00:00:00
Heute kommen wir erstmal auf einen Fall zurück, über den wir hier vor langer Zeit schon im Podcast mal gesprochen haben.
00:00:17
Und zwar gibt es News zum Fall Friederike von Mühlmann. Den hatte ich in Folge 13 mal erzählt. Und zwar ging es da um eine 17-Jährige. Friederike hieß die, die 1981 im Zelle auf dem Rückweg von ihrer Korprobe vergewaltigt und erstochen wurde.
00:00:32
Und damals geriet dann ein Mann namens Ismet H. in den Fokus der Ermittlungen. Und der wurde auch vor Gericht gestellt damals. Aber am Ende hatten die RichterInnen halt Zweifel an seiner Schuld und deswegen wurde er freigesprochen.
00:00:43
Und 2012 wurde sich der Fall dann aber nochmal angeguckt, weil es gab ja nun schon seit längerer Zeit DNA-Analysen. Und dadurch kam dann heraus, dass die Spuren, die damals in Frederikes Slip gefunden wurden, Ismet H. zuzuordnen waren.
00:00:57
Jetzt war nur das Problem, der wurde ja im ersten Verfahren freigesprochen, weil man halt jemanden nicht zweimal wegen derselben Tat verurteilen bzw. Strafverfolgen darf.
00:01:09
Nee, bis in Idem. Hatte man nun also einen Verdacht, wer der Mörder sein könnte, konnte aber nichts machen.
00:01:15
Zumindest bis 2021 war das so, weil dann gab es eine Änderung der Strafprozessordnung.
00:01:22
Und diese Änderung hat man auch vor allem Frederikes Vater Hans zu verdanken, der sich wirklich jahrelang dafür eingesetzt hat, dass doch noch Gerechtigkeit im Fall seiner Tochter irgendwie gesprochen wird.
00:01:33
Das muss man sich ja auch mal vorstellen als Vater, dass man weiß, es gibt diesen Mann und es gibt diese Spuren, die halt ganz klar auf ihn als Täter verweisen.
00:01:43
Aber es passiert nichts und der lebt einfach quasi auf freiem Fuß weiter.
00:01:47
Ja, auf jeden Fall gab es dann die Änderung in der Strafprozessordnung, nach der rechtskräftig abgeschlossene Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten doch nochmal aufgerollt werden können.
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Und zwar, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen.
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Und nach der Änderung wurde also erneut Anklage gegen Ismet H. erhoben und der auch in U-Haft gesteckt.
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Natürlich ganz zur Freude von Hans von Möhmann.
00:02:08
Dessen großer Wunsch ist ja wahr, den mutmaßlichen Mörder seiner Tochter wieder vor Gericht zu sehen.
00:02:14
Der Prozess war dann auch für August 2022 angesetzt.
00:02:17
Aber Hans von Möhmann ist ja dann im Juni 2022 mit 79 Jahren verstorben, also hat das gar nicht mehr mitbekommen.
00:02:25
Ja, und am Ende bekommt er dann auch nicht mehr mit, dass es doch nicht ganz so gelaufen ist, wie er sich das gewünscht hatte, weil Ismet H. nämlich Verfassungsbeschwerde einlegt.
00:02:34
Und der Prozess wird dann im Juli 2022 verschoben und Ismet H. unter Auflagen aus der U-Haft auch wieder entlassen, weil es eben Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser neuen Strafprozessordnung gibt.
00:02:47
Weil das ist ja auch ein wichtiger Grundsatz in unseren Gesetzen, dass es eben Rechtsfrieden auch irgendwann mal geben muss und so.
00:02:54
Naja, und jetzt ist es aber seit drei Wochen soweit.
00:02:56
Also das Verfassungsgericht prüft gerade, ob diese Neuerung jetzt verfassungskonform wäre, weil im Grundgesetz steht eben was anderes, was dem entgegensteht.
00:03:06
Genau, und Doris König, die Vorsitzende Richterin in Karlsruhe, die hat der Presse jetzt gesagt, Zitat,
00:03:11
Es geht nicht darum, ob der Verdächtige im Fall Friederike der Täter ist. Es geht vielmehr darum, ob die Wiederaufnahme in einem Fall wie seinem grundsätzlich möglich ist.
00:03:20
Genau, und das ist natürlich auch, also ich habe das neulich einer Freundin erzählt, weil das ja tatsächlich auch generell ein Thema in anderen Ländern ist.
00:03:27
Also dieses Double Jeopardy und die konnte das gar nicht fassen, dass man also relativ eindeutige Spuren hat, mit denen man heute jemanden verurteilen würde eventuell und aber halt nichts machen kann.
00:03:41
Also ich finde, das kannst du halt auch einer Bevölkerung eigentlich nicht erzählen.
00:03:46
Genau, wenn das jetzt sozusagen neu in die Gesetze aufgenommen werden würde, dann würde ja jeder schreien, weil wir halt eben diese Erfahrung gemacht haben mit der DNA-Analyse.
00:03:55
Also was für ein krasses Tool das im Endeffekt ist.
00:03:58
Und weil wir jetzt nicht wissen können, in 50 Jahren gibt es vielleicht nochmal ganz andere Verfahren und Analysen, mit denen wir auch wieder Jahre später Sachen aufklären können.
00:04:08
Ja, dann wissen wir das wie beim Minority Report eh schon vorher, wer was begehen wird oder fragen halt im Nachhinein Chat GPT.
00:04:16
Ja, was jetzt die Verhandlungen in Karlsruhe angeht, da können wir wohl erst in ein paar Monaten mit einer Entscheidung rechnen.
00:04:21
Aber kommen die RichterInnen am Ende zu dem Schluss, dass diese Gesetzesänderung der Strafprozessordnung verfassungskonform ist,
00:04:30
dann wird es einen Prozess gegen Ismeta geben und Hans von Mühlmanns großer Wunsch dann doch noch in Erfüllung gehen, dass er vor Gericht kommt.
00:04:38
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
00:04:41
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:04:44
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:04:45
Und ich bin Laura Wohlers.
00:04:47
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
00:04:52
über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:04:55
Hier geht es um True Crime, also auch um Schicksale von Menschen.
00:04:58
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
00:05:00
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen ungehemmter kommentieren oder reden.
00:05:04
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht respektierlich gemeint.
00:05:09
Um euch auf das Oberthema der heutigen Folge einzustimmen, möchten wir am Anfang einen kurzen Fall erzählen,
00:05:14
der bei uns komplettes Unverständnis ausgelöst hat.
00:05:18
Und zwar passiert das Ganze im Mai 2020 in Münster.
00:05:22
An dem Tag sitzt der 61-jährige Martin, so nennen wir ihn jetzt mal, mit seiner Frau auf der Couch und schaut eine Liebeskomödie.
00:05:29
Und irgendwann steht er dann auf, um die offene Terrassentür zuzumachen.
00:05:33
Und dabei hört er, wie drei Stockwerke unter ihm jemand laut telefoniert.
00:05:38
Und das ist ein Problem für Martin.
00:05:40
Also geht er auf die Terrasse und ruft dem jungen Mann, der halt unten vor dem Haus steht, entgegen,
00:05:45
dass der sehr laut sei und ob er das Gespräch nicht woanders führen könne.
00:05:51
Macht er aber am Ende nicht und Martin kriegt das dann ein bisschen später mit,
00:05:54
dass dieser Typ immer noch draußen vor dem Haus telefoniert.
00:05:56
Und dann wird er sauer und geht nach unten, um dem Mann zu sagen, dass er sich verziehen soll.
00:06:01
Dabei nimmt er ein Küchenmesser mit.
00:06:03
Unten angekommen, macht der Typ am Telefon dann immer noch keine Anstalten zu gehen.
00:06:07
Und deswegen schlägt Martin ihm mit voller Wucht das Handy aus der Hand.
00:06:11
Der Typ erklärt dann, dass er sich so nicht behandeln lasse und er auch die Polizei rufen könne.
00:06:17
Und daraufhin rammt Martin diesem fremden Mann das Küchenmesser in die Brust.
00:06:22
Und weil der Mann dann stirbt, wird Martin im März 2021 vom Landgericht Münster wegen Mordes zur lebenslangen Haft verurteilt.
00:06:31
In der Urteilsbegründung heißt es, Martin habe die Anwesenheit seines Opfers auf seinem Grundstück gestört
00:06:38
und er habe befürchtet, wegen der Lautstärke später nicht schlafen zu können.
00:06:42
Aber ich meine, und das ist uns, glaube ich, allen klar, einen anderen Menschen zu töten, weil er zu laut telefoniert und damit nervt.
00:06:51
Das ist eine Reaktion, die können viele Menschen halt nicht nachvollziehen.
00:06:54
Und deswegen hat das Gericht das Tötungsdelikt auch als Mord gewertet.
00:06:59
Und zwar aus sonstigen niedrigen Beweggründen.
00:07:01
Ein Mordmerkmal, was wir bisher noch nicht behandelt haben.
00:07:04
Und in der heutigen Folge zeigen wir euch an zwei Fällen, wann ein Gericht nach diesem Mordmerkmal verurteilen kann.
00:07:10
Mein Fall zeigt, dass manche Menschen in einer Beziehung bereit sind, beinahe alles zu verzeihen.
00:07:17
Alle Namen habe ich geändert.
00:07:19
18. September 2018.
00:07:23
Schon von Weitem sieht sie, dass etwas nicht stimmt.
00:07:26
Vor ihrem Zuhause parken Autos, die sie noch nie gesehen hat.
00:07:29
Fremde Männer befinden sich auf ihrem Grundstück und drehen jeden Stein um.
00:07:33
Ist heute etwa der Tag gekommen, den sie seit 15 Jahren fürchtet?
00:07:38
Rücksprung ins Jahr 2001.
00:07:41
Es ist noch nicht ganz hell an diesem Morgen, als sich Britta in ihren Wagen setzt.
00:07:45
Um sie herum ist alles still, wenn überhaupt kann sie vereinzelte Rufe der frühen Vögel hören.
00:07:50
Es ist die Ruhe vor dem Sturm, aber das weiß die 41-Jährige zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
00:07:55
Wie fast jeden Tag sitzt Britta schon gegen 5 Uhr am Steuer, um zur Arbeit zu fahren.
00:08:00
Von ihrem Zuhause sind es nur knapp 15 Minuten bis zur Klinik in Bad Krotzingen, wo sie als Reinigungskraft arbeitet.
00:08:06
Auf ihrem Weg dorthin fährt sie an sattgrünen Wiesen und Weinreben vorbei, an Wäldern und Weiden.
00:08:13
Wer sich im badischen Markgräfler-Land niedergelassen hat, lebt idyllisch und für sich.
00:08:17
Genau das Richtige für Britta und ihren Lebensgefährten Peter, die eine große Liebe zur Natur und zu Tieren verbindet.
00:08:23
Hier haben sie sich in den letzten Jahren ein richtiges Zuhause aufgebaut, samt Pferden und einem Hund.
00:08:30
Als Britta an diesem Morgen auf den Parkplatz einbiegt, sieht sie das große Klinikgebäude vor sich auftauchen.
00:08:35
Der Ort, an dem sie schon seit Jahren arbeitet und viele schöne Stunden verbracht hat.
00:08:40
Mittlerweile ist Britta von einer regulären Reinigungskraft zur Vorarbeiterin aufgestiegen.
00:08:44
Eine Stelle, auf die sie besonders stolz ist.
00:08:47
In den vergangenen Jahren hatte sie hart dafür gearbeitet, befördert zu werden.
00:08:51
Dank ihrer Disziplin gehören zu ihrem Arbeitsalltag seither auch organisatorische Aufgaben, Verantwortung und eine Vorbildfunktion.
00:08:58
Und natürlich mehr Gehalt, dass sie und Peter, der als selbstständiger Messebauer nicht immer viel zu tun hat, gut gebrauchen können.
00:09:05
Der heutige Arbeitstag fängt für Britta an wie jeder andere.
00:09:08
Sie tritt durch die verglaste Eingangstür, begrüßt ihre KollegInnen und schnappt sich ihre Utensilien.
00:09:12
Da steht plötzlich ihre Chefin vor ihr, Annette Arendt.
00:09:16
Sie möchte allein mit Britta sprechen.
00:09:18
Ob das etwas Gutes verheißt? Wahrscheinlich nicht.
00:09:21
Seitdem Frau Arendt vor einiger Zeit in die Klinik geholt wurde, ist vieles anders.
00:09:25
Die Mitfünfzigerin ist resolut und greift streng durch.
00:09:28
Sie strukturiert Arbeitsabläufe neu, setzt Kolleginnen anders ein und manche MitarbeiterInnen mussten wegen ihr bereits gehen.
00:09:35
Der Ruf des eisernen Besens eilt ihr voraus.
00:09:38
Die Blondine mit der korpulenten Figur duldet nicht, wenn man ein Staubgorn zu viel auf dem Boden liegt.
00:09:43
Das alles sorgt natürlich für Unmut im Team, das Britta unter sich versammelt hat.
00:09:47
Innerlich wapnet sie sich also für das Gespräch mit ihrer neuen Chefin.
00:09:51
Und trotzdem trifft sie das, was Frau Arendt ihr erklärt, wie ein Vorschlaghammer.
00:09:55
Sie müsste sie von ihrer Vorarbeiterposition entbinden, schlägt es Britta entgegen.
00:10:01
Britta soll wieder zur einfachen Reinigungskraft degradiert werden, obwohl sie so hart für diese Beförderung gearbeitet hat?
00:10:06
Sie versteht nicht.
00:10:08
Frau Arendt erklärt ihr, dass sie weiterhin das höhere Gehalt beziehen würde, es für die neue Struktur des Personals aber unumgänglich sei, sie von ihrer Rolle zu entbinden.
00:10:16
Und damit ist das Gespräch beendet.
00:10:19
Britta ist perplex.
00:10:21
Was hatte sie falsch gemacht?
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Sie fühlt sich vor den Kopf gestoßen und nicht wertgeschätzt.
00:10:25
Den ganzen restlichen Arbeitstag ist ihr zum Heulen zumute.
00:10:28
Als sie schließlich zu Hause ankommt, brechen alle Dämme.
00:10:31
Ihr Lebensgefährte Peter will wissen, was los ist und Britta schüttet ihm ihr Herz aus.
00:10:36
Auch der 37-Jährige kann nicht verstehen, warum seine Freundin ihre neuen Aufgaben abgeben muss.
00:10:41
Er schlägt Britta vor, dass er mal mit Frau Arendt sprechen könnte.
00:10:44
Aber Britta lehnt ab.
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Sie will nicht, dass Peter das für sie regelt.
00:10:48
Sie ist immerhin eine erwachsene Frau und am Ende des Tages macht Frau Arendt ja auch nur ihren Job.
00:10:52
Das versucht sich Britta zumindest einzureden.
00:10:54
Doch auch in den kommenden Wochen gibt es immer wieder Probleme in der Klinik.
00:10:59
Frau Arendt macht Britta das Leben schwer.
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Die 41-Jährige hat das Gefühl, nichts mehr richtig zu machen und so geht es auch einigen ihrer KollegInnen.
00:11:06
Das Klima bei der Arbeit verändert sich mehr und mehr und der Job, der früher einmal viel Spaß gemacht hat, wird zum Spießrutenlauf.
00:11:13
Britta versucht daher, das Gespräch mit Frau Arendt zu suchen, denn so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen.
00:11:18
Aber die neue Chefin sieht das ganz anders als Britta.
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Als Frau Arendt dann irgendwann auch noch Brittas Arbeitszeiten ändern will, hält Britta es nicht mehr aus.
00:11:26
Sie beschwert sich beim Vorgesetzten ihrer Chefin.
00:11:28
Doch auch nach dem Gespräch ändert sich nichts.
00:11:31
Britta belastet die Situation zusehends und das wirkt sich natürlich auch auf ihre Stimmung zu Hause aus.
00:11:37
So gibt es Tage, an denen sie nach der Arbeit weint, schlechte Laune hat und einfach nur ins Bett will.
00:11:41
Monatelang geht das so.
00:11:43
Bis sich im Januar 2003 plötzlich alles ändert.
00:11:47
Denn am 17. Januar 2003 erscheint Frau Arendt nicht wie gewohnt bei der Arbeit.
00:11:52
Schnell machen Gerüchte die Runde, dass der Chefin etwas zugestoßen sei.
00:11:57
Nicht weit von der Klinik entfernt wurden nämlich ihre Brille und ihr Schal gefunden.
00:12:00
Von der 57-Jährigen selbst gibt es aber keine Spur.
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Statt Frau Arendt stehen wenig später PolizistInnen vor Britta und ihrem ehemaligen Team.
00:12:08
Britta erfährt so, dass Mitarbeitende der Klinik am Morgen des 17. Januar beobachtet haben,
00:12:13
wie Frau Arendt gegen 6.40 Uhr in ihren weißen VW Polo gezerrt wurde.
00:12:17
Die BeamtInnen gehen von einem Verbrechen aus.
00:12:20
Deshalb werden nun alle Reinigungskräfte zu ihrer Chefin befragt.
00:12:24
Auf die Probleme mit ihrer Vorgesetzten angesprochen, erzählt sie offen, dass es nicht immer einfach ist.
