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#134 Dein, mein, unser tod

Laura, gerade erst hat uns jemand auf Instagram einen TikTok weitergeleitet.
Ich finde das leider jetzt nicht mehr, aber es war so ein Aufreger-Video.
Was ist ein Aufreger-Video?
Also nach dem Motto, für Steuerhinterziehung bekommt man so und so viele Jahre Haftstrafe,
aber da hat jemand eine Oma umgenietet und der kommt nicht ins Gefängnis und muss nur eine Geldstrafe zahlen oder so.
Ich habe mir das nicht richtig angesehen, weil meist fehlt eh alles an Informationen und das ist ja auch einfach so populistisch.
Und jetzt bin ich aber schon wieder über sowas gestoßen und zwar über einen Artikel von einem Juristen,
wo auch verglichen wird und zwar wie folgt.
Also der eine Fall wird da so beschrieben.
Knapp drei Jahre Haft bekam ein Musikprofessor dafür, dass er eine Bewerberin an drei verschiedenen Bewerbungsterminen an den Busen gefasst hatte.
Und das stellt der Mann gegenüber zu Johnny Carr, der ja 2012 am Alexanderplatz getötet wurde und sagt, Zitat,
Für die tödlichen Fußtritte gegen das am Boden liegende wehrlose Opfer bekam der Täter viereinhalb Jahre Haft.
Und in München hatte vor einigen Wochen ein angetrunkener Mann eine junge Frau mit einem so heftigen Faustschlag vor der Disco niedergestreckt,
dass er ihr die Nase brach, wobei er dem blutenden Opfer zu allem Überfluss auch noch ins Gesicht spuckte.
100 Tagessätze Geldstrafe lautete das Urteil.
Und dieser Jurist bemängelt da also die Verhältnismäßigkeit mit derselben Empörung wie ein Zwölfjähriger auf TikTok.
Ganz kurz, ich möchte das nochmal rekapitulieren.
Also für das erste mit dem Busen gab es wie viel?
Drei Jahre.
Busen drei Jahre.
Johnny Carr.
Viereinhalb Jahre.
Viereinhalb Jahre und ins Gesicht schlagen und spucken waren?
100 Tagessätze Geldstrafe.
Ja, okay. Und der Jurist, hat der denn Vorschläge, wie man die einzelnen Straftaten denn dann bestrafen sollte?
Also ihm geht es quasi darum, dass Fälle wegen sexueller Belästigung zu hoch bestraft werden, wenn man sie ins Verhältnis setzt zu diesen anderen Straftaten.
Ich habe jetzt mit unseren Juristen gesprochen, die sich die Folgen hier auch immer anhören und sagen wir mal so, da sind viele Fragezeichen entstanden zu diesem Artikel.
Und das fängt natürlich damit an, dass wir nicht alle Informationen kennen bei den unterschiedlichen Fällen.
Also beispielsweise, wer war dieser Täter von Johnny Carr?
War der Täter bei Johnny Carr vielleicht minderjährig oder betrunken?
Hat er durch die Tritte wirklich töten wollen?
In welchem Geisteszustand befand er sich bei der Tat?
War er vorbestraft?
Und all solche Sachen und auch die persönlichen Verhältnisse und so.
Diese Informationen, die lassen sich alle in diesem Artikel nicht finden.
Und deswegen, weil es eh auch unterschiedliche Straftaten sind, ist es halt so ein bisschen Äpfel mit Birnen vergleichen.
Ja, was mich zum Beispiel auch interessieren würde, wenn ich jetzt nur höre, dreimal in verschiedenen Bewerbungsgesprächen an die Brust gefasst.
Ja, wie sah das denn genau aus?
Weil drei Jahre dafür, das kommt mir jetzt sozusagen auf den ersten Blick ja auch hoch vor.
Und deswegen würde ich gerne dazu noch mehr wissen.
Wie sah das aus?
In welchem Verhältnis waren die?
Was gab es da für eine Vorgeschichte?
Etc.
Wie sah das aus?
Ja, wie das genau aussah, kann ich dir nicht sagen.
Aber im Zweifel bringt uns das hier ja auch nicht weiter.
Aber genau, also es fehlt einfach ganz, ganz viel, um sich hier eine Meinung zu bilden.
Und das war auch in diesem TikTok-Video so.
Weil diese Strafzumessungen durch Gerichte, das sind ja immer Einzelfallentscheidungen.
Und es ist eben nicht deren Aufgabe, ein Urteil zu fällen, was im Vergleich zu anderen Urteilen auf irgendeine Art gerecht für die Bevölkerung wirkt.
Ja, weil erstens mal, wie soll das auch funktionieren?
Soll man sich dann alle Urteile zu jeder Straftat dann immer nochmal anschauen oder welche, die vielleicht ähnlich sind?
Wobei die, die du ja oder dieser Mensch in seinem Artikel hat, sind ja total unterschiedlich.
Und wenn man jetzt auf die Bevölkerung guckt, ist es ja auch schwierig, weil subjektiv Menschen ja verschiedene Meinungen dazu haben, was wie hart bestraft werden sollte.
Ja, davon abgesehen, genau.
Und deswegen ist es, glaube ich, auch so ein Aufreger im Internet.
Und diese Vergleiche, ich bin die wirklich so ein bisschen leid.
Ja, weil wir können ja so froh sein, dass wir in einem Land leben mit Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Schuldprinzip und dass unsere Gerichte unabhängig sind.
Und dass ein Gericht nicht gezwungen ist, sich an anderen Entscheidungen zu orientieren, sondern sich halt immer die individuelle Person anguckt und die Vorgeschichte und was vor der Tat passiert ist und die Motive und was die Person als Mensch ausmacht.
Und dass man nicht ein Strafmaß nur im Sinne der Verhältnismäßigkeit auf gewisse Taten anwendet.
Ja.
Das würde am Ende noch mehr Ungerechtigkeit mit sich ziehen.
Ja.
Ja, also wollte ich an dieser Stelle mal gesagt haben, weil diese Videos und Artikel darüber, die gibt es zuhauf, vor allem immer dann, wenn irgendwas passiert ist.
Und dass Leute, die unseren Podcast vielleicht auch schon länger verfolgen und die solche Sachen sehen, dass die nicht auf diese populistische Rhetorik dann reinfallen.
Wobei es ja auch echt schade ist, dass sowas offenbar sogar von Menschen kommen, die Ahnung haben, also von Juristen.
Wo man dann als Laie oder Laien natürlich denkt, ja, diese Person hat Ahnung.
Ja, auch Menschen mit Ahnung haben manchmal seltsame Ansichten.
Ja.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle erzählen, darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen.
Bitte bealtet das immer im Hinterkopf, wenn ihr die Folgen hört.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen lockerer miteinander reden.
Das ist für uns einfach immer nur so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Wenn ihr in den letzten fünf Jahren hier aufmerksam zugehört habt, dann wisst ihr, dass die Tötung eines Menschen juristisch ganz unterschiedlich bewertet werden kann.
Und dass es dann neben Mord und Totschlag zum Beispiel auch noch sowas gibt wie Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässige Tötung und noch ein paar mehr.
Alles Straftaten, die durch die unterschiedliche Bewertung eben auch unterschiedliche Strafen nach sich ziehen.
Und jetzt gibt es aber eine Form der Tötung, die im Strafgesetzbuch nicht verankert ist.
Und damit bleibt sie auch straffrei, nämlich der Suizid, also wenn man sich selbst tötet.
Dass man jetzt dafür nicht bestraft wird, ist ja erstmal logisch, weil man ist ja dann auch tot.
Man wird hier aber auch nicht für den Versuch bestraft.
Das ist in einigen Ländern wie Kenia, aber anders.
Und Grund dafür ist, dass wir in Deutschland das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben haben.
Das ist in Artikel 2 des Grundgesetzes verankert.
Und dieses Recht schließt laut einem Leitsatz des Bundesgerichtshofs auch das Recht, mit einem seinem Leben ein Ende zu setzen.
In Karlsruhe ist man nämlich der Ansicht, dass die Entscheidung zu sterben ein Akt autonomer Selbstbestimmung ist.
Und deswegen sowohl vom Staat als auch von der Gesellschaft zu respektieren sein muss.
Suizide sind also keine Verbrechen.
Und trotzdem sprechen wir jetzt in dieser Folge darüber, weil es gibt Menschen, die auf dem Weg zu ihrem Suizid Straftaten begehen.
Und von solchen Fällen erzählen wir euch jetzt.
Und damit kennt ihr die entsprechende Triggerwarnung, die diesmal für die ganze Folge gilt.
Mein Fall zeigt, dass ein schöner Schein dunkle Schatten mit sich ziehen kann.
Alle Namen habe ich geändert und die explizite Triggerwarnung für diesen Fall findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Fabrice kann es nicht glauben.
Fassungslos sitzt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern zu Hause am Tisch.
Obwohl es noch früh am Morgen ist, trägt der eiskalte Januartag 1993 bereits jetzt eine kaum auszuhaltende Schwere mit sich.
Immer wieder hat Fabrice die schrecklichen Bilder vor Augen, deren Zeuge er vor nur wenigen Stunden wurde.
In Gedanken daran faltet er seine Hände zum Gebet.
Seine Familie tut es ihm gleich.
Sie denken an Fabrizes besten Freund, der gerade im Krankenhaus um sein Leben kämpft.
Der stille Wunsch von Fabrice, seiner Frau und seinen Kindern ist eindeutig.
Sie beten, dass er nie wieder aufwacht.
Rückblick
Die Lage am Genfer See, das Jura-Gebirge fast vor der Haustür.
Das Dorf Prövesar im Osten von Frankreich ist ein idyllisches Fleckchen Erde.
Hier, nur zwölf Kilometer von der Schweizer Grenze entfernt, hat sich Familie Bernard in einem der unscheinbaren, aber gräumigen Landhäuser niedergelassen.
Vater Adam, Mutter Amelie, die siemjährige Anouk und der fünf Jahre alte Noah.
In der Nachbarschaft sind die Bernars beliebt, vor allem Adam, besser bekannt als Dr. Bernard.
Der 38-Jährige genießt großes Ansehen, seitdem er sich bei den AnwohnerInnen als Arzt vorgestellt hat,
der, wenn er nicht gerade bei der Weltgesundheitsorganisation an einem Mittel gegen eine Gefäßerkrankung forscht,
an internationalen Medizinkongressen in New York, Tokio oder anderen Metropolen teilnimmt.
Für den stämmigen Mann mit dem dunklen, schütteren Haar war der Weg zum erfolgreichen Mediziner aber keinesfalls vorbestimmt.
Der 38-Jährige kommt nämlich aus einer Försterfamilie.
Bereits seit vielen Generationen kümmern sich die Bernarmänner um Forst und Boden.
Die Naturverbundenheit wurde Adam sozusagen in die Wiege gelegt.
Schon als kleiner Junge liebte er es, mit seinem Vater Robert durch die sattgrünen Wälder zu streifen, umgeben vom erdigen Duft der Natur.
So liegt es nahe, dass sich Adam nach seinem Abitur für ein Forstwirtschaftsstudium entscheidet.
Um die Aufnahmeprüfung zu bestehen, schreibt er sich 1971 in eine sogenannte Vorbereitungsklasse in Lyon ein.
Dort trifft er aber nicht nur auf Gleichgesinnte, die sich wie er für Forstwirtschaft interessieren,
sondern auch auf Kinder aus wohlhabenden MedizinerInnenfamilien und Sprösslinge erfolgreicher AnwältInnen.
Da keimen Zweifel in Adam auf, die schon bald zu einem eindeutigen Wunsch heranwachsen.
Er will nicht mehr in den Forst, sondern in die Medizin.
Denn er will den sozialen Aufstieg schaffen und das Leben leben, das die anderen jungen Menschen um ihn herum haben.
Außerdem ist da noch Amelie.
Eine große, schlanke junge Frau mit ausgeprägten Wangenknochen.
Adam himmelt Amelie schon an, seit er ein Teenager ist.
Und Amelie hat sich für das Medizinstudium in Lyon eingeschrieben.
Und so tut er es ihr gleich.
Dass Adam nicht in die beruflichen Fußstapfen seines Vaters treten will, ist eine Enttäuschung für seine Eltern Robert und Simon.
Allerdings währt dieses Gefühl nicht lange.
Denn mit der Vorstellung, ihr einziges Kind könnte ein angesehener Arzt werden, können sie sich immer mehr anfreunden.
Als Adam also ins Medizinstudium startet, verfolgen Robert und Simon seine akademischen Schritte mit Begeisterung
und gratulieren zu jeder bestandenen Prüfung.
Und sie freuen sich auch, als aus Adam und Amelie erst ein Paar wird und ihr Sohn die Tochter aus gutem Hause 1984 dann schließlich heiratet.
Nachdem Adam Robert und Simon dann auch noch zu Großeltern macht und sie erfahren, dass er einen Job bei der WHO ergattert hat,
platzen sie beinahe vor Stolz.
Um sich und andere an die Erfolge ihres Sohnes zu erinnern, hängt bei ihnen zu Hause ein schwarz gerahmtes Foto an der Wand.
Es zeigt das imposante gläserne WHO-Gebäude, an dem Adam eines der Fenster mit einem kleinen Kreuz markiert hat.
Hier hat ihr Sohn sein Büro.
Wenn Robert und Simon auf das Bild schauen, dann wissen sie, ihr Sohn hat's geschafft.
Dabei ist die Lage seines Büros nahezu das Einzige, was sie über Adams Arbeit wissen.
Details kennen sie nicht, denn Adam legt großen Wert darauf, Berufliches und Privates zu trennen.
Weil er am Arbeitsplatz nicht gestört werden will, hat niemand seine Telefondurchwahl.
Und zu Hause verliert er auch nur wenige Worte über seinen Alltag in der Medizin.
Seine Eltern akzeptieren das, genau wie seine Frau Amelie und sein bester Freund Fabrice.
Fabrice kennt Adam seit seiner Schulzeit.
Die beiden passen wie die Faust aufs Auge, denn mit seiner selbstbewussten, extrovertierten Art ergänzt Fabrice den eher ruhigen, manchmal sogar schüchtern wirkenden Adam perfekt.
So haben sie zusammen nicht nur die Schule, sondern auch das Medizinstudium gemeinsam hinter sich gebracht.
Auch heute, als erwachsene Männer, verbringen die beiden noch immer viel Zeit miteinander.
Es stehen immer wieder Filmabende mit der ganzen Familie auf dem Programm und im Sommer der Urlaub in Italien.
