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#141 “wir haben ihren sohn”

Mordlust
Laura, heute ist der große Tag.
Endlich.
Und vielleicht habt ihr schon gesehen, heute ist neben dieser Mordlust-Folge auch noch eine andere Folge in unserem Feed erschienen.
Von einem Podcast namens Justitias Wille.
Und das ist unser neuer Podcast, von dem wir euch erzählt haben.
Und der ist jetzt endlich da.
Genau, heute ist für uns so ein besonderer Tag, weil wir wochenlang darauf hingefiebert haben, jetzt endlich zu veröffentlichen und natürlich auch darauf hingearbeitet haben.
Wir werden hier nämlich in mindestens zehn Folgen einen Fall begleiten, der gerade vor dem Landgericht Berlin verhandelt wird.
Und ich würde sagen, wir hören uns jetzt erstmal zusammen den Trailer an.
Ein Flügel der großen französischen Fenster steht offen und gewährt einen Blick in den großen Garten.
Von draußen dringt warme Luft in das bescheiden eingerichtete kleine Hotelzimmer.
Sie kniet auf dem Einzelbett, faltet die Hände und richtet den Blick in den Himmel.
Danach setzt der Mann, der bei ihr ist, ihr die Nadel und schließt den Zugang an.
Lieber Gott, nimm mich zu dir, sagt sie und öffnet das Ventil.
Dann bahnt sich die tödliche Flüssigkeit ihren Weg in ihre Vene.
Die beiden haben sich heute zum Sterben verabredet.
Sie wollte, dass er ihr dabei hilft, sich von ihrem jahrelangen Leid zu befreien.
Wenige Augenblicke später schläft sie ein.
Nach ein paar Minuten setzt sie ihre Atmung aus.
Danach hört ihr Herz auf zu schlagen.
An diesem Tag ist der Mann sich sicher, das Richtige getan zu haben.
Doch jetzt steht der pensionierte Arzt vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft sagt, was er getan hat, war ein Verbrechen.
Denn die Frau war schwer depressiv und ihr Sterbewunsch habe nicht auf ihrem freien Willen beruht.
Er hätte ihr also nicht helfen dürfen.
Die Frage, die jetzt vor Gericht geklärt werden muss.
Verhalf der Mediziner einer verzweifelten Frau rechtmäßig zum Suizid?
Oder hat er sie, zumindest rechtlich gesehen, getötet?
Wir sind Laura Wohlers und Paulina Kraser.
In den nächsten Wochen werden wir in unserem neuen Podcast Justitias Wille den Prozess begleiten.
Ein Prozess, dessen Ausgang wegweisend für ähnlich gelagerte Fälle sein könnte.
Und wir werden uns dem kontrovers diskutierten Thema Sterbehilfe widmen.
Wie wollen wir als Gesellschaft mit denen umgehen, die sterben wollen?
Wann müssen wir akzeptieren, dass Menschen ihr Leben als nicht mehr lebenswert betrachten?
Und sollte man bei der Suizidhilfe einen Unterschied zwischen psychisch und körperlich Erkrankten machen?
Darum geht's in der ersten Staffel von Justitias Wille.
Leben in der Waagschale.
Wir würden uns natürlich wahnsinnig dolle freuen, wenn ihr reinhört.
Dazu müsst ihr aber unseren neuen Podcast abonnieren.
Der heißt, wie gesagt, Justitias Wille.
Und den könnt ihr kostenlos auf jedem gängigen Podcast-Player hören.
Hier bei uns im Mordlust-Fiend erscheint nämlich nur die erste Folge.
Genau, und für uns wäre es auch mega, wenn ihr den Podcast bewertet und teilt, wenn er euch gefällt.
Für Laura und mich ist das Thema Sterbehilfe sehr stark emotional besetzt.
Warum? Das hört ihr auch bei Justitias Wille.
Wir finden, das ist ein super wichtiges Thema, aber auch ein sehr komplexes Thema, was mehr in der Öffentlichkeit diskutiert werden muss, damit man richtig informiert ist und dann auch eine Haltung dazu entwickeln kann.
Denn das ist ja einfach so, wir werden alle irgendwann auf irgendeine Art damit in Berührung kommen.
Und deswegen liegt uns dieses Projekt wirklich sehr, sehr am Herzen.
Genau.
Aber jetzt geht es erstmal weiter mit Mordlust.
Und damit herzlich willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner im Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
Heute haben wir euch wieder einen Kriminalfall mitgebracht, den wir zusammen erzählen, der uns wirklich nachhaltig beschäftigt hat und von dem wir hoffentlich alle am Ende was mitnehmen können.
Die Geschichten, die wir hier erzählen, sind immer die Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen lockerer miteinander sprechen.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Dort, wo der Rhein die Grenze zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz markiert, ist der Fluss gewaltig.
Nur vier Brückenpfeiler aus massivem Beton stehen den Wassermassen an einer Stelle zwischen Wiesbaden und Mainz im Weg.
Sie stützen die Schiersteiner Brücke, eine Autobahnbrücke, die die Landeshauptstätte miteinander verbindet.
Auf vier Spuren rasen hier permanent Fahrzeuge übers Wasser.
Nachts, wenn Laternen die Fahrbahn beleuchten und alles darüber hinaus in der Dunkelheit versinkt, ist der Verkehr ruhiger.
So auch am späten Abend des 7. September 1993.
Doch heute ist etwas anders als sonst.
An einer Sprosse am Anfang des Brückengeländers ist ein knallrotes Tuch geknotet, dessen Enden im Wind flattern.
Ein farbenfroher Klecks in der grauen Umgebung und die Hoffnung für eine Familie, einen geliebten Menschen wiederzusehen.
Denn das rote Tuch markiert die Stelle, an der ein Polizist in Zivil gegen 22 Uhr eine schwarze Tasche an einem Seil nach unten ans Ufer des Flusses gleiten lässt.
In der Tasche liegen ein Peilsender und Geldscheine im Wert von 2 Millionen Mark.
Genau die Summe, die Jens befreien soll.
Zwei Männer hatten den 33-Jährigen vor sechs Tagen vor seinem Haus überwältigt und in einen Kastenwagen gezerrt.
Seine Frau und seine Kinder mussten von der Türschwelle aus dabei zusehen.
Für 2 Millionen Mark soll er freikommen, lautet die Forderung der Entführer.
Vorausgesetzt, die Lösegeldübergabe am heutigen Abend gelingt.
Es wird keine zweite Chance geben, haben die Männer mitgeteilt.
Wenn heute etwas schief geht, wollen sie sich nie wieder melden und nie verraten, wo sie Jens gefangen halten.
Das würde seinen Tod bedeuten, weiß Jens Familie.
Und das weiß auch der leitende Kriminaldirektor, der das Geschehen auf der Brücke aus der Ferne überwacht.
Neben dem Polizisten in Zivil, der die Tasche ins Dunkle abseilt, sind weitere Beamtinnen rund um den Übergabeort auch unter der Brücke positioniert.
Ihr Auftrag ist es, zunächst Abstand zu halten, um die Lösegeldübergabe nicht zu gefährden.
Erst wenn jemand das Geld entgegengenommen hat, sollen sie zugreifen.
So lautet der Befehl des leitenden Kriminaldirektors.
Der Druck, der auf ihm lastet, ist enorm hoch.
Unter keinen Umständen will er Jens Leben gefährden oder die Entführer entkommen lassen.
Doch die Stelle, die sich die Entführer für die Übergabe ausgesucht haben, ist unübersichtlich.
Weil es stockdunkel ist, können die Polizistinnen unter der Brücke nicht erkennen, wer am Ufer auf das Geld wartet.
Deswegen haben sie die Landwege, über die man flüchten könnte, blockiert.
So würde ihnen der oder die Entführer mitsamt des Lösegelds in die Arme laufen.
Auf dem Rhein ist währenddessen die Wasserschutzpolizei im Einsatz.
Die Flucht dürfte schwierig werden.
Alles läuft nach Plan.
Langsam lässt der Polizist in Zivil die Tasche von der Brücke nach unten zum Ufer ins Dunkle gleiten.
Er wagt einen Blick übers Brückengeländer, doch unter ihm sieht er nur Kohlrabenschwarz.
Dann geht alles ganz schnell.
Unter der Brücke leuchtet eine grelle Taschenlampe auf, die den Polizisten blendet.
Aus Reflex sieht er weg, dann wird das Seil in seiner Hand plötzlich ganz leicht.
Jemand hat die Tasche mit dem Geld entfernt.
Niemand kann die Person in der Dunkelheit ausmachen, aber die Beamtinnen wissen,
es kann sich nur noch um Minuten handeln, bis derjenige auf der Flucht gefasst wird.
Die Beamtinnen warten, doch die Entführer tauchen nirgends auf.
Zehn Minuten vergehen, dann zwanzig.
Für den leitenden Kriminaldirektor fühlen sie sich an wie eine Ewigkeit.
Dann klingelt plötzlich sein Telefon.
Am anderen Ende der Leitung sind gute Neuigkeiten.
Jens ist frei.
Er wurde unweit der Brücke ausgesetzt, ist zu einem Firmengebäude gelaufen und hat den Nachtportier gebeten, die Polizei zu verständigen.
Er ist erschöpft, aber es geht ihm gut.
Erleichterung macht sich bei den Ermittlenden breit.
Jens Familie kann ihn noch in derselben Nacht wieder in die Arme schließen.
Nur das Geld ist in der Dunkelheit verschwunden und mit ihm derjenige, der es unter der Brücke abgeholt hat.
Wie das passieren konnte, ist für die Kripo ein Rätsel.
Wie soll der Entführer entkommen sein, wenn nicht zu Fuß oder mit einem Boot?
Auch der Peilsender, der in der Tasche war, hat kurz nach der Übergabe sein Signal verloren.
Von den Scheinen und der Tasche fehlt jede Spur.
Ein Fiasko für die Polizei und eine Katastrophe für Jens Familie, die sich für die Beschaffung des Lösegelds hoch verschuldet hat.
Doch auch die künftigen Ermittlungen verlaufen im Sand und werden Monate später eingestellt.
Jens Entführer bleiben unbekannt.
Und so wird es auch nach dieser Nacht noch für lange Zeit bleiben.
Und das, obwohl die Täter unsauber gearbeitet haben und sich das entscheidende Indiz eigentlich schon bei der Polizei befindet.
Ein Versäumnis, das Jahre später für eine andere Familie zur Katastrophe werden wird.
Also nochmal, um hier kurz alle abzuholen, bei uns war das am Anfang ein wenig unklar.
Unter der Brücke ist es ganz unübersichtlich und dunkel.
Und dieses Geld wurde am Ufer runtergelassen.
Wir haben uns natürlich trotzdem gefragt, wie das gehen kann, weil da waren ja überall PolizistInnen drumherum.
Aber immerhin weit genug entfernt, damit die Entführer das nicht sehen.
Und offenbar war das zu weit, um erkennen zu können, wer denn da diese Tasche abholt und wo die Person danach hin verschwindet.
Ja, und sie waren auch so weit weg, dass Jens ihnen nicht in die Arme gelaufen ist.
Sondern, dass er sich irgendwie selber Hilfe holen musste und dann am Ende selbst die Polizei gerufen hat.
Genau, also so engmaschig können sie das Gebiet nicht mit PolizistInnen bedeckt haben.
Und Resultat, die Entführer von Jens werden nicht gefasst und das wird noch Konsequenzen haben.
1. Oktober 1996, drei Jahre später.
Es ist weit nach 22 Uhr, als Ben und seine Kollegin aus einem Bürogebäude im Gewerbegebiet des Frankfurter Stadtteils Rödelheim hinaus an die frische Luft treten.
Sie haben den ganzen Tag in der Firma verbracht, deren Geschäftsführer Ben ist.
Morgen wird er in den Urlaub nach Mallorca fliegen und den zweireiigen Blazer, das glatt gebügelte rosa Hemd und die Lederslipper gegen seine Urlaubsgarderobe tauschen.
Deshalb wollte er heute so viel wie möglich abarbeiten.
Jetzt am späten Abend dieses Dienstags muss es aber gut sein.
Es ist bereits dunkel und der Firmenparkplatz ist fast leer, als er sich von seiner Kollegin verabschiedet und zu seinem BMW geht.
Nur ein weißer Lieferwagen parkt neben ihm. Nichts Ungewöhnliches im Gewerbegebiet.
Bei seinem Auto angekommen schließt der 40-Jährige seinen Wagen auf und lässt sich auf den Fahrersitz fallen, als sich ganz plötzlich die Schiebetür des Lieferwagens neben ihm öffnet.
Ein großer Mann springt heraus. Er trägt eine Motorradhaube und hat einen Elektroschocker in der Hand, mit dessen Gehäuse er überall auf Ben einschlägt.
