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#133 Ich hab’s getan

Mordlust
Wisst ihr, was sehr traurig ist?
Wenn man so gut befreundet ist wie Laura und ich
und der anderen Person dann zu Weihnachten
einfach einen Link schickt für einen Bademantel,
den man haben will
und die andere Person das dann einfach bestellt.
Also so wie ich das bei Laura gemacht habe.
Ja, oder wenn man sich wie Paulina selbst
den Wäschekorb kauft, den man will
und die andere Person, also in dem Fall ich,
ihr dann einfach das Geld überweist.
Muss aber sagen, dass ich immer schön an dich denke,
wenn ich meine schmuddeligen Shirts da reinwerfe.
Das macht mir große Freude.
Was wir eigentlich sagen wollen,
seid nicht wie wir.
Schenkt euch was Tolles dieses Jahr zu Weihnachten.
Schenkt euch etwas vielleicht,
was mit eurem gemeinsamen Hobby zu tun hat.
Nämlich Mordlust-Merch zum Beispiel.
Wo wir zufälligerweise heute eine neue Kollektion gedroppt haben.
Mit Sachen, die sehr gut unter den Weihnachtsbaum passen.
Und wenn ihr das jetzt bestellt,
dann spart ihr euch den Stress rund um Weihnachten.
Und wir haben diesmal auch was Neues dabei.
Erstmal gibt es wie immer die nicht despektierlich gemeint T-Shirts.
Und dann das gleiche auch nochmal als Pulli in schwarz und hellblau.
Dann gibt es den Hoodie in Grau.
Auch mit nicht despektierlich gemeint Aufdruck hinten am Rücken.
Dann gibt es Socken und endlich auch wieder Tassen.
Jesus Maria.
Das hat lange gedauert.
Und neu dabei ist ein Partner in Crime-Pulli in so Sandfarben.
Ihr wisst ja mittlerweile, wie das bei uns abläuft.
Ihr bestellt die Sachen vor.
Danach gehen die in die Produktion und sind dann aber pünktlich zu Weihnachten bei euch.
Und damit wir das auch einhalten können,
könnt ihr nur von heute bis zum 12. November um 23.59 Uhr vorbestellen.
Genau, vergesst das also nicht.
Am besten, ihr macht es gleich.
Denn wenn diese Zeit abgelaufen ist,
dann können wir nicht noch mehr in Auftrag geben.
Und das könnt ihr tun auf www.partnerincrime.shop.
Den Link dazu packen wir euch auch nochmal in die Folgenbeschreibung.
Und mein persönlicher Favorit diesmal ist dieser neue Partner in Crime-Pulli.
Und obwohl die ja eh größer ausfallen bei Unisex,
trage ich den am liebsten in XL.
Also zu Hause trage ich wirklich nur noch das, wenn niemand zuguckt.
Und mein Lieblingsteil ist und bleibt der hellblaue, nicht respektierlich gemeint Pulli,
den ich auch zu Hause gefühlt nonstop anhabe,
auch in externen Calls bei der Arbeit.
Obwohl ich eigentlich Leute ganz, ganz schlimm finde,
die ihren eigenen Merch tragen und das eigentlich auch total uncool finde.
Nein.
Hä, wieso, wenn wir das nicht tragen, wer denn dann sonst?
Also wenn wir, nee, nee, Laura.
Nee, aber wenn du jetzt eine Band siehst
und die Person von der Band hat den eigenen Merch an.
Also, das finde ich uncool.
Nee, ich finde, das spricht dann für das Material.
Und da, also, nee, da gehe ich wirklich überhaupt nicht mit.
Vor allem auch deshalb, weil ich diese Mordlustsocken einfach nonstop anziehe.
Also, wie gesagt, bestellt bis zum 12. November vor
und dann habt ihr das ideale Weihnachtsgeschenk.
Und jetzt geht's los mit der Folge und einem Oberthema,
bei welchem wir mal ganz genau auf die Ermittlungsarbeit der Polizei schauen.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema,
zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Wir sprechen hier über True Crime, also auch immer über die Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch,
selbst wenn wir hier zwischendurch mal ein bisschen lockerer miteinander sprechen.
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief,
aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
In den 90er Jahren saß in Schweden ein 42 Jahre alter Mann in einer forensischen Psychiatrie.
Er hatte eine dissoziative Identitätsstörung,
war süchtig nach Amphetamin und ist bereits gewalttätig geworden.
In seiner Vergangenheit hat er vier Jungen sexuell belästigt,
einen Mann auf der Straße niedergestochen und eine Bank überfallen.
Der Mann hat also damals schon alles andere als eine weiße Weste
und trotzdem soll er bald aus der Klinik entlassen werden.
Doch dann sagt er den PflegerInnen etwas, was bisher niemand geahnt hat.
Und zwar, dass er auch schon Kinder vergewaltigt und mehrere Menschen ermordet hat.
Unter den Taten, die er gesteht, sind mehrere bisher nicht aufgeklärte Vermisstenfälle und Cold Cases,
die teilweise schon jahrelang zurückliegen.
Er sagt, er hat seine Opfer verschleppt, getötet, zerstückelt und sogar Teile von ihnen gegessen.
Insgesamt 33 Mal hat er gemordet, sagt er.
Damit wird er einer von Schwedens meist gefürchteten Serienmördern
und noch dazu ein ganz schön gewiefter, weil bisher wurde kein einziger Mord mit ihm in Verbindung gebracht.
Aber dank seiner Geständnisse wurde er in sechs Prozessen wegen acht verschiedenen Tötungsdelikten verurteilt.
Die Freilassung, die ja kurz bevor stand, war damit natürlich vom Tisch.
Und der Mann blieb in der forensischen Psychiatrie, bis ihn irgendwann ein Journalist aufgesucht hat.
Und genau dieser Journalist stellt den Fall nochmal von Grund auf auf den Kopf.
Womit sich dann auch für den mittlerweile 63-jährigen verurteilten Mörder alles verändert.
Worum es da genau geht, erzählen wir später.
Vorher gibt es jetzt erstmal meinen Fall, in dem ebenfalls das Auftauchen eines Mannes, der nach der Wahrheit sucht,
dazu führt, dass ein Cold Case nochmal eine völlig neue Wendung bekommt.
Mein Fall zeigt, dass die Wahrheit manchmal verborgen bleibt, egal wie verzweifelt nach ihr gesucht wird.
Alle Namen habe ich geändert.
Die Landschaft in Schleswig-Holstein ist vom Wattenmeer und von grünen Wiesen geprägt.
Wälder gibt es hier im Vergleich zum Rest von Deutschland nur wenige,
doch in einem von ihnen tragen sich in den 80er Jahren seltsame Dinge zu.
Ein Mann reißt sich hier zwischen trüben Moorn und meterhohen Bäumen die Klamotten vom Leib.
Sein Körper verlässt dann seine normale Form.
Er wird zum Wolf, der wütend und auf allen Vieren über den vom Laub bedeckten Boden rennt.
Er ist nicht mehr Herr seiner Sinne.
Niemand ist in diesem Zustand vor ihm sicher.
Auch nicht die, die er liebt.
März 1986.
Luise ist 22 Jahre alt und gerade frisch von Berlin in die kleine Stadt Reensburg gezogen.
Der Ort liegt unweit von Kiel und direkt am Nordostseekanal.
Die Natur steht im Kontrast zum Großstadt-Trubel, in dem sie bisher gelebt hat.
So rastlos wie ihr Wohnort war auch Luises Leben von Kindheit an.
Als sie klein ist, wird sie von ihrer Mutter vernachlässigt.
Mit zwei Jahren kommt Luise in ein Heim.
Die Förderschule verlässt sie ohne Abschluss.
Mit 19 wird sie schwanger, doch die Beziehung zum Vater ihres Kindes hält nicht lang.
Luise wohnt in einem Mutterkindheim, als ihr kleiner Sohn Justin im Dezember 1983 zur Welt kommt.
Hier versucht sie sich mithilfe der BetreuerInnen im Heim so gut um ihr Baby zu kümmern, wie sie kann.
Aber das Muttersein fällt ihr schwer.
Denn Luise hat mehrere Behinderungen, aufgrund derer der Alltag für sie manchmal zur Herausforderung wird.
Eine Fehlhaltung der Wirbelsäule sowie ein Hüftschaden äußern sich in einem Gehfehler, der ihre Beweglichkeit einschränkt.
Außerdem liegt ihr IQ deutlich unter dem Durchschnittswert.
Im Heim fordert sie deshalb stark die Hilfe und Aufmerksamkeit ihrer BetreuerInnen ein.
Sie kann sich nicht in die Gruppe einfügen, sondern fokussiert sich auf einzelne Personen.
Wenn sie nicht genug Zeit für sie haben, dann wird sie wütend, manchmal sogar aggressiv.
Je älter Justin wird, desto offensichtlicher wird auch, dass seine Mutter ihm nicht gerecht werden kann.
Es bereitet ihr Schwierigkeiten, mit ihrem Kind zu spielen oder ihm Regeln aufzustellen.
Deshalb wird der Kleine mit zweieinhalb Jahren bei Pflegeeltern untergebracht,
während Luise vier Autostunden entfernt nach Rendsburg in eine neue betreute Wohneinrichtung zieht.
Alle paar Monate besucht sie jetzt ihren Sohn und dessen neue Familie in Berlin.
Luise kann die neue Wohneinrichtung in der norddeutschen Kleinstadt schon schnell ihre Heimat nennen.
Zuerst klammert sie sich zwar wieder an bestimmte Bezugspersonen wie in Berlin,
je länger sie aber in ihrem Umfeld lebt, desto mehr öffnet sie sich.
Ihre Aggressivität nimmt ab.
Stattdessen lernt sie langsam, sich anzupassen.
Im Mai 1987, als sie ein gutes Jahr in Rendsburg wohnt, beginnt sie, ihr eigenes Geld zu verdienen.
Sie arbeitet von da an in einer Holzwerkstatt für Menschen mit Behinderung.
Hier zwischen Hobel und Holzspähen lernt Luise Raban kennen.
Ihm wurde ebenfalls eine Intelligenzminderung attestiert
und die anderen in der Werkstatt machen sich über ihn lustig,
weil er einen langen Bart trägt und seine Klamotten selten wechselt.
Luise findet ihn aber toll, er ist ein Jahr älter und belesen.
Bei der Arbeit kommen die beiden ins Gespräch.
Bei Treffen in der Freizeit lernen sie sich besser kennen und bald darauf werden sie ein Paar.
Raban wohnt mit seinem Vater und seinem Bruder in einem großen Haus mit Hof,
in das er Luise ab und zu einlädt.
Sie unternehmen aber auch viel in der Natur.
Fahrradtouren über die Felder, Spaziergänge durch den Wald, oft haben sie Sex im Freien.
Luise findet Raban gut, nur lässt sie das wieder in ihre alten Muster zurückkehren.
Sie klammert, will die ganze Zeit bei ihm sein, was Raban nervt.
Oft kommt es deshalb zum Streit, kurze Zeit später folgt die Versöhnung.
Ein Jahr lang ist die Beziehung von einem ständigen Hin und Her geprägt.
Eigentlich ist sich Luise aber sicher, dass sie nur mit Raban ihre Zukunft verbringen will.
Sie hat sogar einen Plan, den sie ihm vorschlägt.
Sie möchte, dass er seinen Vater ins Pflegeheim schickt und Raban dann den Hof, auf dem er jetzt lebt, übernimmt.
Dann könne sie mit ihrem Sohn Justin, den sie aus der Pflegefamilie holen will, bei ihm einziehen.
Wie eine richtige kleine Familie.
Doch Raban denkt gar nicht daran, seinen Vater aus dem Haus zu werfen.
Er findet den Vorschlag, den Luise ihm da unterbreitet, unmöglich.
Außerdem möchte er gar nicht mit ihr zusammenziehen, sondern die Beziehung beenden.
Und diesmal endgültig.
Für Luise bricht eine Welt zusammen.
Sie braucht seine Aufmerksamkeit und seine Nähe.
Die sucht sie deshalb auf der gemeinsamen Arbeitsstelle nun noch mehr als zuvor.
Doch ihr Drängen bewirkt das Gegenteil.
Er ist so genervt davon, dass Luise ihm hinterherläuft, dass er sich im Juni 1989,
gute zwei Jahre nachdem sie sich in der Werkstatt kennengelernt haben,
auf eigenen Wunsch in einen anderen Bereich versetzen lässt.
Eigentlich ein klarer Schlussstrich, nur bleibt er in seiner Entscheidung nicht konsequent.
Ab und zu hat Luise mit ihren Versuchen, ihren Ex-Freund zurückzugewinnen, noch Erfolg.
Dann treffen sich die zwei und haben auch Sex.
Am 7. Juli 1989 ist es heiß im Norden Deutschlands.
Es ist Freitag und Luise steht ein sonniges Wochenende bevor, als sie von der Arbeit nach Hause kommt.
Am morgigen Samstag will sie zu ihrem Sohn Justin nach Berlin fahren, der mittlerweile sechs Jahre alt ist.
Der heutige Sommerabend gehört aber nur ihr und sie möchte ihn nicht zu Hause verbringen.
Stattdessen packt sie ihren Badeanzug, ein Handtuch, Sonnencreme und etwas zu trinken in ihre Umhängetasche
und gibt ihren BetreuerInnen Bescheid, dass sie ins Freibad radle und spätestens gegen 22 Uhr zurück sei.
Dann schmeißt sie sich die Tasche über die Schulter und fährt davon.
Es ist das letzte Mal, dass die Menschen in ihrer Wohnanlage Luise lebend sehen.
Denn sie kommt nicht mehr zurück.
Nicht um 22 Uhr und nicht am nächsten Morgen.
Zuerst gehen die BetreuerInnen davon aus, dass die 25-Jährige vielleicht frühzeitig nach Berlin gefahren ist.
Ein Blick in ihr Zimmer legt aber eine schlimmere Vermutung nahe.
Luises Koffer, ihr Rucksack und ihr Geldbeutel sind noch dort.
Ohne das wäre sie nie weggefahren.
Langsam dämmert den BetreuerInnen, dass ihr etwas passiert sein könnte.
Trotzdem hat man es nicht eilig, Maßnahmen einzuleiten.
Erst am 10. Juli, also drei Tage nach Luises Verschwinden, geht bei der Polizei eine Vermisstenmeldung ein.
Die BeamtInnen beginnen sofort mit den Ermittlungen und befragen die Menschen im Umfeld der jungen Frau.
Dabei fällt immer wieder Rabans Name, Luises Ex-Freund.
Diejenigen, die mit den beiden in der Werkstatt arbeiten, beschreiben ihn als Eigenbrötler.
Manche nennen ihn sogar einen Waldschrat und machen sich darüber lustig,
dass er wie einer dieser unschönen Naturgeister im Mord umhergehen und in Erdlöchern hausen würde.
Hä?
Den PolizeibeamtInnen kommt auch zu Ohren, dass Raban manchmal eine brutale Ausdrucksweise an den Tag legt.