Wie eng die Freundschaft zwischen Adam und Fabrice ist, zeigt sich auch an den Patenschaften, die sie gegenseitig für ihre Kinder übernommen haben.
Doch das innige Band der beiden Männer soll schon bald erste Risse bekommen.
Montag, 11. Januar 1993
Das Klingeln des Telefons reißt Fabrice um vier Uhr morgens aus dem Schlaf.
Müde greift er zum Hörer.
Die Worte, die er vernimmt, sorgen aber dafür, dass er schlagartig wach wird.
Adams Haus stehe in Flammen.
Ohne lang zu fackeln, stürmt Fabrice zum Auto und fährt zu seinem besten Freund ins Nachbardorf.
Dort angekommen, bahnt er sich den Weg vorbei an den roten Feuerwehrfahrzeugen.
Die eiskalte Winterluft riecht nach Rauch, aber Fabrice sieht in Adams Einfamilienhaus keine lodernden Flammen.
Die Löscharbeiten müssen bereits abgeschlossen sein.
Zurückgeblieben ist er nahezu komplett ausgebrannter Dachstuhl.
Und es kommt noch schlimmer.
Fabrice muss mit Ansehen, wie Rettungskräfte aus dem Inneren des Hauses drei Bahren tragen.
Auf jeder davon liegt ein lebloser Körper.
Zwei von ihnen sind nicht nur stark verkohlt, sondern auch auffällig klein.
Die Leichen seiner Patenkinder Anouk und Noah, die in viel zu großen grauen Säcken verschwinden.
Keiner der Rettungskräfte hält Fabrice auf, als er an die dritte Bahre herantritt.
Auch auf ihr liegt ein Mensch, dessen Herz nicht mehr schnägt.
Fabrice erkennt sie sofort.
Adams Frau Amelie.
Anders als die Leichen ihrer Kinder ist sie nicht verkohlt.
Ihr Gesicht ist nur etwas geschwärzt vom Ruß.
Als Fabrice es genauer betrachtet, fällt ihm etwas auf.
An ihrem Kopf klafft eine Wunde.
Er macht einen der Feuerwehrleute darauf aufmerksam.
Der erklärt ihm, dass Amelie vermutlich von einem Balken getroffen wurde.
Schließlich ist durch das Feuer der halbe Dachstuhl eingestürzt.
Während für Mutter Amelie und die Kinder jede Hilfe zu spät kommt, gibt es ein Mitglied der
Familie Benner, das in dieser Nacht nicht in einem Leichenwagen abtransportiert wird.
Adam.
Der 38-Jährige liegt regungslos in seinem halb verkohlten Schlafanzug auf der Liege eines Rettungswagens.
Als die Türen sich schließen und das Auto mit heulenden Sirenen ins Krankenhaus fährt, macht sich Fabrice auf den Weg zurück nach Hause.
Dort überbringt er seiner Frau und den beiden Kindern die schreckliche Nachricht, dass Amelie, Anouk und Noah tot sind und Adam im Krankenhaus um sein Leben kämpft.
Alle sind geschockt und fühlen sich hilflos.
Das Einzige, was sie jetzt tun können, ist beten.
Und so senden alle vier in diesen frühen Morgenstunden den gleichen religiösen Appell gen Himmel.
Sie bitten darum, dass Adam seinen Kampf ums Überleben nicht gewinnt.
Denn Fabrice ist sich sicher, ohne seine Familie möchte sein bester Freund nicht weiterleben.
Als Fabrice wenige Stunden später seine Arztpraxis ausschließen will, wird er bereits erwartet.
Nicht von PatientInnen, sondern von zwei PolizistInnen, die mit ihm über Adam und seine Familie sprechen wollen.
Sie fragen, ob die Benners Feinde haben.
Ob er sich vorstellen könne, dass sie in irgendetwas verwickelt gewesen sein könnten.
Fabrice findet diese Fragen absurd.
Amelie und Adam seien anständige Menschen, die man nur mögen könne, sagt er bestimmt.
Die BeamtInnen erklären ihm, dass bei der Obduktion festgestellt wurde,
dass Amelie und die Kinder nicht durch das Feuer im Haus ums Leben kamen,
sondern dass Anouk und Noah zuvor erschossen wurden
und Amelie durch stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Kopf getötet wurde.
Die Wunde, die Fabrice aufgefallen war, stammte also doch nicht von einem abgestürzten Balken.
Fabrice ist verwirrt.
Bis eben war er noch davon überzeugt, dass die Benners durch ein tragisches Brandunglück gestorben sind.
Doch das ist nicht alles.
Von der Polizei erfährt er weiter, dass die drei nicht die einzigen Opfer sind.
Es gibt noch weitere Tote mit dem Namen Benner.
Auch Adams Eltern Robert und Simon wurden erschossen in ihrem Haus aufgefunden, genauso wie ihr Labrador.
Und zwar mit derselben Waffe, mit der auch Adams Kinder getötet wurden.
Welche das ist und wem sie gehört, wissen die Ermittlungen zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Doch in Anbetracht aller Umstände deute vieles auf eine ganz bestimmte Person hin,
die jetzt in den Fokus der Ermittlungen rückt.
Adam.
Der Einzige, der von der Familie überlebt hat.
Doch dass sein bester Freund seine ganze Familie ausgelöscht haben soll,
kann sich Fabrice nicht vorstellen.
Warum hätte er das tun sollen?
Was die Beamtinnen Fabrice in diesem Moment vorenthalten ist,
dass sie die Antwort auf die Frage nach dem Warum schon haben.
Es waren nur ein paar Anrufe bei der WHO und der Ärztekammer nötig,
um sein mögliches Motiv offen zu legen.
Adam lebt eine Lüge.
Und das schon seit 18 Jahren.
Seitdem er Arzt werden wollte.
Dabei beginnt Adams Medizinstudium Anfang der 70er Jahre vielversprechend.
Der Erstsemester ist fleißig und wissbegierig.
Der Vorstellung, kranke Menschen zu behandeln, kann er zwar nichts abgewinnen,
dafür macht es ihm aber großen Spaß, sich medizinisches Know-how anzueignen.
In den Vorlesungen schreibt er so akribisch mit,
dass KommilitonenInnen ihn um seine Notizen bitten.
Am liebsten lernt er in dieser Zeit mit seinem besten Freund Fabrice und Amelie,
mit der er kurz nach Beginn des Studiums zusammengekommen ist.
Doch als Amelie sich kurz vor Ende des vierten Semesters von Adam trennt,
um sich voll und ganz auf die Uni zu konzentrieren,
bricht das nicht nur sein Herz, sondern auch sein Interesse am Medizinstudium.
Über Wochen hängt der 21-Jährige daraufhin deprimiert in seiner Studentenbude herum
und verlässt sie auch nicht, als im Frühjahr 1975 die Jahresabschlussprüfung ansteht.
Der einzige Musterstudent schreibt die Klausur nicht mit
und verbaut sich dadurch den Start ins dritte Studienjahr.
Das bleibt allerdings sein Geheimnis.
Als ihn seine Eltern fragen, wie die Prüfung gelaufen sei, sagt er gut.
Es ist die erste Lüge, auf die im Laufe der nächsten Jahre unzählige weitere folgen sollen.
Obwohl Adam die Klausur hat sausen lassen, ignoriert er auch die Nachprüfung.
Trotzdem geht er bald wieder zur Uni.
Zusammen mit Fabrice und auch mit Amelie.
Denn als die zu ihm zurückkehrt, sieht Adam keinen Grund mehr,
weiter in seinem Zimmer zu hocken und trüb sein zu blasen.
In den folgenden Jahren besucht Adam mit ihnen Kurse und Vorlesungen
und klettert wie sie die akademische Karriereleiter nach oben.
Zumindest lässt er sie das glauben.
In Wahrheit kommt er aber keinen Schritt voran.
Bei dem die eine entscheidende Prüfung fehlt,
schreibt er sich jedes Jahr heimlich aufs Neue für das zweite Studienjahr ein
und tut einfach nur so, als würde er studieren.
Die Univerwaltung scheint das nicht zu stören.
Doch das ändert nichts daran, dass Adam nicht berechtigt ist,
an den Prüfungen der höheren Semester teilzunehmen.
Es ist zu spät.
Er hat den Fortgang seines Studiums verspielt.
Doch statt sich seinen Scheitern einzugestehen, entwickelt er eine Taktik.
Wenn Fabrice und Amelie Klausuren schreiben, hält er sich kurz davor und danach im jeweiligen
Flur der Prüfungsräume auf, damit alle denken, er nimmt ebenfalls teil.
Es ist ein strategisches Vorgehen, das Adam bis zum vermeintlichen Ende seines Studiums durchzieht.
Insgesamt zehn Jahre lang.
Das ist ja gerissen.
Ja, vor allen Dingen, das zehn Jahre lang so zu machen.
Also ich habe immer das Gefühl, da gehört so eine besondere Art der Abgebrühtheit zu.
Dass man das auch so durchzieht.
Und ich meine, wahrscheinlich, wenn es öfter klappt, dann hat man natürlich auch die Bestätigung.
Aber das kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen, dass das so lange Zeit nicht auffällt.
Ja, das.
Aber was ich mir auch denke, wenn jemand das halt zehn Jahre lang macht, dass das irgendwann
quasi ganz normal für diese Person wird und die Person vielleicht sich auch selber einredet
oder am Ende wirklich glaubt, ja, ich schreibe hier ja die Klausuren.
Obwohl die anderen dann reingehen und die geht dann nach Hause, die Person.
Du meinst, die Person glaubt dann selber auch irgendwann, ich habe die Klausur ja geschrieben.
Ja.
Und ist dann aufgeregt, was sie zu sagen.
Ja, das kann natürlich sein.
1985, ein Jahr nach seiner Hochzeit mit Amelie, erzählt der 31-Jährige seinen Eltern dann
Stolz, er habe sein Examen bestanden.
Reinen Tisch zu machen, ist für Adam jetzt keine Option mehr, dafür hat er schon zu lange
durchgehalten.
Stattdessen erfindet er einen Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem medizinischen Institut in
Lyon.
Seine Eltern und Amelie glauben ihm auch das.
Warum auch nicht?
Schließlich verlässt Adam jeden Morgen das Haus.
Später verkündet er dann auch schon die nächste Lüge, er habe ein Angebot bei der WHO in Genf
bekommen.
Dafür zieht er sogar mit Amelie an die Schweizer Grenze.
Im Ende der 80er kommen Anouk und Noah zur Welt.
Und wenn ihn seine Familie in seinem Büro bei der WHO vermutet, streift Adam durch die Wälder
des Juras, sitzt in Cafes oder an Raststätten in seinem Auto und liest medizinische Fachzeitschriften.
Natürlich weit genug entfernt, um zu vermeiden, von Bekannten gesehen zu werden.
Dass Adam tatsächlich regelmäßig das gläserne WHO-Gebäude in Genf betritt, ist nur ein Mittel,
um die Fassade nach außen aufrecht zu erhalten.
Statt in den Laboren bahnbrechende medizinische Forschung zu betreiben, lungert er in der Besucherhalle
herum und füllt dort seine Aktentaschen mit kostenlosem Briefpapier, mit WHO-Logo, Kugelschreibern
und Flyern, um seine Scheinexistenzglaubwürdigkeit zu verleihen.
Auch die öffentlich zugänglichen Dienstleistungen nutzt Adam.
Briefe verschickt er über die WHO-Poststelle, Familienurlaube bucht er über das WHO-Reisebüro.
Und wenn er sich von Amelie auf eine Geschäftsreise verabschiedet,
checkt er in einem Hotel am Genfer Flughafen ein und liest Reiseführer der Länder, in denen er vorgibt, zu sein.
Oft hat er bei seiner Rückkehr sogar Mitbringsel für Anouk und Noah im Gepäck.
Die kauft er jedoch nicht im Ausland, sondern in den Souvenirshops am Genfer Flughafen.
Also das ist so abgewichst, ne?
Ja, Fass ist nicht.
Da muss man auch erstmal drauf kommen.
Und wie fühlt man sich, wenn man in einem Hotel am Flughafen sitzt,
ein Reiseführer über New York liest, damit man danach sagen kann, ich war in New York.
Da gab's den Big Apple.
Ganz groß und schön.
Also ich frag mich tatsächlich, wie man sich Erlebnisse und Eindrücke anlesen kann.
Und bei ihm war das ja nicht nur das, also es ging ja auch noch um das Studium.
Ich meine, der hängt da irgendwie mit seinen Freunden ab, die selber Medizin studiert haben und das fällt nicht auf oder was?
Ich find das ganz absurd.
Ja.
Naja, Gerd Postel war Leiter einer psychiatrischen Klinik, ne?
Mehr muss man dazu nicht sagen als Postbote.
Der bekannte Hochstapler, über den wir ja auch schon mal gesprochen haben.
Ja, und dieses Wissen, das sich Adam mit diesen Fachzeitschriften, Büchern und eben auch Reisehörern aneignet,
das ist für ihn so eine Art intellektuelle Absicherung, weil es sind Fakten, mit denen er nicht nur glänzen,
sondern auch neugierige Nachfragen bedienen kann.
Aber er muss nicht oft auf das Gelernte zurückgreifen.
Adam versteht es nämlich ausgezeichnet, das Gespräch geschickt von sich zu lenken
und betont, niemanden mit Arbeitsdetails langweilen zu wollen.
Familie und Freundinnen rechnen ihm das hoch an.
In ihren Augen ist Adam einfach bescheiden.
Ab 1990 integriert er dann noch eine weitere Lüge in seinen Alltag.
In letzter Zeit kommt dem 36-Jährigen nämlich seine ehemalige Nachbarin Danielle immer wieder in den Sinn.
Die Kinderpsychologin hat sich gerade von ihrem Mann scheiden lassen und lebt inzwischen in Paris,
wo sie nun regelmäßig Besuch von einem anderen Mann bekommt, von Adam.
Nach einigen Treffen verliebt er sich in Danielle und überlegt sogar, Amelie für sie zu verlassen.
Um sie zu bezirzen, bietet Adam Danielle ein Luxusleben mit Schmuck, gutem Essen und Übernachtung in teuren Hotels.
Nur zahlt Danielle diese kostspieligen Gesten eigentlich selbst, ohne es zu wissen.
Denn um sein Leben zu finanzieren, hat Adam eine Masche entwickelt.
Als WHO-Beamter, so erklärt er seinem Umfeld, habe er die Möglichkeit Geld zu einem Zinssatz von 18% gewinnbringend auf einem Schweizer Konto anzulegen.
