00:00:00
Hier in England gibt es ja gerade einen Fall, über den alle reden und über den sogar auch in Deutschland berichtet wurde.
00:00:18
Paulina, weißt du, von welchem Fall ich rede?
00:00:20
Könnte das der sein von einer Frau, die, glaube ich, im Krankenhaus gearbeitet hat und irgendwie Babys getötet hat?
00:00:29
Den haben wir nämlich ganz viel zugeschickt bekommen auf Instagram, habe ich gesehen.
00:00:32
Genau, ein ganz schlimmer Fall, bei dem eben eine Krankenschwester auf der Säuglingsstation mindestens sieben Frühchen getötet und es bei sechs weiteren versucht hat.
00:00:44
Ich will da jetzt auch nicht im Detail drauf eingehen, weil vielleicht erzählen wir den Fall ja hier nochmal bei Mordlust irgendwann.
00:00:51
Aber ganz kurz, aber was ist das Motiv gewesen? Weil das interessiert mich schon, das habe ich nicht so rauslesen können.
00:00:59
Die Täterin sagt selber nichts zum Motiv, weil sie sagt, sie sei unschuldig.
00:01:04
Es gibt aber natürlich sehr viele verschiedene Theorien, die würde ich dir aber dann natürlich im Detail erzählen, wenn wir den Fall hier machen.
00:01:12
Gut, ist unbefriedigend, aber lassen wir es.
00:01:17
Ich weiß nämlich natürlich schon richtig viel über den Fall, weil ich schon ein Deep Dive gemacht habe gestern und über eine Sache habe ich mich, also ich habe mich über viele Sachen gewundert, aber über eine habe ich mich besonders gewundert und zwar, dass die Täterin nicht zum letzten Prozestag gekommen ist.
00:01:33
Also einmal zum Verständnis, bei der Verurteilung war sie da, aber nicht beim Sentencing Hearing, so heißt das.
00:01:40
Das ist der Tag, wo das Strafmaß vom Richter oder von der Richterin verkündet wird und wo auch die Gründe für dieses Strafmaß geliefert werden.
00:01:48
Und in diesem Fall ging es nicht nur um das Strafmaß und die Gründe, sondern bevor das passiert ist, wurden auch noch die sogenannten Victim Impact Statements vorgelesen.
00:02:00
Das sind diese Aussagen von Angehörigen oder Opfern bzw. Überlebenden, die, wenn die das möchten, sozusagen einmal im Gericht vortragen, wie sehr das Verbrechen ihr Leben jetzt beeinflusst hat.
00:02:13
Und oft sind diese Aussagen direkt an die TäterInnen gerichtet.
00:02:18
Heißt halt, in diesem Fall, da haben die Eltern der toten und überlebenden Babys darüber gesprochen, wie das alles für sie war, also wie das ihr Leben verändert hat.
00:02:29
Da gab es dann Mütter, die erzählt haben, wie lange sie halt auf diese Schwangerschaft und diese Geburt gewartet haben nach zig künstlichen Befruchtungen.
00:02:38
Andere haben darüber gesprochen, dass ihre Ehen nicht überlebt haben oder davon gesprochen, wie das halt jetzt ist, mit einem Kind zu leben,
00:02:47
das durch diese Straftat eine schwere Behinderung davon getragen hat und jetzt irgendwie 24-7 Pflege braucht.
00:02:55
Und diese Impact Statements, die kann man im Internet nachlesen und wirklich, ich musste dann irgendwann stoppen, weil es war wirklich irgendwann too much.
00:03:05
Einfach sehr herzzerreißend.
00:03:07
Und die TäterIn, die musste sich die dann gar nicht anhören, weil sie sich dazu entscheiden konnte, einfach nicht an diesem Tag ins Gericht zu gehen.
00:03:16
Ah ja, interessant.
00:03:17
Okay, also, aber wir gehen davon aus, dass die natürlich schon vorher eine Art Gehör gefunden haben, weil die beispielsweise als Zeugen oder Zeuginnen ja vor Gericht auch ausgesagt haben und so.
00:03:28
Und da war die TäterIn aber anwesend, ja?
00:03:31
Ja, finde ich interessant. Ich habe mir da neulich schon Gedanken beim Prozess von Amber Heard versus Johnny Depp gemacht, weil er ja auch bei der Urteilsverkündung dann gar nicht anwesend war.
00:03:42
Und dachte mir, das ist generell einfach irgendwie sehr unbefriedigend, dass beide Seiten in dem Prozess ja die ganze Zeit anwesend sind.
00:03:50
Und dann aber am Ende man sagen kann, ach so doll, also ich weiß, das macht ja den Eindruck, so doll interessiert es mich nicht.
00:03:57
Oder ich möchte nicht, dass die Öffentlichkeit sieht, wie ich auf das Urteil reagiere oder so.
00:04:03
Und in Deutschland ist ja in der Strafprozessordnung die Anwesenheitspflicht des Angeklagten oder der Angeklagten geregelt.
00:04:09
Und das finde ich auch gut so, weil ich das so schwierig fände für die NebenklägerInnen, weil ich glaube, dass einen großen Teil ausmacht, dass eine Gerechtigkeit wiederhergestellt werden kann.
00:04:21
Also das Gefühl, dass das sein kann, dass man den Moment im Gericht, in dem das verkündet wird, teilt mit der Person, die für diese Tat verantwortlich ist.
00:04:33
Und dass einem das ein bisschen Genugtuung verschaffen kann, dass sie ja auch in der Regel dabei sein müssen, dass sie sich auch die Schlussplädoyers anhören müssen.
00:04:41
Und ich glaube auch, also gerade wenn du sagst, die Beschädigten haben sie direkt angesprochen, scheint mir das auch so, als wäre der Wunsch auch da gewesen, dass sie es hört.
00:04:49
Ja, und ein paar Eltern haben dann auch danach nochmal mit der Presse gesprochen und gesagt, dass sie das so als letzten feigen Akt empfunden haben, dass sie dann nicht da war.
00:05:00
Ich finde das, ja, ich finde das genauso wie du.
00:05:02
Ich finde, die TäterInnen müssen das halt auch anhören.
00:05:06
In dem Fall hier waren die meisten Eltern jeden Tag im Gerichtssaal, haben sich anhören müssen, wie die verschiedenen Babys von dieser Frau getötet wurden.
00:05:15
Und die kann sich dann nicht dazu bringen, da hinzugehen und sich einmal anzuhören, was ihre Taten mit diesen Familien gemacht haben.
00:05:23
Also ich finde es wirklich ganz furchtbar, dass das hier nicht so geregelt ist wie in Deutschland.
00:05:27
Ich glaube, das wäre auch für Täter oder Täterinnen gut, das sich einmal anzuhören, um dann eben kurz vor der Phase, bevor du in die Sühne gehst,
00:05:36
nochmal dir anzuhören, was du eigentlich sühnen musst jetzt in den nächsten Jahren im Gefängnis.
00:05:42
Ja, und es ist, du hast es eben ja schon gesagt, in Deutschland ist das in der Strafprozessordnung geregelt.
00:05:48
Und es ist nämlich so, wenn die angeklagte Person nicht da ist bei der Urteilsverkündung, dann ist das auch ein Revisionsgrund, weil das Urteil dann einfach anfechtbar ist.
00:05:57
Und es gibt auch in Deutschland Ausnahmen, dass mal die angeklagte Person dann nicht da ist.
00:06:03
Aber das ist dann zum Beispiel nur so, falls sie verhandlungsunfähig ist, weil krank.
00:06:08
Aber nicht, weil die angeklagte Person das einfach selber entscheiden kann.
00:06:12
Und in England schreit man jetzt aber auch nach einem neuen Gesetz, das eben die Angeklagten dazu zwingen soll, in Anführungsstrichen, bei diesem Sentencing Hearing dabei zu sein.
00:06:21
Weil diese Krankenschwester tatsächlich innerhalb von einer relativ kurzen Zeit schon die dritte Mörderin war, die das jetzt so für sich entschieden hat, dass sie nicht dabei sein wollte.
00:06:32
Und auch der Premierminister hat sich jetzt dafür ausgesprochen, dass das passieren soll.
00:06:36
Ich denke also, es ist am Ende nur eine Frage der Zeit, wie schnell da die Mühlen der britischen Justiz mahlen.
00:06:42
Aber ich denke mir, je schneller, desto besser, weil jede Täterin oder jeder Täter, der sich dafür entscheidet, nimmt den Familien, wie du sagst, auch ein bisschen einmal auf der einen Seite diese Genugtuung, aber auch das Recht einer Stimme sozusagen.
00:06:57
Ja, und ich verstehe auch gar nicht, warum man das überhaupt in die Hände von den Leuten legt, die diese Tat begangen haben.
00:07:04
Ich meine, wenn man kann, dann schwänzt man. Das ist halt so. Dann muss man das halt anders regeln.
00:07:12
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime. Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:07:18
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:07:19
Und ich bin Laura Wohlers.
00:07:21
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen, über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:07:30
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen. Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
00:07:34
Das machen wir auch. Selbst dann, wenn wir zwischendurch immer mal ein bisschen lockerer reden.
00:07:38
Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:07:43
Letztens war ich ja bei der Verdeigung des Deutschen Podcastpreises.
00:07:47
Falls irgendwer das noch nicht mitbekommen haben sollte, den haben wir übrigens gewonnen.
00:07:51
Und da wurde ich gefragt, was ich in fünf Jahren Mordlust über den Menschen gelernt habe.
00:07:56
Und ich habe gesagt, dass alles möglich ist.
00:07:59
Zunächst mal, dass eigentlich, naja, nicht alle, aber ziemlich viele Täter oder Täterin eines Verbrechens werden können.
00:08:07
Aber natürlich vor allem auch Opfer.
00:08:09
Das stimmt, aber in der heutigen Folge ist das zur Abwechslung mal nicht so.
00:08:14
Diesmal können wir mit Sicherheit sagen, dass weder wir noch unsere ZuhörerInnen jemals Opfer der Taten werden, die wir heute besprechen.
00:08:22
Denn dazu ist es schon zu spät.
00:08:25
Mein Fall zeigt, dass Verantwortung in manchen Fällen keine Option ist, die man ausschlagen kann.
00:08:32
Manchmal muss man sie übernehmen, um ein Menschenleben zu retten.
00:08:34
Alle Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:08:39
Die gilt übrigens für die ganze Folge.
00:08:41
Es ist eine Nacht im September 2017, kurz nach 23 Uhr, als drei Gestalten im Dunkeln auf dem Gelände eines abgelegenen Bauernhofs in Süddeutschland stehen und warten.
00:08:52
Um sie herum nur eine Scheune, einige Strohballen und ein paar Autos, die so spät noch auf der Bundesstraße entlang fahren.
00:09:00
Die Motoren der vorbeifahrenden Autos unterbrechen die nächtliche Stille und ihre Scheinwerfer erhellen die ländliche Umgebung, jeweils für wenige Sekunden.
00:09:09
Dann werden die drei Menschen, die hier stehen und warten, auf was wissen sie selbst nicht, nur auf wen, wieder von der Dunkelheit verschluckt.
00:09:16
Die, die fehlt, wollte allein sein.
00:09:19
Als sie schließlich hinter den getrockneten Strohballen hervortritt, offenbart sie einen grauenvollen Anblick.
00:09:25
Ihre Arme und Beine sind voller Blut.
00:09:27
Sie bittet um Wasser, um die tiefroten Spuren von ihrem Körper zu waschen.
00:09:31
Dann setzen sich die vier wieder ins Auto und fahren in die Nacht hinein.
00:09:35
Ein gutes Jahr zuvor.
00:09:38
Jana ist gerade frisch Single, da fällt ihr Hannes auf.
00:09:42
Sie kennt ihn schon länger aus der Tuning-Szene rund um Konstanz am Bodensee.
00:09:46
Die beiden haben gemeinsame Freundinnen, mit denen sie sich ab und zu treffen, um Spritztouren zu unternehmen und an den Autos herumzuschrauben.
00:09:53
Jana ist 21 Jahre alt, kräftig gebaut, hat langes, rotes Haar, meist aufwendig lackierte Fingernägel und fährt Renault, ein Cabriolet.
00:10:01
Hannes ist ein Jahr jünger als sie und erscheint zu den Treffen in seinem Golf-GTI.
00:10:06
Jana ist zwar gerade erst getrennt, aber sie macht ihrem Muster alle Ehre.
00:10:12
Seitdem sie 17 Jahre alt ist, also seit sechs Jahren, ist sie eigentlich durchweg in Beziehung.
00:10:18
Klappt es mit dem einen nicht, sucht sie sich sofort den nächsten.
00:10:21
Und jetzt ist es eben Hannes, den sie schneller als ihr Auto fährt, zu ihrem neuen Partner macht.
00:10:25
Nur um zu verdeutlichen, wie fix das bei Jana manchmal geht.
00:10:30
Im Januar ist Schluss mit ihrem Ex, im Februar wird sie mit Hannes ein Paar und im März zieht sie zu ihm.
00:10:35
Dass er noch bei seiner Mutter wohnt, macht Jana nichts.
00:10:38
Sie teilen sich von nun an das Zimmer in seinem Elternhaus und verbringen am liebsten jede freie Minute miteinander.
00:10:43
Erst zu zweit, schon bald aber, lassen sie noch jemanden in ihren engen Kreis.
00:10:48
Einen Hund namens Bruno, den sie zu sich holen und von da an überall mit hinnehmen.
00:10:53
Sie sind eine kleine Familie geworden.
00:10:55
Jana, Hannes und Bruno, die auf engstem Raum zusammenleben.
00:10:59
Ein Arrangement, das Konfliktpotenzial birgt.
00:11:02
Nie kann man sich gegenseitig ausweichen.
00:11:04
Schlechte Laune eskaliert schnell zu Streit.
00:11:07
Einmal fetzt sich das junge Paar so heftig, dass Jana Hals über Kopf ihre Sachen packt und auszieht.
00:11:12
Sie weiß, dass sie bei ihrer Familie zu Hause immer willkommen ist.
00:11:16
Besonders mit ihrer Mutter hat Jana ein enges Verhältnis.
00:11:19
Sie hat ihr schon immer den Rücken gestärkt, sowohl emotional als auch finanziell.
00:11:24
Aber je länger Jana weg ist, desto mehr wird ihr bewusst, sie kann und will nicht ohne Hannes.
00:11:30
Die beiden vertragen sich und sie zieht wieder bei ihm ein.
00:11:32
Die Lösung ihres Problems wäre natürlich eine eigene Wohnung.
00:11:36
Aber die Mietpreise in der Bodenseeregion sind happig und das junge Paar verdient nicht viel.
00:11:40
Jana hat in den letzten Jahren ihr duales Studium versemmelt, weil sie es verpasst hat, sich für Prüfungen anzumelden.
00:11:45
Nach der Exmatrikulation hat sie eine Ausbildung gemacht und tritt jetzt im November 2016.
00:11:50
Da lebt sie seit acht Monaten mit Hannes in seinem Zimmer, ihre erste Vollzeitstelle als Versicherungskauffrau an.
00:11:56
Der Fauxpas mit dem Studium ist leider kein Einzelfall in Janas Leben.
00:12:01
Eigentlich ist sie organisiert.
00:12:03
Im Berufskolleg war sie Klassensprecherin, im Tuningverein ist sie sogar Schriftführerin.
00:12:08
Aber manchmal sind da Sachen, um die sie sich einfach nicht kümmert und sie wegignoriert.
00:12:13
Wie die Uniprüfung oder eine lästige Steuererklärung.
00:12:18
Und ich muss sagen, ich habe da so ein bisschen Verständnis für.
00:12:21
Denn sobald bei mir was auf dem Tisch landet, organisationsmäßig, wird es nicht gemacht.
00:12:28
Auf jeden Fall habe ich ganz oft so doll keinen Bock, meine Post zu öffnen, dass hier schon die ein oder andere Vollstreckungsandrohung im Briefkasten lag.
00:12:40
Und weißt du, was ich eigentlich so witzig finde an dieser Sache?
00:12:43
Guck mal, ich kann ja nicht nicht die Post öffnen, weil ich dann so einen Anxiety-Schub bekomme.
00:12:49
Ich öffne sie ja sogar noch an dem Briefkasten.
00:12:52
Und dann sind wir aber so verschieden bei dieser Feuersache, dass du Angst hast, dass das Haus abbrennt und ich nachts die Kerze anlasse.
00:13:01
Ich finde das irgendwie, das passt nicht.
00:13:03
Aber daran sieht man wieder, Leute kann man halt nicht in Schubladen stecken und der Mensch ist komplex.
00:13:10
Naja, oder wie Gedo Maria Kretschmer sagt, der liebe Gott ist gerecht.
00:13:14
Auf der einen Seite hast du das Leben im Griff, auf der anderen Seite wirst du irgendwann dafür sorgen, dass ihr niederbrennt.
00:13:20
Das wird mir nicht passieren.
00:13:22
Dafür kommt hier bald jemand und klebt irgendwo einen Kuckuck ran.
00:13:26
Hoffentlich nicht auf den Hund.
00:13:28
Auf jeden Fall ist Jana, was Briefe und Mahnungen angeht, ähnlich veranlagt, nur vielleicht noch ein bisschen doller.
00:13:35
Und die Quittung dafür liegt im Januar 2017 in Form eines Schreibens vom Finanzamt in ihrem Briefkasten.
00:13:41
Man teilt ihr mit, dass sie es trotz mehrfacher Aufforderung versäumt hat, ihre Unterlagen fristgerecht einzureichen.
