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#14 Erweiterter suizid haustyrann

Mordlust
Herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Mordlust, unserem True Crime Podcast, in dem wir wahre Verbrechen nacherzählen.
Mein Name ist Paulina Krazer.
Und ich bin Laura Wohlers.
Wir erzählen uns hier gegenseitig jeweils einen Fall, von dem der andere nichts weiß.
Und deswegen bekommt ihr auch unsere ungefilterten Reaktionen mit.
Wir kommentieren die Fälle auch, manchmal auch ein bisschen sarkastisch, das ist aber nie despektierlich gemeint.
Heute geht es unter anderem um den Mordparagrafen, aber vorher habe ich noch ein kleines Update.
Und zwar geht es um meinen Fall aus Folge 10.
Da hatten wir ja beide einen Fall von Kindermördern erzählt.
Und meiner war der Mord an dem zweijährigen James Bolger aus England.
Der wurde von zwei zehnjährigen Jungen entführt und umgebracht.
Jedenfalls ist da letztes Jahr ein Kurzfilm über den Fall rausgekommen.
Der jetzt sogar für einen Oscar nominiert ist.
Der Produzent hatte vor dem Film aber nicht mit der Familie des zweijährigen Opfers gesprochen.
Und das haben die Eltern von dem jetzt öffentlich kritisiert, also die Eltern von James.
Und sie wollen auch, dass der Film von der Liste der Nominierungen ganz gestrichen wird.
Und deshalb wurde auch schon eine Petition gestartet.
Und ich habe mir dann die Frage gestellt, sollte der Produzent die Eltern von James vor so einer Produktion kontaktieren oder nicht?
Was meinst du dazu?
Ja, also ich finde, wenn es um kurze Nachrichtenmeldungen geht, so ein Update oder so, dann ergibt das natürlich keinen Sinn.
Aber wenn man einen Kinofilm darüber dreht und wenn es auch nur ein Kurzfilm ist, dann finde ich alleine, aus Respekt vor den Angehörigen, sollte man diesen Schritt zumindest einmal unternehmen.
Ja, ich denke mir auch, zumindest irgendwie, um die in irgendeiner Art zu warnen, also so vorzuwarnen, dass da bald ein Film über den Mord an ihrem Sohn rauskommt.
Vor allem, was denkt er, dass die das nicht mitbekommen?
Also er ist sich ja im Klaren darüber, dass die Eltern irgendwann diese Nachricht erreichen wird.
Also warum tut er es dann nicht selbst?
Ja, und ich meine, er muss sie ja nicht um Erlaubnis fragen oder so, das sehe ich auch nicht so.
Schließlich ist es ja irgendwie sein künstlerisches Recht, darüber einen Film zu machen, wenn das halt so Wellen geschlagen hat.
Aber ja, eben irgendwie moralisch hätte man es schon irgendwie als angebracht gesehen.
Ja, und deswegen haben wir uns jetzt natürlich auch gefragt, sollten wir die Angehörigen der Opfer oder zumindest deren Verteidiger kontaktieren?
Und wir haben uns entschieden, ja, wenn es passt.
Manche wollen halt auch nicht kontaktiert werden und bei manchen ist bei uns die Hemmschwelle vielleicht auch zu hoch.
Bei manchen passt es vielleicht eher, weil sie noch ein bestimmtes Anliegen haben.
Manche wollen auch nichts sagen, haben aber wiederum kein Problem mit der Berichterstattung.
Also wir müssen uns da auch noch ein bisschen reinfuchsen.
Manchmal macht es eine Kontaktaufnahme ja auch nicht unbedingt besser.
Aber zumindest soll das in Zukunft unser Anspruch sein, dass wir es dann mit Fingerspitzengefühl da versuchen, wo es passt.
Genau, dass man sie auf jeden Fall vorwarnt, dass da was kommt, was möglicherweise, was sie dann auch anhören und vielleicht halt eben so die schlimmsten Erinnerungen wieder hochruft, dass man das einfach vorher weiß.
Das finden wir wichtig.
Aber um nochmal ganz kurz auf James Bulger, dem zweijährigen Opfer, zurückzukommen oder zu dem Fall.
Ein Kollege von mir hier aus London hat mir erzählt, dass er mit Denise Fergus, das ist die Mutter von James, schon öfters Interviews geführt hat.
Und sie hat ihm erzählt, dass als sie gemerkt hat, dass James im Schlachterladen nicht mehr hinter ihr stand, dass sie natürlich direkt rausgerannt ist, aber dann quasi in die falsche Richtung.
Und wäre sie halt in die andere Richtung, hätte sie James auf jeden Fall noch gesehen.
Oh nein.
Ja.
Und wie schrecklich ist, bitte das zu wissen, dass irgendwie eine Entscheidung, eine mini kleine Entscheidung in die andere Richtung zu laufen oder zu gehen und sich dafür zu entscheiden und dann irgendwie das Leben von dir und deinem Sohn für immer zu verändern.
Furchtbar.
Total.
Da macht man sich ja ewig Gedanken drüber.
Ja.
Mein Fall, diese Folge handelt von einem Suizid.
Deshalb, allen, denen es nicht gut geht, schaut gerne in unsere Shownotes.
Dort haben wir euch nämlich Links zu Hilfestellen und Notfallnummern aufgelistet.
Ich spreche heute über Stefan M. und seine Geschichte heißt Chronologie eines verfruschten Lebens.
Wir schreiben das Jahr 2011.
Stefan würden viele Menschen beneiden.
Er ist in der Blütezeit seines Lebens, 34 Jahre alt.
Er hat eine hübsche Frau, zwei süße kleine Kinder und eine eigene Firma.
Er wohnt mit seiner Familie in einer Drei-Zimmer-Wohnung in der Nähe von Köln.
Er ist Programmierer, intelligent und belesen.
Er ist 1,83, hat kurzes, dunkelblondes Haar, trägt Brille und drei Tage Bart.
Er ist immer schick gekleidet, hat immer Hemd und Anzug an.
Und immer das neueste Smartphone und den besten Fernseher.
Stefan ist ein erfolgreicher Mann in allen Lebenslagen.
Er ist ehrgeiziger Unternehmer, liebevoller Vater, fürsorglicher Ehemann, hilfsbereiter Schwiegersohn und lieber Freund.
Schon als Schüler war Stefan fleißig.
Er macht ein gutes Abitur, leistet Zivildienst im Altenheim.
Nebenbei arbeitet er, um ein bisschen Geld zu sparen.
Schon früh bringt er sich das Programmieren selbst bei.
Mitte der 90er Jahre beginnt er dann ein Biologiestudium an der Uni Düsseldorf.
Dort lernt er seine erste Freundin und spätere Frau Yvonne kennen.
Sie verlieben sich und ziehen zusammen.
Nach einer Zeit möchte Stefan sich mit dem Programmieren selbstständig machen und bricht deshalb sein Studium ab.
Erstmal fängt er in einer Firma an, um sich so langsam einen Kundenstamm aufzubauen.
Auch Yvonne beendet die Uni ohne Abschluss. Sie wird Mama.
2006 kommt ihr Sohn Kieran auf die Welt.
Mit ihm spricht Stefan nur Englisch. Das Kind soll zweitsprachig aufwachsen.
2009 macht sich Stefan schließlich selbstständig und Yvonne hilft ihm bei der Buchhaltung.
Bis 2011 die kleine Kaylee geboren wird.
Die Familie ist nun komplett und sie gibt es nur als wir im Viererpack.
Eines Nachts im Herbst des selben Jahres wird Kaylee plötzlich wach.
Das Baby fängt an zu schreien.
Auch Stefan und Yvonne merken, dass etwas nicht stimmt. Es riecht nach Rauch.
Stefan schaut im Flur nach. Die Wohnung brennt.
Stefan ruft die Feuerwehr. Die Familie wird mit einer großen Leiter vom Balkon gerettet und 46 Feuerwehrmänner löschen den Brand.
Die Familie ist total geschockt und kommt erstmal bei Yvonnes Eltern unter, bis die Wohnung renoviert ist.
Aber was war passiert?
Stefan hatte am Abend davor noch einen Funktionstest mit dem alten Laptop in der Abstellkammer gemacht.
Der muss in der Nacht durchgebrannt sein.
Sechs Wochen später kann die Familie endlich wieder nach Hause.
Stefans bester Freund schenkt ihm zum Wiedereinzug einen Rauchmelder.
Falls es nochmal brennt. Beide lachen.
Doch ein paar Monate später brennt es wieder. Dabei sterben alle vier Familienmitglieder.
Stefan M. kommt am 30. November 1977 als erstes von vier Kindern von Monika und Hans-Dieter M. in Solingen zur Welt.
Die Mutter leidet an Depressionen, ertränkt sie in Alkohol.
Schon früh lernt der kleine Stefan für sie zu lügen. Für die Mutter muss er Schnaps besorgen, schafft es den Kiosk-Verkäufer zu überzeugen, ihm den harten Alkohol zu verkaufen.
Mit neun Jahren sieht er, wie seine Mutter versucht, sich umzubringen.
Der Vater ist mit den vier Kindern überfordert. Irgendwann fängt Stefans Bruder an, Drogen zu nehmen und kommt ins Gefängnis.
Als Stefan Yvonne kennenlernt, glaubt er, sein Leben wendet sich.
Als er sie heiratet, nimmt er ihren Namen an, sagt, ich will Schluss machen mit meiner Familie, sie steht für nichts Positives.
Stefan arbeitet an einer Vorzeigefamilie, bekommt zwei gesunde und niedliche Kinder.
Aber nicht nur privat will er glänzen.
Als er selbstständig wird, nimmt er fast jeden Auftrag an, er kann nicht Nein sagen.
Jedes Mal bekommt Stefan Vorschüsse, jedes Mal mehrere tausend Euro.
Doch immer häufiger liefert er die Projekte zu spät.
Irgendwann wächst ihm die Arbeit über den Kopf.
Er leiht sich Geld. Von seinem Vater, von Freunden und Kunden.
Doch geliefert wird nichts.
Als die Kunden nachfragen, lässt sich Stefan Ausreden einfallen.
Denn, wir erinnern uns, Lügen hat er gelernt.
Sein Sohn müsse eine Spezialbehandlung bekommen wegen seiner Neurodermitis.
Sein Schwiegervater hätte einen Herzinfarkt gehabt.
Sein kleiner Bruder wäre gestorben.
Im Sommer 2011 kommt dann ein Fax in seinem Büro an, eine Mahnung vom Anwalt.
Stefan bekommt eine Vertragsstrafe, weil er einen Auftrag nicht erfüllt hat.
Den 5000 Euro Vorschuss muss er sofort an den Kunden zurückzahlen.
Und so holen ihn seine Lügen ein.
Er hat Angst, dass seine Familie davon erfährt, dass er sie seit einiger Zeit belügt und er ihre Rechnungen nicht mehr zahlen kann.
Das darf nicht passieren.
Seine geliebte Familie soll nicht erfahren, dass er versagt hat, dass er nicht der ist, der er vorgibt zu sein.
In Stefan reift ein Plan und er trifft einige Vorkehrungen.