Dieses Angebot sagt seinen Eltern, seinem Schwiegervater und einigen Bekannten zu und so vertrauen sie Adam ihre Ersparnisse an.
Auch Danielle überreicht ihm einen Koffer mit 900.000 Francs in bar.
Das sind heute übrigens umgerechnet ungefähr 137.000 Euro.
Das ist alles Geld, das Adam in erster Linie nicht auf das Schweizer Konto, sondern in seine eigene Tasche steckt, um seine Familie zu unterhalten.
Der Aushilfsjob von Amelie in einer Apotheke genügt nämlich bei weitem nicht, um den Lebensstandard zu finanzieren, den die Bernars pflegen.
Doch so raffiniert und ausgeklügelt Adam lügt und betrügt, ab und zu macht er Fehler.
Als Amelie gegenüber Fabrice einige Monate vor dem Feuer beiläufig erwähnt, dass Adam in seiner Zeit als Assistenzarzt als einer der Besten abgeschnitten habe, ist Fabrice verwundert.
Davon weiß er gar nichts.
Warum hat Adam das nie erwähnt?
Und nicht nur Fabrice, auch Amelie erlebt Situationen, die sie stutzig machen.
Als Anouk und Noah drängen endlich mal das Büro ihres Papas zu sehen, fährt Adam mit ihnen und Amelie zum WHO-Gebäude.
Doch anstatt mit seiner Familie hineinzugehen, zeigt er bloß auf ein Fenster in den oberen Stockwerken.
Dort arbeitet Papa.
Dann machen sie sich wieder auf den Heimweg.
Und da gibt es noch diesen Vorfall mit dem Präsidenten der Schulbehörde im Dezember 1992, den Amelie zufällig trifft, als sie Weihnachtseinkäufe macht.
Die beiden kennen sich, weil Adam sich im Vorstand der Schule seiner Kinder engagiert.
Der Präsident erzählt ihr, dass er versucht habe, Adam zu erreichen.
Doch die Sekretärin bei der WHO habe im Mitarbeitendenverzeichnis gar keinen Adam-Benner gefunden.
Amelie ist irritiert.
Sicher ein Missverständnis.
Sie verspricht ihren Mann zu fragen.
Ob sie das am Ende macht, ist unklar.
Denn wenige Wochen nach dieser Begegnung sind Amelie, Anouk, Noah und Adams Eltern tot.
Adam selbst überlebt den Brand in seinem Haus, liegt danach einige Zeit im Koma, kann sich davon aber erholen.
So muss er sich dreieinhalb Jahre später, am 25. Juni 1996, wegen fünffachen Mordes vor Gericht verantworten.
Als der mittlerweile 41-Jährige an diesem Sommertag in Handschellen den Saal betritt, wird er vom Blitzlichtgewitter der Journalist*innen begleitet.
Im schwarzen Jackett über einem dunklen Poloshirt mit offenem Kragen nimmt er auf der Anklagebank Platz.
In einer Vitrine vor ihm sind Fotos ausgestellt, die im Haus der Bernars sichergestellt wurden.
Auf einem pustet Noah Geburtstagskerzen aus, das andere ist ein Urlaubsschnappschuss, für den die vierköpfige Familie eng aneinandergereiht posiert.
Momente aus der Vergangenheit, die es nie wieder geben wird.
Weil sich Adam dazu entschieden hat, seinen Liebsten das Leben zu nehmen, damit sein Kartenhaus nicht zusammenfällt.
Da ist sich die Staatsanwaltschaft sicher.
Denn Ende 1992 befindet sich Adam in einer Sackkasse.
Seine geliebte Danielle verlangt das Geld, das sie ihm vor einiger Zeit überreicht hat, um es für sie anzulegen, zurück.
Doch die 900.000 Francs hat Adam längst ausgegeben.
Obwohl er normalerweise ein Meister im Hinhalten ist, kann er Danielle nicht so leicht besänftigen wie andere, die ihm in den vergangenen Jahren horrende Summen anvertraut haben.
Sie verlangt einen Termin für die Geldübergabe.
Adam schlägt den 9.
Januar 1993 vor.
Daniel willigt ein, unwissend, dass Adam soeben das Datum festgelegt hat, an dem er seine Familie töten wird.
Denn statt nun alle Hebel in Bewegung zu setzen, um das Geld irgendwie aufzutreiben, entscheidet er sich für einen anderen Weg.
Am 5.
Januar, vier Tage vor den Taten, recherchiert er in einem pharmakologischen Wörterbuch die Wirkungsweisen von Arzneimitteln.
Dann besorgt er sich über einen Apotheker Barbiturate starke Mittel gegen Schlaflosigkeit.
In einem Waffengeschäft in Lyon kauft er außerdem einen Elektroschocker, zwei Tränengaskanister, eine Schachtel Patronen und einen Schalldämpfer.
An der Kasse bittet er, ihm diese Gegenstände als Geschenk zu verpacken.
Doch wenige Tage später benutzt er sie selbst.
Es ist mitten in der Nacht, als Adam am Samstag den 9.
Januar an die Bettseite seiner Frau tritt, in der einen Hand ein Nudelholz.
Sechsmal holt er aus und trifft die schlafende Amelie mit voller Wucht am Kopf.
Oh, und das ist auch noch so brutal, ne?
Ach, es ist ganz schlimm.
Also mit einem Nudelholz.
Ja, da wachst du ja erstmal auf und kriegst das total mit, dass dich gerade dein Mann, den
du liebst, versucht umzubringen.
Also, das ist ja ein Kampf dann auch.
Ja, und dann wachen seine Kinder auf und fragen nach der Mama.
Und Adam erklärt, Amelie sei krank und brauche Ruhe.
Um die beiden abzulenken, legt Adam eine Videokassette ein und macht Frühstück.
Während Anouk und Noah dann Cornflakes-Count auf dem Sofa lümmeln und die drei kleinen
Schweinchen schauen, findet sich der böse Wolf nicht nur auf dem Bildschirm wieder.
Er sitzt auch zwischen ihnen auf der Couch.
Adam weiß, dass dieser Moment vor dem Fernseher der letzte mit seinen Kindern sein wird.
Denn er wird auch Anouk und Noah töten.
Also sagt Adam zu seiner Tochter, dass sie sich heiß anfühle.
sie solle nach oben gehen und sich auf den Rücken ins Bett legen, damit er Fieber messen könne.
Im Kinderzimmer greift er dann aber nicht zum Thermometer, sondern zum Jagdgewehr.
Und er schießt seine siebenjährige Tochter.
Boah.
Anschließend ruft er Noah zu sich.
Auch bei ihm wolle er Fieber messen.
Als der Fünfjährige zu seinem Papa läuft, erschießt er auch ihn.
Gegen Mittag fährt Adam zu seinen Eltern, die rund eine Stunde entfernt leben.
Robert und Simone freuen sich über den Besuch.
Unter dem Vorwand, sich eine defekte Lüftung anschauen zu wollen, lockt Adam seinen Vater
in sein altes Kinderzimmer.
Als dieser sich hinkniet, um das vermeintliche Problem zu betrachten, betätigt Adam zum dritten
Mal an diesem Tag den Abzug des Jagdgewehrs.
Dann geht er ins Wohnzimmer und erschießt seine Mutter und den Familienhund.
Am Abend steht Adam dann vor Daniels Tür, seiner Geliebten.
Er erzählt ihr, dass er es leider nicht geschafft hat, zur Bank zu gehen.
Sie wird daraufhin wütend.
Adam vertröstet sie und schlägt stattdessen vor, ihn auf eine Dinnerparty zu begleiten.
Daniel willigt ein und steigt ins Auto.
Auf einem Waldweg hält Adam plötzlich an und gibt vor, ihr eine Kette schenken zu wollen.
Doch anstatt ein Schmuckstück aus seiner Tasche zu ziehen, holt Adam ein Tränengasspray hervor.
Er spurt ihr ins Gesicht und verpasst ihr danach mit dem Elektroschocker mehrere Stöße
in den Unterleib.
Daniel schlägt panisch um sich, bis Adam plötzlich von ihr ablässt.
Er habe gedacht, sie habe ihn angreifen wollen, behauptet Adam kleinlaut und entschuldigt sich.
Er sah gerade etwas durch den Wind.
Daniel gibt vor, die Entschuldigung anzunehmen und lässt sich von Adam zurück zu ihrer Wohnung fahren.
Die Polizei ruft sie nicht.
Vielleicht aus Angst vor einem erneuten Angriff oder davor, ihr Geld sonst nie zurückzubekommen.
Den darauf folgenden Sonntag verbringt Adam zu Hause, wo die Leichen von Amelie, Anouk und Noah noch immer liegen,
ehe er in der Nacht zum Montag das Finale seines tödlichen Plans einläutet, das Haus in Brand zu setzen.
Adam selbst sagt, er habe in den Flammen sterben wollen.
Er spricht also von einem erweiterten Suizidversuch.
Der Staatsanwalt dagegen bezweifelt das und beruft sich dabei auf die Ermittlungsergebnisse.
Es sei zwar richtig, dass Adam mehrere Schlaftabletten geschluckt habe,
allerdings waren das nicht die starken Barbiturate und die Schlaftabletten waren abgelaufen.
Außerdem habe er erstens das Schlafzimmer, in dem er sich aufhielt, als einziges Zimmer nicht in Brand gesetzt,
zweitens das Fenster geöffnet, als er wegen der Rauchentwicklung im Haus keine Luft mehr bekam
und drittens lautstark auf sich aufmerksam gemacht, als die Feuerwehr anrückte.
Alles Hinweise darauf, dass Adam nicht wirklich habe sterben wollen, meint die Anklage.
Adam log fast ein halbes Leben lang und er hörte laut Staatsanwalt auch vor Gericht nicht ganz damit auf.
In seinem Schlussplädoyer sagt er, Adam sei zur Verlogenheit konvertiert, wie man zu einer Religion konvertiere.
Zu seiner Verteidigung kann Adam nicht viel sagen.
Auf die Frage der Richterin, warum er das ganze Lügenspiel so lange durchgezogen hat,
sagt er nur, dass das die Frage sei, die er sich selbst seit 20 Jahren stelle.
Wenn man einmal in diese Tretmühle gerate, niemanden enttäuschen zu wollen, dann ziehe die erste Lüge die zweite nach sich
und ehe man sich versieht, wird daraus ein ganzes Leben, so Adam.
Ja, ein ganzes scheiß Kartenhaus.
Ja.
In seinem Schlusswort richtet sich Adam an seine tote Familie.
Er bittet sie um Vergebung.
Vergebt mir euch nicht die Wahrheit gesagt zu haben.
Ich werde euch in Wahrheit lieben.
Also das hilft denen ja viel, die Liebe von jemandem, der ihnen das Leben genommen hat.
Ja.
Und es ist auch fraglich, wie viel das Wort Wahrheit aus Adams Mund bedeutet.
Am 6. Juli 1996 fällt jedenfalls das Urteil.
Adam wird wegen fünffachen Mordes schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
Juristisch ist Adams Verbrechen aufgearbeitet.
Doch für einen ist es damit nicht getan.
Fabrice hat der Prozess viel Kraft gekostet.
Immer wieder kommen Journalist*innen auch jetzt noch auf ihn zu und wollen Statements von ihm,
dem besten Freund des Mannes, der seine ganze Familie ausgelöscht hat.
Fabrice fragt sich, wie echt die Freundschaft mit Adam war und wie gut er ihn wirklich kannte.
Doch er weiß auch, er muss akzeptieren, dass diese Fragen vielleicht für immer unbeantwortet bleiben.
Denn mit seinem ehemaligen Freund möchte er nie wieder ein Wort wechseln.
Als gläubiger Christ betet Fabrice immer noch jeden Abend.
Mit gefalteten Händen richtet er seine Wünsche an Gott, so wie er es in der schrecklichen Januarnacht gemeinsam mit seiner Familie getan hat.
Doch es gibt einen Unterschied.
Adam schließt Fabrice in seine Gebete jetzt nicht mehr mit ein.
Also dass der sich fragt, wie gut er seinen Freund kannte, offenbar ja gar nicht.
Ja.
Also wir hatten das ja neulich hier schon mal, dass wir darüber geredet haben, dass Leute versuchen immer ein Bild nach außen zu vermitteln,
was eigentlich gar nichts mit ihrer wahren Person zu tun hat.
Ja.
Und ich meine, in diesem Fall ist das ja, das ist ja ein Con-Artist gewesen.
Ja.
Ja.
Also ein Hochstapler.
Und ich frage mich immer, wie passiert das eigentlich?
Wo ist eigentlich der Anfang?
Ist es so, dass das theoretisch wirklich mehreren Menschen passieren könnte, dass sie sich quasi in einer Lüge so verfangen und dann sich irgendwann so in eine Sackgasse rein manövrieren, dass sie da nicht mehr rauskommen?
Und ist das das Problem oder ist das in ihrer Persönlichkeit schon so angelegt, dass die einfach zu pathologischem Lügen neigen?
Also ich meine, Ferndiagnose, ja, aber das ist ja, was das Lügen angeht, weit weg von dem, was man irgendwie als normal oder meinetwegen auch shady oder so einstufen würde.
Sondern der hat sich ja einfach sein ganzes Leben und seine ganze Existenz erlogen.
Ja, apropos Ferndiagnose, dazu muss ich auch mal sagen, dass wir in diesem Fall kein Urteil haben.
Deswegen habe ich auch keine Infos zu einem psychologischen Gutachten und kann dir quasi nicht erklären, was dahinter steckt.
Aber um das vielleicht einmal an der Stelle schon einzuordnen, es kommt nicht oft vor, dass ein Vater seine Kinder und seine gesamte Familie tötet, in Anführungszeichen nur, um sein Kartenhaus aufrechtzuerhalten.
Also wir sprechen später nochmal über die Gründe und auch, was die Psyche damit zu tun haben kann.
Aber ich kann mir generell schon vorstellen, dass es so eine Kombination aus beidem ist.
Also dass es irgendwie auf der einen Seite in der Persönlichkeit angelegt sein kann und auf der anderen Seite dieses, man fängt mit einer Lüge an und dann fällt man sozusagen in die nächste.
Da hat Adam ja dann auch vor Gericht gesagt, dass wenn man halt einmal in diese Tretmühle gerät, niemanden enttäuschen zu wollen.
