schuld.
01:06:44
Der Verteidiger dagegen ist sich sicher, eine Vergewaltigung sei nicht zu beweisen.
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Doreen habe freiwillig Sex mit seinem Mandanten gehabt und demnach habe die Tötung auch nicht den Grund gehabt, eine vorherige Straftat zu vertuschen.
01:06:55
Und weil somit kein Mordmerkmal erfüllt sei, handele es sich in diesem Fall lediglich um Totschlag, ein Straftatbestand, der ein deutlich milderes Strafmaß nach sich zieht.
01:07:04
Die Worte des Anwalts lösen im Saal eine Welle der Empörung aus.
01:07:08
Aus Uwes Gesicht weicht jegliche Farbe.
01:07:10
Dann erteilt der Vorsitzende dem Angeklagten das letzte Wort.
01:07:14
Doch von ihm kommt noch immer kein Ton, keine Entschuldigung und auch kein Bedauern.
01:07:18
Eine Stunde später steht das Urteil fest.
01:07:22
Nach sieben Stunden Verhandlung wird René Klein wegen Vergewaltigung und Mordes zur lebenslange Haft verurteilt.
01:07:29
Und zwar mit besonderer Schwere der Schuld.
01:07:31
Den Verurteilten scheint das allerdings wenig zu interessieren.
01:07:35
Als er in Handschellen aus dem Saal geführt wird, grinst er sogar ein bisschen.
01:07:39
Für ihn macht das Urteil keinen großen Unterschied mehr.
01:07:42
Er sitzt ja schon für einen Mord.
01:07:44
Uwe hingegen muss seine Frau stützen, als sie das Landgericht verlassen.
01:07:47
Silke ist kurz davor, zusammenzubrechen.
01:07:51
Er hat die gleiche Strafe wie wir bekommen.
01:07:53
Lebenslang, hört man Uwe noch sagen.
01:07:55
Uwe hofft, dass mit dem Urteilsspruch nun etwas Ruhe in die Familie kommt.
01:07:59
Sie endlich versuchen können abzuschließen.
01:08:01
Doch diese Hoffnung wird enttäuscht.
01:08:03
Nur wenige Tage nach dem Urteil legt René Kleins Verteidiger Revision ein.
01:08:08
Ein Dreivierteljahr später, im April 2001, hebt der BGH das Urteil dann auch tatsächlich auf.
01:08:13
Mit der Begründung, eine vorsätzliche Tötung sei im ersten Prozess nicht zweifelsfrei bewiesen worden.
01:08:19
Die RichterInnen sagen also, es wird aus dem Chemnitzer Urteil nicht klar,
01:08:23
dass René Klein Doreen in dem Moment töten wollte, als er ihr seine Unterhose in den Mund steckte.
01:08:30
Daran ist die 20-Jährige aber am Ende laut rechtsmedizinischem Gutachten gestorben.
01:08:34
Es könnte laut dem BGH nämlich auch so gewesen sein,
01:08:37
dass Klein sein Opfer mit dem Stück Stoff während der Vergewaltigung nur zum Schweigen bringen wollte.
01:08:42
Dann wäre es aber kein Mord aus Verdeckungsabsicht,
01:08:45
weil dann hätte er Doreen nicht getötet, um die Vergewaltigung zu verdecken,
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sondern während der Vergewaltigung aus Versehen getötet.
01:08:53
Mit welcher Vorstellung oder Zielrichtung der Angeklagte die tödliche Knebelung vorgenommen hat,
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sei weder festgestellt noch sonst im Urteil erörtert worden.
01:09:01
Weil die RichterInnen auch das sehr schnelle Verfahren, die sieben Stunden,
01:09:06
und die Zitat ungewöhnlich mangelhafte Sachbehandlung des Landgerichts Chemnitz kritisieren,
01:09:11
wird der Prozess 2002 vor dem Landgericht Dresden noch einmal neu aufgerollt.
01:09:16
Und dieses Mal muss Uwe, der gemeinsam mit Silke wieder die Nebenklage antritt,
01:09:20
als einer von 14 Zeuginnen aussagen.