00:12:29
Dass Frau Arendt oftmals andere Ansichten hat als der Rest des Teams.
00:12:32
Aber dass sie sich mit der Situation abgefunden hat.
00:12:35
Und damit ist die Routinebefragung auch schnell zu Ende.
00:12:38
Tage und Wochen vergehen und Frau Arendt bleibt trotz umfangreicher Suche
00:12:43
mit Hundertschaften, TaucherInnen und Helikoptern samt Wärmekameras verschwunden.
00:12:47
Die Medien sind stattdessen voll mit Bildern der 57-Jährigen.
00:12:52
Fast täglich sieht Britta das Gesicht ihrer Chefin in den lokalen Zeitungen abgedruckt
00:12:55
oder in Form eines Suchplakats, das in Bad Krotzinger Geschäften, Verwaltungsstellen und natürlich in den Kliniken aushängt
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und auf dem um Mithilfe gebeten wird.
00:13:03
Aufmerksam ließ Britta alles, was zum mysteriösen Verschwinden von Frau Arendt publiziert wird.
00:13:08
Bisher erscheint die Soko Polo, wie sich die 30-köpfige Ermittlungsgruppe getauft hat, nicht viel in der Hand zu haben.
00:13:14
Frau Arendt ist weiterhin wie vom Erdboden verschluckt.
00:13:17
Nur zwei Anhaltspunkte gibt es bisher.
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Am Tag des Verschwindens hat jemand mit Frau Arendts Bankkarte in einer Volksbankfiliale Geld abgehoben.
00:13:26
Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen einen ca. 1,70 Meter großen Mann, der sein Gesicht mit einem Schal bedeckt.
00:13:32
Außerdem trägt er eine auffällige Ledermütze mit Fellbesatz, hellblaue Jeans in Karottenform,
00:13:36
einen dunklen Lederblouson sowie dunkle Schuhe und Handschuhe.
00:13:40
Außerdem führt er einen bunten Rucksack mit sich.
00:13:43
Und der zweite Anhaltspunkt?
00:13:44
Das Auto der 57-Jährigen wurde gefunden.
00:13:47
Der weiße VW Polo mit den auffälligen Stickern und dem Firmenlogo an der Seite
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stand am Nachmittag des 17. Januar, verlassen, ca. 15 Kilometer südlich von Bad Krotzingen
00:13:56
auf einem Autobahnparkplatz an der A5.
00:14:00
Dabei sind mittlerweile schon mehr als neun Wochen vergangen,
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seit Frau Arendt das letzte Mal lebend gesehen wurde.
00:14:06
Ein Umstand, der die ganze Gegend in Aufruhr versetzt.
00:14:09
Inklusive Britta.
00:14:10
Dann zieht der Frühling ein.
00:14:13
In das Marktgräflerland.
00:14:14
Die Blumen fangen an zu blühen und der letzte Schnee taut unter der immer wärmer werdenden Sonne.
00:14:19
Am 23. März sind fast alle Schneereste gänzlich geschmolzen
00:14:23
und das grüne Gras kommt wieder zum Vorschein.
00:14:25
Doch nicht nur das.
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Beim Gassigehen machen zwei Frauen im Wald eine grausame Entdeckung.
00:14:30
Hinter einem Baumstamm, der ein paar Meter neben dem Wegesrand liegt,
00:14:33
finden sie eine Frauenleiche.
00:14:35
Sperrlich bedeckt, mit Laub und Reisig.
00:14:37
Bei der Obduktion im Rechtsmedizinischen Institut der Uni Freiburg wird schnell klar,
00:14:42
dass es sich bei der Toten um Annette Arendt handelt.
00:14:45
Und dass sie mit mehreren Messerstichen getötet wurde.
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Ein brutales Verbrechen.
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Der Druck auf die Polizei wächst weiter.
00:14:52
Hoffnung setzen die Ermittler jetzt in einen Massengen-Test.
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Im Auto von Frau Arendt konnten sie nämlich mittlerweile männliche DNA-Spuren sicherstellen.
00:15:00
Daher werden jetzt mehr als 750 Männer aus der Gegend zur Speichelprobe gebeten.
00:15:05
Aber die Soko will mehrere Eisen im Feuer halten.
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Weil Bad Kotzing, wo Frau Arendt arbeitete, jede Woche tausende Kurgäste aus ganz Deutschland
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beherbergt, pochen sie weiter auf Hinweise aus der Bevölkerung.
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Um so viele potenzielle ZeugInnen wie möglich zu erreichen, entscheidet man sich für einen
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Auftritt in der Sendung Aktenzeichen XY ungelöst.
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Am Abend des 25. April flimmert dann ein nachgestellter Film über das Verschwinden von Annette Arendt
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über die Bildschirme von Millionen Menschen in Deutschland.
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Zum ersten Mal erfährt die Bevölkerung jetzt Einzelheiten zu der Tat.
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Das Opfer wurde offenbar gezwungen, sich auszuziehen und mehrmals geschlagen.
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Die ZuschauerInnen sind schockiert.
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Besonders Britta, die sich die Sendung über ihre ehemalige Chefin an diesem Abend ebenfalls
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Nach der Ausstrahlung gehen bei der Soko 35 neue Hinweise ein.
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Doch der Entscheidende lässt weiter auf sich warten.
00:15:52
Und zwar ganze 15 Jahre.
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Erst 2018 meldet sich plötzlich ein neuer Zeuge bei der Polizei.
00:15:59
Die Person habe lange mit sich gerungen, aber letztendlich mitteilen wollen, was sie schon
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jahrelang mit sich herumträgt.
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Und zwar könne sich der Zeuge an den Rucksack aus den Überwachungsaufnahmen der Volksbankfilialen
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erinnern und an jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der damals genau diesen Rucksack besessen
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Die PolizistInnen werden hellhörig und der Hinweis führt sie in Frau Arendts Arbeitsumfeld,
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genauer gesagt zu einer ehemaligen Mitarbeiterin nach Hause.
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Die Polizei trifft dort zunächst nur ihren Lebensgefährten an, der erstaunlich erleichtert
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auf seine vorläufige Festnahme reagiert.
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Als dann kurze Zeit später auch noch die Reinigungskraft mit dem Auto vorfährt, können die
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Beamtinnen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
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Auf dem Polizeirevier wird das Pärchen dann voneinander getrennt vernommen.
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Und als die Frau mit dem Hinweis des Zeugen konfrontiert wird und man ihr zudem erzählt, dass
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in ihrem Haus die mutmaßliche Tatwaffe im Fall Annette Arendt gefunden wurde, bricht es
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15 Jahre habe sie diesen Tag gefürchtet, erklärt sie.
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Und dann kehrt sie mit den Ermittlenden gedanklich zurück an den 17.
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An diesem Freitag bekommt Britta gegen 10 Uhr morgens einen Anruf von Peter.
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Irgendwas stimmt nicht, das merkt sie an seiner Stimme.
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Peter will, dass Britta ihn jetzt abholt, in der Nähe eines Waldparkplatzes an der Autobahn.
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Britta wundert sich und fährt mit einem unguten Gefühl los.
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Als ihr Lebensgefährte sich schließlich neben sie ins Auto setzt, verschlechtert sich ihr
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Gefühl nur noch.
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Peter ist merkwürdig und fahrig.
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Was los ist, will Britta wissen.
00:17:26
Peter erklärt, dass er mit Frau Arendt habe reden wollen, um ihr, Britta, zu helfen, damit
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es auf der Arbeit endlich wieder besser wird.
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Britta ist geschockt.
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Hat sie ihm doch ausdrücklich gesagt, dass sie nicht wolle, dass er sich einmischt.
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Es war mehr als zu Redestellen, schiebt er hinterher.
00:17:40
Britta will wissen, was er damit meint.
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Die Sache ist erledigt, antwortet er.
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Britta traut ihren Ohren nicht.
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Sie weiß nicht, was sie sagen soll.
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Wie im Autopilot fährt sie nach Hause.
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Neben ihr, ihr Lebensgefährte, der gerade einen Menschen getötet haben will.
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Auch er sagt nichts mehr.
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Er ist daheim angekommen, kann sich Britta aus ihrem Schockzustand befreien.
00:18:00
Sie weint und schreit, fleht Peter an, zur Polizei zu gehen.
00:18:04
Aber der will nicht.
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Er erklärt ihr, dass er erstmal seine Gedanken ordnen will.
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Für die 43-jährige Britta beginnt die Zeit der Angst.
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Angst vor dem Mann, mit dem sie zusammen ist, zusammenlebt und dem sie so etwas niemals zugetraut
00:18:17
Aber auch Angst davor, dass die Polizei erfährt, was passiert ist und Peter für immer ins Gefängnis
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Weil Peter ihr nicht erzählen will, was genau er getan hat, liest Britta in den nächsten
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Wochen alle Artikel über das Verschwinden ihrer Chefin.
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Dadurch erfährt sie, dass Annette Arendt mit mehreren Messerstichen getötet und ihre Bankkarte
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gestohlen wurde.
00:18:34
Britta ist entsetzt.
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Sie versteht immer noch nicht, warum Peter das getan hat.
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Sie selbst hatte sich mit der Arbeitssituation doch schon längst abgefunden.
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Vier Monate nach dem Tag, der ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher geteilt hat,
00:18:47
hört sie dann in der Sendung Aktenzeichen XY ungelöst, dass Peter sein Opfer auch noch
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gezwungen hat, sich nackt auszuziehen.
00:18:52
Britta kann es nicht fassen.
00:18:54
Sie ist in einem Albtraum gefangen.
00:18:56
Und sie schafft es einfach nicht, den Mann, von dem da im Fernsehen berichtet wird, mit
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ihrem geliebten Partner zusammenzubringen.
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Als Peter an dem Abend nach Hause kommt, konfrontiert sie ihn mit den neuen Informationen, die sie
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Doch wieder kann er sie davon überzeugen, dass es das Beste sei, nicht zur Polizei zu
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Dann nämlich würde alles den Bach runtergehen, erklärt er ihr.
00:19:14
Britta müsste dann das Haus alleine abbezahlen, die Tiere alleine versorgen.
00:19:18
Wie soll das gehen?
00:19:19
Britta sieht das ein.
00:19:21
Außerdem will sie eigentlich auch nicht, dass Peter ins Gefängnis muss.
00:19:24
Sie liebt ihn schließlich.
00:19:26
Und so werden aus ein paar Monaten Jahre.
00:19:29
Jahre, in denen sich das Misstrauen gegenüber Peter in ihrem Heim einnistet und es sich gemütlich
00:19:34
Jahre, in denen Peter immer mehr trinkt und kifft und dafür immer weniger sagt.
00:19:38
Er verändert sich und entwickelt komische Angewohnheiten.
00:19:41
So verlässt er bei Vollmond nachts das Haus und kommt oft erst am nächsten Tag zurück.
00:19:46
Wenn Vollmond ist.
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Okay, also es gab zwei Optionen, bei Vollmond oder bei vollem Mund.
00:19:56
Okay, also er ist eine Art Wehrwolf und kein Vielfraß.
00:19:59
Ja, eine Art Wehrwolf und manchmal entdeckt Britta dann auch Schnitte an seiner Brust und
00:20:05
seinen Armen am nächsten Tag.
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Wenn sie nach den Verletzungen fragt, heißt es, das sei beim Reparieren der Pferdekoppel
00:20:11
oder ähnlichem passiert.
00:20:12
Und auch wenn mit jedem Jahr etwas mehr Gras über die Sache wächst, vergeht kein Tag,
00:20:17
an dem Britta nicht an das denkt, was Peter getan hat.
00:20:22
Januar 2003 habe sich ihr Leben geändert, doch mutig genug, um Peter bei der Polizei
00:20:26
anzuzeigen, sei sie nicht gewesen, erzählt Britta jetzt, 15 Jahre später auf dem Revier.
00:20:32
Von Peters Plan, Annette Arendt zu konfrontieren, habe sie nichts gewusst, beteuert Britta.
00:20:36
Die Ermitteln glauben ihr und somit darf Britta an diesem Tag auch als freie Frau wieder zurück
00:20:41
nach Hause fahren.
00:20:42
Peter bleibt auf dem Revier.
00:20:44
Er hat bereits gestanden und auch die DNA-Spuren vom Tatort passend zu sein.
00:20:48
Zu den Männern, die vor 15 Jahren zum Massengenentest gebeten worden waren, hatte Peter nicht gehört.
00:20:54
Das Einzugsgebiet lag ein paar Minuten von Peters und Brittas Wohnort entfernt.
00:20:58
Sonst wäre alles höchstwahrscheinlich schon 2003 ans Licht gekommen und Britta hätte nicht
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15 Jahre mit ihrem dunklen Geheimnis leben müssen.
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Februar 2019 startet dann der Prozess gegen Peter am Landgericht Freiburg.
00:21:10
Der mittlerweile 55-Jährige nimmt an diesem Morgen neben seinem Pflichtverteidiger Platz,
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als vor ihm mehrere FotografInnen ihre Auslöse abdrücken.
00:21:18
Peter trägt ein weißes T-Shirt und helle Jeans.
00:21:21
Seine langen Haare und sein Bart sind erkraut.
00:21:24
Die tiefen Falten in seinem Gesicht lassen ihn älter wirken, als er eigentlich ist.
00:21:27
Angeklagt ist Peter wegen Mordes an der ehemaligen Chefin seiner Lebensgefährtin.
00:21:32
Wie es dazu kam, wird allen Anwesenden im Gerichtssaal nun dank der Beweisaufnahme bekannt.
00:21:37
Als Annette Arendt im Jahr 2001 in Peters Leben tritt, ziehen dunkle Wolken in seinen Partys auf.
00:21:44
Nach einer unglücklichen Kindheit und einer gescheiterten ersten Ehe taucht mit ihr wieder jemand auf,
00:21:50
der ihm das Leben kaputt machen will.
00:21:54
Jedes Mal, wenn seine Lebensgefährtin Britta schlecht gelaunt nach Hause kommt,
00:21:57
ist Peter sauer auf Annette Arendt.
00:22:00
Er kann das Leid seiner Partnerin schwer ertragen und erst recht nicht die Ungerechtigkeit,
00:22:04
die Frau Arendt in seinen Augen an den Tag legt.
00:22:07
Um die Situation für Britta zu verbessern, will er die Sache selbst in die Hand nehmen.
00:22:10
Doch Britta bittet ihn, das zu unterlassen.
00:22:12
Peter gibt nach.
00:22:15
Doch die Situation wird nicht besser.
00:22:16
Britta ist in den nächsten Monaten immer wieder schlecht drauf.
00:22:19
Im Bett läuft gar nichts mehr.
00:22:20
Sehr zum Leidwesen von Peter.
00:22:23
Wieso sie nicht den Job wechselt, fragt er Britta.
00:22:25
Ihre Antwort, sie arbeitet doch schon so lange da und eigentlich mache ihr Job eher auch Spaß.
00:22:30
Doch das kann Peter beim besten Willen nicht feststellen.
00:22:33
Zwei Jahre erträgt er die Situation, dann sieht er das Glück seiner Beziehung ernsthaft in Gefahr.
00:22:39
Gegen Brittas ausdrücklichen Willen macht er sich zweimal auf den Weg in die Klinik, um Frau Arendt zur Rede zu stellen.
00:22:45
Doch die lässt ihn beide Male abblitzen.
00:22:48
Er habe ihr bezüglich ihres Führungsstils nichts zu sagen.
00:22:51
Britta verschweigt er die Treffen.
00:22:54
Zu groß ist seine Scham über das eigene Scheitern.
00:22:56
In den nächsten Tagen überlegt Peter, wie er Annette Arendt doch noch überzeugen kann,
00:23:01
ihr Verhalten gegenüber ihren Mitarbeitenden zu ändern.
00:23:03
Und kommt zu dem Schluss, dass Einschüchterung das beste Mittel sei.
00:23:07
Ja, wenn man sich nicht mehr anders zu helfen weiß.
00:23:11
Am Morgen des 17. Januar 2003, Peters 39. Geburtstag, setzt er diesen Plan in die Tat um.
00:23:18
Dazu packt er einen schwarzen Schal, seine Russenmütze, wie er sie nennt, und schwarze Handschuhe in seinen bunten Rucksack.
00:23:24
Um von Zeuginnen nicht erkannt zu werden.
00:23:26
Außerdem nimmt er ein ca. 40 cm langes Messer mit.
00:23:29
Zwischen 5 und 5.30 Uhr positioniert er sich in der Nähe der Klinik.
00:23:34
An einer Stelle, an der Annette Arendt mit ihrem Auto vorbeifahren muss.
00:23:39
Sofort, als er gegen 6.40 Uhr den weißen VW-Polo erkennt, springt er aus seinem Versteck
00:23:43
und bringt Annette Arendt mit Handzeichen dazu zu bremsen.
00:23:46
Überrascht kurbelt sie das Fenster herunter.
00:23:48
Kalte Luft strömt ins warme Auto.
00:23:51
Peter fordert sie auf, ihn einsteigen zu lassen, um noch einmal über Britta zu sprechen.
00:23:55
Frau Arendt lehnt ab und will gerade das Fenster wieder hochkurbeln.