Ben versucht sich zu wehren und schreit aus Leibeskräften um Hilfe.
Er ist sportlich und kräftig. Während Ben und sein Angreifer allein, hätte er vielleicht eine Chance gegen ihn.
Doch während die beiden Männer miteinander ringen, schwingt sich ein zweiter, ebenfalls maskierter Mann auf den Rücksitz des BMWs.
Er beginnt von hinten an Ben zu zerren, während der erste Unbekannte weiter von vorne auf ihn einprügelt.
Ben schreit weiter, doch um sie herum liegen nur Bürogebäude und es ist spät abends.
Keine Menschenseele kann ihn hören.
Mit jeder Sekunde, die er gegen die zwei Männer kämpft und mit jedem Schlag, den er einsteckt, spürt Ben, wie ihm die Kraft ausgeht.
An seinem Kopf läuft Blut herunter, als ihn die Männer schließlich aus seinem Auto auf die Ladefläche ihres Lieferwagens ziehen.
Ben schlägt und tritt noch immer um sich. Einer der Männer stürzt deshalb.
Dem anderen kann er die Maske vom Kopf ziehen. Darunter kommen kalte, grüne Augen zum Vorschein.
Ben kann nur hoffen, dass sie nicht das Letzte sind, das er jemals sehen wird.
2. Oktober, einen Tag nach der Entführung.
Als Bens Mutter Martha am Mittwochmorgen ins Büro kommt, wundert sie sich nicht, dass der Schreibtisch ihres Sohnes leer ist.
Schließlich hat er ab heute Urlaub.
Martha arbeitet ebenfalls im Familienunternehmen, das Ben vor einigen Jahren von seinem Vater, der inzwischen verstorben ist, übernommen hat.
Martha teilt sich ein Büro mit Bens Geschäftspartnerin Ingrid, der sie auch heute wie an jedem gewöhnlichen Arbeitstag einen guten Morgen wünscht.
Um 10.30 Uhr klingelt das Telefon auf Ingrids Schreibtisch. Nichts ahnt, hebt sie den Hörer ab.
Nach nur wenigen Sekunden stellt sie den Anruf laut, sodass Martha mithören kann.
In der Leitung ist ihr Sohn Ben.
Er sei heute Nacht entführt worden, sagt er.
Martha fällt sofort auf, dass er viel leiser und langsamer spricht als sonst.
Man verlangt dreieinhalb Millionen. Es wird nichts passieren, wenn dieses Geld kommt, hört Martha ihren Sohn sagen.
Er klingt übermüdet und krank. Er sei in einem Keller, man habe ihm ein Handy gebracht und nur diesen einen Anruf erlaubt.
Das Geld soll in 1000 Mark Scheinen vorbereitet werden. Wenn die Polizei eingeschaltet werde, sei sein Leben in Gefahr.
Dann bricht die Leitung ab.
Entführung. Dreieinhalb Millionen. Keine Polizei.
Es dauert einige Sekunden, bis die Worte ihre Wirkung entfalten.
Beide Frauen stehen unter Schock. Bis eben dachte Bens Mutter, ihr Sohn sei heute im wohlverdienten Urlaub.
Jetzt soll er entführt worden sein.
Martha und Ingrid wissen nicht, wo Ben ist oder wer ihn in seiner Gewalt hat.
Aber eine Sache ist für beide klar.
Sein Leben ist in Gefahr und sie müssen sich entscheiden, ob sie sich an die Forderung halten und die Polizei nicht einschalten.
Oder ob sie das Risiko eingehen und Ben damit womöglich noch mehr in Gefahr bringen.
Zu diesem Thema Polizei einschalten oder nicht, das ist für die Angehörigen von Entführungsopfern ja voll das Dilemma immer.
Weil einerseits will man die EntführerInnen natürlich nicht verärgern und deren Forderung ist ja meist wie hier ganz klar keine Polizei, sonst passiert halt was.
Auf der anderen Seite ist man natürlich als Familienmitglied oder zugehörige Person maßlos überfordert mit so einer Ausnahmesituation.
Und will halt zum einen sicherstellen, dass die geliebte Person so schnell wie möglich lebend nach Hause kommt.
Und zum Zweiten braucht man ja auch selbst den Beistand von Menschen, die Ruhe bewahren können und die für sowas geschult sind.
Und das ist ja nun mal die Polizei.
Andreas Marti, der ist Staatsanwalt in Konstanz, der hat in einem Interview mit der FAZ gesagt, dass aus Sicht der Ermittlungsbehörden immer angeraten wird, die Polizei einzuschalten.
Schon allein deshalb, weil sich Angehörige sonst unter Umständen sogar strafbar machen könnten.
Da gibt es nämlich zwei Delikte, die da in Frage kommen.
Einmal die unterlassene Hilfeleistung und die Nichtanzeige geplanter Straftaten.
Ich meine, ob dann aber auch wirklich verurteilt wird am Ende, das hängt stark vom Einzelfall ab.
Es kommt dann nämlich vor allem auf die sogenannte Zumutbarkeit der Hilfeleistung oder aber der Anzeigenerstattung an.
Also heißt, kann man von den Angehörigen überhaupt erwarten, dass sie einschreiten?
Und das hängt zum Beispiel von ihrer Lebenserfahrung ab, weil einem Jugendlichen, der irgendwie Angst um seine entführten Eltern hat,
dem kann man nicht unbedingt zutrauen, dass er die Polizei einschaltet, wenn die EntführerInnen das Gegenteil von ihm verlangen.
Aber von einem durchschnittlichen Erwachsenen eigentlich schon.
Und da könnten diese Straftatbestände dann unter Umständen schon greifen.
Es gab aber schon mehrere Entführungen, bei denen die Angehörigen im Laufe der Ermittlungen entschieden haben, die Zusammenarbeit mit der Polizei zu beenden.
Entweder halt, weil sie das Vertrauen der EntführerInnen nicht verspielen wollten oder weil sie die Vorgehensweise der Polizei kritisiert haben.
So war das beispielsweise damals bei der Entführung der Achtjährigen Nina von Gallwitz.
Die wurde 1981 auf ihrem Schulweg in Köln entführt.
Die Eltern haben Ninas Verschwinden schnell bemerkt und die Polizei schon eingeschaltet,
bevor sie überhaupt eine Forderung von den EntführerInnen erhalten haben.
Und es kam dann über mehrere Wochen hinweg zu drei verschiedenen Versuchen, das Lösegeld zu übergeben.
Aber die unbekannten TäterInnen haben die Aktion immer wieder abgebrochen, weil die Polizei halt involviert war.
Und nach drei Monaten und drei geplatzten Übergaben, was man sich auch mal vorstellen muss, was das für Nerven kostet,
haben Ninas Eltern dann eben sich dazu entschieden, nicht mehr sich von der Polizei beraten zu lassen.
Und stattdessen haben sie Franz Tatarotti, einen Journalisten, angefragt, ob er ihnen hilft.
Und diesen Tatarotti kannte man aus der Öffentlichkeit, weil der auch bei der Entführung von den Kindern von Dieter Kronzucker mitgeholfen hat.
Und da Ermittler war, Dieter Kronzucker ist ja dieser bekannte Journalist von N24,
der mich letztendlich auch zum Journalismus überhaupt gebracht hat.
Ja, wer die Geschichte dazu hören will, der muss unsere Folge...
Ja.
Ja.
Aber welche Folge?
Ich würde mal sagen, Folge 5 hören.
Warte, ich gucke kurz.
Was kriege ich, wenn ich richtig liege?
Feuchten Händedruck.
Was willst du denn haben?
Nee, das war früher.
Das war sogar 3.
Das war Folge 3.
Feuchten Händedruck.
Du weißt doch, was wir immer machen.
Es gibt immer ein Essen als Einsatz.
Was hast du gesagt?
Welche Folge?
Folge 3.
Ich krieg ein Essen.
Ich krieg ein Essen.
War es 5 oder was?
Ja.
Ich möchte in die Novemberbrasserie oder ich möchte auch gerne mal ins Veronika ausgeführt werden.
Das könntest du übernehmen.
Man muss immer seiner Intuition folgen und dabei bleiben, was einem erst in den Kopf kommt bei so Erinnerungssachen.
Naja, gut.
Okay.
Das machen wir dann.
Da werde ich mir schön den Bauch vollschlagen.
Okay.
Auf jeden Fall hatte der Journalist Franz Tatarotti halt eben auch Ninas Eltern geholfen.
Der hat nämlich über Zeitungsannonsen Kontakt zu den EntführerInnen aufgenommen und sich dann haargenau an deren Forderungen gehalten.
Und bei einer vierten Lösegeldübergabe hat er dann an einer bestimmten Stelle 1,5 Millionen D-Mark aus einem fahrenden Zug geworfen.
Und drei Tage später war Nina dann auch frei.
Okay.
Also in dem Fall war es dann wohl ganz klar die richtige Entscheidung von den Angehörigen, sich von der Polizei sozusagen zu trennen und auf eigene Faust weiterzumachen.
Aber grundsätzlich sollte bei einer Entführung schon immer die Polizei eingeschaltet werden.
Und so machen das ja jetzt auch Bens Angehörige in unserem Fall.
Also stehen wenig später Mitarbeitende der Kriminalpolizei auf dem Parkplatz der Firma, wo auch Bens Auto noch immer geparkt ist.
Alles im Innenraum des BMW deutet darauf hin, dass hier ein Kampf stattgefunden hat.
Die grauen Lederbezüge sind voller Blutflecken.
Auch Bens Armbanduhr, die er im Kampf mit den Entführern verloren haben muss, liegt blutverschmiert auf dem Rücksitz.
Die ErmittlerInnen durchforsten jeden Winkel des Wagens, nehmen DNA-Proben, machen Fotos.
Alles in der Hoffnung, so einen Hinweis auf die Täter zu bekommen.
Genauso akribisch wie Bens Auto durchleuchtet die Kripo auch seine Vergangenheit.
Der Mann mit dem dichten, dunklen Haar und den buschigen Augenbrauen kommt aus einer sehr wohlhabenden Frankfurter Familie mit dem Nachnamen Mendel.
Sein Vater, ein Überlebender des Holocaust, hat nach dem Krieg sein Geld mit Immobiliengeschäften und dem Import von Videorekordern aus Japan gemacht und eine erfolgreiche Firma aufgebaut.
Das Unternehmen, das Ben übernommen hat, wirft noch immer viel Gewinn ab.
So viel, dass es ihn zu einem der reichsten Frankfurter macht und zu einem Entführungsopfer, von dessen Familie viel Geld erpresst werden kann.
Doch vom Reichtum der Mendels weiß beinahe niemand.
Auch Ben hat sich nie in der Öffentlichkeit gezeigt oder mit seinem Geld um sich geworfen.
Deswegen stellt sich die Polizei die Frage, ob vielleicht jemand im näheren Umfeld für die Entführung verantwortlich sein könnte.
Ben hat keine Feinde. Er hat mit niemandem Streit, sagt seine Mutter Martha.
Im Gegenteil. Ihr Sohn ist ein großzügiger Freund und ein Geschäftsführer, der seine Mitarbeitenden wertschätzt.
Martha erzählt, dass Ben alleine und er zurückgezogen in einem großen Haus in einem Villenviertel wohnt.
Er hat eine Freundin, aber keine Kinder.
Seine Privatsphäre ist ihrem 40-jährigen Sohn enorm wichtig.
Nie wäre er über irgendwelche roten Teppiche der Frankfurter Schickeria stolziert.
Nur einmal ist sein Name in den Zeitungen erschienen.
Damals hat er viel Geld investiert, um ein Musical vor dem Auszuretten, das in einer Synagoge aufgeführt wurde.
Die jüdische Gemeinschaft liege Ben sehr am Herzen, sagt seine Mutter.
Er ist selbstgläubiger Jude.
Der Glaube hat in ihrer Familie schon immer einen hohen Stellenwert.
Martha versucht, einen klaren Kopf zu bewahren, als die Polizei sie zu ihrem verschwundenen Sohn befragt.
Dabei wütet seit dem Anruf am Morgen das Chaos in ihr.
Denn es ist nicht das erste Mal, dass eine Entführung ihre Familie erschüttert.
Schon vor fünf Jahren ist Noah verschwunden, Martha's Enkelkind, der Sohn von Bens älteren Bruder Samuel, also Bens Neffe.
Er war damals erst sechs Jahre alt und zusammen mit seiner sieben Jahre alten Freundin Clara auf dem Weg in die Schule.
Doch da kamen die Kinder nie an.
Sie wurden von zwei Männern in einen Wagen gezerrt und mitgenommen.
Ihre Familien waren krank vor Sorge.
Tag und Nacht haben sie auf ein Lebenszeichen der Kinder gewartet, das schließlich per Post kam.
