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#123 Besonders verachtenswert

Heute kommen wir erstmal auf einen Fall zurück, über den wir hier vor langer Zeit schon im Podcast mal gesprochen haben.
Und zwar gibt es News zum Fall Friederike von Mühlmann. Den hatte ich in Folge 13 mal erzählt. Und zwar ging es da um eine 17-Jährige. Friederike hieß die, die 1981 im Zelle auf dem Rückweg von ihrer Korprobe vergewaltigt und erstochen wurde.
Und damals geriet dann ein Mann namens Ismet H. in den Fokus der Ermittlungen. Und der wurde auch vor Gericht gestellt damals. Aber am Ende hatten die RichterInnen halt Zweifel an seiner Schuld und deswegen wurde er freigesprochen.
Und 2012 wurde sich der Fall dann aber nochmal angeguckt, weil es gab ja nun schon seit längerer Zeit DNA-Analysen. Und dadurch kam dann heraus, dass die Spuren, die damals in Frederikes Slip gefunden wurden, Ismet H. zuzuordnen waren.
Jetzt war nur das Problem, der wurde ja im ersten Verfahren freigesprochen, weil man halt jemanden nicht zweimal wegen derselben Tat verurteilen bzw. Strafverfolgen darf.
Nee, bis in Idem. Hatte man nun also einen Verdacht, wer der Mörder sein könnte, konnte aber nichts machen.
Zumindest bis 2021 war das so, weil dann gab es eine Änderung der Strafprozessordnung.
Und diese Änderung hat man auch vor allem Frederikes Vater Hans zu verdanken, der sich wirklich jahrelang dafür eingesetzt hat, dass doch noch Gerechtigkeit im Fall seiner Tochter irgendwie gesprochen wird.
Das muss man sich ja auch mal vorstellen als Vater, dass man weiß, es gibt diesen Mann und es gibt diese Spuren, die halt ganz klar auf ihn als Täter verweisen.
Aber es passiert nichts und der lebt einfach quasi auf freiem Fuß weiter.
Ja, auf jeden Fall gab es dann die Änderung in der Strafprozessordnung, nach der rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten doch nochmal aufgerollt werden können.
Und zwar, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen.
Und nach der Änderung wurde also erneut Anklage gegen Ismet H. erhoben und der auch in U-Haft gesteckt.
Natürlich ganz zur Freude von Hans von Möhmann.
Dessen großer Wunsch ist ja wahr, den mutmaßlichen Mörder seiner Tochter wieder vor Gericht zu sehen.
Der Prozess war dann auch für August 2022 angesetzt.
Aber Hans von Möhmann ist ja dann im Juni 2022 mit 79 Jahren verstorben, also hat das gar nicht mehr mitbekommen.
Ja, und am Ende bekommt er dann auch nicht mehr mit, dass es doch nicht ganz so gelaufen ist, wie er sich das gewünscht hatte, weil Ismet H. nämlich Verfassungsbeschwerde einlegt.
Und der Prozess wird dann im Juli 2022 verschoben und Ismet H. unter Auflagen aus der U-Haft auch wieder entlassen, weil es eben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser neuen Strafprozessordnung gibt.
Weil das ist ja auch ein wichtiger Grundsatz in unseren Gesetzen, dass es eben Rechtsfrieden auch irgendwann mal geben muss und so.
Naja, und jetzt ist es aber seit drei Wochen soweit.
Also das Verfassungsgericht prüft gerade, ob diese Neuerung jetzt verfassungskonform wäre, weil im Grundgesetz steht eben was anderes, was dem entgegensteht.
Genau, und Doris König, die Vorsitzende Richterin in Karlsruhe, die hat der Presse jetzt gesagt, Zitat,
Es geht nicht darum, ob der Verdächtige im Fall Friederike der Täter ist. Es geht vielmehr darum, ob die Wiederaufnahme in einem Fall wie seinem grundsätzlich möglich ist.
Genau, und das ist natürlich auch, also ich habe das neulich einer Freundin erzählt, weil das ja tatsächlich auch generell ein Thema in anderen Ländern ist.
Also dieses Double Jeopardy und die konnte das gar nicht fassen, dass man also relativ eindeutige Spuren hat, mit denen man heute jemanden verurteilen würde eventuell und aber halt nichts machen kann.
Also ich finde, das kannst du halt auch einer Bevölkerung eigentlich nicht erzählen.
Genau, wenn das jetzt sozusagen neu in die Gesetze aufgenommen werden würde, dann würde ja jeder schreien, weil wir halt eben diese Erfahrung gemacht haben mit der DNA-Analyse.
Also was für ein krasses Tool das im Endeffekt ist.
Und weil wir jetzt nicht wissen können, in 50 Jahren gibt es vielleicht nochmal ganz andere Verfahren und Analysen, mit denen wir auch wieder Jahre später Sachen aufklären können.
Ja, dann wissen wir das wie beim Minority Report eh schon vorher, wer was begehen wird oder fragen halt im Nachhinein Chat GPT.
Ja, was jetzt die Verhandlungen in Karlsruhe angeht, da können wir wohl erst in ein paar Monaten mit einer Entscheidung rechnen.
Aber kommen die RichterInnen am Ende zu dem Schluss, dass diese Gesetzesänderung der Strafprozessordnung verfassungskonform ist,
dann wird es einen Prozess gegen Ismeta geben und Hans von Mühlmanns großer Wunsch dann doch noch in Erfüllung gehen, dass er vor Gericht kommt.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Hier geht es um True Crime, also auch um Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen ungehemmter kommentieren oder reden.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht respektierlich gemeint.
Um euch auf das Oberthema der heutigen Folge einzustimmen, möchten wir am Anfang einen kurzen Fall erzählen,
der bei uns komplettes Unverständnis ausgelöst hat.
Und zwar passiert das Ganze im Mai 2020 in Münster.
An dem Tag sitzt der 61-jährige Martin, so nennen wir ihn jetzt mal, mit seiner Frau auf der Couch und schaut eine Liebeskomödie.
Und irgendwann steht er dann auf, um die offene Terrassentür zuzumachen.
Und dabei hört er, wie drei Stockwerke unter ihm jemand laut telefoniert.
Und das ist ein Problem für Martin.
Also geht er auf die Terrasse und ruft dem jungen Mann, der halt unten vor dem Haus steht, entgegen,
dass der sehr laut sei und ob er das Gespräch nicht woanders führen könne.
Ja, mache er.
Macht er aber am Ende nicht und Martin kriegt das dann ein bisschen später mit,
dass dieser Typ immer noch draußen vor dem Haus telefoniert.
Und dann wird er sauer und geht nach unten, um dem Mann zu sagen, dass er sich verziehen soll.
Dabei nimmt er ein Küchenmesser mit.
Unten angekommen, macht der Typ am Telefon dann immer noch keine Anstalten zu gehen.
Und deswegen schlägt Martin ihm mit voller Wucht das Handy aus der Hand.
Der Typ erklärt dann, dass er sich so nicht behandeln lasse und er auch die Polizei rufen könne.
Und daraufhin rammt Martin diesem fremden Mann das Küchenmesser in die Brust.
Okay.
Und weil der Mann dann stirbt, wird Martin im März 2021 vom Landgericht Münster wegen Mordes zur lebenslangen Haft verurteilt.
In der Urteilsbegründung heißt es, Martin habe die Anwesenheit seines Opfers auf seinem Grundstück gestört
und er habe befürchtet, wegen der Lautstärke später nicht schlafen zu können.
Aber ich meine, und das ist uns, glaube ich, allen klar, einen anderen Menschen zu töten, weil er zu laut telefoniert und damit nervt.
Das ist eine Reaktion, die können viele Menschen halt nicht nachvollziehen.
Und deswegen hat das Gericht das Tötungsdelikt auch als Mord gewertet.
Und zwar aus sonstigen niedrigen Beweggründen.
Ein Mordmerkmal, was wir bisher noch nicht behandelt haben.
Und in der heutigen Folge zeigen wir euch an zwei Fällen, wann ein Gericht nach diesem Mordmerkmal verurteilen kann.
Mein Fall zeigt, dass manche Menschen in einer Beziehung bereit sind, beinahe alles zu verzeihen.
Alle Namen habe ich geändert.
18. September 2018.
Schon von Weitem sieht sie, dass etwas nicht stimmt.
Vor ihrem Zuhause parken Autos, die sie noch nie gesehen hat.
Fremde Männer befinden sich auf ihrem Grundstück und drehen jeden Stein um.
Ist heute etwa der Tag gekommen, den sie seit 15 Jahren fürchtet?
Rücksprung ins Jahr 2001.
Es ist noch nicht ganz hell an diesem Morgen, als sich Britta in ihren Wagen setzt.
Um sie herum ist alles still, wenn überhaupt kann sie vereinzelte Rufe der frühen Vögel hören.
Es ist die Ruhe vor dem Sturm, aber das weiß die 41-Jährige zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Wie fast jeden Tag sitzt Britta schon gegen 5 Uhr am Steuer, um zur Arbeit zu fahren.
Von ihrem Zuhause sind es nur knapp 15 Minuten bis zur Klinik in Bad Krotzingen, wo sie als Reinigungskraft arbeitet.
Auf ihrem Weg dorthin fährt sie an sattgrünen Wiesen und Weinreben vorbei, an Wäldern und Weiden.
Wer sich im badischen Markgräfler-Land niedergelassen hat, lebt idyllisch und für sich.
Genau das Richtige für Britta und ihren Lebensgefährten Peter, die eine große Liebe zur Natur und zu Tieren verbindet.
Hier haben sie sich in den letzten Jahren ein richtiges Zuhause aufgebaut, samt Pferden und einem Hund.
Als Britta an diesem Morgen auf den Parkplatz einbiegt, sieht sie das große Klinikgebäude vor sich auftauchen.
Der Ort, an dem sie schon seit Jahren arbeitet und viele schöne Stunden verbracht hat.
Mittlerweile ist Britta von einer regulären Reinigungskraft zur Vorarbeiterin aufgestiegen.
Eine Stelle, auf die sie besonders stolz ist.
In den vergangenen Jahren hatte sie hart dafür gearbeitet, befördert zu werden.
Dank ihrer Disziplin gehören zu ihrem Arbeitsalltag seither auch organisatorische Aufgaben, Verantwortung und eine Vorbildfunktion.
Und natürlich mehr Gehalt, dass sie und Peter, der als selbstständiger Messebauer nicht immer viel zu tun hat, gut gebrauchen können.
Der heutige Arbeitstag fängt für Britta an wie jeder andere.
Sie tritt durch die verglaste Eingangstür, begrüßt ihre KollegInnen und schnappt sich ihre Utensilien.
Da steht plötzlich ihre Chefin vor ihr, Annette Arendt.
Sie möchte allein mit Britta sprechen.
Ob das etwas Gutes verheißt? Wahrscheinlich nicht.
Seitdem Frau Arendt vor einiger Zeit in die Klinik geholt wurde, ist vieles anders.
Die Mitfünfzigerin ist resolut und greift streng durch.
Sie strukturiert Arbeitsabläufe neu, setzt Kolleginnen anders ein und manche MitarbeiterInnen mussten wegen ihr bereits gehen.
Der Ruf des eisernen Besens eilt ihr voraus.
Die Blondine mit der korpulenten Figur duldet nicht, wenn man ein Staubgorn zu viel auf dem Boden liegt.
Das alles sorgt natürlich für Unmut im Team, das Britta unter sich versammelt hat.
Innerlich wapnet sie sich also für das Gespräch mit ihrer neuen Chefin.
Und trotzdem trifft sie das, was Frau Arendt ihr erklärt, wie ein Vorschlaghammer.
Sie müsste sie von ihrer Vorarbeiterposition entbinden, schlägt es Britta entgegen.
Wie bitte?
Britta soll wieder zur einfachen Reinigungskraft degradiert werden, obwohl sie so hart für diese Beförderung gearbeitet hat?
Sie versteht nicht.
Frau Arendt erklärt ihr, dass sie weiterhin das höhere Gehalt beziehen würde, es für die neue Struktur des Personals aber unumgänglich sei, sie von ihrer Rolle zu entbinden.
Und damit ist das Gespräch beendet.
Britta ist perplex.
Was hatte sie falsch gemacht?
Sie fühlt sich vor den Kopf gestoßen und nicht wertgeschätzt.
Den ganzen restlichen Arbeitstag ist ihr zum Heulen zumute.
Als sie schließlich zu Hause ankommt, brechen alle Dämme.
Ihr Lebensgefährte Peter will wissen, was los ist und Britta schüttet ihm ihr Herz aus.
Auch der 37-Jährige kann nicht verstehen, warum seine Freundin ihre neuen Aufgaben abgeben muss.
Er schlägt Britta vor, dass er mal mit Frau Arendt sprechen könnte.
Aber Britta lehnt ab.
Sie will nicht, dass Peter das für sie regelt.
Sie ist immerhin eine erwachsene Frau und am Ende des Tages macht Frau Arendt ja auch nur ihren Job.
Das versucht sich Britta zumindest einzureden.
Doch auch in den kommenden Wochen gibt es immer wieder Probleme in der Klinik.
Frau Arendt macht Britta das Leben schwer.
Die 41-Jährige hat das Gefühl, nichts mehr richtig zu machen und so geht es auch einigen ihrer KollegInnen.
Das Klima bei der Arbeit verändert sich mehr und mehr und der Job, der früher einmal viel Spaß gemacht hat, wird zum Spießrutenlauf.
Britta versucht daher, das Gespräch mit Frau Arendt zu suchen, denn so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.
Aber die neue Chefin sieht das ganz anders als Britta.
Als Frau Arendt dann irgendwann auch noch Brittas Arbeitszeiten ändern will, hält Britta es nicht mehr aus.
Sie beschwert sich beim Vorgesetzten ihrer Chefin.
Doch auch nach dem Gespräch ändert sich nichts.
Britta belastet die Situation zusehends und das wirkt sich natürlich auch auf ihre Stimmung zu Hause aus.
So gibt es Tage, an denen sie nach der Arbeit weint, schlechte Laune hat und einfach nur ins Bett will.
Monatelang geht das so.
Bis sich im Januar 2003 plötzlich alles ändert.
Denn am 17. Januar 2003 erscheint Frau Arendt nicht wie gewohnt bei der Arbeit.
Schnell machen Gerüchte die Runde, dass der Chefin etwas zugestoßen sei.
Nicht weit von der Klinik entfernt wurden nämlich ihre Brille und ihr Schal gefunden.
Von der 57-Jährigen selbst gibt es aber keine Spur.