00:13:47
Jetzt muss sie 15.000 Euro nachzahlen, die fortan monatlich von ihrem Gehalt gefendet werden.
00:13:53
Während sich andere jetzt sofort mit der Behörde in Kontakt setzen würden, hat Jana eine andere Herangehensweise an Probleme wie dieses.
00:14:00
Sie tut nämlich nichts und sagt niemandem etwas.
00:14:04
Sorgen und Herausforderungen macht sie lieber mit sich selbst aus.
00:14:07
Über die Jahre ist sie gut darin geworden, solche Sachen einfach auszublenden.
00:14:12
Und gelernt hat Jana aus den Versäumnissen der letzten Jahre nichts.
00:14:15
Auch jetzt schmeißt sie den Brief vom Finanzamt zu den anderen ungeöffneten Briefen und Mahnung in ihr Cabrio und lebt einfach damit, dass fast ihr ganzes Gehalt nun in die Staatskasse wandert,
00:14:25
obwohl das Finanzamt einen Fehler bei der Berechnung der monatlichen Summe, die gefendet wird, gemacht hat.
00:14:31
Und deswegen bleibt ihr auch wirklich fast gar nichts mehr von ihrem Gehalt.
00:14:35
Wenn in Zukunft Rechnungen anfallen, bittet sie ihre Eltern darum, sie zu begleichen.
00:14:39
Die beiden helfen ihrer Tochter aus und stecken ihr immer wieder Bargeld zu, damit es Jana an nichts fehlt.
00:14:45
So auch als Jana und Hannes eine Wohnung finden, in die sie einziehen können.
00:14:49
Janas Eltern übernehmen die gesamte Miete für das junge Paar.
00:14:52
Die beiden sind zufrieden, als sie nach einem Jahr Beziehung im März 2017 in ihr eigenes kleines Reich ziehen.
00:14:58
Hannes freut sich besonders darüber.
00:15:00
Immerhin ist die erste eigene Wohnung ein großer Schritt für eine Beziehung.
00:15:04
Und doch trübt etwas die Stimmung.
00:15:06
Jana ist seit kurzem irgendwie komisch drauf.
00:15:09
Sie hat keine Lust mehr, mit Hannes zu schlafen und zieht sich auch nur noch selten vor ihm aus.
00:15:13
Fast so, als würde sie sich permanent so unwohl in ihrem Körper fühlen, dass sie sich auch vor ihrem Freund gar nicht mehr zeigen mag.
00:15:19
Könnte es vielleicht daran liegen, dass Jana zugenommen hat.
00:15:22
Hannes hat mehrmals mitbekommen, wie FreundInnen oder Familienmitglieder Jana darauf angesprochen haben.
00:15:27
Sie sagt dann immer, dass sie zu viel gegessen habe.
00:15:30
Aber die Kommentare scheinen an ihr zu nagen.
00:15:33
Jana wird richtig patzig, wenn man nachfragt.
00:15:35
Also bohrt Hannes lieber nicht weiter.
00:15:37
Zwei Monate nach dem Umzug, am Wörthersee im österreichischen Kärnten.
00:15:42
Der kleine Ort Reifnitz liegt direkt am südlichen Ufer des Sees und ist in der Tuning-Szene bekannt,
00:15:48
denn einmal im Jahr herrscht hier Ausnahmezustand.
00:15:52
Zum GTI-Tuning-Treffen im Mai kommen mehr als 100.000 Autofans zusammen, um hochpolierte Golf-GTIs zu begutachten.
00:15:58
Diesmal sind auch Jana und Hannes zusammen mit Hund Bruno und einem befreundeten Pärchen dabei.
00:16:04
Für eine Woche haben sie sich eine Ferienunterkunft in der Region genommen
00:16:07
und verbringen die Zeit damit, mit den Autos durch die schönen Landschaften in Österreich zu fahren,
00:16:12
sich mit anderen Fans über ihr Hobby auszutauschen oder gemeinsam an den Wagen rumzuschrauben.
00:16:17
Eine tolle Zeit für Jana und Hannes und fernab vom Alltag zu Hause kommen sie sich auch wieder näher und haben Sex.
00:16:23
Nach sieben Tagen in Österreich steht am Mittwoch, den 17. Mai, aber schon wieder die 800 Kilometer lange Heimreise auf dem Programm.
00:16:31
Während die anderen zusammenpacken, klagt Jana am Mittag über Bauchkrämpfe wegen ihrer Periode.
00:16:37
Dann heult der Motor von Hannes' GTI auf und sie brechen in Richtung Heimat auf.
00:16:41
Jana sitzt vorne auf dem Beifahrersitz, Hannes fährt.
00:16:44
Im Rückspiegel kann sie den Wagen des befreundeten Paares erkennen, das ihnen im eigenen Auto folgt.
00:16:49
Doch es geht nur schleppend voran, weil sie wegen Jana immer wieder anhalten müssen.
00:16:53
Ihr geht es schlecht, sie kann nicht lange sitzen.
00:16:55
Hannes würde seine Freundin am liebsten direkt ins Krankenhaus fahren, aber Jana wehrt sich.
00:17:00
Sie will nach Hause.
00:17:02
Über die Bundesstraße sind es nur noch gute zwei Stunden mit dem Auto.
00:17:05
An einem Rastplatz legt sie sich schließlich auf den Rücksitz.
00:17:09
Er soll weiterfahren, sagt sie.
00:17:10
Eine Stunde später ist Jana nicht mehr so zuversichtlich.
00:17:14
Sie müssen nochmal rechtsrand fahren.
00:17:15
Ihr geht es schlechter.
00:17:16
Die beiden Autos stoppen mitten im Nirgendwo zwischen einem Wohnhaus und einem Stall.
00:17:21
Alles um sie herum ist dunkel, als Jana sich von der Rückbank des GTIs mit schmerzerfülltem Gesicht nach oben drückt und aus dem Auto steigt.
00:17:27
Sie müsse kurz ein kleines Problem erledigen, sagt sie und schleppt sich etwa 40 Meter weiter hinter einige Strohballen neben dem Stall.
00:17:34
Kurze Zeit später ruft sie nach Hannes.
00:17:37
Er soll ihr die Zebra-Rolle bringen, die sie im Auto haben.
00:17:39
Hannes macht das, was sie sagt und fragt noch einmal, ob er sie nicht doch lieber in ärztliche Behandlung bringen soll.
00:17:45
Jana verneint energisch.
00:17:47
Sie will allein sein.
00:17:49
Also gesellt sich Hannes zu den anderen.
00:17:51
So vergehen 10, 20, 30 Minuten.
00:17:54
Dann tritt Jana erschöpft und voll von Blut hinter den Strohballen hervor.
00:17:58
Sie braucht Wasser, sagt die 22-Jährige.
00:18:01
Was denn passiert sei, fragen die anderen geschockt.
00:18:04
Wo kommt das ganze Blut her?
00:18:06
Jana erklärt, dass sie sich eine Züste gezogen habe.
00:18:10
Weitere Fragen will sie nicht beantworten, sondern nur noch nach Hause.
00:18:13
Ihre blutverschmierte kurze Jeanshose lässt sie auf dem Boden liegen.
00:18:17
Stattdessen schlüpft sie in eine frische Jogginghose und legt ein Handtuch auf den Autositz, um ihn nicht zu verschmutzen.
00:18:22
Dann setzt sie sich auf das Handtuch ins Auto, schmust mit Bruno und raucht eine Zigarette.
00:18:27
Zu Hause angekommen duscht Jana und fällt müde ins Bett.
00:18:30
In den nächsten Tagen hat sie der Alltag wieder.
00:18:33
Ihr scheint es besser zu gehen.
00:18:34
Die Schmerzen sind kein Thema mehr.
00:18:35
Bis Sonntagnacht Janas Telefon klingelt.
00:18:39
Es ist ein Anruf, der alles verändert.
00:18:41
Am anderen Ende der Leitung ist ihre Freundin, die mit ihr und Hannes im Urlaub war.
00:18:46
Es ist dringend.
00:18:47
Auf der Webseite einer Lokalzeitung hätte sie gelesen, dass am Mittag auf einem Aussiedlerhof ein totes Baby gefunden wurde.
00:18:53
Es ist derselbe Hof, an dem Jana vor vier Tagen hinter den Strohballen verschwunden und dann blutverschmiert wieder aufgetaucht ist.
00:19:00
Die Polizei hat ihre Jeans gefunden und sucht ZeugInnen.
00:19:04
Janas Freundin möchte jetzt die Wahrheit darüber wissen, was in jener Nacht passiert ist, als sie auf Jana gewartet haben.
00:19:10
Jana kann nun nicht mehr lügen.
00:19:12
Sie hat keine Ausrede mehr parat.
00:19:14
Es ist der Moment, in dem das Kartenhaus, das sie über Monate hinweg aufgebaut hat, in sich zusammenfällt.
00:19:20
Hannes ist bei ihr, als sie zugibt, was sie getan hat.
00:19:23
Sie sind tatsächlich Eltern geworden in dieser Nacht, in der er nur wenige Meter neben ihr stand.
00:19:28
Sie hat ein Mädchen geboren.
00:19:30
Ein Mädchen, das sie nicht wollte und von dem niemand erfahren sollte.
00:19:34
Vor allem nicht Hannes.
00:19:36
Weil sie glaubte, dass er mit Anfang 20 noch keine Kinder wollte, hat Jana ihm nie von der Schwangerschaft erzählt.
00:19:42
Doch statt verantwortungsbewusst zu handeln und ihrem Kind trotzdem die Chance auf ein Leben zu geben, hat sie ihm in der Nacht auf dem Bauernhof das Leben genommen.
00:19:50
Aus Panik, dass ihre Lüge auffliegt, für die es nicht mal eine rationale Erklärung gibt.
00:19:54
Nach ihrer Beichte fährt Hannes Jana ins Krankenhaus.
00:19:58
Vor Ort stellen die Ärztinnen fest, dass sie seit ihrer Geburt des Kindes an einem Dammriss leidet und operiert werden muss.
00:20:04
Mit dieser Frage beschäftigt sich schon bald die Polizei.
00:20:19
Janas Bekannte aus dem Urlaub hat nach dem gemeinsamen Telefonat die Behörden verständigt, die schon am nächsten Tag an Janas Krankenhausbett Platz nehmen.
00:20:26
Jana weiß, dass es jetzt zwecklos ist, nicht die ganze Wahrheit zu erzählen.
00:20:30
Also fängt sie an, von der Schwangerschaft zu berichten, die sie, solange sie konnte, ignorierte und selbst danach nicht wahrhaben wollte.
00:20:37
Den ersten Verdacht hat Jana schon im Oktober 2016, nachdem ihre Periode plötzlich ausbleibt.
00:20:43
Damals ist sie seit acht Monaten mit Hannes zusammen, den sie über alles liebt.
00:20:47
Sie haben schon darüber gesprochen, dass sie sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen können und Kinder bekommen wollen.
00:20:52
Aber noch nicht jetzt.
00:20:54
Hannes sagt damals, dass er erst eine Umschulung abschließen will und Jana soll erstmal in ihrem Job ankommen.
00:20:59
Wäre sie wirklich schwanger, wäre jetzt der absolut falsche Zeitpunkt dafür.
00:21:03
Auch, weil sie sich in Hannes kleinem Zimmer sowieso schon auf die Füße treten.
00:21:07
Also tut Jana das, was sie immer tut, wenn sie sich eigentlich um etwas kümmern sollte.
00:21:12
Sie ignoriert es und erzählt niemandem von ihrem Verdacht.
00:21:15
Denn falls sie tatsächlich schwanger sein sollte, will sie es lieber gar nicht wissen.
00:21:19
Einen Monat später kann sie aufatmen, als sie etwas Blut in ihrer Unterhose entdeckt.
00:21:24
Sie kann also gar nicht schwanger sein, denkt sie.
00:21:26
Alles in Ordnung.
00:21:28
Damit das auch so bleibt, nimmt sie ihre Pille ab jetzt einfach durch und denkt, dass ihre Periode ausbleibt, liegt genau daran und nicht an einer Schwangerschaft.
00:21:36
Schwieriger ist es, ihren Bauch, der in den Wintermonaten immer weiter wächst, vor sich selbst und vor den anderen zu erklären.
00:21:42
Sie hat nur zu viel gegessen, sagt sie den Menschen, die sie darauf ansprechen.
00:21:46
Doch die glauben ihr bald nicht mehr.
00:21:48
Ihre Eltern und ihr Arbeitgeber nehmen sie im neuen Jahr zur Seite, um ihr zu versichern, dass sie auf ihre Unterstützung zählen kann, sollte sie schwanger sein.
00:21:55
Aber Jana verneint.
00:21:56
Sie sei nicht schwanger und er findet eine Entzündung im Bauch, wegen der sie in gynäkologischer Behandlung ist, sagt sie ihrer Mutter.
00:22:02
Eine Lüge, denn Jana war nie beim Frauenarzt.
00:22:05
Janas Wunschdenken hält maximal bis Februar an.
00:22:08
Ab da kann sie fühlen, dass sich etwas in ihrem Bauch bewegt.
00:22:12
Es ist der Moment, in dem sich Jana nicht mehr selbst belügen kann.
00:22:15
Sie weiß, dass es vermutlich schon zu spät für einen Schwangerschaftsabbruch ist und dass sie Mutter werden wird.
00:22:20
Aber das will sie auf keinen Fall.
00:22:22
Hannes will noch kein Vater werden, da ist sie sich sicher.
00:22:25
Und sie will ihn nicht verlieren.
00:22:26
Gerade jetzt, wo sie doch schon bald in eine gemeinsame Wohnung einziehen und alles so gut läuft.
00:22:31
Wie soll sie ihm erklären, dass er schon ganz bald Vater werden könnte?
00:22:35
Dass sie den Verdacht schon seit Monaten hat, aber ihm nichts gesagt hat?
00:22:38
Was, wenn er sie verlässt?
00:22:40
Das wäre das Schlimmste für Jana. Das kann sie nicht riskieren.
00:22:43
Also hält sie ihre Lüge weiterhin aufrecht und schiebt die Verantwortung, soweit es geht, von sich weg.
00:22:48
Sie trinkt weiter Alkohol und raucht.
00:22:50
Beim Umzug trägt sie schwere Kisten, um allen zu beweisen, dass sie nichts zu verstecken hat.
00:22:55
Manchmal trägt sie hautenge Tops, in denen jeder ihren runden Bauch sehen kann.
00:22:59
Wenn sie dann jemand darauf anspricht, reagiert sie genervt.
00:23:02
Also sagt bald niemand mehr ein Wort.
00:23:04
Auch im Urlaub am Wörthersee wird der Elefant im Raum totgeschwiegen.
00:23:08
Selbst dann noch, als Jana am Morgen der Abfahrt weiß, dass sie eigentlich nicht nur Bauchkrämpfe hat, sondern Venen bekommt.
00:23:14
Vor ihr liegt eine acht Stunden lange Autofahrt.
00:23:16
Ihr Plan ist es irgendwie durchzuhalten, zu Hause heimlich zu entbinden und das Kind dann in eine Babyklappe zu bringen.
00:23:23
Mit diesem Vorsatz startet Jana die Autofahrt.
00:23:25
Doch die Schmerzen werden Kilometer um Kilometer schlimmer.
00:23:28
Eine Stunde vor dem Ziel hält sie es nicht mehr aus.
00:23:31
Sie bittet Hannes rechts ranzufahren und darum, dass die anderen warten, schleppt sich hinter die Strohbeine und lässt sich an der Wand der Scheune angelehnt nach unten sinken.
00:23:39
Unter Schmerzen drückt sie sich noch einmal nach oben, um die Küchentücher von ihm entgegenzunehmen.
00:23:44
Als sie wieder allein ist, schaltet sie das Licht ihrer Handytaschenlampe an und beginnt zu pressen, ohne dabei zu schreien.
00:23:50
Jeder Laut, den sie macht, könnte sie verraten.
00:23:53
Jana presst, still und leise im Licht der Taschenlampe, bis ihr Baby ins Grab fällt.
00:23:57
Es ist ein Mädchen, das von fast jeder anderen frischgebackenen Mutter in die Arme geschlossen worden wäre.
00:24:03
Jana tut das nicht.
00:24:04
Als Jana das Mädchen vor sich liegen sieht und es beginnt zu schreien, kriegt sie Panik, dass jetzt alles auffliegt.
00:24:10
Jana durchtrennt die Nabel-Schnur mit ihren Zähnen.
00:24:13
Dann drückt sie dem Baby die Hand auf den Mund, in der Hoffnung, dass es aufhört zu schreien.
00:24:17
Doch die Kleine hört nicht auf.
00:24:19
Also greift Jana zum Küchenpapier, reißt ein Stück ab und zerknült es zu einer Art Pfropfen aus Papier, den sie ihrer Tochter tief in den Rachen schiebt.
00:24:26
Er erstickt jeden Schrei im Keim.
00:24:28
Dann ist Stille.
00:24:29
Jana steht auf und geht die wenigen Schritte zu den anderen zurück.
00:24:33
Ihr Kind lässt sie nackt im Gras liegen.
00:24:35
Als sie weggeht, bewegt es sich noch.
00:24:37
Eine harte Geschichte, die die Polizeibeamtinnen jetzt wenige Tage nach der Geburt hören müssen.
00:24:44
Wie kann es sein, dass trotz ihres Bauches niemand Verdacht geschöpft hat?
00:24:48
Dass niemand hinter den Strohballen nach ihr gesehen hat?