Ein Erpresserbrief und ein gruseliges Polaroid-Foto in einem Kuvert.
Die ängstlichen Gesichter von Noah und Clara, die auf dem Foto zu sehen waren, haben sich bis heute in Marthas Gedächtnis eingebrannt.
Für ihre Freilassung haben die Entführer damals zwei Millionen US-Dollar verlangt.
Noahs Eltern haben das Geld beschafft, doch noch vor der Übergabe hat sie ein erlösender Anruf erreicht.
Noah und Clara wurden an einer Tankstelle abgesetzt, ohne dass hier ein Lösegeld gezahlt wurde.
Martha kann sich noch immer daran erinnern, wie viele Steine ihr damals vom Herzen gefallen sind.
Doch die Entführer wurden nie gefasst.
Noah und Clara konnten der Polizei nur sagen, dass sie in einem kalten Keller ohne Fenster festgehalten wurden.
Und dass sie drei Tage lang schreckliche Angst hatten.
Eine Angst, die auch Martha nachfühlen kann und die sie am liebsten für immer ganz tief in ihrem Inneren begraben hätte.
Doch es kam anders.
Einen Monat nach der Entführung ihres Enkelkinds, vor ca. 5,5 Jahren, hat Marthas Ehemann, der damals noch am Leben war, einen weiteren Brief der Entführer erhalten.
Diesmal wurden drei Millionen Mark erpresst.
Wenn er nicht zahle, würde es bald noch jemanden aus der Familie Mendel treffen, lautete die Drohung.
Um ihr Nachdruck zu verleihen, wurden im Brief Alltagsgewohnheiten der einzelnen Familienmitglieder aufgelistet, über die sie offenbar Bescheid wussten.
Unter anderem auch die von Ben.
Doch Marthas Ehemann, Bens Vater, entschied sich damals gegen die Zahlung.
Seitdem haben sie nie wieder von den Entführern gehört.
Doch was, wenn sie jetzt zurück sind und diesmal noch skrupelloser vorgehen?
Was, wenn sie nun Ben in ihrer Gewalt haben?
4. Oktober.
Drei Tage nach der Entführung und fast genau 48 Stunden nach dem ersten Anruf klingelt im Büro von Martha und Co-Geschäftsführerin Ingrid wieder das Telefon.
Als Ingrid den Hörer in die Hand nimmt, startet am anderen Ende der Leitung ein Tonband mit Bens Stimme.
Ein persönlicher Anruf sei inzwischen zu gefährlich, sagt er.
Heute um 18.30 Uhr solle man sich bereithalten für die Geldübergabe.
Wenn die Polizei eingeschaltet ist, wird die Übergabe abgebrochen und ich bin tot, sagt Ben.
Dann bricht die Verbindung ab.
Die wenigen Sätze auf dem Band reichen, um zu hören, dass es ihm nicht gut geht.
Er klingt, als könne er nicht atmen und als habe er Schmerzen.
Ihm läuft die Zeit davon. Oder ist sie schon abgelaufen?
Warum sonst spricht Ben plötzlich nur noch auf einer Tonbandaufnahme?
Was, wenn er schon gar nicht mehr am Leben ist?
Seiner Familie und der Polizei bleiben neun Stunden Zeit, um sich eine Strategie zu überlegen.
Zahlen sie und hoffen, dass sie Ben schnell wiedersehen?
Oder lassen sie sich nicht auf die Forderung der Entführer ein?
Die Entscheidung fällt auf Letzteres.
Bens Angehörige wollen erst ein Lebenszeichen, bevor sie den Entführern das Geld geben.
Sie wollen eine Versicherung dafür, dass Ben noch lebt.
So sitzt die Polizei um 18.30 Uhr wieder in Ingrids Büro und wartet auf weitere Anweisungen.
Der Anruf kommt pünktlich.
Wieder startet eine Kassette mit Bens Stimme, in der er Ingrid auffordert,
jetzt auf die Autobahn in Richtung Frankfurt-Flughafen zu fahren.
An einem Kilometerschild soll hinter einer Leitplanke eine weitere Nachricht versteckt sein.
Ist alles in Ordnung, bin ich am Samstagvormittag wieder frei, sagt Ben auf Band.
Dann startet die Aufnahme wieder von vorn.
Gemeinsam mit einem Polizeibeamten fährt Ingrid los zum ersten Ort, den die Entführer benannt haben.
Das Ganze gleicht einer makabren Schnitzeljagd.
Immerhin, an der besagten Leitplanke finden Ingrid und der Polizist einen Umschlag, in dem ein Papier steckt.
In krakeliger Handschrift steht darauf, dass sie zehn Meter weiter fahren sollen.
Dort, kurz bevor die Autobahn auf eine Brücke führt, sei eine Tür in die Schallschutzmauer eingelassen.
An der Tür soll Ingrid die 3,5 Millionen Mark abstellen und dann wegfahren.
Ingrid und der Polizist steigen zurück ins Auto.
Vor der Schallschutztür direkt neben der Autobahn legen sie aber keine Tasche mit Geld ab,
sondern lediglich einen Umschlag mit einer eigenen Nachricht.
Ohne Lebenszeichen kein Geld.
Ich fahre zurück in die Firma.
Geld liegt im Büro.
Bitte melden.
Ich komme dann wieder.
Als Ingrid kurze Zeit später wieder an ihrem Schreibtisch sitzt,
mit mehreren Beamtinnen der Krippe um sie herum, ist die Anspannung im Raum förmlich spürbar.
Sich gegen die Forderung der Entführer aufzulehnen, ist ein riskanter Schachzug in einem Spiel um Leben und Tod.
Ob die Gegner fair spielen, wird sich jetzt zeigen.
Doch das Telefon gibt keinen Laut von sich.
Jede Sekunde, die verstreicht, macht die Stille im Raum lauter.
Jede Minute nimmt den Anwesenden einen Funken ihrer Hoffnung, bis nichts mehr davon übrig ist.
Stunden später fahren Beamtinnen des LKA zurück an die Stelle, an der Ingrid vorhin ihre Nachricht abgelegt hat.
Sie liegt noch immer dort.
Trotzdem sind sich die ErmittlerInnen sicher, dass die Entführer hier waren und nach dem Geld gesucht haben.
Wahrscheinlich haben sie stattdessen die Nachricht gefunden und wütend liegen gelassen.
Und da muss man ja sagen, wieso ist da vor Ort keiner geblieben vor dieser Tür, um zu gucken, wer da kommt und das Geld sucht.
Also das ist wirklich unbegreiflich für mich.
Ja genau, weil sie haben ja bis jetzt wirklich gar keinen Anhaltspunkt und damit hätten sie ja irgendetwas in der Hand gehabt.
Ich meine, na klar, ich kann mir vorstellen, dass sie halt partout nicht wollten, dass die Entführer irgendwas davon mitbekommen.
Aber ich meine, die saßen ja sogar mit im Auto.
Also ich meine, man hat da jetzt nicht so wirklich ein Verständnis für.
Ich kann mir nur vorstellen, dass sie halt gedacht haben, das ist zu gefährlich und dass die Entführer das mitbekommen würden.
Hoffentlich war es das und nicht, dass sie es einfach vercheckt haben.
Na, das glaube ich nicht. Also das glaube ich eigentlich wirklich nicht.
Nee, wahrscheinlich nicht, weil sie vermuten ja, dass die Entführer auch da waren und nach dem Geld gesucht haben.
Und deswegen beauftragen sie auch die Spurensicherung, die Stelle zu untersuchen.
Viel Hoffnung auf Hinweise haben sie jetzt nicht, aber als die Beamtinnen die Klinke der Schallschutztür herunterdrücken und sie sich öffnet, fällt ihnen etwas auf der Rückseite der Tür auf.
Ein kleines, rechteckiges Holzstück, das von hinten ins Eisenschloss der Tür geschoben wurde.
Vielleicht um das Schlüsselloch zu verdecken?
Das Holz wirkt neu, hellbraun, frisch geschnitten.
Nichts daran deutet auf eine Verwitterung hin, die hier an der Autobahn bei Wind und Wetter üblich wäre.
Vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Entführer die Tür erst kürzlich damit präpariert haben?
Das Holzstück wird jedenfalls zur Untersuchung mit ins Labor genommen.
6. Oktober.
Fünf Tage nach der Entführung, rund 190 Kilometer von Frankfurt entfernt.
In dem Briefkasten eines Kölner Hauses liegt ein Brief.
Es ist der Kasten von Bens Bruder Samuel, der Vater des kleinen Noah, der vor fünf Jahren entführt wurde.
Das Blatt Papier, das im Umschlag steckt, ist mit dem Computer geschrieben worden.
Darauf steht, dass die Entführer wieder da und diesmal sehr gut vorbereitet sind.
Sie schreiben, dass sie von nun an nicht mehr mit Ingrid kommunizieren werden, weil sie arrogant und von der Polizei schlecht beraten worden sei.
Es werde ab sofort auch keine Anrufe mit Bens Stimme mehr geben.
Wenn Samuel seinen Bruder je wiedersehen will, müsse er jetzt schnell handeln.
Denn Ben sei bei der Entführung am Kopf verletzt worden und habe sich zwei Rippen gebrochen.
Er wird daran nicht sterben, aber es wäre besser, wenn er so schnell wie möglich in Behandlung käme, schreiben die Unbekannten.
Sie wollen jetzt mehr Geld, insgesamt vier Millionen Mark, die in Tausender Scheinen in einer Stofftasche ohne Polizei übergeben werden sollen.
Wann und wo werde Samuel im Laufe der nächsten Woche mitgeteilt, steht im Erpresserbrief.
Die Sätze bestätigen die schlimmste Vermutung der Familie Mendel.
Ben ist schwer verletzt.
Wo auch immer er ist, er muss Angst und Schmerzen erleiden und er bekommt nicht die medizinische Hilfe, die er dringend benötigt.
Und verantwortlich sind dieselben Menschen, die vor fünf Jahren Samuel Zonoa und seine Schulfreundin entführt haben.
Wie kalt und abgebrüht kann man sein, wenn man dieselbe Familie zweimal terrorisiert und ihnen die liebsten Menschen klaut, als wären sie entwendbare Gegenstände.
Die Gefahr, die von den Entführern ausgeht, ist enorm.
Der Versuch, die Unbekannten einzuschüchtern, ist offenbar fehlgeschlagen.
Der Familie bleibt nur eines.
Sie müssen ihre Strategie ändern und alles auf eine Karte setzen.
Denn wenn das, was die Entführer schreiben, stimmt, dann geht es Ben auch körperlich nicht gut und sie müssen ihn da rausholen.
Koste es, was es wolle.
Bei der zweiten Lösegeldübergabe darf nichts mehr schief gehen.
Diesmal müssen alle gut zusammenarbeiten.
Familie und Polizei.
Und hier mal kurz zu der Lösegeldübergabe.
Das ist ja immer die heikelste Situation einer Entführung.
Also sowohl für die TäterInnen, die ja ihre Deckung für die Geldübergabe aufgeben müssen,
als auch für die Polizei, die ja nach den Regeln der EntführerInnen spielen muss, um das Opfer nicht zu gefährden.
Aber die Polizei will natürlich auch die TäterInnen eigentlich aus der Reserve locken.
Und deswegen stellt sich für die ErmittlerInnen an der Stelle dann die Frage,
ob sie eine sogenannte passive Erfüllungs- oder eine offensivere Zugriffsstrategie fahren.
Passiv bedeutet, dass sie die Situation zwar begleiten, aber halt möglichst unauffällig und verdeckt im Hintergrund bleiben.
Also die Geldübergabe beobachten und hoffen, dass die EntführerInnen das Opfer anschließend freilassen
und dann erst, wenn der oder diejenige dann in Sicherheit ist, aktiv mit der Ermittlung beginnen.
Und dafür entscheiden sich jetzt auch die ErmittlerInnen bei der zweiten Lösegeldübergabe im Fall von Ben,
weil sie die Sache auf keinen Fall vermasseln und Bens Leben halt weiter gefährden wollen.
Ja, und die andere Option wäre aber eben dann diese Zugriffslösung.
Hier versucht die Polizei, die EntführerInnen noch am Ort der Geldübergabe festzunehmen.
Falls das klappt, hoffen die BeamtenInnen darauf natürlich, so schnell wie möglich von den TäterInnen zu erfahren,
wo sie die entführte Person festhalten.
Damit ist aber natürlich ein höheres Risiko verbunden, weil es kann ja sein,
dass die TäterInnen bei der Geldübergabe entkommen können
oder dass es sich halt gar nicht um die HaupttäterInnen handelt
oder dass sie halt erst recht nicht preisgeben, wo die das Opfer festhalten.