Statt Frau Arendt stehen wenig später PolizistInnen vor Britta und ihrem ehemaligen Team.
Britta erfährt so, dass Mitarbeitende der Klinik am Morgen des 17. Januar beobachtet haben,
wie Frau Arendt gegen 6.40 Uhr in ihren weißen VW Polo gezerrt wurde.
Die BeamtInnen gehen von einem Verbrechen aus.
Deshalb werden nun alle Reinigungskräfte zu ihrer Chefin befragt.
Auch Britta.
Auf die Probleme mit ihrer Vorgesetzten angesprochen, erzählt sie offen, dass es nicht immer einfach ist.
Dass Frau Arendt oftmals andere Ansichten hat als der Rest des Teams.
Aber dass sie sich mit der Situation abgefunden hat.
Und damit ist die Routinebefragung auch schnell zu Ende.
Tage und Wochen vergehen und Frau Arendt bleibt trotz umfangreicher Suche
mit Hundertschaften, TaucherInnen und Helikoptern samt Wärmekameras verschwunden.
Die Medien sind stattdessen voll mit Bildern der 57-Jährigen.
Fast täglich sieht Britta das Gesicht ihrer Chefin in den lokalen Zeitungen abgedruckt
oder in Form eines Suchplakats, das in Bad Krotzinger Geschäften, Verwaltungsstellen und natürlich in den Kliniken aushängt
und auf dem um Mithilfe gebeten wird.
Aufmerksam ließ Britta alles, was zum mysteriösen Verschwinden von Frau Arendt publiziert wird.
Bisher erscheint die Soko Polo, wie sich die 30-köpfige Ermittlungsgruppe getauft hat, nicht viel in der Hand zu haben.
Frau Arendt ist weiterhin wie vom Erdboden verschluckt.
Nur zwei Anhaltspunkte gibt es bisher.
Am Tag des Verschwindens hat jemand mit Frau Arendts Bankkarte in einer Volksbankfiliale Geld abgehoben.
500 Euro.
Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen einen ca. 1,70 Meter großen Mann, der sein Gesicht mit einem Schal bedeckt.
Außerdem trägt er eine auffällige Ledermütze mit Fellbesatz, hellblaue Jeans in Karottenform,
einen dunklen Lederblouson sowie dunkle Schuhe und Handschuhe.
Außerdem führt er einen bunten Rucksack mit sich.
Und der zweite Anhaltspunkt?
Das Auto der 57-Jährigen wurde gefunden.
Der weiße VW Polo mit den auffälligen Stickern und dem Firmenlogo an der Seite
stand am Nachmittag des 17. Januar, verlassen, ca. 15 Kilometer südlich von Bad Krotzingen
auf einem Autobahnparkplatz an der A5.
Doch das war's.
Dabei sind mittlerweile schon mehr als neun Wochen vergangen,
seit Frau Arendt das letzte Mal lebend gesehen wurde.
Ein Umstand, der die ganze Gegend in Aufruhr versetzt.
Inklusive Britta.
Dann zieht der Frühling ein.
In das Marktgräflerland.
Die Blumen fangen an zu blühen und der letzte Schnee taut unter der immer wärmer werdenden Sonne.
Am 23. März sind fast alle Schneereste gänzlich geschmolzen
und das grüne Gras kommt wieder zum Vorschein.
Doch nicht nur das.
Beim Gassigehen machen zwei Frauen im Wald eine grausame Entdeckung.
Hinter einem Baumstamm, der ein paar Meter neben dem Wegesrand liegt,
finden sie eine Frauenleiche.
Sperrlich bedeckt, mit Laub und Reisig.
Bei der Obduktion im Rechtsmedizinischen Institut der Uni Freiburg wird schnell klar,
dass es sich bei der Toten um Annette Arendt handelt.
Und dass sie mit mehreren Messerstichen getötet wurde.
Ein brutales Verbrechen.
Der Druck auf die Polizei wächst weiter.
Hoffnung setzen die Ermittler jetzt in einen Massengen-Test.
Im Auto von Frau Arendt konnten sie nämlich mittlerweile männliche DNA-Spuren sicherstellen.
Daher werden jetzt mehr als 750 Männer aus der Gegend zur Speichelprobe gebeten.
Aber die Soko will mehrere Eisen im Feuer halten.
Weil Bad Kotzing, wo Frau Arendt arbeitete, jede Woche tausende Kurgäste aus ganz Deutschland
beherbergt, pochen sie weiter auf Hinweise aus der Bevölkerung.
Um so viele potenzielle ZeugInnen wie möglich zu erreichen, entscheidet man sich für einen
Auftritt in der Sendung Aktenzeichen XY ungelöst.
Am Abend des 25. April flimmert dann ein nachgestellter Film über das Verschwinden von Annette Arendt
über die Bildschirme von Millionen Menschen in Deutschland.
Zum ersten Mal erfährt die Bevölkerung jetzt Einzelheiten zu der Tat.
Das Opfer wurde offenbar gezwungen, sich auszuziehen und mehrmals geschlagen.
Die ZuschauerInnen sind schockiert.
Besonders Britta, die sich die Sendung über ihre ehemalige Chefin an diesem Abend ebenfalls
anschaut.
Nach der Ausstrahlung gehen bei der Soko 35 neue Hinweise ein.
Doch der Entscheidende lässt weiter auf sich warten.
Und zwar ganze 15 Jahre.
Erst 2018 meldet sich plötzlich ein neuer Zeuge bei der Polizei.
Die Person habe lange mit sich gerungen, aber letztendlich mitteilen wollen, was sie schon
jahrelang mit sich herumträgt.
Und zwar könne sich der Zeuge an den Rucksack aus den Überwachungsaufnahmen der Volksbankfilialen
erinnern und an jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der damals genau diesen Rucksack besessen
habe.
Die PolizistInnen werden hellhörig und der Hinweis führt sie in Frau Arendts Arbeitsumfeld,
genauer gesagt zu einer ehemaligen Mitarbeiterin nach Hause.
Die Polizei trifft dort zunächst nur ihren Lebensgefährten an, der erstaunlich erleichtert
auf seine vorläufige Festnahme reagiert.
Als dann kurze Zeit später auch noch die Reinigungskraft mit dem Auto vorfährt, können die
Beamtinnen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Auf dem Polizeirevier wird das Pärchen dann voneinander getrennt vernommen.
Und als die Frau mit dem Hinweis des Zeugen konfrontiert wird und man ihr zudem erzählt, dass
in ihrem Haus die mutmaßliche Tatwaffe im Fall Annette Arendt gefunden wurde, bricht es
aus ihr heraus.
15 Jahre habe sie diesen Tag gefürchtet, erklärt sie.
Und dann kehrt sie mit den Ermittlenden gedanklich zurück an den 17.
Januar 2003.
An diesem Freitag bekommt Britta gegen 10 Uhr morgens einen Anruf von Peter.
Irgendwas stimmt nicht, das merkt sie an seiner Stimme.
Peter will, dass Britta ihn jetzt abholt, in der Nähe eines Waldparkplatzes an der Autobahn.
Britta wundert sich und fährt mit einem unguten Gefühl los.
Als ihr Lebensgefährte sich schließlich neben sie ins Auto setzt, verschlechtert sich ihr
Gefühl nur noch.
Peter ist merkwürdig und fahrig.
Was los ist, will Britta wissen.
Peter erklärt, dass er mit Frau Arendt habe reden wollen, um ihr, Britta, zu helfen, damit
es auf der Arbeit endlich wieder besser wird.
Britta ist geschockt.
Hat sie ihm doch ausdrücklich gesagt, dass sie nicht wolle, dass er sich einmischt.
Es war mehr als zu Redestellen, schiebt er hinterher.
Britta will wissen, was er damit meint.
Sie ist tot.
Die Sache ist erledigt, antwortet er.
Britta traut ihren Ohren nicht.
Sie weiß nicht, was sie sagen soll.
Wie im Autopilot fährt sie nach Hause.
Neben ihr, ihr Lebensgefährte, der gerade einen Menschen getötet haben will.
Auch er sagt nichts mehr.
Er ist daheim angekommen, kann sich Britta aus ihrem Schockzustand befreien.
Sie weint und schreit, fleht Peter an, zur Polizei zu gehen.
Aber der will nicht.
Er erklärt ihr, dass er erstmal seine Gedanken ordnen will.
Für die 43-jährige Britta beginnt die Zeit der Angst.
Angst vor dem Mann, mit dem sie zusammen ist, zusammenlebt und dem sie so etwas niemals zugetraut
hätte.
Aber auch Angst davor, dass die Polizei erfährt, was passiert ist und Peter für immer ins Gefängnis
muss.
Weil Peter ihr nicht erzählen will, was genau er getan hat, liest Britta in den nächsten
Wochen alle Artikel über das Verschwinden ihrer Chefin.
Dadurch erfährt sie, dass Annette Arendt mit mehreren Messerstichen getötet und ihre Bankkarte
gestohlen wurde.
Britta ist entsetzt.
Sie versteht immer noch nicht, warum Peter das getan hat.
Sie selbst hatte sich mit der Arbeitssituation doch schon längst abgefunden.
Vier Monate nach dem Tag, der ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher geteilt hat,
hört sie dann in der Sendung Aktenzeichen XY ungelöst, dass Peter sein Opfer auch noch
gezwungen hat, sich nackt auszuziehen.
Britta kann es nicht fassen.
Sie ist in einem Albtraum gefangen.
Und sie schafft es einfach nicht, den Mann, von dem da im Fernsehen berichtet wird, mit
ihrem geliebten Partner zusammenzubringen.
Als Peter an dem Abend nach Hause kommt, konfrontiert sie ihn mit den neuen Informationen, die sie
hat.
Doch wieder kann er sie davon überzeugen, dass es das Beste sei, nicht zur Polizei zu
gehen.
Dann nämlich würde alles den Bach runtergehen, erklärt er ihr.
Britta müsste dann das Haus alleine abbezahlen, die Tiere alleine versorgen.
Wie soll das gehen?
Britta sieht das ein.
Außerdem will sie eigentlich auch nicht, dass Peter ins Gefängnis muss.
Sie liebt ihn schließlich.
Und so werden aus ein paar Monaten Jahre.
Jahre, in denen sich das Misstrauen gegenüber Peter in ihrem Heim einnistet und es sich gemütlich
macht.
Jahre, in denen Peter immer mehr trinkt und kifft und dafür immer weniger sagt.
Er verändert sich und entwickelt komische Angewohnheiten.
So verlässt er bei Vollmond nachts das Haus und kommt oft erst am nächsten Tag zurück.
Bei was?
Wenn Vollmond ist.
Okay, also es gab zwei Optionen, bei Vollmond oder bei vollem Mund.
Okay, also er ist eine Art Wehrwolf und kein Vielfraß.
Ja, eine Art Wehrwolf und manchmal entdeckt Britta dann auch Schnitte an seiner Brust und
seinen Armen am nächsten Tag.
Wenn sie nach den Verletzungen fragt, heißt es, das sei beim Reparieren der Pferdekoppel
oder ähnlichem passiert.
Und auch wenn mit jedem Jahr etwas mehr Gras über die Sache wächst, vergeht kein Tag,
an dem Britta nicht an das denkt, was Peter getan hat.
Seit dem 17.
Januar 2003 habe sich ihr Leben geändert, doch mutig genug, um Peter bei der Polizei
anzuzeigen, sei sie nicht gewesen, erzählt Britta jetzt, 15 Jahre später auf dem Revier.
Von Peters Plan, Annette Arendt zu konfrontieren, habe sie nichts gewusst, beteuert Britta.
Die Ermitteln glauben ihr und somit darf Britta an diesem Tag auch als freie Frau wieder zurück
nach Hause fahren.
Peter bleibt auf dem Revier.
Er hat bereits gestanden und auch die DNA-Spuren vom Tatort passend zu sein.
Zu den Männern, die vor 15 Jahren zum Massengenentest gebeten worden waren, hatte Peter nicht gehört.
Das Einzugsgebiet lag ein paar Minuten von Peters und Brittas Wohnort entfernt.
Sonst wäre alles höchstwahrscheinlich schon 2003 ans Licht gekommen und Britta hätte nicht
15 Jahre mit ihrem dunklen Geheimnis leben müssen.
Am 19.
Februar 2019 startet dann der Prozess gegen Peter am Landgericht Freiburg.
Der mittlerweile 55-Jährige nimmt an diesem Morgen neben seinem Pflichtverteidiger Platz,
als vor ihm mehrere FotografInnen ihre Auslöse abdrücken.
Peter trägt ein weißes T-Shirt und helle Jeans.
Seine langen Haare und sein Bart sind erkraut.
Die tiefen Falten in seinem Gesicht lassen ihn älter wirken, als er eigentlich ist.
Angeklagt ist Peter wegen Mordes an der ehemaligen Chefin seiner Lebensgefährtin.
Wie es dazu kam, wird allen Anwesenden im Gerichtssaal nun dank der Beweisaufnahme bekannt.
Als Annette Arendt im Jahr 2001 in Peters Leben tritt, ziehen dunkle Wolken in seinen Partys auf.
Nach einer unglücklichen Kindheit und einer gescheiterten ersten Ehe taucht mit ihr wieder jemand auf,
der ihm das Leben kaputt machen will.
So sieht er es.
Jedes Mal, wenn seine Lebensgefährtin Britta schlecht gelaunt nach Hause kommt,
ist Peter sauer auf Annette Arendt.
Er kann das Leid seiner Partnerin schwer ertragen und erst recht nicht die Ungerechtigkeit,
die Frau Arendt in seinen Augen an den Tag legt.
Um die Situation für Britta zu verbessern, will er die Sache selbst in die Hand nehmen.
Doch Britta bittet ihn, das zu unterlassen.
Peter gibt nach.
Vorerst.
Doch die Situation wird nicht besser.
Britta ist in den nächsten Monaten immer wieder schlecht drauf.
Im Bett läuft gar nichts mehr.
Sehr zum Leidwesen von Peter.
Wieso sie nicht den Job wechselt, fragt er Britta.
Ihre Antwort, sie arbeitet doch schon so lange da und eigentlich mache ihr Job eher auch Spaß.
Doch das kann Peter beim besten Willen nicht feststellen.
Zwei Jahre erträgt er die Situation, dann sieht er das Glück seiner Beziehung ernsthaft in Gefahr.
Gegen Brittas ausdrücklichen Willen macht er sich zweimal auf den Weg in die Klinik, um Frau Arendt zur Rede zu stellen.