So sammelt er wochenlang alte Zeitungen, ganze Müllsäcke voll und versteckt sie in der Abstellkammer der Wohnung.
Von seinem Rechner löscht er alle Dateien.
Dann kommt die Nacht im Oktober, an der er seinen Plan in die Tat umsetzen will.
Die Familie schläft bereits, als sich Stefan wieder aus dem Bett schleicht.
Er geht in die Abstellkammer, in der er wochenlang das Papier gesammelt hat und legt Feuer.
Dann geht er wieder Richtung Schlafzimmer, hört, wie es hinter sich rauscht und knistert.
Er legt sich wieder zu Yvonne ins Bett.
Und wartet.
Dann plötzlich wird Kaylee wach und den Rest der Geschichte kennt ihr schon.
Sein Plan ist misslungen und keiner hat es gemerkt.
Drei Monate vergehen, in denen Stefan eigentlich schon nicht mehr auf dieser Erde weilen wollte.
In dieser Zeit geht er nicht mehr wirklich zur Arbeit.
Dafür verschwinden immer wieder Wertgegenstände aus der Wohnung und dem Büro, die angeblich geklaut wurden.
Gegenstände, die man zu Geld machen kann, das Stefan gut gebrauchen kann.
Und in seiner Umgebung scheint keiner etwas zu merken.
Keiner merkt, wie schlecht es Stefan wirklich geht, was für Kämpfe er mit sich ausmachen muss und was er denkt.
Doch er schreibt alles auf und daher gibt es auch die vielen Informationen aus seinem Abschiedsbrief.
Den fängt er am 18. Januar 2011 an zu schreiben.
Nach der Hälfte hört er auf, geht zu Rewe, kauft mehrere Rollen, Frischhaltefolie, Streichhölzer und Brennpaste.
In der Apotheke besorgt er Betäubungsmittel.
Das bekommt er nur, weil er der Apothekerin, die er schon seit Jahren kennt, eine Lüge auftischt.
Außerdem holt er zwei große Sauerstoffflaschen.
Am 21. Januar schreibt er den Brief dann zu Ende.
Vier Tage später will er seinen Plan wahrmachen, ein zweites Mal.
An dem Abend des 25. Januar bringt Yvonne die Kinder ins Bett und danach legt sich auch das Ehepaar hin.
Als alle tief und fest schlafen, steht Stefan auf.
Er geht ins Bad, öffnet die Flasche mit Betäubungsmittel und tränkt ein Tuch damit.
Mit dem Tuch geht er zurück ins Schlafzimmer und presst ihn so fest auf Yvonnes Mund und Nase, dass sie einen Bluterguss auf den Lippen bekommt.
Yvonne hört auf zu atmen.
Dasselbe macht er bei seiner neun Monate alten Tochter.
Oh Gott.
Und dann trägt Stefan erst Yvonne und dann Kaylee in die Abstellkammer.
Dort wickelt er die beiden in Frischhaltefolie ein.
Wieso wickelt er sie in Frischhaltefolie ein?
Das weiß man nicht.
Als Stefan gerade dabei ist, die beiden in Folie einzuwickeln, hört er seinen Sohn.
Kieran ist wach.
Stefan M. bringt es nicht übers Herz, seinen Sohn bei vollem Bewusstsein zu töten.
Stattdessen sagt er zu ihm, sei leise, Kaylee und Mami schlafen.
Am nächsten Morgen macht Stefan seinem Sohn Frühstück und bringt ihn zum Kindergarten.
Als er wieder zu Hause ist, setzt er sich an den PC.
Das ICQ von Yvonne ist offen.
Ihre Freundin Jenny hat geschrieben.
Stefan gibt sich als Yvonne aus und verabredet sich für das Wochenende mit Jenny zum Frühstücken.
Außerdem rufen Yvonnes Schwester und Mutter an.
Stefan lügt auch hier.
Yvonne ist krank und kann nicht telefonieren.
Außerdem spricht er mit einem Kunden und sichert zu, einen Auftrag bis Montag fertigzustellen.
Mit seinem besten Freund verabredet er sich zum Playstation-Spielen.
Er packt Umzugskisten, schreibt die Namen seiner Bekannten drauf und lädt sie ins Auto.
Sein Erbe.
Das sind ein paar Brettspiele, Perlenketten, ein Staubsauger und eine Musikanlage.
Und die Tochter und die Mutter sind immer noch in der Abstellkammer in Frischhaltefolie eingewickelt?
Mhm.
Wie viele Tage?
Das ist nur der nächste Tag quasi.
Als er Kieran nachmittags vom Kindergarten abholt, fährt er erst mit ihm zu McDonalds
und kauft ihm danach eine Spielzeugeisenbahn für mehr als 300 Euro.
Aber der arme Sohn, der hat es doch gesehen.
Der hat es nicht gesehen.
Nicht?
Nee, der hat ihn nur gehört.
Aber er fragt sich doch, wo die sind.
Ja, das fragt er sich bestimmt.
Dann fahren Vater und Sohn ins Büro und spielen den restlichen Tag mit der Spielzeugeisenbahn.
Der letzte Tag seines Sohnes soll ein schöner werden, denkt Stefan.
Bevor die beiden zurück nach Hause fahren, stellt er sich vor den Kalender in seinem Büro.
Er schaut sich den heutigen Tag an.
Dann markiert er den 26. Januar mit dem roten Kästchen und malt darunter ein schwarzes Kreuz.
Abends bringt er seinen Sohn dann zu Bett.
Als Kieran schläft, kommt sein Vater zurück ins Zimmer und drückt auch ihm ein Tuch getränkt mit Betäubungsmittel auf Nase und Mund.
Kieran hört auf zu atmen.
Dann wird er zu seiner Mutter und zu seiner kleinen Schwester in die Abstellkammer getragen.
Die Leichen dekoriert Stefan mit Kleidungsstücken, Büchern und DVDs.
Wie er dekoriert sie.
Der legt es auf die drauf.
Warum?
Weiß nicht.
Vielleicht denkt er Grabbeigaben oder so.
Wie so eine mobile Version von Tine Wittler?
Ja, so könnte man das auch nennen.
Naja, also auf jeden Fall stellt Stefan da eine Matratze vor die Haustür und zieht ein Sofa in den Flur und drapiert alles brennbare Material um diese Couch herum und macht alle Fenster zu.
Damit das Feuer aber trotz fehlendem Sauerstoff brennt, öffnet er zwei große Sauerstoffflaschen.
Dann legt er Feuer in der Abstellkammer und setzt sich auf das Sofa.
Am Morgen des 27. Januar findet die Feuerwehr die Familie tot in ihrer Wohnung und auf der Homepage von Stefan M. einen Abschiedsbrief mit dem Titel Chronologie eines verpfuschten Lebens.
Oh nein.
Also ich finde die Umstände, wie er das alles gemacht hat, also da sind bei mir so viele Fragezeichen irgendwie.
Auch, dass er mit dem Sohn dann noch irgendwie einen Tag verbracht hat und so, weißt du, ich stelle mir das so schwer vor, auch als Vater, das dann noch so durchzuziehen.
Aber ich habe mich schon ganz oft gefragt, was in diesen Köpfen bei so einem erweiterten Suizidheit vorgeht.
Also die glauben ja, dass die Familie ohne die nicht überleben kann, sozusagen.
Vielleicht kann ich dir das so ein bisschen erklären mit meinem Aha und deine Fragen beantworten.
Ja.
Stefan M. hat geschafft, was er wollte.
Seine Familie im Glauben lassen, dass er ein toller Mann und toller Vater war.
Seiner Meinung nach hat er seine Familie vor einer großen Katastrophe bewahrt, nämlich zu realisieren, dass er gelogen und sie in Schulden gestürzt hatte.
Insgesamt etwa 60.000 Euro.
Eine Menge Geld, aber natürlich nichts verglichen mit viel Menschenleben.
Wie also kommt jemand darauf, dass es besser wäre zu sterben, als mit 60.000 Euro Schulden zu leben und der Familie eben das zu gestehen?
Die Antwort ist eigentlich nicht so schwer.
Eine Krankheit kann solche Gedanken auslösen, und zwar eine Depression.
Wenn depressiven Menschen nicht geholfen wird, dann können eben Gefühle wie Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit so übermächtig werden,
dass die Betroffenen eben glauben, dass nur der Tod Abhilfe schaffen könnte.
Das äußert sich auch in Stefan M.'s Abschiedsbrief.
Dort schreibt er,
Aber wieso bringt Stefan M. auch seine geliebte Frau und seine Kinder um?
Wieso glaubt er, würden auch sie lieber sterben, als Schulden zu haben und einen Vater bzw. einen Ehemann, der gelogen hat?
Auch für diese Fragen haben Psychologen einen Erklärungsansatz.
So diagnostiziert die Psychiaterin Heidi Kastner bei Stefan M. eine narzisstische Persönlichkeitsstörung.
Bei solch einer psychischen Störung sind die Betroffenen extrem ichbezogen und wenig empathisch.
Sie haben außerdem ein extrem geringes Selbstwertgefühl,
was sie aber durch ein Selbstbild von eigener Großartigkeit, Überlegenheit und Verachtung
gegenüber anderer Menschen zu kompensieren versuchen.
Und das wird auch im Abschiedsbrief von Stefan M. wieder deutlich.
Dort erwähnt er nämlich ganze 92 Mal das Wort ich.
Stefan M. konnte sich nicht vorstellen, dass seine Familie auch ohne ihn glücklich sein konnte,
wie du gesagt hast.
Und das schreibt er auch in seinem Brief so.
Er glaubt das, weil er seine Familie als Teil von sich selber sieht, sozusagen als erweitertes Selbst.
Und ein weiteres Indiz für eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist der übergroße Scham.
Für Betroffene ist das Scheitern, egal in welcher Lebenslage, nicht zu ertragen.
Und der Diplom-Psychologe Klaus Grabska glaubt, dass Stefan M.s narzisstische Persönlichkeitsstörung
auf die fehlende Liebe seiner Mutter zurückzuführen ist.
Die war ja selbst depressiv gewesen und konnte deshalb ihrem Sohn kein richtiges Selbstwertgefühl
vermitteln.
Und durch diese fehlende Mutterliebe dachte Stefan M. wohl, dass er sich nur auf sich verlassen
kann und ganz aus sich selbst heraus irgendwie eine neue Welt erschaffen könnte, die er eben
in seiner Kindheit vermisst hat.
Und als er merkt, dass diese Traumwelt mit Vorzeigefamilie und eigener Firma und so weiter
in seinen Augen gescheitert ist, wendet er den Hass, den er auf seine Mutter hatte,
gegen sich selber.
Und das Zusammenspiel von narzisstischer Persönlichkeit und Depressionen kann dann eben vereinzelt zu
einem sogenannten erweiterten Suizid führen, wie es halt in dem Fall passiert ist.
Insgesamt begehen jährlich rund 10.000 Menschen Suizid.
Wie viele davon aber erweiterte Suizide sind, wird nicht erhoben.
Man geht aber davon aus, dass 1-4% der weltweiten Selbsttötungsfälle erweiterte Suizide sind.