01:09:22
Als er im Zeugenstand sitzt, erzählt er leidenschaftlich von seiner Tochter.
01:09:26
Von einer jungen Frau, die jeder mochte, die aufgeschlossen, tolerant, selbstbewusst,
01:09:31
lernwillig und voller Zukunftspläne steckte.
01:09:33
Von einer jungen Frau, die er schmerzlich vermisst und die nie wieder zurückkommen wird.
01:09:38
Als der Vater so von Doreen schwärmt, gibt es von René Klein keine sichtliche Gemütsregung.
01:09:44
Der Angeklagte wirkt auf die ZuschauerInnen im Saal eher so, als gehe ihnen das alles gar nichts an.
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Doch um ihn geht es.
01:09:52
Genauer um seine Gedanken und Motive bei der Tat.
01:09:55
Darum herauszufinden, ob René Klein seine Unterhose mit Tötungsabsicht in Doreens Hals schob,
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als er sie vergewaltigte.
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Da Klein selbst nichts sagt und es auch keine TatzeugInnen gibt,
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kommt das Gericht schließlich zu dem Schluss, dass man diese Frage nicht bejahen kann.
01:10:10
Dass es sogar wahrscheinlicher ist, dass er Doreen mit dem Knebel erstmal nur daran hindern wollte,
01:10:15
zu schreien, damit er die Vergewaltigung ohne Störungen durchführen konnte.
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Somit handele es sich bei der Tötung von Doreen nicht um einen Mord,
01:10:24
sondern um eine Vergewaltigung mit Todesfolge.
01:10:26
Allerdings ist sich das Gericht sicher, dass sich Klein nach der Vergewaltigung dazu entschloss,
01:10:32
Doreen töten zu wollen, um der strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung,
01:10:36
die die Vergewaltigung nach sich gezogen hätte, zu entgehen.
01:10:39
So wirkte er Doreen in Tötungsabsicht und als er das kleine Fenster in der Zugtoilette nicht aufbekam,
01:10:45
schleppte er sie in den jetzt leeren Waggon und warf sie dort bei 100 kmh aus einem Fenster.
01:10:50
Dass Doreen zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich schon tot war,
01:10:54
und zwar wegen des Knebels, konnte Klein nicht ahnen.
01:10:57
Weil sie aber nicht an dem Würgen oder dem Sturz aus dem Zug gestorben ist,
01:11:01
sondern an diesem Knebel in dem Mund, handelt es sich bei dieser anschließenden Tat
01:11:05
nur um einen versuchten Mord mit Verdeckungsabsicht.
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Das Strafmaß lautet am Ende trotzdem lebenslange Freiheitsstrafe.
01:11:14
Kein Urteil dieser Welt wird den Eltern ihre geliebte Tochter zurückbringen.
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Kein Strafmaß wird den Schmerz ausgleichen können, den die Angehörigen erlitten haben.
01:11:22
Genau das ist das eigentliche Problem in diesem Verfahren,
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sagt der Vorsitzende zu den rund 100 Anwesenden im Verhandlungssaal.
01:11:29
Uwe und Silke haben Tränen in den Augen.
01:11:32
Drei Monate später, im Sommer 2002, wird das Urteil gegen René Klein rechtskräftig.
01:11:38
Um das zu feiern, lädt Uwe zu sich und Silke in den Garten ein.
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Nur die engsten Freundinnen.
01:11:43
Diejenigen, die ihm und seiner Familie sieben Jahre lang bedingungslos den Rücken gestärkt haben.
01:11:48
Diejenigen, die an seiner Seite für Gerechtigkeit gekämpft und ihm immer wieder neuen Mut zugesprochen haben.
01:11:53
Auch Heiko ist gekommen.
01:11:55
Doreens erste große Liebe.
01:11:57
Der Mann, der vergeblich am Bahnsteig auf seine Freundin gewartet hat.
01:12:01
Als Uwe ihn sieht, zieht er ihn zu sich ran und drückt ihn ganz fest.
01:12:05
Beiden laufen Tränen über die Wangen.