Das finde ich nämlich auch spannend eigentlich hier an dem Fall, weil wir nicht so viel über Adams inneres Wissen, finde ich diesen Satz ganz wichtig, weil man so, wenn es stimmt, was er sagt, wenn man das jetzt mal voraussetzt.
Ja, genau.
Ich wollte nämlich gerade sagen, weil das natürlich auch immer so eine Art Viktimisierung von einem selbst ist.
Ja.
Ich konnte ja nicht anders.
Da habe ich einmal mir einen Fehltritt erlaubt und danach ging es quasi nicht mehr.
Ich finde das so absurd.
Ich meine, für manche ist es ja auch offenbar tatsächlich irgendwie ein Ding, dass wenn die im Bett verstorben sind, dass die noch einen halben Tag damit kuscheln, bevor die irgendwie den Arzt rufen oder so.
Aber Helmut Kohl zum Beispiel soll ja auch zwei Wochen in seinem Wohnzimmer aufgebahrt gewesen sein.
Wow.
Das wusste ich nicht.
Weil seine Frau, Michael Kohlrichter, den halt da hatte, weil der diesen europäischen Staatsakt bekommen sollte.
Und eigentlich darf diese Zeit, wo man das macht, halt nicht lange sein.
Irgendwie nur so 36 Stunden oder so.
Und der soll einfach über zwei Wochen im Wohnzimmer da gelegen haben.
Nee, also das möchte ich nicht.
Gekühlt natürlich, aber trotzdem.
Weißt du noch, als die Queen hier gestorben ist und es darum ging, sich von ihr zu verabschieden und wir dachten, also mein Mann und ich dachten, dass sie da eine Woche lang quasi auch so aufgebahrt liegt und man sich dann als Bürger oder Bürgerin von ihr verabschieden kann.
Und dafür haben sich Leute übrigens stundenlang angestellt und andere Leute konnten Geld bezahlen, um die Schlange zu überspringen, was alles so absurd war.
Aber letztendlich, die Queen war nie aufgebahrt in dem Sinne, dass man sie angucken konnte, sondern das war immer zu.
Und dann haben mein Mann und ich uns erst recht gefragt, wieso man da dann sich stundenlang hinstellt, um auf diesen Sarg zu gucken.
Und als du eben meintest, weißt du noch, als die Queen gestorben ist, dachte ich erst, du willst die Geschichte davon erzählen, wie ich davon erfahren habe, dass sie gestorben ist.
Wie hast du denn davon erfahren?
Also ich war, ja, ich war in Portugal im Urlaub und sitze im Auto und Laura schreibt mir eine WhatsApp und sagt, toll, eigentlich müsste ich die nochmal, müsste ich die nochmal rausholen.
Oh Gott, du hast geschrieben, toll, mein Mann, dessen Name nicht genannt werden darf und ich waren hier auf einer Charity-Veranstaltung eingeladen, wo Harry und Meghan auch geladen waren.
Ja, so, wenn du das so vorliest und wie du das, ja, so habe ich das natürlich nicht gemeint.
Also es war natürlich schade, dass Harry und Meghan nicht da waren, weil ich nur deswegen bei dieser Veranstaltung war.
Aber ja, und ich muss auch ehrlich sagen, diese Veranstaltung war dann so richtig traurig, weil, also das waren wirklich fast nur Briten und Britinnen dort.
Und ja, die Stimmung war wirklich auf dem Tiefpunkt nicht, weil Harry und Meghan nicht gekommen sind, sondern weil die Queen gestorben hat.
Genau, darum geht es nämlich. Es geht nicht darum, die Queen ist tot, sondern es geht darum, Laura kann Meghan und Harry nicht angucken.
Naja, kommen wir zurück zu Adam, der, ja, vor Gericht gesagt hat, er habe in dem Feuer sterben wollen.
Also er wollte sich selber auch töten.
Und damit wollte er das begehen, was man einen erweiterten Suizid nennt, nur dass der in diesem Fall jetzt nicht in Anführungszeichen geglückt ist.
Und damit wären wir jetzt auch beim Thema unserer heutigen Folge.
Wir sprechen heute nämlich über Menschen, die beschließen, nicht nur sich selbst zu töten, sondern auch noch andere mit in den Tod zu nehmen.
Die Formulierung, ne, die liest man ja relativ häufig in der Berichterstattung über erweiterte Suizide.
Und ich habe mich gefragt, das ist irgendwie seltsam, oder?
Als wäre das ein netter Ort.
Also normalerweise ist es ja immer toll, wenn man irgendwo mit hingenommen wird, ne?
Aber in diesem Fall wird man ja gewaltsam getötet und aus dem Leben gerissen.
Ja, und das ist nicht die einzige Formulierung, mit der man nicht so happy ist.
Auch generell der Begriff erweiterter Suizid oder auch Mitnahmesuizid, den benutzt man beispielsweise bei so Taten wie dem Germanwings-Fall,
sind nicht so optimal, weil aus dem Begriff halt nicht hervorgeht, dass es sich da um ein Verbrechen handelt und die andere Person gegen ihren Willen getötet wird.
Dabei ist genau das eben das Hauptkriterium des erweiterten Suizids.
Also, dass die andere Person dabei nicht sterben will oder wie in diesem Fall hier gleich mehrere Personen nicht sterben wollen.
Und dieses fehlende Einverständnis ist deshalb so wesentlich, weil das eben den Unterschied zu anderen Suizidformen ausmacht.
Zum Beispiel zum Doppel- oder Gruppensuizid, bei dem zwei oder mehrere Personen freiwillig gemeinsam sterben.
Was den erweiterten Suizid außerdem ausmacht, ist eine enge Täter-in-Opfer-Beziehung.
Sprich, dass TäterInnen oft nahestehende Menschen umbringen, wie eben PartnerInnen, Kinder, Geschwister oder Eltern.
Und dass als Tatmittel, wie auch im Fall von Adam, besonders häufig Schusswaffen eingesetzt werden.
Ein weiteres Kriterium, und da kommen wir jetzt zu einem Punkt, der vor allem dann schwer festzustellen ist, wenn der Suizid gelingt, ist, dass es TäterInnen primär darauf ankommt, das eigene Leben zu beenden.
Sprich, die Selbsttötung muss im Vordergrund stehen.
Beispiel jetzt, wenn ich Paulina umbringe, weil sie mir meine Mordlustsocken geklaut hat und ich mich danach so schlecht fühle, dass ich dann Suizid begehe, ist das eigentlich kein erweiterter Suizid, weil es eben primär um Socken ging.
Ich verspreche dir, dass ich dir zurückgebe. Ich weiß auch, dass du gesagt hast, ich soll sie bitte nicht mitnehmen, aber ich wollte sie nicht ausziehen.
Es war so kalt in London, als ich da war. Du kriegst neue, wenn du jetzt nach Berlin kommst.
Danke.
Ich sage übrigens bewusst eigentlich, weil man sich in rechtsmedizinischen oder wissenschaftlichen Debatten nicht so richtig einig ist, ob dieses Kriterium nun vorliegen muss, um von einem erweiterten Suizid sprechen zu können oder nicht.
Einige, die sagen, dass der eigene Suizid der springende Punkt dabei ist, sagen zum Beispiel auch, dass Fälle, in denen jetzt zum Beispiel Rache oder Eifersucht die Motive waren, eben keine erweiterten Suizide sind, sondern Mord oder eben Totschlag mit anschließendem Suizid.
Da muss ich gerade an diesen einen Fall denken, den ich mal in der Femizid-Folge besprochen habe. Erinnerst du dich da noch dran?
Da ging es um Alba Chiara.
Ja.
Die wurde von ihrem Ex-Partner erschossen, weil er die Trennung ja offenbar nicht akzeptieren konnte. Und der hat halt auch so gehandelt nach dem Motto, wenn ich dich nicht haben kann, dann kann dich keiner haben.
Wenn ich mich richtig erinnere, hatte er erst sie und dann sich selbst im Badezimmer getötet. Und das würde ich ja jetzt beispielsweise auch nicht als erweiterten Suizid einstufen, sondern halt als Femizid mit anschließender Selbsttötung.
Genau, ja. Und so wie das bei Femiziden ist, steht ja die Fremdtötung da auch im Fokus. Also wir sehen, nicht jede Tötung mit anschließendem Suizid ist auch ein erweiterter Suizid.
Deshalb wird das überhaupt thematisieren, ist, dass die unterschiedlichen Definitionen auch dafür sorgen, dass es mit belastbaren Zahlen zu erweiterten Suiziden eher mau aussieht.
In Deutschland ist der erweiterte Suizid nämlich nicht eigenständig in der polizeilichen Ermittlungsstatistik aufgelistet. Hinzu kommt, dass Suizide und Tötungsdelikte in Kriminalstatistiken grundsätzlich getrennt voneinander aufgeführt werden.
Also heißt, ein erweiterter Suizid würde da sowohl als Suizid als auch als Tötungsdelikt aufgelistet sein, ohne Verbindung zueinander.
Du hast ja gerade gesagt, was bei deinem Fall so ein bisschen gefehlt hat, ist die psychologische Komponente und dass wir darüber nicht so viel wissen, das ist in dem Fall, den ich heute mitgebracht habe, anders.
Der Fall, von dem ich heute erzähle, handelt von einer Beziehung, die wegen einer Erkrankung einen ganz gefährlichen Verlauf nimmt.
Alle Namen habe ich geändert und die zusätzliche Triggerwarnung für meinen Fall findet ihr ebenso in der Folgenbeschreibung.
Da sind sie wieder, die lebende Antriebslosigkeit, die bodenlose Leere, die tiefe Traurigkeit.
Hand in Hand marschieren sie in Hennings Körper und seinen Geist ein, machen sich in seiner Brust breit, ergreifen Besitz von ihm, verleiben sich seine Zuversicht ein, bis keine mehr übrig ist.
Und sie, gesättigt und zufrieden, so gemästet sind, dass sie mit ihrem Gewicht seine Seele beschweren.
Ganz kurz, hast du das geschrieben?
Ja, das habe ich geschrieben.
Das war ja richtig schön.
Schön.
Du Sau.
Zur Transparenz, das ist mein Blick auf die Depression.
Also ich kenne die Hölle und weiß um ihre Feuer, aber natürlich erlebt nicht jeder die Depression so, aber Henning hatte genau diese Symptome, die ich da in meinen Worten
beschrieben habe.
Eigentlich hatte Henning nämlich gehofft, sie los zu sein.
Die Antriebslosigkeit, die Leere, die Traurigkeit, die Depression.
Doch nun sitzt er wieder hier in der Klinik und kämpft denselben Kampf gegen dieselben Dämonen, durch die er sich wie abgestorben fühlt, wie schon vor zwei Monaten.
Sicher, es war schmerzlich gewesen, seine Familie erneut zurückzulassen.
Doch er weiß, dass es wichtig ist, sich um sich zu kümmern.
Hilfe anzunehmen, damit er irgendwann wieder bei seiner Familie sein kann.
Doch in diesem Fall soll das nicht stimmen.
Rückblick.
1 plus 1 macht 3 steht auf abgedroschenen Gratulationskarten zur Familiengründung.
Im Fall von Henning müsste man die 3 durch eine 4 ersetzen, denn bei ihm hat das Nachwuchsglück gleich doppelt zugeschlagen.
Er und Linda, seine Freundin, sind seit einigen Monaten nämlich Eltern von Zwillingen.
Absolute Wunschwonneproppen, die ihm jedes Mal, wenn sie Henning angrinsen, die Gewissheit geben, es war richtig, die Familienplanung mit der 38-jährigen Linda so zügig anzugehen.
Tatsächlich ging alles ziemlich zackig bei Henning und Linda.
Kurz nachdem sich der kräftig gebaute, bärtige Mann mit rahmenloser Brille und die blasse Frau mit den dunkelblonden Haaren auf einer Geburtstagsfeier einer gemeinsamen Freundin kennenlernten, war klar, das passt.
Als sie dann Ende 2011 zusammenziehen, ist das nicht der einzige Meilenstein der Beziehung, denn da trägt Linda bereits die Zwillinge unter ihrer Brust.
Eine Nachricht, die Henning überglücklich macht, denn Vater zu werden, ist ein Traum, den er schon lange hegt.
Verantwortung übernehmen, fürsorglich sein, den Nachwuchs zu eigenständigen Menschen heranziehen.
Begeistert verfolgt er von da an, wie der Bauch seiner Freundin von Monat zu Monat, ja irgendwann sogar von Woche zu Woche größer wird,
bis die Zwillinge schließlich am 1. Juli 2012 in der 33. Schwangerschaftswoche durch einen Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden.
Ein Mädchen und ein Junge, Pia und Finn, die trotz der Frühgeburt wohl auf sind und nach drei Wochen im Wärmebettchen endlich mit ihren Eltern nach Hause dürfen.
Seither dreht sich in Hennings und Lindas Alltag in der gemeinsamen Wohnung im oberbayerischen Freising alles um Windeln wechseln,
Mäulchen stopfen, für Bäuerchen sorgen und darum jedem Schrei auf den Grund zu gehen.
Für Henning ist das alles Neuland, für Freundin Linda nicht.
Henning weiß, es ist nicht das erste Mal, dass Linda versucht, ihre Vorstellung von der perfekten Familie umzusetzen.
Henning ist nämlich nicht der erste Mann an Lindas Seite, mit dem es für immer halten sollte.
Dessen ist er sich bewusst.
Mit ihrem Vorleben hat sie nie hinterm Berg gehalten und Henning von Anfang an alles erzählt.
Bereits zweimal hat Linda in ihrem Leben Ja zu einem Mann gesagt, zumindest wenn man es auf die Kulisse eines Standesamtes begrenzt.
Doch der treue Schwur und das vermeintliche Liebesversprechen auf Lebenszeit sollten nie von Dauer sein.
Noch in ihrer ersten Ehe, in der sie zwei Söhne zur Welt bringt, lernt sie während einer Mutter-Kind-Kur einen Mann kennen, der schon bald der Neue an ihrer Seite wird.
Auch mit ihm lässt sie die Hochzeitsglocken läuten, auch mit ihm bekommt sie zwei Kinder, auch mit ihm scheitert die Ehe.
Doch Henning ist sich sicher, dass es mit ihm anders laufen wird.
Noch dazu ist er froh über die gar nicht mal so kleine Familie, die er durch Linda jetzt bekommen hat.
Wobei nicht alle Kinder bei den beiden unterkommen.
Mit Henning und Linda leben natürlich die beiden neugeborenen Zwillinge Pia und Finn und sonst nur die sechsjährige Maja.