Internationale Studien zeigen, dass Täter diesen Typs in der Regel einen höheren Sozialstatus
aufweisen und weniger häufig irgendwie davor kriminell aufgefallen sind.
Und so war das ja auch bei Stefan M.
In der WDR-Doku hautnah kommen mehrere Freunde und Bekannte von Stefan M. zu Wort
und alle sagen, er war ein ganz normaler Typ, freundlich, zuverlässig.
Zwar wollte er immer der Beste sein und war sehr perfektionistisch veranlagt,
aber wie viele Menschen sind so heutzutage?
Und fällt uns überhaupt jemand auf, der immer perfekt sein will?
Weil man ja jetzt irgendwie auch in unserer Zeit das Gefühl hat,
dass auf Instagram ja jeder das perfekte Leben hat
und wir irgendwie selber so einen Optimierungswahn an den Tag legen,
den wir irgendwie selber gut finden.
Und da habe ich mir dann auch gedacht, dass es eben durchaus schwer ist,
das dann bei jemandem zu erkennen, ja, wenn alle immer perfekt sein wollen.
Zumindest ist es bei einem erweiterten Suizid oft so, dass die Hinterbliebenen komplett geschockt sind,
weil sie eben nicht gemerkt haben, dass sich da etwas anbahnt.
Genau, das ist aber das Gleiche ja auch bei Depressionen.
Wenn man das dann irgendwann von einer Person mitbekommt,
dann denkt man sich ganz oft, was der oder was die?
Ja, in seinem Abschiedsbrief schreibt Stefan M. übrigens selbst,
dass man es nicht hätte merken können.
Zitat,
Und so nimmt er den Hinterbliebenen ein bisschen die selbstauferlegte Schuld ab,
aber nichtsdestotrotz fühlen sich die meisten da,
also fühlen sich die meisten, die da geredet haben in der Doku irgendwie mitschuldig.
Aber wie kann man so etwas dann verhindern?
Habe ich mich gefragt.
Und ja, und dann habe ich halt eben gelesen,
dass man auf jeden Fall sehr wachsam sein sollte, was seine Mitmenschen angeht.
Du hast gerade schon gesagt, dass man trotzdem oft es nicht merkt.
Aber viele Menschen mit Depressionen fühlen sich eben sehr ohnmächtig und hilflos
und ziehen sich deshalb oft zurück.
Außerdem wirken sie oft unruhig und nervös.
Und ja, manche äußern auch suizidale Gedanken, haben Schlafstörungen oder Schuldgefühle.
Und manchmal kann auch berufliche oder finanzielle Schwierigkeiten die Auslöser sein.
Und wenn wir solche Veränderungen bei einem Mitmenschen beobachten,
dann ist es wichtig, dass wir handeln.
Und zwar mit Reden.
Und zwar in einer ruhigen und sachlichen Art und Weise.
Darauf ansprechen.
Denn in der Regel ist es für die Person nämlich eine Entlastung mit einer anderen Person,
über diese Gedanken zu sprechen.
Und ganz wichtig ist natürlich, dass man professionelle Hilfe dann hinzuzieht.
Also zum Arzt geht, Psychotherapeuten oder in eine Klinik mit diesem Menschen.
Und demgegenüber zeigen, dass man für ihn da ist.
Dass er nicht alleine ist.
Und dass man ihm Mut macht, dass man aus dieser Situation rauskommt, gemeinsam.
Und der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Professor Volker Faust,
hat es meiner Meinung nach ganz gut beschrieben.
Und der hat nämlich mal gesagt, Selbstmord, das ist die Abwesenheit der anderen.
Und Paulina hatte ja in Folge 6 schon einmal den Werte-Effekt angesprochen.
Und wegen dem war es mir auch besonders wichtig zu zeigen,
dass der Suizid in meinem Fall, wie auch die meisten anderen Suizide,
infolge einer psychischen Erkrankung passieren.
Und dass Menschen mit solchen Erkrankungen Hilfe brauchen.
Und dass diese in Deutschland auch für jeden angeboten werden.
Das Problem bei Depressiven ist halt, oft kannst du denen noch so viel Hilfe anbieten.
Sie fühlen sich trotzdem alleine, weil keiner in sie reingucken kann.
Und weil es in dem Moment ganz wenig Menschen nachvollziehen können.
Und weil ganz wenig Menschen dazu in der Lage sind, den anderen so zu erreichen,
dass er das Gefühl hat, da ist wirklich jemand da.
Genau, aber das Wichtigste ist, dass man es versucht.
Und dass man professionelle Hilfe ranzieht.
Weil die, genau, das sind dann die Experten.
Die meisten Infos zu meinem Fall habe ich übrigens aus einem Zeitartikel von Amrei Cohen
und aus einer WDR-Dokumentation der Reihe Menschen hautnah.
Und falls ihr Lust habt, euch unsere Quellen mal näher anzuschauen
und noch mehr über die Fälle zu erfahren, könnt ihr das.
Denn wir packen euch jetzt immer die wichtigsten Links mit in die Shownotes.
Ich weiß, dass du während deiner Recherchen für unsere anschließende Diskussion
auch auf meinen Fall oder auf einen Fall, der meinem ähnlich ist, gestoßen bist.
Und sonst tun Laura und ich immer alles dafür, unsere Fälle voreinander geheim zu halten.
Diesmal weiß ich aber, dass du ihn irgendwie in irgendeiner Form kennst und davon gehört hast.
Und ich finde es gut, dass ich den jetzt personifizieren kann
und den leitenden Personen Namen geben kann,
auch wenn es hier jetzt nicht ihre richtigen sind.
Meine Geschichte ist eine von viel zu vielen.
Eine private Geburtstagsfeier 1983.
Das ist, wo alles anfängt.
Miriam ist erst 17 Jahre alt.
Sie hat die Realschule bei sich im Dorf abgeschlossen
und macht gerade eine technische Ausbildung.
Sie kommt aus einem wohlbehüteten Elternhaus
und ist die älteste von vier Geschwistern.
Auf dieser Feier trifft sie David.
David ist sieben Jahre älter als sie.
Er hat schon eine abgeschlossene Ausbildung zum Kfz-Mechaniker gemacht,
ist aber immer mal wieder arbeitslos.
David strahlt Stärke aus und das zieht Miriam an.
So einer wie er kann jemanden beschützen, wenn es mal darauf ankommt.
Er ist anders als das, was sie bisher kennt.
Seine Freizeit verbringt er in Motorradclubs und auf seiner Maschine.
Nach diesem Abend verlieben sich die beiden ineinander
und sie werden ein Paar.
David behandelt Miriam zuvorkommend und höflich.
Er schenkt ihr Schmuck und Blumen
und ist nicht nur zu besonderen Anlässen,
sondern über das ganze Jahr verteilt.
Einfach nur so.
Die beiden ziehen schon früh zusammen
und Miriam wird schwanger.
Sie wollen heiraten, damit das Kind
in geordneten Verhältnissen aufwächst.
Miriams Eltern sind aber gegen die Beziehung.
Denn David, und das war offenbar schon damals abzusehen,
ist nicht unbedingt der Schwiegersohn,
den man sich für seine Tochter wünscht.
Kurz vor der Hochzeit 1986 sitzt David wegen Körperverletzung
einen Monat in Untersuchungshaft.
Eine von Miriams Freundinnen hatte damals erzählt,
dass sie von ihrem Freund geschlagen wird.
Miriam hatte geantwortet,
Das könnte mir nie passieren.
Das ist jetzt schon viele Jahre her.
Es ist 2001 und Miriam und David sind jetzt seit 15 Jahren verheiratet.
Ihr Leben sieht jetzt mit 35 Jahren komplett anders aus.
Als David Miriam das erste Mal ohrfeigte, war es aus Eifersucht.
Er war extrem eifersüchtig.
Er hatte sich aber gleich danach entschuldigt
und Miriam fühlte sich sogar ein bisschen geschmeichelt.
Er hat es ja gemacht, weil er sie liebt.
So erklärte sie sich das zumindest damals.
Sie beide hatten es heruntergespielt.
Bei dieser ohrfeige blieb es aber nicht.
Miriam muss sich im Haushalt um alles kümmern.
Seine Kleidung bereitlegen, ihn anziehen.
Sie muss ihn sogar waschen.
Und wenn etwas mal nicht so läuft, wie er es haben will,
dreht er durch und schlägt ihr ins Gesicht.
Tut mir leid, aber du hast mich ja provoziert.
Du bist ja eigentlich schuld daran, dass ich dich schlagen muss.
So sagt sie, hat er seine Ausfälle gerechtfertigt.
Irgendwann wurden seine Wutausbrüche aber so willkürlich,
dass Miriam gar nicht mehr wusste, was sie richtig und was falsch gemacht hat.
Am Anfang, als die Schläger härter wurden,
hatte Miriam noch versucht, sie abzublocken.
Sie hatte die Hände über das Gesicht gehalten.
Das hat ihn dann aber nur noch wütender gemacht.
Meinst du etwa, du musst dich jetzt nicht von mir schlagen lassen?
Hatte er sie gefragt.
Und danach gab es noch mehr Prügel.
Auch als sie mit ihrer zweiten Tochter schwanger war,
hatte er keine Rücksicht auf seine Frau genommen
und ihr in den Bauch getreten.
Das war der Moment, in dem sie all ihren Mut zusammengenommen hat
und mit der zweijährigen Tochter in ein Frauenhaus gezogen ist.
Ihre Eltern wollten sie nicht aufnehmen.
Auch die hatten nämlich Angst vor David.
Aber schon nach ein paar Wochen verließ sie der Mut wieder.
Die Zweifel waren zu groß.
Ist es richtig, den Kindern den Vater zu nehmen?
Als David dann auch noch den Kontakt gesucht,
sich entschuldigt und Besserungen gelobt hatte,
knickte Miriam ein.
Eine gescheiterte Ehe wollte sie sich nicht eingestehen.
Vielleicht ändert er sich ja diesmal, hatte sie gedacht.
Aber schon bald war wieder alles beim Alten.
David hat mittlerweile Karriere gemacht.
Er ist Präsident von einer Rocker-Gang.
Geile Karriere.
Ich dachte jetzt, du sagst, er ist Präsident von USA.
Das ganze Dorf kennt ihn und weiß, dass er seine Familie tyrannisiert.
Zu einer Nachbarin hatte er einmal gesagt,
wenn meine Frau mich verlässt, bringe ich die Kinder um.
Was?
Auch die Kinder sind jetzt Opfer seiner Wut.
Miriam schlägt er jetzt sogar, wenn er etwas Schlechtes geträumt hat.
Einmal schlug er ihr mitten in der Nacht einfach ins Gesicht,
weil sie ihm angeblich Gründe für eifersüchtige Träume geliefert hat.
Wegen einer Nierenquetschung und Gehirnerschütterung
war sie schon mal im Krankenhaus und musste da stationär behandelt werden.
Die Schwestern blug sie an.
Sie sagte, sie wäre die Treppe heruntergefallen.
Ich nagle dich noch lebendig ans Kreuz, hatte er ihr gedroht.