00:23:58
Da schlägt Peter ihr mit voller Wucht ins Gesicht.
00:24:00
Er öffnet die Tür, schnallt Frau Arendt ab und zerrt sie aus dem Auto.
00:24:04
Dann schlägt er noch einmal so hart zu, dass sie das Bewusstsein, so wie ihre Brille und ihren Schal, verliert.
00:24:10
Peter buxiert die wehrlose Frau daraufhin auf den Beifahrersitz und entführt sie in ihrem eigenen Auto.
00:24:15
Sein Ziel, ein abgelegener Ort, wo sie ihm notgedrungen wird zuhören müssen.
00:24:19
Dort will Peter Annette Arendt einschüchtern und erniedrigen, damit sie sich klein, machtlos und ihm ausgeliefert fühlt.
00:24:26
So wird sie in Zukunft aus Angst vor ihm Britta endlich in Ruhe lassen, so der Plan.
00:24:30
Noch im Auto kommt Annette Arendt wieder zu sich und versucht zu fliehen, doch Peter kann sie davon abhalten.
00:24:36
Noch auf dem Weg zwingt Peter Annette Arendt dann dazu, ihre Bankkarte inklusive ihrer PIN herauszugeben.
00:24:43
Doch das reicht ihm nicht.
00:24:44
Er will die Vorgesetzte seiner Lebensgefährtin, die Britta und ihm in den letzten zwei Jahren das Leben schwer gemacht hat, weiter demütigen.
00:24:50
In einem Waldstück angekommen, holt er daher sein Messer raus und zwingt Annette Arendt sich trotz der Minusgrade zu entkleiden.
00:24:57
Sie tut, was er ihr sagt.
00:24:58
Dann geht es um ihr Verhalten.
00:25:00
Sie müsse einsehen, dass man so nicht mit Menschen umgehen könne und sie das Leben von Britta und ihren Kolleginnen kaputt mache.
00:25:07
Sie müsse ihr Verhalten zukünftig ändern, sonst komme er wieder.
00:25:10
Doch eingestehen, dass Peter recht hat und sie ihr Verhalten gegenüber ihren MitarbeiterInnen in Zukunft ändern wird, das will die 57-Jährige nicht.
00:25:18
Um den Druck auf sein Opfer zu erhöhen und sie endlich dazu zu bringen, ihm zuzustimmen, hält Peter ihr sein Messer schließlich an den Hals und drückt zu.
00:25:25
Als sie auch jetzt nicht nachgibt und ihr angebliches Fehlverhalten einsieht, wird Peter klar, dass sein Plan nicht aufgeht.
00:25:32
Also die ist aber auch ein zäher Knochen.
00:25:35
Ja, auf jeden Fall hat Peter jetzt Gewissheit, dass Annette Arendt ihr Verhalten nicht wegen ihm ändern wird und deswegen entscheidet er sich dazu, sie zu töten.
00:25:45
Peter, der sich vor Gericht jetzt alles ganz genau anhört, stimmt dieser Version der Tat zwar weitgehend zu, allerdings behauptet er,
00:25:53
Annette Arendt habe ihn im Wald provoziert.
00:25:56
Sie habe ihn mit einer Anzeige gedroht und erklärt, sie plane, Britta nun zu entlassen.
00:26:01
Außerdem habe sie ihn ausgelacht und als Schlappschwanz bezeichnet.
00:26:05
Da sei er so wütend geworden, dass er immer wieder auf sie eingestochen habe, so lange, bis sie leblos zu Boden gesagt sei.
00:26:12
Erst als sie da lag, wurde mir klar, was ich getan habe, sagt er vor Gericht.
00:26:16
Töten wollte er sie nie, so Peter.
00:26:19
Am zweiten Prozestag ist Britta geladen.
00:26:22
Als sie den Saal betritt, presst sie ihre Lippen fest aufeinander.
00:26:25
So, als würde sie versuchen zurückzuhalten, was sie all die Jahre gerne mit jemandem geteilt hätte.
00:26:31
Ihre Haare sind ebenfalls mittlerweile grau und ihr Körper wirkt ausgezehrt.
00:26:35
Sie trägt eine Jeans und einen Windbreaker.
00:26:37
Unter ihrer dunklen Sonnenbrille suchen ihre Augen nach Peter.
00:26:40
Als sich die Blicke der beiden treffen, lächelt er.
00:26:45
Die hatten Sonnenbrille auf?
00:26:48
Ja, also der Stern, der war auf jeden Fall bei dem Gerichtsprozess dabei und darin wurde das so beschrieben.
00:26:53
Aber zum Beispiel Susanne Preusker, das war die Gefängnispsychologin, die sieben Stunden von dem einen Insassen da gefangen gehalten und vergewaltigt wurde,
00:27:03
die hatte in dem Prozess, wo der Typ dann vor Gericht war, auch eine auf.
00:27:07
Das weiß ich noch.
00:27:08
Ja, also da kann ich das noch irgendwie nachvollziehen, weil das ist ja auch so eine Art Schutz.
00:27:12
Also wenn man sich nicht in die Seele schauen lassen will oder also gerade auch vor seinem Peiniger denn keine Emotionen zeigen will,
00:27:20
weil man ihm das nicht schenken mag.
00:27:22
Aber die Britta war ja jetzt hier nicht das Opfer, deswegen.
00:27:25
Nee, nee, ich weiß, was du meinst.
00:27:28
Und als Britta in den Zeugenstand gerufen wird, da wirkt die 59-Jährige angespannt und irgendwie durch den Wind.
00:27:36
Sie erklärt, dass sie nicht aussagen möchte und beruft sich dabei auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht.
00:27:41
Das sei ihr gutes Recht in Anbetracht dessen, dass die beiden verlobt seien.
00:27:44
Um ihre Aussage zu unterstreichen, zeigt sie den RichterInnen einen Ring.
00:27:49
Bei ihrer Vernehmung bei der Polizei hatte sie noch angegeben, die beiden seien nicht verlobt.
00:27:53
Jetzt darauf angesprochen, erklärt sie, sie sei damals verwirrt gewesen.
00:27:56
Daraufhin fragt die Vorsitzende bei Peter nach, ob die beiden verlobt seien und er antwortet,
00:28:02
Nach dieser Aussage berät sich das Gericht kurz und akzeptiert schließlich das Zeugnisverweigerungsrecht von Britta.
00:28:20
Sie muss also nicht nochmal aussagen.
00:28:22
Sie stimmt aber zu, dass verlesen wird, was sie letztes Jahr bei der Polizei ausgesagt hat.
00:28:26
Ich möchte, dass Peter weiß, dass ich immer zu ihm stehe, sagt sie unter Tränen noch.
00:28:31
Dann verlässt sie den Saal.
00:28:33
Wenig später soll ein psychiatrischer Gutachter Antworten darauf liefern, warum sich Peter zu dieser Tat entschloss.
00:28:40
Dazu holt dieser weit aus und beginnt mit Peters Kindheit.
00:28:42
Schon in seiner Jugend geht Peter mit Problemen anders um als viele Gleichaltrige.
00:28:47
Wenn sein Vater wieder einmal betrunken ist und gegen ihn die Hand erhebt, fürchtet Peter danach in den Wald.
00:28:52
Dort umarmt er Bäume, um wieder zur Ruhe zu kommen.
00:28:55
Oder verletzt sich selbst, um den seelischen Schmerz mit Körperlichem zu überdecken.
00:28:59
Mit seinem Blut schreibt er dann in sein Tagebuch.
00:29:02
Ein Problem, das sich erst später in seinem Leben ergibt, ist, dass er bei einem Umzug seinen Hund nicht mit in die neue Wohnung nehmen kann.
00:29:09
Peters Lösung, dem Tier die Kehle durchschneiden, um ihn vor dem Tierheim zu bewahren.
00:29:13
Aber nochmal zurück zu den Tagebüchern.
00:29:15
Die hat er nämlich bis zuletzt gefüllt.
00:29:17
Etliche Notizen, die Jahre zurückreichen, sind neben den Gesprächen mit Peter für den Gutachter die Quelle seiner Informationen.
00:29:24
Und in den Büchern gibt es viel zu lesen.
00:29:27
Laut dem Sachverständigen seien sie, Zitat, eine Fundgrube narzisstischer Selbstüberhöhung.
00:29:32
Darin finden sich wirre Heldengeschichten, in denen Peter sich einsamer Wanderer, Wolf oder Rächer nennt.
00:29:38
Und sich intensiv mit Tötungsfantasien aller Art beschäftigt und diese durchspielt.
00:29:42
Er sieht sich selbst darin als Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen das Schlechte und den Hass in der Welt.
00:29:47
Eine Beschreibung einer Parallelwelt, die allerdings nichts mit der Tat selbst zu tun habe, so der Gutachter.
00:29:53
Er hält Peter für voll schuldfähig.
00:29:56
Es sei bei dem Angeklagten lediglich von einer kombinierten Persönlichkeitsakzentuierung,
00:29:59
mit vor allem narzisstisch-schizoiden Zügen auszugehen, die keinen Einfluss auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit habe.
00:30:07
Das Gericht schließt sich am 11. März 2019 nicht nur dem psychiatrischen Sachverständigen an,
00:30:12
sondern auch dem Staatsanwalt, der in seinem Plädoyer eine Verurteilung wegen Mordes gefordert hat.
00:30:17
Auch wenn die RichterInnen Peter glauben, dass er nicht mit der primären Absicht,
00:30:20
Anette Ahren zu töten, in den Wald gefahren ist, sei ihm bewusst gewesen,
00:30:24
dass die Situation möglicherweise nicht so ausgehen wird, wie er sie geplant hatte.
00:30:28
Das Mordmerkmal, welches das Gericht anführt, ist das der sonstigen niedrigen Beweggründe.
00:30:33
Allerdings legen die RichterInnen sich nicht fest, welcher Grund es am Ende genau war.
00:30:38
Entweder, heißt es in der Urteilsbegründung, wollte Peter durch die Tötung von Anette Ahren doch noch sein Ziel erreichen,
00:30:43
eine Verbesserung von Britas Arbeitssituation und somit auch ihrer seelischen Verfassung zu bewirken.
00:30:49
Das Tötungsmotiv wäre dann Peters Wille gewesen, sein Ziel um jeden Preis zu erreichen.
00:30:53
Oder Peter hat sich aus Wut zur Tötung von Anette Ahren entschlossen.
00:30:58
Aber nicht, weil Anette Ahren ihn provoziert hätte, das glaubt das Gericht nämlich nicht,
00:31:03
sondern weil Peter über das Scheitern seines ursprünglichen Plans, sein Opfer einzufüchtern, extrem wütend war.
00:31:08
Egal welches Motiv letztendlich zur Tötung geführt hat,
00:31:11
in beiden Fällen klaffen Anlass und Tathandlungen so weit auseinander,
00:31:15
dass die Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe erfüllt seien.
00:31:19
Es sich demnach um Motive handelt, die nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind
00:31:23
und auf tiefster sittlicher Stufe stehen.
00:31:25
Und trotzdem hat Britta ihren Lebensgefährten verziehen.
00:31:29
15 lange Jahre hatte sie mit einem Mörder zusammengewohnt,
00:31:32
aber ihn weder verlassen noch verraten.
00:31:34
Und selbst jetzt, wo er die nächsten 15 Jahre hinter hohen Gefängnismauern leben wird,
00:31:38
steht sie weiter zu ihm.
00:31:40
Sie möchte ihn sogar bald heiraten und ihm versprechen,
00:31:43
in guten wie in schlechten Zeiten bei ihm zu bleiben,
00:31:45
obwohl sie das ja schon längst bewiesen hat.
00:31:49
Also wie bescheuert ist das ernsthaft?
00:31:52
Also weil deine Frau auf Arbeit ein Problem hat und irgendwie schlechter gelaunt ist,
00:32:00
deswegen, es gibt wirklich tausend andere Lösungsalternativen, als dann die Chefin umzubringen.
00:32:06
Und ich habe auch manchmal das Gefühl, dass es nicht so eine gute Idee ist,
00:32:10
wenn die Männer irgendwie die Angelegenheiten oder die Streitigkeiten für ihre Frauen klären
00:32:16
oder wenn die angegriffen werden, wenn auch nur verbal, siehe Will Smith.
00:32:23
Ja, was soll das?
00:32:25
Wieso traut man der Frau das nicht zu, das selbst in die Hand zu nehmen?
00:32:29
Und in dem Fall hier hat Britta ja sogar gesagt, sie möchte nicht, dass Peter das klärt,
00:32:33
dass er mit der Frau Arendt redet und so weiter.
00:32:36
Und man denkt sich einfach so, chill, wie unangenehm ist es auch,
00:32:41
dass dein Mann hinter deinem Rücken schon mehrmals das Gespräch mit der Chefin sucht.
00:32:48
Als wärst du ein Kind, das irgendwie nicht alleine seine Angelegenheiten regeln kann.
00:32:53
Aber was sagst du jetzt generell zu Britas und Peters weiterer Beziehung?
00:33:00
Also, dass Britta da geblieben ist und auch noch jetzt,
00:33:02
dass die beiden zueinander stehen und heiraten wollen?
00:33:05
Also, ich finde, das ist ein ganz komisches Paar.
00:33:07
Und ich glaube, dass die in einer ganz komischen Abhängigkeitskonstellation leben.
00:33:12
Ich meine, wenn dein Partner einen Menschen tötet,
00:33:15
dann ist das doch nicht die Person, die du liebst.
00:33:18
Und sich das dann auch noch so mit aufzubuckeln, diese 15 Jahre,
00:33:23
dass du davon weißt und dass ja im Grunde genommen auch du der Auslöser dafür warst.
00:33:28
Es ging ja alles über Britta.
00:33:30
Also habe ich jetzt ehrlicherweise kein Verständnis für.
00:33:33
Ja, ich kann mir das nur so erklären, dass Britta das vielleicht dann doch auch so gesehen hat,
00:33:40
dass ja Peter das für sie gemacht hat.
00:33:42
Und dass man sich das vielleicht dann so ein bisschen so einredet,
00:33:46
so er wollte eben, dass mein Leben besser ist.
00:33:49
Bring ihr Blumen mit, Alter.
00:33:51
Ja, und vor allen Dingen, wenn du merkst, dass der Mann, der neben dir schläft jede Nacht,
00:33:57
wenn der zu sowas fähig ist, dann kriegt man ja auch Angst.
00:34:02
Und einmal kurz zum Opfer, weil Frau Arendt, muss man jetzt sagen,
00:34:07
hier wirklich sehr kurz gekommen ist in der Geschichte, was ich auch sehr bedauere.
00:34:11
Aber tatsächlich finden sich so gut wie gar keine Informationen über die Frau.
00:34:16
Was ich aber auf jeden Fall unbedingt nochmal betonen wollte,
00:34:18
diese Sache auf der Arbeit, dass Frau Arendt, der Britta, das Leben schwer gemacht hat
00:34:23
und auch andere KollegInnen sich irgendwie beschwert haben oder nicht gut gefühlt haben.
00:34:28
Also da wurde auch ein bisschen nachgehakt und da konnte man jetzt wirklich nicht von Mobbing oder so sprechen.
00:34:34
Da gab es auch keine einzelnen Szenen, die jetzt Britta oder Peter nochmal explizit später hervorholen konnten,
00:34:42
die das irgendwie nochmal bewiesen haben.
00:34:44
Ja, und das wollte ich halt eben nochmal sagen, dass hier nicht das Bild entsteht von einer Person,
00:34:50
die irgendwie da hingekommen ist und alle gemobbt hat,
00:34:52
sondern das war eine Person, die da auch für Ordnung sorgen sollte
00:34:55
und halt einfach einen strengen, soliden Führungsstil an den Tag gelegt hat.
00:35:00
Und Peter wurde ja jetzt wegen Mordes aus sonstigen niedrigen Beweggründen verurteilt
00:35:05
und diese gehören zur ersten Gruppe der Mordmerkmale,
00:35:09
bei der es immer um die innere Einstellung der TäterInnen geht.
00:35:12
Darunter fallen Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier.
00:35:17
All das sind niedrige Beweggründe, die wir hier im Podcast ja auch schon mal behandelt haben.
00:35:21
Trotzdem kann auch jemand, bei dem keines der drei Motive zutrifft,
00:35:26
wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden.
00:35:28
Und das liegt eben an dem letzten Mordmerkmal dieser Fallgruppe,
00:35:31
den sonstigen niedrigen Beweggründen.
00:35:34
Und das sind Gründe, die jetzt im Gegensatz zu den drei Spezialfällen,
00:35:39
Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier nicht genau definiert sind.
00:35:42
Aber es sind immer Gründe, die besonders verachtenswert, absolut unmoralisch,
00:35:47
selbstsüchtig und nicht nachvollziehbar sind.
00:35:49
Bei Peter haben wir ja jetzt schon von zwei möglichen Gründen gehört,
00:35:53
weil es hieß ja, entweder hat er Frau Arendt getötet,
00:35:56
um sein Ziel, Brittas Arbeitssituation zu verbessern, endlich durchzusetzen,
00:36:00
oder aus Wut darüber, dass dieser Plan nicht aufgegangen ist.