Das Mädchen mit dem hellblonden Schopf und der frechen Zahnlücke ist Lindas Tochter aus zweiter Ehe.
Ihr Bruder wohnt beim leiblichen Vater in Baden-Württemberg, dem Henning versprochen hat, gut auf Maja aufzupassen.
Eine Aufgabe, die er gerne erfüllt.
Denn obwohl Maja nicht seine leibliche Tochter ist, hat er sie ins Herz geschlossen.
Dabei ist Henning natürlich klar, dass Linda das mit dem Aufpassen für Maja auch gut alleine hinbekommt.
Streng, aber liebevoll, lautet das Credo ihrer Erziehung.
Wenn es um ihre Rolle als Mutter geht, formuliert Linda hohe Ansprüche an sich selbst.
Sie will die perfekte Mutter sein.
Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass Liebe und Fürsorge in ihrer eigenen Kindheit kaum an der Tagesordnung waren.
Kaum eine Rolle gespielt haben.
Linda will es anders machen.
Besser.
In ihrem ohnehin stressigen Alltag, in dem sich alles um ihre drei Kinder dreht, engagiert sich die 38-Jährige deswegen auch noch im Elternbeirat.
Das hat sie bereits in Majas Kindergarten gemacht.
Nun übt sie dieses Ehrenamt auch in der Grundschule ihrer Tochter aus.
Eigentlich könnte alles gut sein.
Im Grunde läuft es so, wie Henning es sich gewünscht hatte.
Doch es ist eben nicht alles gut.
Bereits zwei Monate nach der Geburt von Pia und Finn im September 2012, da ist Henning plötzlich oft traurig, nachdenklich und antriebslos.
Anstelle der Glückseligkeit, die er nach der Geburt der Kinder verspürt hat, ist nun eine Leere gerückt, die von Tag zu Tag mehr Raum einnimmt.
Die 180-Grad-Wendung, die sein Leben seit der Geburt der Zwillinge vollzogen hat, setzt ihm in dieser Zeit besonders zu.
Statt durch die rosa-rote Brille blickt er nun durch dunkle, schwere Gläser auf die Welt.
Mit seiner neuen Rolle als Vater fühlt sich Henning oft überfordert.
Regelmäßig steht er wie gelähmt vor dem Bettchen seiner schreienden Babys.
Kraft, sich um sie zu kümmern, hat er nicht.
In der Zeit kommt ihm das erste Mal der Gedanke, sich von Linda und damit auch von seinem neuen Leben als Vater zu trennen.
Doch nachdem sein Problem, in Anführungszeichen, zum ersten Mal medizinisch benannt wird und er nun weiß, dass er an einer Depression leidet,
entscheidet sich der 40-Jährige schließlich dazu, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Doch zu Hause bekommt er die nicht.
Henning muss raus.
Raus aus dem familiären Umfeld, um sich in die Hände von Menschen zu begeben, die ihm helfen können, mit der Erkrankung umzugehen.
Und während sich Henning in den folgenden Wochen in einer psychiatrischen Klinik voll und ganz seiner mentalen Gesundheit widmet,
ist Linda mit zwei Babys und einer sechsjährigen auf sich allein gestellt.
Henning weiß, dass er seine Freundin damit einer großen Belastung aussetzt, doch er muss sich nun um sich selbst kümmern.
Daran führt kein Weg vorbei.
Das weiß auch Linda.
Um Henning in dieser schweren Zeit eine Stütze zu sein, lässt sie ihren Freund vorübergehend ziehen.
Ab und zu besucht sie ihn, um sich von seinen Fortschritten zu überzeugen und ihn um sich zu haben.
Und als Henning dann nach einigen Wochen zurück nach Hause kehrt, scheint es zunächst auch so,
als könnte er mit Linda wieder an das gemeinsame Familienleben anknüpfen.
Doch bereits am 13. November 2012, nach gerade einmal zehn Tagen in seiner gewohnten Umgebung,
nimmt die Depression Henning wieder in ihren klammernden Griff und umschließt ihn mit einer Umarmung, aus der er erneut nicht entkommen kann.
Henning kommt es vor, als stünde er wieder am Anfang seines depressiven Leidenswegs.
Und deshalb gibt es für ihn nur eine logische Konsequenz.
Er muss zurück.
Zurück in die psychiatrische Behandlung.
Zurück in die Klinik.
Ohne dass er es vorher mit Linda bespricht, lässt er sich stationär aufnehmen.
Doch als Linda Henning dann in der Klinik in Taufkirchen bei München noch am selben Tag besucht,
ist sie nicht die verständnisvolle Partnerin wie beim letzten Mal.
Diesmal kann Henning nicht auf ihre Unterstützung hoffen.
Stattdessen redet sie auf ihn ein, bittet ihn wieder nach Hause zu kommen.
Die Kinder würden im Auto warten.
Aber Henning weiß, dass er das nicht kann.
Er kann nicht wieder zurück.
Dahin, wo absolut niemand ihm helfen kann.
Die beiden kommen auf keinen Nenner.
Schließlich verlässt Linda ohne Henning das Klinikum und setzt sich wieder ins Auto.
Später am Tag.
Es ist ein furchtbares Bild, das sich den Einsatzkräften an der abgesperrten Unfallstelle auf der A92 präsentiert.
Der graue Opel Saffira, der seitlich gekippt auf der Fahrerseite liegt, ist ein Totalschaden.
Die Frontscheibe ist komplett zerbrochen.
Einzelne Fahrzeugteile liegen meterweit verteilt.
Einige der PolizistInnen waren dem Wagen schon im Vorfeld gefolgt und hatten mit ansehen müssen, wie das Auto erst im hohen Tempo gegen eine Leitplanke gerast war und sich danach mehrmals überschlagen hatte.
Das demolierte Fahrzeug an sich ist es aber nicht, was den Schrecken an diesem Unfall ausmacht.
Die Menschen darin müssen notversorgt werden.
Eine Mutter und ihre drei Kinder.
Es sind Linda, Pia, Finn und Maya.
Während Linda nach dem Aufprall offenbar nur leichte Verletzungen wie Schürfwunden und Prellungen erlitten hat, steht es um ihre Kinder um einiges schlimmer.
Immer wieder versuchen NotärztInnen und SanitäterInnen, die kleinen Herzen wieder zum Schlagen zu bringen.
Dabei drücken sie rhythmisch und behutsam mit zwei Fingerkuppen wieder und wieder auf die kleinen Brustkörbe der Säuglinge.
Wenige Minuten später heben zwei Rettungshubschrauber mit knatternden Geräuschen ab.
Doch letztendlich können die MedizinerInnen nichts mehr für die Kinder tun.
Nach etlichen Reanimationsversuchen müssen die Ärztinnen der schrecklichen Tatsache ins Auge blicken.
Die Kinder sind tot.
Offenbar haben sie den Unfall nicht überlebt.
So könnte man meinen.
Doch die gerichtsmedizinische Untersuchung der drei bringt erschreckende Erkenntnisse zutage.
Ursächlich für Mayas, Pias und Fins Tod war nicht etwa der Autounfall.
Die drei waren bereits vorher tot.
Dafür sprechen sowohl die gescheiterten Wiederbelebungsversuche als auch die Verletzungen der Kleinen.
Vor allem die punktförmigen Einblutungen, die ihre Gesichter bedecken, deuten auf einen Erstickungsvorgang hin.
Es ist das eingetroffen, was die Ermittelnden schon vorher vermuteten, als sie den Wagen auf der A92 verfolgten.
Kurz zuvor hatte die Polizei einen besorgniserregenden Anruf erhalten.
Ein aufgelöster Mann berichtete am Telefon, dass er sich Sorgen um seine Kinder machte.
Seine Partnerin habe ihn per SMS darüber informiert, die gemeinsamen Zwillinge und seine sechsjährige Ziehtochter getötet zu haben.
Als StreifenpolizistInnen die Frau schließlich in ihrem Auto im Stadtverkehr entdeckten, nahmen sie die Verfolgung auf,
folgten ihr auf die Autobahn und mussten schließlich mit ansehen, wie sie den Opel Saphira gegen eine Leitplanke lenkte.
Nachdem Linda nach ihrem gescheiterten Rückholversuch die Klinik verärgert verlassen hatte,
hatte sie Henning im Laufe des Nachmittags drei Textnachrichten geschickt.
Die erste erreichte ihn um 13.39 Uhr.
Ich habe Maya erwürgt und erstickt, so der Wortlaut.
Oh mein Gott.
Ein kurzer, knapper Satz, jedoch aussagekräftig genug, um in Henning Panik aufkommen zu lassen.
In Verzweiflung und Angst hatte er darauf den Notruf gewählt.
Er war sich sicher, Lindas Worte waren kein geschmackloser Bluff, kein überzogener Schrei nach Aufmerksamkeit.
Es war die grauenvolle Wahrheit, die sie in ihr Handy getippt hatte.
Um 14.03 Uhr folgte die nächste.
Finn ist nun bei Maya und dem lieben Gott.
30 Minuten später, dann die letzte SMS.
Pia ist jetzt auch tot.
Dass bei Linda noch am Unfallort die Handschellen geklickt hatten,
verschafft Henning weder Trost noch Erleichterung.
Eigentlich war er an diesem Morgen in die Psychiatrie zurückgekehrt, um gesund zu werden.
Stabil zu werden für sich und seine Familie.
Doch diese Familie existiert nun nicht mehr.
Und die Traurigkeit, die Henning erfüllt, ist größer als jemals zuvor.
Zwei Wochen später.
Etwa 40 Menschen betreten an diesem kalten Wintermorgen,
des 30. November 2012, den Freisinger Waldfriedhof.
Wie eine weiße Decke hat sich der Schnee der vergangenen Tage über die Kulisse gelegt.
Der Altar der Kirche ist großzügig geschmückt mit Blumen.
Dazwischen stehen eingerahmte Fotos, die den Anwesenden nochmal vor Augen führen, wen sie hier heute betrauern.
Auf einem der Bilder sind Pia und Finn zu sehen.
Die Zwillinge liegen dösend und eng aneinander auf einer Decke.
Sie, gekleidet im rosa-weiß gestreiften Body, er im hellen Allenteiler, der von einer Winnie-Pooh-Figur verzehrt wird.
Auch von der sechsjährigen Maja steht ein Foto am Altar.
Sie wurde bereits im Familiengrab ihres leiblichen Vaters in Baden-Württemberg beigesetzt.
Trotzdem war es Henning wichtig, auch ihr heute zu gedenken.
Zum Abschluss des Gottesdienstes küsst er die blauen Ohren, in der sich die Asche seiner Babys befinden.
Dann begibt er sich mit den anderen zum Grab.
Schweren Schrittes, schweren Herzens.
Während die Ohren im Erdboden verschwinden, ertönt im Hintergrund das Lied geboren, um zu leben, der Band unheilig.
Es fällt mir schwer, ohne dich zu leben.
Jeden Tag, zu jeder Zeit, einfach alles zu geben.
Ich denke an so vieles, seitdem du nicht mehr da bist.
Denn du hast mir gezeigt, wie wertvoll das Leben ist.
Ein Lied, das von Wundern, Träumen und Zukunft handelt.
Dinge, die Maja, Pia und Finn verwehrt geblieben sind.
Ein Jahr später.
In Hennings Leben ist wieder sowas wie ein Tagesablauf eingekehrt.
Zumindest ein Stück weit.
Der 41-Jährige ist mittlerweile psychisch stabil.
Im März ist er nach etwa vier Monaten aus der Psychiatrie zurückgekehrt.
Und auch seiner Arbeit als Computerspezialist geht er wieder nach.
Henning will weiterleben für seine Kinder.
Das sagt er sich selbst immer wieder.
Nach wie vor denkt er jeden Tag an seine verstorbenen Zwillinge.
In einem Regal in seinem Wohnzimmer haben zwei Boxen einen Ehrenplatz,
in denen er die Nabelschnüre aufbewahrt.
Davor hat er ihre Schnuller mit Namensgravur platziert.
Auf dem blauen steht Finn auf dem rosafarbenen Pia.
Früher haben sie daran genuckelt.
Nun erinnern sie Henning daran, dass sie nie heranwachsen und in seiner Erinnerung immer Babys bleiben werden.
Weil die Mutter seiner Kinder sie tötete.
Immer wieder kommen Henning nun seit einem Jahr die grauenhaften Textnachrichten in den Sinn.
Henning hat sie gelöscht, doch in seinem Gedächtnis werden sie für immer gespeichert sein.
und an jenen Tag im November erinnern, an dem er seine drei Kinder und seine Partnerin verlor.
Denn auch wenn Lindas Suizidversuch scheiterte, für den 41-jährigen Henning ist sie trotzdem gestorben.
In den vergangenen Monaten hat Linda ihm immer wieder Briefe geschrieben.
In einem bittet sie ihn um Entschuldigungen und Erinnerungsstücke ihrer Kinder.
In einem anderen schlägt sie ihm vor, sie in U-Haft zu besuchen.
Henning hat keinen dieser Briefe beantwortet.
Trotzdem wird er sich noch einmal mit ihr und ihren Taten auseinandersetzen müssen.
Und zwar in einem Gerichtssaal.
Vor dem bestehenden Prozess graut ihm schon, denn er wird ihm erneut vor Augen führen, was er verloren hat.
Die Möglichkeit, Pia und Finn im Arm zu halten, ihrem Gebrabbel zu lauschen.
Und die Chance, seine Kinder aufwachsen zu sehen.
Und zugleich hat er nicht wirklich Erwartungen an den Prozess.
Pia, Finn und Maya sind tot.
Daran wird auch eine langjährige Haftstrafe für Linda nichts ändern.
Wie könnte ein Prozess da also sowas wie Gerechtigkeit herstellen?
12. November 2013
Mit seiner hellen Holzverkleidung wirkt der lichtdurchflutete Saal im Landgericht Landshut nahezu freundlich und einladend.
Doch angesichts der grausamen Verbrechen, um die es hier in den kommenden acht Verhandlungstagen gehen soll,
ist es nur eine Frage der Zeit, bis das grelle Licht gegen die Dunkelheit versagt, die gemeinsam mit Linda den Raum betritt.
Begleitet von Blitzlichtgewitter schreitet die 39-Jährige mit gesenktem Kopf zu ihrem Platz auf der Anklagebank.
Ihr rundlichblasses Gesicht wirkt aufgedunsen, ihre Augen verquollen.
Gekleidet ist sie ganz in schwarz.