Und einmal hatte er ihren Kopf so heftig gegen die Zimmerwand geschlagen,
dass er selbst dachte, er habe sie umgebracht.
Zweimal schon hat sich Miriam versucht, mit Tabletten das Leben zu nehmen.
Weihnachten 2000 nahm er sie einmal mit in den Rockerclub,
in dem er Präsident war.
Da hatte er sie vor all seinen Freunden beleidigt
und gezwungen, sich niederzuknien.
Sie musste alle möglichen Beleidigungen nachsprechen, die er sagte.
Oh Gott.
Alle haben dabei zugesehen.
Vor einiger Zeit hatte David dann die Idee,
sich als Gastwirt selbstständig zu machen.
Die Pacht läuft auf Miriam.
Heißt, sie muss jetzt zwei Kinder versorgen,
den Haushalt machen und auch noch in der Kneipe helfen.
Sie ist völlig fertig und seit der Eröffnung rastet David noch häufiger aus.
Ich glaube, wir können uns jetzt alle schon ziemlich vorstellen,
wie schlimm diese Ehe bis zu diesem Zeitpunkt war.
Aber diese Zeit hier beschreibt Miriam als besonders schlimm.
Was sich ja auch damit zusammenhängt, dass sie erst vor kurzem eine Fehlgeburt hatte.
Offenbar durch massive Erschöpfung.
Und natürlich durch die Gewalt.
Aber sie haben anscheinend immer noch regelmäßig Sex.
Die Frage ist, ob das so einvernehmlich ist.
Ach so.
Ja.
Eine Tür, die wegen des Windes klapperte, brachte ihn dann völlig zum Ausrasten.
Er war so wütend, dass er ihr unvermittelt so stark in den Magen schlug,
dass Miriam sich vor Schmerzen krümmen musste.
Dabei stieß sie gegen eine Tür.
Das brachte ihn noch mehr in Rage,
denn die Tür hätte durch Miriam ja beschädigt werden können.
Als Miriam zusammengekümmert auf dem Fußboden lag, hatte er nicht aufgehört.
Ihr ganzer Körper ist oft übersät mit Hämatomen.
Es fällt ihr zunehmend schwerer, das alles auszuhalten.
Schlafen kann sie auch nicht mehr.
Die Wunden und die blauen Flecke hatte sie sich immer übergeschminkt,
lange Pullover getragen und die Haare ins Gesicht gekämmt und ein Lächeln aufgesetzt.
Auch wenn es nicht wirklich was zu lächeln gab.
Am frühen Morgen des 21. September 2001, sagt Miriam in einer Doku des NDR,
kommt David um halb vier von der gemeinsamen Kneipe nach Hause.
In der Tasche hat er einen Revolver, den er sonst in der Kneipe aufbewahrt.
Falls es mal Streit mit einer verfeindeten Rocker-Gang gibt, ist er vorbereitet.
Was jetzt passiert, schildert Miriam später so.
Miriam soll sich an den Tisch setzen.
Er hat den Revolver dabei.
will russisch Roulette spielen.
Sie hat Todesangst.
Irgendwann hat David genug und geht ins Bett.
Miriam lässt er dort sitzen.
Gegen Mittag wacht David dann auf und ruft nach Miriam.
Die Kinder sind da schon in der Schule.
Sie folgt seinen Rufen, sagt sie und geht ins Schlafzimmer.
Er sitzt aufrecht im Bett und sagt zu ihr, jetzt können wir da weitermachen, wo wir gestern aufgehört haben.
Miriam sieht die Waffe auf dem Nachttisch liegen, greift nach ihr und feuert im Sekundentakt auf David, bis sie irgendwann am Durchklicken merkt, dass das Magazin leer ist.
Oh Gott, jetzt bringt er dich um, denkt Miriam und rennt in den Flur.
Da versteckt sie sich hinter einem Nachttisch.
Sie weiß selbst, dass es kein gutes Versteck ist.
Dort sitzt sie in der Hocke und wartet, bis David kommt.
Ganz kurz.
Für den Zuhörer hört sich das an, als hätte die auf den geschossen.
Ja, hat sie auch.
Aber wenn die die ganze Zeit auf den schießt, ist der doch tot, oder nicht?
Sie erzählt es so.
Sie hat auf ihn geschossen und ist dann in den Flur gerannt und wartet, bis der kommt.
Okay.
Und wartet und wartet.
Und wartet gefühlt eine halbe Ewigkeit.
Aber David kommt nicht.
Sie steht auf und wagt einen Blick ins Schlafzimmer.
Und da liegt David.
Tod.
Sie hatte achtmal auf ihn geschossen und zweimal hat sie getroffen.
Einmal in den Oberarm und einmal direkt ins Herz.
Gezielt hat sie nichts, sagt sie.
Dafür, dass sie aber nicht gezielt hat, hat sie aber dann schon einmal richtig gut getroffen.
Sie sagt aber, sie hatte nur abgedrückt, bis die Waffe leer war.
Sie geht raus und schließt die Tür hinter sich.
Unter der Dusche überlegt sich Miriam, was sie nun machen soll.
Sie schreibt ihren Töchtern eine SMS.
Kommt nach der Schule gleich nach Hause.
Dann ruft sie bei einem ehemaligen befreundeten Nachbarn an.
Der gibt ihr die Handynummer von einem Anwalt.
Der fährt direkt zum Haus von Miriam und David.
Als er da eintrifft, kocht Miriam gerade etwas für ihre Kinder.
Und die sitzen in der Küche.
In der Doku, das soll recht sein vom NDR, sagt Miriams Anwalt,
er hätte seine Mandantin körperlich und psychisch am Ende vorgefunden.
Vier Stunden später führen die Polizisten Miriam ab.
Im Juni 2002 beginnt der Prozess gegen sie.
Die Anklage lautet Mord.
Miriam bekommt in der U-Haft damals zu hören, dass sie nun wirklich jeden Richter hätte haben können.
Aber gerade nicht den, der bei ihrem Prozess den Vorsitz hat.
Der soll nämlich dafür bekannt sein, oft lebenslänglich zu verhängen.
In den Verhandlungstagen werden sehr viele Zeugen gehört.
Wer Miriam etwas sagt, dann spricht sie leise und schaut dabei auf den Boden.
Sie wirkt eingeschüchtert und traurig.
Die Zeugen, die vorsprechen müssen, beschreiben Miriam als Lamm fromm,
David dagegen als Tyrann, der sie ständig beschimpfte und herumkommandierte.
Eine Nachbarin sagt aus, dass er sie wie eine Sklavin behandelt und sie wegen jeder Kleinigkeit beschimpft hat.
Nach den Vernehmungen sind sich die Beobachter einig, dass alle Miriam ihre Geschichte von der Ehe glauben.
Keiner zweifelt daran, dass sie sich jahrelang hat erniedrigen lassen müssen.
Nur wie ihr Mann zu Tode gekommen ist, daran zweifelt man.
Man glaubt ihr nicht, dass es so passiert ist, wie ich eben erzählt habe.
Das ballistische Gutachten ergibt nämlich, dass David gelegen haben muss.
Das haben die Ermittler anhand der Schusswinkel erkennen können.
Und das ist ein Problem.
Denn wenn David wach gewesen wäre und sie geschlagen hätte oder auch nur aufgestanden wäre,
dann stünde die Chance höher, dass das Gericht eine Notwehr anerkennt.
Und dann wäre Miriams geringstmögliche Mittel die Waffe gewesen.
Und Miriam hätte eventuell straffrei davon kommen können.
Denn wer sich in Notwehr verteidigt, handelt nicht rechtswidrig.
Sollte David wirklich geschlafen haben, dann hätte Miriam heimtückisch gehandelt,
weil ihr Mann arg und wehrlos gewesen wäre.
Und das würde wiederum eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen.
Die Ermittler aber gehen davon aus, dass Miriam selbst in die Kneipe gefahren ist,
um sich den Revolver zu holen, weil sie damit ihren Mann umbringen wollte.
Sie glauben ihr die Geschichte mit dem Russisch-Roulette nicht.
Warum nicht?
Weil es da zu viele Ungereimtheiten gab in dem, was sie erzählt hat.
Also zum einen haben zum Beispiel diese vielen Stunden zwischen der Tat und dem Anruf bei der Polizei
dazu geführt, dass die ihr nicht geglaubt haben.
Weil das passt quasi nicht zu einem klassischen Affekt-Täter.
Und außerdem ist das, was sie erzählt hatte, einfach nicht so richtig schlüssig.
Angeblich auch, weil Miriam je nach Ermittlungsstand ihre Geschichte immer so ein bisschen angepasst hat.
Okay.
Miriam bleibt aber dabei.
Sie wollte David nicht umbringen.
Sie wollte sich nur verteidigen, weil sie befürchtete, umgebracht zu werden.
Sie hatte halt einfach keinen anderen Ausweg mehr gesehen.
Am 11. Juli 2002 verkündet das Landgericht sein Urteil und spricht Miriam des heimtückisch begangenen Mordes
an ihrem Ehemann David schuldig.
Aber es erkennt die außergewöhnlichen Umstände an und verhängt statt lebenslang eine Freiheitsstrafe von neun Jahren.
Das nennt man übrigens Rechtsfolgenlösung.
Die kommt zum Einsatz, wenn trotz der Schwere der Tat ein gemilderter Strafrahmen verhängt wird,
weil ungewöhnliche Umstände vorliegen, die die Täterschuld mildern.
Die Journalistin Andrea Spatzel, die den Prozess damals beobachtet hat, sagt,
irgendwie hat sich das trotzdem nach viel angefühlt.
Und auch Miriam und ihr Anwalt empfinden das Urteil als ungerecht und legen deswegen Revisionen ein.
Und tatsächlich.
Im März 2003 heben die Karlsruher Richter das Urteil auf.
Eine Notwehr sieht aber auch der Bundesgerichtshof nicht.
Sie bestätigen den Mord aus Heimtücke.
Das Landgericht soll aber diesmal prüfen, ob in dem Fall ein entschuldigender Notstand vorliege.
Diese Prüfung wurde laut Bundesgerichtshof nämlich versäumt.
Irgendwie auch, haben sie es vergessen?
Das wäre eine andere Art gewesen, um von der lebenslangen Freiheitsstrafe abzusehen.
Bei Notwehr muss eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben für sich oder andere bestehen.
Und das ist beim entschuldigenden Notstand nicht so.
Hier genügt eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für Leib und Leben,
meines oder einer mir nahestehenden Person.
Also wird sich in diesem Fall gefragt, war die Gefahr, die von David aus ging, nicht anders als durch Mord abwendbar.
Der psychiatrische Gutachter des Falls sagt, sie hätte die Möglichkeit gehabt.
Sie hätte in ein Frauenhaus gehen können.
Aber für Miriam kam das ein zweites Mal nicht in Frage, weil David ja eben auch der Nachbarin schon gesagt hatte,
dass er dann die Kinder umbringen würde.
Ja.
Auch zu ihr hatte er gesagt, so weit kannst du gar nicht weggehen.
Ich finde dich überall und dann bringe ich dich und die Kinder um.
Im Juli 2003 beginnt der neue Prozess.
