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#139 Er sagt, sie sagt

Mordlust
Laura, hast du manchmal das Gefühl, in der True-Man-Show zu leben?
Nee, also hast du mich kurz überlegen, aber nee, wieso?
Wieso soll ich das denken?
Ach so, du meinst, weil so Sachen passieren, wo man denkt, das kann jetzt kein Zufall sein?
Genau, was permanent in meinem Leben so ist, deswegen wollte ich mal wissen, ob dir das auch manchmal so geht.
Nein, aber ich denke, du lebst in der True-Man-Show.
Okay, wir beide denken, ich lebe in der True-Man-Show.
Ja, okay, also bilde ich mir das auch nicht ein.
Genau, also es ist halt manchmal wirklich wie im Film True-Man-Show, da ist das Leben des Hauptcharakters eigentlich eine Serie und die ganze Welt sieht ihm bei allen Sachen, die er tut, zu.
Und er weiß das aber halt nicht.
Und irgendwann fällt ihm das auf, weil immer dieselben Statisten an ihm vorbeilaufen zum Beispiel, ja.
Und das habe ich auch ganz doll, also dieses Gefühl, dass es in meinem Leben zu wenig Darsteller gibt.
Und zweitens passieren auch immer so ganz absurde Dinge, um das Publikum bei der Stange zu halten, ja.
Arianna Barboury hat ja was ähnliches, habe ich gesehen.
Die hat so eine Rubrik auf Instagram, die heißt, Arianna ist das Zentrum des Universums.
Ja.
Das kenne ich.
Und naja, in seiner eigenen Welt ist das ja auch so, ja.
Also worauf ich hinaus will, ich habe eine Serie gesehen und die ist wirklich zum Schreien.
Die heißt Jury Duty und es geht um eine Jury aus den USA.
Ich habe dir ja davon erzählt, ne?
Ja.
Und diese Jury, die wird bei ihrer Arbeit von Fernsehkameras begleitet.
Und diese Leute, die da drin sind, die sind natürlich so völlig random, also einfach so zusammengeschmissen sowieso immer.
Und in diesem Fall halt auch.
Und die müssen sogar für diese Doku, die sie begleitet, von der Öffentlichkeit isoliert werden.
Und das ist halt auch ganz witzig, weil man dann halt so gezwungenermaßen eine Gemeinschaft bildet.
Und dann erzählen die den Kameras halt, wie ihre Arbeit aussieht und was sie von dem Fall halten und was so passiert, ja.
Das Ding ist, das stimmt alles eigentlich nur für eine Person.
Also ein Jurymitglied denkt, dass eine Doku gedreht wird und alle anderen aus der Jury und auch der Richter, die Klägerin, der Beklagte.
Das sind halt alle Schauspieler.
Und es passieren natürlich die absurdesten Sachen, worauf diese Hauptperson dann halt reagieren muss.
Oh nein.
Aber warte mal, und wann wird das revealed?
Am Schluss.
Und wie hat die Person reagiert?
Ja, der hat das natürlich alles erst überhaupt nicht glauben können.
Und gleichzeitig hat er aber auch währenddessen, hat er schon gesagt, dass sich das alles anfühlt wie so eine Reality-TV-Serie.
Dann haben sie ihm gezeigt, wo die Kameras sind und haben auch Szenen gezeigt, wo Sachen schiefgelaufen sind.
Also einmal geht eine Schauspielerin rein zum Beispiel und sagt, das ist doch Charlottes Rucksack.
Und dann gucken sich halt alle so an und dann sagt er, also die Hauptperson, es gibt aber keine Charlotte.
Und das ist halt der eigentliche Name der Schauspielerin.
Und so, also es gibt schon so ein paar, aber das versendet sich für diese Hauptperson halt auch so.
Ja, klar.
Also es ist wirklich super gemacht und hat irgendwie einen Crime-Bezug.
Jury-Duty heißt die Serie und es ist eine Empfehlung der Redaktion.
Und mit der Reaktion ist Paulina gemeint.
Also Laura, du siehst, es ist meine Welt und du lebst nur darin.
Ja.
Das hat dieses Beispiel jetzt wieder gezeigt.
Und jetzt geht's los mit Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
Heute haben wir euch wieder einen Kriminalfall mitgebracht, den wir zusammen nacherzählen, der uns nachhaltig beschäftigt hat und von dem wir alle hoffentlich irgendwas mitnehmen können.
Die Geschichten, von denen wir hier erzählen, sind immer die Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das im Hinterkopf.
Das machen wir auch.
Selbst dann, wenn wir zwischendurch uns mal ein bisschen unterhalten und lockerer miteinander sprechen.
Das ist für uns so eine Art Comic-Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Der Fall, von dem wir euch heute erzählen, führt uns an einen Tatort, den die Ermittelnden als Schlachthaus bezeichnen.
Es geht um ein Pärchen, das in einem Strudel aus wahnhafter Liebe und unbändigen Gewaltfantasien versinkt.
Um eine literarische Tragödie und darum, dass eine falsche Entscheidung ein Leben lang Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Die Raschheit meiner heftigen Liebe lief schneller als die zögernde Vernunft.
William Shakespeare, Macbeth
Die Londoner PolizistInnen müssen nicht lange suchen.
Denn kaum, dass sie die Wohnung betreten haben, entpuppt sich der Hinweis der Ladendetektivin als Volltreffer.
Sie hatte kurz zuvor ein junges Paar beim Ladendiebstahl erwischt und auf die Wache gebracht.
Doch was sich jetzt vor ihnen offenbart, deutet auf weit mehr hin als ein paar geklaute Klamotten.
In der Wohnung stehen an die 30 Einkaufstüten.
Überall türmen sich Kleidungsstücke.
Auf dem Bett sind Perücken und Hüte.
Auch mehrere tausend Pfund Bargeld liegen herum.
Dazu Pässe, Führerscheinen und Checks.
Sofort ist klar, dass sie gefälscht sind, denn auf allen prangen unterschiedliche Namen.
Und dazwischen entdecken die PolizistInnen Briefe und Notizzettel.
Als sie die Seiten durchblättern, lesen sie von einem Fall, von einem Verschwinden und den Tod von irgendwelchen Eltern.
Und je mehr die Londoner ErmittlerInnen lesen, desto sicherer sind sie sich.
Hier geht's nicht nur um Diebstahl und Schreckbetrug, sondern um ein viel schlimmeres Verbrechen.
13 Monate zuvor, über 6000 Kilometer entfernt.
Im US-Bundesstaat Virginia liegt das große Landhaus malerisch in der Natur.
Vor den Fenstern des langgezogenen Baus aus Backstein und weißgetünchtem Holz erstrecken sich weite grüne Wiesen und Wälder.
Es ist ein Ort, der eine friedliche Ruhe verströmt.
Umso furchtbarer ist der Anblick, der sich den PolizistInnen in den schwarzen Uniformen dort am 3. April 1985 bietet.
Selbst einige erfahrene Officer haben in ihrer Laufbahn noch nie etwas Grauenvolleres als an diesem Mittwoch gesehen.
Auf dem Boden im Wohnzimmer, an der Schwelle zum Esszimmer, liegt neben Kamin und schweren Sesseln der Eigentümer des Hauses.
Er ist so voller Blut, dass ihm die dunkle Hose und das helle Hemd nass am Leib kleben.
Sein Körper ist übersät mit Stichwunden, doch am schlimmsten wurde der 72-Jährige von der Brust aufwärts zugerichtet.
Seine Kehle ist aufgeschlitzt, der Schnitt so lang und so tief, dass der Kopf kaum noch mit dem Rumpf verbunden ist.
Vom blutüberströmten Körper des Mannes wandern die Blicke der Ermittelnden weiter ins angrenzende Esszimmer.
Auch dort ist der Fliesenboden überzogen, mit dem dunklen Braun von getrocknetem Blut.
Es wirkt beinahe so, als hätte jemand die Flüssigkeit literweise ausgegossen.
Die Spur verläuft bis in die angrenzende Küche.
Dort machen die PolizistInnen noch einen grausigen Fund.
Auf dem blutverschmierten Linoleumboden liegt die tote Frau des Hausherrn in einem geblümten Morgenmantel.
Auch auf die 53-Jährige wurde etliche Male eingestochen.
Auch sie wurde fast enthauptet.
Der Anhänger ihrer goldenen Halskette steckt in ihrer Luftröhre.
Die PolizistInnen sind sprachlos.
Das hier ist kein gewöhnlicher Tatort, sondern ein Schlachthaus.
Sogar die Luft, die sie atmen, ist durchzogen vom metallischen Geruch des Blutes.
Das Ehepaar wurde abgeschlachtet, um es mit den Worten der PolizistInnen zu sagen.
Herauszufinden, wer das Messer führte, wird die Polizei lange beschäftigen.
Und noch Jahrzehnte später wird dieser Doppelmord für Schlagzeilen sorgen.
Schon kurz nach dem Leichenfund laufen die Ermittlungen auf Hochtouren.
Die Spurensicherung nimmt Blutproben im Landhaus, sichert Fußabdrücke und macht über tausend Fotos von Opfern und Tatort.
Dass in dieser beschaulichen Gegend, wo jeder jeden grüßt und niemand seine Haustür abschließt,
zwei Menschen in ihren eigenen vier Wänden auf so brutale Art und Weise getötet wurden,
setz Angst und Misstrauen unter den AnwohnerInnen.
Deswegen lastet ein gewaltiger Druck auf den Ermittelnden.
Sie müssen so schnell wie möglich aufdecken, wie es zu diesem Blutbad kommen konnte.
Das Erste, was ihnen in den Sinn kommt, es ist ein Raubmord.
Immerhin handelt es sich bei dem getöteten Ehepaar um die gut situierten Hasems.
Derek, ein gebürtiger Südafrikaner, war ein pensionierter Stahlmanager,
dem es weder an Einfluss noch an Vermögen mangelte.
Seine Frau Nancy war Künstlerin.
Doch für die These eines Überfalls fehlen die Indizien.
Weder Geld noch Schmuck wurde gestohlen und es gibt keine Hinweise auf einen Einbruch.
Im Gegenteil.
Die Ermittlenden sind sich sicher, dass die Hasems den oder die TäterInnen kannten.
Noch dazu passt der gedeckte Tisch im Esszimmer.
Nancy und Derek saßen offenbar gerade beim Abendessen, als es an der Tür klingelte,
und sie die Person selbst ins Haus baten.
Die Polizei hat allerdings keine Hoffnung, dass NachbarInnen oder andere ZeugInnen gesehen haben,
wer da zu Besuch kam.
Das Haus der Hasems liegt zu abgeschieden.
Also bleibt den ErmittlerInnen nichts anderes übrig, als Familie und Bekannte zu befragen,
um so viele Informationen über die Opfer zu sammeln wie möglich.
Darunter sind etwa die Freundin, die die Polizei alarmierte, weil sie Nancy nicht erreichen konnte,
und die Kinder des Paares.
Derek hatte drei aus erster Ehe, Nancy zwei, außerdem eine gemeinsame Tochter, Elizabeth.
Die 21-Jährige mit dem aschblonden Kurzhaarschnitt war das Wochenende,
an dem ihre Eltern starben, mit ihrem Freund in Washington, D.C.
Routinemäßig überprüfen die ErmittlerInnen den grauen Chevrolet,
den Elizabeth und ihr Freund gemietet haben,
und entdecken ein Detail, das den Wahrheitsgehalt von Elizabeth Aussage infrage stellt.