Kleiner Einschub hier, die Staatsanwaltschaft macht hier einen Unterschied bei der Tötung der Kinder.
Weshalb, das haben wir schon in einigen Mordlustfolgen erzählt, aber ich sage es trotzdem nochmal.
Um sich eines heimtückischen Mordes schuldig zu machen, muss das Opfer arg und wehrlos sein.
Und die Arglosigkeit meint, dass sich das Opfer halt keines Angriffs versieht.
Und die Wehrlosigkeit, das heißt diese herabgesetzte Verteidigungsfähigkeit, die muss auf dieser Arglosigkeit beruhen.
Das heißt, der Täter oder die Täterin macht sich dann in dem Moment die Arglosigkeit zunutze, um das Opfer in einer wehrlosen Lage zu erwischen.
Und bei Babys und Kleinkindern nimmt man halt eben an, dass sie wegen ihres Alters noch nicht fähig sind, überhaupt so ein Argwohn zu entwickeln.
Also zumindest in der Regel nicht bis zu einem Alter von circa drei Jahren.
Deswegen also Mordanklage in Bezug auf die sechsjährige Maja und Totschlag in Bezug auf die Zwillinge.
Ob Linda die Taten, die ihr zulastgelegt werden, wirklich begangen hat, darum soll es in dem Prozess nicht gehen.
Linda hatte mit ihren Textnachrichten bereits gestanden und hatte auch in der ersten polizeilichen Vernehmung zugegeben, die Kinder getötet zu haben.
Die Frage, die nun die Strafkammer des Landgerichts beschäftigt, ist folglich eine andere.
Was bringt eine Frau dazu, die in ihrem Umfeld als fürsorgliche und vorbildliche Mutter galt, jenen das Leben zu nehmen, die sie liebt?
Es ist eine Frage, die Linda selbst beantwortet, als sie am ersten Prozesstag in den Zeugenstand tritt und die Anwesenden im Gerichtssaal teilhaben lässt.
An ihrer Verzweiflung, ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrer düsteren Gedankenwelt, in der sie sich am verhängnisvollen Tag vor fast genau einem Jahr befunden hat.
Es ist ein ungutes Gefühl, mit dem Linda am 13. November 2012 in den Tag startet.
Während sie selbst schon wieder gedanklich bei all den Dingen ist, um die sie sich heute kümmern muss, liegt Henning nahezu regungslos im Bett.
Als er ihr dann erklärt, dass er es schon wieder nicht schafft aufzustehen, klingeln bei ihr die Alarmglocken.
Dass die Depression Henning nicht aus dem Bett lässt, hatte Linda in den letzten Monaten nur allzu oft erlebt.
Schließlich ist es gerade einmal zehn Tage her, dass Henning überhaupt aus der Psychiatrie zurückgekehrt ist und wieder am Familienleben teilnimmt.
Linda schmerzen die Erinnerungen an diese Zeit, denn es waren Wochen, die sie nicht nur mental, sondern auch existenziell an ihr Limit gebracht haben.
Nachdem Henning weg war, war Linda nicht nur mit den Kindern auf sich allein gestellt,
Auch die Geldsorgen lasteten fortan auf ihren vom Kräfte zehrenden Alltag geschwächten Schultern.
Die finanzielle Situation der Familie ist angespannt.
Von den etwa 600 Euro Kindergeld, die Linda bezieht, muss sie Lebensmittel kaufen, neue Kleidung für die Kinder und auch sonst alle alltäglichen Kosten decken.
Für die Miete der gemeinsamen Wohnung ist eigentlich Henning zuständig,
doch seit seine Internetfirma kurz nach Pias und Fins Geburt Insolvenz anmelden musste, kommt er dieser Verpflichtung kaum noch nach.
Zusätzlich wird das Paar auch noch durch offene Rechnungen von einer früheren selbstständigen Tätigkeit von Henning belastet.
Mittlerweile sind Linda und Henning mit den Zahlungen so weit im Rückstand,
dass ihnen die Mietwohnung gekündigt wurde und sie sich zeitnah etwas Neues suchen müssen.
Sorgen und Probleme sind aktuell omnipräsent in Lindas Leben und Gedankenwelt.
Sich nun auch noch Henning zu widmen, schafft sie einfach nicht mehr.
Die Kinder brauchen sie, Maya muss zur Schule und außerdem hat sie einen Arzttermin, zu dem sie mit den Zwillingen muss.
Als Linda später am Tag dann nach Hause zurückkehrt und die Tür zur gemeinsamen Wohnung aufschließt,
muss sie feststellen, dass Henning nicht mehr im Bett liegt.
Er ist weg.
Erst bekommt sie es mit der Angst zu tun.
Ist etwa was passiert?
Hatte er einen psychischen Zusammenbruch?
Sie greift zum Telefon und beginnt herumzutelefonieren.
Schließlich erfährt sie von Hennings Hausarzt, dass er sich erneut in eine psychiatrische Klinik begeben hat.
Eine Nachricht hat er ihr nicht hinterlassen.
Weder auf einem Zettel noch auf ihrem Handy.
Verzweiflung und Hilflosigkeit macht sich in Lindas Brust breit.
Jetzt ist sie schon wieder mit allem allein.
Die Panik schnürt sich wie eine unsichtbare Schlinge um ihren Hals.
Das kann sie nicht nochmal durchmachen.
Zwei Babys versorgen, ein kleines Mädchen zu betreuen und den Zukunftsängsten ohne Rückhalt ihres Partners ausgesetzt sein.
Die 38-Jährige ist sich sicher, das schafft sie nicht mehr.
Sie muss Henning dazu bringen, wieder nach Hause zu kommen.
Also fährt Linda gemeinsam mit den Zwillingen zu Mayas Schule.
Dort berichtet sie der Lehrerin von einem familiären Notfall und holt die 6-Jährige aus dem Unterricht.
Dann fährt Linda nach Taufkirchen und bringt den Wagen auf den Parkplatz der psychiatrischen Klinik zum Stehen.
Maya und ihre Geschwister bleiben im Auto, während Linda das Gebäude betritt.
Sie trifft Henning auf dem Flur.
Eindringlich bittet sie ihren Freund mit nach Hause zu kommen.
Doch ihre Worte finden kaum Gehör.
Linda beschreibt dem Gericht, dass Henning sehr abweisend war.
Zunächst habe er ihr gar nicht geantwortet und dann schließlich klargemacht, dass er die Klinik nicht verlassen werde.
Linda habe das in dem Moment mit einer Trennung gleichgesetzt.
Ich hatte keine Kraft mehr, sagt sie der Vorsitzenden Richterin.
Für mich hatte das Leben keinen Sinn mehr.
Ich wollte, dass alles zu Ende ist.
Das ganze Leid, das ganze Funktionieren, der ganze tägliche Kampf ums Überleben.
Linda, die sich nach der Abfuhr ihres Freundes wieder ans Steuer ihres Autos begibt, beschließt in diesem Moment,
sie will nicht mehr leben und ihrer, in ihren Augen, trostlosen Existenz ein Ende setzen.
Aber wie?
Linda kommt das Parkdeck des nahegelegenen Flughafens in den Sinn.
Wenn sie sich von dort in die Tiefe stürzt, ist sie sich sicher, überlebt sie das bestimmt nicht.
Doch dann denkt sie an ihren Nachwuchs auf der Rückbank, an ihre kleine Maya, an Pia und Finn, die in den Babyschalen liegen.
Wer kümmert sich um die Kinder, wenn sie nicht mehr ist?
Linda findet darauf keine Antwort und sieht daraus eine furchtbare Konsequenz.
Ihre Kinder werden mit ihr sterben.
Die Vorstellung, dass sie mit ihr in die Tiefe stürzen, ist ihr jedoch zuwider.
Also schmiedet sie einen anderen Plan.
In der Nähe eines abgelegenen Waldstücks parkt Linda den Opel Saphira und bittet Maya auszusteigen.
Wir werden heute alle sterben, verkündet sie ihrer Tochter.
Nein, nein, nein, nein, nein.
Ja.
Die Reaktion der Sechsjährigen ist ehrlich und zugleich kindlich naiv.
Mama, ich will heute nicht sterben, sagt sie.
Oh mein Gott, ich kann nicht mehr.
Ja.
Puh.
In diesem Moment hält Linda in ihrer Erzählung im Gerichtssaal kurz inne.
Das hätte ich nicht gekonnt, sagt sie.
Was genau, möchte die Vorsitzende wissen.
Alles auf morgen zu verschieben, das hätte alles noch schlimmer gemacht.
Dann berichtet sie weiter.
Linda beginnt ihrer Tochter nun Mund und Nase zuzuhalten.
Die Grundschülerin wehrt sich massiv.
Mit Schlägen, mit Tritten.
Immer wieder versucht sie die Hände ihrer Mutter aus ihrem Gesicht zu ziehen.
Linda lässt daraufhin zunächst von Maya ab und versucht beruhigend auf sie einzureden.
Dann legt sie ihr ein Spucktuch ihrer Geschwister um den Hals.
Um sie zu wärmen, erklärt sie der Sechsjährigen.
Dann zieht sie von hinten zu und schnült ihrer Tochter die Luft ab, bis sie keinen Mucks mehr von sich gibt.
Als sie noch einmal kurz zu atmen beginnt, hält sie ihr erneut für zehn Minuten Mund und Nase zu.
Dann wendet sie sich Pia und Finn zu, ihren Säuglingen in ihren Babyschalen.
Auch ihnen verdeckt Linda ihre Kleinmünder und Nasen so lange, bis das Leben aus ihnen weicht.
Die Kinder todwissend beginnt Linda nun zwei Säuglingswindeln zu beschriften.
Es sollen ihre letzten Worte werden.
Denn anschließend, so plant Linda es, will sie sich selbst töten.
Meine süße Maus, es tut mir leid, dass du keine bessere Mama hast, hält sie schriftlich auf der ersten Windel fest.
Auf der zweiten vermerkt sie süßer Fratz.
Doch das sind nicht die einzigen Worte, die Linda verfasst.
Jedes Mal, nachdem sie ein Kind getötet hat, greift sie zum Handy und tippt eine Nachricht an Henning.
Die Mitteilungen, die sie schreibt, sind kurz und grausam.
Anschließend legt Linda die leblosen Körper ihrer Kinder in den Kofferraum und fährt los.
Bereit nun, vom Parkdeck des Flughafens zu springen und ihrem Leben ein Ende zu setzen.
Doch nach einiger Zeit fällt ihr im Stadtverkehr ein Polizeiauto auf, das ihr zu folgen scheint.
Linda ahnt, dass sie es nicht bis zum Flughafen schaffen wird.
Also beschließt sie, sich mit dem Auto zu suizidieren.
Auf der A92 drückt sie kräftig aufs Gaspedal.
Dann steuert sie im hohen Tempo auf die Leitplanke zu und überlebt.
Im Saal des Landshuter Landgerichts herrscht eine nahezu unerträgliche Stille.
Lindas Details ihres erweiterten Suizidversuchs haben die Anwesenden fassungslos gemacht.
Einige Menschen auf den ZuschauerInnenplätzen tauschen geschockte Blicke aus, andere wischen sich Tränen aus dem Gesicht.
Doch nicht nur Lindas Beschreibung selbst sorgen für Unbehagen bei den Anwesenden.
Es ist auch die Art und Weise, wie sie vom Tathergang erzählt.
Gefasst und mit ruhiger Stimme, nahezu ohne Gefühlsregung.
Auf einige macht es den Anschein, als ließen Linda ihre Taten kalt.
Richtig skurril wirkt sie dann, als sie sich bei den ZeugInnen für ihre Aussagen bedankt.
Der Vorsitzenden Richterin ihren Willen zur Mitarbeit ausspricht und die Rettungskräfte im ZeugInnenstand für ihre Versuche lobt, ihre Kinder zu reanimieren.
Ein bisschen wirkt der Verhandlungsaal in diesem Moment wie eine Bühne und Linda wie eine Figur, die die Aufmerksamkeit, die auf sie gerichtet ist, zu genießen scheint.
Dass Linda geständig ist und den Tathergang so ausführlich schildert, könnte dem Gericht helfen.
Sowohl bei der Einordnung von Lindas Motiven als auch bei der Rekonstruktion der Tat.
Trotzdem ist man sich im Landgericht nicht so sicher, ob sie der Kammer auch wirklich alles erzählt hat.
Grund dafür sind die Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen.
In seinem Gutachten weist er darauf hin, dass die Leichen der Säuglinge Pia und Fynn nicht nur sogenannte petechiale Blutungen aufweisen würden, die für einen Erstickungsvorgang sprechen.
Die Zwillinge hätten auch schwere Schädelfrakturen erlitten.
Fynn habe außerdem zwei gebrochene Arme und eine Oberschenkelfraktur gehabt.
Der Gutachter ist sich sicher, mit dem Autounfall sind diese Verletzungen nicht zu erklären.
Die Mutter muss sie ihnen vorher zugefügt haben.
Nee.
Doch, aber also Linda streitet es ab.
Sie behauptet vehement, die Tötung ihrer Kinder sei ohne Brutalität vorgegangen.
Wobei man sich da ja natürlich auch fragen kann, ob so ein grausamer Erstickungstod, ob man da wirklich von ohne Brutalität sprechen kann.
Also das mag ich ja mal bezweifeln.
Ob letztendlich das Ersticken oder die Kopfverletzungen zum Tod der Babys geführt haben, bleibt unklar.
Und auch das psychiatrische Gutachten, das ein genaues Bild von Lindas Wesen zeichnen soll, lässt einige Fragen offen.
Allen voran die nach der Schuldfähigkeit.
Der forensische Psychiater, der im Prozess zu Wort kommt, bezeichnet Lindas Persönlichkeit als doppelbödig.
Finde ich irgendwie eine schöne Beschreibung.
Auf der einen Seite wirke sie nach außen stabil und präsentiere sich als Frau, die in der Lage sei, ihr Schicksal durchaus selbst zu meistern.
Hintergründig jedoch sei sie zerrissen, unsicher und habe ein großes Bedürfnis nach Unterstützung.
Linda habe aufgrund von Defiziten in ihrer Kindheit und Jugend eine neurotische Persönlichkeitsentwicklung vollzogen,
die zu verwurzelten Fehlhaltungen und Fehleinschätzungen führe.
Als Beispiel führt der Sachverständige dafür Lindas pathologisches Beziehungsmuster an.
So schnell, wie sie sich neuen Partnern zuwende und mit ihnen unreflektiert Kinderwünsche realisiere,
so rasch folge auch immer wieder die Entwertung dieser Personen.