00:36:04
Und jemanden töten, weil man seinen Willen nicht bekommt, ist ja jetzt schon was,
00:36:08
da würde ich sagen, das kann man eher nicht nachvollziehen.
00:36:11
Aber Wut ist ja eine Empfindung, die wir alle immer mal wieder spüren.
00:36:15
Aber nicht nur Wut, auch Enttäuschung, Hass, Neid, Eifersucht oder auch Rache
00:36:20
können als niedrige Beweggründe gelten.
00:36:22
Aber nur, wenn sie, und das ist ganz wichtig, für die Allgemeinheit völlig unverständlich sind.
00:36:28
Also wenn eigentlich alle, die objektiv und neutral auf die Situation schauen,
00:36:32
dieses Gefühl in dem Ausmaß nicht verstehen können.
00:36:35
So wie wir jetzt nicht verstehen können, dass Peter so extrem wütend wird,
00:36:39
dass sein Plan nicht funktioniert hat, dass er daraufhin einen Menschen tötet.
00:36:44
Genau, das ist natürlich, ja, aber bei fast allen Tötungsbelegten so,
00:36:47
dass man das nicht nachvollziehen kann.
00:36:49
Aber das bezieht sich jetzt vor allem auf seine Gefühlsregung.
00:36:53
Um festzustellen, ob ein Beweggrund niedrig ist,
00:36:56
muss ein Gericht alles, was es zur Tat gibt, gründlich analysieren.
00:37:00
Also sämtliche Umstände der Tat, die Vorgeschichte des Täters oder der Täterin,
00:37:05
die Einstellung, die Lebensverhältnisse und die Persönlichkeit.
00:37:08
Aber auch die Rolle des Opfers bei der Tat.
00:37:10
Also ob das Opfer vielleicht mit dazu beigetragen hat in irgendeiner Form,
00:37:14
dass es so ausging, wie es ausging.
00:37:15
Und das hat man natürlich auch bei Peter gemacht und geguckt,
00:37:18
was genau Peters Wut hervorgerufen hat, wenn wir jetzt mal bei dem Motiv bleiben.
00:37:22
Dabei kam er dann zu dem Schluss, dass Frau Arendt lediglich auf alles,
00:37:26
was Peter ihr angetan hat, also die Entführung, die Schläge,
00:37:29
das Demütigen und die Bedrohung mit dem Messer, reagiert hat
00:37:33
und in keinster Weise für die Eskalation der Situation verantwortlich war.
00:37:37
Ganz im Gegenteil, das war Peter ganz alleine.
00:37:40
Der hat die Situation erschaffen, die so eine Wut in ihm ausgelöst hat
00:37:44
und deshalb stellt die in diesem Fall auch einen niedrigen Beweggrund dar.
00:37:48
Das kann aber auch anders aussehen,
00:37:50
wenn die Wut des Täters oder der Täterin eine gewisse Berechtigung hat.
00:37:54
Das zeigt ein Fall aus dem Jahr 2000,
00:37:56
in dem ein Mann seine Ehefrau getötet hat,
00:37:59
nachdem diese ihn im Streit aufs Übelste beleidigt
00:38:02
und ihm vorgeworfen hatte, impotent zu sein.
00:38:05
Der BGH hat in diesem Fall entschieden, dass die Wut keinen niedrigen Beweggrund darstellt,
00:38:10
weil die Äußerungen der Frau den Mann tief getroffen und gekränkt haben.
00:38:14
Das zeigt also, das gleiche Gefühl kann auch zu ganz unterschiedlichen Urteilen führen.
00:38:19
Ein anderes Kriterium, das Gerichte häufig verwenden, um zu bestimmen,
00:38:22
ob ein Beweggrund jetzt niedrig ist oder nicht,
00:38:25
ist, ob eine extreme Unverhältnismäßigkeit zwischen dem Motiv und der Tat vorliegt.
00:38:29
Das hat das Landgericht beispielsweise auch in Bezug auf Peters anderes mögliches Motiv gemacht.
00:38:34
Also wo es darum ging, dass Peter um jeden Preis einfach die Arbeitssituation von Britta verbessern wollte.
00:38:38
Und da hat man eben festgestellt, hier gibt es objektiv gesehen ein krasses Missverhältnis.
00:38:43
Britta wollte erstens ja gar nicht, dass Peter sich einmischt.
00:38:46
Und zweitens hatte sie sich ja ihre Aussage nach mittlerweile mit der Situation schon abgefunden.
00:38:51
Ja, und das muss man halt auch wirklich mal sagen, dass das echt fern von einer nachvollziehbaren Reaktion ist.
00:38:57
Also sowas erklärt ja eigentlich halt ein Betriebsrat oder man kündigt halt.
00:39:02
So, und neben den Motiven, die Laura gerade aufgezählt hat,
00:39:05
gibt es natürlich noch viele andere, die unter das Mordmerkmal fallen können.
00:39:08
Zum Beispiel auch diese sogenannten Ehrenmorde.
00:39:12
Also wenn Täter in einem Familienmitglied, das angeblich die Ehre der Familie beschmutzt hat,
00:39:16
in Anführungsstrichen, töten, um dann diese Ehre wieder herzustellen.
00:39:21
Weil auch wenn die Rettung der Ehre in der Kultur der TäterInnen oft einen ganz anderen Stellenwert hat,
00:39:27
schaut man in Deutschland halt nur auf die Wert- und Moralvorstellungen, mit denen wir uns hier identifizieren.
00:39:33
Das ergibt ja auch Sinn, weil die meisten Menschen in Deutschland,
00:39:36
die empfinden das halt als ein krasses Missverhältnis, eine Frau zu töten,
00:39:41
weil sie Sex vor der Ehe hatte zum Beispiel.
00:39:43
Ja, und dann finde ich das auch genau richtig, dass das als Mord gewertet wird.
00:39:47
Aber das Ding ist, wenn die Täter deutsch sind und es um Tötung von Frauen geht,
00:39:53
dann wurde da bisher jetzt nicht immer so Klarstellung bezogen.
00:39:57
Ulrike Lembke, die ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien
00:40:02
an der Humboldt-Universität in Berlin,
00:40:04
Die kritisiert gegenüber der Zeit, dass die deutschen Gerichte in der Vergangenheit
00:40:08
viel zu oft ein großes Einfühlungsvermögen für die Männer hatten,
00:40:13
die ihre Ex-Partnerinnen getötet haben.
00:40:14
Also, dass die sozusagen Verständnis haben walten lassen für den verlassenen Mann
00:40:21
und seine Verlustängste oder seine Wut über die Trennung
00:40:25
oder über seine Verzweiflung bezogen auf zerstörte Lebensträume
00:40:30
oder was sich der Mann halt eben gedacht hat, wie sein Leben weiter verläuft.
00:40:33
Und Professorin Lembke erklärt, dass dieses Verständnis dann häufig aufgehört habe,
00:40:39
wenn es nicht mehr um deutsche Täter ging.
00:40:40
Dann sei nämlich nicht mehr von so einem vulnerablen emotionalen Zustand die Rede,
00:40:46
sondern von einem verachtenswerten Besitz denken.
00:40:48
Lembke ist also der Ansicht, dass die deutsche Rechtsprechung verkennt,
00:40:52
dass nicht nur Ehrenmorde, sondern genauso Trennungstötungen
00:40:55
in patriarchale Strukturen eingebettet sind
00:40:58
und dass diese vor Gericht eigentlich ähnlich behandelt werden sollten.
00:41:01
Das Gute ist, es gibt Hoffnung.
00:41:03
2022 hat der BGH nämlich New Turn gemacht,
00:41:06
weil, das haben wir schon mal in der Femizid-Folge erzählt,
00:41:08
dass der BGH 2008 entschieden hat,
00:41:11
dass ein niedriger Beweggrund jetzt nicht unbedingt vorliegt bei so einer Trennungstötung,
00:41:15
wenn die Frau sich vom Mann getrennt hat davor.
00:41:18
Genau, und das ist natürlich ein Ding gerade bei Femiziden.
00:41:20
Also Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind.
00:41:24
Weil man dann halt nach dieser Argumentation im Grunde sagt,
00:41:27
wenn die Trennung von der Frau ausging,
00:41:29
dann ist so eine Tötung eher nachvollziehbar
00:41:31
und daher auch kein niedriger Beweggrund.
00:41:33
Und deswegen, wenn dann kein anderes Mordmerkmal erfüllt ist,
00:41:36
eben im Zweifel auch kein Mord.
00:41:38
Und da muss man dann ja schon sagen,
00:41:40
dass hier dem Opfer auch eine Art Mitschuld zugesprochen wird,
00:41:43
weil es sich halt trennen wollte.
00:41:45
Und deswegen die Reaktion des Täters eher nachzuvollziehen ist.
00:41:48
Genau, und 2022 sind da jetzt eben aber ganz andere Töne zu hören gewesen.
00:41:53
Und zwar wurde festgestellt, dass der Umstand,
00:41:56
dass die Trennung vom Tatopfer ausgegangen ist,
00:41:58
gerade eben nicht gegen einen niedrigen Beweggrund spricht.
00:42:02
Das sind auf jeden Fall gute Neuigkeiten.
00:42:03
Aber wir kommen jetzt nochmal zurück zu unserem Beispiel vom Anfang.
00:42:07
Und zwar von dieser Person, die mit ihrer Telefoniererei
00:42:11
da den Mann so wütend gemacht hat, dass er ihn getötet hat.
00:42:14
Und dieses Beispiel zeigt nochmal,
00:42:16
wie willkürlich so eine Motivation manchmal sein kann,
00:42:19
die dann halt auch als niedriger Beweggrund zählt.
00:42:22
Was auch darunter zählen kann, ist Angeberei.
00:42:25
Das hatte der BGH 1998 so entschieden,
00:42:28
nachdem ein junger Mann einen griechischen Restaurantbesitzer erstach,
00:42:31
um seinen neuen rassistischen Freunden zu imponieren
00:42:35
und damit sozusagen zu zeigen, er ist einer von ihnen.
00:42:38
Und man kann auch wegen dieses Mordmerkmals verurteilt werden,
00:42:41
wenn man jemanden tötet, nur um etwas zu verheimlichen.
00:42:44
Also jetzt keine Straftat,
00:42:45
da würde dann wieder ein anderes Mordmerkmal greifen,
00:42:48
nämlich das der Verdeckungsabsicht,
00:42:50
sondern eine Affäre zum Beispiel.
00:42:53
Also Laura, wenn du jetzt Angst hast,
00:42:55
dass dein Mann von deiner Affäre erfährt,
00:42:57
die du ja sicherlich hast,
00:42:59
und den Lover dann deswegen tötest,
00:43:03
dann könntest du wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden.
00:43:06
Weil du eben durch die Tötung natürlich dem entgehen wolltest,
00:43:10
dass du dich deiner Verantwortung stellst für deine Untreue.
00:43:14
Was ich auch interessant fand,
00:43:17
niedrig kann ein Grund auch sein, wenn er gar nicht existiert.
00:43:21
Das hört sich jetzt komisch an,
00:43:23
aber der BGH hat 2004 entschieden,
00:43:25
dass Menschen, die ohne Grund töten,
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auch wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt werden können.
00:43:30
Da ging es jetzt speziell um einen Fall,
00:43:32
in dem zwei Betrunkene einen älteren Bekannten
00:43:35
in seiner Wohnung besuchten
00:43:36
und dann aus heiterem Himmel auf ihn losgingen,
00:43:39
den Verprügelten anpinkelten, die Haare abrasierten
00:43:43
und ihn schließlich erwürgten.
00:43:44
In diesem Fall, in dem überhaupt kein Grund für die Tötung festgestellt werden konnte,
00:43:49
sagte der BGH also,
00:43:50
dass hier auch wegen Mordes verurteilt werden kann.
00:43:53
Und zwar, weil die Täter in dem Bewusstsein gehandelt haben,
00:43:56
keinen Grund für die Tötung zu brauchen.
00:43:58
Also so eine Einstellung,
00:44:00
bei der Täter in meinen nach gut dünken,
00:44:03
über das Leben von anderen Menschen zu verfügen,
00:44:06
die steht auch auf sittlich tiefster Stufe.
00:44:09
So, in dem Fall, den ich euch jetzt erzähle,
00:44:13
geht es auch um ein Motiv,
00:44:14
das unter die sonstigen niedrigen Beweggründe fällt,
00:44:17
das wir bisher aber noch nicht besprochen haben.
00:44:19
Mein Fall zeigt,
00:44:21
dass eine eingebildete Welt
00:44:22
nicht immer dort bleibt, wo sie entsteht.
00:44:25
Manchmal schwappten die Dinge daraus
00:44:27
ins reale Leben,
00:44:28
wie Ängste, Aggressionen, Bedrohungen und auch Gewalt.
00:44:32
Einige Namen habe ich geändert.
00:44:33
Und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:44:36
Laura, weißt du noch,
00:44:38
was du im September 2021 getan hast?
00:44:43
Normalerweise hätte ich mich jetzt nicht daran erinnern können,
00:44:46
was in der Zeit passiert ist.
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Aber wenn man ins Handy guckt
00:44:49
und seine Fotos aus der Zeit hat,
00:44:51
habe ich das auch gesehen.
00:44:52
Erinnere dich mal,
00:44:54
das war ja die Standesamtliche.
00:44:55
Wie war das für dich?
00:44:56
Wie war die Stimmung?
00:44:57
Wie viele Tränen hat Julian,
00:44:59
dein Bruder, vergossen?
00:45:00
Der hat auf jeden Fall geheult.
00:45:08
Das habe ich nämlich auf dem Foto gesehen.
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Das halte ich für ein Gerücht.
00:45:14
Genau, das Wetter war ja nicht so bombig,
00:45:18
erinnere ich mich noch.
00:45:19
Vor allem, weil die meisten ja draußen
00:45:21
vor dem Standesamt warten mussten.
00:45:22
Ja genau, wir durften ja nur
00:45:25
eine bestimmte Anzahl von Leuten
00:45:26
reinlassen ins Standesamt wegen Corona.
00:45:30
Ja, das war deine Ohmsen zum Beispiel, ne?
00:45:32
Die war auf jeden Fall drin, ja.
00:45:35
Und der Rest, so wie ich,
00:45:38
stand halt eben draußen
00:45:39
und wir haben dann Laura danach
00:45:40
aggressiv mit Konfetti beschmissen.
00:45:43
Das hat unserer Stimmung
00:45:45
an dem Tag jetzt gar keinen Abbruch getan.
00:45:47
Aber es gab einige Menschen.
00:45:49
Für die waren die Maßnahmen,
00:45:50
die in der vierten Corona-Welle
00:45:51
einzuhalten waren,
00:45:53
ausschlaggebend dafür,
00:45:54
sich ein Untergangsszenario
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So geschehen auch bei einer Person
00:46:00
in Idar-Oberstein.
00:46:01
Es ist ein Samstagabend,
00:46:03
Mitte September 2021.
00:46:05
Um zehn vor halb zehn
00:46:07
hat sich die Sonne
00:46:08
für heute schon verabschiedet.
00:46:09
Die rheinland-pfälzische Kleinstadt
00:46:11
ist bereits ins dunkle Dämmerlicht getaucht,
00:46:13
das durch das grellblaue Licht
00:46:15
der Aral-Tankstelle
00:46:16
an der Hauptstraße durchbrochen wird.
00:46:18
In der Tankstelle
00:46:19
schiebt Alex gerade seine Schicht.
00:46:21
Den fast zwei Meter großen
00:46:22
20-jährigen Schüler
00:46:23
trennt eine Plexiglasscheibe
00:46:24
von zwei Freundinnen,
00:46:25
die ihn gerade auf der Arbeit besuchen.
00:46:27
Sophie unterhält sich aufgeregt
00:46:29
mit Alex über die mit Schokoriegel
00:46:31
und kleinen Jägermeisterflaschen
00:46:32
aufgefüllte Theke.
00:46:33
Emilia straft Alex mit Schweigen
00:46:36
und er weiß ganz genau wieso.
00:46:38
weil Alex sie gestern versetzt hat.
00:46:41
sagt Alex zu der 18-Jährigen
00:46:43
und versucht damit irgendwie
00:46:44
die Wogen zu glätten.
00:46:45
Scheint nicht zu ziehen,
00:46:47
obwohl Emilia Alex nie lange böse sein kann.
00:46:49
Sie lässt ihm nahezu alles durchgehen.
00:46:52
Das Trio wird durch ein Reusband unterbrochen.
00:46:54
Ein Mann schiebt sich
00:46:55
mit einem Six-Pack-Bags vorbei
00:46:57
an dem Ein-für-ein-Euro-Angebot
00:47:00
Es tut mir leid,
00:47:01
sagt Alex in Richtung der zwei Mädels,
00:47:03
die Arbeit ruft.
00:47:04
Wir reden später.
00:47:05
Die beiden treten zur Seite
00:47:07
und machen Platz für den Kunden,
00:47:09
dass es ein Später mit Alex
00:47:11
nicht geben wird.
00:47:12
Dass Alex gemeinsam mit seiner Mutter Heike
00:47:15
von den USA nach Deutschland gezogen ist,
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ist bereits 16 Jahre her.
00:47:19
Seitdem hat er sich in Idar-Oberstein
00:47:21
einen großen Freundinnenkreis aufgebaut.