Die gefahrenen Kilometer, die der Autoverleih dokumentierte,
sind viel mehr als die knapp 190 Kilometer lange Strecke von Charlottesville,
wo Elizabeth und ihr Freund zur Uni gehen, bis nach Washington, D.C. und wieder zurück.
Aber er stimmt genau, wenn man einen Umweg zu Elizabeth Elternhaus mit einrechnet.
Als die Beamtinnen Elizabeth damit konfrontieren, erklärt sie, sie hätten sich mehrfach verfahren.
Dies sei der Grund für den höheren Kilometerstand im Mietwagen.
Die PolizistInnen werden misstrauisch.
Der Weg nach Washington, D.C. ist viel zu einfach.
Die Strecke besteht quasi nur aus der Autobahn.
Sie kontrollieren den Wagen erneut, finden aber keine weiteren Hinweise,
die einen Verdacht bestätigen würden.
Trotzdem würden sie jetzt auch gerne mit Elizabeth Freund sprechen.
Der scheint allerdings sehr beschäftigt und ist schwer erreichbar.
Erst am 6. Oktober, ein halbes Jahr nach dem Leichenfund, lässt sich Jens Söhring dazu herab,
auf der Polizeistation zu erscheinen.
Die Arroganz gegenüber den Ermittlenden verbirgt der 19-Jährige mit dunklem Haar und dicken Brillengläser nicht.
Unmissverständlich macht er klar, warum er die Kontaktversuche der Polizei so lange ignoriert hat.
Da ich Deutscher bin, mag ich keine Polizei.
Mein Opa wurde oft von den Nazis belästigt.
Der Beamte versucht zu beschwichtigen.
Er sei sich zu 99% sicher, dass Jens Rhein gar nichts mit der Tötung der Eltern seiner Freundin zu tun habe,
aber zu den 100% fehlten ihm noch Blutproben, Finger- und Fußabdrücke,
um diese mit den Spuren vom Tatort abzugleichen.
Elizabeth hatte ihre bereits abgegeben.
Jens erklärt, er würde darüber nachdenken und verlässt das Polizeirevier wieder.
Kurz darauf allerdings passiert etwas, das die Ermittlenden glauben lässt,
mit ihrem Verdacht nicht ganz daneben gelegen zu haben.
In einer Nacht- und Nebelaktion verlassen Elizabeth und Jens im Oktober 1985 nicht nur Virginia,
sondern auch die USA.
Elizabeth und Jens werden zu den Hauptverdächtigen im Haysom-Fall,
zu flüchtigen, mutmaßlichen Kriminellen.
Dabei waren sie noch gut ein Jahr zuvor ganz normale Studierende.
Mitte August 1984 herrscht auf dem Campus der University of Virginia,
in Charlottesville, Gewusel wie in einem Ameisenhaufen.
Die Sommerferien sind vorbei, die Hörsäle füllen sich wieder.
Erstis sind auf dem Weg zur Orientierungsveranstaltung.
Einer von ihnen ist Jens.
Er ist erst vor wenigen Tagen 18 geworden,
aber mit Hornbrille, Hemd und seinem überheblichen Auftreten
wirkt er seltsam erwachsen und wie der Prototyp-Nerd.
An der Uni hat er schnell seinen Spitznamen weg.
Jens is the German.
Und das stimmt.
Obwohl er in Bangkok geboren ist und in den USA lebt, seitdem er elf Jahre alt ist,
ist er deutscher Staatsbürger, denn sein Vater ist deutscher Diplomat.
Einer renommierten UVA hat sich Jens für Psychologie eingeschrieben,
belegt Kurse in kreativem Schreiben und engagiert sich bei Filmprojekten.
Anders als die meisten seiner KommilitonInnen muss er keine Studiengebühren zahlen,
denn Jens hat ein hochbegabtes Stipendium bekommen.
Gleich in den ersten Tagen trifft er auf eine andere Stipendiatin, Elizabeth.
Von ihr ist er sofort fasziniert.
Obwohl oder vielleicht auch weil Elizabeth nicht nur zwei Jahre älter ist als er,
sondern sowohl optisch als auch charakterlich das komplette Gegenteil von ihm.
Während Jens geschniegelt und gestriegelt auftritt,
trägt die quirlige Elizabeth fast nur schwarze Klamotten.
Ihre blonden kurzen Haare sind strubbelig und sie raucht eine Zigarette nach der anderen.
FreundInnen von ihr können nicht verstehen, was die Punkerin an dem Nerd gut findet,
aber sie scheinen sich wie magisch anzuziehen.
Ihre Gemeinsamkeiten überwiegen.
Beide interessieren sich für Literatur und Philosophie
und außerdem haben beide eine Außenseiterrolle.
Denn auch Elizabeth ist keine Amerikanerin, sondern gebürtige Kanadierin.
Ihre Eltern leben jetzt nur gut eine Stunde vom Campus entfernt,
aber Elizabeth war zuvor auf einem Internat in England
und ist erst seit kurzem wieder in den USA.
Jens ist angetan von ihrem britischen Akzent
und den schlauen Sachen, die sie über Kunst und Literatur zu sagen hat.
Er hat das Gefühl, dass er, anders als von Gleichaltrigen,
viel von Elizabeth lernen kann.
Und auch Elizabeth ist angetan von The German.
Sie findet sein unsympathisches Auftreten anziehend, sieht in Jens einen gequälten Künstler.
Das ist übrigens meine Lieblingsbezeichnung für Menschen, die sozial ein bisschen inkompetent sind
und denen man dann auch gerne so eine super sensible Seite zuschreibt.
Das ist ein schöner Euphemismus.
Und ich glaube, sowas redet man sich dann auch gerne ein.
Die beiden werden ein Paar und verbringen ab da jede freie Minute miteinander.
Als Elizabeth's Eltern Ende März 1985 fast enthauptet aufgefunden werden, ist Jens für sie da.
Er unterstützt sie, als sie die Beerdigung organisiert,
lauscht ihren Worten, als sie in der Messe aus der Bibel vorliest.
Und ein halbes Jahr danach verlassen sie gemeinsam das Land.
Im April 1996 wird die Ladendetektivin einer Marx & Spencer Filiale im Londoner Stadtteil Richmond
auf zwei Kundinnen aufmerksam.
Die beiden, ein junger Mann und eine junge Frau, geben mehrere Kleidungsstücke zurück
und lassen sich das Geld dafür bar auszahlen.
Die Detektivin kann nicht genau sagen, woran es liegt,
aber irgendetwas kommt ihr an dem Paar seltsam vor.
Sie informiert die Polizei.
Der Mann mit Brille und Schnurrbart und die Frau mit dem aschblonden Haar sind entrüstet.
Sie erklären, sie seien Christopher Platt-New und Tara Lucy New,
ein Ehepaar aus Kanada, er Student, sie Schriftstellerin.
Und sie hätten nichts Unrechtmäßiges getan.
Allerdings beschleicht die PolizistInnen das gleiche seltsame Gefühl wie die Ladendetektivin.
Sie wollen die Wohnung der beiden sehen.
Das ist ihr Recht, denn die britische Polizei darf die Wohnräume von Menschen durchsuchen,
die wegen einer Strafsache festgenommen wurden.
Also sperren der Mann und die Frau die Tür auf und gewähren den BeamtInnen Eintritt.
Im Schlafzimmer entdecken sie Perücken und Hüte, dazu Tüten voller Kleidung,
etliche gefälschte Ausweisdokumente und Checks.
Und erst da erkennen die Ermittlenden, dass der Schnurrbart des jungen Mannes nicht echt,
sondern angeklebt ist.
Jetzt sind die Masken gefallen.
Die beiden sind kein harmloses junges Paar, das seinen Alltag mit Studieren und Schreiben verbringt.
Sie sind Kriminelle, die mit ihren falschen Identitäten und der Masche mit den Klamotten,
die nicht passen, wer weiß, wie viele Menschen belogen und betrogen haben.
Angesichts der erdrückenden Beweise gestehen die beiden schließlich den Scheckbetrug.
Um das ganze Ausmaß zu erfassen, durchforsten die BeamtInnen auch die privaten Habseligkeiten des Paares,
die sie beschlagnahmt haben.
Dabei finden sie zahlreiche Briefe und Notizzettel, die sich zum Teil wie das Tagebuch der beiden lesen.
Es stellt sich heraus, dass ihre richtigen Namen in Wirklichkeit Jens und Elizabeth lauten.
Dass sie an der University of Virginia eingeschrieben sind, seit etwa einem Jahr durch Europa und Südasien reisen und sich mit Betrügereien durchschlagen.
Und die Ermittlenden lesen noch mehr.
Die Rede ist von unserem Fall, der möglicherweise aufgedeckt wird.
Von weggewischten Fingerabdrücken, einem gesäuberten Auto, einem leitenden Ermittler und einem Brief von Jens an Mama und Papa,
in dem es heißt, ich bin mir sicher, die Polizei wird denken, dass unser Verschwinden aus Amerika etwas mit dem Tod ihrer Eltern zu tun hat.
Die BeamtInnen werden stutzig. Diese Zeilen klingen nicht nach Diebstahl und Scheckbetrug.
Jens und Elizabeth haben noch viel mehr Dreck am Stecken.
Und den wollen die Londoner PolizistInnen jetzt aufwirbeln.
Sie kontaktieren die Ermittlungsbehörde in Virginia und fragen sich bis zu dem Ermittler durch, dessen Name in den Briefen auftaucht.
Von ihm wollen sie drei Dinge wissen.
Kennt ihr einen Jens Söring und eine Elizabeth Hasem?
Sind ihre Eltern tot?
Und wenn ja, wurden sie getötet?
Der Polizist aus Virginia beantwortet alle drei Fragen mit Ja und macht sich kurz darauf auf den Weg nach London.
Auf der Polizeiwache in London wird Jens als erster vernommen.
Der 19-Jährige wirkt sehr selbstbewusst, als er vor den ErmittlerInnen und ihrem Tonbandgerät Platz nimmt.
Von Nervosität keine Spur.
Im Gegenteil. Er scheint das Kräftemessen mit den BeamtInnen zu genießen.
Einen Anwalt brauche er nicht. Er spricht für sich selbst.
Auf den Inhalt der Briefe angesprochen, sagt er, das seien lediglich Notizen für ein Buch.
Auf die Frage nach seinem Verhältnis zu seinen Schwiegereltern in Spee erklärt Jens, die Beziehung sei bestens gewesen.
Die ErmittlerInnen glauben ihm kein Wort, bohren immer tiefer.
Und nur wenige Stunden später knickt er zuvor so überhebliche junge Mann ein.
Er gesteht, Nancy und Derek Hasem getötet zu haben.
Wieder fragen die PolizistInnen, ob er nicht doch einen Rechtsbeistand will.
Jens lehnt ab und beginnt zu erzählen.
Am 30. März 1985, vor 13 Monaten also, sei er alleine mit dem gemieteten Chevrolet von Washington zu Elisabeths Eltern gefahren.
Was sich dort in den vier Wänden abgespielt hat, das und wie er die Eltern seiner Freundin getötet hat, beschreibt er detailliert.
Er steht sogar auf und spielt die Tat nach.
Derek von hinten die Kehle aufzuschlitzen, das sei nicht einfach gewesen.
Er war ein großer Mann und viel stärker als erwartet. Er sei nicht sofort zu Boden gegangen.
