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Dies ist eine Erinnerung, dass ihr
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immer noch für uns beim Deutschen
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Podcastpreis abstimmen könnt
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und zwar unter der
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Kategorie Wissen auf der Seite
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deutscher-podcastpreis.de
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und darüber würden wir uns
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sehr, sehr freuen. Genau, wir können
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euch leider nichts dafür geben,
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dass ihr das für uns macht, weil ich hatte
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erst überlegt, kann man mit emotionaler
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Erpressung arbeiten, kann man
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vielleicht eine Extra-Folge anbieten,
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wenn wir den Podcastpreis gewinnen,
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aber dann hätte es sich ja auch
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nicht wie ein wirklicher Gewinn
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angefühlt. Deswegen bitten wir
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euch einfach um diesen Gefallen,
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das für uns zu tun.
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Vielleicht gibt es ja Karma-Punkte,
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das kriegt man ja auf jeden Fall bei
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sowas, wenn man jemand anderem
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einen Gefallen tut. Ist das so?
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Ja. Wie viele? Dafür, ja.
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Ich finde, das ist ja schon was.
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Man muss sich die Zeit nehmen, man muss
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einmal hier auf sein Handy gucken und
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in unsere Folgenbeschreibung gehen, da auf
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den Link klicken. Es ist nicht zu viel
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Aufwand. Mach es bitte nicht schlimmer, als
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es ist. Es geht ganz schnell.
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Es geht ganz schnell, aber es ist
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immerhin ein Aufwand, für den man
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mindestens drei Karma-Punkte bekommt.
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Ich hätte fünf gesagt.
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Ich wäre bei fünf gewesen, ja.
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Also ich finde, vielleicht kommt es auch
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darauf an, wie oft man auf
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Abstimmen drückt. Drei bis fünf
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Aber man kann nur einmal abstimmen.
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Ich habe das aber schon probiert. Hä?
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Ich habe zweimal abgestimmt.
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Bei mir stand, du hast schon
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mit dem selben Gerät.
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Ich gucke jetzt.
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Ja, stimmt. Gut, dann kann ich ja
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unseren Redakteurinnen sagen, dass die
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aufhören können, da alle zwei Sekunden
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draufzudrücken. Die fahren durch ganz
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Deutschland, um sich an alle Geräte zu
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setzen. Fünf Karma-Punkte. Was kann man
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damit gut machen? Bestimmt zehnmal in
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der Schlange vorgedrängelt. Laura, also
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das ist, muss ich dazu sagen, es ist
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etwas, was Laura, das gehört wirklich zu
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Lauras tagtäglichen
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Gebrauch, sich vorzudrängen. Andere
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Leute tun das aber nicht. Was noch, was
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noch, ja? Geburtstage vergessen. Ah ja,
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ja, Geburtstage vergessen. Im Auto
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fluchen, Menschen beschimpfen. Kann man
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alles damit bereinigen. Wettmachen, ja.
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Also ihr habt jetzt, glaube ich, genug
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Argumente gehört. Und damit herzlich
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willkommen zu Mordlust, einem Podcast der
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Partner in Crime. Mein Name ist Paulina
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Kraser. Und ich bin Laura Wohlers. In
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jeder Folge gibt es normalerweise ein
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Oberthema, zu dem wir zwei wahre
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Kriminalfälle nacherzählen, über die
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diskutieren und auch mit Menschen mit
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Expertise sprechen. Hier geht es um
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True Crime, also auch um Schicksale von
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Menschen. Bitte behaltet das immer im
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Hinterkopf. Das machen wir auch, selbst
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dann, wenn wir zwischendurch mal etwas
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ungehemmter kommentieren. Das ist für
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eine Art Comic Relief, aber natürlich
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nicht despektierlich gemeint. Falls ihr euch
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wundert, warum wir diese Woche überhaupt
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hier erscheinen bei euch, wenn ihr unseren
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Podcast abonniert habt, den Grund haben wir
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letzte Woche genannt. Und zwar wollen wir ein
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neues Konzept gerade austesten, in dem jeweils
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nur ein Fall erzählt wird. Und letzte Woche
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habe ich einen Fall erzählt über die chinesische
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Studentin Yangji Li. Und diese Woche ist
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Paulina dran. Also Paulina wird mir einen Fall
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erzählen und mich hört ihr dann natürlich
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zwischendurch mal mit meinen Reaktionen, aber
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auch mit ein bisschen Hintergrundwissen.
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Genau. Und dieses Thema, um das es heute geht, ist
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mir sehr wichtig. Deswegen wollte ich den Fall
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auch unbedingt erzählen. Es geht nämlich um
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etwas, das ich als Angriff auf unsere
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Demokratie verstehe. Laura, ich habe neulich
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Instagram geöffnet und dort einen Post
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gelesen und darin ging es darum, dass zwei
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Bürgermeistern in Bayern abgetrennte
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Schweineköpfe vor die Häuser gelegt wurden.
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Oh Gott. Also ekelhaft und schrecklich.
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Und diese Tierköpfe, die lagen gut
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sichtbar im Vorgarten. Einer der beiden
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Bürgermeister hat auch einen achtjährigen
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Sohn, der das offenbar auch mitbekommen
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hat. Und man geht natürlich davon aus, dass
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sowas aus Hass passiert ist oder weil die
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TäterInnen eine andere politische Meinung
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vertreten haben als vielleicht etwas, was die
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Bürgermeister gesagt haben. Und wie viele, die in der
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Öffentlichkeit irgendwas machen, wissen, wird man auch
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einfach oft zur Projektionsfläche von
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Frustration und wird dann attackiert, weil sich
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Leute an einem aufreiben müssen, weil sie
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irgendwo hin müssen mit ihrer Unzufriedenheit. Und einigen macht es dann
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offenbar Spaß, Leute zu beleidigen, ihnen Texte zu schicken oder
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Schweinsköpfe vor die Türen zu legen. Und solche Situationen sind für
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PolitikerInnen bei Weitem keine Einzelfälle. Und wie gefährlich das werden kann, davon handelt der Fall, von dem ich jetzt erzähle.
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Einige Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
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Im Oktober 2015 ist es ungewöhnlich kalt in Deutschland. Rund um Kassel fallen bereits jetzt große weiße
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Schneeflocken vom Himmel, als Walter sich am Abend des 14. Oktober auf den Weg in die
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unweit entfernte Gemeinde Lofelden macht. Der 62-Jährige mit Brille und
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grauem Schnauzer ist erkältet. Trotzdem wird er gleich im Bürgerhaus vor Publikum
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sprechen. Denn es gibt Menschen, denen die Kälte noch mehr zu schaffen macht als
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ihm. Menschen, die im Jahr 2015 nach Deutschland flüchten und hier auf eine
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Zukunft für sich und ihre Familie hoffen. Walter ist CDU-Politiker, muss als
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Regierungspräsident von Kassel, aber vor allem unabhängig von seiner Partei Menschen
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in seinem Regierungsbezirk zusammenführen. Und das ist in diesen Tagen nicht immer
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einfach. Im Oktober 2015 ist es gerade einmal ein paar Wochen her, dass die damalige
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Kanzlerin Angela Merkel den Satz, wir schaffen das, in Bezug auf die stark gestiegene Zahl der
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Asylsuchenden auf der Bundespressekonferenz gesagt hat. Deutschland sei stark genug, um
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Geflüchtete aufzunehmen. Doch der Ansicht sind nicht alle. Kritik kommt vor allem auch aus
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den eigenen Reihen. 34 CDU-PolitikerInnen, darunter BürgermeisterInnen, Kreisverstände und
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Landtagsabgeordnete, schreiben einen Brandbrief an die Kanzlerin, in dem sie ihre Politik der
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offenen Grenzen kritisieren. Sie sei nicht mit dem Programm der CDU in Einklang zu bringen.
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Walter Lübcke steht der Herausforderung der sogenannten Flüchtlingskrise pragmatischer
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gegenüber. Und das wird er auch heute wieder zeigen, als er in Lofelden auf der Bühne steht,
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um über Geflüchtetenunterkünfte zu informieren. Walter möchte den Menschen, die in Nordhessen
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ankommen, helfen. Nur die Infrastruktur drumherum kann er nicht allein stemmen. Er braucht ehrenamtliche
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und freiwillige UnterstützerInnen, deshalb will er die BürgerInnen von vornherein mit einbeziehen.
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Im schwarzen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte steht Walter deswegen heute in Lofelden auf der Bühne.
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Hinter ihm wirft eine PowerPoint-Präsentation die wichtigsten Stichpunkte an die Wand. Vor ihm,
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auf dem Podium steht ein Glas Wasser für seine kratzige Stimme, die jetzt mithilfe eines Mikrofons
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den ganzen Raum erfüllt. Mehr als 800 Menschen hören zu, als er erklärt, dass ein leerstehender
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Baumarkt zur Notunterkunft für Geflüchtete umgebaut wird. Viele sind heute Abend hierhergekommen,
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um ihre Unterstützung anzubieten. Nur in der ersten Reihe wird lautstark protestiert. Walter weiß,
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wer da vor ihm sitzt. Es sind etwa zehn Mitglieder der Organisation Kargida, kurz für Kassel gegen
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die Islamisierung des Abendlandes. Ein Ableger der Organisation Pegida, die wiederum später vom
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Verfassungsschutz Sachsen als erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft wird. Die Leute, die sich heute
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im Saal durch laute Rufe hervortun, sehen in Weiters Vorhaben nicht etwa Solidarität, sondern eine
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vermeintliche Bedrohung ihres Lebensraums. Ihrem Ärger machen sie Luft, indem sie Walter immer wieder mit
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Spott und Hetze unterbrechen. Scheiß Staat und scheiß Regierung, hört man sie immer wieder rufen.
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Erst geht Walter nicht darauf ein, aber dann kann er nicht mehr anders. Ruhig und doch bestimmt, wie wir
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einer Aufzeichnung der Veranstaltung entnehmen können, sagt er folgende Worte ins Mikrofon.
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Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten und wenn diese Werte nicht
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vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.
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Walters Ansage kommt für die meisten im Saal überraschend. Viele Lachen verlegen, einige
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klatschen, am lautesten sind aber die Rufe aus dem rechten Spektrum. Sie buhen ihn aus. Jemand
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ruft Pfui und verschwinde. In dem Moment, als die Worte Walters Lippen verlassen haben, weiß er,
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dass seine Aussage polarisieren wird. Was er nicht weiß, ist, dass die wenigen Sätze, die er gerade
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gesagt hat, sein Leben und das seiner Liebsten völlig verändern werden. Nach der Informationsveranstaltung
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ist Walter verunsichert. War das jetzt irgendwie daneben? Fragt er seinen Pressesprecher. Der
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verneint. Trotzdem weiß Walter, der sonst so ruhige und freundliche Mann mit den weichen
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Gesichtszügen, dass dieser Abend Konsequenzen haben wird. Und die lassen nicht lange auf sich
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warten. Nur wenig später finden die ersten Beleidigungen und Morddrungen zu ihm. Sie beziehen
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sich auf ein Video, das kurz nach der Veranstaltung online gegangen ist. Jemand aus den hinteren Reihen
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hat gefilmt, was er gesagt hat. Was auf dem Video aber nicht zu hören ist, ist, dass
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Walters Aussage eine Antwort an die Quirulanten in der ersten Reihe war. Auf der Aufnahme, die
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im Netz kusiert, hört es sich allerdings so an, als würde er allen, die der Unterbringung von
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Geflüchteten skeptisch gegenüberstehen, nahelegen, Deutschland zu verlassen. Und das macht viele
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wütend. Walter ist das Feedback mittlerweile gewohnt. Ihn selbst kümmert es nicht so sehr. Anders sieht
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das aus, wenn er an seine Familie denkt. Walter ist mittlerweile 40 Jahre verheiratet mit
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Henrike und hat zwei erwachsene Söhne mit ihr, Franz und Konstantin. Das Paar hat die Söhne in einem
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großen, dreistöckigen Wohnhaus am Stadtrand von einem kleinen Ort 30 Minuten von Kassel entfernt,
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umgeben von Landwirtschaft und Pferdekoppeln großgezogen. Im Frühling pflanzt Walter Gemüse
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im eigenen Garten an. An warmen Sommerabenden setzt er sich gern auf seinen Lieblingsplatz auf
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der Terrasse, von wo aus er die Straße beobachten kann. Hier kann er runterkommen und die Arbeit
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vergessen. An manchen Tagen, wie heute, ist das dringend notwendig. Als Regierungspräsident von
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Kassel ist Walter der Chef von 1300 Mitarbeitenden und seitdem sich ab Sommer 2015 abzeichnet,
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wie viele Menschen nach Deutschland flüchten, ist seine Arbeit nicht einfacher geworden. Die
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Umstände erfordern zeitnahe Lösungen und so lässt Walter damals auf einem stillgelegten
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Flughafengelände bei Kassel das erste Zeltlager für Geflüchtete in Nordhessen errichten. Viele
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KollegInnen schätzen Walter dafür, dass er anpackt. Er ist ein Macher. Anderen ist genau das ein Dorn im
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Auge. Und jene versammeln sich vor allem jetzt nach der Informationsveranstaltung in der
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Kommentarspalte unter dem YouTube-Video, was von Walters Rede hochgeladen wurde. Unzählige
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hetzerische Kommentare lassen sich dort finden. Und auch Walters E-Mail-Fach läuft voll. In wenigen
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Stunden gehen 350 Drohmails ein. Walter Lübcke ist übrigens nicht der einzige Lokalpolitiker,
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der wegen seiner Haltung zu Geflüchteten ab dem Jahr 2015 Anfeindungen und Hetze ausgesetzt ist.