00:24:51
Wieso hat sie keiner schon früher zur Seite genommen und auf ihre Ausreden festgenagelt?
00:24:56
Den BeamtInnen fällt es schwer zu glauben, dass wirklich keine Menschenseele von der Schwangerschaft gewusst haben will.
00:25:02
Doch genau so soll es angeblich gewesen sein.
00:25:05
Hannes und die beiden Mitreisenden scheinen genauso geschockt wie Janas Familie.
00:25:09
Sie alle machen sich Vorwürfe, nicht früher eingegriffen zu haben.
00:25:13
Jana kommt währenddessen für einige Tage in eine nahegelegene forensische Klinik, bis ein Haftbefehl gegen sie erlassen wird.
00:25:19
Es vergehen sechs Monate, bis Jana im November mit Aktenordner vor dem Gesicht, im grauen Kapuzenpullover und mit feinsäuberlich hochgestecktem Haar in einen Gerichtssaal des Landgerichts Ravensburg geführt wird und sich für das verantworten muss, was sie im Mai 2017 getan hat.
00:25:35
Die 22-Jährige nimmt allein auf der Anklagebank Platz.
00:25:38
Gegen Hannes wird in einem anderen Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt.
00:25:42
Jana hingegen ist heute wegen Mordes an ihrer eigenen Tochter angeklagt.
00:25:46
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr niedrige Beweggründe vor, weil sie das kleine Mädchen aus krasser Selbstsucht getötet haben soll.
00:25:53
Der Oberstaatsanwalt spricht von einer Entsorgungsmentalität, die Jana an den Tag gelegt hat.
00:25:58
Als sie selbst aussagen soll, füllen sich ihre Augen mit Tränen.
00:26:01
Sie hat auf viele Fragen keine oder nur vage Antworten.
00:26:04
Deshalb sind es immer dieselben Sätze, die sie wiederholt.
00:26:08
Ich weiß nicht und darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht.
00:26:11
Bald schon wird der ganze Saal von Janas Schluchzen erfüllt.
00:26:14
Sie weiß nicht, warum sie den Gedanken an eine Schwangerschaft so lange verdrängt hat.
00:26:18
Sie weiß nicht, warum sie Angst hatte, Hannes von dem gemeinsamen Kind zu erzählen.
00:26:22
Sie weiß auch nicht, warum sie keine Hilfe von ihrer Mutter angenommen hat.
00:26:26
Warum sie 800 Kilometer in den Urlaub gefahren sei, wo sie doch gewusst hat, dass die Geburt kurz bevorstehen könnte, will der vorsitzende Richter wissen.
00:26:33
Wieder hat Jana keine Antwort.
00:26:36
Sie sagt, sie wäre von der plötzlich einsetzenden Geburt überrascht gewesen.
00:26:39
Dann wird ihre Stimme wieder brüchig.
00:26:41
Ich hoffte, dass wir es noch bis nach Hause schaffen.
00:26:44
Aber das mit der Babyklappe funktioniert ja nicht, wenn sie hochschwanger im Auto sitzen irgendwo, sagt der vorsitzende Richter.
00:26:50
Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht, antwortet Jana wieder.
00:26:54
Wie hätte das denn weitergehen sollen, ihrer Meinung nach?
00:26:57
Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht.
00:27:00
Dann versucht der Vorsitzende, Janas Motivation zu ergründen.
00:27:03
Wenn das handlungsleitend war, dass niemand etwas mitbekommen sollte, dann heißt das, das Kind muss verschwinden.
00:27:09
Ich wollte ja nicht, dass es stirbt, sagt Jana darauf.
00:27:13
Ich wollte, dass es ruhig ist, sonst nichts, erklärt sie vor Gericht.
00:27:16
Jana wollte in dem Moment Ruhe und hatte Panik davor, ihren Partner zu verlieren.
00:27:22
Das Gericht sieht die Anklage der Staatsanwaltschaft nach nur wenigen Prozesstagen bestätigt.
00:27:27
Jana sei es um die geplante Beseitigung eines Störfaktors in ihrem Leben gegangen.
00:27:30
Dies offenbare eine besonders krasse Selbstsucht, heißt es im Urteil.
00:27:35
Die RichterInnen sind überzeugt, Jana hat vorsätzlich und aus niedrigen Beweggründen gehandelt und schon beim Bemerkung ihrer Schwangerschaft daran gedacht, ihr Kind zu beseitigen, um ihr Leben mit Hannes nicht zu gefährden.
00:27:46
Ihre Tat hat sie laut Gericht zielgerichtet, kontrolliert und stringent durchgezogen.
00:27:50
Ein psychiatrischer Gutachter sieht darüber hinaus keine Anzeichen für eine Persönlichkeitsstörung.
00:27:56
Jana ist gut integriert und hat Menschen gehabt, die sie unterstützt hätten.
00:27:59
Sie ist vielleicht naiv und unreif, das habe aber mit der Tat selbst nichts zu tun.
00:28:04
Sie hat ihre Tochter ermordet, so urteilt das Gericht.
00:28:07
Das Opfer war ein Mensch, sagt der vorsitzende Richter.
00:28:10
Und das Strafrecht unterscheidet nicht, ob ein Mensch acht Minuten, acht Wochen oder acht Jahre alt ist.
00:28:15
Und es unterscheidet auch nicht, ob der Mensch erwünscht ist oder nicht, ob er beliebt ist oder nicht, ob er willkommen ist oder nicht.
00:28:21
Jana sitzt wie versteinert auf ihrem Platz, als die lebenslange Haftstrafe verhängt wird.
00:28:26
Das Urteil trifft sie hart.
00:28:27
Und sie wird es nicht annehmen.
00:28:29
Janas Anwältin legt Revision beim Bundesgerichtshof ein.
00:28:32
Sie will erreichen, dass ihre Mandantin wegen Totschlags, nicht wegen Mordes verurteilt wird.
00:28:37
Bei Kindstötung haben die niedrigen Beweggründe nämlich nur äußerst selten Bestand.
00:28:41
Nämlich eben dann, wie schon das Landgericht sagte, wenn TäterInnen aus krasser Eigensucht handeln.
00:28:47
Der Fall lege hier nicht vor, sagt Janas Verteidigung.
00:28:50
Und tatsächlich, Karlsruhe gibt dem Antrag recht.
00:28:53
In seiner Entscheidung kritisiert der BGH das Ravensburger Urteil scharf.
00:28:57
Die Beweiswürdigung sei lückenhaft.
00:28:59
Vor allem deshalb, weil sich den Karlsruher RichterInnen nicht erschließt,
00:29:02
warum Jana mit Durchsetzungskraft, Kontrolle und Stringenz gehandelt haben soll.
00:29:07
Wenn das Verbrechen so zielstrebig und geplant abgelaufen wäre, wie es das Urteil vermuten lässt,
00:29:12
hätte sie doch beispielsweise von Anfang an die Küchenrolle mit hinter die Strohballen genommen.
00:29:16
Der BGH hält es für wahrscheinlicher, dass Jana in der Nacht auf dem Bauernhof von Angst,
00:29:21
Verzweiflung und Ratlosigkeit geleitet wurde.
00:29:23
Eine Möglichkeit, die das Ravensburger Urteil ausgeschlossen hat,
00:29:27
nur weil Jana sich selbst als Problemlöserin bezeichnet.
00:29:30
Eine völlige Fehlselbsteinschätzung, wie allein schon ihre Probleme mit dem Finanzamt verdeutlichen.
00:29:35
Auch warum Jana letztlich aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben soll, bleibt dem BGH schleierhaft.
00:29:41
Mehr noch, in Karlsruhe fragt man sich, ob die KollegInnen in Ravensburg
00:29:45
den sachlichen Gehalt des Mordmerkmals aus den Augen verloren haben.
00:29:49
Das Urteil wird vorerst aufgehoben. Es muss neu verhandelt werden.
00:29:53
Als Jana in diesem zweiten Prozess auf der Anklagebank Platz nimmt, liegt die Tat bereits zwei Jahre zurück.
00:29:59
Zwei Jahre, die sie gezeichnet haben. In der Haft war sie Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt.
00:30:04
Hannes hat sich inzwischen von ihr getrennt.
00:30:06
Jetzt sitzt sie hier und hofft auf eine kürzere Haftstrafe.
00:30:10
Ihr langes rotes Haar trägt sie offen, dazu ein helles T-Shirt und einen schwarzen Cardigan.
00:30:15
Verhandelt wird vor einer anderen Kammer des Landgerichts Ravensburg.
00:30:19
BesucherInnen sind fast keine da, als Jana erneut vor Gericht aussagt.
00:30:22
Sie bleibt bei ihrer Version von damals.
00:30:24
Sie wisse heute nicht mehr, warum sie so große Angst gehabt habe.
00:30:27
Aber sie wollte ihr Kind nie töten.
00:30:29
Es tut mir unheimlich leid, was passiert ist, betont sie.
00:30:32
Diesmal steht aber nicht nur das, was in dieser Nacht auf dem Bauernhof passiert ist im Mittelpunkt der Verhandlung,
00:30:37
sondern auch ein Ereignis, das bereits viel länger zurückliegt und im ersten Prozess nur wenig Betrachtung gefunden hat.
00:30:44
Jana erzählt, sie sei mit 17 Jahren schon einmal schwanger von ihrem ersten Freund gewesen.
00:30:49
Er sei damals sechs Jahre älter gewesen.
00:30:51
Damals habe sie allen ihren Mut zusammengenommen und habe ihm davon erzählt.
00:30:55
Dieser sei daraufhin ausgerastet, habe so lange auf Jana eingeprügelt, bis sie das Kind verloren habe.
00:31:01
Jana habe sich kurz darauf von ihm getrennt, sagt sie.
00:31:04
Heute würde sie das Ereignis zwar nicht mehr im Alltag nachhaltig belasten,
00:31:08
aber sie sei schon noch manchmal traurig, wenn sie daran denke.
00:31:11
Auf Nachfrage des Gerichts sagt sie, dass sie den Namen des Freundes vergessen habe.
00:31:15
Okay, also wir wissen quasi nicht sicher, ob das so passiert ist oder nicht.
00:31:19
Es steht nicht im Urteil.
00:31:20
Das ist so ein bisschen das Problem.
00:31:21
Also als ich das gehört habe, dass sie angibt, den Namen vergessen zu haben, habe ich erst gedacht,
00:31:28
naja, ob das so stimmt.
00:31:30
Dann habe ich gedacht, naja, ob sie ihn schützen will.
00:31:32
Dann habe ich gedacht, wenn das Gericht sich so darauf bezieht, auf diesen Vorfall,
00:31:40
hat es vielleicht doch noch später Nachforschungen angestellt und wir wissen davon nichts.
00:31:45
Das können wir jetzt nicht sagen.
00:31:47
Ich halte es aber natürlich für relativ unwahrscheinlich, dass sie den Namen einfach vergessen hat.
00:31:53
Aus welchen Gründen auch immer sie ihn vielleicht nicht sagen will.
00:31:57
Der Gutachter stellt fest, dass Jana sich stark über ihre Beziehung definiert.
00:32:01
Auf jede Trennung folgt innerhalb von kürzester Zeit der nächste Freund.
00:32:04
Selbst jetzt in Haft hat sie erneut eine Beziehung zu einem Mann aufgebaut, mit dem sie Briefe austauscht.
00:32:10
Der Experte spricht von einer irrationalen Angst vor dem Verlassenwerden
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und einem Verschweigen und Vermeiden bis zur letzten Sekunde.
00:32:16
Hinzu kommt noch ihr Hang zur Verdrängung.
00:32:18
Eine Angst, die sie letztlich offenbar dazu gebracht hat, ihr Kind zu töten.
00:32:22
Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass Jana mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat,
00:32:27
als sie das Küchenpapier tief in den Mund ihres Babys gesteckt hat.
00:32:30
Dass sie die Tötung lange vorher geplant und zielgerichtet durchgeführt hat,
00:32:33
wie im ersten Prozess geurteilt wurde, davon ist jetzt aber keine Rede mehr.
00:32:38
Zugunsten der Angeklagten geht der Vorsitzende Richter diesmal von einer emotionalen und körperlichen Ausnahmesituation aus.
00:32:44
Jana hat sich mit dem einmal gefassten Entschluss, die Schwangerschaft geheim zu halten,
00:32:47
in eine Sackgasse manövriert, aus der sie keinen Ausweg mehr gesehen hat.
00:32:52
Diese vermeintliche Ausweglösigkeit kann aber nicht als moralisch besonders verwerflich oder als krasse Eigensucht gewertet werden.
00:32:58
Auch weil das Gericht nicht ausschließen kann, dass ihr Handeln etwas mit der Prügel zu tun gehabt hat,
00:33:03
die sie offenbar einstecken musste, als sie schon einmal einem Mann von ihrer Schwangerschaft erzählt hat.
00:33:08
Jana hat sich allein in diese Situation gebracht, sagt der Richter am letzten Tag des Prozesses.
00:33:13
Ihr Verhalten sei dabei von himmelschreiender Verantwortungslosigkeit geprägt gewesen,
00:33:17
aber eben gerade nicht planvoll und krass eigensüchtig.
00:33:21
Stattdessen werden ihr diesmal auch ihr junges Alter und eine offenbar nicht abgeschlossene Persönlichkeitsbildung zugute gehalten.
00:33:27
Die niedrigen Beweggründe haben daher heute keinen Bestand mehr.
00:33:31
Janas Verteidigerin fordert eine Haftstrafe von vier Jahren.
00:33:34
Die Staatsanwaltschaft plädiert auf elf Jahre.
00:33:36
Das Gericht wählt den Mittelweg.
00:33:38
Im zweiten Verfahren wird Jana am 15. Mai 2019, knapp zwei Jahre nach der Tat,
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wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
00:33:46
Zwei Jahre hat sie da schon verbüßt.
00:33:48
Hannes kommt währenddessen mit einer Geldstrafe davon.
00:33:51
Erst ermittelt die Staatsanwaltschaft in Ravensburg wegen versuchten Totschlags durch Unterlassen gegen ihn.
00:33:56
Später wird das Verfahren ans Amtsgericht verwiesen, doch zu einer Anklage kommt es nie.
00:34:01
Beide Instanzen sind nicht davon überzeugt, dass Hannes wirklich Bescheid wusste.
00:34:04
Weder von der Schwangerschaft noch von der Geburt seines Kindes in der Dunkelheit.
00:34:08
Schließlich wird er dazu aufgefordert, eine Summe im mittleren vierstelligen Bereich an eine wohltätige Organisation zu zahlen.
00:34:14
Dann wird das Verfahren gegen ihn endgültig eingestellt.
00:34:17
Das Mädchen, das im Licht einer Handytaschenlampe zwischen einer Scheune und Strohwallen zur Welt kam,
00:34:23
wird Postum Julia genannt.
00:34:26
Julia war 2665 Gramm schwer, 50,5 Zentimeter groß und lebensfähig.
00:34:31
Bis zu dem Moment, in dem ihre Mutter ihr Papier in den Rachen gesteckt und sie zum Sterben zurückgelassen hat.
00:34:36
Heute könnte Julia sechs Jahre alt sein und zur Schule gehen.
00:34:40
Sie könnte bei einer anderen Familie aufwachsen, in der sie gewollt und geliebt wird.
00:34:45
In der sich die Eltern der Verantwortung bewusst sind, die ein Kind mit sich bringt und die man inne hat.
00:34:49
Egal, ob man sie wahrhaben möchte oder nicht.
00:34:51
Jana hat ihr diese Möglichkeit genommen, weil sie sich nicht mit ihrer Verantwortung auseinandersetzen wollte.
00:34:57
Nur, dass es diesmal eben nicht um Geld ging oder ein Studium oder ihr eigenes Leben,
00:35:02
sondern um einen unschuldigen Menschen, dem sie erst das Leben geschenkt und dann die Luft zum Atmen genommen hat.
00:35:10
Boah, also dieser Fall, ich habe tausend und einen Gedanken zu diesem Fall.
00:35:15
Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll.
00:35:17
Als du jetzt von dem ersten Verfahren gesprochen hast, von der Verurteilung wegen Mordes und der niedrigen Beweggründe und so weiter,
00:35:26
da habe ich das schon so alles gefühlt.
00:35:28
Da habe ich das schon so gefühlt, ja, das ist eine krasse Eigensucht.
00:35:31
Wie kann man so sich verhalten, okay, beim Studium sich vergessen, da anzumelden bei der Prüfung oder so,
00:35:39
aber das nicht, also gar nicht an die Konsequenzen zu denken, wenn es ein anderes Lebewesen betrifft.
00:35:46
Das wollte ich dann auch nicht akzeptieren, genauso wie dieses erste Gericht da in Ravensburg.
00:35:51
Genau, und weil du gerade von Lebewesen sprichst, ich finde das ganz wichtig, was der Richter gesagt hat,
00:35:57
dass es sich um ein Menschenleben gehandelt hat.
00:36:00
Wir hatten ja schon mal diese Folge über Schwangerschaftsabbrüche gemacht
00:36:03
und das sind ja Beendigungen der Schwangerschaft vor der Geburt des Kindes.
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In einigen Fällen dann beispielsweise auch bei medizinischer Indikation bis kurz vor der Geburt.
00:36:12
Aber heute reden wir halt hier von einer Tat, die kurze Zeit danach passiert, also nach der Geburt.
00:36:18
Und damit ist das rechtlich hier eine ganz andere Sache,
00:36:21
weil es sich damit im Gegensatz zu einem illegalen Schwangerschaftsabbruch hier jetzt um ein Menschenleben handelt.