Nancy sei daraufhin in die Küche gelaufen und mit einem Messer zurückgekommen.
Jens habe sich selbst verteidigen müssen, doch letztlich habe er beide überwältigen können.
Als Jens mit seinen Schilderungen endet, sind die ErmittlerInnen zufrieden.
Er hat den Doppelmord gestanden und das hat die Polizei auf Band.
Was die Beteiligung seiner Freundin angeht, ist darauf zu hören, wie Jens sagt, Elisabeth sei allein in Washington geblieben und ins Kino gegangen.
Sie habe aber gewusst, wo Jens hin wollte.
Als der Ermittler fragt, ob sie auch gewusst habe, warum Jens zu ihren Eltern fährt, antwortet er,
ich glaube, dass weder sie noch ich uns wirklich darüber im Klaren waren, was passieren würde.
Bei Gott, ich war überhaupt nicht darauf gefasst.
Der Beamte fragt, worauf gefasst?
Darauf gefasst, sie zu töten.
Das Geständnis, das Jens innerhalb der viertägigen Vernehmung abgegeben hat, wiederholt er kurze Zeit später auch nochmal gegenüber einem deutschen Anwalt.
Dazu kommt, seine Aussagen passen mit den Spuren am Tatort überein.
Was die Rolle von Elisabeth bei dem Verbrechen war, soll sie nun selbst erklären.
Anders als Jens besteht sie auf einen Anwalt.
In ihrer Vernehmung, die ebenfalls aufgezeichnet wird, beharrt die 22-Jährige darauf, nichts von der Tötung ihrer Eltern gewusst zu haben.
An dem Abend, als sie umgebracht wurden, sei Jens alleine mit dem Auto unterwegs gewesen, um Freundinnen zu treffen.
Die PolizistInnen hören sich erst in Ruhe an, was Elisabeth zu sagen hat, bevor sie sie mit Jens' Aussagen konfrontieren.
Zum Beispiel der Tatsache, dass sie laut Jens sehr genau gewusst haben soll, dass er zu ihrem Elternhaus unterwegs war.
Die ErmittlerInnen sind sich ebenfalls sicher, dass Elisabeth wusste, was Jens dort tun wollte und letztendlich auch tat.
Und damit nicht genug.
Sie sind überzeugt davon, dass Jens nicht auf eigene Faust gehandelt hat.
Einer von ihnen fordert sie auf, kommen Sie, Elisabeth, sagen Sie die Wahrheit.
Sie haben den armen Jungen dazu verleitet.
Und diese Worte scheinen in der jungen Frau etwas auszulösen, denn sie antwortet,
Na schön, dann habe ich es eben getan. Es hat mich gekickt.
Nach und nach hören die Ermittlenden im Beisein von ihrem Anwalt dann ihren Teil der Geschichte.
Mit ruhiger Stimme und beschämtem Blick gesteht Elisabeth, dass sie und Jens den Mord an ihren Eltern gemeinsam geplant hätten.
Während Jens Derrick und Nancy tötete, blieb sie in Washington und legte ein Alibi für sie beide zurecht.
Der leitende Ermittler aus Virginia, der Jens und Elisabeth zusammen mit den britischen Beamtinnen vernommen hat, ist erleichtert.
Über ein Jahr nach der grauenvollen Tat sind beide TäterInnen endlich geschnappt, ungeständig.
Um Jens und Elisabeth den Prozess in Amerika machen zu können, stellen die US-Behörden einen Antrag auf Auslieferung.
Elisabeth wehrt sich nicht dagegen und sitzt, nachdem sie die Freiheitsstrafe wegen Scheckbetrugs in England abgesessen hat, im Flugzeug in die USA.
Als Jens das mitbekommt, wird er wütend. Wie kann seine Freundin ihm so in den Rücken fallen?
Er kann nicht in die USA zurück. Sollte er dort tatsächlich wegen des Mordes an Nancy und Derrick verurteilt werden, droht ihm jahrzehntelange Haft, wenn nicht sogar der Tod durch den elektrischen Stuhl.
Jens kämpft daher dafür, als deutscher Staatsbürger nicht in die USA, sondern nach Deutschland ausgeliefert zu werden.
Weil er zur Tatzeit erst 18 Jahre alt war, hofft er dort auf ein Verfahren nach Jugendstrafrecht.
So könnte er glimpflich davon kommen.
Mithilfe der Kontakte seines Diplomatenvaters gelingt es Jens sogar, dass auch die deutschen Behörden einen Antrag auf seine Auslieferung stellen.
Doch keine Chance. Die USA waren schneller. Wer zuerst kommt, malt zuerst, erklärt die britische Regierung.
Gut zwei Jahre nach der Festnahme von Jens und Elisabeth ordnet sie schließlich an, dass Jens in die USA ausgeliefert wird, wo ihm die Todesstrafe drohen könnte.
Allerdings stellt sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dagegen.
Dort hat Jens wegen der geplanten Auslieferung eine Beschwerde gegen das Vereinigte Königreich eingelegt.
Am Gerichtshof in Straßburg folgt daraufhin 1989 eine Grundsatzentscheidung.
Das Interessante dabei ist, dass es dem Gerichtshof an sich gar nicht um diese Todesstrafe ging, die Jens ja bei einer Verurteilung hätte bekommen können.
Die sagen, das ist an sich, naja, sagen wir mal okay, würden wir schon ausliefern.
Aber bei Jens ging es halt eben jetzt nicht darum, sondern um was anderes.
Der Gerichtshof sagt nämlich, dass seine Auslieferung gegen das Verbot der Folter bzw. das der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung verstoßen würde.
Weil es ja eben nicht so ist, dass jemand heute zum Tode verurteilt und morgen hingerichtet wird.
Und laut Amnesty International vergehen in den USA von dieser Verurteilung bis zur Hinrichtung im Schnitt 20 Jahre.
Das muss man sich mal reinziehen.
Wir hatten hier doch auch mal den Fall von Debbie Milkey.
Die saß sogar 22 Jahre im Todestrakt und war ja eigentlich unschuldig.
Und diese extrem lange Wartezeit und das Wissen, dass es aber trotzdem jederzeit eigentlich soweit sein könnte, ist eine enorme psychische Belastung.
Und dafür gibt es sogar einen Namen, der heißt Death Row Phenomenon.
Hier übersetzen wir das mit Todeszellen-Syndrom.
Und das verstößt laut dem Europäischen Gerichtshof eben gegen die Menschenrechte.
Und der Kern dieser Grundsatzentscheidung ist bis heute auch beispielsweise in der Grundrechte-Charta der Europäischen Union festgeschrieben.
Da heißt es nämlich, dass eine Person nicht in einen Staat abgeschoben oder ausgeliefert werden darf,
indem sie dem ernsthaften Risiko der Todesstrafe, Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung ausgesetzt ist.
Und das am Ende alles wegen dieser Beschwerde, die Jens eingereicht hatte.
Okay, also wenn er quasi zum Tode verurteilt worden wäre und am nächsten Tag direkt das verstreckt worden wäre, wäre es aber okay gewesen.
Ja, damals vielleicht.
Heute allerdings ist das kaum noch vorstellbar, dass beispielsweise jetzt aus der EU bei drohender Todesstrafe ausgeliefert wird.
Aber so oder so, gut, dass das auch schon damals nicht ging, weil ich habe halt auch schon von vielen Inhaftierten gelesen,
dass dieses Warten viel schlimmer ist als das, was die sich unter einer Todesstrafe eigentlich vorstellen.
Also dann lieber jetzt, als mich jetzt hier die ganze Zeit noch auf den Henker warten zu lassen.
Ja.
Aber nach dieser Grundsatzentscheidung bleibt den US-Behörden nichts anderes übrig, als zuzusichern, dass Jens im Falle einer Verurteilung nicht die Todesstrafe bekommt, um ihn zu sich holen zu können.
Und so wird der inzwischen 23-Jährige Anfang 1990 nach Virginia ausgeliefert.
Dort soll dem geständigen Doppelmörder der Prozess gemacht werden.
Seine Freundin Elisabeth wird bereits 1987 vor Gericht gestellt.
Es gibt also zwei separate Verfahren, die in einem Abstand von drei Jahren stattfinden.
Und der Einfachheit halber stellen wir die beiden Prozesse jetzt gegenüber.
Aufgrund der Geständnisse, die Elisabeth und Jens in London gemacht haben, scheint der Fall klar.
Doch im Gerichtssaal kommt alles anders.
Die Elisabeth, die 1987 vor Gericht erscheint, hat optisch mit der quirligen Studentin nicht mehr viel gemein.
Vor den zahlreichen ZuhörerInnen im Saal des backsteinernen Gerichtsgebäudes tritt sie ruhig und besonnen auf.
Ihr aschblondes Haar trägt sie inzwischen schulterlang und zurückgebunden,
sodass die weißen Perlenstecker an ihren Ohren hervorblitzen.
Das ist auch geil. Wenn du einen guten Eindruck machen willst, dann sei einfach eine Perlenpaula.
Ja, aber das hatten wir ja auch schon öfter hier, dass man dann als Angeklagte auf einmal ganz brav in weißem Blüschen da sitzt,
ungeschminkt und hat Haare zurück, weil das Gericht am Ende vielleicht eben doch nicht so blind ist, wie es eigentlich sein sollte.
Ja, deswegen stellen wir die Justiz ja auch immer so dar, als ob sie halt durch ihre Augenbinde da so durchluschert.
Ja.
Naja, und auch ihre schwarze Kleidung hat Elizabeth gegen eine helle Bluse getauscht.
Zu Beginn der Verhandlung schwört sie auf die Bibel.
Sie werde die Wahrheit sagen, nichts als die Wahrheit, so wahr ihr Gott helfe.
Angeklagt ist die inzwischen 23-Jährige wegen Beihilfe zum Doppelmord an ihren Eltern.
Der Staatsanwalt ist überzeugt davon, dass sie zwar nicht selbst auf ihre Eltern eingestochen,
aber gemeinsam mit ihrem Freund Jens den tödlichen Plan geschmiedet hat.
Elizabeth hatte das sogar selbst auf Tonband gestanden.
Daher wird sie mit ihrer Einlassung vor Gericht jetzt für eine große Überraschung sorgen.
Drei Jahre später, am 1. Juni 1990, beginnt der Prozess gegen Jens.
Er ist inzwischen ebenfalls 23, aber er trägt das dunkle Haar und die dicke Brille genau wie damals als Erstsemestler.
Dass dieser junge Mann, der in seinem zu großen Anzug aussieht wie ein Schuljunge,
die letzten vier Jahre hinter Gitterstäben verbracht hat und nun wegen zweifachen Mordes vor Gericht steht,
fällt vielen ProzessbesucherInnen schwer zu glauben.
Und von denen sind eine Menge da.
Etliche Schaulustige drängen sich in den Saal, dazu ein Großaufgebot an JournalistInnen und Kameraleuten.
Denn es ist das erste Mal in der Geschichte des Bundesstaats Virginia,
dass ein großer Prozess im Fernsehen übertragen wird.
Dagegen erhebt Jens Anwalt gleich zu Beginn Einspruch.
Er ist der Meinung, die Live-Übertragung führe durch die starke Beteiligung der Öffentlichkeit
zu einem unfairen Prozess für seinen Mandanten.
Der Richter sieht das nicht so.
Genau, und Jens Anwalt stört sich übrigens nicht nur an den Kameras,
sondern auch an dem Richter selbst.