Wenn der mich nochmal nervt, bringe ich ihn um, soll er bereits gerufen haben,
als er sich von jemandem in seinem Umfeld gestört gefühlt hat.
Auf die Frage, ob er wisse, wo Luise sei, habe er seit ihrem Verschwinden mehrfach geantwortet.
Die habe ich weggemacht.
Als die Polizei ihn im Rahmen einer Vernehmung damit konfrontiert,
behauptet er, dass er damit die Trennung von Luise gemeint hat.
Mit ihrem Verschwinden habe er nichts zu tun.
Rabiates Vokabular allein kann keinen Tatverdacht gegen Raban begründen
und ansonsten ist der junge Mann nicht weiter auffällig.
Und so kommt es nicht zu Ermittlungen gegen ihn, aber auch nicht gegen jemand anderem.
Trotz der polizeilichen Suche gibt es keinen einzigen Hinweis auf Luises Verbleib.
Keine Leiche, kein Fahrrad, keine Spur, nichts.
Erst im Dezember, fünf Monate nach ihrem Verschwinden, kommt eine Zeugin auf die Wache, die Angaben zu dem Fall machen möchte.
Sie sagt, dass sie Raban nach Luises Verschwinden mit deren Fahrrad gesehen hat.
Als sie ihn darauf angesprochen habe, habe er ihr gedroht, dass sie rüber auf die Koppel komme, so wie Linda, wenn sie nicht spure.
Die Zeugin geht davon aus, dass er statt Linda Luise sagen wollte, rudert dann aber sofort zurück.
Eigentlich kann sie sich gar nicht vorstellen, dass Raban Luise etwas angetan hat, sagt sie.
Als die PolizistInnen ihr ein Bild von Luises Fahrrad vorlegen, meint sie, dass sie so ein Rad noch nie gesehen habe.
Damit untergräbt sie innerhalb von Minuten ihre gesamte Glaubwürdigkeit.
Von ihrer Aussage bleibt nichts übrig, außer, dass sie Raban gesehen hat, der irgendein Fahrrad auf den Schrottplatz gebracht hat.
Kein Grund, um Ermittlungen gegen ihn einzuleiten.
Und wer ist Linda jetzt?
Das wissen wir nicht.
Okay, sie hat einfach Linda gesagt.
Naja, oder er hat Linda gesagt und dann weiß sie aber nicht, wer Linda ist.
Also, finde ich am Ende auch eine seltsame Drohung, wenn mir jemand sagen würde, ich komme über die Koppel.
Was soll das heißen?
Was sagt man da zurück?
So, pass auf, dass ich dir nicht vorher die Hufe auskratze oder was?
Ja, das hört sich irgendwie alles sehr wöhr an.
Ländlich auch.
Solche Beleidigungen verstehen Stadtkinder nicht.
Naja, auf jeden Fall verläuft auch dieser Hinweis und damit die letzte Hoffnung auf Aufklärung im Fall Luise ins Nichts.
Die junge Frau bleibt wie vom Erdboden verschluckt.
Einige Monate später wird ihre Vermisstenakte mit vielen Fragen und kaum Antworten geschlossen und im Archiv verstaut.
Luises Sohn muss nun endgültig ohne seine leibliche Mutter aufwachsen.
16 Jahre später fährt ein Mann namens Michael zur Wohnung eines Freundes.
In seinem Auto hat er einen gebrauchten Fernseher.
Eines von mehreren Geschenken, das er seinem Kumpel in den letzten Wochen mitgebracht hat.
Als er nun vor der Mietwohnung ankommt, öffnet der 42-Jährige ihm die Tür.
Es ist Raban, den Michael vor kurzem kennengelernt hat.
Viele ihrer Interessen überschneiden sich, deshalb haben sie sich schnell angefreundet.
Rabans Traum ist es, die verschollene Kriegskasse des böhmischen Feldherrn Wallenstein zu finden.
Wo will er das finden?
Im Wald?
Okay.
Er sucht danach im Wald, das ist sein Traum.
Und er weiß alles über den ehemaligen Fürsten und erzählt Michael viel davon.
Michael ist der Erste, der ihm dann interessiert zuhört.
Die beiden können sich auf Augenhöhe unterhalten.
Eine Art von Austausch, die Raban in seinem Alltag nur selten erlebt.
Denn Raban hat bereits unzählige Aufenthalte in Psychiatrien hinter sich.
So richtig helfen konnte ihm aber niemand.
Er leidet zeitweise unter Angstzuständen und einem Verfolgungswahn.
Mal wird ihm deshalb eine Psychose attestiert, mal ist von einer paranoiden Schizophrenie die Rede.
Nur in einem Punkt sind sich alle einig.
Raban hat eine geistige Behinderung.
Deshalb wurde er schon vor Jahren von einem Amtsgericht entmündigt und arbeitet noch immer in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
Dort fühle er sich manchmal, als müsse er sich dümmer stellen, als er wirklich ist, sagt der 42-Jährige einmal zu Michael.
Ihm fehlt ein Freund, mit dem er sich über die Bücher, die er liest und die Filme, die er sieht, unterhalten kann.
Und den hat er jetzt in Michael gefunden.
Der begleitet ihn sogar in den Wald.
Und zwischen dem Rascheln der Bäume und dem Knacken der Äste sprechen die beiden über Dämonen, Geister und Wallenstein,
aber auch darüber, wie man Leichen im Moor verschwinden lassen kann.
In dem Zusammenhang kommt Michael auf Luise zu sprechen.
Er hat von dem Fall gehört, sagt er, und ist interessiert, als Raban erwähnt, dass er Luise gut kannte.
Mehrfach will Michael in den kommenden Monaten wissen, was damals passiert ist.
Das weiß er nicht, sagt Raban immer wieder.
Am 18. Juli 2006, acht Monate, nachdem sich die beiden Männer kennengelernt haben, streifen sie erneut durch den Wald.
Raban hat bereits viel getrunken, als Michael nochmal auf Luise und ihr Verschwinden zu sprechen kommt.
Erneut sagt Raban, dass er darüber nichts weiß.
Und diesmal wird Michael darüber plötzlich sauer.
Er nehme ihm seine Unwissenheit nicht ab, sagt er.
Michael ist sich sicher, dass Raban etwas mit Luises Verschwinden zu tun hat.
Sag es, ruft er.
Gib es zu.
Sonst will er, Michael, nichts mehr mit Raban zu tun haben.
Der ist perplex.
Aber wir sind doch Freunde, sagt er.
Er hat nichts mit der Sache zu tun.
Doch Michael lässt nicht locker, bis die beiden schließlich im Streit auseinander gehen.
Am nächsten Tag steht die Polizei vor Rabans Haustür.
Ausgerechnet jetzt wollen sie ihn erneut zu dem Fall befragen, der bereits 17 Jahre zurückliegt.
Weil Raban bereits einiges an Alkohol getrunken hat, soll es sich nicht um eine offizielle, protokollierte
Vernehmung handeln, sagen die BeamtInnen, sondern nur um ein Gespräch.
Auch ein Betreuer für Menschen mit Behinderung und sein Freund Michael sind anwesend.
Warum, das weiß Raban noch nicht.
Aber er ist froh um die bekannten Gesichter.
Auch wenn er und Michael sich noch nicht wieder versöhnt haben.
Dafür bleibt jetzt auch keine Zeit.
Denn Raban muss der Polizei Frage und Antwort stehen.
Fünf Stunden dauert das Gespräch an.
Die BeamtInnen sprechen immer wieder von Luise und davon, was mit ihr passiert sein könnte.
Raban versichert immer wieder, dass er das nicht wisse.
Wirklich nicht.
Bis sie ihn schließlich fragen, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass nicht er, sondern
ein anderer Teil von ihm Luise getötet habe.
Raban wird still.
Das ist vielleicht möglich, sagt er schließlich.
Denn damals, vor fast 20 Jahren, habe es begonnen.
Ab da sei ab und zu sein böses Ich zum Vorschein gekommen.
Dann habe sich sein Körper verändert und er sei zum Wolf mutiert, wenn er wütend war.
Er habe sich nackt ausgezogen und sei auf allen Vieren im Wald umhergelaufen.
Auf Luise war er in der Zeit oft wütend, sagt er zu den PolizistInnen.
Dann sieht er unvermittelt seinen Freund Michael an und sagt, ich habe sie umgebracht.
Es ist die Wende im Fall, auf die die Polizei gehofft hat.
Raban gibt nun zu, dass er Luise etwas angetan hat.
Er ist also dringend tatverdächtig.
Das Problem ist nur, er sagt, dass er sich nicht erinnere, was genau passiert sei.
Die Ermitteln wollen ihm auf die Sprünge helfen.
Sie fahren mit ihm in den Wald, in dem er nach eigener Aussage zum Wolf geworden ist.
Der Todeswald, wie er ihn nennt.
Und tatsächlich, plötzlich, dreht er sich zu ihnen um und sagt, dass der Wolf ihm gerade mitgeteilt habe, wo er Luise getötet hat.
Raban geht voraus und führt die BeamtInnen in einen Abschnitt des Waldes nahe einer Bundesstraße.
Hier soll es passiert sein, sagt Raban und beginnt zu erzählen.
An dem sonnigen Freitag im Juli 1989 kommt Luise mit ihrem bronzefarbenen Damenrat bei ihm an.
Sie will noch einmal mit ihm reden, ihn zurückgewinnen.
Raban hat zwar kein Interesse daran, ihre Beziehung aufzuwehren, trotzdem lässt er sich auf ein Gespräch ein.
Die beiden gehen in den Wald.
Luise sagt ihm, dass sie noch immer an eine gemeinsame Zukunft glaubt.
Sie will mit ihrem Sohn bei ihm einziehen, auch wenn sein Vater dort wohnen bleibt.
Unter der Buche im Wald wollen Raban und Luise schließlich miteinander schlafen.
Sie zieht sich aus und dreht sich um, während er von hinten in sie eindringt.
Körperlich sind sie sich nun wieder ganz nah.
Emotional ist Raban aber meilenweit von Luise entfernt.
Er ist immer noch wütend auf sie.
So wütend, dass der Wolf übernimmt.
Der rollt während des Geschlechtsverkehrs einige Münzen in ein Halstuch und legt es Luise,
die ihm noch immer den Rücken zugewendet hat, von hinten um den Hals.
Dann zieht er fest zu, bis die junge Frau verzweifelt nach Luft schnappt.
Anschließend legt er seine Hände um Luises Kopf und bricht ihr das Genick.
Ihr Körper fällt schlaff auf den Waldboden.
Luise ist tot.
Der Wolf hat sie umgebracht.
Um seine Tat zu verstecken, schleppt er ihre Leiche zu einer alten Buche am Waldrand.
Dort gräbt er mit seinen eigenen Händen eine tiefe Kuhle, in der Luise jahrelang verschwindet.
Erst einige Jahre später, als der Wolf ein weiteres Mal von ihm Besitz ergreift, kommt Raban zurück, um die Knochen auszugraben.
Er breitet ihr Skelett auf einem Baumstumpf aus und zertrümmert es mit einem Stein zu kleinen Scherben,
die er anschließend in Schutthaufen und Containern auf dem Gelände eines nahegelegenen Kieswerks verteilt.
Nur zwei künstliche Hüftgelenke aus Metall bleiben übrig.
Die habe er gesondert entsorgt, gesteht Raban den Beamtinnen.
Das Fahrrad bringt er ebenfalls auf den Schrottplatz.
Im Sommer 89 kommt der 26-Jährige mit dem grausamen Verbrechen davon.
Jetzt, 17 Jahre später, klicken die Handschellen um Rabans Handgelenke.
Und seine Verhaftung verbuchen nicht nur die PolizistInnen in Uniform als Ermittlungserfolg,
sondern allen voran auch Michael.
Denn er ist Teil eines Plans, der lange anberaumt war.
Rückblick ins Jahr zuvor.
Bei Routineuntersuchungen fällt den BeamtInnen auf dem Weg erneut die vermissten Akte
von Luise in die Hände.
Beim Durchsehen bleiben sie an der Aussage der Zeugen hängen,
die damals angab, Raban mit Luises Rad gesehen zu haben.
Die BeamtInnen wollen jetzt, 16 Jahre später, noch einmal mit ihr sprechen.
Vielleicht kann sie ihnen ja doch weiterhelfen.
Und tatsächlich, die Frau ist sich in der Zwischenzeit sicher,
dass sie Raban und Luise am Tag ihres Verschwindens vor dem Haus von Raban gesehen hat.
Dort hätten sie ihre Räder im Fahrradschuppen abgestellt.
Sie erinnert sich vor allem an das breite Lachen, das Luise auf den Lippen hatte.
Später habe sie Raban dabei beobachtet, wie er Luises Fahrrad auf den angrenzenden
Schrottplatz gebracht hat.
Aufgrund der neuen Erkenntnisse nimmt die Polizei die Ermittlungen wieder auf.
Doch statt Raban erneut zu vernehmen, greifen die BeamtInnen zu einer weniger offensichtlichen
Methode.
Ein verdeckter Ermittler mit dem Decknamen Michael soll sich mit Raban anfreunden.
Man hofft, dass der Mann nicht nur Rabans Vertrauen gewinnen, sondern ihm auch die Wahrheit
über Luises Verschwinden entlocken kann.
Im November 2005 kommt Michael Raban deshalb auf seiner Arbeitsstelle näher.
Aus den Polizeiakten weiß er, welche Interessen Raban hat und wie er ihn für sich begeistern
kann.
Darüber hinaus bringt er ihm Geschenke wie Bücher oder einen gebrauchten Fernseher mit.
So dauert es nicht lange, bis sich Raban seinem vermeintlichen neuen Freund öffnet und
ihn ins Herz schließt.
Jetzt, acht Monate später, hat sich die Mühe ausgezahlt.
Die Polizei hat das Geständnis des Tatverdächtigen in der Tasche und Michael kann seine Tarnung
aufgeben.
Als Raban erfährt, was der eigentliche Grund für Michaels Interesse an ihm war, ist er
tief enttäuscht.
Er hat nicht nur seine Freiheit, sondern auch den einzigen Freund verloren, den er je hatte.
Im November 2009, mehr als drei Jahre nach seinem Geständnis, wird Raban in einen Saal
des Landgerichts Kiel geführt.
Als er auf der Anklagebank neben seinem Verteidiger Platz nimmt, trägt er sein Haar kurz und unter
seinem blau-grauen Pullover schaut ein karierter Hemdkragen hervor.
Dem 46-Jährigen wird heimtückischer Mord vorgeworfen.
Ihm das Verbrechen nachzuweisen dürfte ein leichtes sein, schließlich hat Raban selbst
umfassend gestanden.
Und zwar nicht nur vor der Polizei, sondern auch vor dem psychiatrischen Sachverständigen,
mit dem er stundenlang gesprochen hat.
Der Experte sollte in erster Linie Rabans Schuldfähigkeit untersuchen.
Schließlich wurden Ermittlungsverfahren gegen ihn in der Vergangenheit aufgrund seiner
Intelligenzminderung häufig eingestellt.