Also diese Situation ist wirklich sehr, sehr tricky.
10. Oktober, neun Tage nach der Entführung.
Bens Bruder Samuel ist mit einem Polizeibeamten im Auto auf der A3 in Höhe Itzstein
zwischen Wiesbaden und Limburg unterwegs.
Er hat zwei weitere Briefe erhalten, aufgrund derer er weiß,
dass sie sich einem grauen Fiat nähern, der ohne Nummernschilder am Straßenrand stehen wird.
Dort neben dem leeren Wagen soll er die Tasche mit dem Geld abstellen.
Acht Pakete mit insgesamt vier Millionen Mark umwickelt mit Alufolie,
wie es die Entführer verlangt haben.
Vier Millionen Mark, die Bens Leben retten sollen.
Doch entwischen sollen die Täter auch diesmal nicht.
Denn entlang der Stelle, an der der verlassene Fiat steht,
befinden sich BeamtInnen in Zivil, die die Autobahn überwachen.
Ihr Ziel ist es, die Täter beim Abholen des Geldes zu beobachten
und so zu ihnen geführt zu werden.
Und natürlich zu Ben.
Damit soll der Terror endlich beendet werden,
der die Familie Mendel nun schon zum zweiten Mal heimsucht
und bis heute seine Auswirkungen hat.
Nur er hat noch immer Probleme damit, anderen Menschen zu vertrauen
und kann auch fünf Jahre später nur schlecht über die drei Tage sprechen,
die er in einem dunklen Verlies verbringen musste.
Samuel will, dass das alles endlich aufhört.
Und er will seinen Bruder Ben zurück.
Also stellt er bei dem Fiat angekommen die Tasche mit den vier Millionen Mark
neben das Auto.
Dann fährt er davon, in der Hoffnung,
dass dies der letzte Schachzug gewesen ist.
Was Samuel nicht sieht, ist, dass etwa zur selben Zeit, nur wenige Kilometer entfernt,
ein schwarzer Geländewagen auf einen Pendler-Innenparkplatz einbiegt.
Er hält dort einige Minuten lang im Schatten der Dunkelheit.
Dann fährt das Auto wieder in Richtung Autobahn davon.
Ein Polizist in Zivil, der auf einem nahegelegenen Feldweg steht,
beobachtet den schwarzen Opel.
Er kann nicht sehen, ob bei dem kurzen Halt jemand ausgestiegen ist.
Aber ihm fällt auf, dass das Auto mit Offenbacher-Kennzeichen auf den Parkplatz rauf
und mit polnischem Nummernschild wieder herunterfährt,
wohl um sein deutsches Kennzeichen zu verbergen.
Doch der Beamte hat es sich aufgeschrieben und gibt es an die Zentrale durch.
Es ist der entscheidende Hinweis.
Denn obwohl auch in der Nähe der Lösegeldübergabe PolizistInnen positioniert sind,
können sie nicht sehen, wer die vier Millionen Mark abholt.
Zu unübersichtlich ist die Stelle an der vielbefahrenen Straße.
Zu viele Autos trüben den Blick.
Und plötzlich ist das Geld weg.
Ey, wie wird es später, wenn man so kleine Bienendrohnen hat,
die immer im Einsatz sind und die dann sowas überwachen könnten?
Hast du diese Folge von Dark Mirror geguckt?
Nee.
Wie kommst du jetzt auf Bienendrohnen?
Weil es ist doch ein Thing, oder nicht?
Das wusste ich nicht.
Dass dann so kleine Drohnen dann halt aussehen wie Tiere.
Ja.
Habe ich jetzt auch neulich bei Rezo in der Story gesehen.
Das war so eine Drohntaube.
Die sah ganz echt aus.
Was?
Echt?
Mit Federn oder wie?
Es sah so aus.
Es sah so aus wie die Taube, die hier neulich in meinem Wohnzimmer war.
Es fehlte ihr an nichts.
Und, warte mal, war die in der Luft?
Nein.
Okay. Kann ich mir ja nicht so gut vorstellen, dass das auch in der Luft dann so echt aussieht.
Naja, ich will nur sagen, wenn diese kleinen Drohnen vielseitig eingesetzt werden,
dann haben wir zwar 1984, aber hier hätte man dann eben gesehen, wer das Geld wegholt.
Ja.
Das hat man jetzt ja in dem Fall nicht getan.
Aber dafür können BeamtInnen einige Kilometer weiter abermals den schwarzen Geländewagen erkennen,
der jetzt wieder sein Offenbacherkennzeichen führt.
Zufall?
Wohl eher nicht.
Die BeamtInnen in Zivil nehmen die Verfolgung auf.
Möglichst unauffällig fahren sie dem Geländewagen hinterher bis zu einem Berufsschulzentrum,
wo zwei Männer aus dem Wagen aussteigen, sich umarm und getrennte Wege gehen.
Der eine, sichtlich jüngere Mann geht hinüber zu einem anderen Auto, das auf dem Parkplatz der Berufsschule steht und fährt davon.
Der Ältere steigt wieder in den schwarzen Ben ein.
Die Polizei fährt ihm mit Abstand hinterher, bis nach Langen, einer Vorstadt von Frankfurt.
Die BeamtInnen sehen dabei zu, wie der Mann mit Vollbart in einer ruhigen Wohngegend parkt und zu einem unscheinbaren Einfamilienhaus hinüber geht, dessen Haustür er aufschließt.
Dort scheint ihn jemand zu erwarten.
Jedenfalls brennt drinnen ein warmes Licht.
Kann es sein, dass der Mann, der hier wohnt, Ben gefangen hält.
11. Oktober.
Zehn Tage nach der Entführung und einen Tag nach der Lösegeldübergabe.
Eigentlich hatten die Entführer angekündigt, Ben am Morgen freizulassen,
Doch bisher hat seine Familie noch kein Lebenszeichen von ihm erhalten.
Dafür hat die Polizei aber über Nacht einen Namen ermittelt.
Volker Schneider.
Es ist der Mann, auf den der schwarze Geländewagen zugelassen ist und der in dem unscheinbaren Einfamilienhaus in Langen lebt.
Er ist der Polizei nicht unbekannt.
In seiner Akte steht, dass der Malermeister bereits mehrfach vorbestraft ist und eine elfjährige Haftstrafe unter anderem wegen Raubes und schwerer Körperverletzung mit Todesfolge abgesessen hat.
Außerdem gibt es eine Verbindung zu Ben.
Volkers Frau Bianca ist in Bens Firma angestellt.
Um Bens Sicherheit nicht zu gefährden, besteht die Polizei, Volker zunächst zu observieren.
Bei einer direkten Festnahme könnte es sein, dass der Täter den Aufenthaltsort seines Opfers als Druckmittel verschweigt.
Wenn sie ihn nur beobachten, stehen die Chancen gut, dass Volker die BeamtInnen unwissentlich selbst dorthin führt, wo er Ben versteckt hält
oder dass er Kontakt zu eventuellen MittäterInnen aufnimmt, deren Identität sie noch nicht kennen.
Ja, weil sie den anderen ja zum Beispiel auch nicht verfolgt haben, den er da umarmt hat auf dem Parkplatz.
Und da wären wir wieder bei Sachen, die ich nicht verstehe in dieser Ermittlung.
Ja, es ist, ähm, man weiß es nicht.
Durch die Überwachung jetzt von dem Volker hoffen die ErmittlerInnen auf Hinweise, aber Volker verhält sich unauffällig.
Einen Tag lang warten die BeamtInnen ab, dann entscheiden sie sich dafür, einen Schritt zu gehen, den sie bisher absichtlich nicht eingeleitet haben.
Sie machen die bislang verdeckten Ermittlungen öffentlich und wenden sich mit der Suche nach Ben an die Medien, um den Druck auf die Täter zu erhöhen.
Und das wirkt jetzt vielleicht auch erstmal so ein bisschen verwirrend, dass so ein großer Fall erst zehn Tage nach der Entführung irgendwie an die Öffentlichkeit geht.
Aber das ist tatsächlich gar nicht selten.
Im Jahr gibt es in Deutschland etwa 80 Entführungsfälle und ein Viertel davon wird schon bei der Tatausführung gestoppt, weil das Opfer sich wehrt oder flüchten kann oder ähnliches, sagt Frank Roselieb, Direktor des Instituts für Krisenforschung in Kiel, der Familien bei Entführung berät, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.
Es bleiben also 60 Fälle im Jahr übrig, also etwas mehr als einer pro Woche in Deutschland, aber über die allerwenigsten davon wird berichtet, weil man eben Nachahmungstaten verhindern will.
Und ich meine, da müssen wir ja nun mal drüber nachdenken, wie oft lesen wir von irgendeiner Entführung oder so.
Also ich wirklich nicht oft in den Medien, ja.
Nee.
Genau, und das geht eben um diese Nachahmungstaten.
Zitat, die Entführung ist das einzige Verbrechen, bei dem man mit einer einzigen Tat eine Million Euro verdienen kann.
Dafür wollen die Behörden möglichst wenig Werbung machen, sagt Roselieb.
Außerdem will man oft den Druck auf die TäterInnen nicht erhöhen, weil sonst die Opfer noch mehr in Gefahr sind.
Ja, die Medien werden halt erst eingeschaltet, wenn die Polizei oder die Angehörigen wirklich keine andere Wahl mehr sehen.
Also so wie jetzt im Fall von Ben, wo sich die Entführer trotz der Lösegeldübergabe einfach nicht mehr melden.
Im Fall von der 17-jährigen Annelie, der Tochter eines wohlhabenden Bauunternehmers, die 2015 entführt wurde,
hatten sich die Entführer schon nach der Lösegeldforderung einfach nicht mehr gemeldet.
Allgemein hatte man da das Gefühl, dass die nicht so ganz wussten, was sie machen.
Und deshalb sind Annelies Eltern dann vier Tage nach der Entführung schon an die Öffentlichkeit gegangen,
weil man dachte, dass man die Entführer vielleicht noch irgendwie zur Vernunft bringen könnte.
In Abstimmung mit der Polizei haben die Eltern an jedem einen Brief veröffentlicht,
in dem sie sich direkt an die Entführer gewandt haben.
Nach dem Motto, wenn sie Annelie freilassen, dann würden sie eine mildere Strafe erwarten.
Ja, weil manchmal merken die EntführerInnen nämlich selbst, dass ihnen das Verbrechen irgendwie über den Kopf fängt.
So zum Beispiel im Fall von Unternehmersohn Markus Wirth.
Der wurde 2015 im selben Jahr wie Annelie entführt, kam aber nach nur einem Tag ohne eine Zahlung von Lösegeld unversehrt wieder frei.
Und wer ihn entführt hat, das weiß man bis heute nicht.
Ja, und bei Annelie ging das leider anders aus.
Fünf Tage nach der Entführung wurde nämlich die Leiche der 15-Jährigen auf einem entlegenen Bauernhof gefunden.
Und gleichzeitig auch DNA-Spuren der Täter, die dann zum Glück, wenigstens das, später verurteilt werden konnten.
Ja, und die Zahl der Entführungen ist übrigens auch durch so DNA-Analysen, Handyortungen und solche Sachen halt extrem zurückgegangen.
Und weil Entführungen so kompliziert sind, hinterlassen die TäterInnen auch fast immer Spuren.
Und deswegen werden fast 90 Prozent der Entführungen auch aufgeklärt.
12. Oktober, elf Tage nach der Entführung und zwei Tage nach der Lösegeldübergabe.
Über Nacht ist das geschehen, was Ben immer versucht hat zu vermeiden.
Jeder in Frankfurt kennt nun seinen Namen, denn seine Entführung beherrscht die Schlagzeilen der Zeitung.
Auf den Titelseiten prangt immer dasselbe Bild.
Es ist ein Passfoto, auf dem Ben ausdruckslos in die Kamera blickt.
Sein dichtes Haar fällt ihm in die Stirn.
Zeitgleich mit den Schlagzeilen beginnt erstmals eine groß angelegte Suchaktion.
Doch wie findet man jemanden, der wie vom Erdboden verstuckt scheint?
Hundertschaften der Polizei starten von dem Punkt an der A3, wo das Lösegeld an dem leerstehenden Auto abgelegt wurde.
Von hier aus durchkämmen sie Felder, Wege und Waldstücke.
Helikopter fliegen über den angrenzenden Taunus nordwestlich von Frankfurt,
in der Hoffnung, dass die Wärmebildkameras irgendwo anschlagen und Bens Aufenthaltsort offenbaren.
Zudem werden Flugblätter an AnwohnerInnen in der Nähe ausgehändigt.
Doch alle Anstrengungen sind vergebens und alle Hinweise gehen ins Leere.
Vier Tage lang passiert nichts.
Kein Zeichen von Ben.
Nirgends.
Dann ein Anruf.