Der ist nämlich davon überzeugt, dass der Richter befangen ist,
weil er mit einem Verwandten von einem der Opfer befreundet ist.
Der Richter war nämlich zusammen mit dem Bruder von Nancy Hasem auf der Militärakademie
und hatte nachweislich auch direkt zu Nancy Kontakt.
Und was auch noch dazu kommt, vor dem Prozess hat der Richter einer Lokalzeitung ein Interview
da sagte er, was die Taten selbst angeht, glaube ich nicht, dass Elizabeth Hasem das alles geplant hat.
Es war wie eine doppelte Mutprobe.
Ich glaube, sie war schockiert, dass er die Mutprobe angenommen hat.
Und deshalb beantragt Jens Anwalt, dass der Richter den Prozess wegen Befangenheit abgibt.
Das Problem ist aber, der Richter entscheidet selbst, dass da kein Interessenkonflikt besteht.
Und damit hat sich die Sache dann auch erledigt.
Also da jetzt in diesem Prozess.
In Deutschland wäre das alles ein bisschen anders.
Es würde nicht so einfach gehen.
Hier kann kein Richter oder eine Richterin selbst über den Inhalt von einem befangenen Antrag entscheiden,
wenn dieser Antrag einen selbst betrifft.
Darüber entscheidet zwar das Gericht, dem diese Person angehört,
aber die Person selbst darf halt nicht mitentscheiden.
Ja, das ist doch logisch, oder?
Also, dass in Amerika man selber darüber entscheiden kann, ob man befangen ist.
Ja, wer sagt denn dann ja, ja bin ich?
Ja, total.
Und hier gibt es aber auch diese Besonderheit, die ich auch echt auch fragwürdig finde,
dass das Gericht und zwar inklusive der Person, die das betrifft,
erst mal über die Zulässigkeit des Ablehnungsantrags entscheidet.
Da geht es aber dann eben nicht um die Sache an sich,
sondern nur darum, ob der Antrag den formalen Anforderungen entspricht.
Finde ich, sollte trotzdem ausgelagert werden.
Ja.
Also der Richter bleibt und auch die Kameras bleiben.
So können auch etliche Menschen von zu Hause aus hören und sehen,
wie Jens, genau wie Elizabeth, auf die Bibel schwört, die Wahrheit zu sagen.
Aber anders als Elizabeth sitzt Jens nicht nur einem Richter gegenüber,
sondern auch einer zwölfköpfigen Jury.
Sex Männer und Sex Frauen, die über seine Zukunft entscheiden.
Da der Angeklagte bereits ein umfangreiches Geständnis abgelegt hat,
sollte das nicht allzu schwierig sein und auch nicht allzu lange dauern.
Doch was Jens sagt, als ihm das Wort erteilt wird, versetzt den Saal in große Aufregung.
Also große Aufregung bei Jens und auch drei Jahre zuvor staunt das Publikum im Saal nicht schlecht bei Elizabeth.
Denn anders als sie es bei der Polizei in London gestanden hat, versucht sie jetzt ihre Rolle bei der Tötung ihrer Eltern herunterzuspielen.
Sie erklärt, Jens habe die Morde allein geplant.
Als sie gefragt wird, warum ihre Eltern tot sind, schweigt sie zunächst.
Nach ein paar Augenblicken wählt sie ihre Worte mit Bedacht.
Meine Eltern sind gestorben, weil Jens und ich besessen voneinander waren und er auf alles andere in meinem Leben eifersüchtig war.
Und sie sagt, ich hätte nie gedacht, dass Jens meine Eltern umbringen würde.
Ich hätte ihm viele Dinge zugetraut, aber jemanden zu töten, ein Messer in meine Eltern zu rammen, sie abzuschlachten.
Nein.
Ich hätte nie gedacht, dass er das meinen Eltern antun würde.
Ich kann es immer noch kaum fassen.
Wieso lachst du?
Ja, weil ich denke, weil sich das für mich so ein bisschen unecht anhört.
Also wie kann man vorher was gestehen und dann ist es aber immer ganz anders und man kann es kaum fassen.
Ja.
Ja.
Naja.
Jens präsentiert in seinem Prozess eine andere Version.
Es sind nur drei kleine Worte, doch sie stellen alles auf den Kopf.
Ich bin unschuldig, schallt es durch den vollbesetzten Gerichtssaal und die Wohnzimmer derer, die die Verhandlungen im Fernsehen verfolgen.
Der Staatsanwalt ist irritiert.
Jens hat die Taten doch schon vor Jahren gestanden.
Nicht nur gegenüber der Polizei, sondern auch gegenüber psychiatrischen Sachverständigen und einem deutschen Anwalt.
Doch Jens Erklärung lässt nicht lange auf sich warten.
Er habe das Geständnis nur abgelegt, um die eigentliche Täterin zu schützen.
Elizabeth.
Damals, als verliebter Student, kaum erwachsen, sei er sich sicher gewesen, das wäre die beste Lösung.
Schließlich genieße er als Sohn eines Diplomaten einige Privilegien.
Er habe gedacht, sein lauer Diplomatenpass mit dem US-Diplomatenvisum würde ihn vor der amerikanischen Justiz schützen.
Er sagt.
Ich dachte also, ich würde nach Deutschland zurückgeschickt werden.
Ich war 18 Jahre alt, okay.
Ich dachte, das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, nach Deutschland abgeschoben zu werden und dort dann fünf Jahre in Haft zu sitzen.
Fünf Jahre meines Lebens im Gefängnis zu verbringen, um Elizabeth zu retten, schien mir das Richtige zu sein.
Doch inzwischen ist Jens davon nicht mehr überzeugt.
Jetzt will er reinen Tisch machen.
Er betont also, er habe mit dem Verbrechen nichts zu tun.
Elizabeth sei die alleinige Mörderin.
Elizabeth behauptet, es sei ganz anders gewesen.
Ihre Version dessen, was am 30. März 1985 geschehen ist, geht so.
Sie und Jens sind zu diesem Zeitpunkt gut ein halbes Jahr ein Paar.
An dem Wochenende müssen sie ausnahmsweise einmal gar nichts für die Uni machen.
Außerdem meint Jens, Elizabeth sei ihm noch ein Wochenende schuldig.
Daher beschließen sie, ein Auto zu mieten und einen Ausflug ins etwa zweieinhalb Stunden entfernte Washington, D.C. zu machen.
Dort angekommen, checken sie im Marriott Hotel ein.
Als sie am nächsten Tag beim Frühstück sitzen, unterhalten sie sich über alles Mögliche,
bis das Gespräch auf ihre Eltern Nancy und Derek kommt.
Elizabeth sieht, wie sich Jens' Gesichtszüge verändern.
Er wird auf einmal wütend.
Auf seine Schwiegereltern in Spee ist der 18-Jährige überhaupt nicht gut zu sprechen.
Denn er ist der Meinung, dass sie ihre Tochter finanziell nicht genug unterstützen.
Der Ärger, dem er jetzt Luft macht, schwelt offenbar schon lange in ihm.
Er will sich gar nicht mehr beruhigen.
Jens ist zudem sauer darüber, dass sich Nancy und Derek so sehr in ihre Beziehung einmischen
und sogar versuchen, Elizabeth zum Schlussmachen zu bewegen.
Er selbst kann nicht verstehen, warum er in den Augen der Hasems nicht gut genug für Elizabeth sein soll.
Aber er weiß, dass vor allem Nancy lieber einen Arzt oder einen Anwalt an der Seite ihrer Tochter sehen würde.
Jens redet sich am Frühstückstisch immer weiter in Rage, bis ihm ein Gedanke kommt, den er sofort in die Tat umsetzen will.
Er erklärt Elizabeth, dass er zu Nancy und Derek fahren will, um ein klärendes Gespräch zu führen, und zwar sofort.
Dass er gerade in Washington ist, gut 300 Kilometer entfernt, ist ihm egal.
Elizabeth erkennt, dass es zwecklos ist, Jens von seinem Vorhaben abzubringen.
Sie weiß, wenn er sich etwas in den Kopf setzt, dann macht er das.
Und keine noch so große Distanz hindert ihn daran.
Als Jens aus dem Hotel stürmt, bleibt Elizabeth allein zurück.
Ja, Elizabeth und er fahren an dem Wochenende mit dem Mietwagen nach Washington.
Das stimmt.
Das sagt auch Jens in seinem Prozess.
Aber damit enden die Übereinstimmungen auch schon.
Denn laut Jens gesteht ihm Elizabeth an dem Samstag im Marriott Hotel,
sie müsse einer Kommilitonin Schulden zurückzahlen.
Es geht um Drogen.
Die sind der wahre Grund für den Ausflug.
Elizabeth soll Drogen von Washington zurück in ihre Unistadt schmuggeln, und zwar heute.
Jens ist nicht sonderlich geschockt darüber.
Er weiß, dass seine Freundin in der Vergangenheit mit Rauschgift zu tun hatte.
Er will ihr helfen und sie auf ihrer Fahrt zurück begleiten.
Aber Elizabeth unterbricht ihn.
Du Streber erregst nur Verdacht.
Bleib lieber hier.
Außerdem brauche ich dich als Alibi, sagt sie.
Jens hat das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als zuzustimmen.
Er belegt also ein und lässt Elizabeth allein in den Mietwagen einsteigen.
Dann macht er genau das, was die 20-Jährige ihm zuvor noch aufgetragen hat.
Er legt ein Alibi für ihr Drogengeschäft zurecht.
Laut Elizabeth fährt sie mit dem Mietwagen an diesem Abend nirgendwo hin.
Jens ist damit allein auf dem Weg zu ihren Eltern, um sich seinen Frust von der Seele zu reden.
Sie bleibt in Washington und vertreibt sich die Zeit unter anderem, damit ins Kino zu gehen.
Nach der Rocky Horror Picture Show um Mitternacht wartet sie vor dem Kino auf Jens.
Als er auf der gegenüberliegenden Straßenseite hält, geht Elizabeth zu ihm und bemerkt schon, bevor sie ins Auto steigt, dass Jens keine Hose trägt.
Stattdessen hat er sich ein Bettlaken um die Beine gewickelt.
Es ist nicht weiß, sondern voller Blut.
Elizabeth ist irritiert.
Was soll das?
Ihre Verwirrung verwandelt sich in Schock, als Jens anfängt zu sprechen.
Er sagt, er habe ihre Eltern getötet.
Elizabeth kann nicht fassen, was sie da hört.
Ihre Eltern sind tot und ihr Freund hat sie getötet.
Trotz der furchtbaren Worte, die sie gerade aus seinem Mund gehört hat, steigt sie zu ihm ins Auto.
Jens lenkt den Wagen zurück zum Hotel.
In ihrem Zimmer angekommen, sagt er ihr, sie solle das Blut im Auto wegwischen, bevor er selbst unter die Dusche steigt.
Elizabeth tut, was er ihr aufgetragen hat.
Als sie zurückkommt, liegt Jens bereits im Bett.
Elizabeth beobachtet ihren schlafenden Freund, der laut eigener Aussage vor ein paar Stunden ihre Eltern umgebracht hat.
Sie weiß, dass in so einem Fall eigentlich die Polizei alarmiert werden muss, aber das tut sie nicht.
Stattdessen kuschelt sie sich neben ihn in die Laken.
In ihrem Kopf macht sich ein Gedanke breit.
Sie kann Jens nicht der Polizei ausliefern.