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2019 führte das Magazin Kommunal für eine ARD-Produktion Befragungen unter 1055 deutschen
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BürgermeisterInnen durch. Und das Ergebnis zeigt, dass seit 2015, also seit der sogenannten
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Flüchtlingskrise, Mitarbeitende, Gemeinderäte oder BürgermeisterInnen von 900 Städten und Kommunen
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körperlich angegriffen wurden. Außerdem hat jeder fünfte Befragte schon Hass-E-Mails bekommen
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oder wurde Opfer von Einschüchterungsversuchen. Und gut ein Viertel der BürgermeisterInnen wurde
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vorrangig in sozialen Medien beschimpft oder beleidigt. Nun könnte man ja meinen, dass das nicht nur mit der
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Geflüchtetenpolitik der Personen zu tun hat. Laut der Umfrage ließen sich 2019 aber 41 Prozent der
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Beschimpfung genau darauf zurückführen.
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Ja, und das darf man halt auch nicht vergessen, dass das an den Leuten nicht spurlos vorbeigeht, auch wenn das jetzt nur im Netz geschrieben wird.
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Bei Walter sind die Kommentare damals auch wirklich grauenhaft. Also ein User schreibt zum Beispiel, in anderen Ländern wäre er nicht mehr lebend aus dem Land gekommen und ein anderer Geigen aufstellen.
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Noch in derselben Nacht organisiert die Polizei einen Personenschutz für Walter und seine Familie. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich das Video in den kommenden Tagen in sozialen und vor allem in rechten Netzwerken.
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Und das, obwohl Walter bereits am Tag nach der Informationsveranstaltung öffentlich bekannt gibt, einen Fehler gemacht zu haben, in dem er nicht klar machte, dass sich die Aussage nur auf die paar Menschen bezog, die ihn in der ersten Reihe durchweg provozierten.
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Doch die Stellungnahme schlägt keine so großen Wellen wie das Video vom Vorabend.
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Fünf Tage nach der BürgerInnenversammlung in Lohfelden wird Walters Aussage auf der Bühne des Pegida-Jahrestages wiederholt und erneut aus dem Kontext gerissen.
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Und das regt mich auch auf an dieser ganzen Sache, weil aus diesen Reihen, die das jetzt so benutzen, kommt ja auch immer dieser Lügenpressevorwurf.
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Dabei sind die jetzt hier diejenigen, die Sachen aus dem Kontext reißen und sich das sozusagen so für sich auslegen, damit sie ihre Message verbreiten können.
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Ja, und weil das für sie natürlich dann ins Narrativ reinspielt, weil für dieses rechte Spektrum, was da jetzt gegen Walter schießt, gilt die Erzählung von der vermeintlichen Islamisierung von Deutschland.
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Und so eine Aussage spielt denen jetzt natürlich in die Karten, die Panik verbreiten mit diesem Märchen von, die da kommen hier in unser Land und wir sollen dann gehen.
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Knapp vier Jahre später, Sommer 2019.
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Noch immer fliehen Menschen aus ihren Heimatländern, doch das Thema ist in den Köpfen der Deutschen weiter in den Hintergrund gerückt.
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Grund dafür ist beispielsweise die Schließung der Balkanroute, was es Geflüchteten jetzt schwer macht, überhaupt bis nach Deutschland zu kommen.
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So hat sich die hitzige Stimmung in Deutschland genau wie weit das Arbeitsalltag beruhigt.
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Im Postfach des Politikers gehen heute keine Drohmails mehr ein.
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Vor wenigen Tagen hat er sein zehnjähriges Dienstjubiläum als Regierungspräsident gefeiert.
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Er ist mittlerweile 65 Jahre alt und möchte noch ein halbes Jahr länger im Amt bleiben, bevor er in seinen wohlverdienten Ruhestand geht.
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Walter freut sich jetzt schon darauf, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, denn seit kurzem ist er nicht mehr nur Vater, sondern auch stolzer Opa.
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Heute, am 1. Juni 2019, steht ein ganz besonderer Tag für Walter und Henrike an.
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Hannes, ihr Enkel, soll zum ersten Mal bei ihnen übernachten.
00:14:15
Sein Papa Franz, Walters und Henrikes ältester Sohn, ist zwar nicht weit weg, er wohnt im Haus nebenan.
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Trotzdem wollen die frischgebackenen Großeltern unbedingt alles richtig machen, sodass der Einjährige keinen Heimweg kriegt und in Zukunft auch wieder zu Oma und Opa zum Schlafen kommen mag.
00:14:30
Draußen ist ein schöner Sommertag und im Ortskern wird die alljährliche Weizenkirmes gefeiert.
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Fast alle der 800 EinwohnerInnen sind auf den Beinen.
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Die Musik vom Volksfest hört man auch am Ortsrand noch, dort, wo das Haus der Lübckes steht.
00:14:43
Die Großeltern bleiben an diesem Tag zu Hause, pflegen den Gemüsegarten und spielen mit ihrem Enkelkind.
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Später kommt noch ein befreundeter Pfarrer vorbei.
00:14:52
Sie sitzen auf der großzügigen Terrasse, bis in die Abendstunden wird viel gelacht, denn draußen ist es warm und es bleibt lange hell.
00:14:58
Der Tag könnte ewig so weitergehen, nur Hannes muss irgendwann schlafen.
00:15:02
Ich lege mich zu dem Kleinen ins Bett, sagt Henrike zu Walter.
00:15:05
Er möchte den Tag noch ausklingen lassen, noch ein bisschen draußen sitzen und in der lauen Sommernacht eine Zigarette rauchen.
00:15:12
Er sagt seiner Frau, dass er sich noch einmal auf die Terrasse setzt.
00:15:14
Sie wünschen sich eine gute Nacht.
00:15:16
Dann nimmt Walter im karierten Kurzarmhemd und grauer Latzhose Platz auf seinem Lieblingsstuhl vor dem Haus, mit Blick über seinen Vorgarten auf die Straße.
00:15:25
Wegen der Walzenkirmes parken dort heute viele Autos.
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Auch jetzt brummt noch der Bass der Livemusik vom Volksfest in der Ferne.
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Walter schaltet sein Tablet ein und informiert sich über den Kurzurlaub in der Rhön, in dem er am morgigen Sonntag gemeinsam mit Henrike aufbrechen möchte.
00:15:39
So sitzt er noch lange draußen.
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Um ihn ist es inzwischen dunkel geworden.
00:15:43
Sein Gesicht wird nur noch vom Display des Tablets beleuchtet, als er sich nach 23 Uhr noch eine Zigarette anzündet.
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Er zieht an ihr, als plötzlich ein lauter Knall ertönt.
00:15:54
Um 0.30 Uhr wird Henrike wach.
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An ihrem Bett steht ihr jüngster Sohn Konstantin, der mit seiner Frau im oberen Stockwerk des Hauses wohnt und bis eben ebenfalls auf dem Volksfest unterwegs war.
00:16:04
Er bittet Henrike dringlich, mitzukommen.
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Henrike ahnt sofort, dass etwas nicht stimmt.
00:16:09
Als sie auf die Terrasse tritt, eröffnet sich ihr ein grauenvoller Anblick.
00:16:13
Walter liegt auf dem Boden, neben seinem Körper ist Blut.
00:16:17
Während die eintreffenden Rettungskräfte versuchen, ihren Ehemann wiederzubeleben, läuft die rote Flüssigkeit aus seinem Mund und seiner Nase.
00:16:24
Je länger die SanitäterInnen ihn reanimieren, desto mehr schwillt auch sein Gesicht an.
00:16:29
Konstantin erklärt seiner aufgelösten Mutter, dass er Walter im Gartenstuhl sitzend gefunden hatte, als er von der Kirmes kam.
00:16:35
Sein Kopf war in den Nacken gefallen, sein Mund stand offen, die erloschene Zigarette klemmte noch zwischen zwei Fingern.
00:16:41
Konstantin sagt, dass er zuerst einen Herzinfarkt vermutet hat.
00:16:44
Zu keinem Zeitpunkt vermuten Henrike und ihre Söhne, was ihnen die ÄrztInnen zwei Stunden später im Krankenhaus sagen.
00:16:51
Walter ist tot und Schuld daran ist nicht etwa sein Herz.
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Ein hinzugerufener Beamter der Kriminalpolizei wird deutlicher.
00:16:58
In Walters Kopf steckt ein Gegenstand.
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Erst später erfährt Henrike, dass es sich dabei um eine Kugel handelt.
00:17:03
Walter wurde auf seinem Lieblingsplatz unmittelbar vor seinem eigenen Haus erschossen.
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Henrike versteht die Welt nicht mehr.
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Sie hat doch nur ein Stockwerk weiter oben geschlafen.
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Neben ihr der kleine Hannes.
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Im Obergeschoss des Hauses saß Konstantins Frau.
00:17:18
Sie ist Lehrerin und hat bis spät in die Nacht Klassenarbeiten korrigiert.
00:17:21
Niemand hat jemanden kommen sehen und vor allem niemand hat einen Schuss gehört.
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Nicht einmal die Wunde, die die Kugel im Kopf ihres Mannes hinterlassen hat, ist auf den ersten Blick erkennbar.
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Und trotzdem soll Walter so plötzlich aus dem Leben gerissen worden sein?
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Und vor allem warum?
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Die Kriminalpolizei stellt dieselben Fragen und bald schon liegt eine Vermutung nahe.
00:17:44
Kann Walters gewaltsamer Tod etwas mit den Morddrohungen von vor vier Jahren zu tun haben?
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Das ist jedenfalls der einzige Anhaltspunkt der Ermittelnden, die sich nun auf die rechte Szene in Kassel fokussieren.
00:17:55
Dabei ist der entscheidende Hinweis näher, als sie denken.
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Bei kriminaltechnischen Untersuchungen entdecken die ErmittlerInnen eine einzelne Hautschuppe auf Walters Kurzarmhemd, die nicht dem Opfer zugeordnet werden kann.
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Hoffnungsvoll jagen die BeamtInnen die gesicherte DNA durch die Datenbank und tatsächlich, die Suche ergibt sofort einen Treffer.
00:18:14
Die Schuppe stammt von einem Mann namens Stefan E.
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Das Profil des 46-Jährigen ist beim Landeskriminalamt gespeichert, weil er bereits mehrmals wegen Taten mit rechtsradikalem Motiv verurteilt wurde.
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Darunter mehrere, zum Teil gefährliche Körperverletzungen und versuchter Totschlag.
00:18:30
1992 hat er einen türkischen Mann lebensgefährlich mit einem Messer verletzt.
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Einige Jahre lang wird Stefan sogar vom hessischen Verfassungsschutz beobachtet.
00:18:38
Die Recherchen ergeben, er ist in der Neonazi-Szene rund um Kassel gut vernetzt, war einige Zeit Mitglied der NPD,
00:18:45
pflegte Verbindungen zum NSU-Umfeld und zu neonazistischen Organisationen und nahm jahrelang an Demonstrationen von Rechtsradikalen und Nazi-Aufmärschen in ganz Deutschland teil.
00:18:55
Nach 2009 wird es ruhig um ihn.
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Laut dem Verfassungsschutz gibt es bis zur Tat keine Vorkommnisse mehr in Stefans Akte.