Doch die lässt ihn beide Male abblitzen.
Er habe ihr bezüglich ihres Führungsstils nichts zu sagen.
Britta verschweigt er die Treffen.
Zu groß ist seine Scham über das eigene Scheitern.
In den nächsten Tagen überlegt Peter, wie er Annette Arendt doch noch überzeugen kann,
ihr Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitenden zu ändern.
Und kommt zu dem Schluss, dass Einschüchterung das beste Mittel sei.
Ja, wenn man sich nicht mehr anders zu helfen weiß.
Am Morgen des 17. Januar 2003, Peters 39. Geburtstag, setzt er diesen Plan in die Tat um.
Dazu packt er einen schwarzen Schal, seine Russenmütze, wie er sie nennt, und schwarze Handschuhe in seinen bunten Rucksack.
Um von Zeuginnen nicht erkannt zu werden.
Außerdem nimmt er ein ca. 40 cm langes Messer mit.
Zwischen 5 und 5.30 Uhr positioniert er sich in der Nähe der Klinik.
An einer Stelle, an der Annette Arendt mit ihrem Auto vorbeifahren muss.
Dort wartet er.
Sofort, als er gegen 6.40 Uhr den weißen VW-Polo erkennt, springt er aus seinem Versteck
und bringt Annette Arendt mit Handzeichen dazu zu bremsen.
Überrascht kurbelt sie das Fenster herunter.
Kalte Luft strömt ins warme Auto.
Peter fordert sie auf, ihn einsteigen zu lassen, um noch einmal über Britta zu sprechen.
Frau Arendt lehnt ab und will gerade das Fenster wieder hochkurbeln.
Da schlägt Peter ihr mit voller Wucht ins Gesicht.
Er öffnet die Tür, schnallt Frau Arendt ab und zerrt sie aus dem Auto.
Dann schlägt er noch einmal so hart zu, dass sie das Bewusstsein, so wie ihre Brille und ihren Schal, verliert.
Peter buxiert die wehrlose Frau daraufhin auf den Beifahrersitz und entführt sie in ihrem eigenen Auto.
Sein Ziel, ein abgelegener Ort, wo sie ihm notgedrungen wird zuhören müssen.
Dort will Peter Annette Arendt einschüchtern und erniedrigen, damit sie sich klein, machtlos und ihm ausgeliefert fühlt.
So wird sie in Zukunft aus Angst vor ihm Britta endlich in Ruhe lassen, so der Plan.
Noch im Auto kommt Annette Arendt wieder zu sich und versucht zu fliehen, doch Peter kann sie davon abhalten.
Noch auf dem Weg zwingt Peter Annette Arendt dann dazu, ihre Bankkarte inklusive ihrer PIN herauszugeben.
Doch das reicht ihm nicht.
Er will die Vorgesetzte seiner Lebensgefährtin, die Britta und ihm in den letzten zwei Jahren das Leben schwer gemacht hat, weiter demütigen.
In einem Waldstück angekommen, holt er daher sein Messer raus und zwingt Annette Arendt sich trotz der Minusgrade zu entkleiden.
Sie tut, was er ihr sagt.
Dann geht es um ihr Verhalten.
Sie müsse einsehen, dass man so nicht mit Menschen umgehen könne und sie das Leben von Britta und ihren Kolleginnen kaputt mache.
Sie müsse ihr Verhalten zukünftig ändern, sonst komme er wieder.
Doch eingestehen, dass Peter recht hat und sie ihr Verhalten gegenüber ihren MitarbeiterInnen in Zukunft ändern wird, das will die 57-Jährige nicht.
Um den Druck auf sein Opfer zu erhöhen und sie endlich dazu zu bringen, ihm zuzustimmen, hält Peter ihr sein Messer schließlich an den Hals und drückt zu.
Als sie auch jetzt nicht nachgibt und ihr angebliches Fehlverhalten einsieht, wird Peter klar, dass sein Plan nicht aufgeht.
Also die ist aber auch ein zäher Knochen.
Ja, auf jeden Fall hat Peter jetzt Gewissheit, dass Annette Arendt ihr Verhalten nicht wegen ihm ändern wird und deswegen entscheidet er sich dazu, sie zu töten.
Peter, der sich vor Gericht jetzt alles ganz genau anhört, stimmt dieser Version der Tat zwar weitgehend zu, allerdings behauptet er,
Annette Arendt habe ihn im Wald provoziert.
Sie habe ihn mit einer Anzeige gedroht und erklärt, sie plane, Britta nun zu entlassen.
Außerdem habe sie ihn ausgelacht und als Schlappschwanz bezeichnet.
Da sei er so wütend geworden, dass er immer wieder auf sie eingestochen habe, so lange, bis sie leblos zu Boden gesagt sei.
Erst als sie da lag, wurde mir klar, was ich getan habe, sagt er vor Gericht.
Töten wollte er sie nie, so Peter.
Am zweiten Prozestag ist Britta geladen.
Als sie den Saal betritt, presst sie ihre Lippen fest aufeinander.
So, als würde sie versuchen zurückzuhalten, was sie all die Jahre gerne mit jemandem geteilt hätte.
Ihre Haare sind ebenfalls mittlerweile grau und ihr Körper wirkt ausgezehrt.
Sie trägt eine Jeans und einen Windbreaker.
Unter ihrer dunklen Sonnenbrille suchen ihre Augen nach Peter.
Als sich die Blicke der beiden treffen, lächelt er.
Britta weint.
Die hatten Sonnenbrille auf?
Ja.
Im Gericht?
Ja, also der Stern, der war auf jeden Fall bei dem Gerichtsprozess dabei und darin wurde das so beschrieben.
Mhm.
Aber zum Beispiel Susanne Preusker, das war die Gefängnispsychologin, die sieben Stunden von dem einen Insassen da gefangen gehalten und vergewaltigt wurde,
die hatte in dem Prozess, wo der Typ dann vor Gericht war, auch eine auf.
Das weiß ich noch.
Ja, also da kann ich das noch irgendwie nachvollziehen, weil das ist ja auch so eine Art Schutz.
Also wenn man sich nicht in die Seele schauen lassen will oder also gerade auch vor seinem Peiniger denn keine Emotionen zeigen will,
weil man ihm das nicht schenken mag.
Aber die Britta war ja jetzt hier nicht das Opfer, deswegen.
Nee, nee, ich weiß, was du meinst.
Und als Britta in den Zeugenstand gerufen wird, da wirkt die 59-Jährige angespannt und irgendwie durch den Wind.
Sie erklärt, dass sie nicht aussagen möchte und beruft sich dabei auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.
Das sei ihr gutes Recht in Anbetracht dessen, dass die beiden verlobt seien.
Um ihre Aussage zu unterstreichen, zeigt sie den RichterInnen einen Ring.
Bei ihrer Vernehmung bei der Polizei hatte sie noch angegeben, die beiden seien nicht verlobt.
Jetzt darauf angesprochen, erklärt sie, sie sei damals verwirrt gewesen.
Daraufhin fragt die Vorsitzende bei Peter nach, ob die beiden verlobt seien und er antwortet,
Nach dieser Aussage berät sich das Gericht kurz und akzeptiert schließlich das Zeugnisverweigerungsrecht von Britta.
Sie muss also nicht nochmal aussagen.
Sie stimmt aber zu, dass verlesen wird, was sie letztes Jahr bei der Polizei ausgesagt hat.
Ich möchte, dass Peter weiß, dass ich immer zu ihm stehe, sagt sie unter Tränen noch.
Dann verlässt sie den Saal.
Wenig später soll ein psychiatrischer Gutachter Antworten darauf liefern, warum sich Peter zu dieser Tat entschloss.
Dazu holt dieser weit aus und beginnt mit Peters Kindheit.
Schon in seiner Jugend geht Peter mit Problemen anders um als viele Gleichaltrige.
Wenn sein Vater wieder einmal betrunken ist und gegen ihn die Hand erhebt, fürchtet Peter danach in den Wald.
Dort umarmt er Bäume, um wieder zur Ruhe zu kommen.
Oder verletzt sich selbst, um den seelischen Schmerz mit Körperlichem zu überdecken.
Mit seinem Blut schreibt er dann in sein Tagebuch.
Ein Problem, das sich erst später in seinem Leben ergibt, ist, dass er bei einem Umzug seinen Hund nicht mit in die neue Wohnung nehmen kann.
Peters Lösung, dem Tier die Kehle durchschneiden, um ihn vor dem Tierheim zu bewahren.
Aber nochmal zurück zu den Tagebüchern.
Die hat er nämlich bis zuletzt gefüllt.
Etliche Notizen, die Jahre zurückreichen, sind neben den Gesprächen mit Peter für den Gutachter die Quelle seiner Informationen.
Und in den Büchern gibt es viel zu lesen.
Laut dem Sachverständigen seien sie, Zitat, eine Fundgrube narzisstischer Selbstüberhöhung.
Darin finden sich wirre Heldengeschichten, in denen Peter sich einsamer Wanderer, Wolf oder Rächer nennt.
Und sich intensiv mit Tötungsfantasien aller Art beschäftigt und diese durchspielt.
Er sieht sich selbst darin als Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen das Schlechte und den Hass in der Welt.
Eine Beschreibung einer Parallelwelt, die allerdings nichts mit der Tat selbst zu tun habe, so der Gutachter.
Er hält Peter für voll schuldfähig.
Es sei bei dem Angeklagten lediglich von einer kombinierten Persönlichkeitsakzentuierung,
mit vor allem narzisstisch-schizoiden Zügen auszugehen, die keinen Einfluss auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit habe.
Das Gericht schließt sich am 11. März 2019 nicht nur dem psychiatrischen Sachverständigen an,
sondern auch dem Staatsanwalt, der in seinem Plädoyer eine Verurteilung wegen Mordes gefordert hat.
Auch wenn die RichterInnen Peter glauben, dass er nicht mit der primären Absicht,
Anette Ahren zu töten, in den Wald gefahren ist, sei ihm bewusst gewesen,
dass die Situation möglicherweise nicht so ausgehen wird, wie er sie geplant hatte.
Das Mordmerkmal, welches das Gericht anführt, ist das der sonstigen niedrigen Beweggründe.
Allerdings legen die RichterInnen sich nicht fest, welcher Grund es am Ende genau war.
Entweder, heißt es in der Urteilsbegründung, wollte Peter durch die Tötung von Anette Ahren doch noch sein Ziel erreichen,
eine Verbesserung von Britas Arbeitssituation und somit auch ihrer seelischen Verfassung zu bewirken.
Das Tötungsmotiv wäre dann Peters Wille gewesen, sein Ziel um jeden Preis zu erreichen.
Oder Peter hat sich aus Wut zur Tötung von Anette Ahren entschlossen.
Aber nicht, weil Anette Ahren ihn provoziert hätte, das glaubt das Gericht nämlich nicht,
sondern weil Peter über das Scheitern seines ursprünglichen Plans, sein Opfer einzufüchtern, extrem wütend war.
Egal welches Motiv letztendlich zur Tötung geführt hat,
in beiden Fällen klaffen Anlass und Tathandlungen so weit auseinander,
dass die Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe erfüllt seien.
Es sich demnach um Motive handelt, die nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind
und auf tiefster sittlicher Stufe stehen.
Und trotzdem hat Britta ihren Lebensgefährten verziehen.
15 lange Jahre hatte sie mit einem Mörder zusammengewohnt,
aber ihn weder verlassen noch verraten.
Und selbst jetzt, wo er die nächsten 15 Jahre hinter hohen Gefängnismauern leben wird,
steht sie weiter zu ihm.
Sie möchte ihn sogar bald heiraten und ihm versprechen,
in guten wie in schlechten Zeiten bei ihm zu bleiben,
obwohl sie das ja schon längst bewiesen hat.
Also wie bescheuert ist das ernsthaft?
Also weil deine Frau auf Arbeit ein Problem hat und irgendwie schlechter gelaunt ist,
deswegen, es gibt wirklich tausend andere Lösungsalternativen, als dann die Chefin umzubringen.
Und ich habe auch manchmal das Gefühl, dass es nicht so eine gute Idee ist,
wenn die Männer irgendwie die Angelegenheiten oder die Streitigkeiten für ihre Frauen klären
oder wenn die angegriffen werden, wenn auch nur verbal, siehe Will Smith.
Ja, was soll das?
Wieso traut man der Frau das nicht zu, das selbst in die Hand zu nehmen?
Genau.
Und in dem Fall hier hat Britta ja sogar gesagt, sie möchte nicht, dass Peter das klärt,
dass er mit der Frau Arendt redet und so weiter.
Und man denkt sich einfach so, chill, wie unangenehm ist es auch,
dass dein Mann hinter deinem Rücken schon mehrmals das Gespräch mit der Chefin sucht.
Ja.
Geht's noch?
Als wärst du ein Kind, das irgendwie nicht alleine seine Angelegenheiten regeln kann.
Voll.
Aber was sagst du jetzt generell zu Britas und Peters weiterer Beziehung?
Also, dass Britta da geblieben ist und auch noch jetzt,
dass die beiden zueinander stehen und heiraten wollen?
Also, ich finde, das ist ein ganz komisches Paar.
Und ich glaube, dass die in einer ganz komischen Abhängigkeitskonstellation leben.
Ich meine, wenn dein Partner einen Menschen tötet,
dann ist das doch nicht die Person, die du liebst.
Und sich das dann auch noch so mit aufzubuckeln, diese 15 Jahre,
dass du davon weißt und dass ja im Grunde genommen auch du der Auslöser dafür warst.
Es ging ja alles über Britta.
Also habe ich jetzt ehrlicherweise kein Verständnis für.
Ja, ich kann mir das nur so erklären, dass Britta das vielleicht dann doch auch so gesehen hat,
dass ja Peter das für sie gemacht hat.
Und dass man sich das vielleicht dann so ein bisschen so einredet,
so er wollte eben, dass mein Leben besser ist.
Bring ihr Blumen mit, Alter.
Ja, und vor allen Dingen, wenn du merkst, dass der Mann, der neben dir schläft jede Nacht,
wenn der zu sowas fähig ist, dann kriegt man ja auch Angst.
Und einmal kurz zum Opfer, weil Frau Arendt, muss man jetzt sagen,
hier wirklich sehr kurz gekommen ist in der Geschichte, was ich auch sehr bedauere.
Aber tatsächlich finden sich so gut wie gar keine Informationen über die Frau.
Was ich aber auf jeden Fall unbedingt nochmal betonen wollte,
diese Sache auf der Arbeit, dass Frau Arendt, der Britta, das Leben schwer gemacht hat
und auch andere KollegInnen sich irgendwie beschwert haben oder nicht gut gefühlt haben.