00:36:27
Und deswegen sagte er auch, es ist egal, wie alt dieser Mensch ist, acht Minuten, acht Jahre, 80 Jahre.
00:36:34
Jana hat in dem Moment einem Menschen das Leben genommen.
00:36:38
Genau, wenn du jetzt sozusagen das so mit reinbringst mit diesem Schwangerschaftsabbruch und so weiter,
00:36:42
als du da erzählt hast von der Tat, ja, also wie das genau abgelaufen ist.
00:36:48
Und das habe ich so vor meinem inneren Auge gesehen, dass es halt so brutal irgendwie war.
00:36:54
Und ich schon deswegen alleine quasi hier im imaginären Gerichtssaal saß und dachte so,
00:37:00
ja, Mord ist hier die richtige Straftat, die verurteilt wird.
00:37:03
Aber ich finde dann auf der anderen Seite das auch richtig, was in Karlsruhe dann gesagt wurde.
00:37:10
Und es hat dann auch für mich alles Sinn ergeben, was du gesagt hast.
00:37:13
Also die Argumentation, warum es eben dann doch keine krasse Eigensucht gewesen ist
00:37:19
und dass sie wahrscheinlich in dem Moment in dieser krass verzweifelten Lage war und so weiter.
00:37:23
Und was ich mir auch beim Hören dieser, ja, wirklich furchtbaren Tat gedacht habe, war,
00:37:29
war, Mann, eigentlich hätte das ja wirklich auch nicht sein müssen.
00:37:34
Also für dich Jana, weil die hätte sich ja da vorher schon Hilfe holen können für sich und ihr Baby.
00:37:41
Ja, aber das war ja offenbar ihr Umgang mit vielen Problemen, die sie hatte.
00:37:46
Also einfach beiseite schieben und hier ging das halt irgendwann nicht mehr.
00:37:49
Und deswegen glaube ich aber auch, dass sie das halt am Ende auch nicht wirklich geplant hat.
00:37:55
Weil sich das aus den Informationen, die ich hatte, nicht so rausliest.
00:37:58
Erstmal als wäre sie in der Lage dazu, Dinge, die sie belasten, planend weg zu organisieren.
00:38:06
War ja offenbar nicht so.
00:38:08
Und dann kann ich auch dieser Argumentation des zweiten Gerichts total gut folgen,
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dass die sagen, dass die nicht rational gehandelt hat.
00:38:15
Weil rational würde man doch nicht davon ausgehen, dass man das, wenn man merkt,
00:38:22
morgens setzen schon die Venen ein, man das noch 800 Kilometer schafft bis nach Hause.
00:38:28
Sondern im Zweifel würde man ja davon ausgehen, dass das Kind auf der Autofahrt,
00:38:32
auf der Autobahn oder so zur Welt kommt und ihr Freund dann ja auch davon erfahren würde.
00:38:38
Das Planerische war ja noch nie offenbar ihr Ding.
00:38:42
Von daher ist es schwer zu glauben, dass sie das da in dem Moment eben gemacht hat.
00:38:46
Und dann ist am Ende das Urteil wegen Totschlags in meiner Sicht auch irgendwie das Richtige.
00:38:51
Aber was ich mir auch sehr schlecht vorstellen kann, ist,
00:38:55
dass das niemand in ihrem Umfeld oder nahem Umfeld richtig mitbekommen haben will.
00:39:01
Also vor allen Dingen der Hannes, der mit ihr jede Nacht in einem Bett geschlafen hat.
00:39:06
Und auch am Ende diese Autofahrt miterlebt hat.
00:39:10
Also wie blind muss man quasi sein oder wie blind möchte man sein, dass man sowas dann nicht mitbekommt.
00:39:16
Ja, also die Frage stellt man sich natürlich.
00:39:19
Und natürlich wird bei vielen, die diese Geschichte jetzt gehört haben, der Reflex ausgelöst werden, glaube ich nicht.
00:39:28
Aber ich glaube, die Gerichte hätten schon wirklich ein Interesse daran gehabt, den zu verurteilen, wenn sie das hätten nachweisen können.
00:39:36
Das heißt es natürlich nicht, nur weil man, wenn man das nicht nachweisen konnte, dass er das nicht trotzdem irgendwo wusste.
00:39:42
Aber ich glaube, Diana hat da schon wirklich volle Arbeit und vollen Einsatz geleistet, dass sie allen anderen erstens einen Bären aufbindet und zweitens die auch noch so weit manipuliert, dass die sich schlecht fühlen, sie dann auf ihre Figur anzusprechen.
00:39:59
Übrigens, Diana wusste spätestens ab Februar 2017, dass sie schwanger ist.
00:40:05
Das hat sie so gesagt, weil sie nämlich da gespürt hat, wie sich der Fötus im Bauch bewegt hat.
00:40:11
Da hat Diana das mitbekommen.
00:40:13
Das können sich viele schon nicht vorstellen, dass man erst dann merkt, schwanger zu sein.
00:40:19
Aber es geht auch noch eine Ecke wilder.
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Manche Frauen bemerken ihre Schwangerschaft nämlich erst in dem Moment, wenn die Geburt losgeht.
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Das kann ich einfach nicht glauben.
00:40:29
Also ich habe in meinem Umfeld auch Leute, die schwanger sind und ich sehe die und die haben mir schon von Anfang an erzählt, was sie, obwohl man noch gar nichts gesehen hat, was sie so für Veränderungen an ihrem Körper bemerkt haben.
00:40:43
Aber wenn man jetzt denkt, kurz vor der Geburt, da ist der Bauch ja im Gegensatz zu vorher sehr, sehr, sehr viel größer, sodass ich mich frage, wie man das bis kurz vorher oder bis die Wehen anfangen dann eigentlich so wegignorieren kann.
00:40:57
Also ich habe jetzt auch in Vorbereitung viel mit meinen Freundinnen gesprochen, die schon mal schwanger waren oder gerade schwanger sind.
00:41:04
Und da waren sich auch alle einig, dass sie sich das nicht vorstellen können.
00:41:10
Und die meisten meinten halt spätestens da, wo sich der Embryo im Bauch bewegt.
00:41:14
Also da schien das für die ein Ding der Unmöglichkeit, die Schwangerschaft nicht zu bemerken.
00:41:20
Also ich habe es auch safe immer für eine Urban Legend gehalten.
00:41:24
Ich habe das nicht geglaubt und dann habe ich vor ein paar Jahren aber mal dazu recherchiert, weil ich einen Beitrag darüber machen wollte und bin dann auch am Ende auf eine Frau gestoßen, mit der ich telefoniert habe, die gesagt hat, ja, bei mir war das so.
00:41:35
Und die sagte, die sind ins Krankenhaus, weil es ihr so schlecht ging und sie dachte, was ist da jetzt los, was passiert mit mir?
00:41:41
Und dann sind die noch die Treppen hochgelaufen vom Krankenhaus und schwupps landete das Baby in der Jogginghose.
00:41:47
Nein, nein, nein.
00:41:48
Also sie wollte den Beitrag am Ende auch nicht machen.
00:41:53
Ich glaube, weil sie wusste, dass die Leute das einfach nicht glauben.
00:41:56
Aber es gibt dieses Phänomen und es hat auch einen Namen und zwar nennt sich das negierte oder eben auch verdrängte Schwangerschaft.
00:42:05
Und darum geht es jetzt in meinem Aha.
00:42:06
Also wir wissen ja, man weiß nicht, wenn man jetzt einen Tag schwanger ist, dass man dann schwanger ist.
00:42:12
Also die meisten merken das innerhalb der ersten neun Wochen.
00:42:16
Unter einer negierten Schwangerschaft versteht man laut dem Gynäkologen Jens Wessel eine Schwangerschaft, die erst nach der 20. Woche erkannt wird.
00:42:23
Da ist die Frau dann bereits mindestens im fünften Monat.
00:42:26
Wessel hat bisher die größte Untersuchung zum Thema Schwangerschaftsintegrierung in Deutschland durchgeführt.
00:42:32
Die liegt zwar inzwischen schon 30 Jahre zurück, liefert aber offenbar immer noch verlässliche Zahlen.
00:42:38
Der hat in den 90ern die Daten von mehreren Frauenkliniken und Hebammenpraxen in Berlin untersucht und damit 30.000 Schwangerschaften ausgewertet.
00:42:47
Und darunter waren 62 Frauen, die erst nach der 20. Woche gemerkt haben, dass sie schwanger sind.
00:42:53
12 von ihnen sogar erst, nachdem die Wehen eingesetzt haben, also kurz vor der Geburt.
00:42:57
Und eine davon hat sogar Zwillinge bekommen.
00:43:00
Wenn man die Zahl hochrechnet, dann würde das bedeuten, dass in Deutschland pro Jahr 1600 negierte Schwangerschaften vorkommen.
00:43:09
Laut Jens Wessel gibt es keinen Typfrau, der jetzt besonders anfällig dafür ist.
00:43:13
Also jede schwangere Person kann theoretisch betroffen davon sein.
00:43:17
Und für diese Anzeichen, von denen du und ich und wahrscheinlich auch viele andere denken, dass sie ja eigentlich eindeutig auf eine Schwangerschaft hinweisen müssten, für die finden dann Betroffene eine andere Erklärung.
00:43:29
Also die Periode kommt nicht, weil man Stress hat.
00:43:31
Der Bauch wird dicker, weil man zu viel gegessen hat, zu wenig Sport.
00:43:35
Und der Fötus, der sich im Bauch bewegt, das können dann Darmprobleme sein.
00:43:40
Und selbst bei den eintretenden Wehen gehen manche immer auch wegen Blinddarmbeschwerden zu einem Arzt oder zu einer Ärztin.
00:43:46
Professorin Anke Rode, die ist Psychotherapeutin und die hat auch viel zum Thema Schwangerschaftsnegierung geforscht und in einer Studie herausgefunden, dass viele Betroffene aber doch eine Gemeinsamkeit haben.
00:43:57
Und zwar fällt es ihnen generell schwer, mit anderen Menschen zu reden und Probleme zu bewältigen.
00:44:02
Und viele von denen schieben ihre Probleme einfach von sich weg.
00:44:05
Und das war bei Jana ja ganz genauso.
00:44:08
Und das kann in der Schwangerschaft natürlich gefährlich werden, also vor allem für das Kind.
00:44:11
Mal abgesehen davon, dass es eventuell halt nicht mit allem versorgt ist, was es braucht.
00:44:16
Und die Schwangeren dann teilweise eben halt weiter rauchen und trinken, schaffen das die Betroffenen dann laut Rode später auch seltener nur eine enge Bindung zu dem Kind aufzubauen.
00:44:26
Außerdem sind ihre Kinder kognitiv und psychomotorisch, also zum Beispiel in ihrer Mimik oder beim Sprechen, dann oft auch schwächer entwickelt.
00:44:34
Und im schlimmsten Fall wird die Mutter von der Geburt überrascht und bringt das Baby allein zur Welt.
00:44:38
Das ist natürlich auch ein ganz schreckliches Ereignis, wie du auch schon bei Jana angeführt hast, für die werdende Mutter.
00:44:44
Und das kann auch gefährlich werden.
00:44:46
Kann aber auch gut ausgehen.
00:44:48
2017 hat eine Frau ihr Kind in einem Zelt auf dem Techno-Festival Nature One zur Welt gebracht.
00:44:54
Die ist dann direkt mit ihrer neugeborenen Tochter zur Sanitätsstation und von dort aus ins Krankenhaus.
00:45:00
Und offenbar hat auch sie bis zuletzt nichts von der Schwangerschaft gewusst.
00:45:04
Mutter und Kind ging es aber gut und die Tochter darf, sobald sie 16 ist, ein Leben lang umsonst zur Nature One.
00:45:11
Das hat der Veranstalter nach der Geburt bekannt gegeben.
00:45:13
Wow, voll das schöne Geburtsgeschenk.
00:45:16
Aber egal, ob die Schwangerschaft jetzt verdrängt wurde oder nicht verdrängt wurde,
00:45:21
in Fällen, in denen ein Kind direkt nach der Geburt oder spätestens 24 Stunden danach getötet wird,
00:45:27
spricht man zumindest nach der gängigsten Definition von einem Neonatizid.
00:45:32
Und weil das Thema unserer heutigen Folge die Tötung von Säuglingen und Neugeborenen ist,
00:45:37
geht es jetzt einmal explizit um die Neonatizide, wie das eben in deinem Fall ja auch so war.
00:45:42
Bei denen übrigens mehrere Untersuchungen zeigen,
00:45:45
dass verdrängte oder verheimlichte Schwangerschaften eine große Rolle spielen.
00:45:49
Also dass es sich in der Regel nie um Wunschkinder handelt
00:45:52
und bei denen die Tat auch häufig ähnlich abläuft.
00:45:56
Das Landeskriminalamt NRW schreibt in einem Forschungsbericht dazu,
00:46:00
dass es sich bei den TäterInnen eben meist um die Mutter selbst handelt.
00:46:03
Dabei kann man übrigens nicht sagen, dass ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte Bildung irgendwie eine Rolle spielen.
00:46:08
Und dass das Baby meist nicht im Krankenhaus, sondern zu Hause zur Welt kommt.
00:46:12
Was natürlich auch damit zusammenhängt, dass die Schwangerschaft eben verheimlicht oder verdrängt wird.
00:46:18
Und der Ort der Geburt ist dann gleichzeitig auch oft der Tatort.
00:46:22
Was die Art und Weise der Tötung angeht, ist es so,
00:46:25
dass die Neugeborenen am häufigsten erstickt werden,
00:46:28
manchmal aber auch ertränkt oder einfach liegen gelassen.
00:46:31
Wonach sie dann logischerweise mit hoher Wahrscheinlichkeit an einer Unterversorgung oder an einer Unterkühlung sterben.
00:46:37
Das LKA geht übrigens sogar so weit zu sagen,
00:46:41
dass die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Tötungsdelikts zu werden,
00:46:44
am ersten Lebenstag im Vergleich zu allen anderen Lebenstagen am höchsten ist.
00:46:49
Das Deutsche Jugendinstitut, das geht pro Jahr von 20 bis 35 Neonatiziden aus.
00:46:55
Da gibt es jetzt aber blöderweise keine genaueren Zahlen,
00:46:58
weil das Alter von Opfern eines Tötungsdelikts in der PKS,
00:47:03
also in der polizeilichen Kriminalstatistik, nur in Jahren erfasst wird.
00:47:07
Also man kann anhand der PKS jetzt nicht nachvollziehen,
00:47:09
ob ein Kind am ersten Tag seines Lebens gestorben ist oder am 210. oder so.
00:47:14
Und natürlich sagt jetzt auch beispielsweise das LKA in Nordrhein-Westfalen,
00:47:19
dass es auf jeden Fall eine hohe Dunkelziffer gibt.
00:47:22
Weil was man ja beachten muss, eine Babyleiche ist klein und verwest schnell
00:47:26
und es ist nicht so schwer, sie zu verstecken oder verschwinden zu lassen.
00:47:30
Man kann sie leichter transportieren zum Beispiel auch als eine erwachsene Person.
00:47:34
Und wenn die Schwangerschaft davor verheimlicht wurde,
00:47:38
wie das ja eben oft bei diesen Tötungsdelikten der Fall ist,
00:47:41
dann kommt ja auch noch dazu, dass das Baby von niemandem vermisst wird.
00:47:44
Ja, manchmal kommen solche Fälle dann eben doch irgendwie durch Zufall raus.
00:47:50
So war das zum Beispiel 2007,
00:47:52
als ein Jugendlicher die Leichen seiner zwei kleinen Geschwister
00:47:55
in der Gefriertruhe neben den Tiefkühlpizzen gefunden hat,
00:47:59
wo seine Mutter sie in Tüten versteckt hatte.
00:48:02
Und ja, solche Fälle gibt es immer wieder.
00:48:06
Der bekannteste ist wahrscheinlich der von Sabine H.,
00:48:10
die zwischen 1988 und 1999 neun Kinder geboren hat.
00:48:15
Also sie hat in elf Jahren neun Kinder bekommen
00:48:18
und hat alle danach direkt sterben lassen.
00:48:22
Und zu dem Zeitpunkt hatte sie schon drei Kinder mit ihrem Mann.
00:48:26
Der wollte aber keine weiteren.
00:48:28
Und Sabine H. hat aber nicht die Pille genommen,
00:48:30
weil sie nach eigener Aussage die nicht vertragen hat.
00:48:33
Und ihr Mann wollte wohl auch kein Kondom benutzen.
00:48:36
Also ist Sabine H. noch neunmal schwanger geworden.
00:48:39
Ihr Mann will davon nie was bemerkt haben.
00:48:43
Und zu Freundinnen, die sie dann auch auf ihren Bauch angesprochen haben,
00:48:46
hat sie dann gesagt, ja, sie hätte zu viel gegessen.
00:48:48
Also wie bei Jana.
00:48:50
Die Überreste der toten Babys haben Verwandte 2005 dann zufällig entdeckt,
00:48:55
weil Sabine Blumenkübel wegen einer Zwangsräumung vorübergehend bei ihnen untergestellt hat.
00:49:00
Beim Unkraut zupfen haben die Verwandten dann winzige menschliche Skelette in diesen Kübeln entdeckt.
00:49:06
Das ist einfach so grauenhaft.
00:49:07
Ja, vor Gericht meinte Sabine H., dass sie sich über alle Kinder gefreut habe und sie gerne alle behalten hätte.
00:49:13
Deshalb habe sie die Leichen auch nah bei sich, in Anführungszeichen, beerdigt.