Die Diagnose, die der Gutachter nun vor Gericht erläutert, kommt daher für alle Anwesenden
überraschend.
Der Sachverständige attestiert dem Angeklagten einen Intelligenzquotienten von 100.
Damit ist Raban nicht weniger intelligent als der Durchschnitt und die geistige Behinderung,
die ihm jahrelang aufgrund seines vermeintlich niedrigen IQs zugeschrieben wurde, eine völlige
Fehleinschätzung.
Raban kann schnell denken, ist eloquent und hat ein gutes Gedächtnis, sagt der Experte.
Doch das ist noch nicht alles.
Auch im Hinblick auf die attestierten Persönlichkeitsstörungen, die Raban haben soll, ist der Gutachter
skeptisch.
Die früheren Diagnosen kämen aus einer Zeit, in der mentale Krankheiten häufig vorschnell
beurteilt und dann nie wieder hinterfragt worden waren, sagt der Gutachter vor Gericht.
Er attestiert Raban weder eine Psychose noch eine Schizophrenie, sondern eine ausgeprägte
Borderline-Störung mit gelegentlichen psychotischen Entgleisungen.
Das macht er an Rabans polarisierendem und affektivem Verhalten fest.
Weiterhin führt der Psychiater aus, dass sich Rabans Persönlichkeitsstörungen aufgrund
eines instabilen Elternhauses schon früh entwickelt habe.
Er sei emotional und sozial gestört und kaum konflikt- oder gruppenfähig, weshalb es ihm
schwerfalle Beziehungen aufzubauen.
Deshalb wirke er auf seine Mitmenschen oft eigenbrüttlerisch.
Eigentlich habe Raban aber ein Bedürfnis nach Nähe und außerdem den Wunsch, in Gruppen
dazuzugehören.
Es sei ihm wichtig, klug zu wirken und anerkannt zu werden.
Außerdem habe er riesige Verlustängste und könne schlecht mit seinen Emotionen umgehen.
Wenn die ihn übermannen, schüttet Raban Alkohol in sich hinein.
Der Rausch beruhigt ihn und verschafft ihm ein größeres Selbstwertgefühl.
Es liegt auf der Hand, dass Rabans Verlustängste im vergangenen Jahr nur schlimmer geworden
sind.
Schließlich hat er mit seinem Geständnis den einzigen Menschen verloren, der ihm seit
langem nahe kommen konnte.
Michael.
Sein vermeintlicher Freund, der ihn letztlich nur benutzt hat.
Die einseitige Männerfreundschaft ist es auch, die Rabans Verteidiger jetzt vor Gericht
scharf kritisiert.
Die Art und Weise, wie die Polizei sich das Geständnis seines Mandanten beschafft hat, gehe
gegen jegliche Vorschrift einer sauberen polizeilichen Befragung.
Er kann beim besten Willen nicht verstehen, warum die Staatsanwaltschaft unter solchen Umständen
überhaupt Anklage gegen Raban erhoben hat, dem der Prozess sichtlich nahe geht.
Raban bricht immer wieder vor Erschöpfung zusammen, weil die lebenslange Freiheitsstrafe wie ein
Damoklesschwert über ihm hängt.
Und das vor allem auch aus einem bestimmten Grund.
Sein Mandant sei eigentlich unschuldig.
Rabans Verteidiger geht fest davon aus, dass er die Tat gar nicht begangen habe.
Er habe sich fälschlicherweise der Tat schuldig bekannt.
Um das zu beweisen, hat der Verteidiger die Meinung einer Rechtspsychologin eingeholt, die
Rabans Geständnis auf seinen Wahrheitsgehalt untersucht hat.
Sie ist zum Schluss gekommen, dass Raban mit hoher Wahrscheinlichkeit ein falsches Geständnis
abgelegt hat.
Zum Beispiel, weil er in der fünfstündigen polizeilichen Befragung unter einem enormen
Druck gestanden haben muss.
Jetzt, wo die Aussagen der Expertin vorliegen, entscheidet das Gericht, eine weitere unabhängige
Meinung einzuholen.
Also wird die Verhandlung unterbrochen und ein weiterer Gutachter beauftragt, der Rabans
Geständnis dahingehend überprüfen soll, ob es erlebnisbasiert, also wahr ist.
Zwei Monate vergehen, bevor Rechtspsychologe Professor Könken im Januar 2010 in den ZeugInnen
stand tritt.
Aufgrund der Gespräche, die er mit Raban geführt hat, hat er ein Gutachten angefertigt, das
weit über die Aussagepsychologie von Rabans Geständnis hinausgeht.
Auch Könken hat den Eindruck, dass Raban dringend nach Anerkennung trachtet.
Im Gespräch mit ihm habe der Angeklagte wie ein Wasserfall geredet und unglaubliche Geschichten
erzählt, um sich selbst in ein gutes Licht zu rücken.
Zum Beispiel, dass er mehr als tausend Bücher in verschiedenen Sprachen besitze und die
hebräische Bibel lesen könne.
Oder, dass er einmal, Zitat, einen Junkie eigenständig erschlagen habe.
Keine dieser Geschichten scheint wahr zu sein, sagt Könken.
Er ist sich sicher, dass Raban sie erzählt hat, weil er dem Gutachter imponieren wolle.
Und genauso hat es sich laut dem Gutachter mit Michael verhalten.
Als der in sein Leben getreten ist, sei für Raban die Sonne aufgegangen, sagt der Psychologe.
Raban, der sich jahrelang einsam fühlte und dem es vor allem an menschlicher Interaktion
fehlte, habe endlich jemanden gehabt, mit dem er sich auf Augenhöhe unterhalten konnte.
Auch deshalb habe er sich Michael schnell geöffnet.
Er habe aber auch schnell gemerkt, dass der neue Freund ihm besonders dann aufmerksam zuhört,
wenn sie über Mord, Totschlag und über Luise sprechen.
In den Protokollen der Polizei ist vermerkt, dass der verdeckte Ermittler ununterbrochen bezüglich
des Vermisstenfalls nachgefragt hat.
Raban habe trotzdem monatelang geleugnet, etwas mit ihrem Verschwinden zu tun zu haben, sagt Könken.
Aber je häufiger Michael ihn gefragt habe, desto unsicherer sei sich Raban geworden.
Bei dem Weitspaziergang im Juli 2006, als Michael Raban vorgeworfen hat, ihn belogen zu haben,
habe sich die Situation für Raban zugespitzt.
Er wollte Michael nicht verlieren.
Bei der Polizei habe sich der Druck sogar noch weiter erhöht.
Auch dort gaben sich die Beamtinnen fünf Stunden lang nicht damit zufrieden,
dass er weiter leugnete, Luise etwas angetan zu haben.
Schließlich bot man ihm sogar eine Geschichte an, die alles erklärt.
Könnte es nicht vielleicht sein, dass ein anderer Teil von Raban Luise getötet hat,
fragt man ihn damals.
Da knickt Raban ein.
Ein anderer Teil.
Ein böses Ich.
Fast wie ein Werwolf, der einen nachts übermannt
und man sich danach dann nicht mehr an die grauenhaften Taten erinnern kann,
die er in tierischer Gestalt begangen hat.
Raban hat bereits von Wölfen gelesen und die Tat, so wie er sie begangen haben will,
hat er einmal im Film Die Täuscher mit Pierce Brosnan gesehen.
So reift in seinem Kopf eine Geschichte, die er erzählt,
um endlich die vielen Fragen beantworten zu können, die ihm die Polizistinnen stellen.
Darauf, dass Raban sich die Geschichten mit großer Wahrscheinlichkeit nur ausgedacht hat,
weisen aber auch die einzelnen Abweichungen hin,
die Professor Königin im Vergleich bemerkt hat.
Dem Sachverständigen sagt er, dass er die Münzen schon ins Halstuch gewickelt habe,
als Luise sich vor dem Sex ausgezogen hat.
Der Polizei sagt er, dass sie bereits Geschlechtsverkehr hatten.
Mal will er ihre Knochen mit einem Stein und mal mit einem Hammer zerschlagen haben.
Mal ist ihr Hüftgelenk aus einem Metall namens Kabul, mal aus Titan.
Und abgesehen davon präsentiert der Sachverständige noch Ungereimtheiten,
die eigentlich der Polizei bei den Ermittlungen hätten auffallen müssen.
Luise habe nämlich überhaupt keine künstlichen Hüftgelenke besessen,
so wie es Raban in seiner Geschichte erzählt hat.
Zudem wäre es quasi unmöglich gewesen,
im Waldboden unter einem alten Baum mit jahrhundertealtem Wurzelwerk
ein Grab für einen erwachsenen Menschen mit der bloßen Hand auszuheben.
Details, die die Polizei nie überprüft oder einfach ignoriert hat
und die auch vor Gericht bisher niemand hinterfragt hatte.
Die Worte des Rechtspsychologen sind freundlich, aber bestimmt,
als er zum Schluss seines Gutachtens kommt.
Er wundere sich darüber, dass Raban dem Druck der Ermittlungen,
vor allem in Anbetracht seiner Verlustängste, so lange Stand gehalten habe, sagt er.
Er war daran zu gestehen, auch Kennedy und Wallenstein ermordet zu haben,
ruft er den RichterInnen zu.
Man muss einen Menschen nur lang genug weich kochen,
bis er an sich und seinem Gedächtnis zweifelt.
Im Falle von Raban sei es jedenfalls so gewesen.
Er habe schließlich sogar selbst geglaubt, die Tat begangen zu haben.
Da ist sich Professor Köhnken sicher.
Der Gutachter hält es aber für unwahrscheinlich,
dass Raban das, was er schließlich zugegeben hat, wirklich getan hat.
Nach der Einschätzung des Sachverständigen
hat sich die Stimmung im Gerichtssaal völlig verändert.
Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind auf den Kopf gestellt
und niemand vermag mehr zu beurteilen, wo der Angeklagte eingeordnet werden kann.
Ob er seine Ex-Freundin vor 20 Jahren aus dem Weg geschafft hat
oder ob er einen guten Freund nicht verlieren wollte.
Sein Geständnis hat zumindest jede Glaubwürdigkeit verloren
und eignet sich nicht mehr, um allein darauf eine Verurteilung zu begründen.
Der einzige andere Anhaltspunkt für Raban Schuld ist die Aussage der Zeugin,
die Raban mit Luises Fahrrad gesehen haben will.
Doch auch die hat sich bei weiteren polizeilichen Befragungen
und jetzt vor Gericht immer wieder in Widersprüche verstrickt und ist nicht belastbar.
Damit liegen keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte mehr für Rabans Schuld auf der Hand.
Mitte Januar 2010 wird der 46-Jährige von allen Anklagepunkten freigesprochen.
Trotzdem geht niemand als GewinnerInnen aus dem Prozess.
Vor allem nicht Luise, von der bis heute, 34 Jahre nachdem sie gut gelaunt ins Freibad radeln wollte,
jede Spur fehlt.
Und auch nicht Raban.
Er ist zwar frei und kann zurück in seine Wohnung und in sein Leben,
aber beides ist vor allem von Einsamkeit geprägt.
Die Geister und die Dämonen, von denen er einst im dunklen Wald erzählt hat, sind nicht echt.
Genau wie der Freund, mit dem er durchs Dickicht gestreift ist.
Die Männerfreundschaft hat Raban alles bedeutet und seinem Gegenüber nichts.
Er wollte nur den Wolf fangen, von dem er glaubte, dass er sich unter einem dicken Pelz versteckt.
Dabei hat er nicht gesehen, dass Raban wirklich nur ein Schaf ist.
Ein schwarzes Schaf, das nach Zuneigung sucht.
Also wie kann es da überhaupt zu einem Prozess kommen?
Das ist ja einfach nur peinlich.
Ja und schlimm aber auch für den Raban.
Ja, peinlich für die Behörden und unfassbar verantwortungslos gegenüber Raban und schlimm für Raban.
Und ich muss auch sagen, dieser Michael, dieser Freund, der sich da so in das Leben reingezeckt hat,
wir hatten das ja auch schon mal im Podcast, da haben wir ja schon über verdeckte ErmittlerInnen gesprochen,
aber irgendwie fand ich das jetzt in dem Fall irgendwie besonders perfide,
weil es halt auch so wenig Anhaltspunkte gab, überhaupt zu so einer Methode zu greifen,
die so sehr in das Leben von einer Person eingreift.
Ja, total, wobei man verdeckte ErmittlerInnen ja gerade bei solchen Delikten halt wie Mord eben einsetzen kann,
wenn halt entweder Wiederholungsgefahr besteht oder die Tat von besonderer Bedeutung ist
und die den Einsatz dann eben gebietet.
Dafür müssen ja aber andere Maßnahmen für die Aufklärung aussichtslos sein.
Und das hat man in dem Fall hier ja offenbar als gegeben angesehen.
Wobei man sich ja auch wirklich fragen kann, wieso eigentlich?
Also die Anhaltspunkte für Rabans Täterschaft sind ja schon fraglich und hier wurde so fast ein Justizirrtum verursacht.
Ja, und dann muss man sich ja auch mal vor Augen führen, dass dafür jetzt nicht nur eine Person verantwortlich ist,
die einen Fehler gemacht hat.
Da haben ja offenbar ziemlich viele Leute nicht genau hingesehen.
Ja, übrigens, dass jemand so ein falsches Geständnis wie Raban ablegt, das kommt in Deutschland sehr selten vor.
Falsche ZeugInnen-Aussagen, das gibt es schon eher, das hatten wir hier im Podcast ja auch schon einige Male.
Aber falsche Geständnisse sind schon wirklich eine Seltenheit und die sind auch besonders,
weil ich meine, da steht jemand eine Straftat, die er nicht begangen hat.
Und deswegen sind die falschen Geständnisse heute auch das Thema unserer Folge.
Und auch der Hintergrund der Geschichte, die wir ganz am Anfang der Folge erzählt haben.
Der Mann, der da gestanden hat, mehrere Menschen getötet zu haben, der heißt Dore Bergwall.
Und als ein Journalist, den man 16 Jahre nach den Geständnissen in der forensischen Psychiatrie aufgesucht hat,
gab Bergwall zu, dass er die 33 gestandenen Morde in Wirklichkeit gar nicht begangen hat.
Und dass er sich das alles nur ausgedacht hat, weil er endlich mal jemand sein wollte in der Welt.
Mit diesen Geständnissen hat er das nämlich auch dann schnell gemerkt.
Also, dass man ihm jetzt als Mörder viel mehr Aufmerksamkeit schenkt.
Also nicht nur von der Presse, sondern auch in der Klinik, wo er dann mehr Gesprächstherapien bekommen hat,
auch mehr Medikamente bekam, mit denen er dann wiederum seine Drogensucht stillen konnte.
Das Wissen über die Taten, die er halt gestanden hat, hatte der aus Büchern und Zeitungen.
Und dass der darüber hinaus gar kein Täterwissen hatte, das ist auch in dem Fall offenbar niemandem aufgefallen.