00:47:23
Der 20-Jährige mit den wuscheligen braunen Haaren,
00:47:25
die er manchmal unter einer Käpp versteckt,
00:47:28
Denn er merkt sofort,
00:47:29
wenn es jemandem nicht gut geht
00:47:30
und bringt alle ständig zum Lachen.
00:47:33
obwohl es ihm in letzter Zeit selbst
00:47:35
oft nicht so gut ging.
00:47:36
Per Aspera ad Astra
00:47:38
hat er sich auf seinem Unterarm
00:47:40
als Tattoo verewigt.
00:47:42
gelangt man zu den Sternen.
00:47:44
Doch vor allzu großen Anstrengungen
00:47:46
die letzten Jahre eher fern gehalten,
00:47:48
hat Dinge lieber aufgeschoben.
00:47:50
Seine Ausbildung hatte abgebrochen,
00:47:52
dann doch lieber
00:47:53
den Realschulabschluss nachgeholt.
00:47:55
Er wusste nicht so richtig,
00:47:56
wohin mit sich und seinem Leben,
00:47:57
so wie das bei vielen Teenagern eben so ist,
00:47:59
die in jungen Jahren schon entscheiden sollen,
00:48:01
welchen Grundstein
00:48:02
sie für ihr ganzes Leben legen sollen.
00:48:04
Dann kam noch Corona
00:48:05
und Alex wurde von seinen Sorgen übermannt.
00:48:08
Er ließ sich und sein Leben treiben.
00:48:10
Doch seit etwa einem Dreivierteljahr
00:48:12
hat Alex nun neuen Antrieb bekommen.
00:48:13
Nach seinem Realschulabschluss
00:48:15
besucht er die berufsbildende Schule,
00:48:17
lernt für sein Abi
00:48:18
und schmiedet große Pläne für danach.
00:48:20
Alex will die Grundausbildung
00:48:22
bei der Bundeswehr machen,
00:48:23
viel reisen und die Welt erkunden
00:48:24
und später vielleicht sogar noch
00:48:26
an der Bundeswehruni studieren.
00:48:27
Doch das nächste Ziel,
00:48:29
was sich Alex gesteckt hat,
00:48:30
ist seinen Führerschein zu machen.
00:48:32
Dafür jobbt er jetzt
00:48:33
seit ungefähr einem Dreivierteljahr
00:48:34
nebenbei an der Tankstelle.
00:48:36
An diesem Samstag,
00:48:38
hat er die Schicht gemeinsam mit Arbit.
00:48:40
für den Bistro-Bereich zuständig.
00:48:42
Wenn sie nicht gerade KundInnen bedienen,
00:48:44
quatschen die beiden.
00:48:46
will Alex noch ins Granada,
00:48:47
einem Club ganz in der Nähe.
00:48:49
Alex Schicht verläuft
00:48:51
wie jede andere bisher auch,
00:48:52
bis ein Zwischenfall
00:48:53
die Stimmung trübt.
00:48:56
öffnet sich die gläserne Schiebetür
00:48:58
im Eingangsbereich
00:48:59
und ein Kunde betritt
00:49:00
den grell ausgeleuchteten Verkaufsraum.
00:49:02
Er läuft zu den Kühlschränken,
00:49:04
holt zwei Six-Pack Bier heraus
00:49:05
und stellt sich in die Warteschlange
00:49:07
Als er an der Reihe ist,
00:49:09
stellt der Kunde das Bier
00:49:10
auf die Theke hinter dem Plexiglas
00:49:12
Der Mann trägt keine Maske,
00:49:14
obwohl zu dieser Zeit
00:49:15
in Rheinland-Pfalz
00:49:16
in geschlossenen Verkaufsräumen
00:49:17
Maskenpflicht herrscht.
00:49:19
Alex bittet den stämmigen Mann
00:49:21
mit den kurzen grauen Haaren
00:49:22
und blauen Augen,
00:49:23
seine Mund-Nasen-Bedeckung
00:49:26
der jetzt aber vor Alex steht,
00:49:28
schüttelt auf seinen Hinweis hin
00:49:31
Alex beginnt zu diskutieren.
00:49:33
Regel ist Regel.
00:49:34
Der Mann vor ihm
00:49:36
dass er kein Verständnis
00:49:37
für die bestehenden Regelungen hat.
00:49:41
Er besteht darauf,
00:49:43
eine Maske aufsetzt
00:49:44
und zwar bevor er ihn bedient.
00:49:45
Wütend stößt er daraufhin
00:49:47
die beiden Six-Packs
00:49:47
in Richtung der Plexiglasscheibe.
00:49:49
Das laute Klirren
00:49:50
der aneinanderstoßenden
00:49:52
untermalt den Abgang des Mannes,
00:49:54
der sich umdreht
00:49:54
und wütend aus der Tankstelle
00:49:58
ballt er seine linke Hand
00:50:01
in Richtung Alex streckt.
00:50:02
Alex tauscht sich
00:50:04
was da gerade passiert ist,
00:50:06
Danach geht die Schicht
00:50:07
für die beiden normal weiter.
00:50:08
Viele andere KundInnen,
00:50:10
die sich an die Maskenpflicht
00:50:11
abkassiert werden
00:50:12
und so wird dem Vorfall
00:50:14
nicht mehr Aufmerksamkeit
00:50:15
als unbedingt notwendig.
00:50:16
Wenig später betreten
00:50:18
zwei vertraute Gesichter
00:50:20
Es sind Emilia und Sophie,
00:50:22
einen kurzen Besuch abstatten,
00:50:23
bevor sie ins Granada vorgehen.
00:50:25
Die beiden stellen sich
00:50:27
und Emilia kauft
00:50:28
einige Chubber-Chubs.
00:50:30
sie wegen gestern ist
00:50:31
und bemüht sich,
00:50:32
die Stimmung aufzuheitern,
00:50:33
bis sich ein Mann
00:50:34
hinter Emilia und Sophie
00:50:36
Die beiden drehen sich um
00:50:37
und machen Platz
00:50:39
Alex erkennt ihn.
00:50:40
Es ist derselbe Mann,
00:50:41
der sich vor etwa
00:50:42
anderthalb Stunden
00:50:43
noch geweigert hat,
00:50:43
eine Maske aufzusetzen.
00:50:45
Doch diesmal trägt er eine.
00:50:47
Er hat wieder Bier in der Hand
00:50:48
und tritt ganz ruhig
00:50:49
nach vorne an die Kasse.
00:50:52
zieht er seine Maske
00:50:53
wieder herunter.
00:50:54
und dann noch ruhig
00:50:55
weist Alex ihn wieder
00:50:57
die Maske hochzuziehen.
00:50:59
gegenüber antwortet
00:51:01
Tu die Maske hoch,
00:51:03
sagt Alex darauf hin
00:51:04
und unterstreicht seine Worte,
00:51:05
indem er mit beiden Händen
00:51:08
eine Maske aufsetzt.
00:51:11
antwortet Alex und nickt.
00:51:13
Es dauert nicht mal
00:51:15
da zieht der Mann
00:51:17
und bevor irgendjemand
00:51:18
in der Tankstelle
00:51:19
durchbricht ein lauter
00:51:20
Knall die Stille.
00:51:22
durchschlägt das Plexiglas.
00:51:24
hinter dem Tresen
00:51:28
hat es sich Heike
00:51:28
bereits frühzeitig
00:51:30
als sie noch einmal
00:51:31
einen Blick auf ihr Handy
00:51:32
wirft und in einer
00:51:33
ihrer WhatsApp-Gruppen
00:51:34
eine Nachricht aufploppt.
00:51:35
An der Aral-Tankstelle
00:51:36
in Idar-Oberstein
00:51:37
sollen Schüsse gefallen sein.
00:51:39
durchfährt ihren ganzen Körper.
00:51:40
Dort arbeitet ihr Sohn Alex.
00:51:42
Doch ob er heute
00:51:44
Sofort ruft sie ihn an,
00:51:46
doch niemand hebt ab.
00:51:47
Sie probiert es bei Emilia,
00:51:49
sie kennt die Freundin
00:51:51
antwortet nicht.
00:51:52
Kurze Zeit später
00:51:53
klingelt Heikes Telefon.
00:51:55
die ihr erzählt,
00:51:56
was passiert ist.
00:51:57
Panik steigt in Heike auf.
00:51:59
Sofort springt sie
00:52:00
und rast zur Arbeitsstelle
00:52:02
wo sie von einem Meer
00:52:03
aus Blaulicht empfangen wird.
00:52:04
Panisch und in totaler Furcht
00:52:06
versucht sie sich ihren Weg
00:52:07
ins Innere der Tankstelle
00:52:09
Doch die Polizei
00:52:11
und lässt sie nicht durch.
00:52:12
Heike bleibt nichts anderes
00:52:13
übrig, als zu warten.
00:52:15
fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
00:52:18
einen Blick aufs Handy wirft
00:52:19
und auf Facebook sieht,
00:52:20
mein herzliches Beileid
00:52:23
schnürt sich zu,
00:52:24
als sie die Zeilen liest.
00:52:25
Und doch wird es
00:52:27
noch eine ganze Weile dauern,
00:52:29
ihre schlimmsten Befürchtungen
00:52:32
der hinter der Kasse stand.
00:52:34
auf den geschossen wurde.
00:52:35
Es ist ihr Sohn,
00:52:37
Während die ganze Stadt
00:52:40
noch in Schockstarre verharrt
00:52:41
und niemand so richtig fassen kann,
00:52:42
was sich an der Aral-Tankstelle
00:52:45
dürfen sich die Ermittlungen
00:52:46
ihrer Fassungslosigkeit
00:52:50
der für die Tat verantwortlich ist,
00:52:51
scheint wie vom Erdboden verschluckt.
00:52:53
Eine Augenzeugin,
00:52:54
die zum Tatzeitpunkt
00:52:55
gerade draußen getankt hat,
00:52:57
dass sie den Schuss gehört
00:52:58
und im Anschluss beobachtet habe,
00:52:59
wie ein Mann noch
00:53:00
mit der Waffe in der Hand
00:53:01
die Tankstelle zu Fuß
00:53:02
So schnell wie möglich
00:53:04
machen sich die BeamtInnen
00:53:05
an die Auswertung
00:53:07
der Überwachungskameras.
00:53:08
Und tatsächlich,
00:53:11
ist von vorne bis hinten
00:53:12
aus verschiedenen Winkeln
00:53:13
aufgezeichnet worden.
00:53:14
Das Gesicht des Schützen
00:53:16
ist klar zu erkennen.
00:53:17
Und so veröffentlicht
00:53:18
die Trierer Polizei
00:53:19
eine Fahndungsmeldung
00:53:21
mit den Überwachungsbildern
00:53:22
In der heißt es,
00:53:24
derzeit dürfte der Täter
00:53:25
im Stadtgebiet Idar-Oberstein
00:53:27
zu Fuß unterwegs sein.
00:53:28
Der Mann ist bekleidet
00:53:29
mit einer dunklen Hose
00:53:30
und einem weißen T-Shirt.
00:53:31
Er ist mit einer Pistole bewaffnet.
00:53:33
Sprechen Sie den Mann nicht an
00:53:35
und nähern Sie sich ihm
00:53:36
unter keinen Umständen,
00:53:37
sondern wählen Sie bitte
00:53:38
sofort den Notruf.
00:53:41
die den Mann erkennen,
00:53:42
sich umgehend mit der Polizei
00:53:43
in Verbindung zu setzen.
00:53:44
Die ganze Nacht lang
00:53:46
fahndet ein Großaufgebot
00:53:47
an PolizistInnen
00:53:48
nach dem Unbekannten,
00:53:50
in der Dunkelheit unerkannt.
00:53:52
Es ist halb neun Uhr morgens
00:53:54
am nächsten Tag,
00:53:55
als vor der Polizeiinspektion
00:53:56
in Idar-Oberstein
00:53:57
ein Mann auftaucht,
00:53:58
sich selbst stellen zu wollen.
00:54:00
Es ist der Mann,
00:54:01
den die BeamtInnen
00:54:03
auf den Überwachungskameras
00:54:06
als Roland Baumann vor,
00:54:08
ein selbstständiger
00:54:09
Softwareentwickler,
00:54:11
zweieinhalb Stunden später
00:54:12
in ein Vernehmungszimmer
00:54:13
und ihm zwei BeamtInnen
00:54:14
der Trierer Mordkommission
00:54:15
gegenüber sitzen,
00:54:16
ein ausführliches
00:54:17
Geständnis ablegt.
00:54:19
dass er am Abend
00:54:20
zuvor gegrillt habe,
00:54:21
dass er Nachschub
00:54:22
am Bier besorgen wollte,
00:54:23
dass ihm dann aufgefallen sei,
00:54:24
dass er seine Maske
00:54:26
und der Verkäufer
00:54:27
dann angefangen habe,
00:54:29
Das habe ihn dann
00:54:30
nicht mehr losgelassen.
00:54:32
Also sei er zurückgefahren,
00:54:33
als er sich erneut
00:54:34
etwas kaufen wollte,
00:54:35
die Maske heruntergezogen
00:54:36
und sofort geschossen.
00:54:38
Eine Kurzschlussreaktion
00:54:39
unter Alkoholeinfluss
00:54:41
sei das gewesen.
00:54:42
Zweieinhalb Wochen später.
00:54:45
Die Bühne der Messehalle
00:54:47
ist umrandet von Thunien,
00:54:49
die man auch Lebensbäume nennt.
00:54:51
Ein symbolisches Bild.
00:54:53
um den es heute geht,
00:54:54
weilt nicht mehr
00:54:55
unter den Lebenden.
00:54:56
400 Menschen sind gekommen,
00:54:57
um sich von Alex
00:54:58
zu verabschieden.
00:55:00
um die man weint,
00:55:01
weil sie gegangen sind,
00:55:02
Dass man um einen
00:55:04
20-Jährigen trauert,
00:55:05
passiert nicht häufig.
00:55:06
Alex war noch jung,
00:55:07
hatte noch alles vor sich.
00:55:08
Gerade hatte er sich
00:55:10
wieder in der Welt zurechtgefunden,
00:55:11
hatte Pläne für seine Zukunft geschmiedet.
00:55:14
hatte er Freunde im Granada
00:55:16
zu 90er-Jahre-Musik
00:55:17
auf seine Schultern genommen.
00:55:18
Alex war so jung,
00:55:19
dass er die 90er
00:55:20
nicht mal selbst miterlebte.
00:55:23
dass er Freundinnen
00:55:24
im Gesicht rumkritzelte,
00:55:25
wenn sie schliefen.
00:55:26
Noch so leichtsinnig,
00:55:28
in eine stillgelegte Kaserne einbrach,
00:55:30
um dort Chicken McNuggets zu essen.
00:55:34
Für seine ArbeitskollegInnen,
00:55:37
und für Emilia und Sophie,
00:55:38
die mit ansehen mussten,
00:55:40
der sie immer zum Lachen brachte,
00:55:41
vor ihren Augen starb.
00:55:43
Er war Sohn für Heike,
00:55:44
deren einziges Kind
00:55:46
ihr genommen wurde.
00:55:47
weil Alex jemanden
00:55:48
auf die Maskenpflicht hinwies.
00:55:50
Die Takte von Amazing Grace
00:55:52
hallen durch den Raum,
00:55:53
bevor Heike die Bühne betritt.
00:55:54
Sie steht hinter einem Rednerpult,
00:55:56
links und rechts
00:55:57
neben ihr weiße Blumen
00:55:59
Sie atmet tief durch,
00:56:00
dann beginnt sie zu sprechen.
00:56:02
Bitte haltet ihn
00:56:03
als den tollen Menschen
00:56:05
und nicht als den Jungen,
00:56:06
der an der Tankstelle
00:56:07
sein Leben lassen musste.
00:56:09
Denn er war so viel mehr als das.
00:56:10
Immer wieder kämpft sie mit den Tränen.
00:56:12
Alex war ein lebenslustiger,
00:56:17
sowie chaotischer und verrückter,
00:56:21
und lustiger junger Mann,
00:56:23
bevor sie nach oben
00:56:24
in Richtung Himmel blickt
00:56:25
und sich direkt an ihren Sohn wendet.
00:56:28
ich werde dich immer lieben
00:56:30
wird nie in Vergessenheit geraten.
00:56:31
Sein Name war Alex.
00:56:33
Sein Name war Alex.
00:56:36
Diese Worte stehen jetzt
00:56:37
in riesigen Buchstaben gemalt,
00:56:38
auch am nahen Ufer
00:56:39
in Idar-Oberstein.
00:56:40
Ein Graffiti-Künstler
00:56:42
hat dort an einer Mauer,
00:56:42
die man offiziell besprühen darf,
00:56:44
an Alex erinnert.
00:56:45
Derselbe Satz steht auch
00:56:47
die sich Menschen haben bedrucken lassen,
00:56:48
die sie jetzt stolz tragen.
00:56:50
Manche beschriften
00:56:51
ihren Mund- und Nasenschutz
00:56:52
auch handschriftlich.
00:56:55
zeigen sich so solidarisch.
00:56:56
Tatsächlich betreten
00:56:58
gerade in der ersten Woche
00:56:59
noch immer Menschen
00:57:00
die Aral-Tankstelle.