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Doch zum allerersten Mal seit 1995 sind es Tränen der Erleichterung.
01:12:13
Also was für ein Fall.
01:12:15
Also ich bin so froh, dass die beim zweiten Verfahren jetzt auch nochmal die Tötungsabsicht richtig festgestellt haben.
01:12:22
Weil, also ich meine gut, das wäre jetzt auch eine krasse Verbiegung gewesen, zu sagen, naja, der hat ihr zwar ein Stück Stoff in den Rachen geschoben, sie gewirkt und aus dem Fenster geworfen.
01:12:32
Aber, dass er sie töten wollte, naja, das kann man jetzt nicht so genau sagen.
01:12:35
Ja, ich bin da auch sehr froh drüber.
01:12:39
Und auch wenn sich jetzt nichts Großes am Strafmaß geändert hat, bin ich froh, dass er nochmal ein neues Verfahren bekommen hat.
01:12:45
Weil sieben Stunden für so einen Fall, wie du eben schon gesagt hast, also das ist wirklich unverantwortlich.
01:12:51
Und das kann man auch als Rechtsstaat nicht machen.
01:12:53
Das geht einfach nicht.
01:12:55
Ich weiß nicht, was die Leute sich dabei gedacht haben.
01:12:57
Keine Zeugen geladen.
01:12:59
Das ist ja auch für die Aufarbeitung wichtig.
01:13:01
Die Eltern sitzen da irgendwie mit dabei, möchten hören, wie das alles vonstatten ging, möchten Aufklärung und Antworten auf ihre Fragen.
01:13:08
Und dann wird da gar nichts prozessiert, sondern nur entschieden.
01:13:14
Vielleicht hat sich das Gericht ja auch gedacht, naja, gut, der sitzt ja sowieso in Haft.
01:13:18
Also, so wie ihm das ja offenbar auch egal war.
01:13:21
Von wegen, das macht den Kur jetzt auch nicht mehr fett, weil das ja nicht auf seine Haftstrafe, die ja momentan absitzt, angerechnet wird.
01:13:28
Das ist nämlich nicht so, wie uns unsere Expertin erklärt hat.
01:13:31
Die Strafe ist generell gedeckelt auf einmal lebenslang in Deutschland.
01:13:35
Also, wir haben ja auch noch nie in unserem Podcast irgendwie davon erzählt, dass jemand dreimal lebenslänglich bekommen hat oder so wie in Amerika.
01:13:42
Das ist auch so, wenn du schon, keine Ahnung, 13 Jahre abgesessen hast für einen Mord und dann rauskommt, dass du noch einen anderen begangen hast.
01:13:50
Dann bekommst du nicht noch mal lebenslang.
01:13:54
Und dann gibt es aber für die Gerichte noch die Möglichkeit sozusagen als Topping für diese neue Straftat, die dazu kam, dann eine Sicherungsverwahrung auszusprechen.
01:14:04
Die meisten meiner Informationen habe ich übrigens aus dem Buch Mord im Regionalexpress von Gabi Thieme.
01:14:08
Und an dem hat auch Doreens Vater Uwe, also so habe ich den ja genannt, und ihr damaliger Freund Heiko auch mitgewirkt.
01:14:16
Als du angefangen hast, den Fall zu erzählen, da wurde es mir schon wieder so ganz eng um die Brust, weil diese Zugsituation, das ist was, was bei mir wirklich eine Beklemmung auslöst, weil ich da schon ein, zwei Erlebnisse hatte.
01:14:30
Und jetzt nicht so Fernstrecken oder so, aber gerade so Regionalzüge nachts oder so, da sehe ich immer eine potenzielle Gefahr drin.
01:14:40
Ich war einmal in Bordeaux, in so einem Regionalzug, und da waren halt auch nicht so viele Leute.
01:14:45
Und da kam dann so ein Typ, und der wollte die ganze Zeit mit irgendwelchen Frauen reden.
01:14:51
Und dann setzte er sich also mir gegenüber, ich war alleine, und fing dann an, die ganze Zeit mich zuzuquatschen.