Also da wurde auch ein bisschen nachgehakt und da konnte man jetzt wirklich nicht von Mobbing oder so sprechen.
Da gab es auch keine einzelnen Szenen, die jetzt Britta oder Peter nochmal explizit später hervorholen konnten,
die das irgendwie nochmal bewiesen haben.
Ja, und das wollte ich halt eben nochmal sagen, dass hier nicht das Bild entsteht von einer Person,
die irgendwie da hingekommen ist und alle gemobbt hat,
sondern das war eine Person, die da auch für Ordnung sorgen sollte
und halt einfach einen strengen, soliden Führungsstil an den Tag gelegt hat.
Und Peter wurde ja jetzt wegen Mordes aus sonstigen niedrigen Beweggründen verurteilt
und diese gehören zur ersten Gruppe der Mordmerkmale,
bei der es immer um die innere Einstellung der TäterInnen geht.
Darunter fallen Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier.
All das sind niedrige Beweggründe, die wir hier im Podcast ja auch schon mal behandelt haben.
Trotzdem kann auch jemand, bei dem keines der drei Motive zutrifft,
wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden.
Und das liegt eben an dem letzten Mordmerkmal dieser Fallgruppe,
den sonstigen niedrigen Beweggründen.
Und das sind Gründe, die jetzt im Gegensatz zu den drei Spezialfällen,
Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier nicht genau definiert sind.
Aber es sind immer Gründe, die besonders verachtenswert, absolut unmoralisch,
selbstsüchtig und nicht nachvollziehbar sind.
Bei Peter haben wir ja jetzt schon von zwei möglichen Gründen gehört,
weil es hieß ja, entweder hat er Frau Arendt getötet,
um sein Ziel, Brittas Arbeitssituation zu verbessern, endlich durchzusetzen,
oder aus Wut darüber, dass dieser Plan nicht aufgegangen ist.
Und jemanden töten, weil man seinen Willen nicht bekommt, ist ja jetzt schon was,
da würde ich sagen, das kann man eher nicht nachvollziehen.
Aber Wut ist ja eine Empfindung, die wir alle immer mal wieder spüren.
Aber nicht nur Wut, auch Enttäuschung, Hass, Neid, Eifersucht oder auch Rache
können als niedrige Beweggründe gelten.
Aber nur, wenn sie, und das ist ganz wichtig, für die Allgemeinheit völlig unverständlich sind.
Also wenn eigentlich alle, die objektiv und neutral auf die Situation schauen,
dieses Gefühl in dem Ausmaß nicht verstehen können.
So wie wir jetzt nicht verstehen können, dass Peter so extrem wütend wird,
dass sein Plan nicht funktioniert hat, dass er daraufhin einen Menschen tötet.
Genau, das ist natürlich, ja, aber bei fast allen Tötungsbelegten so,
dass man das nicht nachvollziehen kann.
Aber das bezieht sich jetzt vor allem auf seine Gefühlsregung.
Um festzustellen, ob ein Beweggrund niedrig ist,
muss ein Gericht alles, was es zur Tat gibt, gründlich analysieren.
Also sämtliche Umstände der Tat, die Vorgeschichte des Täters oder der Täterin,
die Einstellung, die Lebensverhältnisse und die Persönlichkeit.
Aber auch die Rolle des Opfers bei der Tat.
Also ob das Opfer vielleicht mit dazu beigetragen hat in irgendeiner Form,
dass es so ausging, wie es ausging.
Und das hat man natürlich auch bei Peter gemacht und geguckt,
was genau Peters Wut hervorgerufen hat, wenn wir jetzt mal bei dem Motiv bleiben.
Dabei kam er dann zu dem Schluss, dass Frau Arendt lediglich auf alles,
was Peter ihr angetan hat, also die Entführung, die Schläge,
das Demütigen und die Bedrohung mit dem Messer, reagiert hat
und in keinster Weise für die Eskalation der Situation verantwortlich war.
Ganz im Gegenteil, das war Peter ganz alleine.
Der hat die Situation erschaffen, die so eine Wut in ihm ausgelöst hat
und deshalb stellt die in diesem Fall auch einen niedrigen Beweggrund dar.
Das kann aber auch anders aussehen,
wenn die Wut des Täters oder der Täterin eine gewisse Berechtigung hat.
Das zeigt ein Fall aus dem Jahr 2000,
in dem ein Mann seine Ehefrau getötet hat,
nachdem diese ihn im Streit aufs Übelste beleidigt
und ihm vorgeworfen hatte, impotent zu sein.
Der BGH hat in diesem Fall entschieden, dass die Wut keinen niedrigen Beweggrund darstellt,
weil die Äußerungen der Frau den Mann tief getroffen und gekränkt haben.
Das zeigt also, das gleiche Gefühl kann auch zu ganz unterschiedlichen Urteilen führen.
Ein anderes Kriterium, das Gerichte häufig verwenden, um zu bestimmen,
ob ein Beweggrund jetzt niedrig ist oder nicht,
ist, ob eine extreme Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Motiv und der Tat vorliegt.
Das hat das Landgericht beispielsweise auch in Bezug auf Peters anderes mögliches Motiv gemacht.
Also wo es darum ging, dass Peter um jeden Preis einfach die Arbeitssituation von Britta verbessern wollte.
Und da hat man eben festgestellt, hier gibt es objektiv gesehen ein krasses Missverhältnis.
Britta wollte erstens ja gar nicht, dass Peter sich einmischt.
Und zweitens hatte sie sich ja ihre Aussage nach mittlerweile mit der Situation schon abgefunden.
Ja, und das muss man halt auch wirklich mal sagen, dass das echt fern von einer nachvollziehbaren Reaktion ist.
Also sowas erklärt ja eigentlich halt ein Betriebsrat oder man kündigt halt.
Ja.
So, und neben den Motiven, die Laura gerade aufgezählt hat,
gibt es natürlich noch viele andere, die unter das Mordmerkmal fallen können.
Zum Beispiel auch diese sogenannten Ehrenmorde.
Also wenn Täter in einem Familienmitglied, das angeblich die Ehre der Familie beschmutzt hat,
in Anführungsstrichen, töten, um dann diese Ehre wieder herzustellen.
Weil auch wenn die Rettung der Ehre in der Kultur der TäterInnen oft einen ganz anderen Stellenwert hat,
schaut man in Deutschland halt nur auf die Wert- und Moralvorstellungen, mit denen wir uns hier identifizieren.
Das ergibt ja auch Sinn, weil die meisten Menschen in Deutschland,
die empfinden das halt als ein krasses Missverhältnis, eine Frau zu töten,
weil sie Sex vor der Ehe hatte zum Beispiel.
Ja, und dann finde ich das auch genau richtig, dass das als Mord gewertet wird.
Aber das Ding ist, wenn die Täter deutsch sind und es um Tötung von Frauen geht,
dann wurde da bisher jetzt nicht immer so Klarstellung bezogen.
Ulrike Lembke, die ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien
an der Humboldt-Universität in Berlin,
Die kritisiert gegenüber der Zeit, dass die deutschen Gerichte in der Vergangenheit
viel zu oft ein großes Einfühlungsvermögen für die Männer hatten,
die ihre Ex-Partnerinnen getötet haben.
Also, dass die sozusagen Verständnis haben walten lassen für den verlassenen Mann
und seine Verlustängste oder seine Wut über die Trennung
oder über seine Verzweiflung bezogen auf zerstörte Lebensträume
oder was sich der Mann halt eben gedacht hat, wie sein Leben weiter verläuft.
Und Professorin Lembke erklärt, dass dieses Verständnis dann häufig aufgehört habe,
wenn es nicht mehr um deutsche Täter ging.
Dann sei nämlich nicht mehr von so einem vulnerablen emotionalen Zustand die Rede,
sondern von einem verachtenswerten Besitz denken.
Lembke ist also der Ansicht, dass die deutsche Rechtsprechung verkennt,
dass nicht nur Ehrenmorde, sondern genauso Trennungstötungen
in patriarchale Strukturen eingebettet sind
und dass diese vor Gericht eigentlich ähnlich behandelt werden sollten.
Das Gute ist, es gibt Hoffnung.
2022 hat der BGH nämlich New Turn gemacht,
weil, das haben wir schon mal in der Femizid-Folge erzählt,
dass der BGH 2008 entschieden hat,
dass ein niedriger Beweggrund jetzt nicht unbedingt vorliegt bei so einer Trennungstötung,
wenn die Frau sich vom Mann getrennt hat davor.
Genau, und das ist natürlich ein Ding gerade bei Femiziden.
Also Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind.
Weil man dann halt nach dieser Argumentation im Grunde sagt,
wenn die Trennung von der Frau ausging,
dann ist so eine Tötung eher nachvollziehbar
und daher auch kein niedriger Beweggrund.
Und deswegen, wenn dann kein anderes Mordmerkmal erfüllt ist,
eben im Zweifel auch kein Mord.
Und da muss man dann ja schon sagen,
dass hier dem Opfer auch eine Art Mitschuld zugesprochen wird,
weil es sich halt trennen wollte.
Und deswegen die Reaktion des Täters eher nachzuvollziehen ist.
Genau, und 2022 sind da jetzt eben aber ganz andere Töne zu hören gewesen.
Und zwar wurde festgestellt, dass der Umstand,
dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist,
gerade eben nicht gegen einen niedrigen Beweggrund spricht.
Das sind auf jeden Fall gute Neuigkeiten.
Aber wir kommen jetzt nochmal zurück zu unserem Beispiel vom Anfang.
Und zwar von dieser Person, die mit ihrer Telefoniererei
da den Mann so wütend gemacht hat, dass er ihn getötet hat.
Und dieses Beispiel zeigt nochmal,
wie willkürlich so eine Motivation manchmal sein kann,
die dann halt auch als niedriger Beweggrund zählt.
Was auch darunter zählen kann, ist Angeberei.
Das hatte der BGH 1998 so entschieden,
nachdem ein junger Mann einen griechischen Restaurantbesitzer erstach,
um seinen neuen rassistischen Freunden zu imponieren
und damit sozusagen zu zeigen, er ist einer von ihnen.
Und man kann auch wegen dieses Mordmerkmals verurteilt werden,
wenn man jemanden tötet, nur um etwas zu verheimlichen.
Also jetzt keine Straftat,
da würde dann wieder ein anderes Mordmerkmal greifen,
nämlich das der Verdeckungsabsicht,
sondern eine Affäre zum Beispiel.
Also Laura, wenn du jetzt Angst hast,
dass dein Mann von deiner Affäre erfährt,
die du ja sicherlich hast,
und den Lover dann deswegen tötest,
dann könntest du wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden.
Weil du eben durch die Tötung natürlich dem entgehen wolltest,
dass du dich deiner Verantwortung stellst für deine Untreue.
Was ich auch interessant fand,
niedrig kann ein Grund auch sein, wenn er gar nicht existiert.
Das hört sich jetzt komisch an,
aber der BGH hat 2004 entschieden,
dass Menschen, die ohne Grund töten,
auch wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden können.
Da ging es jetzt speziell um einen Fall,
in dem zwei Betrunkene einen älteren Bekannten
in seiner Wohnung besuchten
und dann aus heiterem Himmel auf ihn losgingen,
den Verprügelten anpinkelten, die Haare abrasierten
und ihn schließlich erwürgten.
In diesem Fall, in dem überhaupt kein Grund für die Tötung festgestellt werden konnte,
sagte der BGH also,
dass hier auch wegen Mordes verurteilt werden kann.
Und zwar, weil die Täter in dem Bewusstsein gehandelt haben,
keinen Grund für die Tötung zu brauchen.
Also so eine Einstellung,
bei der Täter in meinen nach gut dünken,
über das Leben von anderen Menschen zu verfügen,
die steht auch auf sittlich tiefster Stufe.
So, in dem Fall, den ich euch jetzt erzähle,
geht es auch um ein Motiv,
das unter die sonstigen niedrigen Beweggründe fällt,
das wir bisher aber noch nicht besprochen haben.
Mein Fall zeigt,
dass eine eingebildete Welt
nicht immer dort bleibt, wo sie entsteht.
Manchmal schwappten die Dinge daraus
ins reale Leben,
wie Ängste, Aggressionen, Bedrohungen und auch Gewalt.
Einige Namen habe ich geändert.
Und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Laura, weißt du noch,
was du im September 2021 getan hast?
Geheiratet.
Richtig.
Normalerweise hätte ich mich jetzt nicht daran erinnern können,
was in der Zeit passiert ist.
Aber wenn man ins Handy guckt
und seine Fotos aus der Zeit hat,
habe ich das auch gesehen.
Erinnere dich mal,
das war ja die Standesamtliche.
Wie war das für dich?
Wie war die Stimmung?
Wie viele Tränen hat Julian,
dein Bruder, vergossen?
Der hat auf jeden Fall geheult.
Ich auch.
Und du ja auch.
Das habe ich nämlich auf dem Foto gesehen.
Das halte ich für ein Gerücht.
Genau, das Wetter war ja nicht so bombig,
erinnere ich mich noch.
Vor allem, weil die meisten ja draußen
vor dem Standesamt warten mussten.
Ja genau, wir durften ja nur
eine bestimmte Anzahl von Leuten
reinlassen ins Standesamt wegen Corona.
Ja, das war deine Ohmsen zum Beispiel, ne?
Die war auf jeden Fall drin, ja.
Papa und Co.
Und der Rest, so wie ich,
stand halt eben draußen
und wir haben dann Laura danach
aggressiv mit Konfetti beschmissen.
Das hat unserer Stimmung
an dem Tag jetzt gar keinen Abbruch getan.
Aber es gab einige Menschen.
Für die waren die Maßnahmen,
die in der vierten Corona-Welle
einzuhalten waren,
ausschlaggebend dafür,
sich ein Untergangsszenario
zurechtzulegen.
So geschehen auch bei einer Person
in Idar-Oberstein.
Es ist ein Samstagabend,
Mitte September 2021.
Um zehn vor halb zehn
hat sich die Sonne
für heute schon verabschiedet.
Die rheinland-pfälzische Kleinstadt
ist bereits ins dunkle Dämmerlicht getaucht,
das durch das grellblaue Licht
der Aral-Tankstelle
an der Hauptstraße durchbrochen wird.
In der Tankstelle
schiebt Alex gerade seine Schicht.
Den fast zwei Meter großen
20-jährigen Schüler
trennt eine Plexiglasscheibe
von zwei Freundinnen,
die ihn gerade auf der Arbeit besuchen.