Sie muss ihn retten.
Nur so kann sie sich selbst retten.
Vor Gericht erklärt sie, das klingt merkwürdig, aber nachdem er meine Eltern getötet hat, brauchte ich ihn noch mehr.
Ich hätte alles für ihn getan und ich habe alles für ihn getan.
Ich habe alle hintergangen, meine Familie, meine Freunde, meine Eltern und nachdem sie tot waren, hatte ich nur noch Jens.
Als sich Jens und Elizabeth Weger an diesem Abend trennen, geht Jens Version der Ereignisse anders weiter.
Nachdem Elizabeth ins Auto gestiegen ist, um das Drogengeschäft zu erledigen, verbringt er den Tag alleine in Washington.
Wie vereinbart geht er ins Kino, um ein Alibi zu beschaffen.
Er hat sich gleich zwei Filme ausgesucht.
Der einzige Zeuge und Stranger Than Paradise.
Obwohl er alleine ist, verlangt er an der Kasse jeweils zwei Tickets und die Tickets behält er.
So kann später niemand sagen, Elizabeth sei nicht dabei gewesen, auch wenn sich Jens die Filme in Wahrheit ohne Begleitung ansieht.
Danach macht er sich auf den Rückweg ins Hotel.
Als es Zeit fürs Abendessen ist, bestellt er zwei Portionen aufs Zimmer.
Jens ist allein.
Elizabeth ist immer noch nicht zurück.
Langsam wird dem 18-Jährigen langweilig.
Weil er nichts Besseres zu tun hat, beschließt er noch einmal ins Kino zu gehen.
Diesmal in die Rocky Horror Picture Show.
Als der Abspann über die Leinwand flimmert, kehrt er wieder ins Hotel zurück.
Kurz danach dreht sich der Schlüssel im Schloss der Zimmertür.
Elizabeth ist wieder da.
Sie lässt sich auf das Doppelbett sinken.
Aus ihrem ohnehin blassen Gesicht ist alle Farbe gewichen.
Als Jens wissen will, was los ist, brechen die Worte aus ihr heraus.
Ich habe meine Eltern getötet.
Die Drogen haben mich dazu gebracht.
Sie haben es ohnehin verdient.
Immer und immer wieder plappert sie ähnliche Sätze vor sich hin.
Jens versteht nicht sofort.
Hat Elizabeth wieder Drogen genommen?
Ist sie high?
Was hat das zu bedeuten?
Doch dann erkennt er, dass Elizabeth nicht halluziniert.
Sie ist bei klarem Verstand und sie meint das, was sie sagt, ernst.
Als Jens begreift, dass Elizabeth ihm gerade gesteht, ihre eigenen Eltern umgebracht zu haben, macht sich Entsetzen in ihm breit.
Aber seiner Freundin zuliebe versucht er, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Elizabeth spricht inzwischen direkt zu Jens.
Wie in Dauerschleife spult sie zwei Sätze ab.
Du musst mir helfen.
Wenn nicht, werden sie mich töten.
Jens merkt, wie ihm die Angst in den Nacken kriecht, als er versteht, was sie meint.
Elizabeth hat ihre eigenen Eltern umgebracht und dafür droht er die Todesstrafe.
Ihr merkt schon, Elizabeth und Jens erzählen zwei komplett unterschiedliche Versionen, ein und desselben Wochenendes.
Zu dem Zeitpunkt, als die Eltern von Elizabeth starben, waren Elizabeth und Jens ein liebes Paar.
Ein halbes Jahr später flüchteten sie wie Bonnie und Clyde vor der Polizei und machen hier einen auf zu zweit gegen den Rest der Welt.
Und jetzt beschuldigen sie sich gegenseitig, einen grausamen Doppelmord begangen zu haben.
Doch warum wurden aus den Verliebten plötzlich Feinde?
Um die Dynamik zwischen Jens und Elizabeth zu verstehen, wird in den Gerichtsprozessen tief in ihrer Vergangenheit gewühlt.
Was Jens Kindheits- und Jugendjahre angeht, sind diese unauffällig.
Durch den Diplomatenberuf seines Vaters zieht die Familie zwar mehrfach um und als der Deutsche ist Jens immer ein wenig der Außenseiter,
Trotzdem findet er Anschluss und ist ein fleißiger Schüler, der regelmäßig gute Noten mit nach Hause bringt.
Elizabeth dagegen verbringt viel Zeit weit weg von ihren Eltern.
Sie schicken sie auf Internate nach England und in die Schweiz.
Die Teenagerin fühlt sich dadurch ungeliebt und abgeschoben und wirft ihren Klassenkamerad in neidische Blicke zu,
wenn deren Eltern sie bei Lacrosse spielen oder Schulaufführungen bejubeln.
Sie fängt an zu rauchen und Drogen zu nehmen.
Irgendwann hat sie die Nase voll und haut ab.
Als sie dann auch noch mit LSD und Heroin experimentiert, schreiten ihre Eltern ein.
Das Maß ist voll.
Elizabeth muss zurück nach Virginia und das Blatt wendet sich.
Nancy und Derek überwachen jetzt jeden Schritt ihrer Tochter und kontrollieren alles, was sie tut.
So mischen sie sich nicht nur bei der Wahl ihrer Uni und ihrer Kurse ein, sondern auch bei der Wahl ihrer Freundinnen.
Ein Umstand, der ihr Verhältnis zu ihren Eltern nur noch verschlimmert.
Als sie dann an der Uni Jens kennenlernen, stürzen sich beide Hals über Kopf in die Beziehung
und schwören sich schon nach kurzer Zeit mit dramatischen Worten die ewige Liebe.
Davon zeugen die Briefe, die sich Jens und Elisabeth geschrieben haben.
Elisabeths Zeilen, meist handschriftlich verfasst, in Kugelschreiber blau und kritzeliger Schrift.
Jens' Worte sorgfältig mit der Schreibmaschine verfasst.
Zusammen ergeben sie das Zeugnis einer Beziehung, die von ungesunder Liebe und extremer Abhängigkeit geprägt ist.
So schreibt Elisabeth einmal,
Lieber Jens, Jens, ich liebe dich, völlig eigennützig und so sehr, dass es weh tut.
Zehn Jahre lang habe ich mich selbst verachtet und du hast das geändert.
Ich vertraue dir blind.
Du bist der Einzige, den ich je geliebt habe.
Selbst der Tod kann mich nicht mehr schrecken, angesichts dieser unerschütterlichen Liebe.
Jens antwortet,
Geliebte Liz, ich liebe dich mehr, als ich jemals zuvor fähig gewesen wäre und völlig anders, als ich es kenne.
Du hast mich aufgefangen, als ich im Begriff war, unterzugehen.
Ich werde dich auf ewig lieben, dein Jens.
Für ihn ist Elisabeth nicht nur die erste Frau, mit der er Sex hat,
sondern auch die erste, bei der er das Gefühl hat, dass sie ihn richtig akzeptiert.
Dabei bewerten zwei psychiatrische Gutachten die Beziehung der beiden sehr kritisch.
Elisabeth habe nicht nur eine Borderline-Störung, sondern auch eine pathologische Neigung zum Lügen und sie sei schizophren.
Jens dagegen wird bescheinigt, dass er auffallend unreif und leichtgläubig sei und zudem in einem pathologischen Ausmaß emotional abhängig von Elisabeth.
Und einmal kurz zu dieser Folie adieu, die Jens diagnostiziert wird, darüber haben wir ganz am Anfang von Mordlos schon mal geredet.
Folie adieu bedeutet übersetzt Warn zu zweit und das ist eine anerkannte psychische Erkrankung.
Man spricht da auch von einer symbiotischen Psychose oder einer induzierten wahnhaften Störung.
Und wie eben der Begriff schon sagt, haben in der Regel zwei Menschen eine gemeinsame Wahnvorstellung.
Also sie teilen sie sich sozusagen.
Dabei gibt es eine Person, die tatsächlich an einer Psychose leidet, also zum Beispiel an einer Schizophrenie, wie sie jetzt hier bei Elisabeth diagnostiziert wurde.
Das ist dann die induzierende Person und die steckt quasi die andere Person damit an.
Die induzierte Person, also in diesem Fall Jens, übernimmt dann diese Wahnvorstellung, obwohl sie eigentlich psychisch gesund ist.
Und dann haben eben beide gemeinsam diese Wahnvorstellung und können sich dann darin, und das ist auch so ein bisschen die Krux daran, gegenseitig bestärken und hochschaukeln.
Und wenn die beiden Personen dann aber voneinander getrennt werden, gibt diejenige, die die Psychose eigentlich ja gar nicht hatte und nur mit übernommen hat, die Wahnvorstellung dann auch meist wieder auf.
Damit das aber überhaupt erst dazu kommt, dass man so eine symbiotische Psychose zu zweit hat, muss man halt eine sehr enge emotionale Bindung haben.
Also es ist dann zum Beispiel ein Elternteil und ein Kind, Geschwister oder halt eben Paare.
Oder haben wir das? Oder haben wir das zu zweit?
Ob wir das haben?
Ja, ich überlege mir manchmal, ob die Leute, die mit uns arbeiten müssen, das von uns denken.
Weil wir sprechen ja auch eine Sprache, die andere manchmal nicht verstehen.
Ja.
Wenn wir immer denken, wieso verstehen die uns denn nicht?
Die sprechen halt einfach nicht das, was wir sprechen.
Das stimmt.
Das stimmt wirklich.
Wer von uns hatte die denn zuerst?
Du.
Ja, ziemlich sicher ich.
Das ist auch fies, nur dass es so klar ist.
Ja, aber ich bin dann die labile Person, die sich anstecken lässt.
Genau, also es gibt auch immer so eine Art Schlüssel-Schloss-Prinzip.
Also eine Person dann eher dominant und die andere eher labil.
Aber grundsätzlich kommt diese Folie adeux sehr selten vor.
Und dass Elisabeth und Jens sich in dem Hass auf Elisabeths Eltern gegenseitig hochschaukeln,
das offenbart sich in den Briefen.
Denn die beiden brachten nicht nur ihre unendliche Liebe füreinander aufs Papier,
sondern auch unzähmbare und völlig wirre Gewaltfantasien.
Der Dialog, der jetzt kommt, ist nicht zusammenhängend.
Er ist quasi zusammengesetzt aus verschiedenen Absätzen von verschiedenen Briefen.
Und er zeigt beispielhaft, welche Gedanken die beiden in Bezug auf Elisabeths Eltern hatten.
Liebster Jens, ich bin wach und fühle mich so einsam.
Meine Mutter meinte heute, dass ich eine nutzlose Rumtreiberin werden würde,
wenn ihnen etwas zustoßen würde.
Ich musste weinen.
Ich habe sehr wohlhabende Eltern, die mir keinen Cent geben.
Es sei denn, ich verhalte mich entsprechend ihrer Vorstellung.
Das nennt man Erziehung, glaube ich, ne?
Ich bin nicht länger bereit, mich zu verstellen.
Wäre es möglich, meine Eltern zu hypnotisieren, Voodoo anzuwenden, sie in den Tod zu wünschen?
Es scheint schon so, als würde meine Konzentration auf ihren Tod für Probleme sorgen.
So fuhr mein Vater heute Mittag beinahe über eine Klippe
und wurde fast von einem Baum erschlagen, als er nach Hause kam.
Und er fällt immer wieder um und meine Mutter fiel betrunken ins Feuer.