01:14:56
Und ich habe gesagt, ich möchte gerade jetzt einfach nur mein Buch lesen, und dann fing er an, mich anzufassen.
01:15:00
Also auf dem Oberschenkel und so, richtig zudringlich.
01:15:03
Und es griff aber auch niemand ein.
01:15:05
Ich hatte das hier im Podcast irgendwann schon mal so ein bisschen abgespeckter erzählt.
01:15:08
Und irgendwann sagte dann ein älterer Mann mal, der soll mich doch jetzt bitte mal in Ruhe lassen,
01:15:13
und dann habe ich mich zumindest nicht mehr so alleine damit gefühlt.
01:15:16
Aber ich dachte mir in dem Moment so, wo soll ich jetzt hin?
01:15:20
Also wenn ich mit diesem Mann alleine in diesem Abteil gewesen wäre, wo läufst du hin, wenn sowas passiert?
01:15:26
Das ist für mich auch das Erschreckende in der U-Bahn oder in der S-Bahn.
01:15:29
Wenn da was passiert, du bist dann erstmal bis zur nächsten Station mit diesen Menschen in deinem Abteil gefangen.
01:15:37
Das muss ich auch sagen.
01:15:38
Also in Berlin und London, ganz speziell, was manchmal für Menschen auch in den U-Bahnen sitzen,
01:15:45
habe ich schon ganz viel erlebt, wo ich teilweise echt Angst bekommen habe oder zumindest ein sehr beklemmendes Gefühl für mich und andere Personen,
01:15:55
die dann in den Zügen mitsaßen.
01:15:57
Kommen wir nochmal zurück zu diesen ganzen rechtlichen Sachen in dem Fall.
01:16:02
Da gibt es nämlich noch was Spannendes, was ich vorher noch nie gehört habe.
01:16:06
Es war ja jetzt so, dass der René Klein beim zweiten Mal vor Gericht auch wieder eine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen hat.
01:16:15
Und die hat sich übrigens zusammengesetzt aus, ja klar, lebenslanger Freiheitsstrafe wegen versuchten Mordes,
01:16:20
aber auch vier Jahre Haft für die Vergewaltigung mit Todesfolge.
01:16:24
Am Ende ist das für den Verurteilten ja egal.
01:16:27
Also die vier Jahre für die Vergewaltigung mit Todesfolge, die werden von der großen lebenslangen halt eh geschluckt.
01:16:33
Aber es ist trotzdem interessant, weil auf Vergewaltigung mit Todesfolge eigentlich mindestens zehn Jahre Haft stehen.
01:16:41
Das hat der Klein aber nicht gekriegt, nicht weil die RichterInnen das nicht wollten,
01:16:45
sondern weil denen die Hände gebunden waren.
01:16:47
Und warum das so ist, das erkläre ich jetzt in meinem AHA.
01:16:49
Nachdem Klein vom Landgericht Chemnitz wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilt wird,
01:16:54
geht ja nur Kleins Verteidiger in Revision.
01:16:57
Die Staatsanwaltschaft ist mit dem Urteil zufrieden und hat auch sonst nichts zu beanstanden.
01:17:02
Der BGH aber ja dann am Ende schon ziemlich viel.
01:17:06
Ja, so ein Prozess in einem Tag durchzuziehen ist, wie wir schon gesagt haben,
01:17:10
das ist wahrscheinlich auch nicht die beste Idee.
01:17:12
Und wenn Staatsanwaltschaft und Gericht da Fehler machen und irgendwie ungenau arbeiten,
01:17:16
dann gibt es dafür auch Konsequenzen, nämlich das sogenannte Verschlechterungsverbot.
01:17:21
Das besagt, dass ein Urteil nicht zum Nachteil der angeklagten Person geändert werden darf,
01:17:27
wenn es nur von der Verteidigung selbst angefochten wurde.
01:17:31
Ah ja, und hier hat ja nur der Angeklagte bzw. sein Verteidiger die Revision eingelegt.