00:49:18
Wie die Babys genau gestorben sind, konnte sie aber vor Gericht nicht mehr wirklich erklären,
00:49:23
weil sie zur Tatzeit stark alkoholabhängig war.
00:49:26
Also an manche Geburten konnte sie sich wohl gar nicht mehr erinnern.
00:49:30
Trotzdem wurde sie von zwei Gutachtern als voll schuldfähig eingestuft.
00:49:34
Sabine H. wurde dann wegen achtfachen Totschlags durch Unterlassen zu einer 15 Jahre langen Haftstrafe verurteilt.
00:49:40
Ein Fall war schon verjährt.
00:49:42
2015, nach zehn Jahren, wurde Sabine H. dann auf Bewährung entlassen.
00:49:46
Und was ich bei dem Fall auch so krass finde, ist, dass der Mann wirklich so tut, als hätte er nichts mitbekommen
00:49:53
und dass er auch nicht zur Verantwortung gezogen wurde.
00:49:56
Weil ganz ehrlich, ich habe mich ja schon bei Hannes jetzt aufgeregt, aber diese Frau war neunmal schwanger
00:50:02
und der Mann wurde nicht belangt.
00:50:06
Sabine H. hatte zwar jetzt im ersten Prozess nichts bezüglich ihres Mannes gesagt.
00:50:11
Im zweiten meinte sie aber dann, dass ihr Mann auch mal im Streit zu ihr gesagt hat,
00:50:15
glaub bloß nicht, dass ich nicht mitbekommen habe, dass du schwanger warst.
00:50:19
Und da hat sie auch explizit gesagt, er hätte es merken müssen.
00:50:23
Und dass sie quasi nur davor nichts gesagt hat, weil sie Angst um ihre beiden älteren Kinder hatte,
00:50:27
weil, ja, wäre er dann auch irgendwie vielleicht in Haft gekommen, wären ja beide Elternteile weg gewesen.
00:50:33
Aber beim zweiten Prozess hatte man die Ermittlungen gegen ihn aber dann schon eingestellt
00:50:38
und dann auch nicht nochmal aufgenommen.
00:50:39
Also ich finde, das klingt halt irgendwie sehr komplex,
00:50:43
weil da offenbar viel emotionaler und seelischer Druck eine Rolle gespielt hat,
00:50:48
jetzt in Bezug auf die Frau.
00:50:49
Also das klingt irgendwie, als ob dieses Paar ganz furchtbar miteinander war,
00:50:54
dass dann da am Ende so eine tödliche Paardynamik entstanden ist.
00:50:58
Ja, am Ende stand halt sie nur allein vor Gericht und darüber hat Gisela Friedrichsen auch einen Artikel geschrieben,
00:51:03
also zum Thema Neonantizide und die Rolle, die die Väter da spielen,
00:51:08
der mich so ein bisschen zum Nachdenken auch angeregt hat.
00:51:11
Weil darin schreibt sie, Zitat,
00:51:14
Werden Neugeborene getötet, wird die Schuld stets den Müttern angelastet.
00:51:18
Die Väter kommen meist davon.
00:51:20
Also so fängt der Artikel an und dann fragt sie im Laufe des Artikels zum Beispiel,
00:51:26
ist der Erzeuger einer Schwangerschaft etwa nicht verpflichtet, und zwar nicht nur moralisch,
00:51:31
der Schwangeren beizustehen?
00:51:33
Ist er weniger verantwortlich für das Wohl des Kindes als sie?
00:51:36
Und wenn sich die Frau wegen Totschlags durch Unterlassens strafbar macht,
00:51:40
weil sie den Säugling nicht versorgt,
00:51:42
was ist dann mit dem Mann, der nicht den Krankenwagen oder die Hebamme holt?
00:51:47
Also dass man jetzt neunmal nicht merkt, dass die Frau schwanger ist.
00:51:52
Darüber können wir gerne streiten, das ist schon klar.
00:51:55
Aber ansonsten frage ich mich hier ehrlicherweise,
00:51:58
was Frau Friedrichsen da erstens voraussetzt und zweitens als Konsequenz verlangt.
00:52:03
Also es gibt ja Untersuchungen zu Neonatiziden und die legen eben nahe,
00:52:08
dass, wie wir eben gesagt haben, die Partner oft halt nichts von der Schwangerschaft wussten.
00:52:13
Und da frage ich mich, wie man die jetzt mehr in die Verantwortung nehmen will und auch wieso.
00:52:20
Also und selbst wenn sie darüber Kenntnis hatten,
00:52:23
dann müssen sie ja auch noch von der Absicht gewusst haben,
00:52:27
also dass die Frau das Kind nach der Geburt töten will.
00:52:31
Also vorausgesetzt, die Männer waren eben, wie es offenbar so oft der Fall ist,
00:52:35
nicht bei der Geburt dabei.
00:52:36
Und da ist ja das Ding, die Schwangere merkt ja zuerst, wenn die Geburt losgeht
00:52:41
und würde sich ja in dem Fall dann auch vom Partner entfernen,
00:52:44
so wie das Jana gemacht hat.
00:52:45
Und das ist ja eh die Krux an dieser ganzen Sache, dass die Schwangere ja zu Recht erst mal die alleinige Verantwortung für die Schwangerschaft hat,
00:52:53
weil es ihr Körper ist.
00:52:54
So oder so, wenn man jetzt nachweisen könnte, dass die andere Person, also der Vater,
00:53:01
Kenntnis von all dem hatte, dann muss das natürlich auch geprüft werden und gegebenenfalls müssen die dann natürlich auch bestraft werden.
00:53:07
Aber das machen die Gerichte ja auch und das haben die bei Hannes ja genauso gemacht.
00:53:11
Aber wenn, wie in meinem Fall, die Täterin jetzt auch noch ganz klar darlegt, was sie alles getan hat, um die Schwangerschaft zu verheimlichen,
00:53:19
dann sehe ich den Skandal nicht, weißt du?
00:53:22
Ja, also Gisela Friedrichsen, die bezieht sich schon sehr auf diesen einen Fall in dem Artikel,
00:53:28
aber die wird auch verallgemeinernd in Bezug darauf, dass Männer jetzt generell eigentlich kaum eine Rolle bei diesen Delikten spielen
00:53:35
und man ihre Rolle halt dann eben auch nicht genug hinterfragt.
00:53:38
Also gehe ich an sich mit, also wenn diese Partnerschaft überhaupt noch besteht,
00:53:43
aber vor allem halt eher in Bezug darauf, ob die die Schwangerschaft nicht bemerkt haben.
00:53:49
Weil das kann man ja schon in Frage stellen, ob man da wirklich so blind für sein kann.
00:53:54
Nun weiß ich nicht, wie und warum man jetzt jemanden für eine Tat irgendwie zur Verantwortung ziehen sollte,
00:53:59
die eine andere Person in deren Abwesenheit begangen hat,
00:54:02
also von der der Vater dann ja auch vorher nichts wusste.
00:54:06
Ja, aber das Ding ist ja auch, Ehemänner haben in so einem Fall ja auch ein Zeugnisverweigerungsrecht
00:54:12
und wenn sie nichts sagen, dann kann man denen auch einfach schwer nachweisen, dass sie was mitbekommen haben.
00:54:17
So oder so, was mich einfach an diesem Thema so ein bisschen nervt ist
00:54:21
und ich hoffe, dass viele Frauen von der Schwangerschaft ja schon etwas mitbekommen,
00:54:26
wenn ein Abbruch noch möglich ist, ja, das wissen wir im Fall von Jana nicht,
00:54:31
aber es gibt ja Möglichkeiten noch, sich nicht in so eine Sackgasse zu manövrieren, wie Jana es getan hat.
00:54:39
Und wenn man das tut, dann gibt es auch danach noch Möglichkeiten, ja.
00:54:44
Also hat Jana ja auch gesagt, sie wollte ja angeblich das Baby zur Babyklappe bringen.
00:54:48
Es gibt aber mittlerweile auch sowas wie anonyme oder noch besser so vertrauliche Geburten,
00:54:53
bei der die Mütter die Kinder halt sicher im Krankenhaus zur Welt bringen können.
00:54:58
Und das macht mich an dem Fall einfach wirklich so wütend.
00:55:01
Jana hätte keine Mutter sein müssen, sie hätte sich dagegen entscheiden können und das Kind hätte nicht sterben müssen.
00:55:08
Mein Fall zeigt, was passiert, wenn das vermeintliche Glück einer Mutter für eine ganze Familie zum Albtraum wird.
00:55:14
Alle Namen habe ich geändert.
00:55:16
Und eine explizite Triggerwarnung zu meinem Fall findet ihr auch in der Folgenbeschreibung.
00:55:22
Die Bergspitzen, die rund um Garmisch-Patenkirchen in die Höhe ragen, hängen in einer dichten Wolkendecke,
00:55:28
als Gerrit an diesem frühen Februar morgen 2013 von seiner Nachtschicht nach Hause fährt.
00:55:33
Es ist einer der ersten Dienste als Gabelstablerfahrer nach seiner Elternzeit
00:55:38
und der 24-Jährige freut sich sehr auf Zuhause.
00:55:40
Auf seine Frau Sira, aber vor allem auch auf seine zwei Monate alte Tochter Aileen.
00:55:46
Als er nun die Tür aufschließt, schlafen die beiden noch.
00:55:49
Bis sie aufwachen, ist Gerrit ganz leise, um sie nicht zu wecken.
00:55:52
Dann begrüßt er die beiden wichtigsten Menschen in seinem Leben.
00:55:55
Am liebsten würde er jetzt direkt mit ihnen in den Tag starten, aber Sira schickt ihn ins Bett.
00:56:00
Er soll sich ausruhen, sagt sie.
00:56:02
Heute Nachmittag wollen sie zu ihren Eltern, da muss der junge Papa fit sein.
00:56:06
Also geht Gerrit ins Schlafzimmer und macht die Tür hinter sich zu.
00:56:09
Als er sich in die weichen Kissen und Decken fallen lässt, dauert es nicht lange, bis seine müden Augen zufallen.
00:56:16
Gegen zwölf Uhr schreckt er dann aus dem Schlaf auf.
00:56:19
Zwei laute Schreie seiner Frau hatten ihn unsanft geweckt.
00:56:22
Gerrit springt aus dem Bett und hastet ins Wohnzimmer.
00:56:25
Der Anblick, der ihn hier erwartet, lässt ihn erstarren.
00:56:29
Seine Frau steht mit einem Küchenmesser vor dem Sofa.
00:56:32
Die Klinge voller Blut.
00:56:34
Erst denkt Gerrit, dass sie sich etwas angetan hat.
00:56:37
Doch dann fällt sein Blick auf seine kleine Tochter.
00:56:40
Aileen liegt auf dem Sofa, ihr Körper bis Blut überströmt.
00:56:46
Gerrit schreit laut auf und stürzt zu seinem Baby.
00:56:48
Mit der einen Hand versucht er die klaffende Wunde auf ihrer kleinen Brust zuzudrücken,
00:56:52
während er mit der anderen zu seinem Handy greift und die Nummer des Rettungsdienstes wählt.
00:56:56
Gerrit fleht und betet, dass Aileen überlebt, bis Hilfe kommt.
00:57:00
Dass ihr kleiner Körper irgendwelche Superkräfte entwickelt und ihr der starke Blutverlust nichts anhat.
00:57:05
Aber es dauert nur wenige Sekunden, bis Aileen ihren letzten Atemzug nimmt.
00:57:10
Wenige Minuten später ist das Wohnzimmer voller Rettungskräfte.
00:57:14
Doch auch der Notarzt kann nur noch Aileen's Tod feststellen.
00:57:17
Dass das Kind keines natürlichen Todes gestorben ist, ist unübersehbar.
00:57:22
Daher wird sofort die Polizei verständigt.
00:57:25
Als die Beamtinnen eintreffen, ist auch ihnen sofort klar, dass sich hier ein furchtbares Verbrechen abgespielt hat.
00:57:32
Syrah sagt kein Wort und auch Gerrit hat vor lauter Schock seine Stimme verloren.
00:57:37
Daher geht es jetzt für beide direkt auf die Polizeiwache.
00:57:39
Den toten Körper seiner Tochter muss Gerrit in der Drei-Zimmer-Wohnung zurücklassen,
00:57:44
die in nur wenigen Stunden vom trauten Familienheim zum Ort des Schreckens geworden ist.
00:57:49
Am Nachmittag hängen noch immer dunkle Wolken über dem bayerischen Ort
00:57:54
und die Straßen sind nass vom Regen, als ein Leichenwagen vor dem hellgelben Meerfamilienhaus vorfährt.
00:58:00
Inzwischen hat auch die Presse von dem Polizeieinsatz Wind bekommen,
00:58:03
weshalb die Kameras klicken und blitzen, als eine Leichenware in den Kofferraum des silbernen Autos eingeladen wird.
00:58:09
Die massige blaue Plane über der Trage viel zu groß für den kleinen Körper, der darunter liegt.
00:58:15
Warum Aileen sterben musste, kann der Presse niemand in dem Haus erklären.
00:58:20
Eine Frau, die ein Stockwerk unter der jungen Familie wohnt,
00:58:23
erinnert sich noch an ihre letzte Begegnung mit der Mutter.
00:58:25
Ich habe auch in den Kinderwagen geschaut und ihr Baby bewundert, sagt sie.
00:58:29
Ein anderer Nachbar erzählt, dass man sich immer freundlich im Hausflur gegrüßt habe.
00:58:33
Aufgrund fehlender Erklärung titelt die Presse am nächsten Tag
00:58:37
Kindstötung erschüttert den Ort.
00:58:39
In den Artikeln ist von mehreren Messerstichen die Rede, die Sira ihrer Tochter zugefügt haben soll.
00:58:45
Welche Mutter tut so etwas?
00:58:47
Warum tötet man einen Säugling, der sich nicht mehr wehren kann, auf so grausame Art und Weise?
00:58:52
Und warum ist ausgerechnet die Person dafür verantwortlich, die Aileen schützen sollte?
00:58:57
Das Zitat eines Anwohners, das in der Zeitung abgedruckt wird, spricht für die ganze Gemeinde.
00:59:02
Diese Tat ist für uns alle unfassbar.
00:59:06
Aber man kann in die Leute halt nicht reinschauen.
00:59:08
Acht Monate später, Ende Oktober 2013, ist es genau das, was das Landgericht München will.
00:59:14
In Sira hineinschauen und verstehen, was sie getan hat und vor allem warum.
00:59:20
Als die 24-Jährige im schwarzen Mantel in den Gerichtssaal geführt wird,
00:59:24
zieht sie sich ihre Kapuze tief ins Gesicht.
00:59:26
Darunter lugt ihr schwarzes, lockiges Haar und ein Piercing an der Unterlippe hervor.
00:59:31
Als die Anklage verlesen wird, zieht Sira mit leerem Blick nach unten auf ihre Hände.
00:59:35
Der Tatvorwurf lautet Mord.
00:59:38
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass Sira ihre Tochter aus egoistischen Motiven
00:59:42
und somit aus niedrigen Beweggründen getötet hat.
00:59:45
Als der Staatsanwalt seine Version der Tat präsentiert, wird es im Gerichtssaal ganz still.
00:59:50
In der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar schläft Aileen nicht durch.
00:59:55
Auch das Fläschchen, das Sira ihrer zehn Wochen alten Tochter gibt, spuckt sie aus.
01:00:00
Ein Teil der Milch läuft ihr aus dem Mund, der andere kommt aus der Nase wieder raus.
01:00:04
Und Aileen schreit.
01:00:05
Sira versucht das Baby zu beruhigen, doch es klappt nicht.
01:00:08
Bis zum Mittag quengelt Aileen immer wieder und Sira hält es nicht länger aus.
01:00:13
Sie ist müde und hat genug von dem Geschrei, mit dem sie sich seit Aileens Geburt herumschlagen muss.
01:00:18
Also geht sie in die Küche und holt ein Messer.
01:00:21
Zuerst piekst Sira die 15 cm lange Klingel 16 Mal durch die Babydecke in die weiche Haut ihrer Tochter.
01:00:26
Aileen rührt sich erst nicht, doch dann beginnt sie wieder zu schreien.
01:00:30
Ihr Todesurteil.
01:00:31
Denn jetzt packt Sira das Messer ganz fest und sticht einmal zur Probe wuchtig ins Sofa-Polster.
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Dann holt sie erneut aus und trifft diesmal Aileens Körper.
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Fünf tiefe Stiche landen in der Brust und im Bauch des kleinen Mädchens.
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Das Baby verblutet innerhalb von wenigen Sekunden.
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Es ist das schreckliche Ende der grausamen Tat einer Mutter, die laut Staatsanwaltschaft aus einem einzigen Grund gehandelt hat.
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Weil ihr die Pflege ihres Kindes schon nach zwei Monaten lästig geworden war.
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Die Mordanklage ist niederschmetternd und zeugt von einer Mutter, die nicht nur selbstsüchtig ihr eigenes Wohl in den Vordergrund gestellt,
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sondern auch dafür gesorgt hat, dass der kleine Mensch in ihrer Obhut auf brutalste Art und Weise stirbt.
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Dass sie das getan hat, was man ihr vorwirft, kann Sira nicht leugnen.
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Sie hat bereits kurz nach der Tat gegenüber der Polizei gestanden, Aileen getötet zu haben.
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Aber sie besteht darauf, es nicht getan zu haben, weil ihre Tochter ihr lästig war.
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Sie sei nicht das Monster, für das sie alle halten.
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Daher will sie jetzt aussagen und dem Gericht erklären, was der wahre Grund war.