00:19:03
Im Fachjargon sagt man, er sei abgekühlt.
00:19:06
Die Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass keine akute Gefahr mehr von ihm ausgeht.
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Dass dem nicht so ist und Stefan sich spätestens ab 2015 wieder radikalisiert, wird erst später klar.
00:19:17
Doch in der Zwischenzeit heiratet er und lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in einem Stadtteil von Kassel.
00:19:24
Trotz Radikalisierung würde er dieses Leben aufs Spiel setzen, um jemanden zu töten, den er nicht einmal kennt.
00:19:30
Wenn es so wäre, dann wäre es tatsächlich der erste Mord an einem Politiker mit rechtsradikalem Hintergrund seit 1945.
00:19:37
Schwere Körperverletzungen und versuchte Morde gab es aber auch schon vorher.
00:19:41
Wie zum Beispiel der Fall Henriette Reker zeigt.
00:19:44
Ich weiß nicht, ob sich hier alle an den erinnern, aber Reker will 2015 Oberbürgermeisterin in Köln werden.
00:19:50
Und anlässlich ihres Wahlkampfes ist die damals 58-Jährige im Oktober 2015 auf einem Wochenmarkt und verteilt da Rosen.
00:19:57
Ein Mann fragt sie dann auch ganz freundlich, ob er auch eine Rose haben könnte.
00:20:02
Und als sie ihm die Blume gibt, zückt der aber ein 30 Zentimeter langes Jagdmesser und stößt es ihr in den Hals.
00:20:09
Die Politikerin wird dann mit durchtrennter Luftröhre ins Krankenhaus eingeliefert.
00:20:13
Sie liegt im künstlichen Koma, als sie am nächsten Tag die Wahl zur Oberbürgermeisterin gewinnt.
00:20:20
Das Messer hat die Halsschlagader verfehlt.
00:20:22
Als Reker dann aus dem Koma erwacht, hat sie nicht nur einen neuen Job vor sich, sondern auch einen Prozess.
00:20:28
Und dort wird schnell klar, warum der Mann sie angegriffen hat.
00:20:32
Der Angreifer hat einen rechtsradikalen Hintergrund, mehrere Vorstrafen und Probleme mit Rekers Asylpolitik.
00:20:38
Vor ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin war sie beim Dezernat für Soziales, Integration und Umwelt der Stadt Köln beschäftigt.
00:20:46
Als der Stadt 2015 4.500 Geflüchtete zugewiesen wurden, hat sich Reker um Lösungen und Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen bemüht.
00:20:54
Dem 44-jährigen Attentäter war das ein Dorn im Auge.
00:20:58
Er griff sie an, um ein Zeichen gegen die Willkommenspolitik zu setzen.
00:21:02
Und er wird dann vor Gericht wegen versuchten Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt.
00:21:07
Gute zwei Jahre nach dem Attentat auf Henriette Reker kommt es in Altena in Nordrhein-Westfalen zu einem ganz ähnlichen Angriff.
00:21:14
Ein betrunkener Mann, verletzt in einer Dönerbude den damaligen CDU-Bürgermeister der Stadt, Andreas Holstein.
00:21:20
Während der Typ ein Messer an Holsteins Hals hält, beschwert er sich lautstark über dessen Asylpolitik.
00:21:27
Der Inhaber des Dönerimbisses und sein Sohn können Holstein aber dann zum Glück zur Hilfe kommen.
00:21:31
Und der kommt dann nur auch mit leichten Verletzungen ins Krankenhaus und wird abends wieder entlassen.
00:21:37
Das Landgericht Hagen verurteilte den Täter dann wegen einer gefährlicher Körperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren.
00:21:44
Das sind jetzt natürlich zwei krasse Beispiele, die beide aus dem rechten Milieu kommen.
00:21:48
Und natürlich gibt es in Deutschland aber auch linksmotivierte Kriminalität gegen PolitikerInnen.
00:21:52
Einmal vielleicht zur Einordnung von knapp 2600 Straftaten, die im Jahr 2020 gegen Amts- und MandatsträgerInnen der Bundesrepublik gemeldet wurden,
00:22:02
konnten mehr als 900 Delikte dem rechten Lager zugeordnet werden.
00:22:06
370 Straftaten waren linksradikal motiviert.
00:22:09
Die anderen konnten nicht so richtig zugeordnet werden.
00:22:12
Bei diesen 2600 Taten handelt es sich aber vor allem um Beleidigungen, Drohungen oder Vandalismus.
00:22:18
Laut der Statistik vom Bundesinnenministerium wurden in Anführungsstrichen nur 78 Gewaltdelikte gemeldet,
00:22:26
darunter 17 Körperverletzungen und einen Tötungsversuch.
00:22:29
Auch in Kassel deutet inzwischen alles darauf hin, dass Walter wirklich wegen seiner geflüchteten Politik sterben musste.
00:22:34
Eine Zeugin kann sich daran erinnern, dass sie einen silbernen VW-Caddy, wie Stefan ihn fährt, in der Tatnacht vor Walter's Haus gesehen hat.
00:22:43
Außerdem kann er als Verfasser von Dutzenden Hasskommentaren und Drohungen gegen Walter identifiziert werden.
00:22:48
Als BeamtInnen des LKA sein Haus durchsuchen, finden sie sieben Schusswaffen und 1700 Schuss Munition,
00:22:55
sowie ein Messer, das als Tatwaffe für ein bislang ungeklärtes Attentat aus dem Jahr 2016 in Frage kommt.
00:23:01
Damals wird Emad A., ein Geflüchteter aus dem Irak, vor der Asylunterkunft in Lofelden, die Walter mit aufgebaut hat, schwer verletzt.
00:23:09
Ist Stefan etwa auch dafür verantwortlich?
00:23:12
Die Polizei hat jedenfalls genug Indizien, um ihn Mitte Juni zwei Wochen nach dem Tod von Walter festzunehmen.
00:23:18
Seine Verhaftung löst in ganz Deutschland eine medienwirksame Diskussion über rechten Terror aus, die von vielen Fragen begleitet wird.
00:23:26
Fragen, die Stefan eine Woche später selbst beantwortet.
00:23:29
Aus eigenem Willen und ohne Anwalt an seiner Seite legt der schlanke, unscheinbare Mann mit dem blonden kurzen Haar
00:23:35
am 25. Juni im Polizeipräsidium in Kassel ein Geständnis ab.
00:23:39
Er trägt ein rotes T-Shirt und eine braune Jogginghose, als er zwei Polizisten erklärt, dass er Walter zum ersten Mal 2015 bei der BürgerInnenversammlung in Lofelden erlebt hat.
00:23:49
Stefan sitzt damals mit seinem Freund Markus H. in einer der hinteren Reihen, als Walter die Worte sagt, die später im Internet landen.
00:23:57
Es ist Stefans Freund Markus, der das Video aufnimmt und bei YouTube einstellt.
00:24:02
Und es ist genau diese Veranstaltung, die Stefans Hass auf Walter auslöst.
00:24:07
Der Politiker ist für ihn ein, Zitat, Volksverräter, der das deutsche Volk mit Ausländern austauschen möchte.
00:24:13
Stefan gesteht, Walter im Alleingang getötet zu haben, um ihn zu bestrafen.
00:24:18
Für Polizei und Medien ist klar, Stefan mag alleine geschossen haben, doch hinter der grausamen Tat, die sich offenbar vier Jahre lang angebahnt hat, steckt mehr als nur ein einzelner Mann.
00:24:28
PolitikerInnen und die Presse machen die Hetze im Netz für Walterstod mitverantwortlich.
00:24:33
Außerdem wird die Rolle der AfD im Zusammenhang mit Stefans Radikalisierung diskutiert.
00:24:37
Seit ihrem Aufstieg hatte er immer wieder Veranstaltungen der rechtspopulistischen Partei besucht und Spenden überwiesen.
00:24:44
Hat also das Umfeld der AfD etwas mit seiner Radikalisierung zu tun?
00:24:48
Darüber hinaus werden vielfach Vergleiche mit den Morden des NSU sowie mit den Attentaten, die auf Henriette Reker und Andreas Holstein verübt worden sind, gezogen.
00:24:57
Die sehen sich jetzt währenddessen wieder an Feindungen ausgesetzt.
00:25:02
In einer E-Mail an Reker und Holstein spricht ein anonymer Absender von einer Phase der Säuberung, die mit dem gewaltsamen Tod von Walter Lübcke eingeleitet worden sei.
00:25:11
Walter heißt es, ihm werden weitere folgen, unter anderem sie beide.
00:25:15
Gleichzeitig wird der Hass gegen Walter erneut entfacht.
00:25:18
Das Video, das damals in Lofelden gemacht wurde, wird wieder geteilt.
00:25:22
Die Drecksau hat den Gnadenschuss bekommen.
00:25:24
Respekt, schreibt jemand auf YouTube.
00:25:26
Eine widerliche Ratte weniger.
00:25:28
Fehlen noch die anderen, wird in der Kommentarspalte ergänzt.
00:25:32
Und das ist was, das erleben doch ja recht viele PolitikerInnen, gerade wenn sie sich im Internet bewegen.
00:25:38
Und da gab es ja diesen einen sehr bekannten Fall von Renate Kühnast von den Grünen.
00:25:44
Die wurde in den sozialen Medien und zwar vorrangig auf Facebook aufs Übelste beleidigt und zum Beispiel als Stück Scheiße bezeichnet.
00:25:52
Sie ist dann gerichtlich gegen die Kommentare bzw. gegen Facebook vorgegangen, weil ihre Forderung war, Facebook soll die Daten der Nutzer rausgeben.
00:26:00
Erinnerst du dich noch daran?
00:26:02
Und sie wollte das natürlich machen, damit sie gegen die VerfasserInnen vorgehen kann.
00:26:06
Denn wir erleben das alle.
00:26:07
Im Internet benehmen sich Leute, als wäre das eine andere Welt und als würden da am anderen Ende keine normalen Personen sitzen.
00:26:14
Wir möchten natürlich immer, dass sich Leute im Internet so verhalten, wie als wenn die uns auf der Straße ansprechen würden.
00:26:21
Und da würde man ja vielleicht dann auch jemanden wegen Beleidigungen oder was weiß ich für Übergriffigkeiten anzeigen.
00:26:28
Und das hatte eben auch Renate Kühnast vor.
00:26:30
Und das Landgericht Berlin stuft damals aber nur zwölf von 22 Kommentaren als strafbare Beleidigung ein und urteilt dann auch, dass Kühnast als Politikerin solche Bezeichnungen hinnehmen müsse, weil Stück Scheiße und Geisteskranke als zulässige Meinungsäußerungen eingestuft werden.
00:26:51
Und die hatten sogar das Wort Drecks durchgehen lassen.
00:26:58
Weil die Kommentare einen Sachbezug hätten und damit seien sie halt von der Meinungsfreiheit gedeckt.
00:27:03
Argumentierte das Landgericht.
00:27:05
Aber dieser Sachbezug, der war voll aus dem Kontext gerissen, weil das, was ihr da angelastet wurde, das war ein Fehlzitat.
00:27:12
Also das hat sie so nie gesagt und auch in einem anderen Kontext, bla bla bla.
00:27:16
Und das Gericht hat das dann auch später korrigiert.
00:27:19
Die Daten hat Kühnast dann aber trotzdem nicht bekommen.
00:27:22
Und dann ist sie schließlich vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gezogen und hatte dann damit auch Erfolg, weil im Februar 2022 hat das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung aus Berlin aufgehoben.
00:27:33
Und im November vergangenen Jahres hat Kühnast nun in allen Punkten recht bekommen und kann jetzt gegen die VerfasserInnen vorgehen.
00:27:42
Gut, also dass es jetzt endlich dazu kommt.
00:27:45
Ich hoffe wirklich, dass am Ende dieser Anzeigen dann auch ein Urteil steht und irgendeine Form von Bestrafung für diese Menschen, damit man da auch ein bisschen Exempel statuiert, dass man so einfach nicht mit Menschen umgehen kann, auch wenn es im Internet ist und auch wenn die Person eine Politikerin ist.
00:28:04
Wie würdest du das denn finden, wenn man sich pro Netzwerk nur mit einem Profil anmelden darf und dafür muss man sich vorher mit seinem Ausweis identifizieren und dann kann man nicht mehrere Profile und Trollprofile oder so erstellen?
00:28:19
Also ich persönlich hätte nichts dagegen, wenn ich das so machen müsste, wenn ich meinen Ausweis angeben müsste und so weiter.