00:57:01
Auf den Inhaber wirkt es,
00:57:03
als würden diese Leute
00:57:04
provozieren wollen.
00:57:05
Von seinen Mitarbeitenden
00:57:06
verlangt er aber nicht,
00:57:08
auf die Maskenpflicht hinzuweisen.
00:57:09
Denn tatsächlich
00:57:10
wird schon relativ schnell klar,
00:57:13
die Tötung von Alex verurteilen.
00:57:15
Ein paar Tage nach der Tat
00:57:16
lassen sich in den Medien
00:57:19
einer Verkäuferin
00:57:20
ebenfalls gedroht habe,
00:57:21
sie zu erschießen,
00:57:21
nachdem sie den Kunden
00:57:22
auf seine fehlende Maske
00:57:23
aufmerksam gemacht hat.
00:57:25
Bei einer ähnlichen Situation
00:57:27
wird eine Frau angeschrien,
00:57:28
dass auch sie erschossen gehöre.
00:57:30
Wie man mittlerweile weiß,
00:57:33
der Alex erschossen hat,
00:57:34
bei seiner Vernehmung gesagt haben,
00:57:35
dass er ein Zeichen
00:57:36
gegen die Politik setzen wollte.
00:57:37
Und das wird jetzt aufgegriffen.
00:57:39
Unter VerschwörungstheoretikerInnen
00:57:42
macht sich die Erzählung breit,
00:57:43
dass man in Deutschland
00:57:44
ja nahezu in einer Diktatur lebe
00:57:45
und endlich einer
00:57:47
dagegen aufgestanden sei.
00:57:48
So wird die Tötung eines 20-Jährigen,
00:57:50
der ganz ruhig darauf hinwies,
00:57:52
dass Maskenpflicht herrsche,
00:57:53
als Heldentat umgedeutet.
00:57:57
die nahezu in Notwehr passierte,
00:57:58
nachdem man die BürgerInnen
00:57:59
durch die Regelung
00:58:00
so in die Ecke gedrängt habe,
00:58:01
dass sie sich nicht mehr
00:58:02
anders zu helfen wussten.
00:58:04
Eine andere Erklärung
00:58:06
findet sich in einschlägigen
00:58:07
Telegram-Gruppen.
00:58:08
Dort verbreitet ein
00:58:09
Querdenker-Influencer
00:58:10
mit über 80.000 Followern,
00:58:13
des Geheimdienstes trage
00:58:15
und reine Inszenierung sei,
00:58:16
um QuerdenkerInnen
00:58:18
und der AfD zu schaden.
00:58:20
ich kann nicht mehr,
00:58:23
die sich trauen würden,
00:58:24
Fragen zu stellen.
00:58:25
Dazu zählt er ausdrücklich,
00:58:28
halt QuerdenkerInnen,
00:58:29
Rechtsradikale und Nazis.
00:58:31
Ich will nicht sagen,
00:58:33
dass der Attentäter
00:58:34
aber die Wahrscheinlichkeit
00:58:35
ist doch relativ hoch,
00:58:38
Ein relativ offensichtliches
00:58:41
um davon abzulenken,
00:58:42
dass das irrationale
00:58:44
in Verschwörungserzählungen
00:58:46
sein Tribut gefordert hat,
00:58:48
und zwar in Form
00:58:49
eines Menschenlebens.
00:58:50
Während in Deutschland
00:58:51
Alex Tod die Debatte
00:58:53
um die Maßnahmen
00:58:54
weiter entfacht hat,
00:58:55
laufen im Hintergrund
00:58:56
immer noch die Ermittlungen.
00:58:58
findet in Roland Baumanns Haus
00:59:00
auf seinem Schreibtisch
00:59:01
einen geladenen Revolver.
00:59:04
mit dem Alex erschossen wurde.
00:59:06
stoßen die BeamtInnen
00:59:07
auf eine weitere Waffe
00:59:09
mitsamt Munition.
00:59:09
Außerdem stellen sie
00:59:11
ein Handy und ein Tablet sicher.
00:59:14
wird sich herausstellen,
00:59:15
dass diese und noch
00:59:17
den Ermittlungen
00:59:18
und erschreckenden Einblick
00:59:19
in Rolands Gedankenwelt
00:59:21
gewähren lassen werden.
00:59:22
Mehrere Terabyte an Daten
00:59:24
werden letztendlich
00:59:25
genau Aufschluss darüber geben,
00:59:26
wieso Alex sterben musste.
00:59:28
Es ist der 21. März
00:59:33
vor dem Landgericht
00:59:34
gegen Roland eröffnet wird.
00:59:36
Bekleidet mit einem
00:59:37
dunkelblauen Pullover,
00:59:38
durch Handschellen gefesselt
00:59:40
und mit einer Maske
00:59:41
betritt er den Saal.
00:59:42
Während er auf der
00:59:44
neben seinen beiden
00:59:45
und hinter einer
00:59:46
Plexiglasscheibe
00:59:48
MedienvertreterInnen
00:59:49
ihre Kameras auf ihn.
00:59:51
Das Interesse der Öffentlichkeit
00:59:53
Alle Augenpaare sind auf ihn
00:59:54
und eines ganz besonders,
00:59:57
Nächtelang vor dem
00:59:59
Prozessauftakt konnte sie
01:00:00
nicht mehr ruhig schlafen.
01:00:01
Trotzdem wollte sie heute
01:00:02
hier sein, um dem Mann,
01:00:04
der ihren Sohn aus dem
01:00:05
Leben gerissen hat,
01:00:05
gegenüber zu sitzen.
01:00:09
Doch ihren Blick
01:00:09
erwidert er nicht.
01:00:10
Als die Staatsanwaltschaft
01:00:12
die Anklageschrift verliest
01:00:14
die sich vor einem
01:00:14
halben Jahr in der
01:00:15
Tankstelle abgespielt
01:00:16
beschreibt, kann Heike
01:00:17
ihre Tränen nicht mehr
01:00:19
Immer wieder muss sie
01:00:20
zu einem Taschentuch
01:00:21
Roland wird wegen
01:00:23
heimtückischen Mordes
01:00:25
niedrigen Beweggründen
01:00:26
Der Angeklagte wiederum
01:00:28
macht nicht den Anschein,
01:00:29
als ginge es hier um
01:00:30
ein Leben, das er
01:00:32
Meist schaut der
01:00:33
50-Jährige nach unten
01:00:34
oder beschäftigt sich
01:00:35
mit der Plexiglasscheibe,
01:00:37
die vor ihm aufgebaut ist,
01:00:38
durch die er, wie er meint,
01:00:39
die vorsitzende Richterin
01:00:40
nicht richtig sehen könne.
01:00:42
Auch seine Maske
01:00:44
Er sei Asthmatiker.
01:00:45
Als die vorsitzende
01:00:47
Richterin ihm gestattet,
01:00:48
diese abzusetzen,
01:00:49
reißt er sie sich
01:00:50
sofort von der Nase.
01:00:51
Gerade in diesem Prozess,
01:00:53
verhandelt wird,
01:00:54
bei dem eine Diskussion
01:00:56
offenbar Anlass für
01:00:57
den Angeklagten war,
01:00:58
jemanden zu erschießen,
01:00:59
nimmt es die Vorsitzende
01:01:00
nicht gerade so genau
01:01:02
mit der Mund-Nasen-Bedeckung
01:01:03
und erlaubt allen
01:01:04
Verfahrensbeteiligten,
01:01:07
Wie es zu der Tat kam,
01:01:08
die fast ein ganzes Land
01:01:09
mit etlichen Fragen
01:01:10
zurückgelassen hat,
01:01:11
darauf soll in 24 Verhandlungstagen
01:01:13
vor dem Landgericht Bad Kreuznach
01:01:15
eine Antwort gefunden werden.
01:01:18
Entwicklung zu verstehen,
01:01:19
muss man ganz am Anfang
01:01:21
Roland wird 1977
01:01:23
in der ehemaligen DDR geboren.
01:01:25
Er wächst gemeinsam
01:01:26
mit seiner Schwester
01:01:27
bei seiner Mutter
01:01:28
und seinem alkoholabhängigen Vater auf.
01:01:29
Roland selbst spricht
01:01:31
von einer schwierigen Kindheit,
01:01:32
von einem Vater,
01:01:33
der ihn und seine Schwester
01:01:35
und auch die Mutter
01:01:36
Als er etwa acht Jahre alt ist,
01:01:38
kommt der Vater,
01:01:39
zu ihm ins Kinderzimmer
01:01:41
und droht ihn zu erschießen.
01:01:42
Ein bewaffneter Mann,
01:01:44
der einer anderen Person
01:01:45
nach dem Leben trachtet,
01:01:47
das sich in Rolands
01:01:49
noch zwei weitere Male
01:01:50
wiederholen wird.
01:01:51
Sicher war Roland
01:01:55
begleitet ihn auch
01:01:56
als Erwachsener,
01:01:57
auch wenn er sie da
01:01:58
bereits hätte ablegen können.
01:02:01
problematisch bemerkbar
01:02:04
Bis zu dem Zeitpunkt,
01:02:06
so wird Roland es später
01:02:07
in Chats schreiben,
01:02:08
fühlt er sich wohl
01:02:09
Bis dahin ist alles okay.
01:02:11
Doch als dann 2015
01:02:13
viele Geflüchtete
01:02:14
bei uns in Deutschland
01:02:14
ein neues Zuhause suchen
01:02:16
und ein Großteil von ihnen
01:02:18
bei uns versprochen wird,
01:02:19
wird sich Roland
01:02:20
von den PolitikerInnen
01:02:21
nicht mehr repräsentiert.
01:02:22
Mit zunehmender Zeit
01:02:24
entwickelt er regelrecht
01:02:25
gegenüber den AmtsträgerInnen,
01:02:27
die die sogenannte
01:02:28
Willkommenspolitik vertreten.
01:02:30
gegen Angela Merkel.
01:02:32
Bei der Hausdurchsuchung
01:02:34
wurden elf Geräte
01:02:37
mehreren Terabyte Daten,
01:02:39
ein erschreckendes Bild
01:02:40
über seine politische Einstellung
01:02:42
und über die Verschwörungstheorien,
01:02:43
in denen er aufgesessen ist,
01:02:45
So schreibt er mit einem
01:02:46
Bekannten damals
01:02:47
über einen Messenger,
01:02:48
dass im Jahr 2030
01:02:50
der große Austausch
01:02:51
bereits stattgefunden haben wird
01:02:54
nicht mehr da wären.
01:02:55
Wir erinnern uns,
01:02:56
der große Austausch,
01:02:57
das ist diese Idee
01:02:58
von einer Umvolkung,
01:02:59
also einer Verschwörungstheorie
01:03:01
der neuen Rechten.
01:03:03
von Teilen der AfD
01:03:06
dass man halt Deutsche
01:03:08
in Anführungsstrichen
01:03:08
durch Geflüchtete
01:03:10
Er wütet in Chatnachrichten
01:03:12
über Gaskammerfantasien,
01:03:14
auf ZuwanderInnen
01:03:15
und PolitikerInnen hat.
01:03:17
Rolands Abneigung
01:03:20
dass er seinem Schwager,
01:03:21
dem Mann seiner Schwester,
01:03:22
der mit ihr in den USA lebt,
01:03:24
sagt, dass er darüber nachdenkt,
01:03:26
weil er die Geflüchtetenpolitik
01:03:27
hier nicht mehr aushalte.
01:03:31
das er an seinen Schwager schickt,
01:03:33
dass die Deutschen
01:03:33
das dümmste Volk der Welt seien
01:03:36
wenigstens Trump hätten.
01:03:37
Roland scheint die USA
01:03:38
aber nicht nur wegen
01:03:39
des damaligen Präsidenten
01:03:40
attraktiv zu finden.
01:03:43
auch seine Schwester,
01:03:44
zu der er ein enges Verhältnis hat.
01:03:45
Zu seinem Schwager
01:03:47
In einer Videonachricht,
01:03:49
die er ihm schickt,
01:03:50
dass er niemanden
01:03:52
mit dem er so sprechen könne.
01:03:54
findet Roland sonst eher
01:03:56
auf jenen Plattformen,
01:03:57
die seine Meinung teilen.
01:03:59
So klickt er sich beispielsweise
01:04:00
durch die rechtsradikale
01:04:01
US-amerikanische
01:04:02
Online-Plattform Infowars,
01:04:04
die nicht nur extremistische
01:04:05
und rassistische Äußerungen
01:04:07
sondern noch weitere
01:04:08
Verschwörungstheorien bedient,
01:04:09
wie dass der 11. September
01:04:11
und die Mondlandung
01:04:12
eine Inszenierung
01:04:13
der US-Regierung
01:04:15
Auch die Klimakrise
01:04:16
hält Roland für Quatsch
01:04:17
und beleidigt Greta Thunberg
01:04:19
sexistisch und ableistisch.
01:04:21
Roland neigt dazu,
01:04:24
Verschwörungserzählungen
01:04:25
Und dann kommt der März 2020
01:04:28
und mit ihm zwei Ereignisse,
01:04:29
die Rolands Welt,
01:04:30
die bis dahin eh schon
01:04:32
aus seinem eigenen Antrieb
01:04:33
heraus ins Schwanken geraten ist,
01:04:36
auf den Kopf stellen.
01:04:36
Im März verhängt die Bundesregierung
01:04:39
den ersten Lockdown
01:04:40
und im selben Monat
01:04:41
schießt Rolands Vater,
01:04:42
der erst kürzlich
01:04:43
mit einem Lungenkarzinom
01:04:44
diagnostiziert wurde,
01:04:45
erst Rolands Mutter
01:04:48
anschließend sich selbst.
01:04:50
überlebt den Kopfschuss
01:04:51
schwer verletzt.
01:04:52
Zwei Ereignisse,
01:04:53
die zusammen Roland
01:04:54
weiter destabilisieren.
01:04:56
Denn Roland ist der Überzeugung,
01:04:59
nicht geholfen worden sei.
01:05:01
Ein Sachverständiger
01:05:02
hält vor Gericht dagegen
01:05:04
dass mit bösartigen
01:05:05
Geschwülsten in der Lunge
01:05:07
eine kurze Lebenszeit
01:05:08
zu erwarten sei.
01:05:10
Wegen der Corona-Maßnahmen
01:05:11
kann Roland seine Mutter
01:05:12
in der Zeit im Krankenhaus
01:05:13
nur selten besuchen.
01:05:14
Bei der Beerdigung
01:05:15
habe er erst gar nicht
01:05:16
dabei sein dürfen,
01:05:17
was ihn schwer belastet habe,
01:05:19
führen er und seine
01:05:20
Verteidiger vor Gericht an.
01:05:21
Doch tatsächlich
01:05:23
galt die Regelung
01:05:24
Keine Angehörigen
01:05:25
bei Beisetzungen
01:05:26
nur ein paar Wochen
01:05:26
und die Bestattungsunternehmerin
01:05:29
dass Roland nicht
01:05:29
darum gebeten habe,
01:05:30
die Ohrenbestattung
01:05:31
auf einen späteren Zeitpunkt
01:05:33
Aber diese Erzählung
01:05:34
passt in sein Bild
01:05:35
von sich als Opfer
01:05:36
der Corona-Regelung,
01:05:38
für völlig unnötig hält.
01:05:40
Denn Roland glaubt
01:05:42
dass das Corona-Virus
01:05:43
mehr ist als nur
01:05:45
und dementsprechend
01:05:46
auch nicht gefährlicher
01:05:47
als die Grippe ist.
01:05:48
Nur nochmal für alle,
01:05:50
mittlerweile auch schon
01:05:51
verdrängt haben.
01:05:52
Also tatsächlich
01:05:53
sind allein 2021
01:05:56
über 70.000 Menschen
01:05:58
mit Corona gestorben.
01:05:59
Und im Gegensatz dazu
01:06:01
haben wir uns jetzt mal
01:06:01
Zahlen der Grippetoten
01:06:07
seit 30 Jahren war
01:06:08
und in der Saison
01:06:10
etwa 25.000 Menschen
01:06:13
sehr viel weniger.
01:06:16
und dazu muss man sich
01:06:19
hatten wir ja schon
01:06:19
viele Maßnahmen.
01:06:21
Und auch eine Studie
01:06:23
aus dem Jahr 2022
01:06:25
Übersterblichkeit
01:06:26
in anderen Ländern
01:06:28
nochmal angesehen.
01:06:28
also die prozentuale
01:06:30
Übersterblichkeit
01:06:31
und die gibt an,
01:06:32
wie viele Menschen
01:06:34
Zeitraum gestorben sind,
01:06:35
als unter normalen
01:06:36
Umständen zu erwarten
01:06:37
Und auch da war das
01:06:41
größere Übersterblichkeit
01:06:42
durch Infektionskrankheiten
01:06:48
trotz aller Maßnahmen
01:06:54
ungefährlich hält,
01:06:55
empfindet er auch
01:06:58
für lebensbedrohlich
01:06:59
und zwar nicht nur
01:07:00
die sich impfen lassen
01:07:01
wollen, sondern auch
01:07:04
Roland teilt nämlich
01:07:05
dass Kontakt zu Geimpften
01:07:13
sollen Impfstoffe
01:07:14
oder deren Produkte
01:07:16
Person ausscheiden
01:07:21
die schon vor Corona
01:07:22
von ImpfgegnerInnen
01:07:23
verbreitet wurde.