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Und dafür muss sie weit ausholen.
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Sira beginnt ganz vorne.
01:01:34
Bei ihren Eltern, die sie lieb hat, und ihren drei Geschwistern, mit denen sie in Garmisch-Partenkirchen aufwächst.
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Doch ihre sorgenfreie Kindheit ist schnell vorbei, als sie aufs Gymnasium kommt.
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Sira hat Probleme in der Schule und mit Jungs.
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Um den Schmerz für kurze Zeit zu vergessen, greift sie mit 14 immer wieder zur Rasierklinge und ritzt sich ihre Unterarme,
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bis die Schnitte ihre Probleme viel kleiner erscheinen lassen.
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Einmal verletzt sie sich dabei so schlimm, dass ihre Eltern sie in ein psychiatrisches Krankenhaus einweisen.
01:02:02
Nur hilft die Therapie nicht wirklich.
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Auch danach ritzt sich Sira weiter heimlich, wenn ihr alles zu viel wird.
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Weil es mit ihren Eltern immer mehr Streit gibt, sucht sie Zuflucht in einer Punk-Klicke,
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mit der sie bis spät in die Nacht um die Häuser zieht.
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Zu Hause ist sie in der Zeit nur noch selten.
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Liebe und Zuneigung erhofft sie sich stattdessen von fremden Männern, die sie jedoch alles andere als glücklich machen.
01:02:24
Mit 16 Jahren hat sie so dollen Liebeskummer, dass sie sich wieder stark verletzt und zum zweiten Mal stationär in Therapie gehen muss.
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Die Ärztinnen diagnostizieren Sira eine Anpassungsstörung mit Verdacht auf Borderline.
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Und das fungiert plötzlich wie ein Weckruf.
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Vom einen auf den anderen Tag legt Sira ihre Clique und die schwarzen Klamotten ab und wendet sich dem Islam zu.
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Die Religion hat zwar in ihrem deutsch-türkischen Elternhaus nie eine große Rolle gespielt,
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jetzt geben Sira die Zeilen des Korans aber den Halt, den sie braucht.
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Sie beschließt keinen Alkohol mehr zu trinken und ab jetzt Schleier zu tragen.
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Der Glaube erfüllt nicht nur Siras Suche nach einer Identität, sondern auch ihren Wunsch nach Liebe.
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Über Facebook lernt sie Gerrit kennen.
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Er ist Deutscher und vor kurzem zum Islam konvertiert.
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Sira ist hin und weg.
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Sie will diesen Mann unbedingt kennenlernen.
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Doch der wohnt am anderen Ende von Deutschland, in Hamburg.
01:03:16
So bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich erstmal stundenlang mit Gerrit übers Internet auszutauschen,
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bis er zwei Monate später endlich ankündigt, sie besuchen zu kommen.
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Gerrit ist selbst erst 18 Jahre alt, als er die 850 Kilometer in den Süden fährt, um Sira in Garmisch-Partenkirchen zu sehen.
01:03:32
Sira ist überglücklich, als sie den jungen Mann in ihre Arme schließen kann, in den sie sich inzwischen Hals über Kopf verliebt hat.
01:03:39
Sofort sind beide sicher, dass sie ihr Leben miteinander verbringen wollen.
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Warum also warten?
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Das junge Paar stellt noch am selben Tag eine spontane kleine Hochzeitsfeier auf die Beine und heiratet nach islamischem Recht.
01:03:51
Dann muss Gerrit zurück nach Hamburg.
01:03:54
Doch die Distanz kann ihrer Beziehung nichts anhaben.
01:03:56
Zwei Jahre später besiegeln sie ihre Ehe auch standesamtlich.
01:03:59
Dank Gerrit geht es Sira viel besser.
01:04:01
Sie verletzt sich nicht mehr selbst, sondern ist glücklich und fühlt sich vor allem eines – geliebt.
01:04:06
Als Sira 21 ist, kehrt Gerrit Hamburg endlich den Rücken und zieht zu ihr in den Süden.
01:04:12
Während sie ihr Fachabitur in Wirtschaft nachholt, sucht er sich einen Job, um den Familienunterhalt zu bestreiten.
01:04:17
Denn das ist es, was sich die beiden wünschen.
01:04:22
Zwei Jahre später, als Sira gerade ihren Abschluss macht, geht ihr Traum in Erfüllung.
01:04:26
Der Schwangerschaftstest zeigt zwei Streifen.
01:04:28
Sira und Gerrit erwarten eine kleine Tochter.
01:04:31
Die werdenden Eltern sind überglücklich und die Schwangerschaft ist die schönste Zeit, die sie bisher gemeinsam erleben durften.
01:04:37
Gemeinsam kaufen sie süße Babyklamotten und überlegen sich einen Namen.
01:04:41
Aileen soll ihr Mädchen heißen.
01:04:43
Ende November 2012 erblickt ihr kleiner Sonnenschein dann das Licht der Welt.
01:04:48
Aileen ist gesund und munter und Siras Liebe für sie ist riesig.
01:04:52
Die ersten zwei Wochen vergehen wie im Traum.
01:04:54
Sira und Gerrit sehen morgens zu, wenn Aileen verschlafen ihre Äuglein öffnet und abends, wenn sie sie nicht mehr offen halten kann.
01:05:02
Doch während Gerrit nach 14 Tagen noch immer völlig erfüllt in Aileens Kinderwagen guckt, wenn sie spazieren gehen, schleichen sich in Siras Kopf nach und nach Gedanken, die nicht mehr nur positiv sind.
01:05:12
Sie ist müde und überlastet, wie die meisten frischgebackenen Mamas.
01:05:16
Zusätzlich sind da aber noch enorme Stimmungsschwankungen und die ständigen Sorgen, die sich wie ein grauer Schleier über ihre Gedanken legen und besonders schlimm werden, wenn Aileen schreit.
01:05:26
Sira weiß nicht, was ihre kleine Tochter dann braucht.
01:05:29
Ein Fläschchen, eine frische Windel, Schlaf oder etwas ganz anderes?
01:05:33
Die Sorgen entfachen eine innere Unruhe in Sira, die bald schon jeden schönen Moment mit ihrer kleinen Tochter schwarz malt und auch dann anhält, wenn Aileen gerade nicht schreit.
01:05:42
Unsicherheit und Selbstzweifel lösen das Glück ab, das sie vor kurzem noch empfunden hat, wenn sie ihr Baby angesehen hat.
01:05:49
Tag für Tag werden die düsteren Gedanken in ihrem Kopf lauter.
01:05:53
Wenn Aileen schreit, dann muss es ihr ganz schlecht gehen.
01:05:56
Dann muss Sira ihrem Kind helfen.
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Nur weiß sie eben nicht, wie.
01:05:59
Egal, was Sira tut, sie kann Aileen nicht helfen.
01:06:03
Aileen muss Höllenquallen leiden.
01:06:04
Und sie ist eine schlechte Mutter.
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Sicherlich würde es ihrem Kind woanders besser gehen.
01:06:08
Vielleicht im Himmel, im Paradies.
01:06:11
Dort könnte sie mit anderen Kindern spielen und wäre von ihrem ganzen Leid erlöst, denkt Sira.
01:06:16
Sowohl Gerrit als auch ihre Eltern merken, dass es Sira zunehmend schlechter geht.
01:06:21
Immer wieder fragen sie, ob sie ihr helfen oder sie entlasten können.
01:06:24
Doch Sira will keine Hilfe.
01:06:26
Sie ist überzeugt davon, dass sie es alleine schaffen muss, ihr Kind zu betreuen.
01:06:30
Schließlich ist sie Ailins Mutter.
01:06:32
Objektiv gesehen gelingt Sira das auch.
01:06:35
Aileen entwickelt sich prächtig und altersgerecht.
01:06:37
Eigentlich gibt es keinen Grund zur Sorge, aber die Gedanken lassen Sira nicht mehr los.
01:06:42
Im Gegenteil, sie werden Tag für Tag intensiver.
01:06:45
Bald ist Sira der festen Überzeugung, dass es Aileen nur dann besser geht, wenn sie im Himmel ist.
01:06:50
Ihr als Mutter kommt dabei die Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass Aileen genau dahin kommt.
01:06:56
Die vermeintliche Erlösung ist bald so präsent in Siras Gedanken, dass sie sie vor ihrem inneren Auge sehen kann.
01:07:02
So hat sie Bilder davon im Kopf, wie sie giftige Tabletten in Ailins Fläschchen auflöst und es ihr gibt.
01:07:08
Oder wie sie ein Messer nimmt und ihre Tochter ersticht.
01:07:11
Was sie sieht, ist grauenvoll und verstärkt ihre Selbstzweifel nur noch mehr.
01:07:15
Welche Mutter stellt sich vor, wie sie ihr eigenes Baby tötet?
01:07:20
Sira weiß, dass sie das niemals jemandem erzählen kann.
01:07:22
Sie weiß aber auch, dass sie Hilfe braucht.
01:07:24
Und zwar schnell.
01:07:25
Diesmal siegt die Vernunft.
01:07:27
Trotz großer Angst, dass er sie für ein Monster halten wird, vertraut sie sich Gerrit an.
01:07:31
Natürlich ist ihr Mann geschockt, aber er hält zu ihr und drängt sie dazu, mit Expertinnen über ihre Gedanken zu sprechen.
01:07:38
Bestenfalls in stationärer Behandlung.
01:07:41
Damit sich Sira dafür in Ruhe Zeit nehmen kann, nimmt sich Gerrit Urlaub, um Aileen rund um die Uhr versorgen zu können.
01:07:48
Ende 2012 begibt sich Sira also in eine stationäre psychiatrische Therapie, um aus der schrecklichen Gedankenspirale auszubrechen, die von ihr Besitz ergriffen hat.
01:07:56
Die junge Mutter spricht mit den Therapeutinnen offen über ihre Überforderung und erwähnt auch die Erlösergedanken und die Gewaltvorstellungen, die sie nicht mehr loswird.
01:08:04
Aus Angst, dass Aileen ihr weggenommen wird, verschweigt Sira aber, wie intensiv und allgegenwärtig die Gedanken sind.
01:08:11
Und sie offenbart ihnen auch nicht, dass sie trotz der Therapie nicht verschwinden wollen.
01:08:16
Stattdessen spürt Sira bald den Drang, zu Aileen zurückzukehren.
01:08:19
Sie will unbedingt eine gute Mutter sein und keine gute Mutter lässt ihr Baby so lange alleine.
01:08:24
Sie muss zurück nach Hause, also beendet Sira unter dem Vorwand, dass es ihr schon viel besser gehe, nach nur zwei Wochen die stationäre Therapie.
01:08:32
Von da an nimmt sie nur noch einzelne ambulante Termine wahr und bekommt Medikamente gegen Depressionen, Angststörungen und zur Beruhigung, die sie aber nicht regelmäßig einnimmt.
01:08:42
Zu ihrer letzten Gesprächstherapie geht Sira am 28. Januar gemeinsam mit Gerrit.
01:08:47
Er hat wieder angefangen zu arbeiten und ist guter Dinge, dass jetzt alles besser wird.
01:08:51
Sira traut sich nicht ihm zu sagen, dass sie noch immer tief in dem schwarzen Loch steckt und dass ihre Situation inzwischen ausweglos erscheint.
01:08:59
So ausweglos, dass sie vier Tage später in die Küche geht und zu einem Messer greift, während Gerrit im Zimmer nebenan schläft.
01:09:05
Die zwei Monate alte Aileen ist ganz ruhig, während in Siras Inneren das Chaos wütet.
01:09:11
Zwei Stunden lang läuft sie im Wohnzimmer hin und her und wiegt ihre Gedanken gegeneinander ab.
01:09:16
Einerseits will sie sich Hilfe suchen, Gerrit aufwecken, ihre Eltern anrufen oder einen ihrer Therapeutinnen.
01:09:21
Andererseits übermannen sie die düsteren Vorstellungen der letzten Monate.
01:09:25
Der graue Schleier ist jetzt tief schwarz und überzeugt Sira letztendlich davon, dass sie ihr Kind töten muss, damit es ihm besser geht.
01:09:33
Die Welt ist nicht gut.
01:09:35
Aileen hat es im Jenseits besser.
01:09:36
Sie kann die helfende Hand sein, die Aileen zu Gott bringt, glaubt Sira.
01:09:41
Während ihre Gedanken immer schneller kreisen, piekst sie die Spitze der Messerklinge leicht in die Wohnzimmermöbel,
01:09:46
dann in ihre eigene Haut und schließlich wendet sie sich Aileen zu.
01:09:50
Als Sira jetzt, acht Monate später, vor Gericht von dem Tag erzählt, an dem ihre Tochter starb,
01:09:56
steht sie plötzlich von ihrem Stuhl auf und läuft aufgeregt vor dem Richtertisch in der Mitte des Saales auf und ab.
01:10:01
Der Vorsitzende sagt nichts.
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Der Oberstaatsanwalt rückt sogar mit seinem Stuhl ein Stück zurück, um Sira nicht in die Quere zu kommen,
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während sie geht und gleichzeitig spricht.
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Dann bleibt sie plötzlich wie angewurzelt stehen.
01:10:13
Sira stöhnt auf und sagt die Worte, von denen alle wissen, dass sie unvermeidbar sind,
01:10:17
aber die niemand wahrhaben möchte.
01:10:19
Dann hab ich das Messer rein.
01:10:21
Ey, sowas im Gerichtssaal dann auch nochmal quasi mitzuerleben
01:10:25
und dann das Ende dieser Tat mit so einem banalen Satz auch noch zu hören.
01:10:31
Ist irgendwie übel.
01:10:33
Im Saal ist es ganz ruhig.
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Niemandem war bewusst, wie schlimm Sira in ihrem eigenen Kopf gefangen war.
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Selbst Gerrit nicht.
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Als der 24-Jährige mit kurzem Haar und Brille schließlich in den Zeuginnenstand tritt und von dem Mittag berichtet,
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an dem Siras Schreie ihn geweckt haben, bleiben ihm immer wieder die Worte im Mund stecken.
01:10:52
Tränen laufen über seine Wangen.
01:10:53
Voller Verzweiflung erzählt er davon, wie er ins Wohnzimmer gehastet ist und versucht hat, seine Tochter zu retten.
01:10:59
Da hallt plötzlich ein Schrei durch den Gerichtssaal.
01:11:02
Es ist Sira, die damals wie gelähmt daneben stand und jetzt nicht mehr an sich halten kann.
01:11:07
Sie fängt an bitterlich zu schluchzen.
01:11:08
Sie fängt an bitterlich zu schluchzen.
01:11:09
So stark, dass sich ihr ganzer Körper schüttelt und die Verhandlung unterbrochen werden muss.
01:11:13
Am Tag danach hat ein psychiatrischer Gutachter das Wort, der stundenlang mit Sira gesprochen hat.
01:11:19
Seine Diagnose ist eindeutig.
01:11:21
Sira hat ihre Tochter nicht deshalb getötet, weil sie erlästig war.
01:11:25
Die Gedanken, die sie wochenlang geplagt haben, sind komplexer als das und haben einen Namen.
01:11:30
Postpartale Depression.
01:11:31
Eine psychische Krankheit, an der Mütter nach der Geburt erkranken können
01:11:36
und zu deren Symptomen Schuldgefühle und Versagensängste bis hin zu Suizid- und Gewaltgedanken gehören.
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Und Sira ist nicht die erste Frau in ihrer Familie, die damit zu kämpfen hat.
01:11:46
Siras Mutter und deren Schwester, also Siras Tante,
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litten ebenfalls daran.
01:11:50
Bei ihrer Tante ist die Krankheit damals so ausgeprägt,
01:11:54
dass sie mit ihrem zwei Monate alten Baby vom Dach eines Gebäudes springen möchte.
01:11:57
Bei Siras Mama äußert sich die Depression in Form von Angstzuständen und Muskelkrämpfen am ganzen Körper.
01:12:03
Sie fühlt sich plötzlich, als fehle ihr die Kraft, um Siras elf Monate altes Geschwisterchen zu halten.
01:12:09
Einmal lässt sie das Baby daher einfach auf den Boden fallen.
01:12:12
Das Kind bleibt glücklicherweise unversehrt.
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Siras Mutter begibt sich daraufhin auch im psychiatrische Behandlung.
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Das alles geht nicht spurlos an Sira vorbei.
01:12:22
Ihre Jugend ist rastlos, bis sie Gerrit kennenlernt.
01:12:25
Mit ihm an ihrer Seite geht es ihr besser, bis sich kurz nach Ailins Geburt wieder alles ändert.
01:12:30
Aus dem depressiven Stimmungseinbruch, den Sira zwei Wochen nach der Geburt erleidet,
01:12:34
wird eine postpartale, schwere, depressive Episode, die ihre Borderline-Erkrankung aus der Jugend wieder verstärkt.
01:12:40
Sira ist ab dem Zeitpunkt schnell frustriert, wenn etwas nicht funktioniert, wie sie sich es wünscht.
01:12:45
Ihre Stimmung kann sich von einem auf den anderen Moment ändern und es fällt ihr zunehmend schwer, Impulse zu kontrollieren.
01:12:51
Siras Krankheit ist so präsent, dass sie an übertriebenen Ängsten und Wahrnehmungsveränderungen leidet.
01:12:56
Sie kann nicht mehr einschätzen, ob es Aline gerade gut geht oder schlecht.
01:12:59
Und sie kann nicht mehr objektiv beurteilen, dass sie ihre Tochter keinesfalls erlöst, wenn sie sie tötet.