00:28:26
Man weiß ja auch von ganz vielen Menschen, die das eben ganz hoch halten, diese Anonymität und dass man im Internet sozusagen ja auch irgendwie sein kann, wer man möchte.
00:28:36
Das Ding ist halt nur, wenn man dann ist, wer man möchte und dann halt ein Arschloch ist, der Leute beleidigt, dann denke ich mir natürlich, dann wäre das vielleicht besser.
00:28:47
Ja, also zumindest, solange es keine normale Internetpolizei gibt, vielleicht wird das ja auch irgendwann durch KI besser möglich.
00:28:57
Also nicht, dass ich je Vertrauen in Menschen gehabt hätte, aber wenn ich mir angucke, also erstmal, was wir manchmal geschickt bekommen, sei mal dahingestellt, ne.
00:29:05
Aber was sich wirklich PolitikerInnen da anhören müssen, das finde ich wirklich so bedenklich und deswegen finde ich das total wichtig, dass dieses Urteil jetzt gefällt worden ist.
00:29:18
Und im Fall von Walter muss man sich jetzt auch einfach nur nochmal vor Augen rufen, er ist schon getötet worden und der mutmaßliche Täter wird im Internet auch noch unterstützt.
00:29:28
Und das liest die Familie und die hat halt gerade ihren geliebten Ehemann, Vater, Großvater verloren und muss sich jetzt damit auch noch auseinandersetzen, ja.
00:29:38
Obwohl sie Walter ja so vermissen, der plötzlich aus dem Leben gerissen wurde.
00:29:43
Der kleine Hannes kann noch nicht begreifen, warum sein Opa plötzlich nicht mehr da ist.
00:29:47
Weil das zweites Enkelkind, das die Frau von Konstantin im Moment unter ihrem Herzen trägt, wird seinen Großvater nie kennenlernen.
00:29:54
Einer, der von vielen geliebt und geschätzt wurde.
00:29:57
Die Anteilnahme an seinem Tod ist riesig.
00:30:00
Zu seiner Trauerfeier in der Kasseler Martinskirche erscheinen 2000 Menschen, darunter Familie, FreundInnen und KollegInnen.
00:30:07
Sie nehmen unter einem imposanten weißen Gewölbe Platz.
00:30:10
Das Licht fällt durch bunte Glasfenster ans Kirchenschiff.
00:30:13
An der Rückwand thronen die zahlreichen Pfeifen einer Orgel.
00:30:17
Vorne im Raum steht Walters Sarg.
00:30:19
Darüber liegt eine große Flagge des Landes Hessen.
00:30:22
Das Bundesland, in dem er sein ganzes Leben lang gewirkt hat.
00:30:25
Um den Sarg herum breitet sich ein Meer aus Blumen und Kerzen aus.
00:30:28
Darin steht ein schwarz-weißes Bild von Walter.
00:30:31
Henrike Franz und Konstantin haben für ihren Ehemann und Vater ein großes Herz aus Efeu, Moos und weißen Rosen anfertigen lassen.
00:30:39
Daran hängt eine Trauerschleife mit der Innschrift, deine Liebe bleibt und unsere Liebe nimmst du mit.
00:30:45
Als Henriques älterer Sohn Franz im schwarzen Anzug ans steinerne Podium tritt, hat er passende Worte für seinen Vater vorbereitet.
00:30:52
Seine Stimme zittert, als er sagt, wir spüren, dass du bei uns bist und uns unterstützt, jetzt stark zu sein.
00:30:58
Wir wollen versuchen, nicht die Liebe am Leben zu verlieren.
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Denn gerade diese Liebe am Leben hat dich immer so unbändig stark gemacht.
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Und stark müssen Henrike und ihre Söhne auch in den kommenden Monaten bleiben.
00:31:09
Denn das bisschen Klarheit, das Stephans Geständnis bei der Polizei der Familie Lübcke gebracht hat, wird ihnen nur wenige Wochen später schon wieder genommen.
00:31:17
Der mutmaßliche Täter hat einen neuen Anwalt verpflichtet und zieht nun alles, was er bisher gesagt hat, zurück.
00:31:24
Es vergeht ein halbes Jahr, bis er die Tat zum zweiten Mal gesteht.
00:31:27
Nur ist diesmal einiges anders.
00:31:29
Henrike erfährt, dass der Mann nun nicht mehr allein gehandelt haben will.
00:31:32
Sein Freund Markus, der auch das Video von Walter online gestellt hat, soll in der verhängnisvollen Sommernacht ebenfalls auf der Terrasse gewesen sein.
00:31:39
Dem neuen Geständnis zufolge ist es sogar zu einem Wortwechsel zwischen den Tätern und Walter gekommen.
00:31:45
Walter wollte offenbar aus seinem Stuhl aufstehen, als sich versehentlich ein Schuss aus der Waffe gelöst haben soll, die nicht Stephan, sondern jetzt auf einmal Markus gehalten haben soll.
00:31:54
Das erste Geständnis habe er so abgelegt, weil sein damaliger Verteidiger ihm dazu geraten habe.
00:32:00
Der Anwalt, der als rechtsextremer Szeneanwalt gilt, soll ihm dafür versprochen haben, dass man sich dafür um Stephan E.s Familie kümmern werde, wenn er im Gefängnis sitzt.
00:32:08
Eine Behauptung, die nicht bewiesen werden kann.
00:32:11
So oder so würde diese Tatversion eine mögliche Verurteilung gegen Stephan E. wegen Mordes vom Tisch fegen.
00:32:18
Henrike weiß nicht mehr, was sie noch glauben kann.
00:32:21
Alles, was sie von der Nacht weiß, in der ihr Ehemann erschossen wurde, beruht auf verschiedenen Aussagen eines Neonazis, die nun auch noch voneinander abweichen.
00:32:29
Wie soll man jemandem vertrauen, der sich mindestens eines seiner Geständnisse nur ausgedacht hat?
00:32:34
Hat Walter einen oder sogar zwei Angreifer kommen sehen?
00:32:38
Wollte er sich vielleicht sogar wehren?
00:32:39
Die Fragen muss Henrike mit in den Prozess nehmen, der am 16. Juni 2020, ein gutes Jahr nach Walter's gewaltsamen Tod, vor dem Landgericht Frankfurt startet.
00:32:48
Das Medieninteresse ist riesig und aus Pandemieschutzgründen kann der größte Verhandlungssaal im Gericht nicht vollbesetzt werden.
00:32:55
Einige JournalistInnen stehen stundenlang in einer Schlange an, um einen der wenigen Plätze im Saal zu ergattern.
00:33:00
Für Henrike und ihre Söhne sind währenddessen drei Stühle reserviert.
00:33:04
Denn auch wenn es ihnen sichtlich schwerfällt, dem Mann gegenüber zu sitzen, der weiter auf dem Gewissen haben soll, haben sie die Nebenklage im Prozess angenommen.
00:33:12
Auch beim Prozessauftakt dabei und bei den nachfolgenden Verhandlungstagen ist unser Experte Journalist Felix Zimmermann.
00:33:19
Er ist heute Chefredakteur vom Rechtsmagazin Legal Tribune Online und damals für die Berichterstattung im Auftrag des ZDF vor Ort.
00:33:26
Felix Zimmermann erinnert sich noch genau, wie Familie Lübcke dem Täter gegenüberstand.
00:33:31
Die haben einen wirklich beeindruckenden Eindruck gemacht.
00:33:34
Die standen dort kerzengerade und haben alle drei direkt Stefan E. in die Augen geschaut.
00:33:43
Und die haben wirklich signalisiert, wir wollen die Wahrheit wissen.
00:33:47
Sehr gefasst, natürlich sehr ernst.
00:33:49
Und es war ja auch so, dass fast immer sämtliche Familienmitglieder beim Prozess anwesend waren, fast alle Verhandlungstage.
00:33:59
Henrike, die neben ihren Söhnen klein und fast zierlich wirkt, möchte für Walter kämpfen, so wie er es immer gemacht hat.
00:34:05
Hass und Ausgrenzung waren ihm fremd und in diesem Geist wollen auch wir dafür einstehen, dass Hass und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellschaft haben, sagt sie der Presse.
00:34:14
Weil es sich um ein Verbrechen mit rechtsterroristischem Hintergrund handelt, erhebt am ersten Prozesstag nicht etwa die Staatsanwaltschaft, sondern die Bundesanwaltschaft, also die Strafverfolgung für den Schutz des Staates, Anklage.
00:34:26
Und zwar nicht nur gegen Stefan, sondern auch gegen seinen Kumpel Markus H., derselbe Mann, der 2015 das Video von Walter ins Netz gestellt hat.
00:34:34
Zudem war die Tatwaffe auf Markus' Namen registriert.
00:34:37
Und laut Anklageschrift soll Markus eine psychische Beihilfe zum Mord geleistet haben, indem er Stefan in seinem Vorhaben, Walter zu töten, bestärkt hat.
00:34:46
Kurz zur Einordnung. Wer Beihilfe zu einer Straftat leistet, macht sich nach § 27, das ist der GB, strafbar.
00:34:53
Dabei muss die Person aber nicht zwingend bei der Tat dabei gewesen sein und zum Beispiel während eines Raubüberfalls an der Tür schmierig stehen oder sowas.
00:35:02
Neben der physischen Beihilfe gibt es nämlich eben auch die psychische.
00:35:05
Das bedeutet, dass man Hilfe leistet, indem man den Täter oder die Täterin in seinem oder ihrem Tatvorhaben bekräftigt, ermuntert oder Hilfe nach der Tat zusagt.
00:35:16
Also beispielsweise, ich will jemanden erschießen und erzähle dir davon.
00:35:20
Ich habe aber Angst vor den Konsequenzen, also dass mich zum Beispiel vor der Tat dann doch der Mut verlässt oder dass mich die Polizei danach halt schnappt.
00:35:29
Und dann sagst du, ach Lauri, Quatsch, das schaffst du auf jeden Fall.
00:35:33
Und wenn du danach Angst hast, dann kommst du einfach zu mir und versteckst dich in meinem Schrank.
00:35:39
Dann stiftest du mich zwar nicht an, weil den Tatentschluss hatte ich ja schon vorher, aber du hilfst mir, indem du mich psychisch halt in meinem Entschluss bekräftigst.
00:35:48
Ja, und im Fall von Stefan E. und Markus H. war es nun so, dass die Bundesanwaltschaft von einer psychischen Beihilfe ausgegangen ist,
00:35:56
weil Stefan E. in seinem ersten Geständnis sagte, dass er gemeinsam mit Markus H. damals bei dieser Versammlung war und die beiden dann auch gesprochen hatten.
00:36:05
So nach dem Motto, da muss man mal was machen, da muss man mal was unternehmen.
00:36:09
Und Felix Zimmermann hat uns das nochmal genauer erklärt.
00:36:12
Hier und im ganz konkreten Fall war es eben so, dass die Staatsanwaltschaft gesagt hat, ja, die gemeinsamen Schießübungen hätten eben zur Bestärkung geführt,
00:36:21
dass man gemeinsam auf Demonstrationen gegangen ist und sich gemeinsam aufgeregt hat und so weiter.
00:36:26
Das hat dann aus Sicht des Generalbundesanwalts gereicht zu sagen, hier hat er ihn eben in dieser Tat bestärkt,
00:36:32
ohne allerdings, dass der Staatsanwaltschaft davon ausging, dass er konkret wusste,
00:36:38
dass Stefan E. die Ermordung von Walter Lübcke plant.
00:36:42
Es wurde also nur ein sogenannter Eventualvorsatz angenommen.
00:36:46
Das heißt, dass er es nur für möglich hielt, irgendeinen Regierungsvertreter zu töten.
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Stefan wiederum ist als Haupttäter wegen des heimtückischen Mordes aus sonstigen niedrigen Beweggründen an Walter Lübcke
00:36:58
und wegen des versuchten Mordes im Fall des Geflüchteten Emad A. angeklagt, der mit einem Messer attackiert wurde.
00:37:06
Die Bundesanwaltschaft stützt ihre Vorwürfe im Fall Walter auf Stefans erstes Geständnis,
00:37:11
laut dem er im Alleingang gehandelt haben will.
00:37:13
Sie hält die Aussage, die er inzwischen zurückgerufen hat, für glaubwürdig.
00:37:17
Deshalb soll das Video der Vernehmung schon am zweiten Prozesstag vor allen Anwesenden gezeigt werden.