Damit der entschuldigende Notstand angewandt werden kann, müsste Miriam aber zugestehen,
dass sie keinen anderen Ausweg aus ihrer Situation gesehen hat, als in Ehemann umzubringen.
Und das tut sie nicht.
Sie schüttert die Situation weiterhin so, als wäre es Notwehr gewesen.
Also wird sie erneut wegen Morde schuldig gesprochen.
Aber diesmal bekommt sie ein noch geringeres Strafmaß, viereinhalb Jahre statt neun.
Die außergewöhnlichen Umstände werden diesmal noch mehr berücksichtigt.
Und sie hat Glück.
Ein paar Wochen später wird sie bereits aus der Haft entlassen.
Insgesamt saß sie für den Mord an David 22 Monate in Haft.
Heute ist Miriam wieder verheiratet mit einem liebevollen Mann,
mit dem sie noch einen kleinen Sohn bekommen hat.
Ihre Töchter sind mittlerweile erwachsen.
Also wieso ist sie dann jetzt dann doch so schnell rausgekommen,
wenn sie viereinhalb Jahre bekommen hat?
Amnestie und günstige Umstände.
Okay.
Wie findest du viereinhalb Jahre in diesem Fall?
Gute Frage.
Also wenn es so war, wie sie das gesagt hat, ja, dass er russisch Roulette spielen wollte und sie dachte, dass sie jetzt möglicherweise gleich sterben wird,
ist es ja so eine Art Notwehr im weiteren Sinne für mich, im gefühlten, im gefühlten Recht, so wie wir das immer so sagen.
Und dann finde ich auch viereinhalb Jahre zu lang, 22 Monate, da denke ich mir, ja, und wenn ich jetzt höre, sie hat einen neuen Mann und ein Kind und so kann man da irgendwie, finde ich, dahinter stehen, sage ich jetzt mal so.
Aber neun Jahre hätte ich es ja auch sehr zu hart empfunden, ja.
Ja.
Wie ist es bei dir?
Ja, also dadurch, dass ich diesen Fall jetzt eben so erzählt habe, wie ich ihn erzählt habe und wie er sich ja auch größtenteils wahrscheinlich abgespielt hat, war bei mir der erste Reflex, weil das Urteil war ja viereinhalb Jahre, also jetzt auf viereinhalb Jahre bezogen, war mein Empfinden, boah, es ist aber schon ganz schön lang.
Und dann habe ich mir aber gedacht, okay, aber sie hat tatsächlich einen Menschen umgebracht.
Und dadurch, dass sich das Gericht ja im Grunde genommen nur verringt hat, um ein milderes Urteil zu bekommen, dachte ich, naja, gut, wenn sie aber wegen Mordes verurteilt wurde, dann ist es natürlich eigentlich viel zu gering.
Aber ich verstehe das natürlich, ja, also ich verstehe diese allgegenwärtige Gefahr.
Und natürlich, natürlich hätte sie nicht nochmal in ein Frauenhaus gehen können.
Der war halt Präsident dieser Rocker-Gang, der hätte auch aus dem Gefängnis heraus, so schildern das zumindest die Beobachter, die noch irgendwie kriegen können mit seinen Kontakten.
Ja.
Aber ich finde es immer bei solchen Fällen ganz schwierig, sich in die Frau reinzuversetzen, auch wenn es irgendwie blöd ist zu sagen, aber.
Warum?
Ja, weil sie hat doch auch am Anfang gesagt, als sie gehört hat, eine Freundin von ihr wurde von ihrem Mann geschlagen, hatte sie ja gesagt, das kann mir nicht passieren.
Und so würde ich das natürlich auch direkt sagen, du wahrscheinlich auch, aber eben, man weiß nicht, wie man in was für Situationen reagiert, aber man denkt sich halt so, wieso ist sie da nicht schon viel früher weg, wieso hat sie das mit sich machen lassen?
Und diese ganzen Sachen, wie man halt immer sagt, wenn man entweder hört, eine Frau wird die ganze Zeit betrogen oder eben halt noch schlimmer, eine Frau wird die ganze Zeit misshandelt, ja.
Weißt du, was an unserem Podcast so cool ist?
Was?
Unsere Ahas.
Das stimmt.
Denn auch in meinem Aha kann ich dir das gleich erklären, warum das so ist.
Also 15 Jahre lang hat dieses Martyrium gedauert und sie ist halt längst nicht die einzige.
Der Fall ist quasi das Paradebeispiel eines Haustyranenmordes und vielleicht auch ein großes Aushängeschild dafür, dass etwas mit unserem Mordparagrafen nicht stimmt.
Aber dazu kommen wir später noch.
Ich habe mich tatsächlich ein bisschen erschrocken, als ich gehört habe, dass es für diese Fälle keine spezielle Regelung in Deutschland gibt.
Vor allem, weil wir in Folge 12 schon beredet haben, dass ja jede vierte Frau in ihrem Leben mal körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.
Die haben zwar jetzt nicht alle einen Haustyranen daheim, den sie dann nachher umbringen, aber immerhin wohnt fast jede zweite der Frauen, die Gewalt in der Partnerschaft erlebt, mit ihrem Peiniger zusammen.
In Deutschland wird das Problem der Haustyranenmörderin hauptsächlich auf die Strafzumessung verlagert, also der Strafrahmen.
Und andere Länder versuchen, Erkenntnisse aus Sozialwissenschaften bei der Rechtsprechung zu berücksichtigen.
Und die beschäftigen sich unter anderem mit dem Kreislauf der Gewalt, der in der Beziehung stattfindet.
Und das ist mein Aha.
Ich spreche jetzt hier nur von Frauen, weil die Studien nur mit Frauen gemacht wurden.
Wir wissen aber ja, dass auch Männer betroffen sind.
Über 82 Prozent der Opfer sind Frauen, aber ich hätte tatsächlich alleine schon wegen der körperlichen Unterlegenheit gedacht, dass weniger Prozent der Opfer Männer sind.
Ja, stimmt.
Ich finde, 18 Prozent dafür doch irgendwie viel.
Ja.
Die Theorie zum Cycle of Abuse, also dem Kreislauf des Missbrauchs, hat Lenore Walker entwickelt.
Sie befragte über 1500 Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt wurden und kam zu dem Ergebnis, dass sich bei den meisten Fällen ein bestimmtes Muster herauskristallisierte.
Sie ist der Ansicht, dass dieses Muster das patriarchalische Verhalten von Männern beschreibt, die sich berechtigt fühlen, ihre Frauen zu misshandeln, um die Kontrolle zu erlangen.
Und tatsächlich findet sich dieses Muster auch in meinem Fall von Miriam und David wieder.
Nach Walker beginnt eine solche Situation mit einem Streitgespräch des Paares.
Sie will ihn nicht nachgeben oder es dem Mann intellektuell überlegen.
Und der begreift dann, dass er die Kontrolle über die Situation und die Frau verliert.
Dieser Kontrollverlust geht dann in einen Verlust über die Selbstkontrolle über und der Mann reagiert mit körperlicher Gewalt.
So erlangt er, denkt er zumindest, die Kontrolle über die Situation zurück.
Danach empfindet der Mann zunächst Charme und nach einiger Zeit geht dieser Kreislauf dann wieder von vorne los.
Das ist übrigens oft so.
Es bleibt nämlich meistens nicht bei einer einzelnen Gewalttat.
Während der Reuephase des Täters, und das macht es für die Opfer eben so schwer zu gehen,
bemüht sich der Täter quasi um eine normale Atmosphäre
und oft verstärkt sich auch seine Zuwendung in der Zeit.
Also er versucht dann sein Verhalten mit Aufmerksamkeit vergessen zu machen oder macht Geschenke.
Oft merkt die Frau erst, wenn sie sich schon in der Gewaltspirale befindet,
dass sie in diesem Kreislauf gefangen ist.
Unsicherheit, Angst, Belastung und der Wunsch, Gewalteskalation vorzubeugen, häufen sich.
Die Gründe, warum Frauen die häusliche Gewalt erleben, ihre Männer nicht verlassen, sind unterschiedlich.
Bei Miriam spielten gleich mehrere Faktoren eine Rolle.
Wie zum Beispiel, dass die Gefahrensituation für die Frau zunimmt,
sobald sie sich entscheidet, den Mann zu verlassen.
David hatte ja halt eben ihr und den Nachbarn konkret angedroht,
dass er sie umbringen wird, wenn sie das wagen würde.
Auch der Versuch, die Liebe und die Familie zu retten, spielt oft eine Rolle.
Sich einen Scheitern einzugestehen, ist halt oft schwer für Betroffene.
Miriam hatte in einem Interview bei der NDR-Doku gesagt, dass man damit ungerne hausieren geht,
weil es einem unangenehm ist, dass der Partner einen schlägt.
Klar.
Ja.
Außerdem wissen viele Frauen nicht, wohin.
Ihnen fehlt die Unterstützung von außen.
Sie haben keine Ahnung, was sie ohne den Partner machen sollen und wie sie sich ein neues Leben aufbauen sollen.
Ja, und bei Miriam war ja sogar, die Eltern haben ja sogar gesagt, dass sie sie nicht aufnehmen.
Das fand ich ziemlich hart, oder?
Ja.
Und außerdem sind sie emotional abhängig, je länger sie sich in der Beziehung befinden.
Ich glaube, das haben abgespeckt alle schon mal erlebt, dass man emotional so abhängig von der Laune des Partners ist.
Und das ist manchmal wirklich echt schwer, da rauszukommen.
Und das ist in diesem Fall natürlich noch viel, viel dramatischer.
Ja, und deswegen, das war eben das, was ich eben meinte, dass man immer erst sagt, das würde mir nie passieren, so würde ich nie handeln und so weiter,
bis man irgendwie in derselben Situation ist und total verliebt ist oder was weiß ich, ja.
Ja.
Manche Leute manipulieren ja auch einfach deinen Verstand, ohne dass du das merkst.
Ja, da kannst du noch so gefeilt gegen sein.
Manchmal passiert es halt doch, je nachdem auch, in welcher Situation du dich im Leben gerade befindest.
Noch eine Erklärung dafür findet sich im Stockholm-Syndrom.
Das erklärt die psychologischen Vorgänge bei Entführungsopfern.
Die Opfer passen sich an, um zu überleben und übernehmen die Sicht des Täters.
Viele Frauen suchen deswegen die Schuld auch bei sich.
Das ist übrigens gar nicht so weit weg von der Idealisierung, über die ich in Folge 11 gesprochen habe.
Das Opfer fällt quasi in den Zustand eines hilflosen Kindes zurück, das von den Eltern abhängig ist, wegen der Überlebensstrategie.
Hast du das im Freundeskreis schon mal erlebt, dass irgendwer geschlagen wurde vom Partner?
Nein.
Also nicht, dass ich wüsste, auf jeden Fall.
Ich hatte mal eine Freundin im Freundeskreis, bei der ich das erstens niemals gedacht hätte, weil das die tougheste Freundin war, die ich hatte.
Sie hat es mir auch nie erzählt.
Ich habe das immer nur durch Erzählungen von anderen mitbekommen und konnte das gar nicht glauben.