Eine Frau aus Wiesbaden teilt der Polizei mit, dass sie spätabends einen Mann dabei beobachtet hat,
wie er in einem angrenzenden Garten in der Nachbarschaft etwas vergraben hat.
Sie vermutet einen Zusammenhang mit der Entführung.
Die Polizei beprüft die Adresse.
Ein Volltreffer.
Bei dem Garten handelt es sich um das Grundstück von Volker Schneiders Eltern.
Der Mann, den sie ohnehin schon observieren.
Bislang allerdings ohne aufschlussreiche Erkenntnisse.
Und wenn ihr jetzt Laura sehen könntet, der platzt gleich die Rübe vor Aufregung.
Weil die das nicht fassen kann, dass der observiert wird, eigentlich dieser Mann.
Ja.
Und sich jetzt, ne?
Ja.
Also, observiert wird, in Anführungsstrichen.
Ja.
Also, die Polizei muss quasi darauf warten, dass eine Frau sieht, wie Volker irgendwo was vergräbt.
Okay, wo man sich dann fragt, war der Polizist oder die Polizistin, der oder die Volker an diesem Tag beobachten sollte,
war die irgendwie Donuts kaufen?
Oder wie konnte man das nicht mitbekommen?
Oder hat man es mitbekommen?
Und dachte, naja, der macht halt ein bisschen Gartenarbeit.
Finde ich jetzt nicht verdächtig.
Ich fand das ganz toll, wie deine aufgerissenen Augen eben wirklich total nervös über das Skript nochmal so von links nach rechts gewandert sind,
um zu gucken, ob du da nicht doch die Info jetzt gerade irgendwie überlesen hast,
weil du es schon wieder nicht mehr glauben kannst, was da passiert.
Nee, das hatte ich schon wieder vergessen.
Ja.
Aber, nachdem die Frau angerufen hat, zögert die Polizei nicht lange.
Noch am selben Tag wird der Garten auf den Kopf gestellt, bis von dem einst grünen Rasen nur noch braune Erde übrig ist.
Und tatsächlich, unter dem Kompost finden die Beamten in Plastik verpackt die 4 Millionen Mark,
die Bens Bruder vor sechs Tagen an der Autobahn abgelegt hat.
Das Lösegeld ist das entscheidende Indiz, das der Polizei gefehlt hat.
Jetzt liegt ein dringender Tatverdacht vor, der eine Verhaftung des 48 Jahre alten Volkers
und seinen 26 Jahre alten Sohns Axel rechtfertigt.
Denn es sind dieselben Männer, die die Polizei nach der Lösegeldübergabe im schwarzen Geländewagen verfolgt hat.
Nur, dass ihnen damals bis auf die Anbringung von gefälschten polnischen Kennzeichen nichts nachgewiesen werden konnte.
Erst jetzt können sie direkt mit dem Lösegeld und damit auch mit der Entführung von Ben Mendel in Verbindung gebracht werden.
Deshalb stürmen die BeamtInnen des LKA noch am selben Tag das unscheinbare Haus
mit dem senfgelben Anstrich und dem gepflegten grünen Vorgarten in der kleinen Stadt Langen.
Dann klicken die Handschellen.
Vater und Sohn werden festgenommen, aber auch Volkers Ehefrau Bianca wird abgeführt.
Gegen sie liegt zwar kein dringender Tatverdacht vor, aber die BeamtInnen müssen prüfen,
ob und wenn ja, wie Volkers Frau und Axels Stiefmutter in die Entführung verwickelt ist.
Immerhin ist sie das Bindeglied zu Ben.
Bis dahin muss sie auf der Wache bleiben, wo alle drei Familienmitglieder voneinander getrennt werden.
Eine ganze Familie in Gewahrsam.
Eine Familie, die in ihrer Nachbarschaft als freundlich und absolut durchschnittlich bekannt ist.
Ganz normale Leute, die den Rasen gepflegt und absolut unauffällig gelebt haben.
Dass sie etwas mit der Entführung zu tun haben, die noch immer die Medien im ganzen Land bestimmt,
kann man sich hier in der ruhigen Vorstadt von Frankfurt kaum vorstellen.
Doch die Ermittlenden beim LKA werden die bürgerliche Fassade einmal komplett auf links drehen.
Bei der Hausdurchsuchung scheint ihnen die Garage besonders interessant.
Ihnen fällt auf, dass im hinteren Teil des Raumes eine Wand eingezogen wurde.
Wohl um einen zweiten winzigen Raum zu schaffen.
Er misst vielleicht drei Quadratmeter und ist leer, aber schallgeschützt und offenbar frisch gestrichen worden.
Die PolizistInnen finden mehrere Farbkübel alpinerweiß in der Garage.
Dieselbe Farbe, die in mehreren dicken Schichten auf alle vier Wände, die Decke und sogar den Fußboden des kleinen Kämmerchens aufgetragen wurde.
Die Ecken sind noch feucht.
Das Ganze kommt den Ermittlenden komisch vor.
Welchen Zweck erfüllt dieser Raum und warum würde ein Malermeister wie Volker einer ist,
einen Fußboden schneeweiß streichen, wo man darauf jeden schmutzigen Schuhabdruck sieht?
Die einzige Erklärung, die den KriminaltechnikerInnen einfällt, ist, dass Volker hier Spuren verwischen oder mit Farbe überdecken wollte.
Um ihre Vermutung zu untersuchen, schneiden sie ganze Mauerteile aus der Wand,
die sie vor den Augen der Presse und der schockierten NachbarInnen abtransportieren und mit ins Labor nehmen.
Während vor dem Haus in langen Kameras klicken und Menschen wild durcheinander reden,
herrscht in den polizeilichen Räumen, in denen Volker und Axel getrennt voneinander befragt werden, vor allem eins.
Stille.
Die Hauptverdächtigen wollen nichts mit der Entführung von Ben zu tun gehabt haben.
Allen weiteren Fragen der ErmittlerInnen begegnen sie mit Schweigen.
Nur Bianca, Volkers Frau und Axels Stiefmutter, spricht mit den Beamtinnen.
Sie scheint völlig fassungslos davon, dass sie für die Entführung ihres Chefs Ben festgenommen wurde.
Sie habe nichts damit zu tun, gibt sie an.
Schließlich arbeite sie schon jahrelang in Bens Firma, sei dankbar für ihren Arbeitsplatz und schätze ihren Chef sehr.
Zuletzt habe er ihr sogar den Schlüssel zu seiner Privatwille anvertraut, weil sie den Umbau betreut hat.
Dort habe sie ihrem Mann Volker ja auch ein paar Gelegenheitsjobs besorgt.
Dabei habe sie aber zu keiner Zeit gewusst oder auch nur daran gedacht, dass Volker plane, Ben zu entführen.
Ihr Mann sei ein guter Mann, habe sie immer gut behandelt und auch Axel immer unterstützt.
Dass die beiden was damit zu tun haben, sei für sie undenkbar.
Die Polizei prüft die Angaben der aufgebrachten Frau, die ihr blondes Haar aufwendig nach oben toupiert trägt, und befindet sie für glaubhaft.
Gegen Bianca liegt kein Tatverdacht vor, sie darf die Polizeidienststelle verlassen.
Volker und Axel bleiben erstmal ein Gewahrsam.
Tagelang können die Ermittler in ihnen kein Wort entlocken.
Wertvolle Zeit, die verstreicht und die Ben im schlimmsten Fall das Leben kosten könnte.
Denn wenn Volker und Axel seine Entführer sind und alles deutet darauf hin und sie sind die einzigen, die Bens Aufenthaltsort kennen,
dann muss er eventuell ohne Wasser, Nahrung oder medizinische Versorgung auskommen.
Ein mögliches Todesurteil.
Dann mehrere Tage nach der Festnahme die überraschende Wendung.
Plötzlich möchte Volker doch Angaben machen.
Er gibt nun zu, sehr wohl etwas mit der Entführung zu tun zu haben.
Aber er sei nur der Handlanger seines Sohnes Axel gewesen.
Ein Gehilfe.
Nichts weiter.
Sein Sohn hingegen habe die Entführung von Ben maßgeblich geplant und ausgeführt,
während Volker nur geholfen habe, das Lösegeld im Garten seiner Eltern zu vergraben.
Mehr könne er nicht sagen, mehr wisse er nämlich nicht.
Doch die wenigen Informationen des Vaters reichen, um auch die Schweigemauer des 26 Jahre alten Axels zum Einsturz zu bringen.
Denn mit der Beschuldigung seines Vaters konfrontiert, kann der junge Mann nicht länger an sich halten.
Was sein Vater sage, stimme nicht, gibt Axel zu verstehen.
Es sei nämlich genau andersrum gewesen.
Volker habe die Entführung geplant und er, Axel, habe nur geholfen.
Und dann sagt der junge Mann mit dem dunkelblonden Haar, der schmalen Nase und den dünnen Lippen etwas,
das den PolizistInnen kurz das Blut in den Adern gefrieren lässt.
Denn sein Vater habe Ben auch getötet.
Volker habe Ben zunächst in dem kleinen Kämmerchen hinter der Garage gefangen gehalten.
Aber nicht lang.
Schon einen Tag nach der Entführung seien sie zu dritt mit dem Auto in ein Waldstück im Taunus gefahren.
Dort sei Ben gestorben.
Wenn das stimmt, war Ben schon tot, als seine Geschäftspartnerin Ingrid Bens Tonbandaufnahmen gehört hat.
Dann hätte es ja nie wirklich eine Chance gegeben, ihn Leben zurückzubekommen.
Axel erzählt, er habe das Auto beim Waldstück im Taunus geparkt
und dann beim Wagen gewartet,
während Volker mit dem verletzten Ben und einem schweren Spaten in der Hand in den Wald gelaufen sei.
Axel selbst habe beim Auto Wache stehen müssen.
Dann, einige Minuten später, sei sein Vater allein zurückgekommen,
völlig verschützt und sichtlich angestrengt.
Sein Vater habe Ben getötet und er könne es beweisen.
Und dafür will Axel den PolizistInnen den ungefähren Ort zeigen,
wo sein Vater Bens Leiche vergraben hat.
19. Oktober, 18 Tage nach der Entführung.
Die Dämmerung ist bereits angebrochen,
als sich ein Großaufgebot des LKA auf den Weg in den Wald nordwestlich von Frankfurt macht.
Hier im Taunus etwa 25 Kilometer westlich von Idstein soll Bens Leiche vergraben liegen.
Axel führt die BeamtInnen zu der Stelle,
an der er laut eigener Aussage in der Tatnacht das Auto geparkt hat.
Der 26-Jährige kann noch die Richtung angeben, in die er seinen Vater und Ben hat weggehen sehen.
Wo genau Volker sein Opfer getötet habe, wisse er nicht, betont Axel.
Er sei ja beim Auto geblieben.
Also setzt die Polizei Spürhunde ein, die bei der Suche helfen sollen.
Und tatsächlich, einer der Hunde nimmt eine Fährte auf und bleibt an einer Stelle stehen,
die auf den ersten Blick unauffällig wirkt.
Doch spärlich versteckt unter ein wenig Erde, Ästen und Blättern liegt ein Leichnam,
der aufgrund des feuchten Klimas im herbstlichen Wald bereits stark verwest ist.
Die Nachricht von Bens Tod reißt seiner Familie den Boden unter den Füßen weg.
Mit ihr ist jeder von Gehoffnung erloschen, den sie bis zuletzt hatten,
ihren geliebten Sohn, Bruder und Onkel je wiederzusehen.
Statt ihnen die Arme zu nehmen, müssen sie nun eine Trauerfeier für Ben ausrichten,
die drei Tage nach dem Leichenfund auf dem jüdischen Friedhof in Frankfurt ausgerichtet wird.
Hunderte Menschen sind gekommen, um Ben die letzte Ehre zu erweisen.
Unter ihnen sind auch Mitarbeitende aus seiner Firma,
sowie GeschäftspartnerInnen, die extra aus Japan angereist sind.
Sie alle nehmen in einem großen Raum mit rotem Teppichboden und holzvertefelten Wänden Platz.
Als alle Stühle im Innenraum belegt sind, werden draußen Lautsprecher aufgebaut,
die den Gottesdienst auch dort hörbar machen.
Alle Anwesenden der Trauerfeier eint der Schock über die grausame Tat,
die sie veranlasst hat, hier zusammenzukommen.
Ben sei ein bescheidener, großherziger Mensch gewesen, sagt der Rabbiner zu den Versammelten.
Das Verbrechen an ihm mache sprachlos.
Trotzdem versuchen seine Angehörigen Worte zu finden,
nicht für das Grauen, das Bens Leben beendet hat,
sondern für die Freude, die es bestimmt hat.