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Henrike sitzt zum zweiten Mal in dem holzvertefelten Verhandlungssaal mit den blau bepolsterten Holzstühlen,
00:37:29
als eine Leinwand heruntergefahren wird.
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Heute soll das Video von Stefans erstem Geständnis in voller Länge vorgeführt werden.
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Also das ist ja schon ungewöhnlich, dass das Geständnis auf Video vorliegt und dann auch noch im Prozess gezeigt wird.
00:37:45
Weil in Deutschland wurde das früher ja eigentlich fast nie so gemacht.
00:37:50
Und in so gut wie allen Fällen, die wir hier bei Mordlust erzählt haben, war dem auch so.
00:37:54
Also da gab es natürlich schriftliche Protokolle.
00:37:56
Aber ob man halt eine Befragung oder so ein Geständnis auf Video festhält,
00:38:01
das konnten bis Ende 2019 die jeweiligen Polizeibeamtinnen entscheiden.
00:38:05
Und du meintest ja, dass das Geständnis schon kurz nach der Tat kam, oder?
00:38:10
Und eigentlich ist es eben erst seit 2020 so, dass die erste Vernehmung aufgezeichnet werden muss,
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wenn dem Ermittlungsverfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt.
00:38:22
Also 2020 hätten die Beamtinnen das dann in dem Fall sowieso machen müssen.
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2019 war das noch nicht Pflicht.
00:38:28
Aber es ist ja gut, dass die es haben.
00:38:31
Ja, da kommen wir gleich nochmal drauf zurück.
00:38:33
Dieses Video, das müssen sich Henrike und ihre zwei Söhne vier Stunden lang ansehen.
00:38:40
Und damit auch vier Stunden lang dem Mann zuhören,
00:38:42
der absurderweise neben einer Kinderspielecke auf dem Polizeirevier die Tat gesteht.
00:38:49
Heute aber im Gerichtssaal steht er nicht mehr zu dem, was er damals gesagt hat.
00:38:53
Dabei spricht er im Video flüssig und frei und geht mit seiner Erzählung bis ins kleinste Detail.
00:38:58
Außerdem decken sich die Ergebnisse der kriminaltechnischen Ermittlungen laut Bundesanwaltschaft
00:39:03
mit den Aussagen, die er in dem Video macht.
00:39:05
Also sie geht davon aus, dass Stefan damals bei der ersten Vernehmung,
00:39:09
die auf dem Video zu sehen ist, die Wahrheit sagt.
00:39:11
Um mehr über Stefan E.s Motivation zu erfahren, müssen wir mehr über ihn erfahren.
00:39:16
Stefan E. wird schon als Kind von seinem Vater geschlagen,
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wenn er mit dem türkischstämmigen Nachbarskind spielt.
00:39:22
Der Vater ist es auch, der ihm von klein auf rechtes Gedankengut mitgibt,
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das ihn bald zu Straftaten verleitet.
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Mit 15 versucht Stefan in seinem Heimatort bei Wiesbaden ein Haus im Rand zu setzen,
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in dem vorrangig türkischstämmige Menschen wohnen.
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Mit 19 sticht er auf der Toilette am Wiesbadener Hauptbahnhof von hinten
00:39:39
und anschließend von vorne auf einen türkischen Mann ein,
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der lebensgefährlich verletzt wird.
00:39:43
Noch im selben Jahr baut er eine Rohrbombe,
00:39:46
die er vor einer geflüchteten Unterkunft in Brand setzt.
00:39:48
Sie kann rechtzeitig entschärft werden.
00:39:51
Stefan wird erstmals zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt.
00:39:54
Stefan sagt, sein Hass beruhe damals auf der Ausländerfeindlichkeit seines Vaters,
00:40:00
dessen Einstellung er übernommen habe,
00:40:02
und auf Ereignissen in seiner Schulzeit.
00:40:04
In der Gesamtschule, die er als Jugendlicher besucht,
00:40:06
soll es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen
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mit einer Gruppe türkischstämmiger Mitschüler aus der Parallelklasse gekommen sein,
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die ihn erniedrigt haben sollen.
00:40:14
Auch in Haft gerät Stefan mit Insassen in Streit,
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besonders mit jenen mit Migrationshintergrund.
00:40:20
Einem Mann schlägt er bei einer Auseinandersetzung mehrfach mit einem Eisenstuhlbein auf den Kopf.
00:40:25
Er lernt aber auch mit Insassen kennen, die seine politischen Ansichten teilen und ihn in seinen Anschauungen bestärken.
00:40:31
Fortan vertritt er die nationalsozialistische sogenannte Rassenideologie und sieht sich als Aria anderen Menschen überlegen.
00:40:38
Nach seiner Haft heiratet er und bekommt mit seiner Ehefrau einen Jungen und ein Mädchen.
00:40:43
Beruflich ist er zuerst über eine Zeitarbeitsfirma beschäftigt und später im Schichtdienst für einen Hersteller von Bahntechnik tätig.
00:40:50
In seiner Freizeit besucht Stefan rechtsradikale Demonstrationen, nimmt an Stammtischen der NPD teil oder vernetzt sich mit rechtsextremen Organisationen.
00:40:59
Mehrmals wird er nach solchen Veranstaltungen wegen Körperverletzungen, Beleidigungen oder Landfriedensbruch verurteilt.
00:41:04
Immer werden Bewährungsstrafen ausgesprochen.
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Als im Jahr 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kommen, sieht Stefan E. seine schlimmsten Vorstellungen bestätigt.
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Er befürchtet, dass in seinem Heimatland bald bürgerkriegsähnliche Zustände, wie er sagt, herrschen und dass Deutschland bald mit, Zitat, Ausländern überflutet wird.
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In den rechten Kreisen, in denen er unterwegs ist, wird von einer Umvolkung gesprochen.
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Stefan findet, dass die Deutschen was dagegen tun müssen und dass es das Mindeste sei, sich zu bewaffnen.
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Also tut er genau das und besorgt sich Waffen.
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Darunter drei Revolver, drei Pistolen und eine Maschinenpistole.
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Unter der sogenannten Umvolkung oder auch dem Bevölkerungsaustausch, das ist ja auch das, was Stefan als Grund angegeben hatte, warum er Walter bestrafen wollte,
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versteht man im rechtsextremen Spektrum übrigens den gezielten Plan, die deutsche Bevölkerung gegen eine andere auszutauschen.
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Also deutsche Menschen quasi zu ersetzen.
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Das Wort wurde schon im Nationalsozialismus häufig verwendet und manche Menschen in der rechten Szene glauben, dass dahinter ein lang angelegter Plan von bestimmten Eliten steckt, der bis ins Jahr 1943 zurückgeht.
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Andere sehen ihre Vermutung vor allem in der sogenannten Flüchtlingskrise bestätigt, weil plötzlich die Einwanderung stark zugenommen hat und die AfD das Wort wieder vermehrt in ihren Reden verwendet.
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2018 sagt Alexander Gauland zum Beispiel, Zitat, die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können.
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In der Vorstellung der Menschen, die an diese sogenannte Umvolkung glauben, geht es nicht um die Einwanderung aus beispielsweise der Schweiz oder aus Österreich, sondern vor allem um Menschen mit islamischem Glauben.
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Oft wird deshalb auch von der Islamisierung gesprochen.
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Tatsächlich ist es so, dass der Anteil an Deutschen mit Migrationshintergrund immer weiter steigt und dass vor allem 2015 und 2016 viele Menschen aus dem nicht-europäischen Ausland hier bei uns ein Zuhause gefunden haben.
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Auch die Geburtenrate bei Frauen mit Migrationshintergrund ist im Schnitt höher als bei Frauen ohne Migrationshintergrund.
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Es kann also sein, dass sich unsere Gesellschaft irgendwann mit der Zeit verändert und das tun Gesellschaften ja aber auch in vielen anderen Ländern.
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Das hat aber dann mit Kriegen, Umweltkatastrophen und so weiter zu tun und natürlich nichts mit einem Plan von irgendwelchen Eliten oder der Politik.
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Ja und übrigens an diese Theorie der Umvolkung hat ja auch der rechte Attentäter Anders B. geglaubt, der 2011 die Anschläge in Oslo und auf der Insel Ytoya verübt hat.
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Von dem Fall hatte ich mal in Folge 53 erzählt.
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Ja und ich weiß noch, bei dem haben ja Frauen auch eine große Rolle gespielt in dieser ganzen Theorie.
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Der hat in seinem Manifest nämlich betont, dass vor allem Feministinnen mitverantwortlich seien an der, in seinen Augen, Zerstörung der norwegischen Gesellschaft.
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Er hatte dann auch ein paar Lösungsvorschläge da rein gepackt und zwar wollte er sowas wie Scheidung, Abtreibung, die Pille, aber auch eine höhere Bildung für Frauen.
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Also alles, was über den Bachelor ist, wollte der verbieten, um einen Babyboom bei den norwegischen Frauen auszulösen, um dann dieser Umvolkung zu begegnen.
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Also das muss man sich mal vorstellen.
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Ich erinnere mich noch, als du damals zu mir gesagt hast, also dass der nicht als schwachsinnig eingestuft worden ist vom Gericht.
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Das hat sich Laura damals nicht erschlossen.
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Und diese Verschwörungstheorie, die ist halt eben auch in Deutschland im rechten Spektrum weit verbreitet, auch wegen des Buches Umvolkung, wie die Deutschen still und leise ausgetauscht werden.
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Das der rechtspopulistische Autor Akif Pirinci geschrieben hat.
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Und in dem Buch kommt auch Walter Lübcke vor.
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Pirinci bezieht sich nochmal auf die Worte, die Walter 2015 bei der Infoveranstaltung in Lofelden gesagt hat.
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Und dieses Buch, das hat man auch später im Haus von Stefans Freund Markus gefunden.
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Und der Name Walter Lübcke war in der Ausgabe von Markus gelb angestrichen.
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2015 sitzt der 42-Jährige gemeinsam mit seinem Freund Markus im Publikum, als Walter vorne auf der Bühne von einer geflüchteten Einrichtung in Lofelden erzählt,
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die schon am nächsten Tag nur wenige Meter von Stefans Wohnhaus entfernt Menschen aufnehmen soll.
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Es ist der Beginn eines Hasses, der in Stefan über Jahre anwächst.
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In der Folgezeit macht er Walter für Straftaten von Geflüchteten verantwortlich, an denen der Politiker natürlich in keinster Weise beteiligt ist.
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Also zum Beispiel für die sexuellen Übergriffe, zu denen es in der Silvesternacht 2015 bis 2016 in Köln kommt.
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Oder der islamistische Anschlag in Nizza, bei dem 2016 86 Menschen getötet werden.
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Stefan sitzt stundenlang da und sieht sich Bilder und Videos der Tat an.
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Für ihn steht fest, dass man sowas PolitikerInnen wie Walter zu verdanken hat.
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Er projiziert seinen ganzen Hass auf diesen Mann, den er für dessen politische Meinung bestrafen möchte, gesteht das später der Polizei.
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Ab 2016 beginnt der Rechtsextremist deshalb gezielt, private Informationen über Walter zusammenzutragen.
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Mehrmals, meist am Wochenende, fährt er zu dessen Haus, um es zu beobachten.
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Mit einer Kamera macht er Videos, später besorgt er sich zudem eine Wärmebildkamera, um auch Personen im Dunkeln erkennen zu können.
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2017 entschließt er, dass er Walter während der Weizenkirmes erschießen wird.
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Da ist auf den Straßen so viel los, dass sein Auto nicht auffallen würde.
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Außerdem wird die Musik des Volksfestes den Lautenschuss übertönen.
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Mit seinem Kumpel Markus übt er im Schützenverein das Schießen und besorgt sich mehrere Waffen.
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Am 1. Juni 2019 sieht er dann seine Chance.
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Walter sitzt alleine auf der dunklen Terrasse und sein Gesicht wird vom Licht des Tablets vor ihm beleuchtet,
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als Stefan sich dem Haus über die angrenzende Pferdekoppel nähert.
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Jetzt liegt nur noch ein Weidenzaun zwischen ihm und dem Garten des Mannes, den er so abgrundtief hasst.
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Er überwindet den Zaun, läuft durch den Garten, bis er das Haus erreicht und spannt den Hahn seines Revolvers.
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An der Hauswand entlang schleicht er auf den nichtsahnenden Walter zu, tritt um die Ecke des Hauses, zielt und drückt ab.