01:17:35
Und dann darf man quasi nicht sagen, na ihr seid das Risiko jetzt eingegangen,
01:17:39
selbst schuld, wenn es dann für euch bei einer neuen Verhandlung schlechter ausgeht, ja?
01:17:43
Ja, genau. In so einem Fall darf dann beispielsweise die Freiheitsstrafe aus dem ersten Urteil nicht erhöht werden
01:17:48
und auch die Strafart nicht verschlechtert werden.
01:17:51
Also nicht von Geldstrafe auf Freiheitsstrafe oder so.
01:17:55
Selbst wenn das Neugericht eine ganz andere und viel schlimmere Straftat feststellt und dann auch verurteilt.
01:18:01
Okay, also die dürfen dann in dem Urteil sagen, es ist eigentlich Mord,
01:18:05
aber wir können dir nur das Strafmaß von der ersten Verurteilung von Totschlag geben.
01:18:11
So würde das dann aussehen, theoretisch. Okay.
01:18:13
Und da kann man ja sagen, ist dann wohl auch ein bisschen die Schuld von der Staatsanwaltschaft,
01:18:18
wenn die die Fehler nicht sieht und sich dann mit dem Urteil zufrieden gibt.
01:18:22
Genau. Weil wenn die das gesehen hätten, dass sie auch eigene Fehler gemacht haben,
01:18:26
dann hätten die ja auch Revision eingelegt und dann wäre das wahrscheinlich anders ausgegangen
01:18:32
hier im Fall von René Klein, weil dann ist ja alles offen.
01:18:35
Dann kann es besser oder schlechter am Ende aussehen.
01:18:39
Weil der Typ beim ersten Mal wegen Vergewaltigung vom Landgericht vier Jahre bekommen hat,
01:18:46
bedeutet das jetzt halt beim zweiten Mal in Dresden, auch bei der Vergewaltigung mit Todesfolge,
01:18:52
dass die nicht über diese vier Jahre gehen durften.
01:18:54
Und bei dem Urteil aus Chemnitz war noch was besonders.
01:18:57
Und zwar hatte der Vorsitzende die besondere Schwere der Schuld festgehalten.
01:19:01
Da habe ich ja auch erzählt, besondere Schwere der Schuld.
01:19:04
Aber durch einen Formfehler hat er das nicht richtig in den Tenor des Urteils geschrieben.
01:19:10
Also da hat er auch noch Fehler gemacht.
01:19:12
Und das hat dann alles am Ende dazu geführt, dass auch das Landgericht Dresden
01:19:16
diese besondere Schwere der Schuld nicht in ihrem Urteil aufnehmen konnte,
01:19:20
auch wenn sie das gewollt hätten.
01:19:22
Übrigens hat uns unsere Expertin in dieser Folge noch erzählt,
01:19:25
dass viele VerteidigerInnen das Verschlechterungsverbot als kleinen Trick nutzen.
01:19:29
Und zwar fechten die das Urteil dann oft erst am allerletzten Tag an,
01:19:34
also bevor die Frist abläuft und nach Feierabend der zuständigen Geschäftsstelle,
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sodass die Staatsanwaltschaft davon gar keine Meldung mehr bekommt.
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Weil dann steht für sie und ihre MandantInnen ja fest,
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schlechter kann das Ergebnis ja nicht werden.
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Wir versuchen das jetzt einfach nochmal.
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Und das finde ich nicht in Ordnung.
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Also ich finde, da müsste es einen Zwischenzeitraum geben,
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in dem beide erfahren, ob die jemals andere Seite Revision eingelegt hat oder nicht.
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Und dann ist Schluss nach einer Woche oder so.
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Weil, weißt du, das erhöht den Druck auf die Staatsanwaltschaft ja auch.
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Und ich kann mir vorstellen, dass in so manchen Verfahren,
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wo vielleicht ein Staatsanwalt sich reingebissen hat,
01:20:10
aber dann gar keinen Rechtsfehler im Urteil erkennt,
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sich da eine irre Arbeit macht und abmüht, einfach nur aus Sorge.
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Die anderen möchten nochmal eine neue Verhandlung und legen dann Revision ein.