Ein Cousin und ein Freund sprechen von Bens Warmherzigkeit und der Offenheit,
die er anderen Menschen entgegengebracht hat.
Von seiner Lust am Leben und davon, wie wichtig ihm seine Familie war
und wie sehr er sie geliebt hat.
Bens älterer Bruder Samuel stützt seine Mutter beim Laufen,
als sie die Trauerhalle verlassen.
Martha, ganz in schwarz gekleidet, hält in ihrer linken Hand ein weißes Taschentuch,
mit dem sie ihre Tränen trocknet, von denen sie an diesem Tag viele vergießt.
Bens Grab liegt direkt hinter dem seines Vaters, der erst vor knapp drei Jahren gestorben ist.
Statt Blumen legt die Trauergemeinde kleine Steine darauf nieder.
Ein jüdischer Brauch, denn während Pflanzen irgendwann welken, bleiben Steine für immer.
Genau wie die Erinnerung an Ben.
Noch Wochen nach der Trauerfeier besuchen Menschen Bens Grab, um Steine darauf niederzulegen.
Und während die Anteilnahme in der Bevölkerung riesig ist,
laufen die Ermittlungen des LKA auf Hochtouren.
Inzwischen ist der weiße Lieferwagen gefunden worden, in dem Ben offenbar entführt wurde.
Er stand auf einem Parkplatz an der Autobahn.
Darin haben die ErmittlerInnen einen Zigarettenstummel gefunden,
auf dem Axel Speichel nachgewiesen werden konnte.
Auf der Ladefläche lag außerdem eine Visitenkarte.
Es ist die von Ben.
Ob er sie unfreiwillig oder extra dort hinterlassen hat, ist unklar.
Zudem konnte bewiesen werden, dass das Stück Holz,
das bei der ersten fehlgeschlagenen Lösegeldübergabe am Schloss der Schallschutzmauer gefunden wurde,
mutmaßlich um das Schlüsselloch zu verstecken,
von einem Holzstab in Volkers Garage stammt.
Und ein Team aus DNA-SpezialistInnen hat die Wandstücke untersucht,
die sie aus dem kleinen, frisch gestrichenen Verlies herausgeschnitten haben.
Vorsichtig haben sie Farbschicht um Farbschicht mit einem kleinen Skalpell abgelöst,
um herauszufinden, was sich darunter verbirgt.
Und die Mühe hat sich gelohnt.
Unter der Farbe können mikroskopisch kleine Blutspuren auf dem Stein nachgewiesen werden,
die vor dem Anstrich von einem Hochdruckreiniger in den Stein gepresst worden sind.
Alles sieht danach aus, als habe derjenige, der die Blutspuren eigentlich verwischen wollte,
sie unabsichtlich im Stein konserviert und dann mit weißer Farbe übermalt.
Also quasi versiegelt.
Eine weitere Überprüfung bestätigt, die Blutspuren stammen von Ben.
Damit sind sich die ErmittlerInnen nun sicher,
dass Volker und Axel E. ein Führungsopfer in die kleine Kammer hinter der Garage verschleppt haben.
Nur wo Ben schließlich getötet wurde, bleibt weiterhin ungewiss.
Und warum musste er sterben, wo es den Entführern doch offensichtlich nur um Geld ging?
Fragen, die ein Jahr nach der Tat vor Gericht geklärt werden sollen.
2. Oktober 1997.
Genau ein Jahr und einen Tag nach der Nacht, in der Ben entführt wurde,
startet vor dem Frankfurter Landgericht der Prozess gegen Volker und Axel.
Die beiden Angeklagten präten nacheinander in den mit Holz verkleideten Verhandlungssaal ein.
Handschellen umschließen ihre Handgelenke.
Volker trägt ein schwarzes Sakko mit glatt gebügeltem Hemd und einer türkisen Krawatte.
Sohn Axel ein weites, weißes T-Shirt.
Man sieht ihnen auf den ersten Blick an, dass sie Vater und Sohn sind.
Sie haben dieselben grünen Augen, die unter buschigen Augenbrauen liegen.
Volker trägt Vollbart, Axel hat sein kinnlanges Haar mit Gel nach hinten gekämmt.
Trotzdem fallen ihm immer wieder einzelne Strähnen ins Gesicht.
Doch abgesehen von äußerlichen Ähnlichkeiten ist von der Bindung zwischen Vater und Sohn nicht viel übrig.
Im Gerichtssaal wenden sie sich voneinander ab, meiden die Blicke des jeweils anderen.
Ein großgewachsener, bulliger Sicherheitsbeamter setzt sich zwischen sie auf die Anklagebank.
Er soll sicherstellen, dass Volker und Axel nicht aufeinander losgehen.
Denn während der Vater weiter seine Unschuld beteuert, hat Axel inzwischen vor der Polizei ein Geständnis abgelegt,
das weit über die Entführung von Ben hinausgeht.
Ein Geständnis, das auch Bewegung in zwei weitere Fälle gebracht hat, die jahrelang als unlösbar galten.
Mit der Verlesung der Anklage wird ein Marmutprozess eingeläutet, der nicht nur grausame Taten offenbart,
sondern auch ein Abhängigkeitsverhältnis von Vater und Sohn, das schon früh von Lügen und Schicksalsschlägen geprägt ist.
Rückblick zu einem Samstag im Februar 1977.
Axel ist noch ein kleiner Junge, gerade sieben Jahre alt, als sein Vater ihn und seine ältere Schwester von einem Kinderfasching in Wiesbaden abholt.
Als sie zu Hause ankommen, ist der Fußboden nass vom Wasser, das unter der Badezimmertür hervorquillt.
Volker reißt sie auf. Meerwasser kommt ihm und den Kindern entgegen.
Es strömt aus der Badewanne heraus, die bereits vollgelaufen ist.
Darin liegt Annika, Volkers Frau und die Mutter seiner Kinder.
Ihre Lungen sind mit Wasser gefüllt.
Volker ruft den Rettungsdienst. Zu spät.
Annika ist offenbar im eigenen Zuhause ertrunken und ihre Kinder sind dabei, als ihre Mutter für tot erklärt wird.
Ein tragischer Unfall nehmen zunächst alle an.
Doch dann werden Ermittlungen gegen Volker eingeleitet.
Denn Annika hatte blaue Flecken und Würgemale.
Es stellt sich heraus, dass Volker ein Verhältnis mit der Nachbarin hatte,
von dem Annika erfahren hat.
Am Tag ihres Todes hatte sie ihren Ehemann zur Rede gestellt.
Aus der Konfrontation wurde offenbar ein Streit.
Die Rechtsmedizin geht später davon aus, dass Volker seine 26 Jahre alte Frau im Badezimmer sehr lange verprügelt und ihren Kopf gegen die Fliesenwand geschlagen hat.
Dann muss Volker Annika in der Badewanne gewirkt haben, bis sie bewusstlos war.
Vielleicht auch, bis sie starb.
Volker selbst sagt, dass die Verletzungen am Körper seiner Frau bei den Wiederbelebungsversuchen vom Notarzt verursacht wurden.
Dass das nicht stimmt, kann die Rechtsmedizin beim Prozess 1979 gegen ihn nachweisen.
Anders sieht es mit Volkers Mordabsicht aus.
Letztendlich wird er wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
Weil gegen Volker zur selben Zeit noch weitere Verfahren laufen, unter anderem wegen schweren Diebstahls, werden die Delikte im Prozess zusammengefasst.
Der damals 34 Jahre alte Volker wird in allen Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt.
Axel und seine Schwester wachsen als Halbweisen bei Volkers Eltern auf, die ihnen immer wieder erzählen, dass ihre Mutter bei einem tragischen Unfall gestorben und ihr Vater ein toller Mensch ist.
Der Kontakt zu den Großeltern mütterlicherseits wird den Kindern verboten, weil die anderer Meinung sind.
Axel hinterfragt das nicht.
Er ist noch zu klein und mit seiner Trauer beschäftigt.
Deshalb klammert er sich umso mehr an alles, was ihm geblieben ist und ein Gefühl von Heimat gibt.
Umso größer ist seine Freude als Volker nach nur vier von elf Jahren in Haft der Freigang gestartet wird.
Tagsüber kann Axel, mittlerweile 13 Jahre alt, seinen Vater jetzt wieder öfter sehen und er bewundert ihn.
Volker hat inzwischen in Haft eine Polizistin geheiratet und arbeitet tagsüber in einem Handwerksbetrieb.
Wenn er seine Haftstrafe abgesessen hat, möchte er seine eigene Firma aufbauen.
Axel, dem die Schule schwerfällt, malt sich aus, wie er einmal bei seinem Vater arbeitet.
Und genauso kommt es.
1986, als Volker sieben Jahre abgesessen hat, kommt er frei.
Mit seiner neuen Frau zieht er in eine Wohnung im Haus seiner Eltern ein und holt seine Kinder wieder zu sich.
Er baut erst eine Sanierungsfirma, dann einen Maler-Innenbetrieb auf, in den Axel nach dem Hauptschulabschluss einsteigt.
Drei Jahre lang absolviert er eine Ausbildung als Maler und Lackierer unter der Aufsicht seines Vaters.
Ein Gehalt bekommt Axel nicht.
Stattdessen verspricht Volker, Geld für ihn anzulegen und ihm je nach Bedarf finanziell auszuhelfen.
Für Axel ist das in Ordnung.
Er genießt es, der Sohn des Chefs zu sein und rechnet damit, dass er den Betrieb einmal übernehmen kann.
Doch es kommt anders.
Mit 19 Jahren muss Axel zum Wehrdienst und als er ein Jahr später zurückkommt, sagt sein Vater ihm, dass er den Maler-Innenbetrieb aufgeben wird.
Statt der rosigen Zukunft, die sich der junge Mann einmal vorgestellt hat, liegt jetzt die Arbeitslosigkeit vor ihm.
Und ein Vater, der ihm nicht nur den Traum genommen hat, sondern der sich weiterhin auch zu Hause verhält, als wäre er Axels Chef.
Volker ist streng, dominant und besteht auf hierarchische Strukturen innerhalb der Familie, als deren Oberhaupt er sich sieht.
Damit kommt nicht jeder zurecht.
Seine Tochter, Axels Schwester, fandert direkt nach dem Abi nach Australien aus.
Also weiter weg kann man ja auch quasi gar nicht, ne?
Und die Ehe mit seiner zweiten Frau geht in die Brüche.
Die Freundin, mit der er danach eine Beziehung führt, schlägt Volker, wie damals auch Annika.
Nur Axel erträgt die herrische Art seines Vaters.
Er schaut sogar zu ihm auf.
Immerhin ist Volker das Einzige an Familie, was er nach dem Tod seiner Mutter und dem Auszug seiner Schwester noch hat.
Nur manchmal, wenn ihm die Launen und der ständige Befehlston von Volker doch zu viel werden, kifft Axel, nimmt Speed und manchmal auch Kokain, um sich zu betäuben.
1991, als Axel 21 Jahre alt ist, ist Volker schon zum dritten Mal verheiratet.
Jetzt mit Bianca, die im Familienunternehmen der Mendels, das zu dem Zeitpunkt noch Bens Vater leitet, angestellt ist.
Über sie erfährt er vom Reichtum der Familie.
Und weil Volker, der seit der Aufgabe seines Maler-Innenbetriebs arbeitslos ist, langsam das Geld ausgeht, schmiedet er einen schrecklichen Plan.
Er will ein Mitglied der Familie Mendel entführen, um Geld von ihnen zu erpressen.
Und weil er glaubt, dass bei der Entführung eines Kindes am schnellsten Lösegeld fließt, fällt seine Wahl auf den 6-jährigen Noah.
Den Sohn von Samuel Mendel und das Enkelkind vom Chef seiner Frau.
Wir erinnern uns, vor Ben hat die Firma ja seinem Vater gehört.
Gemeinsam mit einem Bekannten plant Volker die Tat bis ins kleinste Detail.
Sie entscheiden, Noah auf dem Schulweg zu entführen.
Denn denen geht der 6-Jährige jeden Morgen ohne seine Eltern, nur mit einer gleichaltrigen Freundin.
Zwei unbeaufsichtigte Kinder. Für Volker ist das die Gelegenheit.
Dass er damit gleich zwei Familien in Angst und Schrecken versetzt, stört ihn nicht.
Die Tatsache, dass Volker und sein Kumpel aber nur zu zweit sind, stellt ein Problem dar.
Damit keines der Kinder wegrennt und sie verrät, müssen sie zeitgleich in ihr Entführungsauto ziehen.
Nur muss irgendjemand ja auch den Van fahren.
Da kommt Axel ins Spiel.
In letzter Minute spannt Volker seinen 21 Jahre alten Sohn als Fahrer ein.