Weil man hatte ihn dann ja auch in acht Fällen nur aufgrund seiner Geständnisse verurteilt.
Also es gab da keine DNA-Spuren, keine Zeuginnen, keine Tatwaffen, nichts.
Er war es ja auch nicht.
Und als der Journalist das alles dann 2013 aufgedeckt hat, ist das natürlich auch da ein riesiger Justizskandal in Schweden geworden.
Und ein Jahr später wurde Bergwahl dann auch in allen Fällen freigesprochen.
Ja, nun hat der halt ja freiwillig gestanden, weil er eben diese Anerkennung wollte.
Im Fall von Raban war das aber anders.
Bei ihm ging der Aussage psychologische Gutachter ja davon aus, dass er ein internalisiertes falsches Geständnis abgelegt hat.
Was das ist und wie das zustande kommt, darum geht es jetzt in meinem Aha.
Von einem internalisierten falschen Geständnis spricht man, wenn Beschuldigte selbst davon überzeugt sind,
dass sie eine Tat, die ihnen vorgeworfen wird, begangen haben.
Es gibt verschiedene Untersuchungen dafür, welche Faktoren das Risiko für so ein internalisiertes Geständnis erhöhen.
Forschende haben bereits 1996 festgestellt, dass Verdächtige dafür anfällig sind,
die sich nicht klar an den Zeitpunkt der Tat erinnern können oder ihrer Erinnerung nicht vertrauen.
Zum Beispiel, weil sie betrunken waren oder auf Drogen.
Und wenn dann noch unwahre Aussagen von ZeugInnen vorliegen,
dann erhöht das zusammen eben das Risiko für so ein Geständnis enorm.
Bei Raban kam ja auch beides zusammen, also wegen seiner Alkoholsucht und seiner psychischen Probleme,
zu denen ja auch Warngedanken gehörten, war halt manchmal nicht Herr seiner Sinne.
Und dann kam ja auch noch diese unglaubwürdige Zeugin dazu, die das mit dem Fahrrad da erzählt hat.
Für die Ermittlenden war dann klar, ah ja, wir haben hier einen dringenden Tatverdacht.
Raban auf der anderen Seite konnte nur schwammige Antworten geben, weil er total verunsichert war.
Und zwar einmal von den Fragen der Polizei, aber auch, weil er ein eigenes Misstrauen seinem Gedächtnis gegenüber hatte.
Kate Vollbert, Professorin für Rechtspsychologie an der Psychologischen Hochschule in Berlin,
hat im Fall von Raban dieses Aussagepsychologische Gutachten für seine Verteidigung geschrieben
und uns im Interview erklärt, welche Dynamik sich in so einer Befragung entwickeln kann.
Wenn jetzt jemand vernommen wird und die Polizei sagt der Person, dass es klare Spuren gibt,
die dafür sprechen, dass diese Person der Täter ist und das muss kein falscher Vorhalt sein,
sondern es kann auch ein richtiger Vorhalt sein, dass Spuren dafür sprechen, dass die Person der Täter ist,
dann kann das dazu führen, dass diese Person denkt, kann das vielleicht sein?
Kann das sein, dass ich das gewesen bin? Ich weiß eigentlich gar nicht genau, wo ich gewesen bin zu dem Tatzeitpunkt.
Die sagen, das stimmt, ich muss das gewesen sein.
Ich weiß, ich kann unter Alkohol schon mal die Kontrolle verlieren.
Kann das vielleicht tatsächlich so gewesen sein, dass ich das gemacht habe?
Und wenn dann sehr viel gefragt wird und auch Dinge vorgehalten werden,
dann fängt man ja auch an, sich diese Situation vorzustellen.
Und dann kann es sein, dass im Laufe von langer und wiederholter Befragung
auch Vorstellungen im Kopf entstehen, die dann wie eine Erinnerung wahrgenommen werden.
Laut unserer Expertin legen sich diejenigen nach und nach eine Erklärung im Kopf zurecht,
warum sie sich an so ein relevantes Ereignis wie ein Mord oder einen Totschlag nicht erinnern können.
Und im Fall von Raban kam diese Erklärung ja sogar von der Polizei,
die ihn dann gefragt hat, ob er sich vielleicht einfach nicht erinnern könnte,
weil ein anderer Teil von ihm Luise umgebracht hat.
Also auf so eine Idee muss man auch erst mal kommen.
Also das ist ja so ausgedacht einfach.
Und da war das für Raban dann halt ein leichtes zu sagen Ja,
weil dieser andere Teil, den musste er ja nicht mal als sich selbst anerkennen,
sondern einfach sagen, das ist das Fremde in mir.
Laut Renate Vollbert folgt dann in ähnlichen Fällen wie dem von Raban
meist zunächst ein zurückhaltendes Schuldeingeständnis,
also so nach dem Motto, ja, kann schon sein, dass ich es war.
Aber nach und nach legen sich die Verdächtigen dann auch
eine richtig detaillierte Tatbeschreibung zurecht,
von der sie selbst überzeugt sind, dass es so gewesen sein könnte
und dann eben so gestehen.
Und das ist ein internalisiertes falsches Geständnis.
Ich will noch mal zurück zu dem Punkt,
dass manche Menschen ihrem Gedächtnis weniger vertrauen als andere
und dass sie deshalb anfälliger dafür sind, falsche Geständnisse abzulegen.
Ich bin während der Recherche jetzt mal wieder auf einen Test gestoßen,
der auch von RechtspsychologInnen genutzt wird,
um so grob festzustellen, wie sehr jemand seinem eigenen Gedächtnis traut oder eben nicht.
Der Test, der besteht eigentlich aus 18 einzelnen Fragen.
Die stelle ich dir jetzt natürlich nicht alle.
Aber nur, damit du mal so grob dein Gedächtnis einschätzen kannst.
Man kann die Aussagen auf einer Skala von minus 4 bis 4 bewerten.
Also minus 4 heißt nicht vorhanden.
4 bedeutet perfekt.
Wie schätzt du deine Fähigkeit ein, dich an Namen und Gesichter von Menschen zu erinnern?
Ja, also bei meinem Siebhirn wissen wir ja eh, wie dieser Test ausgehen wird.
Aber Namen und Gesichter ist auf jeden Fall irgendwas bei minus 3, würde ich sagen.
Und Dinge, die du liest oder im Fernsehen siehst.
Wie erinnerst du dich daran?
Minus 3.
Wirklich so schlecht, ja.
Ja, zumindest würde ich das so sagen, weil ich ja ganz viele Filme immer nochmal gucken kann
und dann darüber überrascht bin, wie das Ende ist, weißt du?
Deswegen auch eher schlecht.
Ja, also ich habe gedacht, es ist ja eh immer blöd, sich selbst einzuschätzen.
Deswegen habe ich jetzt nochmal einen Test vorbereitet, der speziell auf dich zugeschneidert ist.
Ja.
Um dann zu sehen, wie du da wirklich abschneidest, ja.
Okay.
Also, was war der Inhalt des letzten seltsamen Videos, das du mir auf Instagram zugeschickt hast?
Das weiß ich nicht mehr.
Wann war denn das?
Ist das lange her?
Eine Woche oder so vielleicht.
Kannst du mir einen Tipp geben?
So einen Dings, vielleicht fällt es mir dann ein.
Es ging um eine Frau, die was Komisches macht.
Ja, ich weiß es.
Soll ich es jetzt sagen?
Nein, oder?
Ja, doch, wäre schon gut, klar.
Also, ich denke, es war Kathi Hummels, die in einem Müllcontainer saß oder darauf rumgetrampelt hat,
was in dem Müllcontainer war.
Ja, genau richtig.
Ein Bild, was man eigentlich nicht so schnell wieder vergessen sollte.
Nee.
Aber was hat die da eigentlich gemacht in der Mülltonne?
Ich glaube, die, also, weiß ich nicht, aber ich glaube, sie hat Pappe so nach unten gedrückt mit ihrem Gewicht.
Ah, okay.
Naja, egal, du kriegst jetzt aber nur einen halben Punkt, weil du Hilfe hattest.
Welches Nachrichtenmagazin habe ich abonniert, was zu Hause in mehreren Ausgaben alle Oberflächen schmückt,
weil ich immer noch einen Artikel daraus lesen will?
Spiegel.
Okay.
Was hat dein Elite-Partner am Montagabend zu Abend gegessen?
Ich weiß, es ist Burger.
Hey, ich bin gar nicht so schlecht, wie ich mich eingeschätzt habe.
Das freut mich jetzt voll.
Also, im Test bist du vielleicht besser.
Dafür bist du eine schlechte Ehefrau.
Die Burger wirst du ihm wahrscheinlich nicht selbst zubereitet haben, wie sich das gehört.
Natürlich habe ich das nicht selbst zubereitet.
Was war das letzte Lied, das dir dein Bruder Julian bei WhatsApp geschickt hat?
Das weiß ich nicht.
Ich sage da immer was zu, aber ich höre die dann nicht an, deswegen.
Und das, muss ich sagen, ist eine Fehlentscheidung, denn es war Michelle Branch everywhere.
Und Julian und ich haben ja wirklich eins zu eins denselben furchtbaren Musikgeschmack,
habe ich wieder festgestellt, als der mir die Liste geschickt hat.
Okay, letzte Frage.
In deinem letzten Fall, also letzte Folge, da hast du von Camille erzählt,
die ihren Peiniger-Ehemann getötet hat.
Und in deinem Skript hast du geschrieben,
in dem Vernehmungszimmer angekommen, kann Camille dann das Geheimnis,
das sie so lange unter, na, was begraben hat, nicht länger für sich behalten.
So lange unter.
Warte, das waren mehrere Sachen.
Also, es war auf jeden Fall Staub, Erde.
Staub, Erde und Laub.
Aschemüll und Lügen.
Oh, fast.
Naja, ich glaube, das Gute ist, dass du kein Alkohol trinkst,
sonst nichts konsumierst und auch generell eher so alle Sinne beisammen hast.
Das heißt, dein schlechtes Gedächtnis allein wird nicht reichen,
um dir eine Tat einzureden, vermutlich.
Naja, ich gehöre aber auch nicht zu den Personengruppen,
die eher anfällig für falsche Geständnisse sind.
Und das sind junge Menschen, also Personen unter 18,
Menschen mit Intelligenzminderung und Menschen mit psychischen Störungen.
Also, ihnen fällt besonders schwer,
dem Druck in polizeilichen Befragungen standzuhalten,
die ja manchmal, wie wir jetzt auch gesehen haben,
stundenlang gehen können und echt anstrengend sind.
Und das hat man auch am Fall Peggy Knobloch gesehen.
Den haben wir in Folge 15 schon mal besprochen.
Das war die Neunjährige,
die auf ihrem Heimweg von der Schule verschwunden ist.
Und wo dann relativ schnell der Ulfi K.,
ein junger Mann mit geistiger Behinderung,
in den Fokus der Ermittlungen geriet.
Der hat dann vor der Polizei auch gestanden,
dass er Peggy auf dem Schulweg gefolgt ist und sie getötet hat.
Und als er das Geständnis abgelegt hat,
war aber kein Anwalt da oder eine Anwältin.
Und die Befragung wurde auch nicht aufgezeichnet,
sodass man nicht nachvollziehen konnte,
was da genau abgelaufen ist.
Als Ulfi dann danach aber einen Anwalt hatte,
hat er sein Geständnis auch wieder zurückgezogen,
Laut seinem Verteidiger hatte sein Mandant das nämlich nur abgelegt,
weil die PolizistInnen ihn stark unter Druck gesetzt haben.
Und zwar sollen sie gesagt haben,
dass Ulfi ins Gefängnis komme, wenn er lügt.
Und davor hatte er eben Angst.
Und wenn er aber zugeben würde, dass er es war,
dann würde er in Anführungszeichen nur in die Forensik kommen,
wo er psychisch behandelt werde.
Und ein Ermittler soll sogar gesagt haben,
dass er nicht mehr sein Freund ist, wenn er nicht gesteht.
Ja, und trotzdem wurde dem 23-Jährigen,
der geistig auf einem Stand von einem Kind war,
der Prozess gemacht und er auch zu einer lebenssangen Haftstrafe verurteilt.
Das Gericht ordnete dann die Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt an,
obwohl er ein Alibi hatte, es keine Leiche gab oder forensische Beweise
und das Geständnis ja sogar zurückgezogen hatte.
Erst zehn Jahre nach seiner Verurteilung
wurde Ulfi dann in dem Wiederaufnahmeverfahren freigesprochen.
Ja, ein wahnsinniger Fall, der zeigt, wo sowas hinführen kann alles, ja.
Ja, und hoffentlich ein Mahnmal dafür, wie man mit vulnerablen Personen umgeht,
die anfällig sind für falsche Geständnisse.
Ja.
In dem Fall, den ihr jetzt nach einer kurzen Unterbrechung von mir hört,
wird klar, dass nicht nur Angst vor Verlust eines Freundes ein Beweggrund sein kann,
die Polizei anzulügen.
Einige Namen habe ich geändert.
Vor den Häusern der Menschen, die im Münchner Stadtteil Großhadern wohnen,
fällt am Abend des 1. Februar 2001 Neuschnee.
Auch Hartmut kann die weißen Flocken durch die Fensterscheibe
in den Lichtkegeln der Straßenlaternen sehen.
Drumherum ist es stockdunkel.
Weil der 59-Jährige heute nichts mehr vorhat,
außer seinen wohlverdienten Feierabend zu genießen,
macht ihm das Schneetreiben nichts aus.
Im Fernsehen geht gerade die Tagesschau zu Ende,
da klingelt es dann plötzlich an seiner Haustür.
Als Hartmut öffnet, kommt nicht nur die eiskalte Luft von draußen hinein,
sondern auch drei maskierte Gestalten.
Am nächsten Tag klingelt das Telefon in der Polizeieinsatzzentrale in München.
In der Leitung ist ein Mann, der sich als Günther vorstellt und aufgeregt in den Hörer spricht.
Er stehe vor dem Haus seines Freundes Hartmut.
Überall brenne Licht, aber niemand öffne die Tür.
Weil der Anrufer sehr besorgt scheint, macht sich sofort ein Einsatzfahrzeug auf den Weg zu ihm.
Als die Beamtinnen bei der Doppelhaushälfte ankommen,
ist die Haustür bereits durch die Feuerwehr geöffnet worden.
Hartmuts Freund hatte nicht nur die 110, sondern auch die 112 gerufen.
Im Wohnzimmer erwartet die PolizistInnen dann ein erschreckender Anblick.
Der Hausherr liegt tot und beuchlings auf einem dunkelroten Perserteppich.
Sein Kopf ist zur Seite gedreht,
die Handgelenke und Fußknöchel sind mit einem weißen Elektrokabel gefesselt.
Hartmut trägt eine Krawatte und ein weißes Hemd.
Seine beigefarbene Hose wurde bis in die Kniekehlen heruntergezogen.
Auf den ersten Blick finden sich keine Einschusslöcher oder ähnliches.
Die Obduktion wird später ergeben, dass Hartmut erstickt ist.