Ich glaube, ich sollte ernsthaft anfangen, schwarze Magie anzuwenden.
Ich weiß, dass du ebenso leidest wie ich.
Ich werde versuchen, dir zu helfen, wenn du das möchtest.
Warum können sich meine Eltern nicht einfach hinlegen und sterben?
Ich verachte sie so sehr.
Ich habe die Seite in mir, die Vernichten will, noch nicht in Gänze erforscht.
Bis jetzt habe ich noch nie getötet.
Möglicherweise ist das der ultimative Akt des Zerstörens, einmal abgesehen von Sex,
der meiner Meinung nach, allen Behauptungen von Freudskritikern zum Trotz,
irgendwie zentral mit dieser Todesseite verbunden ist.
Übrigens, sollte ich deine Eltern treffen, habe ich die ultimative Waffe.
Es geschehen seltsame Dinge in mir.
Ich glaube, ich verwandle mich mehr und mehr in eine Art Jesus.
Zumindest eine kleine Kopie.
Ich glaube, ich würde sie entweder völlig um den Verstand bringen,
Herzanfälle bekommen lassen,
oder sie würden plötzlich die ganze Welt lieben,
im Sinne der christlichen Nächstenliebe.
Denn was ich in mir sehe, ist genau das.
Ich kann es in mir und in anderen sehen
und in diesen Farberfahrungen, die ich immer wieder habe.
Ich sehe es nicht klar, aber ich möchte es.
Dieses Das setzt einige Kräfte frei.
Je nach seiner geistigen und emotionalen Anpassungsfähigkeit
könnte dein Vater zum Beispiel durchaus an einer Konfrontation damit,
mit diesem Das sterben,
falls er sich zu sehr hinter dem Hass verschanzt.
Also ich finde, hier sieht man auch,
dass diese Theorie der Folie adieu jetzt nicht so abwegig ist, ja?
Ja.
Die haben ja ordentlich einen an der Schüssel.
Ja.
Also ich sage jetzt mal so,
das kann man ja noch ein bisschen jetzt verstehen,
was er denkt.
Aber da waren auch Teile,
die hat man gar nicht verstanden.
In den Briefen meinst du jetzt?
Ja.
Ja, ja.
Elizabeth schreibt noch,
entweder warten wir, bis wir studiert haben
und gehen einfach
oder wir werden sie schon möglichst bald los.
Jens, oh Gott,
ich habe das Abendessen-Szenario schon geplant.
Neben den Briefen spielen vor Gericht aber natürlich auch die Spuren,
die die Ermittlerinnen am Tatort sichergestellt haben,
eine wichtige Rolle.
Im Haus der Hasems wurde neben dem Blut von Nancy und Derek
auch welches der Blutgruppe Null gefunden.
Die häufigste Blutgruppe der Welt,
die auch Jens hat.
Außerdem wurde am Tatort ein blutiger Sockenabdruck festgestellt.
Vor Gericht legt der Sachverständige vom FBI
Folien von dem Sockenabdruck am Tatort
und von Jens' Fußabdruck übereinander.
Nicht nur die BesucherInnen im Gerichtssaal,
sondern auch die Menschen zu Hause vor den Fernsehern
können mit eigenen Augen sehen,
was der Experte erläutert.
Der Sockenabdruck sei weder wesentlich größer
noch wesentlich kleiner als Jens' Fußabdruck.
Daher sei es nicht auszuschließen,
dass der blutige Abdruck von Jens stammt.
Was Jens abgesehen davon belastet,
ist sein verdächtiges Nachtatverhalten.
Erst meldet er sich monatelang nicht bei der Polizei
und als er dann ein halbes Jahr später eine Aussage macht,
verlässt er kurz darauf den Kontinent.
Selbst die zwei Kinotickets,
die Jens noch hat,
sprechen laut Staatsanwaltschaft nicht dafür,
dass seine Version der Tatnacht stimmt.
Er könne sie genauso gut aus dem Mülleimer
vor dem Kino gefischt haben.
Die Indizien sprechen dafür,
dass Jens das Ehepaar Hazem getötet hat.
Aber das Gericht glaubt Elisabeth in ihrem Prozess nicht,
dass ihr zum Tatzeitpunkt 18-jähriger Freund
ganz allein für das Verbrechen verantwortlich sein soll.
Zum einen hat Elisabeth bei der Londoner Polizei zugegeben,
dass sie und Jens den Mord an ihren Eltern gemeinsam geplant haben
und sie ihn dazu angestiftet hat.
Dafür sprechen auch die Briefe,
in denen Elisabeth darüber schreibt,
ihre Eltern schon möglichst bald loszuwerden.
und Jens erklärt, er habe die ultimative Waffe
und das Abendessen-Szenario schon durchgeplant.
Außerdem ist inzwischen bekannt,
dass es Elisabeth mit der Wahrheit nicht immer so genau nimmt.
Zum Beispiel stellt sich heraus,
dass Elisabeth Jens am Anfang ihrer Beziehung erzählte,
dass sie von ihrer Mutter sexuell missbraucht worden sei.
Als der Staatsanwalt vor Gericht bei ihr nachhakt,
möchte sie nicht darüber sprechen.
Das Thema sei Privatsache.
Aber als der Staatsanwalt nicht locker lässt,
sagt sie schließlich,
meine Mutter hat mich nicht sexuell missbraucht.
Der Staatsanwalt geht davon aus,
dass Elisabeth Jens angelogen hat,
um ihn dazu zu bringen,
ihre Eltern zu hassen und letztendlich zu töten.
Laut dem Staatsanwalt in ihrem Prozess
war sie die treibende Kraft hinter der Tötung ihrer Eltern.
Sie war die Puppenspielerin und Jens ihre Marionette.
Dabei habe sich Elisabeth an Shakespeare's Macbeth orientiert.
Der tötete, angestiftet von seiner Frau Lady Macbeth,
den König von Schottland,
um selbst auf dem Thron Platz zu nehmen.
Mithilfe der Tragödie von Shakespeare
will der Staatsanwalt Elisabeth überführen.
Sie hatte sich in einer früheren Aussage
als Lady Macbeth bezeichnet.
Im Gerichtssaal kommt der Staatsanwalt darauf zurück.
Er sagt zu Elisabeth,
sie kennen Shakespeare sicher besser als ich.
Aber stachelte Lady Macbeth,
den alten Macbeth,
nicht dazu an,
einen Mord zu begehen?
Elisabeth antwortet,
ja, das hat sie.
Hat sie ihn dazu verleitet?
Ja, das hat sie.
Hat sie ihn dazu ermutigt?
Ja.
Haben sie sich als Lady Macbeth gesehen,
will der Staatsanwalt wissen?
Ja, das habe ich,
antwortet die Angeklagte mit leiser Stimme.
Jens als Königsmörder Macbeth
und Elisabeth als die Lady,
die ihn dazu getrieben hat.
Und wir erinnern uns an das Zitat vom Anfang.
Die Raschheit meiner heftigen Liebe
lief schneller als die zögernde Vernunft.
Es wird also immer deutlicher,
dass die 23-Jährige
ihre Rolle bei der Tötung ihrer Eltern
nicht mehr kleinreden kann.
Gut hörbar für alle im Saal
gibt sie schließlich zu,
da ich verantwortungslos gehandelt
und Jens manipuliert habe,
bin ich absolut schuldig.
Ich bin verantwortlich für den Tod meiner Eltern.
Das sehe ich ein.
Aber ich möchte, dass sie verstehen,
dass Jens freiwillig gehandelt hat.
Er hatte eine Wahl.
Er ist vier Stunden lang dorthin gefahren.
Ganz gleich, was ich ihm gesagt oder geschrieben habe.
Er konnte entscheiden,
ob er meine Eltern tötet oder nicht.
Also nochmal zusammenfassend,
Elisabeth hat ja erst bei der Polizei in London gesagt,
dass sie ihn dazu angestiftet hat
oder dass sie gemeinsam den Plan hatten.
Dann hat sie am Anfang von ihrem Prozess gesagt,
sie wusste eigentlich von gar nichts.
Nur, dass er da hinfahren wollte,
um mit ihren Eltern zu reden.
Und jetzt sagt sie wieder,
im Grunde, es war so,
wie sie zuerst gesagt hat,
dass sie ihn manipuliert hat
und er diese Tat dann ausgeführt hat.
Am 8. Oktober 1997,
zweieinhalb Jahre nach der Tat,
fällt dann das Urteil gegen Elisabeth.
Der Richter in seiner schwarzen Robe
wendet sich der 23-Jährigen zu,
die mit zurückgeflochtenem Haar
und einem grau-blauen Wollpullover vor ihm sitzt.
Elisabeth wirkt den Tränen nah
und hat sichtlich Mühe,
den Mann anzusehen,
der in diesen Sekunden
über ihr Schicksal entscheidet.
Miss Hasem.
Ich erkläre sie im Sinne der Anklage
in zwei Fällen vorsätzlichen Mordes,
der Beihilfe, für schuldig.
Ich verurteile sie zu 45 Jahren Haft
in beiden Fällen.
Also kurz, sie kriegt 90 Jahre, ja.
Als das Strafmaß verstärkt
durch das Mikrofon des Richters
durch den Saal halt,
gelingt es Elisabeth nicht mehr,
ihn anzuschauen.
Sie senkt ihren Blick zu Boden.
Sie versucht,
die Tränen wegzublinzeln,
als sie nach der Verhandlung
von Kameras begleitet
zu dem Auto geführt wird,
das sie zurück ins Gefängnis bringt.
Drei Jahre später
arbeitet das Gericht
auch in Jens Prozess
daran, ein Urteil zu fällen,
das unabhängig von dem aus
Elisabeth-Prozess entschieden wird.
Dazu erwarten die Zuschauer
in einem Verhandlungstag
besonders gespannt.
Elisabeth wird als Hauptzeugin
der Staatsanwaltschaft
gegen ihren früheren Freund
aussagen.
Es ist das erste Mal,
seitdem sie in London
von der Polizei geschnappt wurden,
dass sich die beiden
wieder gegenüberstehen.
Von der unendlichen Liebe,
die sie sich in ihren Briefen
geschworen haben,
ist kein Funken mehr zu spüren.
Im dunklen Blazer
mit Pixieschnitt
und einem schrägen Pony,
der ihr über das rechte Auge fällt,
wirkt die mittlerweile 26-Jährige
wesentlich älter als Jens,
obwohl sie nur gut zwei Jahre trennen.
Sie tritt auf wie eine Frau von Welt,
eher wie der Streber
aus der Parallelklasse.
Als Elisabeth in den Saal geführt wird,
ist es, als würden die zahlreichen
ZuschauerInnen die Luft anhalten.
In Jens' Gesicht dagegen
zeichnet sich kaum
eine Gefühlsregung ab,
als er mit wachem Blick
beobachtet,
wie die Person,
die einmal seine geliebte Liz war,
im ZeugInnenstand Platz nimmt.
Er betrachtet sie neugierig,
während sie so tut,
als sei der junge Mann
auf der Anklagebank
nicht ihr Ex-Freund,
sondern ein Fremder.
Jens macht sich immer wieder Notizen,
als Elisabeth das Wort ergreift
und erzählt,
was Jens ihr in der Tatnacht
vor fünf Jahren gesagt habe.
Etwa, dass er ihre Mutter
mit dem Steakmesser attackiert habe
und das alles voller Blut gewesen sei.