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Im Vernehmungsvideo, das vor Gericht gezeigt wird, stellt Stefan die Szene nach und benutzt die Finger seiner beiden Hände als Pistole.
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Die zusammengepressten Zeigefinger sind der Lauf, seine Daumen der Abzug.
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Er zählt auf den Kopf eines Polizisten, so wie er einst auf Walters Kopf gezählt hat.
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Aus einer kurzen Distanz, höchstens 150 Zentimetern, nahezu im 90-Grad-Winkel zu seinem Kopf.
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Als er mit den Daumen abdrückt, passiert dem Polizisten in der Vernehmung nichts.
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Doch Henrike weiß, dass ihr Mann genau dieses Szenario nicht überlebt hat.
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Die Kugel durchbohrt kurz über seinem rechten Ohr seinen Schädel und bleibt darin stecken.
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Walter hat keine Chance und Stefans Plan geht auf.
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Keiner nimmt den Schuss wahr.
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Er kann ohne Mühe entkommen und vergräbt die Tatwaffe am nächsten Tag auf dem Betriebsgelände seines Arbeitgebers.
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Das Video zu sehen ist für Henrike eine enorme Belastung.
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Wenn die Bundesanwaltschaft recht hat und sich die Nacht wirklich so zugetragen hat, wie Stefan es in seinem ersten Geständnis erzählt,
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dann war ihr Mann seinem Angreifer absolut wehrlos ausgesetzt.
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Sie weiß zwar nicht, ob Walter etwas davon mitbekommen hat, doch seine Situation im Video zu durchleben ist schwer für die trauernde Ehefrau.
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Keinesfalls will sie sich länger damit beschäftigen, als sie muss.
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Umso schlimmer ist es für Henrike, dass das Vernehmungsvideo wenige Wochen später im Internet auftaucht.
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Und zwar ist es so, dass das öffentlich-rechtliche YouTube-Format STRG-F einige Tage, nachdem die Aufnahmen vor Gericht gezeigt werden,
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Ausschnitte aus diesem Vernehmungsvideo mit Stefan online stellt und journalistisch einordnet, obwohl der Prozess noch im vollen Gange ist.
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Das ist erstmal nicht üblich.
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Also es ist nicht üblich, dass es überhaupt ein Video von der Vernehmung gibt, wie du ja eben schon gesagt hast.
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Also zumindest nicht für die Öffentlichkeit, sodass es den Medien zugespielt wird und dann davon auch noch Ausschnitte veröffentlicht werden.
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Aber was haben die denn da, also was haben die denn gezeigt? Also haben die denen gezeigt und den Namen oder?
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Ja, also die haben einzelne Passagen aus dem ersten Geständnis von Stefan gezeigt und man sieht, dass er dabei auch schluchzt und weint.
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Und sein Name wird genannt und er wird nicht geblurrt.
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Und zwischen den Ausschnitten, die sie zeigen, ordnen dann die zwei Journalisten die Infos ein.
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Okay, und wie sind die an das Material gekommen? Sagen die das auch?
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Nee, also wer das Video an STRG F gegeben hat, ist nicht bekannt.
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Und dass diese ganze Sache nicht unproblematisch ist, das wissen die JournalistInnen auch.
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Und im Video sagen die zumindest, dass sie lange diskutiert hätten und sich dann aber letztlich für eine Veröffentlichung entschieden haben,
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weil es vor Gericht zu dem Zeitpunkt bereits gezeigt wurde.
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Und weil es wegen der Brisanz des Prozesses ein zeitgeschichtliches Dokument sei.
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Und in der anschließenden Stellungnahme vom NDR heißt es dann auch, wir denken, dass in diesem Fall das öffentliche Interesse so groß ist,
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dass für die Menschen ein eigener und direkter Eindruck wichtig sein kann.
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Also das schockiert mich jetzt ehrlich gesagt und vor allem, dass das dann auch noch von einem öffentlich-rechtlichen Format kam.
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Also das habe ich jetzt nicht erwartet.
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Also erstens ist der Typ ja noch nicht verurteilt.
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Also wieso zeigt man dann sein Gesicht und seinen Namen?
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Weil Persönlichkeitsrechte?
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Und zweitens hat er das Geständnis, was da gezeigt wird, ja schon zurückgezogen.
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Und er hat dann gesagt, er hat Lübcke nicht getötet.
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Und es ist ja schon sein gutes Recht als Angeklagter, seine Aussage zurückzuziehen, aus welchem Grund auch immer.
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Also was hat das jetzt in der Öffentlichkeit zu suchen?
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Also erstmal kann man ja schon sagen, dadurch, dass der Prozess gerade im Gange ist und er in der ersten Vernehmung auch gestanden hat
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und gerade bei so einem brisanten Fall, da ist er auch schon eine Person des öffentlichen Interesses,
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bei der man dann auch argumentieren könnte, dass das in diesem Fall schwerer wiegt und dann auch eine volle Namensnennung zulässig ist.
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Und dann ist es so, dass seine Anwälte vor Gericht auch nicht darum gebeten haben, seinen Namen zu anonymisieren
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und er hat auch sein Gesicht die ganze Zeit nicht vor der Öffentlichkeit abgeschirmt.
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Jetzt ist das natürlich so, dass wenn so ein Video veröffentlicht wird,
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dann greift das natürlich weiter in seine Privatsphäre ein als jetzt eine normale Berichterstattung.
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Und vor allem ist irgendwie problematisch, der hat ja dieses Geständnis in einem sicheren Raum vor zwei Polizeibeamten gemacht
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und das ist natürlich ein anderes Setting, als wenn er jetzt vor Gericht ist, wo er damit rechnen muss,
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dass das jetzt alles protokolliert wird, dass das an die Öffentlichkeit kommt und dass da JournalistInnen sitzen
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und vielleicht auch, wo er einen Rechtsbeistand daneben bei hat.
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Ja, voll. Und ich meine, wenn er verurteilt wird, etc., dann kann man meiner Meinung nachher vielleicht darüber reden,
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das so zu machen, das diskutieren, ob man das machen kann oder nicht, obwohl ich jetzt auch dann kein Fan davon wäre.
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Aber vorher, ja, finde ich einfach total problematisch.
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Also was ich damals, ich erinnere mich noch relativ gut daran, weil wir waren damals öffentlich-rechtlich
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und ich habe mit einem anderen Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darüber geredet
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und wir waren beide ein bisschen irritiert von dieser Veröffentlichung.
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Und ich habe damals gesagt, dass ich es halt auch nicht gut finde, also erstmal, weil es dieser laufende Prozess ist
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und dann, obwohl sich die beiden Journalisten mit ihrer Einordnung zurückhalten,
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also die werten das jetzt nicht sonderlich, aber man bekommt durch das Video doch relativ stark signalisiert,
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dass das erste Geständnis sozusagen das richtige Geständnis war
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und das zweite, dass das das Geständnis war, was ein Anwalt ihm aufgebrummt hat,
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damit er statt einem heimtückischen Mord irgendwas darunter bekommt.
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Ja. Ja, und das ist ja eigentlich nicht die Aufgabe von den JournalistInnen, ja, dass die das machen,
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sondern das ist die Aufgabe, die im Gericht zu klären ist.
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Ja, genau. Und dieses Video sorgt aber dafür, dass man sich selber diese Meinung bildet, weißt du?
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Also, ich meine, wir haben jetzt natürlich auch ein bisschen einen anderen Hintergrund
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als jetzt ein normaler Rezipient oder eine normale Rezipientin,
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aber der sagt halt im ersten Geständnis sehr viele Signalworte,
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die den auf jeden Fall lebenslang ins Gefängnis bringen würden, weißt du?
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Und ich glaube, dass man von außen das halt nicht gut einschätzen kann.
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Also, da gab es ein erstes Geständnis, dann gab es ein zweites Geständnis
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und das kann halt wirklich zur Vorverurteilung führen, wie gesagt.
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Und deswegen gab es da zum einen enorme Kritik dran
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und zum anderen aber seit Veröffentlichung auch Bestrebungen,
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sowas in Zukunft halt zu unterbinden, wie uns Felix Zimmermann nochmal erklärt hat.
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Jetzt ist es so, dass nach langen Streit und Politik und Justiz
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die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Aufzeichnung des Strafprozesses auf den Weg gebracht hat.
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Danach ist es jetzt so, dass es jedenfalls bald eine Tonaufzeichnung geben wird,
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verpflichtend für Strafprozesse.
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Die Videoaufzeichnung konnte man noch abwenden, so ein bisschen aus den gleichen Argumenten.
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Die Justiz hat vor allem gesagt, ja, wenn jetzt auch eine Videoaufzeichnung kommt vom Strafprozess,
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dann sagen ja die Zeugen auch ganz anders aus, weil sie befürchten, dass es im Internet landet.
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Gut, das Gleiche gilt ein Stück weit natürlich auch für die Tonaufnahme.
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Und deswegen hat man jetzt das nochmal ganz klar unter Strafe gestellt.
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Und zwar unabhängig davon, ob das schon eingeführt wurde in die Vernehmung oder nicht,
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gilt, wenn dieser Gesetzentwurf dann vom Bundestag beschlossen wird,
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dass jegliche Veröffentlichung von Ton- oder Videoaufzeichnung,
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sowohl vor Gericht als auch eben in der Ermittlungsphase, strafbar ist.
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Da ist auch keinerlei Ausnahme vorgesehen.
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Danach wäre das dann auf jeden Fall strafbar nach neuer Gesetzeslage.
00:54:54
Für wen die Veröffentlichung des Videos aber gut war, ist Markus H.
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An einer Stelle wird auch ein Ausschnitt von Stefans zweitem Geständnis gezeigt.
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Da sitzt er dann neben seinem Anwalt und beschreibt ein ganz anderes Szenario,
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demzufolge Markus ja die Waffe gehalten hat und sich dann der Schuss versehentlich gelöst hat.
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Das Geständnis passt aber weder zu den Ermittlungen der Polizei und es wirkt auch nicht wirklich glaubwürdig.
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Und Markus, der ja sagt, dass er nichts mit der Tat zu tun gehabt haben will und auch im Prozess schweigt,
00:55:24
dem spielt das natürlich jetzt total gut in die Karten,
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dass sich jetzt nicht nur die Bundesanwaltschaft mit ihrer Anklage,
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sondern auch die ganze Öffentlichkeit auf Stefans erstes Geständnis stützt.
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Wer ist aber eigentlich dieser zweite Mann, der mit Stefan auf der Anklagebank sitzt?
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Auch Markus fällt schon als Jugendlicher mit rechtsextremen Gewalttaten auf und ist gut in der rechten Szene vernetzt.
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Im selben Milieu lernt Stefan ihn 2003 über einen gemeinsamen Freund kennen.
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Lange verlieren sie den Kontakt, dann treffen sie sich 2011 wieder.
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Die Männer gehen gemeinsam zu Demonstrationen und teilen dieselben politischen Ansichten.
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Stefan sagt, Markus sei wie ein Mentor für ihn gewesen.
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Der 44-Jährige habe ihn auch mit in den Schützenverein genommen
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und ihn davon überzeugt, sich im Falle eines Bürgerkriegs zu bewaffnen.
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Laut Stefan üben sie im Wald mit den illegalen Waffen.
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Nach der BürgerInnenversammlung 2015 sollen sie sich gegenseitig in ihren Gewaltfantasien gegenüber weiter bestärkt haben.
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Markus fährt offenbar mehrmals mit, als Stefan das Haus des Politikers auskundschaftet
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und ermutigt ihn in seinem Vorhaben, ihn umzubringen.
00:56:27
Wie weit Markus Beihilfe wirklich ging, ist vor Gericht schwer auszumachen, weil Markus selbst ja schweigt.
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Der 44-Jährige mit Bart wird von zwei AnwältInnen vertreten, die in der rechten Szene bekannt sind.
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Die eine, Verteidigerin, hat den Rechtsextremisten Ralf Wohlleben im NSU-Prozess vertreten.
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Der andere stand einem NPD-Funktionär vor Gericht zur Seite.
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Markus sagt zwar nichts, fällt aber durch sein Grinsen auf.
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In den Medien wird seine Mimik als hinterhältig, selbstherrlich und verhöhend beschrieben.
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Einmal ist seine Reaktion so heftig, dass der Oberstaatsanwalt ihn bittet, seinen Spott zu lassen.
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Auch für Henrike ist das Verhalten von Markus eine Zumutung.
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Es ist November geworden.