01:20:22
Aber um nochmal auf diese Zäsur zu kommen, die du in deinem Aha erklärt hast.
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In meinem Fall gab es da ja jetzt zumindest zeitlich keine,
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weil das ging ja alles ganz schnell.
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Vergewaltigung, Fesseln, Knebeln, Würgen, aus dem Zug werfen,
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alles hintereinander und innerhalb von einer sehr kurzen Zeit.
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Und dann wusste man ja auch nicht wirklich was zur Motivation,
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weil der Typ selber nichts gesagt hat.
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Der hat ja noch nicht mal zugegeben, dass es überhaupt eine erste Tat gab,
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die man irgendwie hätte verdecken müssen.
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Und daher war das ja auch so wichtig, sich dann diese Tatspuren anzugucken,
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dass es irgendwie Spermaspuren auf ihr gab und diesen Knebel,
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dann noch diese Würgemale und natürlich auch ihre ganzen Spuren von dem Rauswurf da.
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Aber wenn ich ehrlich bin, für mich war das jetzt gar nicht so klar,
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dass das überhaupt zwei Taten waren.
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Weißt du, weil es könnte ja auch so gewesen sein,
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dass der Typ von Anfang an wusste, dass er Doreen töten wird
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und dass er sich vielleicht auch deswegen ja gerade ohne Maskierung angegriffen hat,
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dann wäre das halt eher ein Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs gewesen.
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Genau, und das ist halt das Problem an diesem Mordmerkmal.
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Wenn TäterInnen nicht geständig sind und sich nicht einlassen
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und nicht zur Aufklärung beitragen,
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dann ist das halt manchmal ein Problem,
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weil es eben darum geht, was ihre Motivation war und um ihr Innenleben.
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Ja, und deswegen kann auch ein Verdeckungsmord stattgefunden haben,
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ohne dass es überhaupt was zu verdecken gab.
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Stellt euch vor, ich bin eine Investigativreporterin
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und glaube, dass mein Vater Aktienbetrug begangen hat
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und dass Paulina, die ebenfalls Investigativreporterin ist,
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ihm schon ganz dicht auf der Spur
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und du möchtest darüber schreiben, weil du, was weiß ich, eine Agenda hast.
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Aber das ist dann in Wirklichkeit gar nicht so.
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Also es gibt keinen Betrug
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und Paulina ist auch nicht dicht dran oder irgendwas.
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Aber ich nehme das halt an aus irgendwelchen Gründen.
01:22:24
Um zu verhindern, dass der Betrug meines Vaters auffliegt,
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bringe ich Paulina dann...
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Warte mal, darf ich noch kurz was dazu sagen?
01:22:31
Wieso ist das wichtig in diesem Fall,
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dass du auch Investigativreporterin bist?
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Inwiefern spielt dein Beruf damit rein?
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Ich mache eine Investigativreportage über deinen Vater
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und du dann ja offenbar über mich.
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Ansonsten wäre es ziemlich sinnfrei.
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Ich bin es auf jeden Fall.
01:22:55
Also, um aber dann zu verhindern,
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dass der Betrug meines Vaters auffliegt,
01:22:59
bringe ich Paulina um die Ecke
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und lasse ihre ganzen Recherchen verschwinden.
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Aber als ich dann durch ihre Akten gehe,
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stelle ich fest,
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dass sie überhaupt gar nicht zu meinem Vater recherchiert hat.
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Beste Freundin und Firmenpartnerin,
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umsonst getötet.
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Sag ich jetzt mal.
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Aber in diesem Fall
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habe ich dann trotzdem
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einen Verdeckungsmord begangen,
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auch wenn die Straftat meines Vaters
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nur angenommen war.
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Also, alles nur in meinem Kopf stattgefunden hat.
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Das finde ich irre.
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Da kann man sich ja ewig viel konstruieren.
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Aber gut, du hast ja die Tötung an mir nur begangen,
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weil du dachtest,
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du möchtest eine andere Straftat
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damit nicht auffliegen lassen.