Sophie unterhält sich aufgeregt
mit Alex über die mit Schokoriegel
und kleinen Jägermeisterflaschen
aufgefüllte Theke.
Emilia straft Alex mit Schweigen
und er weiß ganz genau wieso.
Sie ist sauer,
weil Alex sie gestern versetzt hat.
Schöne Kette,
sagt Alex zu der 18-Jährigen
und versucht damit irgendwie
die Wogen zu glätten.
Scheint nicht zu ziehen,
obwohl Emilia Alex nie lange böse sein kann.
Sie lässt ihm nahezu alles durchgehen.
Das Trio wird durch ein Reusband unterbrochen.
Ein Mann schiebt sich
mit einem Six-Pack-Bags vorbei
an dem Ein-für-ein-Euro-Angebot
Richtung Kasse.
Es tut mir leid,
sagt Alex in Richtung der zwei Mädels,
die Arbeit ruft.
Wir reden später.
Die beiden treten zur Seite
und machen Platz für den Kunden,
ohne zu ahnen,
dass es ein Später mit Alex
nicht geben wird.
Dass Alex gemeinsam mit seiner Mutter Heike
von den USA nach Deutschland gezogen ist,
ist bereits 16 Jahre her.
Seitdem hat er sich in Idar-Oberstein
einen großen Freundinnenkreis aufgebaut.
Der 20-Jährige mit den wuscheligen braunen Haaren,
die er manchmal unter einer Käpp versteckt,
ist beliebt.
Denn er merkt sofort,
wenn es jemandem nicht gut geht
und bringt alle ständig zum Lachen.
Und das,
obwohl es ihm in letzter Zeit selbst
oft nicht so gut ging.
Per Aspera ad Astra
hat er sich auf seinem Unterarm
als Tattoo verewigt.
Durch Mysal
gelangt man zu den Sternen.
Doch vor allzu großen Anstrengungen
hatte sich Alex
die letzten Jahre eher fern gehalten,
hat Dinge lieber aufgeschoben.
Seine Ausbildung hatte abgebrochen,
dann doch lieber
den Realschulabschluss nachgeholt.
Er wusste nicht so richtig,
wohin mit sich und seinem Leben,
so wie das bei vielen Teenagern eben so ist,
die in jungen Jahren schon entscheiden sollen,
welchen Grundstein
sie für ihr ganzes Leben legen sollen.
Dann kam noch Corona
und Alex wurde von seinen Sorgen übermannt.
Er ließ sich und sein Leben treiben.
Doch seit etwa einem Dreivierteljahr
hat Alex nun neuen Antrieb bekommen.
Nach seinem Realschulabschluss
besucht er die berufsbildende Schule,
lernt für sein Abi
und schmiedet große Pläne für danach.
Alex will die Grundausbildung
bei der Bundeswehr machen,
viel reisen und die Welt erkunden
und später vielleicht sogar noch
an der Bundeswehruni studieren.
Doch das nächste Ziel,
was sich Alex gesteckt hat,
ist seinen Führerschein zu machen.
Dafür jobbt er jetzt
seit ungefähr einem Dreivierteljahr
nebenbei an der Tankstelle.
An diesem Samstag,
im September,
hat er die Schicht gemeinsam mit Arbit.
Der ist heute
für den Bistro-Bereich zuständig.
Wenn sie nicht gerade KundInnen bedienen,
quatschen die beiden.
Nach Feierabend
will Alex noch ins Granada,
einem Club ganz in der Nähe.
Alex Schicht verläuft
wie jede andere bisher auch,
bis ein Zwischenfall
die Stimmung trübt.
Um 19.48 Uhr
öffnet sich die gläserne Schiebetür
im Eingangsbereich
und ein Kunde betritt
den grell ausgeleuchteten Verkaufsraum.
Er läuft zu den Kühlschränken,
holt zwei Six-Pack Bier heraus
und stellt sich in die Warteschlange
vor die Kasse.
Als er an der Reihe ist,
stellt der Kunde das Bier
auf die Theke hinter dem Plexiglas
vor Alex ab.
Der Mann trägt keine Maske,
obwohl zu dieser Zeit
in Rheinland-Pfalz
in geschlossenen Verkaufsräumen
Maskenpflicht herrscht.
Alex bittet den stämmigen Mann
mit den kurzen grauen Haaren
und blauen Augen,
seine Mund-Nasen-Bedeckung
aufzusetzen.
Der Mann,
der jetzt aber vor Alex steht,
schüttelt auf seinen Hinweis hin
nur den Kopf
und sagt,
nee.
Alex beginnt zu diskutieren.
Regel ist Regel.
Der Mann vor ihm
macht deutlich,
dass er kein Verständnis
für die bestehenden Regelungen hat.
Doch an Alex
prallt das ab.
Er besteht darauf,
dass der Mann
eine Maske aufsetzt
und zwar bevor er ihn bedient.
Wütend stößt er daraufhin
die beiden Six-Packs
in Richtung der Plexiglasscheibe.
Das laute Klirren
der aneinanderstoßenden
Bierflaschen
untermalt den Abgang des Mannes,
der sich umdreht
und wütend aus der Tankstelle
stiefelt.
Auf dem Weg
zu seinem Auto
ballt er seine linke Hand
zu einer Faust,
die er drohend
in Richtung Alex streckt.
Alex tauscht sich
über das,
was da gerade passiert ist,
mit Arbit aus.
Danach geht die Schicht
für die beiden normal weiter.
Viele andere KundInnen,
die sich an die Maskenpflicht
halten wollen,
abkassiert werden
und so wird dem Vorfall
nicht mehr Aufmerksamkeit
geschenkt
als unbedingt notwendig.
Wenig später betreten
zwei vertraute Gesichter
die Tankstelle.
Es sind Emilia und Sophie,
die Alex noch
einen kurzen Besuch abstatten,
bevor sie ins Granada vorgehen.
Die beiden stellen sich
vor den Tresen
und Emilia kauft
einige Chubber-Chubs.
Alex merkt,
wie angefressen
sie wegen gestern ist
und bemüht sich,
die Stimmung aufzuheitern,
bis sich ein Mann
hinter Emilia und Sophie
räuspert.
Die beiden drehen sich um
und machen Platz
für den Kunden.
Alex erkennt ihn.
Es ist derselbe Mann,
der sich vor etwa
anderthalb Stunden
noch geweigert hat,
eine Maske aufzusetzen.
Doch diesmal trägt er eine.
Er hat wieder Bier in der Hand
und tritt ganz ruhig
nach vorne an die Kasse.
Doch plötzlich
zieht er seine Maske
wieder herunter.
Ganz bestimmt
und dann noch ruhig
weist Alex ihn wieder
darauf hin,
die Maske hochzuziehen.
Doch der Mann
gegenüber antwortet
wieder nur mit
Nee.
Tu die Maske hoch,
sagt Alex darauf hin
und unterstreicht seine Worte,
indem er mit beiden Händen
demonstriert,
wie er sich
eine Maske aufsetzt.
Echt?
fragt der Mann.
Ja,
antwortet Alex und nickt.
Es dauert nicht mal
eine Sekunde,
da zieht der Mann
eine Waffe
und bevor irgendjemand
in der Tankstelle
reagieren kann,
durchbricht ein lauter
Knall die Stille.
Eine Kugel
durchschlägt das Plexiglas.
Alex sackt
hinter dem Tresen
zu Boden.
Am selben Abend
hat es sich Heike
bereits frühzeitig
in ihrem Bett
bequem gemacht,
als sie noch einmal
einen Blick auf ihr Handy
wirft und in einer
ihrer WhatsApp-Gruppen
eine Nachricht aufploppt.
An der Aral-Tankstelle
in Idar-Oberstein
sollen Schüsse gefallen sein.
Ein Schock
durchfährt ihren ganzen Körper.
Dort arbeitet ihr Sohn Alex.
Doch ob er heute
Schicht hat,
weiß sie nicht.
Sofort ruft sie ihn an,
doch niemand hebt ab.
Sie probiert es bei Emilia,
sie kennt die Freundin
von Alex.
Doch auch sie
antwortet nicht.
Kurze Zeit später
klingelt Heikes Telefon.
Es ist Emilia,
die ihr erzählt,
was passiert ist.
Panik steigt in Heike auf.
Sofort springt sie
aus dem Bett
und rast zur Arbeitsstelle
ihres Sohnes,
wo sie von einem Meer
aus Blaulicht empfangen wird.
Panisch und in totaler Furcht
versucht sie sich ihren Weg
ins Innere der Tankstelle
zu bahnen.
Doch die Polizei
hält sie auf
und lässt sie nicht durch.
Heike bleibt nichts anderes
übrig, als zu warten.
Jede Sekunde
fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
Bis sie wieder
einen Blick aufs Handy wirft
und auf Facebook sieht,
dass ihr jemand
mein herzliches Beileid
geschickt hat.
Heikes Kehle
schnürt sich zu,
als sie die Zeilen liest.
Und doch wird es
noch eine ganze Weile dauern,
bis die Polizei
ihre schlimmsten Befürchtungen
bestätigt.
Es war Alex,
es war Alex,
der hinter der Kasse stand.
Es war Alex,
auf den geschossen wurde.
Es ist ihr Sohn,
der tot ist.
Während die ganze Stadt
noch in Schockstarre verharrt
und niemand so richtig fassen kann,
was sich an der Aral-Tankstelle
zugetragen hat,
dürfen sich die Ermittlungen
ihrer Fassungslosigkeit
nicht hingeben.
Denn derjenige,
der für die Tat verantwortlich ist,
scheint wie vom Erdboden verschluckt.
Eine Augenzeugin,
die zum Tatzeitpunkt
gerade draußen getankt hat,
berichtet,
dass sie den Schuss gehört
und im Anschluss beobachtet habe,
wie ein Mann noch
mit der Waffe in der Hand
die Tankstelle zu Fuß
verlassen hat.
So schnell wie möglich
machen sich die BeamtInnen
an die Auswertung
der Aufnahmen
der Überwachungskameras.
Und tatsächlich,
die gesamte Tat
ist von vorne bis hinten
aus verschiedenen Winkeln
aufgezeichnet worden.
Das Gesicht des Schützen
ist klar zu erkennen.
Und so veröffentlicht
die Trierer Polizei
eine Fahndungsmeldung
mit den Überwachungsbildern
des Mannes.
In der heißt es,
derzeit dürfte der Täter
im Stadtgebiet Idar-Oberstein
zu Fuß unterwegs sein.
Der Mann ist bekleidet
mit einer dunklen Hose
und einem weißen T-Shirt.
Er ist mit einer Pistole bewaffnet.
Sprechen Sie den Mann nicht an
und nähern Sie sich ihm
unter keinen Umständen,
sondern wählen Sie bitte
sofort den Notruf.
Personen,
die den Mann erkennen,
werden gebeten,
sich umgehend mit der Polizei
in Verbindung zu setzen.
Die ganze Nacht lang
fahndet ein Großaufgebot
an PolizistInnen
nach dem Unbekannten,
doch er bleibt
in der Dunkelheit unerkannt.
Es ist halb neun Uhr morgens
am nächsten Tag,
als vor der Polizeiinspektion
in Idar-Oberstein
ein Mann auftaucht,
der sagt,
sich selbst stellen zu wollen.
Es ist der Mann,
den die BeamtInnen
am Abend vorher
auf den Überwachungskameras
gesehen haben.
Er stellt sich
als Roland Baumann vor,
ein selbstständiger
Softwareentwickler,
der,
als er etwa
zweieinhalb Stunden später
in ein Vernehmungszimmer
gebracht wird
und ihm zwei BeamtInnen
der Trierer Mordkommission
gegenüber sitzen,
ein ausführliches
Geständnis ablegt.
Er erzählt,
dass er am Abend
zuvor gegrillt habe,
dass er Nachschub
am Bier besorgen wollte,
dass ihm dann aufgefallen sei,
dass er seine Maske
vergessen habe
und der Verkäufer
dann angefangen habe,
zu stänkern.
Das habe ihn dann
zu Hause
nicht mehr losgelassen.
Also sei er zurückgefahren,
habe,
als er sich erneut
etwas kaufen wollte,
die Maske heruntergezogen
und sofort geschossen.
Eine Kurzschlussreaktion
unter Alkoholeinfluss
sei das gewesen.
Zweieinhalb Wochen später.
Die Bühne der Messehalle
Idar-Oberstein
ist umrandet von Thunien,
die man auch Lebensbäume nennt.
Ein symbolisches Bild.
Denn der,
um den es heute geht,
weilt nicht mehr
unter den Lebenden.
400 Menschen sind gekommen,
um sich von Alex
zu verabschieden.
In der Regel
sind die Leute,
um die man weint,
weil sie gegangen sind,
älter.
Dass man um einen
20-Jährigen trauert,
passiert nicht häufig.
Alex war noch jung,
hatte noch alles vor sich.
Gerade hatte er sich
wieder in der Welt zurechtgefunden,
hatte Pläne für seine Zukunft geschmiedet.
Noch vor kurzem
hatte er Freunde im Granada
zu 90er-Jahre-Musik
auf seine Schultern genommen.
Alex war so jung,
dass er die 90er
nicht mal selbst miterlebte.
Er war so jung,
dass er Freundinnen
noch mit Edding
im Gesicht rumkritzelte,
wenn sie schliefen.
Noch so leichtsinnig,
dass er einmal
in eine stillgelegte Kaserne einbrach,
um dort Chicken McNuggets zu essen.
Alex war Freund
für so viele.
Für seine ArbeitskollegInnen,
MitschülerInnen
und für Emilia und Sophie,
die mit ansehen mussten,
wie der,
der sie immer zum Lachen brachte,
vor ihren Augen starb.
Er war Sohn für Heike,
deren einziges Kind
ihr genommen wurde.
Offenbar,
weil Alex jemanden
auf die Maskenpflicht hinwies.
Die Takte von Amazing Grace
hallen durch den Raum,
bevor Heike die Bühne betritt.
Sie steht hinter einem Rednerpult,
links und rechts
neben ihr weiße Blumen
und Laternen.
Sie atmet tief durch,
dann beginnt sie zu sprechen.
Bitte haltet ihn
als den tollen Menschen
in Erinnerung,
der er war
und nicht als den Jungen,
der an der Tankstelle
sein Leben lassen musste.
Denn er war so viel mehr als das.
Immer wieder kämpft sie mit den Tränen.