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Der Prozess läuft schon seit fünf Monaten, als Walter's Ehefrau in den ZeugInnenstand tritt.
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Sie trägt eine eckige braune Brille und einen passenden braunen Rollkragenpillover,
00:57:14
als sie anfängt, vom letzten sonnigen Tag mit ihrem Mann und ihrem Enkelkind zu erzählen, der perfekt sein sollte.
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Henrike hält ein Taschentuch in ihren Händen, um ihre Tränen zu trocknen.
00:57:23
Es fällt ihr schwer, die Fassung zu bewahren.
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Dabei weiß die 67-Jährige genau, was sie sagen will.
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Sie wendet sich direkt an Markus, als die Worte ihren Mund verlassen.
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Es ist schwer auszuhalten, dass sich der Angeklagte nicht mit einer Silbe äußert.
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Und dann sein Benehmen mit diesem Grinsen.
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Das ist verletzend, nicht nur für uns, für uns alle.
00:57:42
Jetzt grinst Markus nicht mehr.
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Er sieht Henrike nur an.
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Dann blickt sie Stefan ins Gesicht und sagt, wie schrecklich es für sie ist,
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dass er seine Aussage immer wieder ändert.
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Sie möchte wissen, ob Walter den Angriff hat kommen sehen.
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Ob er vielleicht noch etwas gesagt hat.
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Wir möchten die volle Wahrheit wissen.
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Das könnte uns vielleicht helfen, das zu verarbeiten.
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Wir brauchen das, fleht sie ihn an.
00:58:03
Und dann passiert etwas, mit dem niemand, vor allem nicht Henrike, gerechnet hat.
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Auch Stefan greift nun sein Mikrofon.
00:58:10
Es tut mir leid, presst er zwischen seinen Lippen hervor.
00:58:13
Es tut mir leid, dass sie im Herzen Kummer haben, Tag für Tag.
00:58:16
Er beginnt zu schluchzen.
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Sagen Sie uns die Wahrheit, ruft Henrike noch einmal.
00:58:21
Sie merkt, wie in ihr die Tränen aufsteigen.
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Versetzen Sie sich doch an meinen Platz.
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Tun Sie es doch.
00:58:26
Helfen Sie wenigstens da.
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Mein Mann, der Papa, der Opa kommt nicht mehr zurück.
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Wenn Sie die Situation selbst erlebt hätten, ich weiß nicht, was Sie alles wissen wollten.
00:58:36
Jetzt schluchzt auch Henrike, genau wie ihre Söhne auf der Nebenklagebank.
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Ansonsten ist es mucksmäuschenstill in dem großen Gerichtssaal.
00:58:45
Das entspricht jetzt nicht ganz der Strafprozessordnung, sagt der Vorsitzende Richter schließlich.
00:58:50
Henrike fängt sich wieder.
00:58:51
Entschuldigung, sagt sie kleinlaut.
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Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, sagt der Richter und ordnet eine Pause an.
00:58:59
Henrikis starker Auftritt vor Gericht wird nicht nur der Presse lange in Erinnerung bleiben.
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Auch in Stefan muss sie etwas bewegt haben.
00:59:05
Zweieinhalb Wochen nach dem Wortwechsel hat er Antworten auf ihre Fragen vorbereitet, die er nun verlesen möchte.
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Wie schon in seinem zweiten Geständnis sagt er auch diesmal, dass Markus in der Tat dacht dabei war.
00:59:16
Er sei es gewesen, der Walter auf der Terrasse als erstes angesprochen habe, woraufhin Walter entgegnet habe, dass sie verschwinden sollen.
00:59:23
Daraufhin soll Markus geschrien haben, Zeit zum Auswandern.
00:59:27
Stefan selbst habe mit erhobener Waffe gesagt, für so einen wie dich gehe ich jeden Tag arbeiten.
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Offenbar bekommt es Walter dann mit der Angst zu tun.
00:59:35
Er habe geschrien und wollte sich aufsetzen, da habe Stefan ihn mit der Hand zurück in den Stuhl gedrückt und geschossen.
00:59:41
Es ist die dritte Version seines Geständnisses, die Stefan seit der Tat ablegt.
00:59:45
Sie ähnelt dem zweiten Geständnis.
00:59:48
Damals hatte er aber ausgesagt, dass ich nur versehentlich einen Schuss gelöst habe.
00:59:52
Jetzt gibt er erneut zu, dass er Walter mutwillig erschossen hat.
00:59:56
So wie bei seinem ersten Geständnis, in dem er zwar mutwillig, aber im Alleingang gehandelt haben will.
01:00:01
Im Gerichtssaal und in den Medien wird im letzten Monat des Prozesses viel darüber diskutiert, welche Variante am wahrscheinlichsten ist.
01:00:09
Die Meinungen gehen weit auseinander.
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ZeugInnen für die Tat gibt es nicht.
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Nur Anhaltspunkte, wie die hinterlassene Hautschuppe, die für eine Berührung zwischen Täter und Opfer spricht.
01:00:18
Oder der Schuss von der Seite, der nahe legt, dass Walter sich nicht zu Stefan umgedreht hat.
01:00:23
Es sind dieselben Anhaltspunkte, die Henrike und ihre Söhne davon überzeugen, dass Stefans drittes und damit letztes Geständnis am wahrscheinlichsten ist.
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In seinem Schlussplädoyer am 12. Januar 2021, sieben Monate nach Prozessbeginn, erklärt ihr Anwalt warum.
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Laut Nebenklage hätte Stefan niemals eine Hautschuppe auf Walters Hemd hinterlassen, wenn er ihn nicht berührt hätte.
01:00:43
Deshalb gehen Henrike, Franz und Konstantin davon aus, dass es eine Berührung gegeben hat und dass Walter seinen Angreifer sehr wohl wahrgenommen hat.
01:00:51
Stefans Schuss gegen die Schläfe belegt aber, dass er von der Seite kam.
01:00:55
Wäre er alleine gewesen, hätte sich Walter wahrscheinlich zu ihm umgedreht und der Schuss hätte ihn frontal getroffen.
01:01:00
Die einzige Erklärung für Walters Familie ist deshalb, dass Markus ebenfalls auf der Terrasse gewesen und direkt vor Walter gestanden haben muss.
01:01:08
Das würde erklären, warum Walter nach vorne in den Garten, mutmaßlich zu Markus, gesehen hat,
01:01:14
während Stefan ihn erst in den Stuhl gedrückt und dann von der Seite erschossen hat.
01:01:18
Markus und Stefan müssen deshalb wegen gemeinschaftlichen Mordes verurteilt werden, plädiert der Anwalt.
01:01:23
Dass Markus Beihilfe zum Mord geleistet hat, dafür sprechen sich auch Stefans Anwälte in ihrem Schlussplädoyers aus.
01:01:29
Felix Zimmermann hat uns erzählt, dass es da deshalb zu so einer seltsamen Solidarisierung zwischen Täter- und Opferfamilie gab,
01:01:37
weil die halt schlussendlich dann dasselbe Ziel hatten, nämlich, dass das Gericht das dritte Geständnis als Grundlage für ein Urteil nimmt.
01:01:45
Nur wollten Stefan E.s Anwälte eine Verurteilung wegen Totschlags und nicht wegen Mordes.
01:01:50
Felix Zimmermann hat uns im Interview erklärt, welche Argumentation die Anwälte da vorgebracht haben.
01:01:56
Stefan E. war ja geständig.
01:01:57
Das heißt, seine einzige Möglichkeit, um die Lebenslänge-Freiheitsstrafe rumzukommen, war, aus dem Mord einen Totschlag zu machen.
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Das heißt, die von der Staatsanwaltschaft angenommenen Mordmerkmale mussten quasi argumentativ wegfallen.
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Und dann war das erste eben die Heimtücke.
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Und da war es so deswegen auch der Grund dafür, warum Stefan E. aus meiner Sicht dieses große Interesse an der Tatversion 3 hatte.
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Denn wenn wir jetzt Tatversion 3 unterstellen, Markus H. und Stefan E. zusammen vor Ort mit der dazugehörigen Geschichte,
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dass beide eben mit Walter Lübcke vorher geredet hätten und kommuniziert hätten
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und in diesem Verlauf die Waffe vorgehalten wurde und geschossen wurde,
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wenn wir diesen Geschehensablauf unterstellen,
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da könnte man dann darüber diskutieren, ob das eine heimtückische Tötung ist.
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Stefans Anwälte sagen halt, nee, also Walter, der war in seinem Gartenstuhl zwar wehrlos, aber nicht arglos.
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Und deswegen wäre halt auch das Mordmerkmal der Heimtücke nicht erfüllt.
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Und auch von sonstigen niedrigen Beweggründen sei nicht auszugehen,
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sagen die Anwälte.
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Felix Zimmermann erklärt nochmal, welche Argumentationen sie dafür hatten.
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Und da argumentierten eben die Strafverteidiger von Stefan E.,
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der hat da im falsch verstandenen, aber Sinne der Bundesrepublik Deutschland gehandelt,
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um wach zu rütteln.
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Das ist doch ein politisches Motiv.
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Und so ein politisches Motiv kann ja kein niedriger Beweggrund sein.
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Also niedrige Beweggründe sind ja solche, die auf unterster Stufe stehen,
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von jedermann als verächtlich angesehen werden.
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Und so aus politischen Gründen, das ist vielleicht verquer und verirrt,
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aber das steht doch nicht auf unterster Stufe.
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So die Argumentation.
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Der sieben Monate lange Prozess hat die Familie Lübcke enorm belastet.
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Henrike und ihre beiden Söhne haben beinahe an jedem Verhandlungstag
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in dem hölzernen Saal gesessen.
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Immer mit dem Wunsch, die letzten Sekunden im Leben von Walter rekonstruieren zu können.
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Leider gelingt es ihnen bis zum Ende nicht.
01:04:01
Als am 28. Januar das Urteil verkündet wird, stützt sich das Gericht,
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wie auch schon die Anklage der Bundesanwaltschaft, auf Stephans erstes Geständnis.
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Die Kammer geht davon aus, dass Stefan in der Sommernacht im Juni allein zu Walters Haus gefahren ist
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und ihn von der Seite erschossen hat, ohne dass Walter reagieren oder sich wehren konnte.
01:04:18
Laut Urteil hat Stefan sein Opfer anschließend berührt, um zu überprüfen, ob Walter tot ist.
01:04:23
Dabei hat er die Hautschuppe auf dem karierten Kurzarmhemd zurückgelassen.
01:04:27
Stefan handelte laut Gericht aus Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.
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Er sah weiter als Repräsentanten der von ihm verhassten liberalen Geflüchtetenpolitik und wollte ihn dafür bestrafen.
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Daher sieht das Gericht sehr wohl das Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweggründe und auch die Heimtücke als erwiesen an.
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Ein forensischer Psychiater, der Stefan neun Stunden lang befragt hat, stellt außerdem fest,
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dass er bei mentaler Gesundheit sei und es keinen Grund für die verminderte Schuldfähigkeit gebe.
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Der Gutachter ist davon überzeugt, dass Stefans völkisch-nationale und rechtsextreme Einstellung so tief in ihm verwurzelt ist,
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dass seine Reue nicht authentisch ist.
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Auch ein Aussteigerprogramm aus dem rechten Milieu, an dem Stefan Interesse bekundet hatte,
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hält der Psychiater für wenig zielführend.
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Er identifiziert Stefan vielmehr als Hangtäter, also als jemanden, von dem in Zukunft weitere schwere Straftaten ausgehen könnten.
01:05:16
Das Gutachten des Experten ist niederschmetternd und bestätigt die Entscheidung, die das Gericht verkündet.
01:05:23
Stefan wird des Mordes schuldig gesprochen.
01:05:24
Die Kammer verhängt die lebenslange Haftstrafe mit der besonderen Schwere der Schuld und einer Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt.
01:05:31
Für den versuchten Mord am Geflüchteten im Art wird er aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
01:05:36
Das Messer, das man bei Stefan gefunden hatte, konnte im Prozess nicht eindeutig als Tatwaffe identifiziert werden.
01:05:42
Es ist nicht der einzige Freispruch, der die Anwesenden im Saal enttäuscht zurücklässt.
01:05:47
Denn auch in Bezug auf Markus H. fehlen dem Gericht die Beweise.
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Man kann ihm weder eine Mittäterschaft noch die Beihilfe nachweisen.
01:05:55
Unser Experte Felix Zimmermann erklärt, warum nicht.
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Das Gericht musste sich darauf fokussieren, was klar bewiesen ist.