01:13:04
Daher spricht sich der Sachverständige am Ende seines Gutachtens dafür aus,
01:13:08
dass Siras Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aufgrund der postpartalen Depression
01:13:12
zum Tatzeitpunkt einen solchen Schweregrad erreicht hat,
01:13:15
dass sie nach §21 StGB vermindert schuldfähig ist.
01:13:19
Seine eindeutige Einschätzung lässt die Menschen im Gerichtssaal vor allem traurig zurück.
01:13:24
Spätestens jetzt steht fest, dass es in diesem Prozess kein Gut und Böse gibt,
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keine grausame Mutter, die ihr Kind kaltblütig und egoistisch ermordet hat,
01:13:32
sondern eine Frau, die krank ist und sich Hilfe gesucht hat.
01:13:36
Und ein Mann, der ihr helfen wollte und nicht konnte.
01:13:38
Letztendlich hat die Krankheit sie beide besiegt und ihnen das Kostbarste genommen,
01:13:43
das sie jemals hatten, ihr Kind.
01:13:44
In seinem Schlussplädoyer rückt selbst der Staatsanwalt von seiner ursprünglichen Mordanklage ab.
01:13:50
Einerseits sei es zwar egoistisch, sein Kind zu töten, um sich selbst der Sorge zu entledigen,
01:13:54
andererseits sei sie überzeugt gewesen, dass es Aline im Paradies besser geht.
01:14:00
Subjektiv empfunden habe sie im Sinne ihres kleinen Mädchens gehandelt.
01:14:03
Deshalb plädiert der Staatsanwalt auf eine Verurteilung wegen Totschlags und fordert dafür sechs Jahre Haft.
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Syras Verteidigerin weist in ihrem Schlusswort noch einmal auf den seelischen Ausnahmezustand
01:14:13
und die verminderte Schuldfähigkeit ihrer Mandantin hin
01:14:16
und fordert wegen Totschlags in einem minderschweren Fall eine fünfjährige Gefängnisstrafe für Syra.
01:14:22
Die sitzt am vorletzten Prozestag still und leise mit schmerzverzerrtem Gesicht auf der Anklagebank.
01:14:27
In ihrer Hand eine Packung Taschentücher.
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Als sie die letzten Worte vor dem Urteil sprechen darf, sagt sie,
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ich könnte tausend Worte sagen und kein einziges könnte ausdrücken, wie leid es mir tut.
01:14:38
Auch heute noch sehe sie die grausamen Bilder vor sich.
01:14:41
Sie vermisse ihre Tochter sehr und könne sich nicht vorstellen, wie sie ohne sie leben solle.
01:14:46
Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es tun.
01:14:49
Aber das kann Syra nicht.
01:14:51
Stattdessen muss sie lernen, mit dem, was sie getan hat, um mit ihrer psychischen Erkrankung umzugehen.
01:14:56
Am nächsten Tag verkündet der vorsitzende Richter das Urteil.
01:15:00
Wie von Syras Verteidigerin gefordert, verhängt das Gericht eine Haftstrafe von fünf Jahren wegen Totschlags.
01:15:05
Aufgrund der Borderline-Störung, die in Verbindung mit der postparteien Depression aufgetreten ist,
01:15:11
ist die 24-Jährige vermindert schuldfähig und muss ihre Strafe in einem psychiatrischen Krankenhaus absitzen.
01:15:16
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Syra aufgrund ihrer Erkrankung noch einmal unbedacht,
01:15:21
sprunghaft und vielleicht auch kriminell handelt.
01:15:23
Zum Beispiel im Rahmen eines erweiterten Suizids, urteilt die Kammer.
01:15:27
Dann ist der Prozess vorbei.
01:15:29
Syra ist von nun an in der forensischen Klinik untergebracht, wo sich Ärztinnen um sie kümmern.
01:15:35
Gerrit hingegen steht vor einer großen Leere.
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Er hat nicht nur seine Frau verloren, sondern auch seine kleine Tochter.
01:15:41
Gerade mal zehn Wochen durfte er Aileen im Arm halten, ihr über den kleinen Kopf streicheln und neben ihr einschlafen.
01:15:47
Nie wird er den Moment vergessen können, in dem er sie auf dem Sofa hat liegen sehen.
01:15:51
Zu klein und wehrlos.
01:15:53
Getötet von der Person, die er über alles geliebt hat.
01:15:56
In guten wie in schlechten Zeiten heißt es im Ehegelübde.
01:16:00
Doch manche Zeiten sind so schlecht, dass niemand sie wieder gut machen kann.
01:16:03
Deshalb hat Gerrit inzwischen die Scheidung eingereicht.
01:16:06
In einem Punkt kann er hoffen, dass Syra recht hatte.
01:16:09
Vielleicht ist Aileen jetzt im Paradies und vielleicht kann er sie dort eines Tages wieder in den Arm nehmen und ihr erklären,
01:16:15
dass er alles dafür getan hätte, sie an diesem grauen Freitag im Februar zu beschützen.
01:16:21
Was ich an diesem Fall natürlich, abgesehen davon, dass das Kind getötet wurde und dass der Vater auf einmal vor diesem Scherbenhaufen stand,
01:16:30
dass auch noch seine Frau zur Täterin wurde, abgesehen davon finde ich so dramatisch an dem Fall,
01:16:37
dass ja auch Syra auf eine gewisse Art Opfer ihrer eigenen Erkrankung geworden ist.
01:16:43
Denn so wie ich das jetzt verstanden habe, hätte sie die Tat ja nicht begangen,
01:16:46
wenn sie nicht diese postpartale Depression entwickelt hätte.
01:16:49
Und diese Gedanken, die sie da hatte, das klingt ja schon fast wahnhaft.
01:16:53
Und deswegen glaube ich ihr das am Ende auch, was sie im Gerichtssaal gesagt hat,
01:16:56
dass sie es auf jeden Fall ungeschehen machen würde, wenn sie es könnte.
01:16:59
Und ehrlicherweise hat sie ja auch schon vorher den ersten Schritt dafür unternommen,
01:17:05
dass es nicht passieren wird.
01:17:06
Sie hat sich diese Hilfe geholt.
01:17:09
Sie hat es gesehen, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmt.
01:17:12
Und sie hat dann auch die richtige Konsequenz daraus gezogen
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und erst mal Abstand zu dem Kind genommen und sich ferngehalten.
01:17:18
Das Problem ist halt ja nur, dass sie sich selber für ihre Gedanken so geschämt hat.
01:17:24
Und das kommt bestimmt zu einem gewissen Teil auch daher,
01:17:27
dass psychische Erkrankungen immer noch so hart stigmatisiert sind und so schambehaftet sind,
01:17:33
dass sie sich dann am Ende auch nicht getraut hat,
01:17:35
alles zu erzählen, was in ihrer Gedankenwelt vorgeht.
01:17:38
Ja, voll. Und ich finde es halt so gruselig,
01:17:42
irgendwie was der eigene Körper oder das Gehirn dann mit einem anstellt sozusagen.
01:17:47
Weil auf der einen Seite, wie du sagst, ist sie ja dann schon soweit gewesen,
01:17:51
sich Hilfe zu holen und so weiter.
01:17:53
Und dann kommen aber diese anderen Gedanken von wegen,
01:17:55
diese Welt ist schlecht und ihr geht es dann im Paradies besser und so welche.
01:17:59
Das ist ja wirklich für Außenstehende gar nicht nachzuvollziehen.
01:18:03
Aber ich finde eben, das zeigt so krass, wie viel Macht diese Psyche über einen haben kann.
01:18:08
Und Sira hat sich so sehr ein Kind gewünscht und sich so darüber gefreut,
01:18:13
dass ich deswegen den Fall auch so tragisch finde,
01:18:15
weil es eben dieses Gut und Böse, wie wir es in manchen Fällen ja eben doch haben,
01:18:21
dann da wirklich irgendwie nicht gab.
01:18:23
Eine Sache, die mir irgendwie in den Sinn kam,
01:18:25
die mir seit längerem auf Social Media auffällt
01:18:28
und wovon ich auch ein bisschen genervt bin, ehrlicherweise.
01:18:31
Wir sind uns ja einig, dass niemand perfekt ist.
01:18:34
Also du bist das nicht, ich bin das nicht.
01:18:37
Auch Menschen, die das vermitteln wollen, sind das nicht.
01:18:39
Menschen sind so einfach nicht.
01:18:40
Und eigentlich ist das ja Common Knowledge.
01:18:43
Aber viele frischgebackene Mütter, die auf Social Media aktiv sind,
01:18:48
haben irgendwie sehr den Drang danach, das immer wieder zu betonen,
01:18:52
dass sie nicht perfekt sind.
01:18:53
Und ich frage mich immer, warum sagen die das in Dauerschleife so?
01:18:58
Wer erwartet das von ihnen?
01:19:01
Mal abgesehen davon, dass ich natürlich weiß,
01:19:03
dass manche tatsächlich ein Umfeld haben,
01:19:06
das hohe Erwartungen an einen hat.
01:19:07
Aber ich kann mir halt vor allem gut vorstellen,
01:19:09
dass sich manche das vor allem selbst immer sagen müssen,
01:19:13
weil der Druck offenbar so groß ist.
01:19:16
Also ich meine, ich bin nicht im Kreis der frischgebackenen Mütter,
01:19:20
deswegen weiß ich das auch nicht.
01:19:21
Ich weiß auch nicht, was man selbst für sich in so einer Situation an Erwartungen hat.
01:19:25
Aber offenbar scheint das wirklich ein Thema zu sein,
01:19:30
was vor allem frischgebackene Mütter,
01:19:32
aber wahrscheinlich auch Mütter von älteren Kindern,
01:19:34
in einigen Phasen des Lebens sehr zu belasten scheint.
01:19:39
Ja, offenbar ist die Erwartung da doch noch so hoch an die Mütter,
01:19:44
was natürlich einfach nur total schade ist
01:19:47
und sich wirklich langsam mal ändern sollte.
01:19:51
Also ich habe das gerade angesprochen,
01:19:52
weil Sira aus deinem Fall ja davon überzeugt war,
01:19:55
keine gute Mutter zu sein.
01:19:56
Und auch mit den Überforderungsgedanken wiederum so überfordert war.
01:20:02
Ich habe erst heute wieder eine auf Instagram gesehen,
01:20:06
die hat gesagt, dass ihr Kind ausgerastet ist,
01:20:09
weil die Mutter zuerst wach war,
01:20:10
das Kind aber zuerst wach sein wollte.
01:20:13
Also was willst du da anderes machen,
01:20:15
als verzweifeln und regelmäßig an deine Grenzen kommen?
01:20:19
Und solche Gefühle von Verzweiflung, Überforderung und was weiß ich,
01:20:23
das ist ja auch ganz normal.
01:20:26
Also ich will jetzt in meinem Aha mal über die postpartale Depression sprechen.
01:20:31
Also erstmal nicht jede Mutter,
01:20:32
die nach der Geburt ihres Babys traurig, müde, ängstlich oder halt überfordert ist,
01:20:38
Im Gegenteil ist es ganz normal,
01:20:40
dass die körperliche und auch hormonelle Umstellung
01:20:43
nach der Geburt Spuren hinterlässt.
01:20:44
50 bis 80 Prozent der Mütter
01:20:46
fallen in ein sogenanntes postpartales Stimmungstief,
01:20:49
was die meisten von euch wahrscheinlich eher unter dem Begriff Babyblues kennen.
01:20:53
Und das kann Stunden, manchmal aber auch Tage andauern
01:20:57
und übrigens auch bei Vätern vorkommen.
01:21:00
Das ist dann aber eher eine normale Depression
01:21:02
und das kommt dann nicht hormonell oder so.
01:21:05
Wenn dieses Tief bei den Frauen aber länger als zwei Wochen anhält,
01:21:09
dann spricht man von einer postpartalen Depression
01:21:11
oder eben auch Wochenbettdepression,
01:21:13
die bei 10 bis 20 Prozent der Mütter auftritt.
01:21:16
Dr. Christiane Hornstein,
01:21:18
die ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie
01:21:21
im Psychiatrischen Zentrum Nordbaden,
01:21:23
die beschäftigt sich schon lange mit postpartalen Erkrankungen
01:21:25
und hat uns im Interview erklärt,
01:21:27
was normalerweise die ersten Anzeichen
01:21:29
in einer postpartalen Depression sind.
01:21:31
Die Depression zeichnet sich aus
01:21:34
und beginnt eigentlich auch vor allem erst mal mit Schlafstörungen,
01:21:40
was für Mütter natürlich selbstverständlich ist,
01:21:44
dass sie nachher ihr Kind füttern oder stillen oder was auch immer
01:21:48
und nicht mehr durchschlafen können.
01:21:50
Aber wenn sie dann auch nicht mehr einschlafen können,
01:21:55
dann entwickeln sich zunehmend Schlafstörungen.
01:21:58
Also die füttern und dann kommen sie nicht mehr zur Ruhe.
01:22:01
Das sind Mütter, die oft nur ein, zwei, höchstens drei Stunden
01:22:06
insgesamt über die Nacht schlafen.
01:22:09
Darauf folgt dann in der Regel Erschöpfung über Anstrengung
01:22:13
und Freudlosigkeit.
01:22:14
Also Betroffene können dann oft überhaupt keine Freude mehr fühlen,
01:22:18
selbst wenn sie von ihrem kleinen Kind angelacht werden
01:22:22
oder eigentlich alles gut läuft an dem Tag.
01:22:24
Und statt Freude kommen dann halt Gefühle auf wie Wut,
01:22:28
Bereiztheit, Angst und Sorge, so wie wir das jetzt auch bei Sira gesehen haben.
01:22:33
Unsere Expertin hat uns erklärt, woher diese Gefühle kommen.
01:22:36
Sie fühlt sich schuldig, dass das Kind schreit, sie ist keine gute Mutter,
01:22:42
sie kann es nicht gut genug beruhigen.
01:22:43
Alle diese Gedanken.
01:22:45
Und je schwerer die Depression wird, umso weniger kann die Mutter
01:22:50
noch irgendeine Bindung zum Kind empfinden.
01:22:53
Und dann kommen auch lebensmühte, suizidale Gedanken
01:22:58
und oft der Gedanke, war es richtig, dass ich ein Kind bekommen habe
01:23:02
oder war das nicht alles falsch und so.
01:23:05
Neben den Suizidgedanken können aber eben auch Gewaltfantasien
01:23:09
gegenüber dem Kind auftreten.
01:23:10
Und da war ich, als ich das vor ein paar Jahren zum ersten Mal gehört habe,
01:23:14
wirklich total schockiert.
01:23:17
Und zwar ging es einer meiner Freundinnen so,
01:23:20
die wirklich nicht mal einer Fliege was zu Leide tun könnte.
01:23:23
und natürlich hat sie sich selbst total vor ihren Gedanken erschrocken
01:23:28
und unter all dem sehr gelitten.
01:23:31
Und zum Glück hat sie sich dann relativ schnell psychologische
01:23:34
beziehungsweise psychiatrische Hilfe geholt
01:23:36
und das hat ihr dann auch geholfen, da rauszufinden.
01:23:38
Aber das machen nicht alle Betroffenen,
01:23:42
wie uns Dr. Hornstein erzählt hat.
01:23:44
Und zwar, weil, das hast du eben auch schon gesagt,
01:23:46
das ganze Thema natürlich mit enorm viel Scham besetzt ist.
01:23:50
Also Betroffene fühlen sich eben eh schon als schlechte Mütter
01:23:53
und dann noch anderen von diesen düsteren Gedanken erzählen zu müssen,
01:23:58
ist für manche einfach unmöglich.
01:24:00
Deshalb rät die Expertin,
01:24:02
dass Betroffene wirklich schon bei den ersten Anzeichen,
01:24:05
also schon bei diesen starken Schlafstörungen,
01:24:08
dringend zu einem Psychologen oder einer Psychologin zu gehen,
01:24:11
weil postpartale Depressionen sind nämlich eigentlich gut behandelbar,
01:24:15
sagt Frau Hornstein.
01:24:16
Wenn man dann Platz kriegt.
01:24:18
Es wäre ja schön, wenn zumindest auf einer Ebene,
01:24:20
wo man nicht nur Sorge um die Person selbst vielleicht haben muss,
01:24:24
sondern auch noch davor, dass die Person dann andere gefährden könnte,
01:24:27
wenn dieses Gebiet zumindest flächendeckend abgedeckt ist
01:24:31
mit ärztlichen Behandlungsmöglichkeiten.
01:24:34
Ich habe vor kurzem gelesen,
01:24:35
dass die erste Pille gegen postpartale Depressionen in den USA zugelassen wurde.
01:24:40
Und das Ding bei dieser Pille ist halt,
01:24:42
dass sie schneller wirken soll als andere Antidepressiva.
01:24:44
Also eine Betroffene, die das Medikament getestet hat,
01:24:47
die hat sich schon kurz nach der Einnahme
01:24:49
wieder mehr wie sie selbst gefühlt, hat sie gesagt.
01:24:53
Aktuell ist offenbar noch nicht sicher,
01:24:55
ob das Medikament auch für stillende Mütter beispielsweise geeignet ist.
01:24:58
Aber in den Staaten soll es schon Ende des Jahres auf den Markt kommen.
01:25:01
Das könnte natürlich total eine Veränderung schaffen
01:25:04
für Betroffene, die darunter leiden.
01:25:06
Und vor allen Dingen, wenn es halt auch schneller wirkt,
01:25:09
weil diese Art von psychischen Erkrankungen
01:25:11
sich auch so schnell entwickeln können.