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Was man an diesem Beispiel halt sehen kann,
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dass die Person,
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die die vorherige Tat begangen hat
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die dann den Mord verübt,
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das muss gar nicht dieselbe Person sein.
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Also auch wenn Laura beispielsweise
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eine Bank überfällt
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um sie zu schützen,
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eine Zeugin umbringe,
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dann zählt das eben
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als Verdeckungsmord.
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Und dann ist auch egal,
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aus welchen Gründen
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ich deine Tat verdecken will,
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ob es jetzt mir darum geht,
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dass du nicht in Haft kommst
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oder ich einfach nur nicht möchte,
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dass der Podcast hier jemals aufhört.
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Das Zweite fände ich verständlicher.
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Und mittlerweile ist es in der Rechtsprechung
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auch gar nicht mehr zwingend notwendig,
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dass der Mord aktiv begangen werden muss.
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Also auch wenn ein Opfer
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nach der ersten Tat schwer verletzt
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zurückgelassen wird
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und der oder die Täterin weiß,
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dass es ohne Hilfe sterben wird
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und genau das dann will,
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damit er oder sie eben nicht
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identifiziert werden kann,
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dann ist das auch ein Mord
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aus Verdeckungsabsicht,
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eben halt durch Unterlassen.
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Das kennen wir hier schon
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von anderen Merkmalen.
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Ja, und dann bin ich noch
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auf einen Fall gestoßen
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in Bezug auf dieses Thema,
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der ein paar Fragen aufgeworfen hat.
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Und zwar am 18. Januar 2000
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fährt der 46-jährige Rainer K.
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in seinem Auto auf der Autobahn.
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Er wird dann von einer
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mobilen Radarfalle geblitzt.
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Rainer K. ist Busfahrer
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und sein Punktekonto in Flensburg
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bereits ziemlich voll.
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Und damit er seinem Beruf
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weiter nachgehen kann,
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darf er sich eigentlich
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nichts mehr zu Schulden kommen lassen.
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das Betzerfoto muss weg.
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Also beschließt Rainer K.,
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den Film aus dieser Kamera
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in seinen Besitz zu bringen.
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Koste es, was es wolle.
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Rainer dreht also um,
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fährt zurück zu dem Auto,
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aus dem es geblitzt hatte,
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und als einer der beiden Polizisten
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darin die Autotür
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einen Spalt weit öffnet,
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drückt Rainer K. sie ganz auf
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und schießt mit seiner Pistole,
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die er offenbar immer dabei hat.
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Der Polizist hinter dem Steuer
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und sein Kollege kann verletzt fliehen.
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Rainer K. wird aber nicht
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wegen Mordes aus Verdeckungsabsicht
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Und zwar, weil die Tat,
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die Rainer K. mit der Tötung des Polizisten
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verdecken wollte,
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also dieses zu schnelle Fahren,
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keine Straftat ist,
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sondern nur eine Ordnungswidrigkeit.
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der Verdeckungsabsicht zu erfüllen,
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muss es sich bei der vorherigen Tat
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aber um eine Straftat handeln.
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Rainer K. kommt aber trotzdem
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lebenslang in Haft,
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weil das Mordmerkmal
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der niedrigen Beweggründe
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festgestellt wird.
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Weil er hat jetzt
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einen Menschen umgebracht,
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den Führerschein abgenommen bekommt,
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möglicherweise übertrieben.
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Und was er auch nicht wusste,
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der den geblitzt hatte,
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war noch der Testfilm
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Und der wird von der Polizei
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gar nicht ausgewertet.
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Also das ist einfach
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so üble Geschichte.
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Bei dem PolizistInnenmord
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aus Rheinland-Pfalz,
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von dem wir euch
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am Anfang erzählt haben,
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nur einer der Männer
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eine lebenslange Haftstrafe
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aus Verdeckungsabsicht
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der hat es geschafft,
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aus dem Verfahren
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Und zwar hat das
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einen ganz bestimmten
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Und dieser Grund
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unserer nächsten Folge.
01:26:47
Also stay tuned.
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Das war ein Podcast
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der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion
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und Laura Wohlers.