Alex war ein lebenslustiger,
hilfsbereiter,
intelligenter,
charmanter,
charismatischer
sowie chaotischer und verrückter,
aber vor allem
ein liebevoller
und lustiger junger Mann,
sagt Heike,
bevor sie nach oben
in Richtung Himmel blickt
und sich direkt an ihren Sohn wendet.
Mein Engel,
ich werde dich immer lieben
und dein Name
wird nie in Vergessenheit geraten.
Sein Name war Alex.
Sein Name war Alex.
Diese Worte stehen jetzt
in riesigen Buchstaben gemalt,
auch am nahen Ufer
in Idar-Oberstein.
Ein Graffiti-Künstler
hat dort an einer Mauer,
die man offiziell besprühen darf,
an Alex erinnert.
Derselbe Satz steht auch
auf Masken,
die sich Menschen haben bedrucken lassen,
die sie jetzt stolz tragen.
Manche beschriften
ihren Mund- und Nasenschutz
auch handschriftlich.
Doch nicht alle
zeigen sich so solidarisch.
Tatsächlich betreten
gerade in der ersten Woche
noch immer Menschen
ohne Maske
die Aral-Tankstelle.
Auf den Inhaber wirkt es,
als würden diese Leute
provozieren wollen.
Von seinen Mitarbeitenden
verlangt er aber nicht,
die KundInnen
auf die Maskenpflicht hinzuweisen.
Denn tatsächlich
wird schon relativ schnell klar,
dass nicht alle
die Tötung von Alex verurteilen.
Ein paar Tage nach der Tat
lassen sich in den Medien
Berichte lesen,
dass ein Mann
einer Verkäuferin
ebenfalls gedroht habe,
sie zu erschießen,
nachdem sie den Kunden
auf seine fehlende Maske
aufmerksam gemacht hat.
Bei einer ähnlichen Situation
in einer Bahn
wird eine Frau angeschrien,
dass auch sie erschossen gehöre.
Wie man mittlerweile weiß,
soll der Mann,
der Alex erschossen hat,
bei seiner Vernehmung gesagt haben,
dass er ein Zeichen
gegen die Politik setzen wollte.
Und das wird jetzt aufgegriffen.
Unter VerschwörungstheoretikerInnen
macht sich die Erzählung breit,
dass man in Deutschland
ja nahezu in einer Diktatur lebe
und endlich einer
dagegen aufgestanden sei.
So wird die Tötung eines 20-Jährigen,
der ganz ruhig darauf hinwies,
dass Maskenpflicht herrsche,
als Heldentat umgedeutet.
Als Tat,
die nahezu in Notwehr passierte,
nachdem man die BürgerInnen
durch die Regelung
so in die Ecke gedrängt habe,
dass sie sich nicht mehr
anders zu helfen wussten.
Eine andere Erklärung
findet sich in einschlägigen
Telegram-Gruppen.
Dort verbreitet ein
Querdenker-Influencer
mit über 80.000 Followern,
dass die Tat
die Handschrift
des Geheimdienstes trage
und reine Inszenierung sei,
um QuerdenkerInnen
und der AfD zu schaden.
Und all jene,
ich kann nicht mehr,
und all jenen,
die sich trauen würden,
Fragen zu stellen.
Dazu zählt er ausdrücklich,
halt QuerdenkerInnen,
Rechtsradikale und Nazis.
Ich will nicht sagen,
dass der Attentäter
gekurft ist,
aber die Wahrscheinlichkeit
ist doch relativ hoch,
sagt er.
Ein relativ offensichtliches
Manöver,
um davon abzulenken,
dass das irrationale
Reinsteigern
in Verschwörungserzählungen
hier offenbar
das erste Mal
sein Tribut gefordert hat,
und zwar in Form
eines Menschenlebens.
Während in Deutschland
Alex Tod die Debatte
um die Maßnahmen
der Regierung
weiter entfacht hat,
laufen im Hintergrund
immer noch die Ermittlungen.
Eine Soko
findet in Roland Baumanns Haus
auf seinem Schreibtisch
einen geladenen Revolver.
Es ist der,
mit dem Alex erschossen wurde.
Im Wohnzimmer
stoßen die BeamtInnen
auf eine weitere Waffe
mitsamt Munition.
Außerdem stellen sie
ein Handy und ein Tablet sicher.
Erst später
wird sich herausstellen,
dass diese und noch
weitere Geräte
den Ermittlungen
einen klaren
und erschreckenden Einblick
in Rolands Gedankenwelt
gewähren lassen werden.
Mehrere Terabyte an Daten
werden letztendlich
genau Aufschluss darüber geben,
wieso Alex sterben musste.
Es ist der 21. März
2022,
als der Prozess
vor dem Landgericht
Bad Kreuznach
gegen Roland eröffnet wird.
Bekleidet mit einem
dunkelblauen Pullover,
durch Handschellen gefesselt
und mit einer Maske
betritt er den Saal.
Während er auf der
Anklagebank
neben seinen beiden
Verteidigern
und hinter einer
Plexiglasscheibe
Platz nimmt,
richten etliche
MedienvertreterInnen
ihre Kameras auf ihn.
Das Interesse der Öffentlichkeit
ist riesig.
Alle Augenpaare sind auf ihn
gerichtet
und eines ganz besonders,
das von Heike.
Nächtelang vor dem
Prozessauftakt konnte sie
nicht mehr ruhig schlafen.
Trotzdem wollte sie heute
hier sein, um dem Mann,
der ihren Sohn aus dem
Leben gerissen hat,
gegenüber zu sitzen.
Auf der
Nebenklagebank.
Doch ihren Blick
erwidert er nicht.
Als die Staatsanwaltschaft
die Anklageschrift verliest
und die Szenen,
die sich vor einem
halben Jahr in der
Tankstelle abgespielt
haben sollen,
beschreibt, kann Heike
ihre Tränen nicht mehr
zurückhalten.
Immer wieder muss sie
zu einem Taschentuch
greifen.
Roland wird wegen
heimtückischen Mordes
aus sonstigen
niedrigen Beweggründen
angeklagt.
Der Angeklagte wiederum
macht nicht den Anschein,
als ginge es hier um
ein Leben, das er
beendet hatte.
Meist schaut der
50-Jährige nach unten
oder beschäftigt sich
mit der Plexiglasscheibe,
die vor ihm aufgebaut ist,
durch die er, wie er meint,
die vorsitzende Richterin
nicht richtig sehen könne.
Auch seine Maske
störe ihn.
Er sei Asthmatiker.
Als die vorsitzende
Richterin ihm gestattet,
diese abzusetzen,
reißt er sie sich
sofort von der Nase.
Gerade in diesem Prozess,
in dem ein Fall
verhandelt wird,
bei dem eine Diskussion
über eine Maske
offenbar Anlass für
den Angeklagten war,
jemanden zu erschießen,
nimmt es die Vorsitzende
nicht gerade so genau
mit der Mund-Nasen-Bedeckung
und erlaubt allen
Verfahrensbeteiligten,
sie abzusetzen.
Wie es zu der Tat kam,
die fast ein ganzes Land
mit etlichen Fragen
zurückgelassen hat,
darauf soll in 24 Verhandlungstagen
vor dem Landgericht Bad Kreuznach
eine Antwort gefunden werden.
Doch um Rolands
Entwicklung zu verstehen,
muss man ganz am Anfang
anfangen.
Roland wird 1977
in der ehemaligen DDR geboren.
Er wächst gemeinsam
mit seiner Schwester
bei seiner Mutter
und seinem alkoholabhängigen Vater auf.
Roland selbst spricht
von einer schwierigen Kindheit,
von einem Vater,
der ihn und seine Schwester
und auch die Mutter
damals schlägt.
Als er etwa acht Jahre alt ist,
kommt der Vater,
ein Waffener,
zu ihm ins Kinderzimmer
und droht ihn zu erschießen.
Ein bewaffneter Mann,
der einer anderen Person
nach dem Leben trachtet,
Ein Erlebnis,
das sich in Rolands
späterem Leben
so ähnlich
noch zwei weitere Male
wiederholen wird.
Sicher war Roland
als Kind Opfer
seines Vaters
und diese Rolle
begleitet ihn auch
als Erwachsener,
auch wenn er sie da
bereits hätte ablegen können.
Das erste Mal
problematisch bemerkbar
macht sich das
im Jahr 2015.
Bis zu dem Zeitpunkt,
so wird Roland es später
in Chats schreiben,
fühlt er sich wohl
in Deutschland.
Bis dahin ist alles okay.
Doch als dann 2015
viele Geflüchtete
bei uns in Deutschland
ein neues Zuhause suchen
und ein Großteil von ihnen
eine Aufnahme
bei uns versprochen wird,
wird sich Roland
von den PolitikerInnen
nicht mehr repräsentiert.
Mit zunehmender Zeit
entwickelt er regelrecht
Hassgefühle
gegenüber den AmtsträgerInnen,
die die sogenannte
Willkommenspolitik vertreten.
Vor allem
gegen Angela Merkel.
Bei der Hausdurchsuchung
von Roland
wurden elf Geräte
beschlagnahmt
mit insgesamt
mehreren Terabyte Daten,
die vor Gericht
ein erschreckendes Bild
über seine politische Einstellung
und über die Verschwörungstheorien,
in denen er aufgesessen ist,
offenbaren.
So schreibt er mit einem
Bekannten damals
über einen Messenger,
dass im Jahr 2030
der große Austausch
bereits stattgefunden haben wird
und Deutschland
und Europa
nicht mehr da wären.
Wir erinnern uns,
der große Austausch,
das ist diese Idee
von einer Umvolkung,
also einer Verschwörungstheorie
der neuen Rechten.
Die wird auch
von Teilen der AfD
befeuert
und die besagt,
dass man halt Deutsche
durch Deutsche
in Anführungsstrichen
durch Geflüchtete
ersetzen will.
Er wütet in Chatnachrichten
über Gaskammerfantasien,
die er in Bezug
auf ZuwanderInnen
und PolitikerInnen hat.
Rolands Abneigung
gegen das Land,
in dem er lebt,
wird so groß,
dass er seinem Schwager,
dem Mann seiner Schwester,
der mit ihr in den USA lebt,
sagt, dass er darüber nachdenkt,
auszuwandern,
weil er die Geflüchtetenpolitik
hier nicht mehr aushalte.
In einem Video
im Sommer 2019,
das er an seinen Schwager schickt,
sagt er,
dass die Deutschen
das dümmste Volk der Welt seien
und die USA
wenigstens Trump hätten.
Roland scheint die USA
aber nicht nur wegen
des damaligen Präsidenten
attraktiv zu finden.
Alle drei Jahre
besucht er dort
auch seine Schwester,
zu der er ein enges Verhältnis hat.
Zu seinem Schwager
erst recht.
In einer Videonachricht,
die er ihm schickt,
sagt er,
dass er niemanden
außer ihm habe,
mit dem er so sprechen könne.
Gleichgesinnte
findet Roland sonst eher
auf jenen Plattformen,
die seine Meinung teilen.
So klickt er sich beispielsweise
durch die rechtsradikale
US-amerikanische
Online-Plattform Infowars,
die nicht nur extremistische
und rassistische Äußerungen
verbreitet,
sondern noch weitere
Verschwörungstheorien bedient,
wie dass der 11. September
und die Mondlandung
eine Inszenierung
der US-Regierung
gewesen seien.
Auch die Klimakrise
hält Roland für Quatsch
und beleidigt Greta Thunberg
in Nachrichten
sexistisch und ableistisch.
Roland neigt dazu,
sich in solchen
Verschwörungserzählungen
zu verlieren.
Und dann kommt der März 2020
und mit ihm zwei Ereignisse,
die Rolands Welt,
die bis dahin eh schon
aus seinem eigenen Antrieb
heraus ins Schwanken geraten ist,
noch mal mehr
auf den Kopf stellen.
Im März verhängt die Bundesregierung
den ersten Lockdown
und im selben Monat
schießt Rolands Vater,
der erst kürzlich
mit einem Lungenkarzinom
diagnostiziert wurde,
erst Rolands Mutter
in den Kopf
und er schießt
anschließend sich selbst.
Rolands Mutter
überlebt den Kopfschuss
schwer verletzt.
Zwei Ereignisse,
die zusammen Roland
weiter destabilisieren.
Denn Roland ist der Überzeugung,
dass sein Vater
wegen Corona
medizinisch
nicht geholfen worden sei.
Ein Sachverständiger
hält vor Gericht dagegen
und sagt,
dass mit bösartigen
Geschwülsten in der Lunge
ohnehin nur
eine kurze Lebenszeit
zu erwarten sei.
Wegen der Corona-Maßnahmen
kann Roland seine Mutter
in der Zeit im Krankenhaus
nur selten besuchen.
Bei der Beerdigung
seines Vaters
habe er erst gar nicht
dabei sein dürfen,
was ihn schwer belastet habe,
führen er und seine
Verteidiger vor Gericht an.
Doch tatsächlich
galt die Regelung
Keine Angehörigen
bei Beisetzungen
nur ein paar Wochen
und die Bestattungsunternehmerin
gibt an,
dass Roland nicht
darum gebeten habe,
die Ohrenbestattung
auf einen späteren Zeitpunkt
zu verschieben.
Aber diese Erzählung
passt in sein Bild
von sich als Opfer
der Corona-Regelung,
die er selbst
für völlig unnötig hält.
Denn Roland glaubt
nicht daran,
dass das Corona-Virus
mehr ist als nur
eine Variante
des Grippevirus
und dementsprechend
auch nicht gefährlicher
als die Grippe ist.
Nur nochmal für alle,
die Corona
mittlerweile auch schon
verdrängt haben.
Also tatsächlich
sind allein 2021
in Deutschland
über 70.000 Menschen
im Zusammenhang
mit Corona gestorben.
Und im Gegensatz dazu
haben wir uns jetzt mal
Zahlen der Grippetoten
aus der Welle
2017, 2018
angesehen,
weil da nämlich
die stärkste
seit 30 Jahren war
und in der Saison
sind daran
etwa 25.000 Menschen
gestorben.
Also
sehr viel weniger.
Ja,
und dazu muss man sich
ja noch denken,
im Jahr 2021
hatten wir ja schon
viele Maßnahmen.
Ja, ja.
Und auch eine Studie
aus dem Jahr 2022
hat sich die
Übersterblichkeit
in anderen Ländern
im Vergleich
nochmal angesehen.
also die prozentuale
Übersterblichkeit
und die gibt an,
wie viele Menschen
mehr in einem
Zeitraum gestorben sind,
als unter normalen
Umständen zu erwarten
gewesen wäre.