Und ich habe es tatsächlich auch eine Weile gar nicht geglaubt.
Im Nachhinein bereue ich das total, dass ich die da nie darauf angesprochen habe.
Ich glaube aber tatsächlich, und wahrscheinlich ist das total der Irrglaube von mir, aber ich glaube auch nicht, dass sie mir das erzählt hätte, weil es halt eben ja dann doch erniedrigend ist.
Und gerade für eine Person, die so stark ist und die sie eigentlich von niemandem was sagen lässt, die wird jetzt ja nicht unbedingt, das hat ja auch Miriam gesagt, die wollen sich ja auch nicht eingestehen, dass man sich zu Hause verprügeln lässt.
Miriam oder eher eine andere Person, die Miriam overvoiced, spricht übrigens in einem Feature vom SWR 2 Tandem über ihre Zeit.
Und bei Das soll Recht sein vom NDR mit Ingo Zamperoni, da bespricht er mit Schöffen Kriminalfälle.
Allerdings, und das ist mir tatsächlich erst später aufgefallen, auch den Fall von Hans und Ulrike von Mühlmann, den ich ja in der letzten Folge behandelt habe.
Einen Fall gibt es aber noch, den ihr noch nicht kennt.
Und die Diskussionen zu den strafrechtlichen Themen sind sowieso immer interessant, deswegen lohnt sich das auch nochmal anzusehen, auch wenn ihr jetzt schon zwei Fälle davon kennt.
Die Dokus sind aber nur noch teilweise bis zum 12. Februar verfügbar.
Also wenn ihr das noch sehen wollt, Link gibt es in den Shownotes.
Der Fall des Haustüran-Mordes wird immer wieder herangezogen, um deutlich zu machen, dass etwas mit unserem Mordparagrafen nicht stimmt.
Denn wenn sich das Gericht fast verbiegen muss, um ein Urteil sprechen zu können, was in so einem Fall als gerecht empfunden wird oder erscheint, dann muss vielleicht wirklich etwas geändert werden.
Und bei eigentlich jeder anderen Strafvorschrift ist es möglich, Besonderheiten eines Falls im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, aber nicht beim Mord.
Und das verträgt sich eigentlich nicht mit unserem Schuldprinzip.
Also, dass ein Täter je nach Ausmaß seiner individuellen Schuld eine höhere oder niedrigere Strafe bekommt.
Ja, was ist eigentlich der Mordparagraf und wer gilt in Deutschland rechtlich gesehen als Mörder?
Und das ist leider gar nicht so leicht zu beantworten, das mussten Paulina und ich im Laufe unserer Recherchen immer wieder feststellen.
Aber die Kritik kommt später.
Jetzt erstmal die Hard Facts.
Der Paragraf 211 des Strafgesetzbuches, wie wir ihn heute kennen, wurde 1941 von Roland Freisler, dem damaligen Präsidenten des Volksgerichtshofes, konzipiert und besagt,
Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.
Ja, es hört sich jetzt ja schon mal nach einer Art Anleitung an.
Wer jemanden tötet und dabei eines der sogenannten Mordmerkmale, also Mordlust, Habgier etc. auf die Tat zutrifft, der wird wegen Mordes verurteilt.
Wenn keines der Mordmerkmale zutrifft, dann wird der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern beispielsweise wegen Totschlags verurteilt, auf das eine deutlich mildere Strafe droht.
Auf Mord hingegen steht die lebenslange Freiheitsstrafe.
Das bedeutet in Deutschland, dass der Verurteilte mindestens 15 Jahre in Haft bleibt.
Es müssen aber nicht alle, in Anführungszeichen, Mörder, solange hinter geht, denn das haben wir jetzt schon aus Paulinas Fall gelernt.
Zum Beispiel auch, wenn der §21 StGB angewandt wird.
Dann wird die Haftstrafe nämlich wegen verminderter Schuldfähigkeit verkürzt.
Das hätte wahrscheinlich auf Stefan M. aus meinem Fall zugetroffen.
Er wäre sicherlich wegen dreifachen Mordes verurteilt worden, aber wegen seiner Depression wäre ihm wahrscheinlich verminderte Schuldfähigkeit attestiert worden.
Die Täter bekommen dann eben nicht 15 Jahre.
Also hat die Rechtsprechung doch schon irgendwie Wege gefunden, um die lebenslange Haftstrafe zu umgehen.
Aber das Gesetz sieht sowas halt eigentlich nicht vor.
Und deshalb gibt es seit Jahrzehnten Kritik.
Und deswegen haben wir beide jetzt wieder Anwälte angeschrieben und mit denen über ihre Sicht auf den Mordparagrafen gesprochen und was sie für die größten Kritikpunkte halten.
Wir haben daraus wieder verschiedene Kategorien aus den Antworten heraus kristallisiert.
Und ein Kritikpunkt ist zum Beispiel die lebenslange Haftstrafe.
Im Strafgesetzbuch steht, der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
Genau, und damit haben halt viele Anwälte ein Problem.
Zum Beispiel der Strafverteidiger Dr. Adam Ahmed aus München ist gegen diese Art von Strafe, weil die Gefangenen in der Regel nicht wissen, wann genau sie rauskommen.
Sie wissen ja nur, dass sie mindestens 15 Jahre hinter Gitter verbringen müssen.
Das ist bei Totschlag anders.
Da sitzt man allerhöchstens 15 Jahre.
Ein Häftling, der also die Höchststrafe bei Totschlag bekommen hat, weiß, wenn er reinkommt, wenn ich mich anstrenge, komme ich nach 10 Jahren raus, also nach zwei Drittel der Strafe.
Und wenn ich mich nicht anstrenge, dann komme ich nach 15 Jahren raus.
Egal, wie er sich verhält, er hat einen Zeitpunkt vor Augen, auf den er hinarbeiten kann, so Ahmed.
Das hat ein wegen Mordes verurteilter Mensch eben nicht.
Und das ist psychisch sehr belastend, sagt der Strafverteidiger.
Der Rechtsanwalt Arne Timmermann hat uns das Policy Paper der Strafverteidigervereinigung geschickt.
Und da werden die Forderungen nach der Abschaffung von einer lebenslangen Freiheitsstrafe genau begründet.
Und zwar sehen die das so.
Die lebenslange Freiheitsstrafe ist eine Vernichtungsstrafe.
Als Totalverfügung des Staates über den von ihr betroffenen Bürger macht sie ihn zu einem Objekt der Strafe.
Sie fügt damit den von ihr Betroffenen, wie auch dem Rechtssystem, einen anhaltenden und schwer zu heilenden Schaden zu.
Und der Strafverteidiger aus dem Schackendorf-Prozess, Jonas Hennig, geht genau darauf ein.
Er ist nämlich der Meinung, dass die Verfassung uns dazu zwingt, die lebenslange Freiheitsstrafe abzuschaffen.
Er hat mir nämlich erzählt, dass sich das Bundesverfassungsgericht 1977 mit der Frage beschäftigt hat, ob die lebenslange Freiheitsstrafe gegen die Würde des Menschen verstößt.
Das Gericht kam damals zu dem Schluss, dass der Gesetzgeber untersuchen müsse, ob lebenslange Haft irreparable Schäden verursacht.
Seit mehr als 30 Jahren missachtet der Gesetzgeber jetzt aber schon diesen Auftrag.
Die Strafverteidiger-Vereinigungen beschäftigen sich auch mit dem Strafzweck.
Und die meinen, eine lebenslange Freiheitsstrafe würde den Täter nicht davon abschrecken, ein Verbrechen zu begehen.
So heißt es auch im Policy Paper.
Also, dass es höchst fraglich ist, ob eine Strafandrohung überhaupt im Zusammenhang mit der Kriminalitätsentwicklung steht.
Wer einen Menschen tötet, wägt in der Regel nicht rational kalkulierend ab, ob die Tat die mögliche Strafe lohnt, heißt es da.
Ja, das kann man sich auf jeden Fall vorstellen, dass es so ist.
Ja, genau.
Auf die Frage, ob eine lebenslange Freiheitsstrafe beim Mord weiterhin zwingend sein sollte, antwortete Rechtsanwältin Katja Günther,
ja, weil nur so der verfassungsrechtlich geforderte Schutz des menschlichen Lebens gewährleistet werden kann.
Das heißt, sie stellt sich also gegen die Meinung, die wir bisher gehört haben.
Weil das menschliche Leben das höchste Schutzgut ist, das unsere Rechtsordnung kennt,
muss der Staat auch mit den Mitteln des Strafrechts dafür Sorge tragen, dass kein menschliches Leben aus nichtigen oder verwerflichen Motiven zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat oder auf eine besonders abstoßende, hinterhältige oder gemeingefährliche Weise ausgelöscht werden darf.
Hä? Aber sie sagt einfach nur, dass es diese lange Haftstrafe geben soll, damit die nicht nochmal rauskommen und jemanden umbringen?
Oder warum?
Nein, sie sagt, das menschliche Leben ist das höchste Schutzgut und der Staat muss alles dafür tun und Sorge tragen, dass Morde nicht begangen werden dürfen.
Ja, okay, aber es heißt ja auch nicht, dass jetzt nur weil die lebenslange Haftstrafe abgeschafft wird, dass Leute nicht trotzdem 15 Jahre hintergittern können und danach noch in die Sicherungsverwahrung kommen.
Das heißt es ja nicht.
Ne? Aber naja gut.
Ja, aber wir haben ja gefragt, ob die das für zwingend erforderlich hält und sie hat gesagt, ja, weil sie ist der Meinung, nur so kann der geforderte Schutz des menschlichen Lebens gewährleistet werden.
Okay.
Ich finde das bei dieser Diskussion total schwierig abzuwägen, ob man jetzt den Fokus eher auf die Wiedereingliederung setzt oder vielleicht einfach eine angemessene Strafe zu finden, die dann halt auch die Angehörigen der Opfer jetzt nicht völlig fassungslos zurücklässt.
Weil was würde man beispielsweise machen, wenn die höchste Chance der Wiedereingliederung und dann danach auch straffrei zu bleiben nach fünf Jahren ist?
Das kann man ja den Angehörigen der Opfer überhaupt nicht erzählen.
Wenn die nur fünf Jahre dann, ja, okay.
Ja, ich meine, das ist jetzt natürlich das Extrembeispiel, das würde so ja auch nicht passieren.
Aber weißt du, ich finde, ich finde das Verhältnis ist einfach sehr schwer irgendwie.
Ja, total. Ich finde das auch schwer. Aber ich bin auch dagegen, dass es die lebenslange Haftstrafe gibt, weil ich das halt wirklich wie ein Psychoterror empfinde, wenn man nicht weiß, wann man rauskommt.
Wenn man so mit Leuten spricht, die sich nicht viel damit beschäftigen, die sagen dann ja eh immer, ja, der ist ja eh nach 15 Jahren raus, blablabla, aber das ist nicht so.
Und nach 13 Jahren dürfen sie dann zum ersten Mal einen Antrag stellen, dass sie nach 15 Jahren raus wollen, aber das heißt das noch nicht.
Die müssen dann erst begutachtet werden und so weiter und dann kriegen sie eine Sperrfrist und so.