Rund um die Leiche sieht alles danach aus, als hätte hier jemand etwas gesucht.
Bilder wurden von den Wänden gehängt,
Gegenstände wie Hausschuhe und eine kaputte Wanduhr liegen am Boden verstreut.
Den BeamtInnen vor Ort ist sofort klar,
hier hat ein Verbrechen stattgefunden.
Und so wird die Mordkommission eingeschaltet.
Der erste Zeuge, den der leitende Kommissar am nächsten Tag
zu einer Befragung aufs Präsidium bestellt, ist Hartmuts Freund Günther.
Der Polizist erkennt ihn sofort, denn der 53-Jährige ist Schauspieler
und hat bereits mehrere Filme mit dem berühmten deutschen Regisseur Werner Fassbinder gedreht.
Als Günther Kaufmann vor dem Ermittler Platz nimmt, ist er genau so, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt.
Er spricht schnell, laut und gestikuliert wild mit Armen und Händen, um seine Worte zu untermalen.
Man hört ihm gerne zu, denn sein Charisma macht ihn zum begabten Geschichtenerzähler.
Und in dieser Befragungssituation scheint er sichtlich bemüht, dem Kommissar alles zu sagen,
was ihm im Fall von Hartmut weiterhelfen könnte.
So erzählt er, dass Hartmut und er bereits seit 20 Jahren gut befreundet seien.
So gut, dass Hartmut Sekretärin als erstes ihn angerufen und um Hilfe gebeten habe,
als der Steuerberater den ganzen Freitag nicht bei der Arbeit erschienen war.
Sie habe Günther gebeten, bei Hartmut vorbeizufahren, um nach dem Rechten zu sehen.
Das Haus des Steuerberaters kennt Günther gut, denn bis vor zwei Monaten hat der 53-Jährige noch selbst hier gelebt.
Davor hat er mit seiner Frau Alexandra zusammengewohnt,
die aber wegen ihrer schweren Krebserkrankung zur Behandlung nach Wilhelmshaven gezogen ist.
Günther ist in München geblieben, weil es hier die besseren Filmrollen gibt
und dafür übergangsweise bei seinem Freund untergekommen.
Nach drei Monaten ist Günther aber dann ins Hotel gezogen.
Seitdem haben die Freunde vor allem geschäftlich Kontakt gehabt.
Hartmut unterstützt Günther und Alexandra nämlich bei einem Schadensersatzprozess,
den sie in den USA führen.
Ein US-amerikanischer Popstar habe ihnen ursprünglich ein Grundstück in Portugal für viel Geld abkaufen wollen,
erklärt Günther dem Beamten vor sich den Grund für den Prozess.
Der Musiker sei aber kurz vorher abgesprungen,
weshalb Günther und Alexandra ihn jetzt auf einen Schadensersatz in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar verklagt haben.
Für die hohen Anwaltskosten habe Hartmut ihnen knapp 850.000 Mark geliehen.
Wenn sie gewinnen, was Günther für sehr wahrscheinlich hält, sollte der Steuerberater eigentlich einige Millionen abbekommen.
Das Bild, das der Schauspieler in seiner Befragung von Hartmut zeichnet, bestätigt sich auch in den Vernehmungen,
die die Mordkommission in den kommenden Tagen mit weiteren Bekannten führt.
Der Steuerberater ist in seinem engen Umfeld für seine Gutmütigkeit bekannt.
Freundinnen, die finanziell in der Klemme steckten, hat er schon immer gerne ausgeholfen.
Denn schon Hartmuts Eltern waren wohlhabend.
Als Erwachsener hat er sich dann eine erfolgreiche Steuerkanzlei aufgebaut
und sein Geld darüber hinaus gerne und erfolgreich in gewinnversprechende Geschäfte investiert.
Musste Hartmut jetzt wegen dieser Gutmütigkeit sterben?
Das ist zumindest die erste Theorie der Ermittelnden.
Und im Verdacht haben sie Günther.
Denn der hat bei seiner Befragung nicht nur sein Talent für Geschichten erzählen offenbart,
sondern ja auch, dass er ein Motiv hatte.
Vielleicht wollte oder konnte er die mehr als 800.000 Mark, die er Hartmut geschuldet hat, nicht zurückzahlen
oder wollte ihm von den möglichen Millionen, die beim Prozess rausspringen könnten, doch nichts mehr abgeben.
Aber nicht nur das macht die PolizistInnen dem Schauspieler gegenüber misstrauisch.
Günther kommt seit Hartmutstod beinahe täglich im Revier vorbei,
um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen.
Mehrmals fragt er, ob er schon unter Verdacht stehe oder wann er verhaftet werde.
Woraufhin er schallend lacht und sagt, dass er nur Spaß mache.
Also, das würde mir ja im Traum nicht einfallen, so was zu kommentieren,
wenn das da gerade einem Freund passiert ist.
Ja, ich finde es auch ein sehr merkwürdiges Verhalten.
Als die Auswertung der Spurensicherung vom Tatort da ist, erhärtet sich der Verdacht gegen Günther nur noch.
Seine DNA wird an mehreren Stellen im Haus gefunden.
Eine besonders frische Spur kann an einer weißen Tasse nachgewiesen werden, die im Spülbecken in der Küche stand.
Sie ist höchstens einige Tage alt.
Günther muss also kürzlich im Haus gewesen sein, was er bei seiner Vernehmung verschwiegen hat.
Auch die Aussage von Günthers Frau Alexandra hilft ihm nicht gerade weiter.
Sie erzählt nämlich, dass Hartmut zunehmend skeptisch gewesen sei, ob er sein Geld jemals zurückbekommt.
Deshalb habe er verlangt, dass Günther und Alexandra ihm ihr Ferienhaus in Portugal überschreiben,
was Günther wütend gemacht habe.
Bei einer zweiten Befragung, eine Woche nach der Tat,
eröffnet der leitende Kommissar Günther dann, dass er nun als Beschuldigter vernommen wird.
Günther wirkt perplex.
Erst lacht er laut auf, dann rollen dem 53-Jährigen plötzlich Tränen übers Gesicht.
Sie glauben doch nicht, dass ich das war.
Ich bin doch kein Mörder, ruft er.
Der Ermittler versucht, ihn zu beruhigen.
Er sagt, dass ja niemand ihm unterstellen würde, ein Mörder zu sein.
Es könne aber ja sein, dass Hartmutstod ein Unfall war, dass er ihn gar nicht gewollt habe.
Wichtig sei jetzt nur, dass Günther die Wahrheit sagt, wenn er es war.
Denn wenn er nichts zum Tatablauf sagt, so der Ermittler,
könne das vor Gericht im schlimmsten Fall die lebenslange Haft für ihn bedeuten.
Um aus Günther die nötigen Infos zu bekommen, breitet der Kommissar zunächst alle Indizien vor dem Verdächtigen aus.
Die Schulden, die er bei Hartmut hatte, das Haus, das der Steuerberater von ihm wollte,
die frische DNA, die am Tatort gefunden wurde und der Fakt, dass er kein Alibi hat.
Doch Günther wiederholt immer wieder, dass er unschuldig sei.
Er habe zum Tatzeitpunkt in seinem Hotelzimmer fern gesehen
und die Fingerabdrücke im Haus müssten aus der Zeit stammen, in der er noch bei Hartmut gewohnt hat.
Doch für den Polizisten ist erkennbar, dass sein Gegenüber immer nervöser wird und stark zu schwitzen beginnt.
Günther scheint innerlich mit sich zu ringen.
Deshalb lässt der Ermittler nicht locker.
Nach drei Stunden bröckelt Günthers Fassade dann schließlich.
Sie kriegen jetzt ein Geständnis von jemandem, der es nicht war, sagt er und beginnt zu erzählen.
Also das, finde ich, ist irgendwie eine wilde Kombi.
Was meinst du?
Naja, dass er das auch noch so sagt.
Ich gestehe jetzt, aber ich war es nicht.
Jetzt eine Geschichte erzählt, ja.
Und nicht einfach nur sagt, ich war es, weißt du?
Ja.
Also er sagt, Hartmut habe ihn am 1. Februar angerufen und zu sich zitiert.
Wegen der Schulden sei es zum Streit gekommen.
Die Männer hätten angefangen zu rangeln und im Eifer des Gefechts sei Günther mit seinen mehr als 100 Kilo auf seinen Freund gefallen.
Als Günther von ihm abließ, habe er erkannt, dass Hartmut tot sei.
Das sei furchtbar gewesen, aber er habe auch Angst gehabt, dass ihm die Polizei nicht glauben würde, erklärt Günther jetzt.
Also habe er die Wohnung durchwühlt und Hartmut gefesselt, um es nach einem Raubüberfall aussehen zu lassen.
Nachdem Günther mit seinem Geständnis fertig ist, fragt er nach einem Anwalt.
Am nächsten Tag kennen die Zeitungen kein anderes Thema als den einst gefeierten Schauspieler, der es aus bescheidenen Verhältnissen bis ganz nach oben geschafft hat, nur um jetzt so tief zu fallen.
Ein filmreifes Drama, das Wirklichkeit geworden ist.
Während Günthers Geständnis durch die Presse geht und er aus der Untersuchungshaft sogar Interviews gibt, werden seine Antworten gegenüber der Polizei allerdings immer seltener.
Auf die Frage, woher das Kabel stammt, mit dem er Hartmut nachträglich gefesselt haben will, erklärt der 53-Jährige nur, dass er sich nicht erinnern könne.
Auch die Uhr des Steuerberaters, die Hartmuts Angehörige seit seinem Tod vermissen, bleibt verschollen.
Vor allem aber wundern sich die Ermittlenden über zwei unbekannte DNA-Spuren, die an Hartmuts Leiche gefunden wurden.
Günther hat keine Erklärung dafür.
Auch was den Schadensersatzprozess in den USA angeht, wegen dem er und seine Frau Schulden bei Hartmut aufgenommen haben, kann Günther nicht viel sagen.
In erster Linie führe Alexandra den Prozess, er kenne keine Details.
Auch Hartmuts Geld sei deshalb direkt an seine Frau gegangen, die davon den Anwalt bezahle.
Ob die sechsstellige Summe, die der Steuerberater dem Ehepaar geliehen hat, wirklich für Anwaltskosten ausgegeben wurde, daran hat die Polizei in der Zwischenzeit Zweifel.
Denn die ErmittlerInnen haben die Geschichte überprüft und weder in den USA noch in Deutschland irgendwelche Belege für ein solches Rechtsverfahren gefunden.
Deshalb glauben die Beamten jetzt, dass das Ehepaar den vermeintlichen Prozess nur als Vorwand genutzt hat, um Hartmut um sein Geld zu bringen.
Als sie Günther in der nächsten Vernehmung damit konfrontieren, reagiert er empört.
Natürlich gäbe es diesen Prozess.
Wenn nicht, dann wäre er von seiner eigenen Frau jahrelang belogen worden und das könne er sich nicht vorstellen.
Er liebe seine Frau und vertraue ihr blind, erklärt er.
Er fordert die PolizistInnen sogar auf, Alexandra anzurufen und sie selbst zu fragen.
Also greifen sie noch während Günthers Vernehmung zum Hörer.
Günther sitzt daneben und das Telefon ist auf laut gestellt, als Alexandra an den Hörer sagt, dass tatsächlich alles erlogen sei.
Es gäbe keinen Prozess in den USA und keinen Anwalt, den sie bezahlt.
Boah.
Hartmuts Geld sei in ihre eigene Tasche geflossen, und zwar um alternative Krebsbehandlungen zu bezahlen.
Oh.
Ihr Mann Günther habe davon aber nichts gewusst, beteuert Alexandra.
Als sie auflegt, herrscht Totenstille im Vernehmungszimmer.
Günther ist ganz weiß im Gesicht.
Die Ermittlerinnen können ihm ansehen, dass er seiner Frau offenbar wirklich geglaubt hat.
Der Schauspieler mag zwar blind vor Liebe gewesen sein, aber das ändert nichts an dem, was ihm vorgeworfen wird.
Es ist schließlich Günther, dessen DNA am Tatort gefunden wurde, der kein Alibi hat und der ein Geständnis abgelegt hat.
Und auch an den Gefühlen für seine Frau scheint sich trotz der Lüge nichts verändert zu haben.
Die beiden schicken sich regelmäßig Post, und Alexandra kommt Günther auch ab und zu in Haft besuchen,
bis sie im Mai 2002, ein Jahr und drei Monate nach Günthers Verhaftung, an ihrem Krebsleiden stirbt.
Aus Trauer annonciert Günther in der Zeitung danach den Satz,
Wenn die letzten Schatten fallen, dann gib mir deine Hand, damit ich den letzten Weg getröstet gehen kann.
Dabei bräuchte Günther Alexandras Beistand vor allem jetzt.
Denn zwei Wochen nach ihrem Tod wird der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht München eröffnet.
Die Staatsanwaltschaft erhofft sich von diesem Antworten auf die noch offenen Fragen.
Vor allem darauf, von wem die beiden DNA-Spuren an der Leiche stammen, die bis heute niemandem zugeordnet werden können.
Polizei und Staatsanwaltschaft sind sich nämlich inzwischen sicher, dass der Schauspieler nicht allein im Haus des Steuerberaters gewesen sein kann.
Was im Umkehrschluss bedeutet, Günthers Geständnis, in dem er sagt, dass er im Streit auf seinen Freund gefallen und ihn aus Versehen getötet hat, muss eine Schutzbehauptung sein.
Man hält es für wahrscheinlicher, dass Günther sauer auf Hartmut war, weil der eben nicht nur sein Geld zurück wollte,
sondern auch verlangt hat, dass Günther ihm das Haus in Portugal sozusagen als Pfand überschreibt.
Günther soll ihn deshalb mit mindestens zwei Unbekannten bedroht oder sogar mutwillig getötet haben, mutmaßt die Staatsanwaltschaft.
Und deswegen steht er heute wegen Mordes vor Gericht.
Um reinen Tisch zu machen, gibt der vorsitzende Richter Günther gleich zu Anfang des Prozesses noch einmal die Möglichkeit, die Wahrheit zu erzählen.
Er macht deutlich, dass er ihm sein Geständnis nicht abnimmt und dass er seine Glaubwürdigkeit verlieren würde, wenn er weiterhin nur Halbwahrheiten preisgebe.
Die klare Ansage scheint etwas in Günther auszulöten, denn er spricht aus, worauf alle im Gerichtssaal warten.
Er wolle nun endlich zu den Mittätern aussagen.
Dann nennt Günther die Namen zweier Freunde.
Sie seien am 1. Februar mit ihm zu Hartmut gefahren, um ihn einzuschüchtern, damit er auf die Überschreibung des Ferienhauses verzichtet.
Dort sei es dann zu einer Rangelei zwischen den dreien gekommen und schließlich sei er, Günther, auf Hartmut gefallen,
so wie er es in seinem ersten Geständnis erzählt hat.
Das soll sie sein, die ganze Wahrheit.