01:07:25
Als Rolands Nachbar,
01:07:26
regelmäßig zum Gassi gehen
01:07:27
trifft, sich impfen lässt,
01:07:28
bricht Roland den Kontakt
01:07:30
Auf seine Mutter,
01:07:31
bei der nach dem
01:07:32
Tötungsversuch Krebs
01:07:33
diagnostiziert wurde,
01:07:34
redet er so lange ein,
01:07:35
sich nicht impfen zu lassen,
01:07:36
bis sie seinem Rat
01:07:38
Das Thema Impfen
01:07:40
ist auch ein großer
01:07:40
Streitpunkt zwischen
01:07:41
Roland und seiner Schwester.
01:07:42
Als die ihre Tochter,
01:07:44
also Rolands Nichte,
01:07:46
und danach die gesamte
01:07:48
Grippesymptome zeigt,
01:07:49
ist sich Roland sicher,
01:07:50
dass das Shedding
01:07:51
daran schuld ist.
01:07:52
Während seine Schwester
01:07:53
und die Familie aber sagt,
01:07:54
dass sie sich mit
01:07:55
Covid angesteckt hätten.
01:07:56
Die ganze Situation
01:07:58
nimmt Rolands Aufmerksamkeit
01:08:01
Noch dazu läuft es bei ihm
01:08:02
bereits seit 2019
01:08:03
finanziell nicht mehr so gut.
01:08:04
Die Lage für seine Firma,
01:08:06
die Apps entwickelt,
01:08:07
wird zunehmend schlechter.
01:08:09
als ihm im Jahr 2020
01:08:10
ein Auftrag entzogen wird,
01:08:12
weil der Auftraggeber
01:08:13
wegen der Arbeit
01:08:14
ein Projekt pausieren muss.
01:08:16
ein wirtschaftlicher Tiefpunkt
01:08:18
Allerdings ist es auch hier
01:08:20
dass Roland gar nichts
01:08:21
in der er sich befindet,
01:08:22
beigetragen hat.
01:08:25
lehnt er beispielsweise
01:08:27
weil es im Zusammenhang
01:08:27
mit der Corona-Warn-App steht
01:08:29
und er das nicht
01:08:30
mit seiner Überzeugung
01:08:31
in Einklang bringen kann.
01:08:33
der Kontaktbeschränkung
01:08:34
radikalisiert sich Roland
01:08:36
in eine Parallelwelt.
01:08:38
Wie auch schon 2015
01:08:39
zum Thema Geflüchtete,
01:08:41
online Gleichgesinnte,
01:08:42
die seine Frustration
01:08:43
nur noch befeuern.
01:08:44
Der psychiatrische Gutachter
01:08:46
sagt vor Gericht,
01:08:47
durch die von ihm
01:08:48
ausgewählten Medien
01:08:49
sich die Erklärung
01:08:50
für sein Leid rausgesucht hat,
01:08:51
die ihm am besten
01:08:52
ins Bild gepasst habe.
01:08:54
Intelligent genug
01:08:56
sich aus der Spirale
01:08:57
der Desinformation
01:08:57
selbst herauszuziehen,
01:08:59
aber er machte es nicht.
01:09:00
Und so deutet sich
01:09:01
Roland eine Welt zurecht,
01:09:02
die so gar nicht existiert.
01:09:03
Ein Zeuge sagt aus,
01:09:05
dass Roland genau
01:09:06
dasselbe mit Videospielen
01:09:08
sich seine eigene Welt
01:09:09
und seine eigene Realität
01:09:12
Verschwörungsideologen,
01:09:14
wie beispielsweise
01:09:14
US-Radio-Moderator Alex Jones,
01:09:17
Gleichgesinnte unterwegs sind
01:09:19
und rechte Blogs,
01:09:19
entwickelt Roland die Vorstellung,
01:09:22
einem Bedrohungsszenario
01:09:25
konsumiert er nur Medien,
01:09:26
die seine eigenen
01:09:27
Erzählungen bedienen.
01:09:30
aller Beteiligten,
01:09:33
folgt er den Accounts
01:09:34
von Julian Reichelt,
01:09:36
und Birgit Kelle.
01:09:37
Wer ist die letzte Person?
01:09:38
Ja, also sie sagt,
01:09:39
sie sei Journalistin.
01:09:40
Ich würde sie als
01:09:43
Frauenverachterin
01:09:45
Eine gute Mischung dann.
01:09:48
Mit den Personen,
01:09:49
mit denen er sich austauscht,
01:09:51
findet zunehmend eine
01:09:52
Verrohung der Sprache
01:09:53
Sie reden von Aufstand,
01:09:54
davon, dass man sich
01:09:55
zur Wehr setzen muss,
01:09:57
auch mit Gewalt.
01:09:58
Er spricht davon,
01:09:59
Jens Spahn die Kehle
01:10:00
durchschneiden zu wollen.
01:10:02
Der Austausch mit anderen
01:10:03
darüber bestärkt ihn darin,
01:10:04
dass das tatsächlich
01:10:06
eine Lösung sein könnte.
01:10:07
Fremde geben ihm online
01:10:09
das Gefühl der Zugehörigkeit.
01:10:10
Roland handelt natürlich
01:10:12
damals als Einzeltäter,
01:10:16
und das wusste er bereits
01:10:19
den Rückhalt einer großen
01:10:21
die hinter ihm stehen würde.
01:10:22
Der digitale Raum,
01:10:24
in dem sich Roland
01:10:26
kollektiven Wahn
01:10:27
in einer Blase erschaffen.
01:10:28
Und diese Stimmung,
01:10:29
die sich da so aufgeheizt hatte,
01:10:31
ist irgendwann in die reale Welt
01:10:33
Und dass das irgendwann
01:10:35
passieren würde,
01:10:36
war tatsächlich absehbar.
01:10:37
Und zwar spricht man hier
01:10:39
stochastischen Terrorismus.
01:10:41
Kurzer Exkurs dazu.
01:10:43
Also beim stochastischen Terrorismus
01:10:46
dass durch all das,
01:10:48
halt auch passiert ist,
01:10:49
also Desinformation,
01:10:50
Untergangsszenarien,
01:10:52
aufstachelnde Reden,
01:10:54
dass das am Ende dazu führt,
01:10:56
dass ein Gewaltakt
01:10:58
immer wahrscheinlicher wird.
01:11:00
Und zwar halt nicht
01:11:01
von bestimmten Einzelnen,
01:11:03
sondern generell.
01:11:04
Also bei irgendeiner Person
01:11:05
wird das Fass schon überlaufen.
01:11:07
Statistisch gesehen
01:11:09
ist dann also vorhersehbar,
01:11:10
dass einer es dann macht,
01:11:14
und Wut streuen.
01:11:14
Und warum reden wir darüber
01:11:17
und benennen das so?
01:11:19
von außen halt anschauen kann,
01:11:20
welche Gegebenheiten
01:11:22
ermöglichen die Bedingungen dazu,
01:11:24
immer wahrscheinlicher wird.
01:11:25
Und damit sich bestimmte Leute
01:11:26
dann halt auch vielleicht,
01:11:28
die im Netz hin und her wüten,
01:11:30
sich dann vielleicht auch mal hinterfragen,
01:11:31
was habe ich denn eigentlich
01:11:33
zur Eskalation beigetragen?
01:11:34
Und deswegen werden
01:11:36
beim stochastischen Terrorismus
01:11:37
halt eben auch die Leute
01:11:39
in die Verantwortung genommen,
01:11:40
die dazu beigetragen haben,
01:11:42
dass einer irgendwann
01:11:43
diese Tat begeht.
01:11:44
Also ist der stochastische Terrorist
01:11:46
oder die Terroristin
01:11:47
nicht die Person,
01:11:49
oder Gewalt ausübt,
01:11:50
sondern beispielsweise
01:11:50
halt ein Hassredner
01:11:53
die eine Botschaft
01:11:54
in die Welt sendet.
01:11:55
also halt die Personen,
01:11:58
Juristisch sind die
01:11:59
natürlich nicht zu belangen.
01:12:00
Es gibt ja im Zweifel
01:12:01
nicht mal eine direkte Verbindung,
01:12:03
schon gar nicht,
01:12:04
die man irgendwie nachweisen könnte.
01:12:06
das ist ein interessanter Aspekt
01:12:07
in dieser Online-Welt,
01:12:09
in der wir mittlerweile
01:12:09
ja auch halb leben.
01:12:10
Ja, und das erinnert mich
01:12:12
auch so an diesen
01:12:13
Christchurch-Attentäter.
01:12:15
Das war dieser Rechtsterrorist,
01:12:17
der einen Terroranschlag
01:12:19
auf zwei Moscheen
01:12:21
durchgeführt hat
01:12:23
live gestreamt hat,
01:12:24
wo das auch im Vorhinein
01:12:27
da besprochen wurde
01:12:28
und dann ja auch
01:12:29
dazu so angestachelt wurde,
01:12:32
wo dieser Stream
01:12:33
dann ja auch sogar
01:12:34
von diesen Leuten
01:12:36
und da dann trotzdem
01:12:37
keiner sich gemeldet hat
01:12:39
das stoppen wollte
01:12:41
Und hätte dieser Typ
01:12:43
gar nicht diese Community
01:12:44
hinter sich gehabt,
01:12:45
ist ja fraglich,
01:12:46
ob das dann überhaupt
01:12:46
so passiert wäre,
01:12:47
auch das mit dem Livestream
01:12:49
Ja, und bei Roland
01:12:50
was Ähnliches passiert
01:12:51
plus kam noch dazu,
01:12:53
dass sich mehrere Menschen
01:12:54
halt gegenseitig
01:12:55
aufgestachelt haben,
01:12:56
indem sie sich erzählt haben,
01:12:59
sie seien die Auserwählten,
01:13:00
die die Machenschaften
01:13:01
des Staates durchschauen.
01:13:02
Also sie seien die freien Köpfe,
01:13:04
die jetzt zum Wohle
01:13:05
aller handeln müssen.
01:13:07
Und einer macht es dann halt eben.
01:13:09
Und in diesem Fall
01:13:10
Nicht im Effekt übrigens,
01:13:12
sondern weil sich bei ihm
01:13:14
immer mehr aufstaute.
01:13:17
also knapp drei Wochen
01:13:19
schreibt er in einem Chat
01:13:20
aus einem PC-Spiel,
01:13:21
dass ihn die Beschränkungen
01:13:22
aggressiv machen würden
01:13:24
die ihn darauf hinweisen würden,
01:13:26
eine Maske zu tragen,
01:13:27
damit rechnen müssten,
01:13:28
den Arsch versorgt zu bekommen.
01:13:31
als Alex ihn am 18. September
01:13:33
auf die Maske hinweist,
01:13:34
fühlt sich Roland von ihm
01:13:36
Bis hierhin und nicht weiter,
01:13:38
Er fährt zu einer anderen
01:13:40
kauft sich dort sein Bier,
01:13:41
fährt wieder nach Hause,
01:13:42
trinkt und schickt seinem Schwager
01:13:45
I'm about to pick up my 357,
01:13:48
shoot the fucker in the face.
01:13:50
Danach fährt er zurück
01:13:51
zur Aral-Tankstelle,
01:13:52
wo er das wahrmacht,
01:13:53
was er schon 2020
01:13:54
online angekündigt hatte,
01:13:56
Maskenpflicht auf dem Globus-Parkplatz,
01:13:58
ich lande dieses Jahr noch
01:13:59
wegen Mord oder Totschlag
01:14:02
selbsterfüllende Prophezeiung.
01:14:05
versuchen vor Gericht
01:14:06
zwar darzulegen,
01:14:07
dass er zur Tatzeit
01:14:08
betrunken gewesen sei,
01:14:09
um eventuell eine
01:14:10
verminderte Schuldfähigkeit
01:14:12
doch weder auf der Aufnahme
01:14:13
der Überwachungskamera
01:14:15
noch auf den Videos,
01:14:16
die er seinem Schwager schickte,
01:14:18
sind motorische Einschränkungen
01:14:20
oder sprachliche Ausfälle
01:14:21
Auch Emilia und Sophie,
01:14:23
die aus nächster Nähe
01:14:24
ansehen mussten,
01:14:25
wie ihr Freund starb,
01:14:26
dass sie zu keinem Zeitpunkt
01:14:27
den Eindruck gehabt hatten,
01:14:28
dass Roland betrunken gewesen sei.
01:14:30
Auch wenn er wahrscheinlich
01:14:31
um die zwei Promille gehabt hat.
01:14:34
er habe keine Mine verzogen
01:14:36
und in Alex Gesicht gezielt,
01:14:38
Normalste der Welt.
01:14:40
als wissen er ganz genau,
01:14:42
Auch die Oberpsychologie-Rätin
01:14:44
die vor Gericht die TAP
01:14:45
psychologisch nachzeichnen soll,
01:14:47
dass Roland sich diese
01:14:48
feindliche Außenwelt
01:14:49
über Jahre hinweg
01:14:51
Eine Coping-Strategie,
01:14:53
denn Rolands normale
01:14:54
Bewältigungsstrategien
01:14:55
reichten nicht aus,
01:14:56
um mit Krisen umzugehen.
01:14:57
Er brauche Erklärungen,
01:15:00
die an seiner Situation
01:15:02
und gegen die er sich
01:15:03
verteidigen muss.
01:15:04
Die kontinuierlich
01:15:05
wiederholte Beschäftigung
01:15:06
mit Gewalt in Chats
01:15:08
und auch Fantasietaten
01:15:09
sowie das Abwerten,
01:15:10
Objektivieren von Menschen,
01:15:12
die in das Feindbild passen,
01:15:13
seien typisch für diese Art Täter,
01:15:15
wie Roland es ist,
01:15:16
Auch Roland selbst
01:15:18
gibt vor Gericht zu,
01:15:20
nur als Projektionsfläche
01:15:22
austauschbar war.
01:15:23
Und genau deswegen
01:15:25
fordert die Staatsanwaltschaft,
01:15:26
dass Roland wegen Mordes
01:15:27
aus niedrigen Beweggründen
01:15:28
verurteilt wird.
01:15:29
Denn Roland wollte
01:15:30
ein Zeichen setzen
01:15:33
eben jenes Zeichens
01:15:34
Als die Oberstaatsanwältin
01:15:36
den Tathergang verließ,
01:15:38
wischt Heike sich
01:15:39
immer wieder die Tränen
01:15:39
aus dem Gesicht.
01:15:40
Nach 24 Verhandlungstagen
01:15:42
kann sie nur hoffen,
01:15:43
dass das Gericht
01:15:44
eine gerechte Strafe
01:15:46
das Leben genommen hat.
01:15:48
seine letzten Worte
01:15:49
direkt an Heike.
01:15:50
Es tut mir sehr leid,
01:15:51
ich kann mir sehr gut
01:15:53
wie sie sich fühlen.
01:15:54
Er wünsche es sich,
01:15:55
könne aber die Zeit
01:15:56
nicht mehr zurückdrehen.
01:15:58
die Entschuldigung
01:15:59
Niemals wird sie
01:16:00
ihm verzeihen können,
01:16:00
was er getan hat.
01:16:01
Am 13. September
01:16:03
verkündet dann die Kammer,
01:16:05
Roland ist des heimtückischen
01:16:06
Mordes aus niedrigen
01:16:08
an Alex schuldig.
01:16:09
Roland habe Alex
01:16:10
repräsentativ für
01:16:12
PolitikerInnen ermordet.
01:16:13
Demnach lag seine Tat
01:16:16
politisches Motiv zugrunde.
01:16:18
Rolands rechtsradikale
01:16:19
Einstellung und sein Hass
01:16:20
auf ein etabliertes System.
01:16:21
Als Heike die Worte
01:16:23
der Richterin hört,
01:16:24
bricht es aus ihr heraus.
01:16:26
Ganz in Schwarz gekleidet,
01:16:28
gibt sie mit stockender Stimme
01:16:29
später einige Interviews
01:16:30
egal wie das Urteil ausgegangen
01:16:32
wäre, es hätte ja nichts
01:16:33
daran geändert, was passiert ist
01:16:35
und welcher Mensch
01:16:35
verloren gegangen ist.
01:16:36
Es bringt ja nie wieder
01:16:37
mein Kind zurück.
01:16:38
Heike ist sich sicher,
01:16:40
wäre Alex noch am Leben,
01:16:41
wäre der Sommer 2022
01:16:43
sein schönster gewesen.
01:16:44
Alex hätte sein Abitur
01:16:46
wäre mit seinen FreundInnen
01:16:48
in den Urlaub gefahren
01:16:49
ausgiebig gefeiert.
01:16:50
Doch all das hat Roland
01:16:52
ihm wegen seiner
01:16:53
Verblendung genommen.
01:16:55
Auf seinem Facebook-Profil
01:16:56
hat Alex mal geschrieben,
01:16:57
dass seine größte Angst
01:16:58
ist, vergessen zu werden.