Die Zeit, in der sich Henning erstmals in einer psychiatrischen Klinik befunden hat,
sei für Linda eine extreme Belastung gewesen.
Sowohl aufgrund der alleinigen Fürsorge für die drei Kinder,
als auch wegen der finanziellen Engpässe und die Sorgen um die gemeinsame Beziehung.
Als sich Henning dann erneut in stationäre Behandlung begeben habe,
sei für Linda schließlich der Traum einer heilen Welt und damit ihr Lebensziel erneut gescheitert.
Und das dramatischer als je zuvor.
Dieses Scheitern habe bei ihr zu einer depressiven Reaktion geführt.
Eine akute Belastungsreaktion, nennt es der Fachmann.
Es sei durchaus denkbar, dass ihr Denken in dieser Zeit so eingeengt gewesen sein könnte,
dass man von einer beeinträchtigten Steuerungs- und Kontrollfähigkeit sprechen könne.
Heißt, es kann sein, dass Lindas Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt vermindert gewesen war.
Was dagegen sprechen würde, sind die Verletzungen, die Linda ihren Zwillingen offensichtlich zugefügt hat.
Diese könnten dafür sprechen, dass sich Linda in dem Moment nicht in einer depressiven Ausnahmesituation befunden habe,
sondern dass es vor allem Aggressionen waren, die sie dazu gebracht haben, ihren Säuglingen massive Gewalt zuzufügen.
Okay, wenn diese Aggressivität sozusagen sie dazu gebracht hat,
dann kann sie nicht vermindert schuldfähig sein,
weil eine Aggressivität quasi keine psychische Erkrankung oder sowas ist wie jetzt die Depression?
Na, also der Sachverständige sagt quasi, dass es fraglich ist, ob sie dann vermindert schuldfähig war,
weil dann diese Aggression bei Linda so in den Vordergrund getreten wäre.
Das bezweifelt das Gericht ja nicht.
Die sagen, die ist auf jeden Fall verantwortlich für die Verletzungen der Kinder.
Also das hat sie auf jeden Fall gemacht.
Und dann könnte es eben so gewesen sein, dass die Aggressionen in den Vordergrund getreten sind
und dass die depressive Einengung in dem Moment zurückgetreten sei.
Und damit wäre eben die Voraussetzung für eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit,
also im Sinne von Paragraf 21 StGB, also vermindert schuldfähig,
das wäre dann schwer zu begründen.
Ja, das verstehe ich.
Also diese Frage nach der Schuldfähigkeit, ob sie schuldfähig war oder nicht,
kann der Sachverständige weder mit einem klaren Ja noch mit einem klaren Nein beantworten.
Aber von einem Schuldspruch bewahrt es Linda nicht.
Als das Landshuter Landgericht sein Urteil spricht,
wird Linda wegen heimtückischen Mordes an Maya und zweifachen Totschlags von Pia und Finn
zu einer 14-jährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
14 Jahre und nicht lebenslang, weil das Gericht davon ausgeht,
dass Linda zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig war.
Die nächsten Jahre ihres Lebens wird Linda also hinter Gitterstäben verbringen.
Alleine, ohne ihre Kinder.
Ohne einen Partner.
Ohne die Familie, die ihr so wichtig war.
Auch Henning ist bei der Urteilsverkündung anwesend.
Von einem Platz in den hinteren Reihen hört er, wie das Gericht sein Urteil spricht
und ist dabei, als Linda als verurteilte Mörderin aus dem Saal geführt wird.
Die verhängte Freiheitsstrafe ist für ihn noch immer bedeutungslos.
Er ist sich sicher, dass Linda ihre größte Strafe bereits erhalten hat.
Sie wird weiterleben müssen, mit dem Wissen Maya getötet,
ihren vier Monate alten Zwillingen die Chance auf eine Kindheit geraubt und ihre Familie zerstört zu haben.
Henning hat in diesem Moment nur einen Gedanken.
Er wünscht der Mutter seiner Kinder ein langes Leben, voller schmerzlicher Erinnerung an ihre Taten.
Also der Fall hat mich jetzt vollkommen fertig gemacht.
Das habe ich irgendwie gar nicht kommen sehen.
Erstmal möchte ich vorweg schicken, dass es ja irgendwie klar ist, dass eine Frau überfordert ist,
die sich alleine um Zwillingsbabys und eine Sechsjährige kümmern muss.
Aber es ist halt total verantwortungslos, sich dann keine Hilfe zu holen,
beziehungsweise ihrem kranken Freund ein schlechtes Gewissen zu machen,
weil der hat sich das ja auch nicht ausgesucht,
jetzt da mit Depressionen stationär aufgenommen zu sein und der Familie nicht helfen zu können.
Also das ist so das eine.
Das andere ist diese Tat.
Also wie kann man seine sechstjährige Tochter mit eigenen Händen umbringen
und mit dem schlimmsten Gefühl gehen lassen,
das eine Mutter ihrem Kind ja geben kann.
Nämlich, dass die eigene Mutter sie tot sehen will.
Ja.
Also diese Szene, die war wirklich kaum zu ertragen, als du die da eben erzählt hast.
Ja, und ich habe ja auch ein bisschen was ausgelassen.
Wir wollen das ja immer nicht so detailliert erzählen,
aber es ist wirklich grauenhaft.
Und nur noch mal kurz, weil du meintest, es ist klar, dass die Hilfe brauchen.
Es gibt natürlich die Leute, die das trotzdem irgendwie wuppen
und meinen größten Respekt dafür,
aber es ist natürlich eine enorme psychische Belastung.
Und bei ihr kam ja jetzt auch noch dazu,
dass Linda natürlich auch eine Mitbelastung
durch die Depression ihres Partners tragen musste.
Und es ist ja so, dass wenn eine Depression
bei einer Person von einem Paar auftritt,
dass das die Beziehung in der Regel eigentlich immer belastet.
Du hast halt auf der einen Seite diese Person,
die von der Krankheit begleitet wird.
Und je nachdem, wie schwer ausgeprägt die dann ist,
ist die Person dann vielleicht auch wirklich komplett
eingenommen von dieser Depression
und ist dann halt auch eine hilfebedürftige Person.
Dann hast du noch dazu, dann verschwinden da manchmal
die Verbundenheitsgefühle zum Partner
oder halt eben auch zu den Kindern.
Also in diesem Fall war das ja auch so,
Henning stand vor diesem Bettchen
und konnte sich dann auch gar nicht mehr um die kümmern.
Also ich meine natürlich auch,
weil er auch diese Gelähmtheitssymptome beschrieben hat.
Aber dann hast du halt eben auf der anderen Seite
die Partnerperson,
für die sich ja damit auch so vieles ändert.
Also die Beziehung, der Alltag.
Man sorgt sich um die andere Person
und findet vielleicht dann in dem Moment
auch keinen richtigen Umgang damit,
weil man sich mit dem Thema
vielleicht auch noch nicht so richtig auseinandergesetzt hat.
Und viele fühlen sich dann ja auch verantwortlich
und haben dann auch noch mit Schuldgefühlen zu kämpfen,
weil sie das Gefühl haben,
sie müssen jetzt irgendwie Teil dieser Heilung sein.
Und ich finde es schon,
dass man da auch eine Verantwortung hat als gesunder Part,
wenn auch nicht bis hin zur Selbstaufgabe.
Ich glaube, das darf man bei diesem Fall nicht unterschätzen.
Ich habe neulich jemanden getroffen,
der gesagt hat,
seine Ehe ist im Grunde genommen nicht mehr existent,
seitdem die Ehefrau diese Depressionsdiagnose hat.
Und insofern muss man Linda natürlich zugestehen,
dass sie auch wirklich unter einer psychischen Belastung
gestanden hat,
was ihr das Gericht ja am Ende auch anerkannt hat.
Ja, auf jeden Fall.
Mit der geringeren Haftstrafe.
Ansonsten hätte sie natürlich lebenslang kriegen müssen
für den Mord an Maya.
Ja, das Ding ist dann nur,
wenn man diese Details hört,
wie die hat dann diese SMS geschrieben an den Henning,
die für mich irgendwie so bedeuten,
so, du hast hier uns nicht mehr geholfen
wegen deiner Erkrankung.
Jetzt musste ich die Kinder umbringen,
weil ohne dich geht das hier jetzt nicht mehr so,
auf seine Schultern zu legen,
einem psychisch erkrankten Mann
und dann eben noch,
was sie da zu den Kindern gesagt hat
und wie das Gericht ja jetzt auch festgestellt hat,
was sie den Kleinen auch angetan haben muss,
damit diese Knochenbrüche da entstanden sind.
Also das ist für mich dann
sowas von nicht übertriebene Reaktion,
weil diese,
generell ist es eine übertriebene Reaktion,
aber es ist so unmenschlich,
man kann das nicht greifen.
Ja, es ist absolut, genau,
es ist absolut grausam
und ich meinte das jetzt auch gar nicht als Entschuldigung
oder Rechtfertigung für ihre Tat,
absolut überhaupt nicht,
sondern einfach nur als Erklärung,
was da psychisch vorher in ihr vorgegangen ist.
Es ist natürlich absolut grauenhaft
und es ist auch absolut egoistisch,
sich in dem Moment dann nicht wie Henning
auch Hilfe zu holen,
sondern einfach diesen Weg des Endes zu wählen
und nicht nur für sich,
sondern auch für die Kinder
und Henning dann damit zurücklassen zu wollen.
Ja.
Wenn wir die beiden Fälle jetzt vergleichen,
also Lauras und meinen Fall,
sehen wir ja,
dass Adam andere Gründe hatte
für den erweiterten Suizid,
als Linda sie jetzt hatte.
Bei Adam war es eben die Angst davor,
aufzufliegen
und sich womöglich auch mit der Scham
dieser jahrelangen Lüge auseinandersetzen zu müssen
und bei Linda war es eben ganz klar
diese familiäre Belastung
und Zukunftsängste
und aber eben auch,
dass sie davon ausgegangen ist,
also diese Kinder sind ohne sie total verloren.
Und das zeigt eben,
die Motive für so eine Tat,
die können eben ganz unterschiedlich sein
und darum geht es jetzt in meinem Aha.
Grundsätzlich ist das natürlich ein bisschen tricky,
da überhaupt Erkenntnisse zu sammeln,
denn wenn alles so läuft,
wie sich die TäterInnen das vorgestellt haben,
dann sind sie ja am Ende tot
und dann können wir halt nichts
über das Innenleben wissen
und Angehörige,
die Aufschluss geben könnten,
die sind ja dann eventuell
auch mitgerissen worden
und außerdem gibt es natürlich
dann auch keinen Prozess,
weil gegen Tote nicht ermittelt wird.
Manchmal gibt es Abschiedsbriefe,
ja,
die können dann vielleicht
ein bisschen Aufschluss geben,
aber halt eben auch nicht immer.
Also Linda hat das nicht gemacht,
Adam hat das nicht gemacht.
Das heißt,
um was über die Motive zu erfahren,
schauen wir uns halt am besten
die unvollendeten erweiterten Suizide an
und deswegen haben wir uns eben heute
in der Folge auch dafür entschieden,
zwei solche Fälle zu behandeln,
weil die Informationslage
zu den vollendeten
meist einfach zu dürftig ist.
Für uns sind ja zum Beispiel
auch immer Gerichtsverfahren super wichtig,
weil man ja da eben auch
dem Motiv auf den Grund geht,
um halt ein Urteil fällen zu können.
Das hatte man ja bei Linda
im Prozess auch gemacht
und was man da gesehen hat,
ist,
dass es halt nicht
einen Auslöser gab
und dann hat sie sich dazu entschieden,
sondern das hat sich ja
mit der Depression von Henning
schon vorher aufgebaut.
Lorenz Böllinger,
ehemaliger Professor für Strafrecht
und Kriminologie
an der Universität Bremen,
spricht in dem Zusammenhang
in einem Interview
mit der Süddeutschen Zeitung
von einem sogenannten
Aufschaukelungsprozess,
also von Emotionen und Problemen,
die dann auch im Vorfeld
schon bestanden haben
und sich dann mit der Zeit
eben verstärken.
Die können ganz unterschiedlich sein.
Das kann eine wirtschaftliche Notlage sein,
das kann die Angst des Verlassenwerdens
des Partners oder der Partnerin sein,
Familienkonflikte
oder halt eben auch Krankheiten.
Was sich in Bezug auf die Motive
außerdem zeigt,
ist, dass es da deutliche Unterschiede
zwischen den Geschlechtern gibt.
Bei Männern beispielsweise
sind laut dem Experten Böllinger
oft Eifersuchtsgefühle
und Verlustängste ausschlaggebend,
vor allem halt bei den Männern,
die ihre Beziehung als etwas erleben,
das ihnen viel Sicherheit gibt.
Der Kriminologe sagt eben,
dass es männlichen Tätern
auch oft um das Besitzen
von der Partnerin gehen würde.
Also da haben wir das wieder
mit den Femiziden,
wenn ich dich nicht haben kann,
dann soll dich niemand haben können.
Aus diesem Grund
töten Täter,
die erweiterte Suizide begehen,
auch besonders häufig ihre Partnerinnen.
Frauen dagegen bringen im Vorfeld
vor allem ihre Kinder um
und dabei spielen dann halt
sogenannte pseudo-altruistische Motive
eine Rolle.
Der Psychiater und Suizidforscher
Manfred Wolfersdorf
erklärt in einem Interview
gegenüber dem Stern,
dass Mütter gerade kleine Kinder
oft noch als Teil von sich selbst,
also auch von ihrem eigenen Körper wahrnehmen.
Und wenn sie dann aus Verzweiflung
ihren Suizid planen,
dann denken sie dann,
dass die Kinder ohne sie halt nichts können
und dass die Mütter die dann
in der ganz schrecklichen Welt
alleine zurücklassen würden,
wenn man sie nicht mit tötet.
Ja, aber diese Einordnung,
typisch Mann, typisch Frau,
trifft natürlich nicht auf alle Fälle zu.
Gerade dieser falsche Altruismus,
also dieses überzogene Verantwortungsgefühl
ist was, was auch bei Männern vorkommt.
Das war ja auch bei dem Mann so,
von dem ich in Folge 14 erzählt habe,
das war ja auch ein Fall
von erweitertem Suizid.
Da hatte nämlich dieser Mann
seine ganze Familie
und sich selbst getötet,
unter anderem wegen beruflicher Probleme.