Doch schon einige Tage später steht fest, dass Günther erneut gelogen hat.
Zum einen haben beide Männer für den Tatzeitpunkt ein Alibi, zum anderen ist es nicht ihre DNA, die am Opfer gefunden wurde.
Damit sind die Freunde entlastet und Günther selbst noch unglaubwürdiger als vorher.
Jetzt ist alles aus, murmelt er noch.
Dann verweigert er jede weitere Aussage.
Ein halbes Jahr nach Prozessstart kann sich das Gericht noch immer nur vage vorstellen,
was in der Nacht im Februar 2001, als draußen die Schneeflocken fielen, drinnen im Haus vorgefallen ist.
Trotzdem sieht es die Kammer als erwiesen an, dass Günther Sauer auf seinen Freund war
und deshalb mit mindestens zwei Unbekannten zu dessen Haus gefahren ist, um ihn zu erpressen,
sodass er sein Ferienhaus in Portugal nicht aufgeben musste.
Im Eifer des Gefechts soll er Hartmut erstickt haben, heißt es im Urteil, dass Ende November 2002 verkündet wird.
Der Vorwurf des Mordes wird fallen gelassen, weil man Günther ein Mordmerkmal nicht sicher nachweisen kann.
Stattdessen wird er wegen versuchter räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt.
Wir wissen die ganze Geschichte immer noch nicht, sagt der Staatsanwalt, als er nach dem Prozess vor die Kameras tritt.
Auch Günthers Verteidiger ist vom Ausgang des Verfahrens enttäuscht.
Noch nie habe er einen, Zitat, derart selbstzerstörerischen Mandanten gehabt, erklärt er.
Nur Günther stellt sich vor die Reporterin und sagt mit Tränen in den Augen, dass er das Urteil gerecht finde.
Er habe einen großen Fehler begangen, es tue ihm sehr leid.
Seine Haftstrafe möchte der gefallene Schauspieler auf eigenen Wunsch in Berlin absitzen.
Dort, wo seine geliebte Frau Alexandra begraben ist.
Neun Monate später.
Günther hat sich im Gefängnis der Theatergruppe angeschlossen und führt regelmäßig Stücke auf.
Nicht ahnend, dass nur unweit entfernt eine Frau den nächsten Akt in seinem Drama einläutet.
Ihr Name ist Beatrix und sie möchte gerne bei der Berliner Polizei eine Aussage machen.
Sie erklärt den verdutzten Beamtinnen, dass ihr Lebensgefährte Gerald etwas mit dem Tod des Steuerberaters in München zu tun habe.
Er sei im Februar 2001 mit zwei Bekannten für einen Raub nach Bayern gefahren und habe ihr noch in derselben Nacht anvertraut,
dass er dabei jemanden getötet habe.
Tage später habe er zugegeben, dass es sich um den Steuerberater handele, der gerade sogar in Berlin auf den Zeitungen abgebildet war.
Sie hatten daraufhin die Berichterstattung verfolgt und auch mitbekommen, dass ein Schauspieler aus München für die Tat verurteilt wurde.
Beatrix plage seitdem ein schlechtes Gewissen, weswegen sie jetzt hier stehe.
Ob sie auch Angaben zu den anderen Männern machen könne, wollen die ErmittlerInnen wissen.
Ja, sagt sie.
Gerald sei mit seinem Bekannten Raphael und mit seinem guten Freund Armin gefahren.
Letzteren kenne sie sehr gut, weil sie und ihr Mann in Berlin oft Kneipenabende verbracht haben mit Armin und seiner Freundin.
Alexandra, die Ehefrau von dem Schauspieler.
Nun werden die BeamtInnen hellhörig.
Sollte das, was diese Dame sagt, stimmen, wäre es die Wende in dem Fall, aus dem bis zuletzt viele Fragen offen geblieben sind.
Die Berliner PolizistInnen informieren die Mordkommission in München, die sich sofort auf den Weg in die Hauptstadt macht.
Bald darauf werden die Verdächtigen vernommen.
Allen voran Beatrix Freund Gerald zeigt sich geständig und nimmt die PolizistInnen mit ins Jahr 2000 in eine Kneipe am Kudamm.
Hier treffen sich Gerald und Armin regelmäßig, um einen über den Durst zu trinken.
Seit kurzem bringt sein Kumpel auch Alexandra häufig mit, seine neue Freundin, die er in einer Klinik kennengelernt hat.
Trotz ihrer Erkrankung trinkt die Blondine viel und ist spendabel.
Manchmal beträgt ihre Zeche an einem Abend bis zu 400 Mark.
Alexandra macht kein Geheimnis draus, dass sie in München eigentlich noch einen Ehemann hat.
Von dem braucht sie aber Abstand, weil er ihr mit seiner Fürsorge auf die Nerven geht.
Deshalb ist sie nach Wilhelmshaven gezogen, möglichst weit weg von ihm.
Zu viel Fürsorge.
Der Arme.
Im Januar 2001 sitzt Gerald mal wieder mit Armin zusammen, als der ihn fragt, ob er bei einem Raubüberfall mitmachen wolle.
Die Männer kennen sich aus dem Gefängnis und haben schon mehrere krumme Dinge gedreht.
Jetzt soll das nächste folgen.
Armin sagt, dass Alexandra einen Steuerberater in München kenne, der immer viel Bargeld bei sich zu Hause habe.
Das Ding wäre eine sichere Nummer.
Armin hat sogar schon einen Fahrer organisiert.
Raphael.
Gerald lässt sich darauf ein.
Und so treffen sich die drei mehrmals zum Planen, bevor sie am 1. Februar mit Schutzanzügen, Kabelbinder, Klebeband, Gummihandschuhen und Masken im Gepäck auf den Weg nach München sind.
Zu der Adresse, die Alexandra ihm gegeben hat.
Ziel ist es, den Steuerberater zu überfallen und die Beute im Anschluss durch vier zu teilen, erzählt Gerald den Beamtinnen.
Und jetzt erfahren die auch endlich, wie Hartmut wirklich gestorben ist.
Als Gerald, Armin und Raphael gegen 20.30 Uhr an Hartmuts Haustür klingeln und der öffnet, überwältigen sie ihn.
Gerald ist der kräftigste von allen.
Er bringt den Steuerberater, der nach Hilfe schreit, an der Schwelle zum Wohnzimmer zu Boden und setzt sich auf ihn, während die anderen beiden ihn fesseln.
Als Hartmut sich nicht mehr bewegen kann, nehmen die Männer ihm auch noch seine Stimme.
Sie platzieren ein Stück Klebeband so fest auf Mund und Nase, dass der 59-Jährige nicht mehr schreien, aber auch nicht mehr atmen kann.
Während die Männer das Haus durchsuchen und Kunstwerke, Computer und Schmuck zum Abtransport in den Hauseingang stellen,
erstickt Hartmut im Wohnzimmer, ohne sich bemerkbar machen zu können.
Als die drei merken, dass ihr Opfer tot ist, brechen sie fluchtartig auf.
Die sperrigen Gegenstände lassen sie im Eingang stehen.
Nur Bargeld, etwas Schmuck und Münzen im Wert von einigen Tausend Mark nehmen sie mit,
bevor sie wieder in der Dunkelheit verschwinden.
Geralts Geständnis ist umfangreich und glaubwürdig.
Außerdem passen seine und Raffaels DNA zu den Spuren, die am Tatort gefunden wurden.
In Geralts Wohnungen können die ErmittlerInnen auch einen Rest der Beute sicherstellen.
Nach wenigen Wochen hat die Polizei keine Zweifel mehr an der wahren Täterschaft.
Und auch nicht an der Anstiftung durch Alexandra.
Alles deutet darauf hin, dass sie ihren Liebhaber Armin in erster Linie mit dem Raubüberfall beauftragt hat,
damit der alle Dokumente aus Hartmuts Haus stiehlt, die auf ihren Betrug vom erlogenen Schadensersatzprozess hinweisen.
Den Prozess, den sie erfunden hatte, um an Hartmuts Geld zu kommen.
Um sich nicht nur teure alternative Krebsbehandlungen leisten zu können,
sondern auch, um sich mit ihren FreundInnen und ihrer neuen Liebe Armin ein schönes Leben zu machen.
Der Tatverwurf ist klar. Dafür drängt sich den ErmittlerInnen jetzt aber eine andere Frage auf.
Wieso hat der Schauspieler Günther Kaufmann ein Verbrechen auf sich genommen, an dem er nicht einmal beteiligt war?
Die Antwort steckt im Oktober 2003 in einem Briefumschlag, der an die Staatsanwaltschaft München adressiert ist.
Günther wurde im Gefängnis in Berlin über die neuen Entwicklungen in seinem Fall informiert und möchte sich jetzt doch erklären.
Dafür holt er weit aus.
Als er damals von der Polizei beschuldigt wird, seinen Freund getötet zu haben,
hat er von vorneherein den Eindruck, dass der leitende Kommissar von seiner Schuld überzeugt ist, egal was Günther sagt.
Als man ihm dann den Unterschied zwischen den verschiedenen Straftatbeständen erklärt,
meint er herauszuhören, dass Unfälle mit Todesfolge nicht so hart bestraft werden.
Außerdem dämmert Günther, dass auch Alexandra ein Motiv hat.
Schließlich ist das ganze Geld von Hartmut, von dem er damals noch glaubte, dass es für einen Schadensersatzprozess draufgeht, an sie gegangen.
Er weiß, dass seine Frau aufgrund ihrer Krankheit nicht mehr lange leben wird
und die Vorstellung, dass sie die wenige Zeit, die er noch bleibt, im Fokus von polizeilichen Ermittlungen verbringen muss,
ist für ihn so unerträglich, dass er die Tötung seines Freundes auf sich nimmt.
Weil er die Leiche von Hartmut gesehen hat, nachdem die Feuerwehr die Tür aufgebrochen hatte,
ist es für ihn auch nicht allzu schwer, sich eine Geschichte auszudenken,
die zu dem Bild in seinem Kopf und vor allem zu den Fragen der PolizistInnen passt.
Günther ist sich sicher, einige Jahre im Gefängnis überstehen zu können.
Das Wichtigste ist für ihn, Alexandra zu schützen.
Als seine Frau dann zugibt, den Prozess in Amerika nur erfunden zu haben, haut ihn das ehrlich um.
Inzwischen ist ihm im Gefängnis aber klar geworden, dass seine Ehefrau eine Meisterin der Manipulation war.
Sie hatte sogar Anwaltsschreiben aus New York gefälscht und vorgegeben, in den USA zu sein,
obwohl sie eigentlich bei dem, wie Günther ihn nennt, Scheißkerl Armin in Berlin war.
Das Geld hat sie nicht nur für sündhaft teure, unwirksame Heilmethoden ausgegeben,
sondern auch für ihren Liebhaber, mit dem sie auf großem Fuß gelebt und FreundInnen sogar auf Urlauber eingeladen hat,
während Günther in München gerade so über die Runden kam.
Dass sie ihn hintergeht, wusste er aber im Gerichtsverfahren noch nicht.
Deshalb spielte er auch da weiterhin die Rolle des Täters.
Er hoffte nur, dass er nicht lebenslang ins Gefängnis muss.
Deshalb hat er sich nach dem Urteilsspruch sogar noch für die 15 Jahre lange Haftstrafe bedankt.
Seine Frau hätte ihm das alles ersparen können.
Sie hatte bis zu ihrem Tod gewusst, dass Günther unschuldig in Urhaft sitzt und vor allem, was wirklich passiert ist.
Doch anstatt die Wahrheit zu sagen und ihn vor dem Gerichtsverfahren zu bewahren,
hatte sie ihr Geheimnis lieber mit ins Grab genommen.
Dieser Gedanke macht ihn heute verrückt, schreibt Günther.
Sein Brief erzählt die Geschichte eines Mannes, der alles für seine Frau getan hätte und nicht gesehen hat,
wie eiskalt und manipulativ sie in Wirklichkeit war.
Er macht aber auch deutlich, dass sich Günther selbst irgendwann so tief in seinem eigenen Lügennetz verfangen hat,
dass er keinen Ausweg mehr gesehen hat, als für 15 Jahre ins Gefängnis zu gehen,
für eine Tat, die er nicht begangen hat, sondern die seine Frau in Auftrag gegeben hatte.
Am Ende ist es einzig und allein Beatrix zu verdanken,
dass Günther im November 2003, nach fast drei Jahren, in Haft freikommt.
Ein regelrechtes Blitzlichtgewitter begleitet ihn,
als er mit schwarzer Lederjacke bekleidet und einer weißen Plastiktüte in der Hand
vor die Tore der Justizvollzugsanstalt in Berlin tritt.
Er grinst übers ganze Gesicht und posiert für die Kameras.
Es ist das Happy End eines Dramas, in dem er, wie er selbst sagt,
die schlechteste Rolle seines Lebens gespielt hat.
Die Pointe folgt weitere sechs Monate später.
Im Juli 2004.
Im selben Saal des Münchner Landgerichts, in dem vor zwei Jahren Günther verurteilt wurde,
nehmen jetzt Armin, Gerald und Raphael auf der Anklagebank Platz.
Wieder wird dasselbe Verbrechen verhandelt,
nur lassen die Ermittlungen diesmal weniger Fragen offen.
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die drei Männer des Raubes mit Todesfolge.
Als Haupttäter wird Armin, Alexandras Liebhaber, angeklagt.
Er brachte Gerald und Raphael dazu, bei dem Raubüberfall mitzumachen,
allerdings ohne seine eigentliche Beute,
die Dokumente für Alexandra zu offenbaren.
Jetzt vor Gericht ist ausgerechnet Armin der Einzige,
der leugnet, etwas mit dem Tod von Hartmut zu tun gehabt zu haben.
Er habe noch gelebt, als die Männer sein Haus verlassen haben, sagt er.
Doch seine Aussage nimmt ihm niemand ab.
Alle drei werden schuldig gesprochen.
Gerald und Raphael müssen zehneinhalb und elf Jahre ins Gefängnis.
Armin muss 14 Jahre in Haft verbüßen.
Günther hat in diesem Prozess als Zeuge ausgesagt und ist deshalb dabei,
als die Männer abgeführt werden.
Anschließend kann er den Gerichtssaal wieder als freier Mann verlassen.
Aber mit dem Wissen, dass die Frau, der er ohne mit der Wimper zu zucken seine eigene Freiheit
geschenkt hat, ihn jahrelang ausgenutzt hat.
Während er, um sie zu schützen, die schlechteste Rolle seines Lebens gespielt hat,
hat sie ihn Oscar Reif getäuscht.
Und das, ohne dafür jemals zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.
Zehn Jahre, nachdem Günther falsch verurteilt wurde, stirbt er an einem Herzinfarkt.
Seine letzte Ruhe findet er im Familiengrab in München.
Weit weg vom Grab der Frau, wegen der er seine letzten Jahre beinahe im Gefängnis verbracht hätte.
Also das finde ich das Schlimmste daran.
Dass man daran sieht, wie weit Menschen bereit sind, für die Liebe zu gehen und Menschen zu schützen.