01:06:02
Und klar bewiesen ist aufgrund des Geständnisses und den DAA-Spuren und des gesamten weiteren,
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dass eben Stefan E. Walter Lübcke erschossen hat.
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Die weitere Behauptung dann von Stefan E., dass Markus H. mit am Tatort war, da gab es eben einfach nicht genug Beweise.
01:06:18
Und es war so, dass eben die beiden nicht klar von neutralen Zeugen am Tatort erkannt wurden.
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Es gab keine DNA-Spuren von Markus H. im Auto.
01:06:29
Es gab irgendwie keine Schätze.
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Es gab keine vorherigen bewiesenen Gutachtungen des Hauses durch die beiden.
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Da gibt es lauter Indizien.
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Und es ist vielleicht sogar auch nicht unwahrscheinlich, dass die das vorher mal zusammen besucht haben.
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Aber nicht unwahrscheinlich reicht eben im Rechtsstaat nichts.
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Es muss halt bewiesen sein.
01:06:47
Und schon gar nicht war bewiesen, dass Markus H. am Tattag, am Tatabend mit vor Ort war.
01:06:54
Und gleiches gilt auch für die psychische Beihilfe.
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Es kann weder mit Sicherheit nachgewiesen werden, dass die politischen Gespräche mit Markus Stefan in seinem Tatentschluss bestärkt haben,
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noch dass die beiden im Wald Schießübungen durchgeführt haben.
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Und ihren Chatverlauf im Handy haben beide schon vor ihrer Verhaftung gelöscht.
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Felix Zimmermann sagt außerdem, dass die drei völlig verschiedenen Geständnisse und halt die damit verbundene Unglaubwürdigkeit von Stefan E.
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einen Teil dazu beigetragen haben, dass Markus H. am Ende freigesprochen wurde.
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Also ich verstehe das natürlich, dass man, wenn man dem nichts nachweisen kann und dass es dann einfach zu viele Zweifel gibt.
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Aber er kommt schon ziemlich oft vor in dieser Geschichte, der Markus H.
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Also bei ihm wurde zum Beispiel das Buch gefunden, wo Walter Lübcke dann auch markiert war.
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Und er hat das Video hochgeladen.
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Und also ich glaube, er hat irgendwie schon zur Tat beigetragen auf eine bestimmte Art und Weise.
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Und es ist natürlich jetzt auch irgendwie tragisch, dass der, der sich so vor Gericht verhalten hat,
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Und dass der jetzt da einen Freispruch bekommt, das hinterlässt einfach so einen bitteren Beigeschmack, finde ich.
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Ja, und man fragt sich natürlich auch ein bisschen, warum hat Stefan E. denn sein Kumpel Markus da überhaupt mit reingebracht beim ersten Geständnis?
01:08:17
Also sein Kumpel Markus, der hat bei ihm schon eine Rolle gespielt.
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Und wenn er wirklich gar nichts damit zu tun hatte, fragt man sich ja auch ein bisschen, warum Stefan E. ihn überhaupt erwähnt.
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Am Ende wird Markus H. lediglich wegen des unerlaubten Besitzes einer Waffe zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt.
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Der vorsitzende Richter sagt, Freisprüche setzen keine Überzeugung von Unschuld voraus, sondern Zweifel an der Schuld.
01:08:42
Es ist ein schwacher Trost für Henrike und ihre Familie.
01:08:46
Sie können nicht fassen, dass der, der sie den ganzen Prozess überverspottet hat, jetzt quasi als freier Mann den Gerichtssaal verlassen kann.
01:08:53
Alle Parteien legen beim Bundesgerichtshof Revision ein.
01:08:56
Im August, sieben Monate nach dem Urteil des Oberlandesgerichts, kommt es zur Entscheidung in Karlsruhe.
01:09:01
Der BGH verwirft alle Revisionsanträge.
01:09:04
Markus' Bewährungsstrafe bleibt bestehen.
01:09:07
Und Stefan bleibt wegen des ersten Mordes an einem Politiker mit rechtsterroristischem Hintergrund seit 1945 lebenslang im Gefängnis.
01:09:15
Juristisch gesehen ist da ein Einzeltäter.
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Für Felix Zimmermann war der Prozess trotzdem sinnbildlich für ein anderes Phänomen.
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Es hat sich doch gezeigt, dass dieser rechtsextremistische Nährboden jetzt nicht allein von Stefan E. und auch Markus H. ausgegangen sind,
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sondern dass er wirklich im konkreten Arbeitsleben, das ganz weit verbreitet ist.
01:09:37
Und dieser Prozess, auch gerade in diesem Zusammenspiel mit dieser Videoveröffentlichung von der Bürgerversammlung in Lohfelden,
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wo ja auch lauter Hasskommentare und Todeswünsche kommuniziert wurden in den Posts, in den Kommentaren.
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Diese Welle des Hasses, dass eben wirklich Hass aus diesen Worten eben Taten folgen kann.
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Das war ein Paradebeispiel und das war ein Weckruf.
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Und ich glaube, in dem Fall hat sich dann auch auf der legislativen Seite doch einiges bewegt,
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was konsequentes Vorgehen gegen Hass im Netz angeht.
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Bis dato wurde Hasskriminalität im Netz tatsächlich nur selten verfolgt.
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Das LKA Hessen hat nach dem Mord an Walter eine eigene Arbeitsgruppe aufgebaut und konnte so über 60 Menschen aus 14 Bundesländern identifizieren,
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die beschuldigt wurden, im Netz gegen Walter gehetzt zu haben.
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Walter bringen diese Ermittlungen trotzdem nicht zurück.
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Ein Neonazi hat der Familie Lübcke, den geliebten Mann, Vater und Großvater genommen.
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Walter kann nicht mehr mit seiner Frau in die Rhön fahren.
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Er kann nicht mehr in Rente gehen und einfach nur Opa sein.
01:10:45
Henriques Leben ist nicht mehr dasselbe.
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Sie und die Jungs vermissen Walter unendlich.
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Seine offene, herzliche Art und seine Nächstenliebe, die sich durch sein ganzes Leben gezogen hat.
01:10:54
Deshalb wohnt Henrike auch heute noch in dem großen weißen Haus mit dem Garten am Stadtrand.
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Sie will sich nicht noch mehr nehmen lassen, als sie ohnehin schon verloren hat.
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Stattdessen kann sie nun auf der Terrasse Platz nehmen, auf der Walter so gerne gesessen hat,
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während um sie herum ihre zwei Enkelkinder spielen.
01:11:10
Konstantin wohnt mit seiner Familie in demselben Haus.
01:11:13
Franz wohnt mit seiner Frau und dem kleinen Hannes nebenan.
01:11:16
Das große weiße Haus im Grünen ist zwar nicht mehr dasselbe und auch die Familie, die darin lebt, ist es nicht.
01:11:22
Aber sie hilft sich gegenseitig mit dem Schmerz umzugehen und schenkt einander Kraft.
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Also wenn man von so einem Fall hört oder jetzt auch generell durch diese Folge nochmal vor Augen geführt bekommen hat,
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wie häufig PolitikerInnen von Menschen beleidigt, bedroht und angegriffen werden.
01:11:44
Da denkt man sich ja zum Glück macht das überhaupt noch jemand.
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Und diese Arbeit ist so, so, so, so wichtig eben für unsere Demokratie, wie du ganz am Anfang gesagt hast.
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Ich finde, es wird gar nicht genug gewertschätzt, wie wichtig diese Arbeit ist und wie besonders es ist, wenn Menschen das wirklich machen.
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Weil ich gehe mal davon aus, dass die meisten es jetzt nicht wegen der hohen Paychecks machen, die da KommunalpolitikerInnen jeden Monat bekommen,
01:12:12
Sondern, dass das Menschen sind, die wirklich sozusagen eine Idee haben, die was für die Gemeinschaft machen wollen, für Deutschland machen wollen und sich einsetzen für andere Menschen, wie in dem Fall von Walter Lübcke.
01:12:24
Und das ist einfach nur so ein Armutszeugnis zu sehen, dass diese Menschen so häufig Opfer von Gewalt werden, egal welcher Art jetzt.
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Ja, und das Ding ist, es ist eben ein Angriff auf die Demokratie, weil diese Menschen sind ja Vertreter der von uns gewählten Parteien.
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Man kann so froh sein, in einem Land zu leben, wo eine Parteienvielfalt herrscht und wo eben nicht irgendein Despot an der Macht ist,
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sondern man als Volk mit seiner eigenen Kraft auch PolitikerInnen nicht in diese Ämter heben kann.
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Ja, und in diesen Fällen finde ich halt auch noch so bescheuert, dass diese Art von Gedanken ja immer auch voraussetzt mit,
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hier nehmen uns andere, in Anführungszeichen, irgendwas weg und das ist ja nicht so.
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Und ich habe das Gefühl, durch das Internet ist das halt alles auch nochmal schlimmer geworden,
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weil sich vorher mehr irgendwie JournalistInnen oder so inhaltlich damit auseinandergesetzt haben oder halt bei BürgerInnenversammlungen.
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Jetzt kann jeder Hans Wurst irgendwem was auf die Pinnwand knallen und da kann ich auch verstehen,
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dass die Bereitschaft, Mandate zu übernehmen, halt zurückgeht, obwohl das halt so wichtig ist, dass die Leute das machen.
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Aber wenn du dann irgendwie Bürgermeisterin bist und eine Trauerkarte mit deinem eigenen Namen im Briefkasten findest,
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so dann überlegst du dir das halt vielleicht nochmal.
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Und es gibt tatsächlich diese Studie Anfeindungen und Aggressionen in der Kommunalpolitik
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und fast fünf Prozent der deutschen Kommunalpolitiker in Plan wegen Gewalt, Hass und Hetze ihr Amt niederzulegen.
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Und diese Studie hat auch herausgefunden, dass ein Drittel von den Leuten, die so ein kommunalpolitisches Amt bekleiden,
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ihr Verhalten wegen einer Bedrohungslage ändern.
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Also die haben dann angegeben und das ist ja auch schon der Angriff auf die Demokratie,
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alleine so eine Bedrohungslage für die zu gestalten, dass die sich dann deswegen seltener zu kontroversen Themen äußern mögen
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oder halt bestimmte Orte oder Veranstaltungen meiden oder dann halt eben nicht in den sozialen Medien präsent sind.
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Ja und da fängt es halt schon an und es ist halt sehr gefährlich für die Demokratie
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und ich hoffe, dass in Zukunft vielleicht auch mit dem Fall Renate Künast da jetzt auf jeden Fall mal mehr gehandelt wird,
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weil sowas einfach nicht hinzunehmen ist.
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So, wir sind jetzt am Ende dieser Probephase, die Paulina und ich ja jetzt über zwei Wochen gespielt haben,
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dass ich einen Fall erzählt habe in einer Woche und Paulina mir in der zweiten Woche einen anderen Fall.
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Und muss ich für mich sagen, dass mir das sehr gut gefallen hat, weil man den Fällen einfach mehr Raum bieten konnte
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und auch in verschiedene Themenbereiche tiefer reingehen konnte, was ja manchmal bei den Oberthemen so ein bisschen zu kurz kommt,
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weil wir uns da dann auf einen bestimmten Aspekt konzentrieren.
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Genau, also ich mag das, das ist jetzt so ein richtiger Nerd-Talk hier,
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aber ich mag das total gerne mit diesem Schwerpunkt, den wir haben und dieser Meta-Ebene.
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Deswegen wollte ich jetzt auch unbedingt so einen politischen Fall mal machen,
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was ich einfach hier an der Art der Erzählung besser finde als bei den Oberthemen.
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Und keine Sorge, wir gehen ja nächste Woche erstmal wieder zurück.
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Aber dadurch, dass man vorher nicht sagt, worum es geht,
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gelingt es einem natürlich auch die Spannung länger aufrecht zu erhalten,
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weil ja niemand weiß, was passieren wird.
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Wir hoffen auf jeden Fall, dass euch das auch gefallen hat.
01:15:54
Ihr könnt uns gerne euer Feedback mal schreiben, das interessiert uns natürlich.
01:15:58
Und wie Paulina schon gesagt hat, in der nächsten Folge geht es ganz normal weiter mit einem großen Oberthema und zwei Fällen.
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Und für euch bedeutet das ja einfach jetzt mal den dritten Krimitwoch in Folge.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Wohlers.
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Redaktion Isabel Mayer und wir.
01:16:24
Schnitt Pauline Korb.