Auf die Frage des Staatsanwalts,
ob Elisabeth gewollt habe,
dass er ihre Eltern tötet,
antwortet sie klar und deutlich,
ja, das wollte ich.
Als Jens mich am Samstagnachmittag
zurückließ,
um zu meinen Eltern zu fahren,
hatte ich deutlich mehr Sorge,
dass er sie nicht umbringen würde,
als dass er es tun würde.
Ich fand die Vorstellung,
dass Jens jemanden töten würde,
seltsam,
fantastisch.
Nach 13 Verhandlungstagen
ziehen sich die zwölf Geschworenen
zur Beratung zurück.
Jens' Schicksal
liegt jetzt in ihren Händen.
Sie müssen die alles entscheidende
Frage beantworten.
Wer sagt die Wahrheit?
Jens oder Elisabeth?
Keine vier Stunden später
nehmen alle Verfahrensbeteiligten
wieder ihre Plätze ein.
Dann tönt die Stimme der Gerichtsdienerin
durch den Saal,
die das Urteil der Jury verliest.
Sowohl im Fall von Derek
als auch im Fall von Nancy
befindet sie Jens
des vorsätzlichen Mordes
schuldig im Sinne der Anklage.
Die Strafe dafür
ist zweimal lebenslang.
Der Richter will noch von Jens wissen,
ob er einen Grund habe,
weshalb das Gericht
dieses Urteil
gegen ihn nicht aussprechen sollte.
Im Pick entgegnet der 23-Jährige
ein letztes Mal den Satz,
den er in den Tagen zuvor
so oft wiederholt hat.
Ich bin unschuldig.
Doch diese Worte
haben keine Bedeutung mehr.
Jens wird in Handschellen
aus dem Gebäude geführt
und verschwindet
in einem schwarzen Wagen
aus dem Blickfeld der Kameras.
In der Bevölkerung
ist nach diesem Urteil
so etwas wie ein kollektives
Aufatmen spürbar.
Endlich ist der Haupttäter
verurteilt
und es gibt zumindest dadurch
etwas Gerechtigkeit
für Nancy und Derek Hasem.
Aber die Haftstrafe für Jens
ist nicht das Ende der Geschichte.
Nachdem Elisabeth
hinter dicken Gefängnismauern
und damit auch aus dem Fokus
der Öffentlichkeit verschwindet,
wird es ruhig um sie.
Bei Jens ist das Gegenteil der Fall.
Seitdem er vor Gericht
zum ersten Mal erklärt hat,
unschuldig zu sein,
wiederholt er diesen Satz
immer und immer wieder
wie ein Gebet.
Hinter Gittern
nutzt er jede Gelegenheit,
seine Version der Geschichte
noch einmal zu erzählen.
Seine AnwältInnen
unterstützen ihn dabei.
Mehrfach versucht er
gegen das Urteil vorzugehen.
Unter anderem legt er
wegen der angeblichen
Befangenheit des Richters,
der Nancy Hasem kannte,
Revision ein.
Mehrere Revisionsgerichte
überprüfen die Verfahrensführung
und kommen zu dem Schluss,
alles sei rechtskonform abgelaufen.
Mit seinen Revisionsanträgen
kämpft er sich
durch alle Instanzen
des US-Rechtssystems
ohne Erfolg.
Große Hoffnung
setzt er in die Wissenschaft.
Als es dann DNA-Tests gibt,
werden auch die Spuren
im Hasem-Haus
noch einmal überprüft.
Davon sind aber
nur noch wenige intakt.
Und keine davon
weist die DNA von Jens auf,
aber auch nicht die von Elizabeth.
Für Jens ist der Fall klar.
Dass sich seine DNA
am Tatort
nicht nachweisen lässt,
ist Beweis
für seine Unschuld.
Zeitweise lässt er
dann sogar von seiner Version,
dass Elizabeth
ihre Eltern getötet hat,
ab und versucht,
mit zwei weiteren Gutachten
andere potenzielle Täter
in den Fokus zu rücken.
Und zwar zwei Männer,
die im selben Jahr,
in dem Nancy und Derek starben,
wegen der Tötung
eines Obdachlosen
verhaftet worden waren.
Auf die war er gekommen,
als er die Ermittlungsakten
seines Falls studierte,
in der die Namen
der beiden Männer
aufgetaucht waren,
weil sie am Anfang
der Ermittlung
auch mal als potenziell
verdächtig galten.
Allerdings stimmt auch
ihre DNA nicht
mit der im Haus
der Hasems überein.
Die Behörden
kommen zu dem Schluss,
dass die ohnehin
kaum noch intakten
DNA-Spuren
vermutlich allein
von Derek Hasems stammen.
2010,
20 Jahre nach
seiner Verurteilung
schöpft Jens neue Hoffnung.
Der Gouverneur von Virginia
entscheidet an seinem
letzten Tag im Amt,
dass Jens von den USA
nach Deutschland
überführt wird.
Seine Freude ist riesig.
Damit kommt er seinem Traum
von der baldigen Freiheit
ein großes Stück näher.
Doch ein einziges Interview
bringt diesen Traum
wie eine Seifenblase
zum Platzen.
Elizabeth meldet sich
zu Wort.
Seit ihrer Verurteilung
hat sie geschwiegen,
doch nun spricht sie
mit der Presse
über Jens bevorstehende
Überführung nach Deutschland.
Über den Mann,
der vor 25 Jahren
ihre große Liebe war,
sagt sie,
wenn er unschuldig wäre,
hätte ich es von den Dächern
geschrien.
Aber er ist genauso schuldig
wie ich.
Wir beide verdienen
diese Strafe.
Nicht er allein,
sondern wir beide.
Kurz darauf
tritt der neue Gouverneur
von Virginia
sein Amt an.
Als eine seiner
ersten Amtshandlungen
macht er die Pläne
seines Vorgängers,
Jens nach Deutschland
zu überstellen,
rückgängig.
Und damit Jens Hoffnung
zunichte.
Trotzdem will sich Jens
nicht entmutigen lassen.
Er schreibt Bücher
über seine Geschichte
und spricht mit der Presse.
JournalistInnen
kommen zu ihm
ins Gefängnis
und schenken ihm
nicht nur Gehör,
sondern auch
ausführliche Berichterstattung.
Dabei sind nicht nur
Zeitungen und Fernsehsender
in den USA
interessiert.
Schon ab 2006,
16 Jahre
nach seiner Verurteilung,
hat Jens vor allem
zu einer Reporterin
der Süddeutschen Zeitung
viel Kontakt.
Sie macht den Fall
in Deutschland publik.
2016 dreht sie sogar
einen deutschen
Dokumentarfilm über ihn.
So gelingt es Jens
nach und nach,
ein Netzwerk
an UnterstützerInnen
aufzubauen.
Zu diesem sogenannten
Freundeskreis Jens Söhring
schließen sich Menschen
zusammen,
die überzeugt sind,
dass es sich bei Jens
Verurteilung als Doppelmörder
um einen gewaltigen
Justizskandal handelt.
Auch Prominente
unterstützen ihn,
etwa der Schauspieler
Martin Schien
oder Autor John Grisham.
Der Freundeskreis
versorgt Medien
und Öffentlichkeit
mit sorgsam
zusammengestellten
Infopaketen
über die
Hasem-Morde.
Unter Jens Anleitung
entwickeln seine
HelferInnen
ein Narrativ,
das zu seiner
Version der Ereignisse
vom 30. März
1985 passt.
Fakten,
die nicht dazu passen,
werden unter den
Tisch fallen gelassen.
Der Tenor
Jens ist kein
grausamer Verbrecher,
sondern ein
Justizopfer.
Seine Geschichte
erreicht sogar die
höchsten politischen
Ämter.
Zahlreiche
Abgeordnete des
Deutschen Bundestags
bitten in einem
Schreiben an die
Regierung von Virginia
Jens in deutsche
Haft zu überstellen.
Christian Wulff,
zu dieser Zeit
Bundespräsident,
fliegt in die
USA, um sich für die
Auslieferung seines
Landsmannes einzusetzen.
Auch die damalige
Bundeskanzlerin Angela
Merkel macht sich beim
damaligen US-Präsidenten
Barack Obama für Jens
stark.
Das Ziel des
Freundeskreises und von
Jens selbst ist aber noch
größer.
Sie wollen, dass er ganz aus
der Haft freigelassen wird.
Schließlich ist er in
ihren Augen unschuldig.
Deshalb stellt Jens
15 Anträge auf Bewährung.
Alle werden abgelehnt.
Bis auf den letzten.
Am 25.
November 2019 macht der
demokratische Gouverneur von
Virginia eine Ankündigung,
die für ein Beben in der
Öffentlichkeit sorgt.
Jens wird nach insgesamt 33
Jahren Haft auf Bewährung
freigelassen.
Der Bewährungsausschuss betont
jedoch, diese Entscheidung ist
kein Freispruch.
Die Justiz hegt keine Zweifel an
der Schuld des mittlerweile
53-Jährigen.
Man habe diesen Entschluss
einzig und allein deshalb
gefasst, weil Jens zum
Tatzeitpunkt zu jung
gewesen sei und nun eine lange
Haftstrafe abgesessen habe.
Und nicht nur Jens kommt frei,
nachdem er mehr als die Hälfte
seines Lebens hinter Gittern
saß.
Auch für Elisabeth ist diese
Zeit zu Ende.
Immerhin saß sie wegen eines
deutlich weniger schwerwiegenden
Verbrechens in Haft als ihr
damaliger Freund.
Jens war als Doppelmörder
verurteilt worden, sie nur
in Anführungszeichen wiegt
Beihilfe zu dieser Tat.
Deshalb erklären die Behörden
auch in ihrem Fall nun, dass sie
ihre Strafe verbüßt habe.
Schon in Haft war es still um
Elisabeth und das bleibt es auch
danach.
Zurück in ihrer Heimat Kanada
bittet die inzwischen 55-Jährige
ihre Halbgeschwister um Vergebung
für die Schuld, die sie auf sich
geladen hat.
Die drei Kinder ihres Vaters
erfüllen ihr diesen Wunsch.
Im Gegenzug erwarten sie von ihr
keine Interviews mehr zu geben und
auch sonst nicht in der Öffentlichkeit
aufzutreten.
Elisabeth respektiert das und taucht
in die Weiten Kanadas ab.
Auf der anderen Seite des
Atlantiks geht es nicht so ruhig
zu.
Am Dienstag, den 17. Dezember 2019,
landet in Frankfurt gegen Mittag ein
Flieger von United Airlines.
Einer der Passagiere darin wird wie
ein Star erwartet.
Jens betritt das Terminal mit einer
schwarzen Steppjacke über einem
hellgrauen Jogginganzug.
Sein einst volles braunes Haar hat die
Zeit mit grauen Strähnen durchzogen.
Auf seiner Nase sitzt wie früher eine
große Brille.
Der Rahmen ist jetzt nicht mehr braun,
sondern schwarz, aber die dicken
Gläser sind geblieben.
Er sieht müde aus, fängt aber an zu
strahlen, als er in die Gesichter seiner
UnterstützerInnen blickt.
Die Mitglieder seines Freundeskreises
applaudieren und jubeln ihm zu.
Die zahlreichen VertreterInnen der
Presse, darunter auch die SZ-Reporterin,
die ihn seit Jahren begleitet,
versuchen jedes Detail mit Kameras,
Fotoapparaten und Smartphones
einzufangen.