Und das sind Menschen, von denen du denkst, dass du sie kennst.
Ja.
Und dann erfährst du hintenrum, auch ohne das nochmal richtig verarbeiten zu können,
weil mit ihr konnte er ja jetzt nicht mehr darüber reden,
dass sie so ein falsches Spiel mit ihm gespielt hat.
Ja. Also ich finde das so krass, dass sie ihn auch noch im Gefängnis besucht hat.
Wo sie wusste, wer eigentlich dafür verantwortlich ist.
Also das finde ich so gruselig.
Und auch wie du sagst, also dass er sich, er war ja mit ihr verheiratet, ja.
Also er kannte sie ja schon sehr gut.
Und sie konnte ihn aber trotzdem so täuschen.
Das macht mir wirklich Angst vor Menschen, wenn ich sowas höre.
Ja, offenbar dachte er ja aber nur, sie zu kennen.
Und am Ende kannst du den Menschen halt nur vor den Kopf gucken.
Also es ist ja offenbar möglich, eine ganze Identität zu erlügen
und sich als jemand anderes darzustellen, vorzugeben, man sei treu oder fürsorglich.
Und dabei ist es dann eine Fassade.
Ich meine, jetzt mal ernsthaft, wie viele Menschen haben wir schon kennengelernt,
die zu Hause die eine Person sind und den Rest der Zeit eine ganz andere.
Und das ist gruselig.
Und zwar gar nicht deswegen, weil man zwei Seiten hat
und sich vielleicht abgesehen vom Alltag irgendwie andersweitig ausleben und entfalten muss oder so,
sondern der Verrat und die andere Person darüber im Unwissen zu lassen, finde ich halt so schwierig.
Guck mal, wie sehr der Günther die Alexandra geliebt hat.
Und der war das im Grunde egal.
Oder zumindest hat sie sich so verhalten, als sei ihr das egal gewesen.
Was aber auch so unglaublich an diesem Fall ist, ist ja, dass der Günther das dann wirklich zugibt,
seinen Freund getötet zu haben.
Also ohne das vorher dann mit Alexandra irgendwie abzusprechen oder so oder irgendwie.
Also da denkt man sich doch auch so wie.
Und er denkt dann so, ja, 15 Jahre, das kriege ich schon irgendwie rum.
Also das ist ja auch irgendwie so ein bisschen delusional.
Auf der anderen Seite, genauso wie in deinem Fall, denkt man sich ja,
wieso konnte es überhaupt wieder dazu kommen, dass es dann zu einer Verurteilung kommt, ne?
Ja, man hat fast das Gefühl, dass in diesen Fällen eben allein das Geständnis ausgereicht hat.
Ja.
Und ja, das ist in der Regel sicherlich auch ein verlässlicher Hinweis auf eine Täterschaft.
Aber in diesen Fällen eben halt nicht.
Ja, wäre die Beatrix halt nicht da zur Polizei gegangen, hätte er vielleicht 15 Jahre gesessen oder so, ne?
Ja, und vor allem, und das ist ja auch ein Problem, diejenigen, die tatsächlich dafür verantwortlich waren,
die wären draußen weiter frei rumgelaufen.
Ja, und bei Günther gab es ja jetzt schon einige Fragen, die nach seinem Geständnis noch offen geblieben sind.
Und trotzdem hat entweder niemand gecheckt, dass das, was der gesagt hat, frei erfunden war,
oder man wollte es halt nicht checken.
Egal, in meinem Aha soll es jetzt darum gehen, wie man falsche Geständnisse erkennen kann.
Also erst mal, das haben wir schon in deinem Fall gesehen, gibt es in Fällen,
in denen es Zweifel an der Wahrheit eines Geständnisses gibt,
die Möglichkeit, ein aussagepsychologisches Gutachten einzuholen.
PsychologInnen, wie unsere Expertin Renate Vollbert, haben sich darauf spezialisiert,
Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen,
weshalb dann ja genau solche ExpertInnen herangezogen werden sollten.
Die sprechen dann auch selbst mit dem oder der Beschuldigten
und untersuchen auch die Protokolle der polizeilichen Vernehmung,
die vor, während und nach dem Geständnis von den BeamtInnen erstellt wurden.
Der sicherste Hinweis auf ein wahres Geständnis ist, wer hätte das gedacht,
TäterInnenwissen, so Renate Vollbert.
Also wenn jemand Details über die Tat kennt, die entweder wieder die Polizei gekannt hat
oder die nicht in den Medien veröffentlicht wurden.
Wenn es aber kein exklusives TäterInnenwissen gibt, geht es vor allem um mögliche Widersprüche.
Also einmal innerhalb der Aussage eines oder einer Beschuldigten,
also widerspricht sich die Person selbst, und einmal im Vergleich mit den Ermittlungen.
Das kommt vor, wenn der oder die Tatverdächtige Details angibt,
die nicht mit den Untersuchungen der Polizei übereinstimmen.
Günther zum Beispiel hat bei seinem Geständnis angegeben,
dass Hartmutzaugen offen waren, als er ihn tot zurückgelassen hat.
Hartmutzaugen waren aber zu, als man ihn gefunden hat.
Damit konfrontiert hat Günther dann gesagt, dass er sich wohl falsch erinnert.
Aber genau bei sowas sollte man hellhörig werden.
Laut Professorin Renate Vollbert wurden in vielen Fällen von erwiesenen falschen Geständnissen
widersprüchliche Infos von den Beamtinnen einfach ignoriert
oder halt so uminterpretiert, dass sie sich irgendwie mit dem vorhandenen Geständnis decken.
Manchmal sind die Vernehmenden nämlich schon so überzeugt von der TäterInnschaft,
sagt Renate Vollbert, dass sie davon ausgehen,
dass jetzt halt dann nur dieses eine falsche Detail,
also zum Beispiel die geöffneten Augen von Hartmut,
dass nur das nicht stimmt.
Aber dann wird nicht das ganze Geständnis nochmal unbedingt in Frage gestellt.
Nochmal, nicht mit Absicht, sondern einfach eben oft wegen einer kognitiven Verzerrung,
vor der ja niemand so richtig sicher ist und gegen die eben vor allem Aufklärung hilft.
Und eben die Merkmale, die dabei helfen, ein Geständnis auf die Wahrhaftigkeit zu prüfen.
Also wie lange wurde jemand befragt, bis er oder sie gestanden hat?
Weil je länger die Befragung dauert, desto höher ist ja auch der Druck.
Bei Günther war das ja so, der hat drei Stunden lang gesagt, er sei unschuldig.
Und erst dann kam das Geständnis, wobei der ja aber noch explizit gesagt hat,
sie kriegen jetzt ein Geständnis von jemandem, der es nicht war,
wo man ja sowieso schon super kritisch hinterfragen muss,
wie ernst kann man das jetzt nehmen, wenn jemand das so einleitet?
Dann ist der oder diejenige vielleicht aufgrund der eigenen Persönlichkeit oder des Alters leichter beeinflussbar.
Und geben die Protokolle vielleicht Hinweise darauf, dass suggestiv befragt wurde.
Also über suggestive Befragungen haben wir hier im Podcast ja auch schon mehrfach gesprochen.
Das sind Befragungen, die nicht ergebnisoffen ablaufen, sodass dadurch das Risiko für falsche Geständnisse steigt.
Genau, und suggestiv war zum Beispiel die Frage der Polizei in meinem Fall,
ob nicht vielleicht ein anderer Teil von Raban Luise getwittet haben könnte.
Weil ihm ja damit auch eine Erklärung vorgelegt wurde und er brauchte dann nur Ja zu sagen.
Das ist natürlich gerade in Befragungssituationen verlockend, die besonders lang gehen.
Und wenn die BeamtInnen merken, dass der oder die Beschuldigte psychisch dann instabil wird
und sich am liebsten aus der Situation befreien möchte,
dann stehen die Chancen sozusagen besser durch die suggestive Befragung halt ein falsches Geständnis rauszulocken.
Das hört sich jetzt so an, als würde man das mit Absicht machen.
Dem ist aber auf keinen Fall immer so.
Ich bezweifle, dass die PolizistInnen bei Raban da irgendwelche absichtlichen Hintergedanken hatten.
Sie haben halt einfach nur richtig scheiße gearbeitet.
Ja, und es ist auch so, dass eine Beschuldigtenvernehmung natürlich irgendwie auch von Haus aus
ein gewisses Suggestionspotenzial hat.
Also gegen den Befragten oder die Befragte liegt ja bereits ein Tatverdacht vor
und meistens gibt es zu dem Zeitpunkt dann auch schon klare Indizien,
die auf eine Täterinnenschaft hinweisen.
Trotzdem darf die Befragung aber eben nicht unter allen Umständen auf ein Geständnis abzielen,
nur um einen Verantwortlichen für ein Verbrechen zu haben.
Und im Idealfall gibt es ja auch nicht nur das Geständnis,
sondern eben auch noch andere Hinweise auf eine Täterschaft.
Aber genau das war eben in den Fällen von Raban, Günther, dann auch Ulfi und dem Sture Bergmann nicht so.
Also es gab meist wirklich nur die Geständnisse und die haben sich aber teilweise nicht mal mit den Ermittlungsergebnissen gedeckt.
Und das birgt dann natürlich Gefahren für Falschverurteilungen.
Und um sowas zu verhindern gibt es bei uns auch verbotene Vernehmungsmethoden.
Die sind in der Strafprozessordnung geregelt, nämlich unter Paragraf 136a.
Da heißt es, dass die Freiheit der Willensentscheidung von Beschuldigten nicht durch Misshandlung,
Ermüdung, körperliche Eingriffe, Verabreichung von Mitteln, Quälerei, Hypnose,
durch Drohung mit den verbotenen Mitteln oder eben Täuschung beeinträchtigt werden darf.
Darunter fallen zum Beispiel Vernehmungen, die bei viel zu hellem Licht oder unaushaltbarem Lärm durchgeführt werden.
Das wäre halt eine Form der Misshandlung.
Oder Vernehmungen, in denen der oder dem Beschuldigten Gewalt oder eine Verhaftung angedroht wird,
obwohl überhaupt kein Haftgrund besteht.
Oder Täuschung, wie die sogenannte Hörfalle.
Davon spricht man, wenn beispielsweise die Ermittlungsbehörden eine Privatperson,
oft eben eine Vertrauensperson des oder der Beschuldigten dazu bringen,
ein Gespräch zu führen, welches dann mitgehört wird.
Also es geht ja um das gezielte Ausnutzen, deshalb auch der Begriff Falle, der Vertrauensbeziehung.
Oft weiß die eingesetzte Vertrauensperson dabei von den Ermittlungsabsichten auch nichts.
Aber auch die sogenannte Read-Methode ist bei uns verboten.
Über die haben wir hier im Podcast auch schon mal ab und an gesprochen.
Die zeichnet sich dadurch aus, dass die BeamtInnen besonders konfrontativ vorgehen
und auch eben Täuschung und Bedrohung einbauen.
Das bedeutet zum Beispiel, dass Verdächtigen da ganz deutlich gemacht werden soll,
dass die Polizei handfeste Beweise gegen sie hat.
Eben auch, wenn das gar nicht stimmt.
Und diese Methode soll man auch beim Fall Peggy angewandt haben.
Weil man die in Deutschland tatsächlich eine Zeit lang genutzt hat.
Und natürlich auch in den USA, wo sie herkommt.
Da hatte der Polizist, der die sozusagen eingeführt hat, ein richtiges Unternehmen draus gemacht und Schulung angeboten.
Und anders als hier ist es in den USA eben auch erlaubt, Entvernehmung zu täuschen.
Und wahrscheinlich kommen falsche Geständnisse deswegen da halt auch viel häufiger vor als bei uns.
In den vergangenen 30 Jahren sind da einfach mehr als 12 Prozent der falschen Verurteilungen aufgrund von falschen Geständnissen zustande gekommen.
Außerdem lagen in 25 Prozent von 300 US-amerikanischen Fällen, bei denen mit Einführung der DNA-Analyse eine Fehlverurteilung nachgewiesen wurde, falsche Geständnisse vor.
Es gibt aber natürlich auch gute Vernehmungsmethoden, zum Beispiel die Peace-Methode, so heißt die,
die in Großbritannien von JuristInnen, PsychologInnen und KriminalbeamtInnen entwickelt wurde.
Hier steht nicht das Geständnis im Vordergrund, sondern eine offene Befragung und eine faire Vernehmung und aktives Zuhören der Ermittelnden.
Und da sind natürlich dann auch Suggestivfragen und manipulative Taktiken tabu,
also sodass kein unnötiger Druck auf die Befragten entsteht und dann damit eben auch das Risiko falscher Geständnisse reduziert wird.
Eine Studie von drei Psychologen, die 2010 veröffentlicht wurde, hat außerdem gezeigt,
dass diese Peace-Methode im Vergleich zur Reed-Methode falsche Geständnisse reduziert und wahre Geständnisse hervorruft.
Seit den 90er Jahren wird allen PolizistInnen in Großbritannien deswegen die Peace-Methode in ihrer Ausbildung beigebracht.
Alle Vernehmungen laufen damit einheitlich ab.
In Deutschland gibt es aber nicht so richtig was Vergleichbares, also nicht die eine Methode, die alle PolizistInnen dann anwenden.
Unsere Expertin Renate Vollbert spricht aber generell von einem informationssammelnden Ansatz,
der sich dann auch hier bei der polizeilichen Befragung durchzieht.
Was auch Teil der Peace-Methode ist, ist eine Aufzeichnung der Vernehmungen auf Ton oder Videomaterial,
was natürlich dann später auch die Arbeit von RechtspsychologInnen wie Renate Vollbert vereinfacht,
wenn sie dann ein aussagepsychologisches Gutachten anfertigen soll.
In Deutschland wurden solche Beschuldigtenvernehmungen lange nicht ausreichend aufgenommen oder auch nur protokolliert.
Dabei finden sich genau in diesen ersten Vernehmungen die wichtigsten Infos,
um ein Geständnis auf seine Wahrhaftigkeit zu untersuchen, sagt unsere Expertin.
Es ist eben was anderes, ob man eine Frage bejaht oder ob man dieselbe Information von sich aus preisgibt.
Aus einer aussagepsychologischen Perspektive schauen wir uns zum Beispiel häufig Fragen und Antworten getrennt an
und schauen, ob die Information in den Antworten liegt oder ob die Information schon in den Fragen vorhanden war.
Denn wenn die Informationen eigentlich schon in den Fragen sind und jemand muss eigentlich nur Ja oder Nein sagen,
dann kann jemand auch antworten, ohne überhaupt irgendeine Erinnerung zu haben.
Aber wenn jemand von sich aus die Antwort gibt auf offene Fragen,
auf die man ja im Prinzip ganz unterschiedlich antworten könnte,
ist das natürlich eine viel wichtigere Information.
Und unter anderem deswegen müssen Befragungen von Beschuldigten in Tötungsdelikten
seit Januar 2020 in Deutschland auf Video aufgenommen werden.