Er sagt ihm, dass die Familie, die er erpressen möchte, ihm etwas schuldig sei und verschweigt, dass es Kinder sind, die entführt werden sollen.
Als Volker und sein Komplize Noah und Clara schließlich mitsamt ihrer Schulranzen ins Auto ziehen und ihnen die Augen verbinden, ist Axel schockiert.
Die Kinder sind da gerade 6 und 7 Jahre alt.
So alt wie Axel, als er seine Mutter tot in der Badewanne gefunden hat.
Doch Axel tut trotzdem, was Volker sagt. Wie immer.
Zu Hause angekommen, entzieht er sich der Situation so schnell er kann.
Er geht in seine Einliegerwohnung im Haus und raucht eine Haschpfeife, während sein Vater Noah und Clara in den kalten Gewölbekeller unter dem Hof des Grundstücks bringt, wo sie ganze 3 Tage lang ausharren müssen.
Axel möchte zwar nichts mit der Entführung zu tun haben, aber er hilft den Kindern, die nur wenige Meter von ihm gefangen gehalten werden, auch nicht.
Erst 3 Tage später lässt Volker die Kinder frei. Axel beobachtet vom Fenster aus, wie sein Vater die Knirpse zwingt, ins Auto zu steigen.
Auf einem Industriehof werden die beiden ausgesetzt.
Sie laufen zur nächsten Tankstelle, wo der Tankwart die Polizei alarmiert.
Als die Beamten in den Eintreffen ist Volker schon lange weg. Warum er Noah und Clara freigelassen hat, bleibt unklar.
Lang spekuliert die Presse, ob nicht vielleicht doch Lösegeld geflossen sein könnte.
Doch die Polizei und die Familie Mendel dementieren die Gerüchte.
Es habe keine Zahlung gegeben, sagen sie.
Gut möglich, denn Monate später erhalten Martha Mendel und ihr Mann einen Brief, in dem Volker sie erneut um Geld erpresst.
Er schreibt, nun, nachdem sie ihren Enkel wohlbehalten zurückbekommen haben, erlauben wir uns, die Rechnung zu präsentieren.
Und verlangt mehr als 3 Millionen Mark.
Wenn er die nicht bekomme, wolle er ein weiteres Familienmitglied entführen, heißt es in dem Brief.
Eine Drohung, die Volker fünf Jahre später wahr macht und die Ben das Leben kostet.
Doch Vater und Sohn schlagen schon vorher noch einmal zu.
Im September 1993, zwei Jahre nach der Kindesentführung.
Diesmal ist das Opfer kein Kind mehr, sondern ein Mann, der fast zwei Meter groß und über 100 Kilo schwer ist.
Es ist Jens.
Der Sohn eines Fleischgroßhändlers, dessen Büro sich im selben Gebäude befindet, wie die Catering-Firma, für die Volker zu der Zeit übergangsweise tätig ist.
Als Jens sich am frühen Morgen des 1. September 1993 von seiner Frau und seinen zwei Kindern verabschiedet, um zur Arbeit zu fahren, steht ein Van vor ihrem Haus.
Die Familie hat gerade noch zusammen gefrühstückt.
Es ist der Hochzeitstag von Jens und seiner Frau.
Sie steht in der Tür und winkt mit den Kindern im Arm, als Jens auf dem Bürgersteig von Volker und Axel, die sich vermummt haben, übermannt und in den Kastenwagen gezogen wird.
Jens' Frau kann nichts für ihren Mann tun und muss zusehen, wie das Auto davon fährt.
Volker und Axel halten den großen Mann sechs Tage lang mit angezogenen Beinen in einer Holzkiste gefangen, aus der er nur zweimal am Tag für kurze Zeit raus darf.
Dann findet die Lösegeldübergabe auf der Schiersteiner Brücke zwischen Wiesbaden und Mainz statt.
Am frühen Abend befestigt Axel ein rotes Tuch am Brückengeländer, um die Stelle zu markieren, an der später die Tasche mit dem Geld in die Tiefe gleiten soll.
Währenddessen läuft Volker mit Jens im Schlepptau am Ufer entlang zu der Stelle, unter der Brücke, wo er das Geld später entgegennehmen will.
Jens' Augen sind verbunden, sodass er seinen Entführer nicht erkennen kann.
Die Polizei weiß dann noch nicht, an welchem Ort die Lösegeldübergabe stattfinden wird.
Deshalb sitzt Volker mit Jens noch stundenlang am Ufer.
Der eine völlig verängstigt, der andere angespannt, aber siegessicher.
Denn Volkers Plan ist gut durchdacht.
Als er schließlich sieht, wie eine schwarze Sporttasche an einem Seil baumeln von der Brücke herabgelassen wird, nimmt er Jens die Augenmaske ab und befiehlt ihm, die Augen geschlossen zu halten.
Aus Angst hält sich Jens daran.
Er bleibt ganz ruhig sitzen, während Volker jetzt auf die Geldtasche zugeht.
Doch sie baumelt noch weit über dem Boden.
Also zückt Volker seine Taschenlampe und leuchtet einmal grell in den Nachthimmel, um die Übergabe zu beschleunigen.
Als die Sporttasche schließlich auf seiner Höhe angekommen ist, löst Volker sie in Windeseile vom Seil, verpackt den Inhalt so schnell er kann in Plastiktüten und schlüpft in der sicheren Dunkelheit in seine Tauchausrüstung.
Denn Volker ist begeisterter Sporttaucher und flieht mitsamt der 2 Millionen Mark dorthin, wo niemand ihn sehen oder hören kann und wo selbst der Peilsender, den die Polizei in der Tasche versteckt hat, sein Signal verliert.
In den Rhein.
Damit verschwindet Volker in dieser Nacht spurlos von der Bildfläche der Polizei, die ringsherum aufgestellt ist.
Axel hingegen bleibt an diesem Tag nicht ungesehen.
Am Nachmittag der Lösegeldübergabe, als er das rote Tuch am Brückengeländer festbindet, beobachtet ihn ein Zeuge, dem das komisch vorkommt.
Der meldet sich dann, als er von der Entführung hört, bei der Polizei.
Er erinnert sich sogar noch an Teile des Kennzeichens von Axels Auto, woraufhin die Beamtinnen Axel einen Besuch abstatten.
Doch er sagt, er habe seinen Wagen schon vor einiger Zeit verkauft.
Er sei das auf der Brücke nicht gewesen.
Und weil mit seinem noch 600 andere Kennzeichen überprüft werden, glaubt ihm die Polizei.
Ein fataler Fehler und ein Versäumnis, das es überhaupt erst möglich gemacht hat, dass drei Jahre später auch Ben um sein Leben bangen muss.
Mit den zwei Millionen Mark Lösegeld, die Volker und Axel mit der Entführung von Jens erbeutet haben, macht sich Volker anschließend ein gutes Leben.
Er kauft ein Haus mit Garten, das er in Bar bezahlt und reist in ferne Länder. Mal mit, mal ohne seine Frau Bianca.
In Thailand scheint es ihm besonders gut zu gefallen. Dort ist er mehrfach im Jahr und besucht seine zwei festen Freundinnen.
Mit einer von ihnen baut er dort ein Haus. Seine Familie in Deutschland weiß davon natürlich nichts.
Als Bianca ihn zu Hause in Frankfurt fragt, woher das ganze Geld stammt, sagt Volker, dass er in Thailand illegal mit Edelsteinen handele.
Die Erklärung scheint ihr zu reichen. Sie fragt nicht weiter nach. Nur, dass Volker hier in Deutschland keinen Job hat, scheint sie zu stören.
Immer wieder liegt sie ihm in den Ohren, dass er doch arbeiten gehen soll. Bis sie ihm und Axel selbst Arbeit verschafft.
Zurück im Gerichtssaal des Landgerichts Frankfurt bleiben die ZuschauerInnen auf den vollbesetzten Reihen nach der Anklage fassungslos zurück.
Die kriminelle Energie, die vor allem Volker umgibt, ist so enorm, dass selbst manchen JournalistInnen die Worte dafür fehlen.
Doch auch Axel hat die schrecklichen Taten seines Vaters jahrelang nicht nur geschehen lassen, sondern auch tatkräftig unterstützt.
Deshalb sind Vater und Sohn heute wegen erpresserischem Menschenraub in zwei Fällen angeklagt.
Nämlich im Fall von Ben und in dem seines Neffen Noah und dessen Schulfreundin Klara aus dem Jahr 1991.
Axel hatte vor der Polizei angegeben, dass er damals die Klamotten der entführten Kinder in einem Wäschetrockner behandeln musste, um Spuren darauf zu beseitigen.
Den Trockner gibt es immer noch und die Beamtinnen haben selbst heute, fünf Jahre nach der Entführung, noch Fasern der Kinderkleidung von Noah und Klara darin gefunden.
Das entscheidende Indiz, um den Fall jetzt zur Anklage zu bringen.
Nur das Verfahren um Jens Entführung wurde vom Frankfurter Prozess abgespalten.
Warum, bleibt von den Behörden unbeantwortet.
Fest steht nur, dass nicht die Staatsanwaltschaft in Frankfurt, sondern die Kolleginnen aus Darmstadt in Jens Fall ermitteln.
Neben dem erpresserischen Menschenraub wird Volker und Axel im hiesigen Verfahren aber auch die Tötung von Ben vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass Volker Ben ermordet hat, während sein Sohn ihm behilflich war.
Nur in welchem Rahmen, bleibt unklar.
Ist Axel wirklich nur das Auto gefahren und hat nichtsahnd im Wald gewartet, so wie er es angegeben hat?
Oder wusste er, dass Ben dort im Wald sterben würde?
Und selbst wenn er es nicht wusste, musste er nicht spätestens damit rechnen, als er beobachtet hat, wie er seinen Vater mit Ben,
der von den Schlägen bei den Entführungen noch immer schwer verletzt war und einem Spaten in den Wald hat gehen sehen?
Hätte er seinen Tod verhindern können? Und warum musste Ben überhaupt sterben?
Das sind Fragen, auf die die Staatsanwaltschaft noch Antworten sucht.
Antworten, die Volker geben könnte, doch der bestreitet überhaupt am Mord von Ben beteiligt gewesen zu sein.
Seinen Angaben zufolge sei die Entführung von Axel geplant und ausgeführt worden.
Der habe noch andere, Volker Unbekannte, Komplizen gehabt und wolle ihm, seinem Vater jetzt aus Hass, die Schuld in die Schuhe schieben, sagt Volker.
Er habe jedenfalls wissentlich nicht zur Entführung von Ben beigetragen und ihn vor allem nicht ermordet, wiederholt er immer wieder im Gericht.
Vor allem dann, wenn am Ende eines Prozestags die Kameras der Presse auf ihn gerichtet sind.
Während er fürs Fernsehen seine Unschuld beteuert, sind seine Augen kalt und ausdruckslos, sein Gesichtsausdruck ist starr.
Kein einziges Mal kann man einen Anflug von Unsicherheit oder gar Reue darin erkennen.
Im Gegenteil, Volker tritt an jedem einzelnen Tag selbstsicher, kalt und berechnet auf, was im direkten Vergleich mit seinem Sohn noch mehr auffällt.
Denn der sitzt während der Verhandlung labil und unsicher auf der Anklagebank und wirkt immer so, als müsse er von seinem Verteidiger beschützt werden.
Volker hingegen sucht die Auseinandersetzung.
Nicht zuletzt sogar mit seinem eigenen Anwalt.
Statt dem zu vertrauen, stellt er in Eigenregie immer wieder Beweisanträge, um die Indizienkette des Gerichts anzuzweifeln und eine angebliche Verschwörung gegen ihn aufzudecken, von der er alle Anwesenden überzeugen möchte.
Zunächst misstraut er den DNA-SpezialistInnen vom Landeskriminalamt, die Bens Blutspuren an der Wand in dem kleinen Raum in Volkers Garage gefunden haben.
Volker hat sich ein Lehrbuch zur DNA-Analyse in seine Zelle bestellt, es gelesen und dann 45 Fragen formuliert, die nichts mit seinem Fall zu tun haben,
die er dem Sachverständigen aber vor Gericht stellen möchte, um dessen Expertise zu testen.
Zur Überraschung aller Anwesender lässt der vorsitzende Richter den Antrag zu.
Der Sachverständige ist sichtlich irritiert, als der Angeklagte ihm die Fragen stellt, wie ein Lehrer bei einer mündlichen Prüfung.
Doch der Spezialist kann alle Fragen beantworten und lässt sich nicht diskreditieren.
Volker lässt sich damit trotzdem nicht zufriedenstellen.
Als nächstes fordert er, dass sein Computer von einem unabhängigen IT-Experten untersucht wird.
Die BeamtInnen des LKA haben zuvor Fragmente eines gelöschten Erpresserschreibens darauf gefunden.