Das Gedränge wird noch dichter, als
Jens vor die Mikrofone tritt und noch
am Flughafen seine ersten Worte als
freier Mann an die Öffentlichkeit
richtet, die ihr jetzt hier hört.
Ganz, ganz lieben Dank an alle meine
wunderbaren Unterstützer.
Ganz, ganz lieben Dank.
Ganz, ganz lieben Dank.
Also, das ist ja alles ziemlich
überwältigend hier.
Ich freue mich so, ich freue mich so
sehr, nach 33 Jahren, sechs Monaten
und 25 Tagen endlich, endlich hier in
Deutschland zu sein.
Das ist so toll.
Ich bin so froh.
Das ist der schönste Tag meines
Lebens.
Nach seiner Ankunft in Deutschland
sucht Jens weiter den Kontakt zu den
Medien.
Er betont, er wolle nicht vor seiner
Vergangenheit weglaufen, sondern
offensiv damit umgehen.
Deshalb gibt er Zeitungen und
Magazinen wie der Süddeutschen und
dem Spiegel bereitwillig Interviews
und nimmt in Fernsehtalkshows wie
Balance und SternTV Platz.
Dort wird Jens nicht als Täter oder
Doppelmörder vorgestellt, sondern als
ein Mann, der für einen Doppelmord
rechtskräftig verurteilt wurde.
Was schon stimmt, aber man lässt ihm
eben auch sehr viel Raum für seine
Erzählung.
Über die Tat an sich redet er aus
rechtlichen Gründen nicht.
Die JournalistInnen wollen stattdessen
wissen, wie das erste Aufwachen in
Deutschland war, wonach Freiheit riecht,
wie er von 9-11 erfahren hat und wie es
ist, in einer Welt mit Internet zu
leben.
Jens beantwortet diese Fragen gerne.
Er wird aber auch nicht müde zu
betonen, dass er unschuldig sei.
Er sei eines der vielen Justizopfer, die
in den USA zu Unrecht hinter Gitter
landen.
Auch dafür bekommt er in der
Öffentlichkeit viel Raum.
Über Jahre.
Immer wieder erhebt Jens seine Stimme, um sein neues Leben zu dokumentieren und auf die
seiner Meinung nach juristischen Fehler in seinem alten Leben hinzuweisen.
Das tut er bis heute auf Instagram, in zwei eigenen Podcasts und nach wie vor in den
Medien, die ihm eine Plattform bieten.
Allerdings haben sich die Berichte verändert.
Anders als unmittelbar nach seiner Freilassung gibt es inzwischen vermehrt Formate, die die damalige
Berichterstattung kritisieren.
Der Tenor, seriöser Journalismus, dürfe einem verurteilten Doppelmörder nicht eine derart
uneingeschränkte und unkritische Bühne bieten.
Erst im November 2023 meldet sich die Süddeutsche Zeitung zu Wort.
Die SZ räumt ein, dass die Reporterin, die Jens seit Jahren begleitet und sein Image in
Deutschland maßgeblich geprägt hat, bei ihrer Berichterstattung nicht immer die nötige
journalistische Distanz gewahrt habe.
Denn sie stand über Jahre in engem Kontakt mit dem Freundeskreis von Jens.
Und da mal eine Sache zu.
Wir haben diesen Fall Jens Söring schon so oft vorgeschlagen bekommen.
Und in den meisten Fällen mit dem Satz versehen, da sitzt jemand unschuldig in den USA in Haft.
Oder hier endlich wurde er freigelassen.
Das ist ein Justizskandal.
Und da gehe ich schon davon aus, dass die Berichterstattung hier in Deutschland auf jeden Fall einen
Teil dazu beigetragen hat, das so aussehen zu lassen, als wäre das so.
Er saß halt nicht unschuldig in Haft.
Der ist erst mal ein rechtskräftig verurteilter Mörder und wurde freigelassen, weil er seine
Zeit abgesessen hat.
Nicht, weil man das Urteil gegen ihn aufgehoben hat oder Zweifel an seiner Schuld bestanden hätten
oder so.
Und wenn er sich dann in Talkshows setzt und sagt, ja, über die Tat rede ich nicht aus
rechtlichen Gründen.
Also ich hatte das damals bei Lanz gesehen, da hieß es dann halt, dass er dazu nichts
sagen darf.
Aber dann wird den Zusehenden halt auch nicht so richtig klar, wie grausam diese Tat war
und dass das eine Verurteilung war, die ja jetzt auch nicht aus der Luft gegriffen war.
Ja, also auf der einen Seite kann ich ja verstehen, das Medieninteresse daran, wie ist das Leben
im Ami-Knast und wie ist das da so und wie war das jetzt so lange da zu sitzen und so.
Also diese Seite, sag ich jetzt mal, von Sörings Geschichte, finde ich fein, wenn man danach
fragt.
Aber immer dann verbunden mit diesem, weil er das ja immer wieder betont, mit diesem Ich bin
unschuldig und das immer so stehen zu lassen, schwierig.
Der Tagesschau-Podcast 11KM mit dem Titel Jens Söring, mörderischer Medienstar, der beschäftigt
sich mit der Berichterstattung über ihn.
Und was da besonders kritisiert wird, ist der Fakt, dass Jens Söring immer wieder Behauptungen
aufstellt.
Zum Beispiel, dass er sagt, dass die Entscheidung der Regierung in Virginia, ihn freizulassen,
ja eigentlich ein Eingeständnis dafür sei, dass er unschuldig sei.
Obwohl die Behörden da ja gesagt haben, also das nochmal betont haben, dass die Freilassung
kein Freispruch ist.
Und der Medienjournalist Stefan Niggemeier, der sagt, dass wenn man Söring diese Frage
stellt oder ihn das sagen lässt, dann gehe das einher mit der Grundannahme, dass er unschuldig
sein muss.
Das überträgt ja sozusagen dieses Gefühl, naja, die würden das ja nicht machen, wenn
der ein Doppelmörder wäre.
Und auch wenn man das sozusagen selber als Format nicht ausspricht, das kommt dann trotzdem
so bei den ZuschauerInnen an.
Und dann kriegen wir diese Nachrichten.
Sprecht doch mal über diesen Justizskandal.
Genau, und ich glaube, dass es halt auch nicht zu unterschätzen ist, wie dieser Freundeskreis
diese öffentliche Wahrnehmung färben kann.
Stimmt, ja.
Finde ich auch schwierig, als öffentliche Person so eine Position einzunehmen, wie jetzt
zum Beispiel der John Grisham.
Ja, ich liebe den als Autoren, aber kann er wirklich sich so hinstellen und aus voller
Überzeugung sagen, das ist ein Justizskandal und wir müssen hier was tun, weil ihm ist ja
bewusst, dass er eine große Einflussnahme hat.
Wir haben hier ja auch überlegt, ob wir ihn anfragen sollen für den Podcast und wir haben
uns dann halt letztendlich dagegen entschieden, weil so viele Medien ihm eben schon so eine
große Fläche für seine Darstellung der Dinge gegeben haben.
Und das wurde oft kritisiert und die Kritik wurde dann wiederum vom Freundeskreis kritisiert.
Der setzt sich auch bis heute noch für den 57-Jährigen ein, der inzwischen in Hamburg lebt.
Seine wiedererlangte Freiheit ist ihm nicht genug.
Er versucht noch immer, in den USA eine Unschuldserklärung zu erwirken.
Die ist ihm auch deshalb so wichtig, weil er dann einen Anspruch auf Haftentschädigung
hätte.
Laut Jens selbst wären das um die 1,4 Millionen Dollar, mit denen er sich ein neues Leben hätte
aufbauen können.
So seien es nur 53 Dollar gewesen, die er bei seiner Entlassung in der Tasche hatte.
Dabei würde ihm zumindest die Entschädigungszahlung zustehen.
Immerhin habe er 33 Jahre seines Lebens unschuldig hinter Gittern verbracht, sagt er.
Jens bleibt dabei, er ist nicht der Mörder von Nancy und Derek Hasem.
Das betont er auch in der Netflix-Dokumentation der Fall Jens Söhring, Tödliche Leidenschaft,
die im November 2023 erscheint und aus der wir hier jetzt natürlich auch viele Infos haben.
Jens selbst sagt über diese Produktion in einem Interview mit Focus Online, Zitat,
dieses Machwerk ist nicht zufriedenstellend.
Er habe gehofft, dass seine Geschichte wahrheitsgemäß erzählt wird.
Vor allem das Ende bezeichnet er als krude.
Es ist nämlich so, dass in dieser vierteiligen Serie zum Schluss die These im Raum steht,
dass die Ermordung von den Eltern von Elisabeth vielleicht auch ganz anders abgelaufen sein könnte,
als es die Gerichte festgestellt haben.
Nämlich gar nicht, dass Elisabeth die Anstifterin und Jens der Täter war,
sondern dass sie beide möglicherweise gemeinsam bei ihren Eltern waren
und sie gemeinsam getötet haben.
Und dann aber ihre eigene Rolle in der jeweiligen Erzählung einfach verschwiegen haben.
Jens sagt, dass es für diese Theorie null Beweise geben würde.
Und hier nochmal dazu, worüber wir gerade gesprochen haben,
von wegen, ja, dass die Berichterstattung halt super wichtig ist.
Ich hatte vor ein paar Wochen diese Netflix-Doku auch gesehen
und hatte mich zuvor halt nicht wirklich mit dem Fall beschäftigt
und habe dann irgendwie am Ende auch die Konklusio gehabt,
ja, wahrscheinlich waren das beide zusammen.
Und als ich mich jetzt mit dem Fall eingehend beschäftigt habe,
habe ich gemerkt, das war aber auch nur wegen der Art und Weise, wie die das erzählt haben,
weil ich jetzt nach meiner Recherche auch nicht so viele Anhaltspunkte gefunden habe,
die für diese Theorie sprechen, weißt du?
Ja, aber ich finde, ehrlicherweise in der Doku haben sie dem ja kaum Platz gegeben.
Das sind ja am Ende nur zwei Sätze.
Wem?
Dieser Theorie, dass beide zusammen waren.
Ja, aber die halt dann ja nach, wenn man mit sowas endet.
Und die haben es ja schon so erzählt, dass alles quasi möglich ist,
dass er unschuldig ist oder dass sie unschuldig ist.
Aber dadurch, dass die eben damit geendet haben,
dass ja auch einfach beide das zusammen machen können
und dann einfach nur ausgelassen haben, was die eigene Rolle dabei war,
ist das eben dann bei mir am Ende hängen geblieben.
Was in der Märznacht 1985 im Detail geschehen ist,
wird vermutlich nie ans Licht kommen.
Die ganze Wahrheit kennen nur Elisabeth und Jens.
Fest steht, dass sich die beiden Studierenden von damals Hals über Kopf
in eine Beziehung stürzten, die nicht das Beste,
sondern das Schlimmste in ihnen zum Vorschein brachte.
Die eine so gefährliche Dynamik entwickelte,
dass zwei Menschen auf brutalste Art und Weise das Leben genommen wurde.
Jens nennt seine erste Freundin bis heute, Zitat,
den Fehler meines Lebens.
Und zumindest das kann man glauben.
Denn hätten sich ihre Wege damals auf dem Unicampus in Virginia nicht gekreuzt,
hätte sich die Tragödie mit allen ihren Konsequenzen vermutlich nie zugetragen.
Aber wie Shakespeare in Macbeth schrieb,
was geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Wohlers.
Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.