01:25:13
Und es gibt neben der postpartalen Depressionen
01:25:16
auch noch die postpartale Psychose.
01:25:19
Die ist zwar viel seltener,
01:25:21
also nur maximal drei von tausend Frauen erkranken daran.
01:25:24
Aber das Krankheitsbild ist noch mal deutlich extremer,
01:25:28
wie uns Dr. Hornstein erklärt hat.
01:25:30
Während die Depression sich langsam entwickelt über Wochen,
01:25:35
geht es bei der Psychose oft sehr schnell innerhalb von Tagen.
01:25:40
Auch da kommen Schlafstörungen, Unruhe, Anspannungen dazu.
01:25:44
Aber im Vordergrund steht bei der Psychose
01:25:47
ein Wahngedanke und häufig auch Stimmen.
01:25:52
Der Wahn dreht sich fast immer um das Kind herum.
01:25:56
Unsere Expertin hat uns auch von einer Patientin erzählt,
01:25:59
die davon überzeugt war,
01:26:01
dass ihr Kind schreit wie eine Eule.
01:26:03
Und eine andere Frau, die bei ihr in Behandlung war,
01:26:05
hat geglaubt, den Teufel höchstpersönlich geboren zu haben.
01:26:09
Und die Gefahr, dass die Mutter sich oder dem Baby etwas antut,
01:26:13
ist bei der Psychose dann auch noch mal viel höher als bei der Depression.
01:26:17
Und deswegen muss man das wirklich ernst nehmen und sich schnell Hilfe holen.
01:26:21
Und dieses schnelle Hilfe holen, das hatte man in dem Fall verpasst,
01:26:25
an den vielleicht viele denken, wenn sie an den Podcast Zeitverbrechen denken.
01:26:29
Den hatten die da nämlich mal besprochen.
01:26:31
Wer in der Zeitverbrechen schon eine Weile hört,
01:26:33
der kann sich da sicherlich noch daran erinnern.
01:26:35
Da ging es um eine junge Mutter mit dem Namen Josefine,
01:26:37
die nach der Geburt ihrer Tochter auch so eine postpartale Psychose entwickelt hat.
01:26:43
Und bei ihr hat sich das dann so geäußert,
01:26:45
dass die auf einmal extreme Angst davor hatte,
01:26:48
das Baby alleine zu lassen oder das halt nicht so gut zu versorgen.
01:26:51
Und sie hat dann zum Beispiel auch geglaubt,
01:26:53
dass ihre Muttermilch die Tochter vergiftet
01:26:55
oder dass ihr Herzschlag das Kind beim Stillen stören könnte.
01:26:59
Und das Ganze wurde dann irgendwann so schlimm,
01:27:02
dass sie auch Angst hatte, verfolgt zu werden.
01:27:04
Also da kamen dann paranoide Gedanken dazu.
01:27:06
Sie hat nur noch im Flüsterton mit ihrem Mann gesprochen
01:27:08
und irgendwann sogar den Namen des Babys vergessen.
01:27:12
Und der Familie war dann auch klar,
01:27:14
dass mit Josefine irgendwas nicht stimmt.
01:27:16
Und Josefine und ihre Mutter haben dann auch darüber gesprochen,
01:27:19
dass sie nach dem Wochenende sich ärztliche Hilfe holen muss.
01:27:21
Aber dann hat Josefine ihrer Tochter am Sonntagmorgen
01:27:25
wie aus dem Nichts mit voller Wucht auf den Boden geworfen
01:27:28
und sie dann halt so getötet.
01:27:30
Danach gab es einen ganz langen Rechtsstreit.
01:27:33
Und das Ende vom Lied war aber,
01:27:35
dass Josefine dann auch tatsächlich freigesprochen wurde.
01:27:37
Und zwar, weil sie halt wegen dieser Psychose,
01:27:40
die sie zu dem Zeitpunkt hatte,
01:27:42
als schuldunfähig eingestuft wurde.
01:27:44
Genau. Und also Josefine wurde freigesprochen,
01:27:47
aber Sira aus meinem Fall nicht.
01:27:49
Und das hat tatsächlich genau mit der Psychose zu tun.
01:27:52
Also zur Tatzeit war Josefine
01:27:54
nämlich deswegen weder steuerungs- noch schuldfähig.
01:27:58
Sira wurde vor Gericht ja nicht die postpartale Psychose,
01:28:01
sondern die postpartale Depression diagnostiziert,
01:28:03
die ihre Borderline-Erkrankung verstärkt hat.
01:28:05
Laut Urteil war bei ihr noch sozusagen
01:28:09
ein Rest des Steuerungsvermögens da.
01:28:11
Die hat ja auch zwei Stunden vor der Tat,
01:28:14
da ist sie ja so vor dem Sofa auf- und abgegangen
01:28:17
und hat das für und wieder in ihrem Kopf abgewogen.
01:28:19
Deshalb war Sira am Ende nicht komplett schuldunfähig,
01:28:22
sondern in Anführungszeichen eben nur
01:28:24
vermindert schuldfähig und musste dann
01:28:26
in ein psychiatrisches Krankenhaus.
01:28:28
Was Sira und Josefine übrigens verbindet,
01:28:32
und das ist eigentlich echt interessant,
01:28:33
ist das Vorkommen psychischer Erkrankung
01:28:35
in den Familien.
01:28:36
Weil auch bei Josefine war das so,
01:28:38
dass die nicht die erste aus der Familie war,
01:28:40
die mit der Psyche ein Problem hatte.
01:28:42
Ihr Vater und ihr Onkel,
01:28:43
die litten beide an Depressionen
01:28:45
und man weiß auch,
01:28:46
dass andere Verwandte von ihr wegen
01:28:47
verschiedener Symptome,
01:28:48
dass die auch schon in Behandlung deswegen waren.
01:28:51
Und das ist tatsächlich nicht ungewöhnlich.
01:28:53
Also in der Forschung heißt es,
01:28:54
dass das Risiko,
01:28:55
selbst eine psychische Erkrankung zu bekommen,
01:28:57
steigt, wenn man mit Eltern aufwächst,
01:28:59
die selbst betroffen sind.
01:29:01
Was noch zu einem erhöhten Risiko
01:29:03
für Wochenbettdepressionen führt,
01:29:05
ist, wenn die Betroffenen vorher Opfer
01:29:09
von sexueller, psychischer oder körperlicher Gewalt geworden sind.
01:29:12
Egal, ob jetzt während oder vor der Schwangerschaft.
01:29:16
Eine norwegische Studie hatte herausgefunden,
01:29:19
die von jemandem im Bekanntenkreis missbraucht wurden,
01:29:21
eine 80 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit haben,
01:29:24
an einer Wochenbettdepression zu erkranken.
01:29:25
Wenn der Missbrauch von einem Fremden ausging,
01:29:28
war die Wahrscheinlichkeit nur,
01:29:29
in Anführungsstrichen,
01:29:30
50 Prozent höher als bei Frauen,
01:29:33
die halt vorher keine Gewalt erlebt haben.
01:29:35
Und wenn ein kleines Baby stirbt,
01:29:37
dann spielt da ja jetzt nicht immer
01:29:39
eine psychische Erkrankung eine Rolle.
01:29:40
Es gibt zum Beispiel auch den plötzlichen Kindstod,
01:29:43
der in Ermittlungen,
01:29:44
bei denen es um tote Babys geht,
01:29:46
auch manchmal in Betracht gezogen wird.
01:29:48
Dabei hört ein Kind in der Regel
01:29:50
in seinem ersten Lebensjahr
01:29:52
ohne vorherige Anzeichen
01:29:53
einfach auf zu atmen.
01:29:54
Es ist also einfach plötzlich tot,
01:29:56
ohne dass es irgendeine Erklärung dafür gibt.
01:29:59
Also auch ohne, dass man bei der Abduktion
01:30:00
im Nachhinein irgendwas nachweisen kann.
01:30:02
Ein Fall, bei dem dieser Tod festgestellt wurde,
01:30:05
war einer aus Hessen.
01:30:06
Hier hat eine Frau 2004 und 2006
01:30:09
zwei Babys bekommen,
01:30:10
die schon kurz nach der Geburt
01:30:12
ohne ersichtlichen Grund gestorben sind.
01:30:15
Als die Frau dann 2009 noch mal schwanger wurde
01:30:17
und ihr Baby wieder nach wenigen Wochen starb,
01:30:19
wurde die Polizei aber skeptisch,
01:30:22
weil der plötzliche Kindstod
01:30:23
einfach generell selten auftritt
01:30:25
und es dann schon komisch ist,
01:30:27
wenn er gleich dreimal in derselben Familie vorkommt.
01:30:29
Deshalb wurden dann polizeiliche Ermittlungen eingeleitet
01:30:32
und es kam zum Prozess.
01:30:33
In dem hat die Frau dann auch gestanden,
01:30:35
dass sie nicht nur das letzte,
01:30:36
sondern alle drei Kinder mit einem Babytuch erstickt hat,
01:30:40
weil sie überfordert war.
01:30:41
Am Ende hat sie in zwei Fällen Totschlag
01:30:43
und in einem Fall Mord bekommen,
01:30:45
weil sie bei dem quasi extra gewartet hatte,
01:30:48
bis ihr Mann schlief, um ihr Kind zu töten.
01:30:52
Der Richter meinte dazu, Zitat,
01:30:53
sie fühlte sich durch das Schreien des Kindes gestört
01:30:56
und hat es abgeschaltet wie ein Radio.
01:30:58
Genau, also wie schon gesagt,
01:31:00
der plötzliche Kindstod, der kommt sehr selten vor
01:31:02
und tatsächlich wird er auch immer seltener.
01:31:05
Also in den 80er Jahren zum Beispiel
01:31:07
sind in Deutschland noch mehr als 1000 Kinder daran gestorben.
01:31:09
2020 gab es laut der Uniklinik in Bonn nur noch 84 Fälle
01:31:14
und trotzdem weiß man bis heute relativ wenig über das Phänomen.
01:31:20
Es gibt aber viele Erklärungsansätze in der Forschung,
01:31:22
aber davon ist jetzt noch keiner mit Sicherheit nachgewiesen worden.
01:31:25
Und weil man eben so wenig weiß,
01:31:27
ist das dann wiederum auch für die Polizei halt schwer,
01:31:30
den plötzlichen Kindstod als Ursache
01:31:32
bei dem Tod eines Kindes auszuschließen.
01:31:34
Ja, in dem Fall in Hessen
01:31:36
hat es ja dann drei Todesfälle in einer Familie gebraucht,
01:31:39
bis die Polizei dahinter gekommen ist.
01:31:41
Aber so besagt es auch das sogenannte Meadows Law,
01:31:44
das nach dem britischen Kinderarzt Roy Meadow benannt ist.
01:31:47
Der hat 1993 in Bezug auf den plötzlichen Kindstod
01:31:50
mal gesagt, einmal ist eine Tragödie,
01:31:52
das zweite Mal ist auffällig,
01:31:53
beim dritten Mal ist es Mord, wenn nicht das Gegenteil bewiesen wird.
01:31:57
Und diese Regel hat man auch im Prozess
01:31:59
gegen die Australierin Kathleen Volbig angewandt.
01:32:02
Ihr eigener Mann hatte sie damals nämlich bei der Polizei angezeigt,
01:32:06
weil jedes ihrer vier Kinder kurz nach der Geburt gestorben war.
01:32:09
2003 wurde Kathleen dann wegen Totschlags in einem Fall
01:32:13
und wegen Mordes in drei Fällen zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt.
01:32:17
Und sie hat aber selber immer bis zum Schluss auf ihre Unschuld gebrocht.
01:32:20
2013 wurde der Fall dann neu aufgerollt und weitere Gutachten und DNA-Untersuchungen in Auftrag gegeben.
01:32:27
Und es kam heraus, dass bei keinem der Kinderanzeichen auf einen Tötungsdruck vorlagen.
01:32:32
Und, und das ist noch viel wichtiger, dass Kathleen einen seltenen tödlichen Gendefekt hat,
01:32:38
der zumindest bei zwei dieser Kinder nachgewiesen werden konnte noch.
01:32:42
Und trotzdem hat es, nachdem man das wusste, noch mal zehn Jahre gedauert.
01:32:49
Also bis zum 5. Juni 23.
01:32:51
Das war ja gerade erst.
01:32:54
Also gerade erst, bis Kathleen begnadigt und freigelassen wurde.
01:33:02
Und an dem Fall kann man einfach so gut sehen,
01:33:04
dass diese Regel von drei Todesfällen in einer Familie
01:33:08
einfach an den Haaren herbeigezogen ist.
01:33:10
Also klar, vereinzelnd, so wie in Hessen, mag das stimmen, ne?
01:33:15
Die Frau hat den plötzlichen Kindstod ja dann auch quasi als Ausrede genutzt.
01:33:19
In ganz vielen Fällen hat das Meadows Law aber dazu geführt,
01:33:22
dass Frauen unschuldig in Haft kamen.
01:33:24
Denn Roy Meadow, dieser Kinderarzt,
01:33:26
wurde über die Jahre in über 100 Verfahren als Gutachter eingesetzt.
01:33:29
Manchmal hat er nicht mal mit den Frauen geredet,
01:33:32
sondern nur seine Regel da wiederholt.
01:33:35
Und in einem Fall meinte er,
01:33:36
dass die Wahrscheinlichkeit von zwei plötzlichen Kindstoden
01:33:39
innerhalb einer Familie 1 zu 73 Millionen wäre.
01:33:43
Das ist ja erst mal wenig, ne?
01:33:45
Da wurde aber dann das britische Amt für Statistik hellhörig.
01:33:48
Und schließlich kam raus,
01:33:49
dass Meadow überhaupt keine statistischen Beweise für diese Zahl hatte.
01:33:53
Und danach wurden alle Fälle,
01:33:55
in denen der als Gutachter eingesetzt wurde,
01:33:57
noch mal neu aufgerollt
01:33:58
und viele der Frauen dann auch freigesprochen.
01:34:02
Aber das waren halt jetzt auch nur Fälle in Großbritannien.
01:34:07
Die Regel ist aber auch in anderen Ländern bekannt.
01:34:10
Also ist nicht so richtig klar,
01:34:11
wie viele Frauen noch eigentlich aufgrund dieser Regel
01:34:14
und damit aufgrund von Meadow verurteilt wurden.
01:34:17
Halt so wie Kathleen aus Australien.
01:34:19
Und mittlerweile hat man auch herausgefunden,
01:34:21
dass ein bestimmtes Enzym
01:34:23
für den plötzlichen Kindstod verantwortlich sein könnte.
01:34:26
Und dieses Enzym,
01:34:27
das sollte nämlich eigentlich dafür sorgen,
01:34:28
dass ein Baby aufwacht,
01:34:30
wenn es im Schlaf aufhört zu atmen.
01:34:31
Durch dieses Wachwerden
01:34:34
würde dann halt die Atmung wieder einsetzen.
01:34:36
Aber bei Kindern,
01:34:37
die am plötzlichen Kindstod gestorben sind,
01:34:39
soll dieses Enzym aber in der Regel
01:34:41
viel weniger aktiv,
01:34:42
als bei anderen Babys gewesen sein.
01:34:44
Und deswegen sind sie dann halt nicht aufgewacht
01:34:46
und somit gestorben.
01:34:47
Ja, das ist halt das Problem,
01:34:48
dass man halt nicht sicher weiß,
01:34:50
Aber wenn ich mir vorstelle,
01:34:52
dass ich gerade ein Kind bekommen habe
01:34:54
und das stirbt dann plötzlich
01:34:56
ohne jede Vorwarnung.
01:34:57
Und dann habe ich noch eine Mordanklage am Hals
01:35:01
wegen dieses Arztes,
01:35:02
der so eine dumme Regel aufgestellt hat.
01:35:04
Also wie soll man sowas überhaupt durchstehen?
01:35:06
Ja, ja, ja, total.
01:35:08
Also ich finde es ehrlicherweise selbst erstaunlich,
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dass es darüber so wenig Erkenntnisse gibt.
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Nicht nur über den plötzlichen Kindstod,
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dass offenbar hier postpartale Psychosen und Depressionen
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so lange so ein Tabuthema waren.
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Obwohl es ja besonders da
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wirklich nicht so sein dürfte.
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Weil alle sind sich ja einig,
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Kinder und Schutzbedürftige,
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die muss man ganz besonders schützen.
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Aber die kann man halt nicht schützen,
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wenn man nicht sich um die Leute kümmert,
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die sich um diese Menschen kümmern.
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Und zum Glück ist das ja in den letzten Jahren
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ein bisschen besser geworden.
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Und vielleicht werden auch ein paar Leute
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durch diese Folge sensibilisiert.
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Und wir packen euch auf jeden Fall auch noch
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Hilfsangebote zu den Themen,
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die wir jetzt heute hier besprochen haben,
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in die Folgenbeschreibung.
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Und damit sind wir jetzt am Ende dieser Folge angekommen,
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die jetzt für uns auch in der Recherche
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nicht besonders einfach war.
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Ja, wir hören das ja auch immer wieder von Zuhörenden,
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dass sich viele schwerer damit tun,
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Fälle anzuhören,
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in denen Kinder eine Rolle spielen.
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Und deswegen, wenn ihr bis hierhin durchgehalten habt,
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Wir haben uns sehr viel Mühe mit dieser Folge gegeben.
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Und beim nächsten Mal geht es wieder ein bisschen anders hier zu.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Wohlers.
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Redaktion Isabel Mayer und wir.
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Schnitt Pauline Korb.