Also, wieso kann es nicht, also ich wäre dafür, dass man es eben wie beim Totschlag macht.
15 Jahre ist die Höchststrafe und dann können sie sich von Anfang an auf diese Resozialisierung besinnen und eben versuchen, früher rauszukommen bei guter Führung.
Aber natürlich, wenn sie gefährlich bleiben, ja, und das gibt es ja, darüber haben wir auch schon geredet und dafür gibt es ja auch die Sicherungsverwahrung.
Das sagt auch Jonas Hennig und das ist keine Strafe, das ist quasi, ja, um die Allgemeinheit zu schützen, ja.
Ich finde halt wichtig, dass man an eins denkt und das hat uns gerade eben auch eine Zuhörerin geschrieben.
Die Opfer haben immer lebenslänglich.
Das stimmt halt so.
Genau und der Dr. Ahmed, mit dem ich gesprochen habe, der würde eben genau das vorschlagen, dass man eben zwischen Mord und Totschlag nicht mehr differenziert,
sondern dass es nur noch Totschlag geben sollte und dann eben mit verschiedenen Unterkategorien sozusagen.
Und er argumentiert da mit dem Schuldstrafrecht, was du eben schon angesprochen hattest.
Nach diesem Prinzip darf eine Strafe nämlich nur in dem Umfang auferlegt werden, wie dem Betroffenen seine Tat individuell vorzuwerfen ist.
Und dieses individuelle Vorwerfen ist aber schwer, sobald jemand wegen Mordes verurteilt wird, weil ja da die lebenslange Haft vorgeschrieben wird.
Herr Ahmed sagt, wir schauen ja auch, war jemand schuldfähig, eingeschränkt schuldfähig oder nicht schuldfähig.
Und wenn alle schuldfähig sind, der eine aber aufgrund der Tat mehr Schuld auf sich geladen hat, dann sollte der auch eine höhere Strafe bekommen, sagt Ahmed.
Katja Günther meint, ein Augenblicksversagen im Straßenverkehr kann einen verheerenden Unfall mit vielen Toten und Schwerverletzten nach sich ziehen.
Und trotzdem ist die Schuld des Täters, also der Grad der Vorwerfbarkeit seines Handelns oder des Unterlassens gering.
Umgekehrt kann die Tötung eines einzigen Menschen aufgrund der Motivation des Täters und oder der Art und Weise der Tatbegehung so viel Schuld in sich tragen,
dass dafür nur die höchste gesetzliche zulässige Sanktion, also die lebenslange Freiheitsstrafe angemessen ist.
Und diese Pflicht zur Differenzierung nach der Schuld des Täters zwingt dazu,
zwischen Mord und Totschlag und sonstigen Formen der Tötung eines Menschen zu unterscheiden, sagt Günther.
Verkürzt gesagt unterscheiden sich Mord und Totschlag in den Motiven des Täters und in der Begehungsweise der Tat.
Um auf diese Gründe zu kommen, Dr. Ahmed ist der Meinung, dass die Mordmerkmale, also die Gründe, zu allgemein gefasst sind in dem Mordparagrafen.
So wird der Rechtsprechung zu viel Spielraum gelassen, sagt er.
Außerdem findet er, dass einige Mordmerkmale überhaupt nichts in den Paragrafen zu suchen haben.
Er hat mir nämlich von einem seiner Fälle erzählt, bei dem eine Frau aus Augsburg ihren Mann erschlug,
nachdem der sie eben jahrelang tyrannisiert hatte, also ähnlich wie bei deinem Fall.
Sie wurde dann wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt und nicht aus Heimtücke,
wie das eben sonst bei einem Haustyrannenmord oft der Fall ist.
Das Mordmerkmal der Heimtücke konnte hier nämlich nicht herangezogen werden,
weil die Frau den Mann nicht im Schlaf oder von hinten erschlagen hatte.
Weil man die Frau aber scheinbar wegen Mordes verurteilen wollte,
wurde das Mordmerkmal aus niedrigen Beweggründen hinzugezogen.
Für Dr. Ahmed hat dieser Fall aber nichts mit Mord zu tun
und deshalb hat er auch ein Wiederaufnahmeverfahren beantragt mit Erfolg.
Sein Vorschlag wäre deshalb, dass man schaut, welche Mordmerkmale klar formuliert sind und welche nicht.
Der niedrige Beweggrund dient seiner Meinung nach nur folgendem Zweck.
Und zwar kann man auf diesen zurückgreifen, wenn kein anderes Mordmerkmal greift,
aber man trotzdem der Meinung ist, dass die Tötung auf so schlimme Weise oder aus solch schrecklichen Motiven heraus geschehen ist,
dass eben die lebenslange Haftstrafe die Bestrafung sein soll, wie das eben bei seiner Mandantin versucht wurde.
Das Mordmerkmal, was anscheinend am häufigsten diskutiert wird,
weil, so Matthias Grasel, es nicht immer einheitlich verwendet wird,
da es zum Teil täterbezogen und zum Teil opferbezogen ausgelegt wird
und keine einheitliche Definition existiert, ist der Mord aus Heimtücke.
Ich erkläre das mal an einem Beispiel.
Heimtückisch mordet jemand, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tat ausnutzt.
Und auf die Frage, haben Sie selbst schon mal einen Fall vertreten,
der bei Ihnen einen Wunsch nach einer Veränderung des Mordparagraphen hervorgerufen hat,
hat Arne Timmermann geantwortet, ja.
Dem Mandanten wurde der Mord an seiner eineinhalbjährigen Tochter vorgeworfen.
Es entbrannte der Streit, ob man ein eineinhalb Jahre altes Kind heimtückisch ermorden kann
oder ob ein Kind zu einem Misstrauen, das durch die Heimtücke der Tat umgangen wird,
überhaupt noch gar nicht fähig ist.
Also heißt, heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung
die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt.
Und wer ist jetzt arg und wehrlos?
Ein Schlafender ja zum Beispiel, ja auch wie in meinem Fall.
Eine Tötung an einem Kleinkind, aber das generell arg und wehrlos ist
und gegen einen Angriff auf sein Leben quasi gar nichts unternehmen kann,
ist nicht als heimtückisch anzusehen, weil seine Wahrnehmungsfähigkeit noch gar nicht ausgebildet ist.
Und das ist nun wirklich was, was mich super aufgeregt hat,
weil du quasi einen Einjährigen oder einen Säugling gar nicht heimtückisch ermorden kannst.
Ja.
Weil sich das nie werden kann quasi.
Genau, ja.
Und das ist halt tatsächlich auch in manchen Fällen von geistiger Behinderung der Fall.
Und das finde ich so schlimm.
Aber wenn die dann umgebracht werden, dann wird vielleicht ein anderes Mordmerkmal hinzugezogen, oder?
Natürlich, aber es geht ja um Heimtücke.
Ja.
Matthias Grase ist der Meinung, dass man sich auch etwa an der Regelung
zur gefährlichen Körperverletzung orientieren könnte.
Dort ist nämlich von einem hinterlistigen Überfall die Rede, was sich quasi als praxistauglicher erweist.
Der Strafverteidiger Oliver Krämer aus Köln hat auch eine Idee, wie man den Mordparagraphen verbessern könnte.
Und zwar wäre er für sogenannte Regelbeispiele.
Solche finden sich zum Beispiel bei Betrug in Paragraph 263.
Da steht dann explizit, ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn...
Und dann kommen verschiedene Beispiele.
Und solche Regelbeispiele sind im Gegensatz zu den Tatbestandsmerkmalen, also den Mordmerkmalen, nicht zwingend.
Die Gerichte können dann im Einzelfall entscheiden.
Und auch besonders schwere Fälle annehmen, auch wenn diese nicht explizit im Gesetz genannt sind.
Und umgekehrt von einer besonderen Schwere einer Tat absehen, wenn es wichtige Gründe dafür gibt.
Ich habe ihn dann gefragt, aber wie würde sich denn so ein Regelbeispiel bei Mord anhören?
Krämer meinte dann zum Beispiel, wenn mehrere gemeinschaftlich töten oder wenn der Tod mit besonderen Qualen verbunden ist,
dann handelt es sich in der Regel um eine besondere schwere Art der Tötung, also Mord.
Ich habe dann noch einen anderen Anwalt, den Herrn Ahmed, gefragt, was er von Regelbeispielen hält.
Er sagt, dass es eine gute Idee ist, aber ihm die Umsetzung schwer vorkommt.
Weil er fragt, wo sind die Unterschiede von Regelbeispielen zu den Mordmerkmalen?
Das sind ja auch eine Art Beispiele, meint er.
Ihm sind auf jeden Fall keine konkreten Beispiele eingefallen, die man für Mord formulieren könnte.
Und ich selber habe dann auch nochmal drüber nachgedacht, Beispiele zu finden, die einen Mord beschreiben.
Und meiner Meinung nach müssten es dann irgendwie 100 Beispiele sein oder wieder sehr unkonkret, was die Mordmerkmale eben auch schon sind.
Dann ist noch ein großer Kritikpunkt die Tätertypen.
Denn der Mordparagraf ist der einzige Paragraf, bei dem der Täter und nicht die Tat im Mittelpunkt steht.
Also da steht ja Mörder ist, Punkt, Punkt, Punkt.
Und solche Tätertypen entsprachen dem nationalsozialistischen Strafrechtsverständnis.
Und die haben heute eigentlich nichts mehr im Gesetzbuch zu suchen.
Denn kein Mensch ist Täter, sondern er wird ja erst durch seine Tat zum Täter.
Herr Dr. Boris Klug aus Köln war der einzige Anwalt, mit dem ich gesprochen habe, der eine Reform nicht für nötig hält.
Er ist der Meinung, dass die Rechtsprechung den Paragrafen in den letzten Jahren im jeweiligen Einzelfall richtig angewendet hat.
Ihm sind auch aus seiner Vergangenheit kaum Fälle bekannt, in denen durch höhere Gerichte Verurteilungen nach Paragraf 211 hätten revidiert werden müssen.
Herr Klug hält auch die Mordmerkmale, so wie sie sind, für ausreichend.
Einige Formulierungen könnten angepasst werden, sagt er.
Aber er sagt auch, ein Gesetz kann niemals jeden Fall regeln.
Das muss das Gericht im Einzelfall machen.
Er sagt aber schon, dass die Täterdefinition, wie sie in Paragraf 211 steht, falsch ist.
Aber dass hier eine einfache redaktionelle Änderung reichen würde.
Also von Mörder ist, wer, Punkt, Punkt, Punkt, zu.
Des Mordes macht sich derjenige schuldig, wer, Punkt, Punkt, Punkt.
Und ich fand das sehr interessant, weil ich der Meinung war, dass Strafverteidiger sich in der Hinsicht relativ einig sind, dachte ich zumindest, wenn man das immer hört und mit denen, denen wir bis jetzt zu tun hatten, der Meinung waren.
Aber dass von meinen sechs befragten Anwälten schon einer gegen eine Reform ist und bei dir auch schon eine dabei ist, hat mich gewundert.
Weil, ich meine, es ist ja auch so, dass die Rechtsprechung schon viel machen kann.