01:16:59
Heike hat für sich
01:17:00
ihren Vater und ihre
01:17:01
Schwester Anhänger
01:17:02
mit Alex Fingerabdruck
01:17:03
darauf anfertigen lassen.
01:17:05
So ist er immer bei ihm
01:17:06
und weit weg davon,
01:17:08
vergessen zu werden.
01:17:09
Also dieser Fall
01:17:12
macht mich so fertig.
01:17:13
Ich kann es nicht mehr hören.
01:17:16
Ich kann diese Sachen
01:17:17
nicht mehr hören
01:17:20
ich kann das gar nicht
01:17:23
ich kann das ja gar nicht
01:17:25
So irre ist das,
01:17:26
was er da von sich
01:17:29
ich hasse das auch,
01:17:36
und man denkt sich so
01:17:37
du wohnst in Deutschland
01:17:38
und musst jetzt eine
01:17:41
Tankstelle gehst
01:17:50
und alle anderen
01:17:53
und man hätte die
01:17:53
man hätte halt einfach
01:17:58
ich kann das nicht
01:17:59
ich kann das nicht mehr hören
01:18:00
und jetzt sagt er ja
01:18:03
und er würde es ja
01:18:03
rückgängig machen
01:18:12
und dass er noch
01:18:15
ich habe das auch
01:18:16
schon so oft gehört
01:18:17
die in irgendwelchen
01:18:18
gearbeitet haben
01:18:24
ich finde es auch
01:18:37
an der Tankstelle
01:18:37
weil ich weiß noch
01:18:38
das war relativ frisch
01:18:39
und ich hatte damals
01:18:40
echt Angst vor dem Virus
01:18:41
und seltsamerweise
01:18:44
die Leute ohne Maske
01:18:46
und ich hatte sie dann
01:18:48
nicht die KundInnen
01:18:49
ob die eine Maske tragen
01:18:50
weil das sollte man
01:18:52
und dann tat sie mir
01:18:53
halt auch wieder
01:18:55
sie wissen nicht
01:18:56
am Tag machen muss
01:18:57
und was ich hier
01:18:58
verantworten bekomme
01:19:00
das war vor diesem Fall
01:19:01
und im Nachhinein
01:19:04
dann auch verstehen
01:19:05
nur man wusste halt
01:19:07
auch noch gar nicht
01:19:08
wie kann man sich
01:19:08
überhaupt anstecken
01:19:09
und eine Maske zu tragen
01:19:10
war damals irgendwie
01:19:12
so eine große Chance
01:19:14
so ein bisschen einzudämmen
01:19:15
was ich bei Roland
01:19:17
problematisch fand ist
01:19:19
der kann sich ja
01:19:20
nicht impfen lassen
01:19:21
sagt ja niemand was
01:19:23
keinen Impfzwang
01:19:24
es wäre völlig okay gewesen
01:19:26
wenn der das für sich
01:19:28
wie er das möchte
01:19:29
solange er andere
01:19:30
damit nicht gefährdet
01:19:31
aber der hatte halt
01:19:32
diesen Missionsdrang
01:19:35
Menschen wachrütteln
01:19:36
und die eine Gutachterin
01:19:38
hat ihn halt auch
01:19:42
das sieht man hier
01:19:43
ja ganz deutlich
01:19:44
dass der versucht hat
01:19:46
von seiner Meinung
01:19:49
anders verhalten haben
01:19:53
und in seiner Erzählung
01:19:55
selber reingesteigert hat
01:19:56
drohte halt eben
01:20:00
also immer noch ein paar Jahre alt- und der neue Ecke gedrängt ist und man kann dem nicht mehr entkommen
01:20:10
das befeuert so eine Situation dann natürlich auch noch
01:20:13
und dieses ständige Auseinandersetzen ja damit
01:20:17
und das fand ich ganz interessant
01:20:19
das hat nämlich der eine Gutachter vor Gericht auch ausgesagt
01:20:21
dass man sich im besten Fall maximal 30 Minuten am Tag mit dem Zeitgeschehen auseinandersetzen
01:20:28
also das fand ich ganz interessant
01:20:31
damit man nicht in so ein Rabbit Hole
01:20:33
ich würde jetzt theoretisch sagen
01:20:35
ist wahrscheinlich auch ein bisschen wenig
01:20:37
aber vielleicht gerade für Leute
01:20:39
das tut denen gesundheitlich nicht gut
01:20:41
und ist für die psychisch belastend
01:20:43
ja weil meistens
01:20:45
man halt auch nichts daran ändern kann
01:20:46
an der Situation
01:20:47
deswegen hört sich das eigentlich auch sehr
01:20:53
entweder Herzschmerz bekommen
01:20:55
weil sie total überwältigt sind
01:20:57
von dem Leid das auf unserer Erde herrscht
01:20:59
oder dass die sich dann
01:21:01
irgendwelche komischen Erklärungen suchen
01:21:04
um irgendwie anders damit klar zu kommen
01:21:07
aus Rolands Sicht
01:21:09
hat der deutsche Staat
01:21:10
mit den Pandemienmaßnahmen
01:21:11
Grenzen überschritten
01:21:14
und deshalb wollte er
01:21:16
ein Zeichen gegen die Politik setzen
01:21:17
und dafür hat er halt zu Gewalt gegriffen
01:21:19
und so eine Tötung aus politischen Motiven
01:21:22
kann eben auch ein Mord
01:21:23
aus niedrigen Beweggründen darstellen
01:21:25
also beispielsweise dann
01:21:26
wenn TäterInnen ihre Opfer
01:21:28
allein aufgrund ihrer eigenen
01:21:30
politischen Überzeugung
01:21:31
oder halt wegen deren Zugehörigkeit
01:21:33
einer sozialen oder ethnischen Gruppe töten
01:21:36
also wenn dem Opfer jetzt
01:21:37
allein wegen seiner Zugehörigkeit
01:21:40
das Lebensrecht abgesprochen wird
01:21:42
und das Opfer dann quasi
01:21:43
entpersönlicht wird
01:21:45
und als Repräsentant oder Repräsentantin
01:21:47
dieser Gruppe getötet werden soll
01:21:48
also gar nicht als Individuum betrachtet wird
01:21:51
und deswegen wurde auch in Rolands Fall
01:21:53
das Mordmerkmal der sonstigen
01:21:55
niedrigen Beweggründe bejaht
01:21:56
weil Alex eben überhaupt nichts
01:21:58
zu der Situation
01:21:59
und Rolands Hut beigetragen hatte
01:22:01
sondern in dem Moment wirklich
01:22:02
völlig austauschbar war
01:22:05
es wäre egal gewesen
01:22:06
wer davor Roland gestanden hätte
01:22:08
und ihm gesagt hätte
01:22:08
er hätte geschossen in dem Moment
01:22:11
aus dem gleichen Grund
01:22:12
werden auch bei terroristischen Akten
01:22:14
jetzt die völlig willkürlich
01:22:15
unbeteiligte Menschen
01:22:16
treffen in der Regel
01:22:18
niedrige Beweggründe angenommen
01:22:20
genauso wie bei Tötungen
01:22:22
die halt einen rassistischen
01:22:24
ableistischen Hintergrund haben
01:22:25
passenderweise werden
01:22:27
solche Taten ja auch
01:22:28
als Hasskriminalität bezeichnet
01:22:30
und in diesen Fällen
01:22:32
ist dieses Gefühl von Hass
01:22:33
eben ein besonders
01:22:35
verachtenswertes Motiv
01:22:36
wir haben ja jetzt die ganze Zeit
01:22:38
von dem einen Tatmotiv
01:22:40
bezüglich der sonstigen
01:22:41
niedrigen Beweggründe gesprochen
01:22:42
aber es können auch mehrere Motive
01:22:45
gleichzeitig vorhanden sein
01:22:47
und wie das Gericht dann entscheidet
01:22:49
hat uns Dr. Klaus Malek erzählt
01:22:51
der ist Fachanwalt für Strafrecht
01:22:52
und in dieser Folge
01:22:54
bei einem sogenannten Motivbündel
01:22:57
kommt es darauf an
01:22:58
welches Motiv im Vordergrund steht
01:23:00
bei der Annahme von niedrigen Beweggründen
01:23:03
müssen diese also das Hauptmotiv sein
01:23:06
lässt sich nicht feststellen
01:23:08
welches von mehreren Motiven
01:23:09
das entscheidende ist
01:23:11
so kann laut Rechtsprechung von Mord
01:23:13
nur ausgegangen werden
01:23:14
wenn Motive ausgeschlossen werden können
01:23:17
die nicht auf niedrigster Stufe stehen
01:23:20
jedes Motiv niedrig ist
01:23:22
ansonsten kann keine Verurteilung
01:23:26
wegen Mord erfolgen
01:23:27
das ist jetzt vielleicht für manche
01:23:29
ein bisschen schwer nachzuvollziehen
01:23:30
aber es gibt einen Fall
01:23:31
an dem man das ganz gut erklären kann
01:23:32
und zwar später im Jahr 2002
01:23:34
hier verlässt eine Frau
01:23:36
ihren todkranken Mann
01:23:37
weil sie mit einem anderen zusammen sein will
01:23:39
und daraufhin tötet ihr Ex sie
01:23:41
aus folgenden Gründen
01:23:42
die das Gericht dann später feststellen kann
01:23:45
und zwar Verärgerung, Eifersucht, Wut
01:23:47
und aus tiefster Enttäuschung
01:23:49
über das Verlassen worden sein
01:23:51
um dann herauszufinden
01:23:53
welches Motiv bei der Tat
01:23:54
im Vordergrund stand
01:23:55
wird ein psychiatrisches Gutachten
01:23:57
zur Persönlichkeit des Täters erstellt
01:23:59
und dadurch wird dann damals klar
01:24:01
dass seine tiefe Enttäuschung
01:24:02
über das Verlassen worden sein
01:24:04
das Hauptmotiv gewesen sein könnte
01:24:06
und dieses Motiv steht
01:24:07
nach Ansicht des Gerichts
01:24:09
nicht auf moralisch tiefster Stufe
01:24:11
und erfüllt dann nicht
01:24:13
der niedrigen Beweggründe
01:24:15
deshalb kann der Mann am Ende
01:24:17
auch wenn seine anderen Motive
01:24:19
wie die Wut und Eifersucht
01:24:21
besonders verwerflich waren
01:24:22
nicht wegen Mordes
01:24:23
aus sonstigen niedrigen Beweggründen
01:24:25
verurteilt werden
01:24:26
weil man eben nicht
01:24:27
mit Sicherheit ausschließen kann
01:24:28
dass die Enttäuschung
01:24:30
das Hauptmotiv war
01:24:32
auf moralisch tiefster Stufe
01:24:35
und an diesem Beispiel
01:24:37
sieht man auch wieder
01:24:38
wie nah eine Verurteilung
01:24:41
und wegen Totschlags
01:24:43
beieinander liegen
01:24:43
und wie schwierig
01:24:45
das auch für Gerichte ist
01:24:46
jetzt die genauen Gründe
01:24:49
die tatbestimmend waren
01:24:50
und dann auch zu entscheiden
01:24:54
besonders verwerflich waren
01:24:56
und das hat natürlich
01:24:57
dass das Mordmerkmal
01:24:58
der sonstigen niedrigen Beweggründe
01:25:00
einfach sehr vage definiert ist
01:25:02
und weil am Ende
01:25:03
allein die Gerichte
01:25:05
was als niedrig anerkannt wird
01:25:08
nun mal mehr oder weniger
01:25:10
und was das große Problem
01:25:12
hat uns Dr. Malek
01:25:13
im Interview erklärt
01:25:15
an den niedrigen Beweggründen
01:25:18
hat sich festgemacht
01:25:19
an dem sogenannten
01:25:20
Bestimmtheitsgrundsatz
01:25:22
der Bestimmtheitsgrundsatz
01:25:24
der sich letztlich ableitet
01:25:25
aus der Verfassung
01:25:26
und der im Strafrecht
01:25:29
ganz besonders gilt
01:25:33
genau wissen muss
01:25:36
Tatbestandsmerkmal
01:25:38
verletzt sein kann
01:25:40
wenn er bestraft werden soll
01:25:45
wenn ich eine Sache wegnehme
01:25:46
dass es sich hier um eine fremde Sache handelt
01:25:48
die also nicht in meinem Eigentum steht
01:25:50
sonst fehlt der Vorsatz bezüglich dieser Tat
01:25:53
und so muss jedes
01:25:55
Tatbestandsmerkmal
01:25:58
einigermaßen jedenfalls
01:26:01
und da habe ich meine Zweifel
01:26:05
der niedrigen Beweggründe
01:26:07
ob das so klar ist
01:26:10
also Strafgesetze sollten eigentlich genau formuliert sein
01:26:14
und alle BürgerInnen sollten sozusagen verstehen
01:26:16
welche rechtlichen Folgen ihr Verhalten haben kann
01:26:18
ist ja auch logisch
01:26:19
ja also ich möchte ja auch nur in der Welt leben
01:26:22
deren Regeln ich verstehe
01:26:23
und wenn ich eine Reaktion auf mein Handeln
01:26:26
voraussehen kann
01:26:28
so soll halt in der Theorie
01:26:30
Rechtssicherheit gewährleistet werden
01:26:33
Richter am Landgericht Hamburg
01:26:34
dass dem Mordmerkmal
01:26:36
der sonstigen niedrigen Beweggründe
01:26:37
aber die inhaltlichen Kriterien fehlen
01:26:40
und dann halt eben nicht garantiert ist
01:26:41
dass jeder Fall von deutschen Gerichten
01:26:44
richtig und vor allem gleich beurteilt wird
01:26:46
und das ist gerade wenn man bedenkt
01:26:48
dass es hier um einen Mord geht
01:26:50
was ja die Höchststrafe
01:26:52
also eine lebenslange Haft mit sich bringt
01:26:55
dann ist das ja schon nicht ideal
01:26:58
und 2014 hatte sich ja
01:27:01
eine Expertinnenkommission
01:27:03
mit den Tötungsdelikten beschäftigt
01:27:05
was man hier verbessern könnte
01:27:07
und explizit auch
01:27:08
wie man das Mordmerkmal
01:27:09
der sonstigen niedrigen Beweggründe
01:27:11
weniger vage gestalten kann
01:27:13
also damit es einfach mehr Klarheit herrscht
01:27:15
und da wurde vorgeschlagen
01:27:16
noch ein paar zusätzliche Spezialfälle einzuführen
01:27:19
also neben Mordlust
01:27:20
Befriedigung des Geschlechtstriebs
01:27:22
und da wollte die Mehrheit der Kommission
01:27:24
zum Beispiel Mordmerkmale einführen
01:27:27
die an bestimmte Kennzeichen
01:27:28
von Opfern angeknüpft sind
01:27:29
also dass beispielsweise
01:27:31
im Gesetz ganz klar
01:27:33
dass es immer ein niedriger Beweggrund ist
01:27:35
wenn Täter in andere
01:27:37
zum Beispiel aufgrund
01:27:37
ihres Geschlechts
01:27:39
oder der sexuellen Orientierung
01:27:40
und so weiter töten
01:27:41
aber bisher war man sich
01:27:44
noch nicht richtig einig darüber
01:27:45
ob man das jetzt so machen soll
01:27:47
und deshalb bleibt das Mordmerkmal
01:27:49
der sonstigen niedrigen Beweggründe
01:27:51
jetzt erstmal so vage
01:27:53
das war es für diese Folge
01:27:55
von unserem Podcast
01:28:00
ein ausgezeichneter Podcast ist
01:28:03
und zwar möglicherweise ausgezeichnet
01:28:06
deutschen Podcastpreis
01:28:07
beim Publikumsvoting
01:28:09
in der Kategorie Wissen
01:28:12
ihr habt offenbar
01:28:13
so häufig für uns abgestimmt
01:28:15
dass wir zumindest
01:28:17
nominiert wurden
01:28:18
also von den ganzen
01:28:19
die da aufgelistet waren
01:28:21
sind wir jetzt auf jeden Fall
01:28:23
was ja schon mal eigentlich
01:28:24
in unserer Kategorie
01:28:26
und da waren aber auch viele
01:28:27
in der Kategorie Wissen
01:28:30
es gibt ja viel Wissen
01:28:33
die Wissen erzählen
01:28:35
das ist schon mal
01:28:37
ein Freudensprung wert
01:28:38
aber es geht jetzt bald
01:28:40
dann zur Preisverleihung
01:28:41
und vielleicht kriegen wir ja sogar
01:28:43
es könnte passieren
01:28:46
wir treten aber gegen
01:28:47
einen Kinderarzt an
01:28:48
der letztes Jahr gewonnen hat
01:28:50
vielleicht müssen wir uns
01:28:51
auf der Preisverleihung
01:28:52
das wissen wir nicht
01:28:54
wir sind da ganz gespannt
01:28:55
was auf uns zukommt
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aber wir danken euch sehr
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für diese Möglichkeit
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dass wir jetzt einmal
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kein Hindernis mehr darstellt
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so wie es bei der ersten
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Preisverleihung war
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dass wir an so einer
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teilnehmen können
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und drückt uns die Daumen
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das war ein Podcast
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der Partner in Crime
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Hosts und Produktion
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und Laura Wohlers