Der hatte einen Abschiedsbrief geschrieben
und darin dann auch ausführlich erklärt,
warum auch seine Familie sterben musste.
Und zwar, Zitat,
weil mein alleiniger Tod
oder auch mein Weiterleben
meine Familie in tiefe Trauer gestürzt
und tief verletzt hätte.
Außerdem schreibt er,
ich wäre nicht in der Lage,
meiner Familie eine lebenswerte Zukunft
zu ermöglichen.
Davor möchte ich sie bewahren.
Ja, das ist ja oft so,
dass die, die die Tat begehen,
das dann auch wirklich glauben,
dass das so ist.
Aber es ist eben natürlich
eigentlich überhaupt nicht altruistisch.
Also zuerst mal
sprichst du der anderen Person
die Entscheidung ab.
Und jetzt mal ganz stumpf,
also wenn die Person
damit wirklich nicht leben könnte,
also vor allem die Partnerin,
dann hätte sie ja auch immer noch
die Option,
sich selbst zu suizidieren.
und könnte das
für sich selber entscheiden.
Und davon abgesehen,
dass ich glaube,
dass wenn beispielsweise
eine Familie wie die von dem Adam,
wenn die herausfinden würde,
was für eine Lüge
sie da jahrelang gelebt hat,
dann finde ich doch recht fraglich,
ob sie dann wirklich
keine Option ohne ihn gesiegt hätte.
Weil wenn so eine Lüge
vorher aufgeflogen wäre,
dann hätte ja bestimmt
eine Trennung im Raum gestanden.
Und die würde dann ja ganz gut zeigen,
dass es auch ohne geht.
Und deswegen glaube ich,
dass es eben in den Fällen
von Adam oder dem Mann
aus Folge 14,
dass es vor allem
denen darum geht,
den Schein vor der Familie
und vor dem Umfeld zu bewahren
und vor allem auch,
sich selbst vor der Konfrontation
mit der Wahrheit zu schützen.
Und das ist ja nun alles andere
als altruistisch.
Genau.
Und bei dem Fall aus Folge 14
war das irgendwie auch ganz klar,
also dieser Brief war ultralang
und den haben sich natürlich
im Nachhinein auch
ExpertInnen angeschaut
und haben da ganz klar,
ganz viel Narzissmus gesehen.
Da war glaube ich,
das hatte ich da auch
in dem Fall erzählt,
wie oft das Wort
Ich benutzt wurde.
Und ja, also ganz übertrieben häufig
und schon alleine,
wenn ich das höre,
ich wäre nicht in der Lage,
meiner Familie eine lebenswerte Zukunft
zu ermöglichen.
Ja, können die sich selber
vielleicht eine lebenswerte Zukunft
ermöglichen?
Du bist ja nicht...
Als ob sich das Leben um diesen Typen dreht.
Genau.
Ja, also...
In seiner Welt eben schon, ja.
Als wäre er die Sonne,
ohne die es kein Leben gäbe.
Ja.
Naja, ansonsten stellen die ExpertInnen
bei der Geschlechterthematik halt noch fest,
dass Männer häufiger erweiterten Suizid begehen.
Das zeigt zum Beispiel auch
eine Obduktionsstudie
des Rechtsmedizinischen Instituts
der Berliner Charité.
Die hat sich alle erweiterten Suizidfälle
in Berlin von 2005 bis 2013
angeschaut und festgestellt,
dass in den insgesamt 17
untersuchten Fällen
tatsächlich 17 Täter männlich waren
und 18 von 20 Opfern,
die sie getötet haben,
also 90 Prozent,
waren weiblich.
Aber wir wissen ja jetzt auch,
Frauen werden auch zu Täterinnen
und bei ihnen kann im Gegensatz
zu Männern diese Überzeugung,
mein Kind kann ohne mich nicht
oder mein Kind und ich
sind tot besser dran,
auch manchmal durch eine bestimmte Art
der Psychose ausgelöst werden,
über die wir erst vor kurzem
hier beim Mottos gesprochen haben.
Das hat uns unsere Expertin
für diese Folge Dr. Ute Lewitzke erzählt.
Die ist Fachärztin für Psychiatrie
und Psychotherapie.
Für mich der Klassiker ist
der erweiterte Suizid
im Rahmen einer sogenannten
Wochenbett-Psychose.
Junge Frauen,
die ihr Kind entbunden haben,
wenige Wochen,
also das muss auch innerhalb
der ersten Wochen passieren,
sonst erfüllt ist die Kriterien
gar nicht mehr,
kommen in einen extremen Zustand
von verzehrter Wahrnehmung,
von Depressivität,
von psychotischem Erleben,
das heißt Halluzination,
Verfolgungsgefühl,
wahnhaftes Erleben
und aus diesem
Konglomerat von Symptomen
kommen sie dann zu dem Punkt,
weder mein Kind noch ich
sollten hier weiter
auf diesem Planeten leben.
Aber das ist natürlich nicht
die einzige psychische Erkrankung,
die sich mit erweiterten Suiziden
in Verbindung bringen lässt.
Also als Risikofaktoren,
da gelten in der Suizidforschung
auch natürlich Depressionen,
Borderline-Störungen
und auch Suchterkrankungen,
also Alkohol oder andere Drogen.
Und die psychiatrischen Begutachtungen,
die ja bei überlebenden TäterInnen
möglich sind,
die zeigen,
dass diese Menschen
ganz geschlechtsunabhängig
häufig bestimmte
Persönlichkeitsmerkmale aufweisen.
Die sind halt oft egozentrisch
und suhlen sich im Selbstmitleid.
Und auch Narzissmus
ist eben ein großes Thema,
wie du ja auch eben
gerade angesprochen hast,
also sei es in Form von
narzisstischen Zügen
oder sogar
als Persönlichkeitsstörung.
Und in vielen Fällen
haben TäterInnen
kein Gefühl
für ein ausgeglichenes Maß
an Distanz und Nähe.
Wie häufig jetzt
Erkrankungen wie Depressionen,
Psychosen
oder so eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung
diese erweiterten Suizide
begünstigen,
das ist total unklar.
Also da gibt es je nach Studie
und Land
ganz unterschiedliche Zahlen.
In solchen Fällen
kann natürlich unter Umständen
auch eine verminderte Schuldfähigkeit
beziehungsweise
eine Schuldunfähigkeit vorliegen.
Es ist nämlich so,
dass bei vielen TäterInnen,
die halt eben
unvollendete
erweiterte Suizide
begangen haben,
nachträglich auch
erhebliche psychische Störungen
festgestellt wurden.
Und das kann dann natürlich
auch eine mildere Strafe bedeuten,
wie im Fall von Linda
oder dass man
in einer forensischen Psychiatrie
untergebracht wird,
wenn man beispielsweise
schuldunfähig ist.
Dafür ist aber natürlich
die Fachaussetzung,
dass ein Gutachter
oder eine Gutachterin
feststellt,
dass man wegen
der seelischen Störung
unfähig war,
das Unrecht seiner Tat
einzusehen
oder eben danach
zu handeln.
Was wir jetzt
an unseren Fällen
gesehen haben,
die Menschen
im Umfeld
von erweiterten Suiziden,
die stellen sich ja
danach oft die Frage,
hätte das Ganze
irgendwie verhindert werden können
und machen sich Vorwürfe.
Also Henning zum Beispiel
hat sich tatsächlich gefragt,
ging das mit Linda
alles zu schnell,
weil die Beziehung,
die hat ja relativ schnell
Fahrt aufgenommen.
Und er hat sich auch gefragt,
ob ihn ihre Vergangenheit,
also mit den zwei
gescheiterten Ehen vorher,
mit auch schon zwei Kindern,
hätte ihn das irgendwie
skeptisch machen sollen
und hätte er sie vielleicht
vorher besser kennenlernen sollen,
bevor er mit ihr
eine Familie gründet.
Und dazu sagt
unsere Expertin
Ute Lewitzka aber,
dass es für das Umfeld
tatsächlich oft schwierig ist,
bestimmte Veränderungen
oder Auffälligkeiten
an jeweiligen Personen
dann als Alarmsignale
zu deuten,
weil die Schwierigkeit dabei
ist eben gar nicht
das reine Bemerkten,
sondern vor allem
das Einordnen.
Also die Expertin meint,
dass wir Menschen
grundsätzlich eigentlich
so gestrickt sind,
dass wir uns Dinge
immer erklären wollen.
Also wenn ich beispielsweise
feststelle,
Mensch, mein Partner
ist seit einiger Zeit
total gestresst
und wirkt überfordert,
was ich von ihm
eigentlich so gar nicht kenne,
dann reime ich mir
eventuell zusammen,
dass er Stress
auf Arbeit hat oder so.
Einfach um mir selbst
dieses Verhalten
erklären zu können.
Obwohl das ja
gar nicht der Grund
sein muss,
kann ja was völlig
anderes sein dafür,
dass sich irgendwie
das Wesen verändert.
Nichtsdestotrotz
sagt Ute Lewitzka
eben auch,
es gibt bestimmte
Alarmsignale
und wenn man solche
Veränderungen an anderen
bemerkt,
dann sollte man auf jeden Fall
das Gespräch suchen.
Wenn ich aufmerksam bin
und sehe,
dass ein Mensch sich
verändert,
dass er sich
vernachlässigt,
dass er Schlafstörungen
hat,
dass er sich
zurückzieht,
dass er reizbarer ist,
dass er oder sie
in dem Fall auch
andere Interessen,
die sie hatte,
nicht mehr nachgeht,
dass sie häufiger
von Sorgen berichtet
oder oder oder.
Dann könnte ich nachfragen,
dann könnte ich sagen,
okay, ich mache mir Sorgen
und dann könnte es
im günstigsten Fall
auch so sein,
dass ein Hilfesystem
oder dass der oder diejenige
in das Hilfesystem
kommt und auch wirklich
Unterstützung erfährt.
das setzt dann aber natürlich
voraus,
dass die Betroffenen
auch bereit sind,
sich zu öffnen
und Unterstützung
anzunehmen
und ob dann auch
wirklich Gedanken
über jetzt einen
erweiterten Suizid
mitgeteilt werden,
das ist natürlich
nochmal eine andere Frage.
Unsere Expertin hat
erklärt,
dass man bei
psychiatrischen
Anamnesen
immer auch
Suizidgedanken
abfragt,
Gefährdungen für
andere,
aber eigentlich nur dann,
wenn es jetzt
konkrete Hinweise gibt,
zum Beispiel in Form
von Zwangsgedanken,
also zum Beispiel,
wenn eine Mutter
gedanklich immer wieder
durchspielt,
wie sie ihr eigenes
Kind umbringt.
Ja und sowas muss man
dann halt natürlich
auch erstmal äußern,
also das ist natürlich
die eigentliche
Schwierigkeit dabei.
Und nochmal zur Gefährdung,
ich habe mich gefragt,
also wenn der erweiterte
Suizid halt eben
unvollendet bleibt,
wie in unseren Fällen
heute,
wie steht es dann
um die Suizidgefahr
der TäterInnen danach?
Dann sind ja
die Angehörigen
tot,
man selbst aber nicht
obwohl man
den Plan ja
eigentlich hatte.
Und dazu sagt
Ute Lewitzka
Folgendes.
Tatsächlich haben
die Straftäter
nach einer Straftat
wie beispielsweise
ein erweiterter Suizid,
den sie dann
selbst überlebt haben,
auch ein eigenes
erhöhtes Suizidrisiko.
Hierfür
gibt es mehrere Gründe.
Ein Grund ist,
dass ja möglicherweise
diese Straftat
selbst im Rahmen
einer psychischen
Erkrankung geschehen
oder von ihr
zumindest beeinflusst war
und psychische Erkrankungen
selbst erhöhen
das Suizidrisiko
oder sind ein
Risikofaktor.
Und das Weite ist,
dass wenn diese Straftäter
dann in Untersuchungshaft
oder in den Justizvollzug kommen,
das ist eine hohe Risikozeit,
auch ein Hochrisikoort,
insbesondere im Rahmen
der Untersuchungshaft.
Dort geschehen
die meisten Suizide,
wenn wir uns da
die Statistiken angucken.
Also ja,
besonders auf diese Straftäter
müsste man im Grunde genommen
gut aufpassen.
Es ist eigentlich witzig,
dass sie das sagt,
man müsste auf die aufpassen,
weil wir ganz am Anfang
davon reden,
dass man ein Recht hat
auf selbstbestimmtes Leben
und damit auch
sich ein Ende zu setzen.
Was heißt das denn,
aufpassen,
wenn die eigentlich sterben wollen?
Das finde ich ja auch
irgendwie interessant.
Ja,
das ist tatsächlich.
Naja,
ich glaube,
aber im Gefängnis
befindest du dich ja eigentlich
in der Obhut des Staates,
oder?
Das ist ja dann.
Ja,
und der Staat
und die Gesellschaft
muss das akzeptieren.
Ja,
das sagt aber die,
die total dagegen ist,
dass man Inhaftierten
assistierten Suizid erlaubt,
weil du der Meinung warst,
dass sie sich
ihrer Freiheitsstrafe entziehen,
sage ich jetzt mal salopp.
Ja,
nee,
ich stehe auch noch dazu.
Ich fand es jetzt einfach nur
irgendwie bemerkenswert,
dass sie sagt,
dass man auf die aufpassen muss,
weil ich sehe das auch,
ich sehe das ja auch so,
dass man auf die aufpassen muss,
damit die eben ihre Strafe absitzen,
weil das dann sozusagen
die Gerechtigkeit erst
wiederherstellt sozusagen.
Naja,
das ist das eine
und das andere ist,
dass aber natürlich,
wenn du dich in dem Moment
in der Obhut des Staates befindest,
dass der natürlich dann auch eigentlich
dafür Sorge tragen muss,
dass du eine Option auf Heilung hast,
wenn du jetzt beispielsweise
den Suizidgedanken
wegen einer Depression hast.
Ja,
guter Punkt.
Apropos Heilung,
wenn ihr
suizidale Gedanken habt
oder jemand in eurem Umfeld
oder ihr das dort vermutet,
dann gibt es Hilfe.
In unserer Folgenbeschreibung
haben wir euch
Telefonnummern und Websites
aufgelistet,
wo ihr euch dann hinwenden könnt.
Und das war's schon wieder.
Das war ein Podcast
der Partner in Crime.
Hosts und Produktion
Paulina Kraser
und Laura Wohlers.
Redaktion
Jennifer Fahrenholz
und wir.
Schnitt
Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme
und Beratung
Abel und Kollegen.