Aber eine Reform tut ja jetzt auch keinem weh.
Und wenn sie für mehr Rechtssicherheit sorgen kann, dann finde ich, sollte man sie auch machen.
Was mir aber auch einige der Anwälte gesagt haben, war, dass sie vermuten, dass sich nichts tut, weil die regierende Politik sich querstellt, um ihre konservativen Wähler nicht zu verlieren.
Es war ja schon mal eine Reform angedacht.
Der damalige Justizminister Heiko Maas hatte mit einer Expertenkommission einen Bericht zur Reform der Tötungsdelikte im Strafrecht vorgelegt.
Und das hätte zum Beispiel bei der Heimtücke so ausgesehen, dass die schon vorliegt, wenn der Täter die Wehrlosigkeit des Opfers ausnutzt.
Also vorher musste quasi die Wehrlosigkeit des Opfers aus seiner Arglosigkeit folgen.
Und die hätten das dann bei der Reform verknappt.
Und damit wären dann eben auch Kinder unter diese Kategorie der Wehrlosigkeit gefallen.
Und auf die Frage, wie weit man mit den Reformen ist, antwortete die jetzige Bundesjustizministerin Katharina Barley.
Änderungen stehen derzeit nicht auf der Tagesordnung.
Es gibt auch keinen unmittelbaren Handlungsdruck.
Denn die Gerichte mit dem Bundesverfassungsgericht an der Spitze haben Lösungswege für problematische Fälle gefunden.
Ja, haben sie.
Aber eine Reform eines Paragraphen würde trotzdem für mehr Rechtssicherheit sorgen.
Ich finde es schade, dass die ganze Arbeit von dem Maas quasi jetzt für die Katz war.
Ich meine, es ist ja vielleicht nicht, vielleicht greift man darauf ja nochmal zurück.
Aber ich finde es schon komisch, dass sie das jetzt so komplett anders sieht als er.
Ist halt schade.
Ja.
Und hier noch wie gewohnt ein Update zum Schackendorff-Fall.
Um euch nochmal daran zu erinnern, worum es geht.
Volker L. ist angeklagt, seine Frau Nadine L. getötet zu haben und sitzt deswegen gerade in U-Haft.
Er soll sie nach einem Streit beim Spazierengehen erschlagen haben.
Beweise dafür gibt es nicht.
Es handelt sich also hier um einen Indizienprozess, der gerade vor dem Landgericht Kiel verhandelt wird.
Im Laufe der Verhandlung sind immer wieder neue Details ans Licht gekommen.
Volker und Nadine L. sollen Probleme in der Ehe gehabt haben.
Die Nachbarn berichteten von lauten Auseinandersetzungen.
Kurz vor dem Mord hatten sie wegen Streitigkeiten einen gemeinsamen Urlaub sogar abgebrochen.
In der letzten Folge hatten wir berichtet, dass Dr. Jonas Hennig, das ist der Strafverteidiger des Angeklagten,
einen weiteren Beweisantrag gestellt hat, bezogen auf den Verdächtigen, dessen DNA auf der Tatwaffe gefunden wurde.
Dieser wurde jetzt allerdings abgelehnt.
Und die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage haben heute sogar ihr Schlussbläuier gehalten.
Das war allerdings nicht öffentlich.
Heißt, Presse war nicht erlaubt.
Die Staatsanwaltschaft hat auf eine Verurteilung wegen Mordes plädiert, aus niedrigen Beweggründen und die Nebenklage wegen Totschlags.
Mit uns spricht jetzt Strafverteidiger Dr. Jonas Hennig.
Dr. Hennig, der Prozess war ja weitestgehend öffentlich.
Warum sind es die Plädoyers denn jetzt nicht?
Das hat den Hintergrund, dass eine Zeugin außerhalb der Öffentlichkeit vernommen wurde.
So unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Weil es da auch um intime Dinge, nämlich das Sexualleben, ging.
Dann sieht das Gesetz zwingend vor, dass auch die Schlussvorträge unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden.
Weil es ja denkbar ist, dass in diesen Schlussvorträgen auf die Aussage Inhalte der nicht öffentlichen Vernehmung Bezug genommen wird.
In diesem Fall war das überhaupt nicht das Problem.
Diese Zeugenaussage spielte letztlich überhaupt keine Rolle.
Schon gar nicht der Teil, der in nicht öffentlicher Verhandlung stattgefunden hat.
Sie plädieren aber weiterhin auf Freispruch, right?
Mein Plädoyer wird auf einen Freispruch gerichtet sein.
Ich bin überzeugt davon, dass mein Mandant unschuldig ist.
Man kann hier in diesem Verfahren sicherlich vieles glauben in die eine oder andere Richtung.
Das ist möglich.
Aber wenn man verurteilen will, dann schreibt das Gesetz vor, muss das Gericht eine Überzeugung bilden.
Eine Überzeugung gestützt auf das, was die Anklage vorwirft.
Und eine Überzeugung, eine sichere Überzeugung kann man nach dieser Aktenlage und auch nach der Durchführung dieser Beweisaufnahme
meines Erachtens ganz klar nicht bilden.
Also Ihnen ist schon klar, dass Sie das Urteil, sollte das jetzt nicht Freispruch sein, gar nicht akzeptieren werden?
Mein Mandant sagt, er ist unschuldig.
Ich glaube ihm das.
Ich gehe aber auch völlig unabhängig davon aus, dass diese Hauptverhandlung keine Beweise erbracht hat,
die eine Überzeugung stützen, nach der mein Mandant der Täter gewesen ist.
Wie wird denn Ihr Plädoyer genau aussehen?
Ich werde die Ergebnisse der Beweisaufnahme umfassend würdigen.
Insbesondere wird es darum gehen, dass die Einlassung meines Mandanten, der bei der Polizei gemacht hat,
eine plausible Erklärung darstellt, eine plausible und im Wesentlichen widerspruchsfreie Darstellung,
die sich auch mit objektiven Beweismitteln deckt.
Dass es im Vorfeld in der Ehe meines Mandanten Probleme gegeben hat,
Das dürfte in der Tat nach der Beweisaufnahme außer Frage stehen.
Aber das reicht nun lange nicht, um ein Motiv oder auch insbesondere die Täterschaft für ein solches Verbrechen zu belegen.
Vielen Dank, Dr. Jonas Hennig.
Das Urteil wird übrigens erwartet für den 26. Februar.
Das heißt, in der nächsten Mordwurstfolge gibt es noch keine Neuigkeiten im Fall Schackendorf.
Zum Urteil fassen wir aber auf euren Wunsch nochmal den ganzen Fall zusammen.
Ja.
Falls ihr mal auf die Idee kommt, euch Tee in ein Glas zu machen, weil es zum Beispiel keine Becher gibt,
oder in eine Glaskanne, weil ihr viel Tee trinken wollt, lasst es!
Keine gute Idee.
Wie ich kürzlich feststellen musste, denn mir ist so ein Ding in der Hand explodiert,
mit, ja, eineinhalb Liter Wasser drin.
Und deswegen musste ich mit dem Krankenwagen abgeholt werden und in die Notaufnahme.
Ich habe mir beide Beine verbrüht.
Und die sind jetzt auch mehrere Tage in Verbänden eingewickelt worden.
Ich habe ein bisschen Mumie gespielt, ja.
Und Laura hat mich gepflegt in der Zeit.
Das war schön.
Endlich mal ein Grund, jemanden rumzukommandieren.
Außer Fussel will das sonst nie jemand mitmachen.
Das war natürlich nicht nur dumm, sondern auch sehr schmerzhaft.
Und die haben mich quasi gleich noch am Unfallort an so einen Tropf gehangen
und mir Opioide gegeben, was zur Folge hatte, dass mir ziemlich schummrig war danach.
Und als ich dann im Krankenhaus angekommen war und mich die Rettungssanitäter verlassen haben,
die ich übrigens liebe, ich wurde jetzt schon dreimal mit dem Krankenwagen abgeholt
und jedes Mal hatte ich richtig Liebeskummer, wenn die Rettungssanitäter gegangen sind,
weil die halten einem das Händchen, die unterstützen einen so.
Weil ich war völlig aufgelöst und in Panik und dann hat er die ganze Zeit, erzähl mir doch mal jetzt was und so.
Und dann habe ich dem auch von unserem Podcast erzählt.
Also ja, was wir hier auch immer mitkriegen.
Das würde viel Stoff geben, aber ich war dann halt auch so benebelt, dass ich nicht fragen konnte.
Meine Ärztin, die sich mir dann vorgestellt hat übrigens, hatte den Namen eines berühmten Ermittlers
und ich konnte das überhaupt nicht glauben und ich war ja so weggeschossen von diesen Schmerzmitteln,
dass ich ihr das auch wirklich nicht geglaubt habe.
Also ich habe die ganze Zeit gesagt, sie veräppeln mich
und ich habe mir dann in meinen Schmerzmittelwahn auch die ganze Zeit die Frage gestellt,
warum mich jetzt eine Kommissarin verbindet, also mir die Beine verbindet.
Und dann habe ich mich die ganze Zeit gefragt, könnten Sherlock und Watson das auch?
Also es war so völlig irre, was ich mir da in meinem Kopf gedacht habe.
Ja, aber wie hieß die denn jetzt?
Ja, das kann ich ja nicht sagen, weil dann würde ich ja verraten, wer das ist.
Ach so, nee, das dürfen wir nicht.
Ja.
Aber wir sind dann durch ihren Namen natürlich auch wieder auf Verbrechen und Kriminalgeschichten gekommen.
Und sie meinte zu mir, die von der Kripo sind die witzigsten Leute überhaupt
und dass sie immer super gerne mit denen zusammenarbeitet.
Echt?
Ja, und dann haben wir so ein bisschen, soweit ich mich erinnern kann,
vielleicht ist das ja auch nur in meinem Kopf passiert,
aber wir haben dann so ein bisschen darüber geredet, dass man halt,
wenn man sich viel mit solchen Dingen beschäftigt, so wie wir ja auch,
irgendwann so einen morbiden Humor entwickelt, um damit halt umzugehen.
Ja.
Und um dann halt eben auch mal ein bisschen Lachen ins Leben zu bringen.
Weil wenn man das immer alles so ernst nehmen würde, dann wäre man ja die ganze Zeit nur mies drauf.
Ja.
Und die Paulina erzählt das hier so, als wäre das jetzt irgendwie gar nicht so schlimm gewesen.
Aber ich glaube, alle haben sich solche Sorgen gemacht.
Und wie Paulina auch aussah mit diesen einbandagierten Beinen, also das sah schrecklich aus.
Und ja, und ich bin ganz stolz, dass du da so tapfer durchgehalten hast,
weil ich weiß nicht, wie ich gewesen wäre, wenn mir das passiert wäre.
Es ist nicht so schön, wenn dir die Hautschichten abgetragen werden.
Wer möchte ich dazu nicht sagen?
Das glaube ich.
Du kannst ja mal pusten kommen, wenn du das nächste Mal wieder hier bist.
In vier Wochen komme ich pusten.
Ich will jetzt abschließen.
Dann schließ ab.
Tschüss.
Das war ein Podcast von Funk.