Und auch da war das
Ergebnis,
seit 1918
gab es keine
größere Übersterblichkeit
durch Infektionskrankheiten
als 2020
durch Covid-19.
Und auch da
trotz aller Maßnahmen
wie Lockdowns
oder ähnliches.
Da Roland
das Virus
damals aber für
ungefährlich hält,
empfindet er auch
die Impfung
als unnötig.
Und mehr noch,
er hält sie
für lebensbedrohlich
und zwar nicht nur
für die Leute,
die sich impfen lassen
wollen, sondern auch
für die, die es
nicht tun.
Roland teilt nämlich
die Behauptung,
dass Kontakt zu Geimpften
Ungeimpfte
krank oder
unfruchtbar
machen könnten.
Durch das
sogenannte
Shedding
sollen Impfstoffe
oder deren Produkte
aus dem Körper
der geimpften
Person ausscheiden
und Ungeimpfte
schädigen.
Eine Erzählung,
die schon vor Corona
von ImpfgegnerInnen
verbreitet wurde.
Als Rolands Nachbar,
mit dem er sich
regelmäßig zum Gassi gehen
trifft, sich impfen lässt,
bricht Roland den Kontakt
mit ihm ab.
Auf seine Mutter,
bei der nach dem
Tötungsversuch Krebs
diagnostiziert wurde,
redet er so lange ein,
sich nicht impfen zu lassen,
bis sie seinem Rat
Folge leistet.
Das Thema Impfen
ist auch ein großer
Streitpunkt zwischen
Roland und seiner Schwester.
Als die ihre Tochter,
also Rolands Nichte,
impfen lässt
und danach die gesamte
Familie schwere
Grippesymptome zeigt,
ist sich Roland sicher,
dass das Shedding
daran schuld ist.
Während seine Schwester
und die Familie aber sagt,
dass sie sich mit
Covid angesteckt hätten.
Die ganze Situation
nimmt Rolands Aufmerksamkeit
immer mehr ein.
Noch dazu läuft es bei ihm
bereits seit 2019
finanziell nicht mehr so gut.
Die Lage für seine Firma,
die Apps entwickelt,
wird zunehmend schlechter.
Erst recht,
als ihm im Jahr 2020
ein Auftrag entzogen wird,
weil der Auftraggeber
wegen der Arbeit
im Homeoffice
ein Projekt pausieren muss.
ein wirtschaftlicher Tiefpunkt
für Roland.
Allerdings ist es auch hier
nicht so,
dass Roland gar nichts
zu der Lage,
in der er sich befindet,
beigetragen hat.
Im März 2021
lehnt er beispielsweise
ein Projekt ab,
weil es im Zusammenhang
mit der Corona-Warn-App steht
und er das nicht
mit seiner Überzeugung
in Einklang bringen kann.
In der Zeit
der Kontaktbeschränkung
radikalisiert sich Roland
immer weiter
und rutscht ab
in eine Parallelwelt.
Wie auch schon 2015
zum Thema Geflüchtete,
sucht er sich
online Gleichgesinnte,
die seine Frustration
nur noch befeuern.
Der psychiatrische Gutachter
sagt vor Gericht,
dass Roland
durch die von ihm
ausgewählten Medien
sich die Erklärung
für sein Leid rausgesucht hat,
die ihm am besten
ins Bild gepasst habe.
Intelligent genug
sei er gewesen,
sich aus der Spirale
der Desinformation
selbst herauszuziehen,
aber er machte es nicht.
Und so deutet sich
Roland eine Welt zurecht,
die so gar nicht existiert.
Ein Zeuge sagt aus,
dass Roland genau
dasselbe mit Videospielen
getan habe,
sich seine eigene Welt
und seine eigene Realität
erschaffen.
Durch rechte
Verschwörungsideologen,
wie beispielsweise
US-Radio-Moderator Alex Jones,
Foren, in denen
Gleichgesinnte unterwegs sind
und rechte Blogs,
entwickelt Roland die Vorstellung,
Deutschland
schlittere
einem Bedrohungsszenario
entgegen.
Im Internet
konsumiert er nur Medien,
die seine eigenen
Erzählungen bedienen.
Herzstillstand
nach Impfung,
das Schweigen
aller Beteiligten,
heißt es da.
Auf Twitter
folgt er den Accounts
von Julian Reichelt,
Björn Höcke
und Birgit Kelle.
Wer ist die letzte Person?
Ja, also sie sagt,
sie sei Journalistin.
Ich würde sie als
Trans- und
Frauenverachterin
bezeichnen.
Eine gute Mischung dann.
Mit den Personen,
mit denen er sich austauscht,
findet zunehmend eine
Verrohung der Sprache
statt.
Sie reden von Aufstand,
davon, dass man sich
zur Wehr setzen muss,
wenn nötig,
auch mit Gewalt.
Er spricht davon,
Jens Spahn die Kehle
durchschneiden zu wollen.
Ach du Scheiße.
Der Austausch mit anderen
darüber bestärkt ihn darin,
dass das tatsächlich
eine Lösung sein könnte.
Fremde geben ihm online
das Gefühl der Zugehörigkeit.
Roland handelt natürlich
damals als Einzeltäter,
ganz klar,
aber er hatte,
und das wusste er bereits
vor der Tat,
den Rückhalt einer großen
Community,
die hinter ihm stehen würde.
Der digitale Raum,
in dem sich Roland
bewegt hatte,
hat eine Art
kollektiven Wahn
in einer Blase erschaffen.
Und diese Stimmung,
die sich da so aufgeheizt hatte,
ist irgendwann in die reale Welt
übergeschwappt.
Und dass das irgendwann
passieren würde,
war tatsächlich absehbar.
Und zwar spricht man hier
von einem
stochastischen Terrorismus.
Kurzer Exkurs dazu.
Also beim stochastischen Terrorismus
geht es darum,
dass durch all das,
was bei Roland
halt auch passiert ist,
also Desinformation,
Untergangsszenarien,
aufstachelnde Reden,
etc.,
dass das am Ende dazu führt,
dass ein Gewaltakt
einer Person
immer wahrscheinlicher wird.
Und zwar halt nicht
von bestimmten Einzelnen,
sondern generell.
Also bei irgendeiner Person
wird das Fass schon überlaufen.
Statistisch gesehen
ist dann also vorhersehbar,
dass einer es dann macht,
wenn andere
nur genug Hass
und Wut streuen.
Und warum reden wir darüber
und benennen das so?
Damit man sich
von außen halt anschauen kann,
welche Gegebenheiten
ermöglichen die Bedingungen dazu,
dass Gewalt
immer wahrscheinlicher wird.
Und damit sich bestimmte Leute
dann halt auch vielleicht,
die im Netz hin und her wüten,
sich dann vielleicht auch mal hinterfragen,
was habe ich denn eigentlich
zur Eskalation beigetragen?
Und deswegen werden
beim stochastischen Terrorismus
halt eben auch die Leute
in die Verantwortung genommen,
die dazu beigetragen haben,
dass einer irgendwann
diese Tat begeht.
Also ist der stochastische Terrorist
oder die Terroristin
nicht die Person,
die tötet
oder Gewalt ausübt,
sondern beispielsweise
halt ein Hassredner
oder eine Frau,
die eine Botschaft
in die Welt sendet.
also halt die Personen,
die den Weg
zur Tat ebnen.
Juristisch sind die
natürlich nicht zu belangen.
Es gibt ja im Zweifel
nicht mal eine direkte Verbindung,
schon gar nicht,
die man irgendwie nachweisen könnte.
Aber ich finde,
das ist ein interessanter Aspekt
in dieser Online-Welt,
in der wir mittlerweile
ja auch halb leben.
Ja, und das erinnert mich
auch so an diesen
Christchurch-Attentäter.
Das war dieser Rechtsterrorist,
der einen Terroranschlag
auf zwei Moscheen
in Neuseeland
durchgeführt hat
und das alles
live gestreamt hat,
wo das auch im Vorhinein
in diesen Foren
da besprochen wurde
und dann ja auch
dazu so angestachelt wurde,
wo dieser Stream
dann ja auch sogar
von diesen Leuten
geguckt wurde
und da dann trotzdem
keiner sich gemeldet hat
oder irgendwie
das stoppen wollte
oder sowas.
Und hätte dieser Typ
gar nicht diese Community
hinter sich gehabt,
ist ja fraglich,
ob das dann überhaupt
so passiert wäre,
auch das mit dem Livestream
und so weiter.
Ja, und bei Roland
ist halt eben
was Ähnliches passiert
plus kam noch dazu,
dass sich mehrere Menschen
halt gegenseitig
aufgestachelt haben,
indem sie sich erzählt haben,
sie seien die Auserwählten,
die die Machenschaften
des Staates durchschauen.
Also sie seien die freien Köpfe,
die jetzt zum Wohle
aller handeln müssen.
Und einer macht es dann halt eben.
Und in diesem Fall
war es Roland.
Nicht im Effekt übrigens,
sondern weil sich bei ihm
immer mehr aufstaute.
Am 29. August,
also knapp drei Wochen
vor der Tat,
schreibt er in einem Chat
aus einem PC-Spiel,
dass ihn die Beschränkungen
aggressiv machen würden
und diejenigen,
die ihn darauf hinweisen würden,
eine Maske zu tragen,
damit rechnen müssten,
den Arsch versorgt zu bekommen.
In dem Moment,
als Alex ihn am 18. September
auf die Maske hinweist,
fühlt sich Roland von ihm
gedemütigt.
Bis hierhin und nicht weiter,
denkt er sich.
Er fährt zu einer anderen
Tankstelle,
kauft sich dort sein Bier,
fährt wieder nach Hause,
trinkt und schickt seinem Schwager
eine Nachricht,
in der er sagt,
I'm about to pick up my 357,
just go there,
shoot the fucker in the face.
Danach fährt er zurück
zur Aral-Tankstelle,
wo er das wahrmacht,
was er schon 2020
online angekündigt hatte,
als er schrieb,
Maskenpflicht auf dem Globus-Parkplatz,
ich lande dieses Jahr noch
wegen Mord oder Totschlag
im Knast.
Eine Art
selbsterfüllende Prophezeiung.
Rolands Anwälte
versuchen vor Gericht
zwar darzulegen,
dass er zur Tatzeit
betrunken gewesen sei,
um eventuell eine
verminderte Schuldfähigkeit
rauszuschlagen,
doch weder auf der Aufnahme
der Überwachungskamera
der Tankstelle
noch auf den Videos,
die er seinem Schwager schickte,
sind motorische Einschränkungen
oder sprachliche Ausfälle
zu erkennen.
Auch Emilia und Sophie,
die aus nächster Nähe
ansehen mussten,
wie ihr Freund starb,
geben an,
dass sie zu keinem Zeitpunkt
den Eindruck gehabt hatten,
dass Roland betrunken gewesen sei.
Auch wenn er wahrscheinlich
um die zwei Promille gehabt hat.
Im Gegenteil,
er habe keine Mine verzogen
und in Alex Gesicht gezielt,
als sei es das
Normalste der Welt.
Zitat.
Und so,
als wissen er ganz genau,
was er tue.
Auch die Oberpsychologie-Rätin
des LKA,
die vor Gericht die TAP
psychologisch nachzeichnen soll,
sagt,
dass Roland sich diese
feindliche Außenwelt
über Jahre hinweg
aufgebaut habe.
Eine Coping-Strategie,
denn Rolands normale
Bewältigungsstrategien
reichten nicht aus,
um mit Krisen umzugehen.
Er brauche Erklärungen,
Schuldige,
Feindbilder,
die an seiner Situation
schuld sind
und gegen die er sich
verteidigen muss.
Die kontinuierlich
wiederholte Beschäftigung
mit Gewalt in Chats
und auch Fantasietaten
sowie das Abwerten,
Objektivieren von Menschen,
die in das Feindbild passen,
seien typisch für diese Art Täter,
wie Roland es ist,
sagt sie.
Auch Roland selbst
gibt vor Gericht zu,
dass er Alex
nur als Projektionsfläche
gesehen hat
und er damit
austauschbar war.
Und genau deswegen
fordert die Staatsanwaltschaft,
dass Roland wegen Mordes
aus niedrigen Beweggründen
verurteilt wird.
Denn Roland wollte
ein Zeichen setzen
und hat Alex
zum Objekt
eben jenes Zeichens
gemacht.
Als die Oberstaatsanwältin
den Tathergang verließ,
wischt Heike sich
immer wieder die Tränen
aus dem Gesicht.
Nach 24 Verhandlungstagen
kann sie nur hoffen,
dass das Gericht
eine gerechte Strafe
für den findet,
der ihrem Sohn
das Leben genommen hat.
Roland richtet
seine letzten Worte
direkt an Heike.
Es tut mir sehr leid,
ich kann mir sehr gut
vorstellen,
wie sie sich fühlen.
Er wünsche es sich,
könne aber die Zeit
nicht mehr zurückdrehen.
Heike nimmt
die Entschuldigung
nicht an.
Niemals wird sie
ihm verzeihen können,
was er getan hat.
Am 13. September
verkündet dann die Kammer,
Roland ist des heimtückischen
Mordes aus niedrigen
Beweggründen
an Alex schuldig.
Roland habe Alex
repräsentativ für
verantwortliche
PolitikerInnen ermordet.
Demnach lag seine Tat
laut Gericht
ein vorwiegend
politisches Motiv zugrunde.
Rolands rechtsradikale
Einstellung und sein Hass
auf ein etabliertes System.
Als Heike die Worte
der Richterin hört,
bricht es aus ihr heraus.
Sie weint.
Ganz in Schwarz gekleidet,
gibt sie mit stockender Stimme
später einige Interviews
und sagt,
egal wie das Urteil ausgegangen
wäre, es hätte ja nichts
daran geändert, was passiert ist
und welcher Mensch
verloren gegangen ist.
Es bringt ja nie wieder
mein Kind zurück.
Heike ist sich sicher,
wäre Alex noch am Leben,
wäre der Sommer 2022
sein schönster gewesen.
Alex hätte sein Abitur
bestanden,
wäre mit seinen FreundInnen
in den Urlaub gefahren
und hätte dabei
ausgiebig gefeiert.
Doch all das hat Roland
ihm wegen seiner
idealistischen
Verblendung genommen.
Auf seinem Facebook-Profil
hat Alex mal geschrieben,
dass seine größte Angst
ist, vergessen zu werden.
Heike hat für sich
ihren Vater und ihre
Schwester Anhänger
mit Alex Fingerabdruck
darauf anfertigen lassen.