Das schreibt die Strafprozessordnung mittlerweile vor
und das sollte das Risiko für eine falsche Verurteilung zumindest sehr deutlich reduzieren.
Bestraft werden falsche Geständnisse übrigens nicht direkt.
Also Beschuldigte sind ja nicht dazu verpflichtet, die Wahrheit zu sagen.
Sie dürfen lügen, um sich nicht selber zu belasten.
Umgekehrt müssen sie dann aber auch nicht die Wahrheit sagen, wenn sie es nicht waren.
Strafbar wird es dann erst, wenn sie andere mit reinziehen und bewusst falsch belasten.
Ja, so war das ja im Fall von Günther.
Du erinnerst dich, er hat ja im Prozess auf einmal zwei Freunde beschuldigt,
mit ihm die Tat begangen zu haben.
Da hat sich ja relativ schnell herausgestellt, dass die nichts mit der Sache zu tun hatten.
Trotzdem war einer der Männer drei Wochen lang in Untersuchungshaft und das halt nur wegen Günther.
Und deswegen musste Günther sich dann nach seinem Freispruch nochmal in einem Prozess wegen Freiheitsberaubung verantworten
und wurde da dann zu einer Geld- und Bewährungsstrafe verurteilt.
Wenn jetzt aber ein falsches Geständnis auf der anderen Seite von Ermittlungsbehörden verursacht wird,
also zum Beispiel, weil sie halt zu starken Druck auf die Beschuldigten ausgeübt haben
oder auch bewusst getäuscht haben, dann verstößt das gegen die Strafprozessordnung.
Und da kann das dann schon sein, dass auch VernehmungsbeamtInnen mit dienstrechtlichen
oder eventuell sogar auch strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.
Und das kommt natürlich auch noch hinzu, so eine Aussage beziehungsweise ein Geständnis in diesem Fall
darf dann auch nicht zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden.
Wir haben jetzt viel über Geständnisse gesprochen, die zustande kommen,
weil eine Befragung suggestiv ist oder weil sich jemand in die Enge getrieben fühlt.
Sowas wird auch häufig als erzwungenes Geständnis bezeichnet,
wobei ich den Begriff unpassend finde, weil es sich zumindest in Deutschland selten wirklich um Zwang handelt.
Es gibt aber Geständnisse, die wirklich erzwungen wurden und zwar ganz mutwillig und mit schrecklichen Methoden
und zwar bei sogenannten Schauprozessen, wie sie zum Beispiel in der Sowjetunion, im Nationalsozialismus
oder nach dem Zweiten Weltkrieg inszeniert wurden.
Und inszeniert ist hier schon das richtige Wort, weil diese Gerichtsverhandlungen wirklich quasi nach dramaturgischen Regeln abliefen.
Also die wurden teilweise in Theatern aufgeführt, wo Platz für hunderte von ZuschauerInnen war
und dann auch anschließend über die Medien verbreitet.
Ja, bei solchen Schauprozessen war es halt auch nie das Ziel, die Wahrheit zu finden,
sondern halt BürgerInnen einzuschüchtern und politische GegnerInnen bloßzustellen.
Also zum Beispiel dann politische Funktionäre oder Intellektuelle.
Und die Geständnisse der Angeklagten wurden meist auch schon vorher unter Folter erpresst,
egal ob schuldig oder nicht.
Und die mussten sie dann aber im Prozess eben auch noch einmal überzeugend und voller Reue vortragen.
Und danach wurden sie dann immer verurteilt, entweder zu hohen Haftstrafen oder halt dann auch zum Tode.
Und leider ist sowas in einigen Ländern immer noch gang und gäbe.
Zum Beispiel aktuell im Iran.
Dort verschwinden immer noch Menschen, die sich seit dem Tod der jungen Iranerin Masha Amini
an regierungskritischen Protesten beteiligen.
Kurz zur Erinnerung, Masha Amini ist 2022 in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen worden,
weil sie angeblich gegen die Hijab-Gesetze verstoßen haben soll.
In Haft wurde sie gefoltert und tödlich verletzt,
was im Iran dann eine Welle an Protesten gegen das Regime ausgelöst hat,
Wie eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen bestätigt,
werden die Menschen, die sich im Rahmen der Proteste für Frauen und Menschenrechte einsetzen,
noch immer festgenommen, monatelang gefoltert, zu Geständnissen gezwungen
und dann in so Schauprozessen im Eilverfahren dann auch verurteilt und hingerichtet.
Also absolut grauenvoll.
Aber zurück nach Deutschland.
Falsche Geständnisse kommen hier zum Glück jedenfalls nicht mehr mit Gewalt
oder aus politischen Zwecken heraus zustande,
sondern, wie wir jetzt gesehen haben, in dieser Folge durch ein Zusammenspiel aus mehreren Dingen,
also Fällen, in denen ohnehin vieles ungeklärt ist,
Menschen, die vulnerable sind und dem Druck einer Befragung nicht standhalten können
und PolizistInnen, die den Druck durch suggestive Fragen oder vorschnelle Mutmaßungen dann auch erhöhen.
Und so kann unter Umständen halt eine Dynamik entstehen, in denen Befragte immer unsicherer werden
und die Unsicherheit auf die Vernehmenden dann immer verdächtiger wirkt.
Ja, und deswegen ist es halt besonders wichtig, dass sich PolizistInnen bewusst werden,
welche Verantwortung sie haben.
Ich meine, das ist sicherlich bei vielen auch so, aber bei einigen, wie wir jetzt gesehen haben, auch eben nicht,
damit solche Dynamiken eben vermieden werden,
weil die Verantwortung kann halt nicht bei den Menschen liegen,
die zum ersten Mal als Beschuldigte BeamtInnen gegenüber sitzen,
weil in so einer Situation werden, glaube ich, sehr viele von uns erstmal überfordert.
Ja.
Und zum Schluss noch ein kleines Update.
Hier in der Mordlos-Redaktion begleiten wir schon sehr lange den Fall von Friederike von Mühlmann.
Und da gibt es jetzt Neuigkeiten.
Paulina hatte den in Folge 13 damals erzählt.
Und da ging es um eine 17-Jährige, die 1981 erst vergewaltigt und dann getötet wurde.
Damals gab es schon einen Verdächtigen, Ismet H.,
den hatte man wegen Faserspuren und Reifenspuren im Verdacht.
Und der wurde damals auch erst verurteilt, dann aber im Revisionsverfahren freigesprochen.
20 Jahre später führte man dann eine DNA-Analyse an einem Spurenträger durch.
Und siehe da, da stellte sich halt heraus, dass die DNA, die bei Friederike gefunden wurde,
mit der von Ismet H. übereinstimmt.
So, und jetzt würde man ja denken, super, dann hat man ihn jetzt doch.
Aber bei Ismet H. damals freigesprochen wurde und wir hier das Mehrfachverfolgungsverbot haben,
also dass jemand nicht zweimal wegen derselben Tat strafverfolgt werden darf,
konnte man nichts machen.
Also ne, bis in idem.
Das ist ein Grundsatz, der dafür sorgt, dass ich als beschuldigte Person sicher sein kann,
dass, wenn ich einmal freigesprochen oder meinetwegen auch verurteilt wurde,
ich nicht nochmal wegen derselben Sache strafverfolgt oder sogar bestraft werde.
Das soll also für Rechtssicherheit sorgen.
Und ein Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten eines Verdächtigen wäre im Fall von Friederike nur dann gegangen,
weil unter bestimmten Umständen geht das schon,
wenn Ismet H. beispielsweise gestanden hätte.
Aber der schweigt sich natürlich aus.
Nun gab es aber Ende 2021 eine Gesetzesänderung in der Strafprozessordnung,
das sogenannte Gesetz zur Herstellung materieller Gerechtigkeit.
Und demnach sollte eine Wiederaufnahme zu Ungunsten eines Verdächtigen bei Mord,
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen gegen eine Person auch dann möglich sein,
wenn nachträglich Beweise auftauchen oder sie dann eben verwertbar sind,
die dann dazu führen würden, dass jemand, der vorher freigesprochen wurde,
mit hoher Wahrscheinlichkeit verurteilt werden würde.
Und das hätte halt eben genau dieses Problem gelöst,
dass es einige Untersuchungsmethoden wie die DNA-Analyse halt damals noch nicht gab,
die man sich jetzt aber zunutze machen kann.
Und mit diesem neuen Gesetz hat man quasi gesagt,
wenn man jetzt im Nachhinein doch noch den Täter oder die Täterin überführt,
dann wäre ein Festhalten an der Rechtskraft des Freispruchs ein unerträglicher Gerechtigkeitsverstoß.
Ja, und so kam es eben dazu, dass Ismet H. 40 Jahre,
nachdem er mutmaßlich, muss man ja rechtlich immer dazu sagen,
Friederike getötet hat, wieder verhaftet wird.
Es sollte auch einen neuen Prozess geben.
Und Friederikes Vater, der jahrelang dafür gekämpft hat,
dass seiner Tochter eben noch Gerechtigkeit widerfährt,
der kriegt das auch noch mit, verstirbt dann aber kurz vor Prozessbeginn.
Ein Monat später wird der Prozess dann aber verschoben,
weil man erstmal abwarten wollte, ob das neue Gesetz so überhaupt verfassungskonform ist.
Ismet H. hatte nämlich Verfassungsbeschwerde eingereicht.
Ja, und jetzt wurde entschieden, ist es nicht.
Laut dem Gericht habe das im Grundgesetz verankerte Mehrfachverfolgungsverbot
der Rechtssicherheit absoluten Vorrang vor der Materialengerechtigkeit.
Also heißt, es ist wichtiger, dass der Rechtsfrieden herrscht,
als dass im Einzelfall der wahre Täter oder die wahre Täterin überführt wird.
Und außerdem habe das Gesetz gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen.
Das besagt, dass man eine Tat nur dann bestrafen kann,
wenn die durch ein Gesetz bestimmt ist, bevor die Tat begangen wurde.
Und jetzt ist der Aufschrei natürlich groß und unser Instagram-Post war ziemlich voll aktuell.
Und das verstehe ich auch.
Also vor allen Dingen, wenn man sich jetzt nur den Fall Friederike von Möhmann anguckt,
dann ist diese Entscheidung einfach vernichtend,
weil das in dem Fall eben bedeutet,
dass der Verdächtige, auf denen eben diese neuen Spuren ganz klar zeigen,
weiterhin frei herumlaufen darf.
Und es kommt eben nicht mehr zu einem Prozess,
wo man dann nochmal ganz klar gucken kann,
ob jetzt genügend Beweise da sind oder nicht, ihn zu verurteilen.
Und zweitens war dann ja jetzt irgendwie dieses Lebenswerk von Friederikes Vater,
der wirklich sein ganzes Leben lang jetzt dafür gekämpft hat,
eine Petition ins Leben gerufen hat und so weiter und so fort,
dann war das jetzt irgendwie umsonst.
Und das finde ich eigentlich am allertraurigsten an der ganzen Sache.
Ja, vor allem, da er auch noch in dem Glauben gestorben ist,
dass seiner Tochter jetzt Gerechtigkeit widerfährt.
Also genau, ich glaube, was den Fall Möhlmann angeht,
da sind wir uns total einig.
Ich nehme jetzt mal die andere Position ein,
die man durchaus auch verstehen kann und sage,
der Grundsatz, niemand darf wegen derselben Tat mehrfach bestraft werden,
der hat ja eine Vergangenheit.
Die Nationalsozialisten hatten den ja außer Kraft gesetzt.
Und wenn es damals den Gerichten in den Kram gepasst hat,
dann haben die halt auf gut dünken ihre Urteile ausgetauscht,
Freisprüche oder angeblich zu niedrige Strafen wurden aufgehoben
und härtere verhängt.
Und zwar dann mit der Begründung,
dass eine neue Verfolgung notwendig ist zum Schutze des Volkes.
Und deswegen, und weil diese Gesetzesänderung
eben gegen zwei so wichtige Grundsätze verstößt,
war der Aufschrei unter Fachleuten wie etwa JuristInnen
halt schon ziemlich groß, als es diese Gesetzesänderung gab.
Weil die halt gesagt haben,
so eine neue Kategorie in diesen Paragraphen,
die diese Wiederaufnahme erlaubt,
das ist quasi ein Einfallstor,
weitere verfassungsrechtliche Grundsätze anzugreifen.
und das würde das ganze Gesetz so verwässern.
Unsere lieben Juris, wie wir die übrigens immer nennen von Abel und Kollegen,
die uns hier immer mit rechtlichem Rat zur Seite stehen,
die haben uns auch nochmal darauf aufmerksam gemacht,
dass das Mehrfachverfolgungsverbot nicht zuletzt auch die Strafverfolgungsbehörden
dann halt ein wenig disziplinieren sollte.
Also insofern, dass sie halt nur einen Schuss haben,
weil ansonsten könnte man Verfahren halt auch ewig verschleppen
oder halt erstmal nur so semi-ordentlich führen,
weil man dann schon im Hinterkopf haben könnte,
man kann da theoretisch nochmal ran an die ganz schweren Delikte.
Und dann muss man ja auch dazu sagen,
so schlimm der Fall auch sein mag
und so ungerecht das in diesem Fall ist,
aber so eine massive Änderung vorzunehmen,
diese Grundsätze in Anführungszeichen einfach beiseite zu schieben,
wegen am Ende eines Falls.
Also es gibt sicherlich andere Fälle,
wo es theoretisch auch möglich wäre,
aber soweit ich informiert bin,
ist kein weiterer bekannt.
Ja, also beziehungsweise das dann sozusagen so allumfassend zu ändern,
dass das nicht die richtige Lösung ist,
das sehe ich auch total ein.
Was mich aber schon stört ist,
natürlich ist das ein Einzelfall jetzt irgendwie,
aber auf der anderen Seite kann sowas natürlich immer wieder passieren,
weil die Wissenschaft sich ja auch immer weiterentwickelt
und wer weiß, welche Analysen es in 20 Jahren gibt
und welche Täter und Heterinnen jetzt vielleicht damit davon kommen.
Also man versteht, warum das jetzt abgelehnt wurde,
weil es eben verfassungswidrig ist,
aber es lässt einen natürlich trotzdem irgendwie so unzufrieden zurück jetzt.
Vor allem natürlich die Leute,
die so lange für Friederike gekämpft haben.
Das sei auch nochmal gesagt,
also das Bundesverfassungsgericht hat in der Urteilsbegründung
neben dem Aspekt,
dass man halt die Rechtssicherheit nicht mit anderen Rechtsgütern abwägen kann,
auch nochmal betont,
dass es in dieser Entscheidung eben nicht um den Fall Friederike von Möhlmann ging.
Der macht diese ganze Entscheidung für uns natürlich greifbar
und letztendlich war der das auch,
der diese Gesetzesänderung überhaupt ins Rollen gebracht hat,
aber bei dieser Entscheidung ging es eben um den Umgang
mit dem grundlegenden rechtsstaatlichen Grundsatz.
Und das war es mit der Folge.
Auf Wiederhören.