So ist er immer bei ihm
und weit weg davon,
jemals von ihm
vergessen zu werden.
Also dieser Fall
macht mich so fertig.
Ich kann es nicht mehr hören.
Ich kann diese Sachen
nicht mehr hören
von wegen
Impfungen sind
ich kann das gar nicht
ich kann das ja gar nicht
wiederholen.
So irre ist das,
was er da von sich
gegeben hat.
Und
ich hasse das auch,
diese Menschen,
die dann
nur meckern
die ganze Zeit
und sich nur
beschweren
und man denkt sich so
du wohnst in Deutschland
und musst jetzt eine
Maske anziehen
wenn du in eine
Tankstelle gehst
um dein blödes
scheiß Bier
zu kaufen.
Was ist man
für eine Person
wenn man
meint
man wüsste
alles besser
und alle anderen
agieren falsch
und man hätte die
man hätte halt einfach
andere Rechte
als andere
und
nee
ich kann das nicht
ich kann das nicht mehr hören
und jetzt sagt er ja
es tut ihm leid
und er würde es ja
rückgängig machen
Bullshit
der hat davor
schon das
angekündigt
dass er
hier jemanden
erschießen wird
und dass er noch
in Haft kommt
und so weiter
wirklich
ich habe das auch
schon so oft gehört
dass Leute
die in irgendwelchen
Geschäften
gearbeitet haben
was die da für
einen Struggle
hatten
mit Leuten
die ihre Maske
nicht aufsetzen
wollten
total
ich finde es auch
fies
weil manche
InhaberInnen
oder
die
die wollten
natürlich auch
dafür Sorge
tragen
weil es halt
in dem Fall
nun mal
dann
gesetzt war
und ich hatte
damals
auch ein
Erlebnis
mit einer Frau
an der Tankstelle
weil ich weiß noch
das war relativ frisch
von Covid
und ich hatte damals
echt Angst vor dem Virus
und seltsamerweise
waren immer
in Tankstellen
die Leute ohne Maske
und ich hatte sie dann
gefragt
warum sie denn
nicht die KundInnen
darauf hinweist
ob die eine Maske tragen
weil das sollte man
ja zu der Zeit
und dann tat sie mir
halt auch wieder
leid
weil sie meinte
sie wissen nicht
wie oft ich das
am Tag machen muss
und was ich hier
verantworten bekomme
und ich meine
das war vor diesem Fall
und im Nachhinein
so kann ich das
dann auch verstehen
nur man wusste halt
zu der Zeit
auch noch gar nicht
so richtig
wie kann man sich
überhaupt anstecken
und eine Maske zu tragen
war damals irgendwie
so eine große Chance
die Pandemie
so ein bisschen einzudämmen
was ich bei Roland
auch wirklich
problematisch fand ist
weißt du
der kann sich ja
nicht impfen lassen
sagt ja niemand was
also wir hatten
keinen Impfzwang
in Deutschland
es wäre völlig okay gewesen
wenn der das für sich
alles so regelt
wie er das möchte
solange er andere
damit nicht gefährdet
aber der hatte halt
diesen Missionsdrang
und der wollte
Menschen wachrütteln
und die eine Gutachterin
hat ihn halt auch
als übergriffig
charakterisiert
und ich meine
das sieht man hier
ja ganz deutlich
dass der versucht hat
alle irgendwie
von seiner Meinung
zu überzeugen
und den Kontakt
abgebrochen hat
wenn die sich
anders verhalten haben
aber in seiner
Vorstellung
und in seiner Erzählung
in die er sich
selber reingesteigert hat
drohte halt eben
der baldige
Untergang
also immer noch ein paar Jahre alt- und der neue Ecke gedrängt ist und man kann dem nicht mehr entkommen
das befeuert so eine Situation dann natürlich auch noch
und dieses ständige Auseinandersetzen ja damit
und das fand ich ganz interessant
das hat nämlich der eine Gutachter vor Gericht auch ausgesagt
dass man sich im besten Fall maximal 30 Minuten am Tag mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen
also das fand ich ganz interessant
damit man nicht in so ein Rabbit Hole
abrutscht
ich würde jetzt theoretisch sagen
ist wahrscheinlich auch ein bisschen wenig
30 Minuten
aber vielleicht gerade für Leute
die merken
das tut denen gesundheitlich nicht gut
und ist für die psychisch belastend
ja weil meistens
man halt auch nichts daran ändern kann
an der Situation
deswegen hört sich das eigentlich auch sehr
hilfreich an
wie du sagst
für die Leute
die dann
entweder Herzschmerz bekommen
weil sie total überwältigt sind
von dem Leid das auf unserer Erde herrscht
oder dass die sich dann
irgendwelche komischen Erklärungen suchen
wie Roland
um irgendwie anders damit klar zu kommen
ja total
aus Rolands Sicht
hat der deutsche Staat
mit den Pandemienmaßnahmen
Grenzen überschritten
so sagte er das
ja
und deshalb wollte er
ein Zeichen gegen die Politik setzen
und dafür hat er halt zu Gewalt gegriffen
und so eine Tötung aus politischen Motiven
kann eben auch ein Mord
aus niedrigen Beweggründen darstellen
also beispielsweise dann
wenn TäterInnen ihre Opfer
allein aufgrund ihrer eigenen
politischen Überzeugung
oder halt wegen deren Zugehörigkeit
einer sozialen oder ethnischen Gruppe töten
also wenn dem Opfer jetzt
allein wegen seiner Zugehörigkeit
zu einer Gruppe
das Lebensrecht abgesprochen wird
und das Opfer dann quasi
entpersönlicht wird
und als Repräsentant oder Repräsentantin
dieser Gruppe getötet werden soll
also gar nicht als Individuum betrachtet wird
und deswegen wurde auch in Rolands Fall
das Mordmerkmal der sonstigen
niedrigen Beweggründe bejaht
weil Alex eben überhaupt nichts
zu der Situation
und Rolands Hut beigetragen hatte
sondern in dem Moment wirklich
völlig austauschbar war
also heißt
es wäre egal gewesen
wer davor Roland gestanden hätte
und ihm gesagt hätte
er hätte geschossen in dem Moment
aus dem gleichen Grund
werden auch bei terroristischen Akten
jetzt die völlig willkürlich
unbeteiligte Menschen
treffen in der Regel
niedrige Beweggründe angenommen
genauso wie bei Tötungen
die halt einen rassistischen
homophoben oder
ableistischen Hintergrund haben
passenderweise werden
solche Taten ja auch
als Hasskriminalität bezeichnet
und in diesen Fällen
ist dieses Gefühl von Hass
eben ein besonders
verachtenswertes Motiv
wir haben ja jetzt die ganze Zeit
von dem einen Tatmotiv
bezüglich der sonstigen
niedrigen Beweggründe gesprochen
aber es können auch mehrere Motive
gleichzeitig vorhanden sein
und wie das Gericht dann entscheidet
hat uns Dr. Klaus Malek erzählt
der ist Fachanwalt für Strafrecht
und in dieser Folge
uns Experte
bei einem sogenannten Motivbündel
kommt es darauf an
welches Motiv im Vordergrund steht
bei der Annahme von niedrigen Beweggründen
müssen diese also das Hauptmotiv sein
lässt sich nicht feststellen
welches von mehreren Motiven
das entscheidende ist
so kann laut Rechtsprechung von Mord
nur ausgegangen werden
wenn Motive ausgeschlossen werden können
die nicht auf niedrigster Stufe stehen
das heißt
jedes Motiv niedrig ist
ansonsten kann keine Verurteilung
wegen Mord erfolgen
das ist jetzt vielleicht für manche
ein bisschen schwer nachzuvollziehen
aber es gibt einen Fall
an dem man das ganz gut erklären kann
und zwar später im Jahr 2002
hier verlässt eine Frau
ihren todkranken Mann
weil sie mit einem anderen zusammen sein will
und daraufhin tötet ihr Ex sie
aus folgenden Gründen
die das Gericht dann später feststellen kann
und zwar Verärgerung, Eifersucht, Wut
und aus tiefster Enttäuschung
über das Verlassen worden sein
um dann herauszufinden
welches Motiv bei der Tat
im Vordergrund stand
wird ein psychiatrisches Gutachten
zur Persönlichkeit des Täters erstellt
und dadurch wird dann damals klar
dass seine tiefe Enttäuschung
über das Verlassen worden sein
das Hauptmotiv gewesen sein könnte
und dieses Motiv steht
nach Ansicht des Gerichts
nicht auf moralisch tiefster Stufe
und erfüllt dann nicht
das Mordmerkmal
der niedrigen Beweggründe
deshalb kann der Mann am Ende
auch wenn seine anderen Motive
wie die Wut und Eifersucht
möglicherweise
besonders verwerflich waren
nicht wegen Mordes
aus sonstigen niedrigen Beweggründen
verurteilt werden
weil man eben nicht
mit Sicherheit ausschließen kann
dass die Enttäuschung
das Hauptmotiv war
was eben nicht
auf moralisch tiefster Stufe
gestanden hätte
und an diesem Beispiel
finde ich
sieht man auch wieder
wie nah eine Verurteilung
wegen Mordes
und wegen Totschlags
beieinander liegen
und wie schwierig
das auch für Gerichte ist
jetzt die genauen Gründe
herauszustellen
die tatbestimmend waren
und dann auch zu entscheiden
ob diese jetzt
besonders verwerflich waren
oder nicht
und das hat natürlich
damit zu tun
dass das Mordmerkmal
der sonstigen niedrigen Beweggründe
einfach sehr vage definiert ist
und weil am Ende
allein die Gerichte
abwägen müssen
was als niedrig anerkannt wird
und was nicht
ist das ja
nun mal mehr oder weniger
Auslegungssache
und was das große Problem
dabei ist
hat uns Dr. Malek
im Interview erklärt
die Kritik
an den niedrigen Beweggründen
hat sich festgemacht
an dem sogenannten
Bestimmtheitsgrundsatz
der Bestimmtheitsgrundsatz
der sich letztlich ableitet
aus der Verfassung
und der im Strafrecht
ganz besonders gilt
der bedeutet
dass der Bürger
genau wissen muss
was für ein
Tatbestandsmerkmal
verletzt sein kann
wenn er bestraft werden soll
also
Beispiel
Diebstahl
ich muss wissen
wenn ich eine Sache wegnehme
dass es sich hier um eine fremde Sache handelt
die also nicht in meinem Eigentum steht
sonst fehlt der Vorsatz bezüglich dieser Tat
und so muss jedes
Tatbestandsmerkmal
dem Bürger
einigermaßen jedenfalls
in Grundzügen
klar sein
und da habe ich meine Zweifel
bei dem Begriff
der niedrigen Beweggründe
ob das so klar ist
also Strafgesetze sollten eigentlich genau formuliert sein
und alle BürgerInnen sollten sozusagen verstehen
welche rechtlichen Folgen ihr Verhalten haben kann
ist ja auch logisch
ja also ich möchte ja auch nur in der Welt leben
deren Regeln ich verstehe
und wenn ich eine Reaktion auf mein Handeln
voraussehen kann
so soll halt in der Theorie
Rechtssicherheit gewährleistet werden
Gunnar Hellmers
Richter am Landgericht Hamburg
kritisiert
dass dem Mordmerkmal
der sonstigen niedrigen Beweggründe
aber die inhaltlichen Kriterien fehlen
und dann halt eben nicht garantiert ist
dass jeder Fall von deutschen Gerichten
richtig und vor allem gleich beurteilt wird
und das ist gerade wenn man bedenkt
dass es hier um einen Mord geht
was ja die Höchststrafe
also eine lebenslange Haft mit sich bringt
in Deutschland
dann ist das ja schon nicht ideal
sagen wir mal
und 2014 hatte sich ja
eine Expertinnenkommission
mit den Tötungsdelikten beschäftigt
um zu schauen
was man hier verbessern könnte
und explizit auch
wie man das Mordmerkmal
der sonstigen niedrigen Beweggründe
weniger vage gestalten kann
also damit es einfach mehr Klarheit herrscht
und da wurde vorgeschlagen
noch ein paar zusätzliche Spezialfälle einzuführen
also neben Mordlust
Befriedigung des Geschlechtstriebs
und Habgier
und da wollte die Mehrheit der Kommission
zum Beispiel Mordmerkmale einführen
die an bestimmte Kennzeichen
von Opfern angeknüpft sind
also dass beispielsweise
im Gesetz ganz klar
verankert wird
dass es immer ein niedriger Beweggrund ist
wenn Täter in andere
zum Beispiel aufgrund
ihres Geschlechts
oder der sexuellen Orientierung
und so weiter töten
aber bisher war man sich
in der Politik
noch nicht richtig einig darüber
ob man das jetzt so machen soll
oder nicht
und warum
und deshalb bleibt das Mordmerkmal
der sonstigen niedrigen Beweggründe
jetzt erstmal so vage
wie es ist
das war es für diese Folge
von unserem Podcast
der vielleicht
dank euch
bald
ein ausgezeichneter Podcast ist
und zwar möglicherweise ausgezeichnet
mit dem
deutschen Podcastpreis
beim Publikumsvoting
in der Kategorie Wissen
genau
und nämlich
ihr habt offenbar
so häufig für uns abgestimmt
dass wir zumindest
nominiert wurden
also von den ganzen
die da aufgelistet waren
sind wir jetzt auf jeden Fall
unter den Top 5
was ja schon mal eigentlich
in unserer Kategorie
ja
und da waren aber auch viele
in der Kategorie Wissen
gell
bestimmt
ja
es gibt ja viel Wissen
auf der Welt
deswegen
viele Leute
die Wissen erzählen
ja
das ist schon mal
jetzt für uns
ein Freudensprung wert
aber es geht jetzt bald
dann zur Preisverleihung
und vielleicht kriegen wir ja sogar
diesen Preis
es könnte passieren
dank euch
wir treten aber gegen
einen Kinderarzt an
der letztes Jahr gewonnen hat
vielleicht müssen wir uns
dann da prügeln
auf der Preisverleihung
das wissen wir nicht
ja
wir sind da ganz gespannt
was auf uns zukommt
aber wir danken euch sehr
für diese Möglichkeit
dass wir jetzt einmal
wo Covid jetzt
kein Hindernis mehr darstellt
so wie es bei der ersten
Preisverleihung war
dass wir an so einer
teilnehmen können
und drückt uns die Daumen
das war ein Podcast
der Partner in Crime
Hosts und Produktion
Paulina Graser
und Laura Wohlers
Redaktion
Vera Grün
und wir
Schnitt
Pauline Korb