Volker ist überzeugt davon, dass das nicht stimmt und dass ein unabhängiger Sachverständiger das bezeugen kann.
Wieder gibt das Gericht dem Antrag statt.
Und hierzu müssen wir nochmal kurz was sagen.
Also diese ganzen Beweisanträge, die Volker stellt und dass er diesen DNA-Spezialisten zum Beispiel sogar selbst befragt,
das ist schon sehr ungewöhnlich und auch eigenwillig.
Aber das ist vor Gericht als Angeklagter sein gutes Recht.
Und es ist auch nicht verwunderlich, dass das Gericht diese Anträge zulässt,
weil würde man das nicht machen, dann würde das unter Umständen eine Begründung für eine Revision beim Bundesgerichtshof liefern.
Und das will man natürlich vermeiden.
Sein Anwalt kann dagegen auch kaum was machen.
Der ist in erster Linie in Anführungszeichen nur Berater und Dienstleister.
Denn wenn Volker dann nach der Rechtsberatung sagt, nee, wir machen das jetzt so und so, dann ist das auch so zu machen.
Die meisten Mandantinnen halten sich aber natürlich an Empfehlungen ihrer Rechtsbeistände.
Aber wenn die solche Leute haben, die quasi die Show übernehmen wollen, so wie Volker, dann müssen die das halt so hinnehmen.
Ja, und in Volkers Fall gehen die Anträge jetzt jedenfalls nach hinten los.
Der IT-Experte findet auf dem Computer des Angeklagten mehrere Fragmente der gelöschten Erpresserbriefe,
die Volker nach Bens Entführung an die Familie Mendel geschickt hat.
Damit ist belegt, dass sie auf seinem Computer geschrieben worden sind.
Ein weiteres Indiz, mit dem sich die Schlinge um Volkers Kopf mehr zuzieht.
Als letzten Versuch, seine Lage irgendwie zu verbessern,
stimmt Volker, der sich zuvor gegen eine psychologische Untersuchung geweigert hatte,
doch noch zu, mit einem psychiatrischen Gutachter zu sprechen.
Er scheint sich sicher zu sein, dass der ihm die Tat nicht zutraut.
Doch das Gegenteil ist der Fall.
Als der Experte Tage später in den ZeugInnen stand tritt, um sein Gutachten vorzutragen,
findet er klare Worte für den inzwischen 50 Jahre alten Angeklagten.
Volker sei ein Verbrecher aus Leidenschaft,
der einen enormen kriminellen Ehrgeiz besitze und überdurchschnittlich intelligent sei.
Das mache ihm möglich, ein, Zitat,
durchdachtes und kalkuliertes verbrecherisches Konzept mit Umsicht und Sorgfalt
möglichst perfekt in die Tat umzusetzen.
Dabei sei er risikobereit und ist gewohnt, sich durchzusetzen,
ohne Rücksicht auf die Interessen anderer Menschen,
ihnen die Freiheit oder sogar ihr Leben zu nehmen.
Zwischenmenschliche Beziehungen seien ihm Mangels Empathie nicht möglich.
Stattdessen sei Volker narzisstisch,
größenwahnsinnig, habe Machtfantasien und Omnipotenzgefühle,
die in einer Selbstüberschätzung gipfelten.
All das sei Ausdruck einer dissozialen Persönlichkeitsstörung,
die bei Volker vorliege, sagt der Experte.
Die sei aber nicht so weit ausgeprägt,
dass sie seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtige.
Damit ist Volker laut dem Gutachten voll schuldfähig.
In dem Verhandlungssaal glaubt inzwischen niemand mehr,
dass Axel der Drahtzieher in Bens Entführung gewesen sein könnte.
Die Abhängigkeit des Sohnes zu seinem autoritären, kriminellen Vater
ist im Prozess so allgegenwärtig, dass niemand sie leugnen kann.
Als Axel schließlich selbst Angaben macht, erzählt er von seiner Kindheit,
in der er dachte, dass es normal sei, vom Vater geschlagen zu werden.
Auch sein Großvater, Völkers Vater, habe ihn als Kind misshandelt.
Axel hat sich nie gewehrt und er hat nie hinterfragt,
was das für Männer sind, unter deren Obhut er aufwächst.
Bis heute erinnert er sich an den Tag,
als er seine Mutter tot in der Badewanne hat liegen sehen.
Jahrelang hatte man ihm gesagt, sie sei ausgerutscht.
Dabei war es ganz anders.
Das versteht er jetzt, 20 Jahre später.
Seitdem Axel in Haft ist und nicht mehr täglich mit seinem Vater zu tun hat,
ist es ihm erstmals möglich, sich damit auseinanderzusetzen,
dass Volker seine Kinder damals sogar dazu benutzt hat,
den Leichen von Glaubhafter zu inszenieren.
Seine ganze Kindheit und Jugend lang habe er seinen Vater als Vorbild gesehen,
sagt Axel jetzt vor Gericht.
Sie, Vater und Sohn, seien füreinander eingestanden bis zum Verrecken.
Schließlich wendet er sich direkt an Volker und stellt klar,
dass er das heute nicht mehr richtig fände.
Diesen Weg hier müssen wir beide alleine, jeder für sich gehen, sagt er und setzt einen Appell hinterher.
Vater, es geht hier nicht um Ladendiebstahl, sondern um eine Entführung, ein ganz schreckliches Verbrechen.
Ich habe mit dir die Entführung begangen.
Von dem Mord habe ich nichts gewusst.
Dann wendet er sich von seinem Vater ab und fügt hinzu,
dass er sich eigentlich für die Tat aber entschuldigen wollen.
Aber es gäbe keine Entschuldigung.
Stattdessen will er Bens Familie wissen lassen,
dass er alles dafür geben würde, um die Tat rückgängig zu machen.
Doch das kann er nicht.
Dafür kann er aber bei der Aufklärung der Tat helfen.
Und das tut Axel zumindest, soweit er kann.
Um den Tag, an dem Ben mutmaßlich gestorben ist, zu rekonstruieren,
wird gegen Ende des Indizienprozesses ein Außentermin vereinbart.
Vor den Augen von PressevertreterInnen und mitsamt einem Großaufgebot der PolizeibeamtInnen
werden die beiden Angeklagten in Handschellen an den Ort gebracht,
an dem Ben gestorben sein soll.
Das Waldstück im Taunus.
Hier, unter dem dichten Blätterdach, wo unweit entfernt mehrere Wanderrouten verlaufen,
soll Axel nochmal zeigen, wo er entlanggefahren ist, wo er geparkt haben will
und wo er seinen Vater mit dem lebenden Ben in den Wald hat gehen sehen.
Axel beschreibt, wie er von der Landstraße auf den Waldweg eingebogen ist
und wo das Auto plötzlich auf dem unebenen Boden aufgesetzt ist.
Vor den Augen aller wird das nachgestellt, was Axel dem Staatsanwalt und dem Vorsitzenden Richter erzählt.
Und auch bei der Nachstellung setzt das Auto an derselben Stelle auf dem Waldboden auf.
Das untermalt seine Glaubwürdigkeit.
Dass er aber nicht mit seinem Vater und dem Entführungsopfer in den Wald gegangen ist,
sondern offenbar nichtsahnend gewartet hat, kann Axel nicht beweisen.
Der Einzige, der das bestätigen könnte, ist Volker,
der von einem Polizisten durch den Wald geführt wird.
Die Anwesenden hoffen, dass er vielleicht hier, wo er Ben getötet haben soll, endlich glaubwürdige Angaben macht.
Schließlich ist er mutmaßlich derjenige, der Bens letzte Minuten miterlebt hat,
seine Angst gespürt haben muss.
Doch Volker sagt nichts.
Er steht nur da und schaut mit der gewohnten Ausdruckslosigkeit in den Wald.
Als sie an der Stelle angekommen sind, an der Bens Leiche gefunden wurde,
fragt Volker nur, ob er mal aufs Klu dürfe.
Aber Volker muss auch nicht sprechen.
Bei all der Selbstsicherheit hat er trotzdem Fehler gemacht.
Fehler, die vor Gericht zu Indizien geworden sind.
Indizien, die ausreichen, um ihm die Tat nachzuweisen.
Da ist das Holzstück, das Volker bei der ersten Lösegeldübergabe
im Schloss der Schallschutzmauer zurückgelassen hat.
Warum, kann nie abschließend geklärt werden.
Aber daran, dass es aus Volkers Garage kommt, gibt es keine Zweifel.
Ähnlich steht es um das Blut von Ben,
das Volker in seinem selbstgebauten Gefängnis in der Garage
unter der weißen Wandfarbe konserviert hat.
Wie es an die Wand gekommen ist, bleibt unklar.
Vielleicht hat Ben schon bei der Entführung
so schwere Verletzungen davon getragen,
dass er anschließend in Gefangenschaft stark geblutet hat.
Oder aber, er wurde von Volker
in dem kleinen Raum weitergeschlagen und misshandelt.
Und dann ist da noch der schwarze Geländewagen,
der bei der zweiten Lösegeldübergabe
von den Polizeibeamtinnen gesehen wurde
und auf Volker zugelassen war.
Und die 4 Millionen Mark,
die er unter dem Kompost im Garten seiner Eltern vergraben hat.
Entscheidend ist aber am Ende ein anderes Indiz.
Eine winzige Faser, die die Ermittlenden
erst am Fundort der Leiche entdeckt haben.
Auf dem Waldboden, wo Bens Körper tagelang lag,
konnten Faserspuren eines Pullovers nachgewiesen werden,
die auch an einer Hose von Volker hafteten.
Für sie kann nachgewiesen werden,
was für Volkers Verurteilung enorm wichtig ist.
Nämlich, dass der Mann mit den kalten grünen Augen
am Leichenfundort war.
Und dass diese Augen wahrscheinlich tatsächlich
das letzte waren, was Ben vor seinem Tod gesehen hat.
1. Oktober 1989,
genau zwei Jahre nachdem Ben entführt wurde,
werden seine Peiniger zum letzten Mal
in den Gerichtssaal gebracht.
Sie würdigen sich noch immer keines Blickes.
Dafür sind alle anderen Augen im Saal auf sie gerichtet,
als das Urteil gesprochen wird.
Noch immer stünde nicht mit 100%iger Wahrscheinlichkeit fest,
was vor zwei Jahren,
als Ben vom Parkplatz seiner Firma verschwunden ist,
passiert ist,
gibt der Vorsitzende Richter zu,
als er das Wort ergreift.
Trotzdem sei man überzeugt davon,
dass Ben nach seiner Entführung
nicht mehr lange gelebt hat.
Das Gericht ist sich sicher,
dass er sich vehement gewehrt
und Volker im Nahkampf
die Maske vom Gesicht gezogen hat.
Dabei habe er seinen Entführer,
den Mann seiner Angestellten, erkannt,
was sein Todesurteil gewesen sei.
Ben wusste zu viel,
deshalb musste er sterben.
Aufgrund der Knochenbrüche,
die die Rechtsmedizin an der Leiche festgestellt hat
und des Blutes an den Wänden,
ist davon auszugehen,
dass Ben schon in der Garage
übel zugerichtet wurde,
stellt der Vorsitzende Richter fest.
Letztendlich hält es das Gericht
für am wahrscheinlichsten,
dass Volker Ben am 3. Oktober,
also nur einen Tag nach der Entführung,
in den Wald gefahren hat.
Dort hat Volker Ben mit dem Spaten erschlagen,
Schlussfolgert das Gericht.
Er wird deshalb wegen Mordes
in einem
und wegen gemeinschaftlichem
erpresserischen Menschenraubes
in zwei Fällen,
nämlich für die Entführung von Ben
und die Entführung vom kleinen Noah
und seiner Freundin,
zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Die besondere Schwere der Schuld
wird bejaht.
Außerdem ordnet das Gericht
eine anschließende Sicherungsverwahrung an.
Axel kommt mit einer milderen Strafe davon.
Das Gericht verurteilt ihn zu zwölf Jahren Haft
wegen Beihilfe zum Mord an Ben
und wegen gemeinschaftlichem
erpresserischen Menschenraubes
im selben Fall.
sowie wegen Beihilfe
zum erpresserischen Menschenraub
im Fall von Noah.
Doch mit Beendigung des Prozesses
in Frankfurt
hat Axel nicht zum letzten Mal
auf einer Anklagebank Platz genommen.
Auch in Darmstadt,
wo im Entführungsfall von Jens
gegen Volker und Axel ermittelt wurde,
kommt es zur Anklage.
Aber nur gegen Axel.
Er wird auch hier
wegen Beihilfe
zum erpresserischen Menschenraub
verurteilt
und muss schließlich
für insgesamt 14 Jahre
ins Gefängnis.
Zwei Jahre mehr als vorher.
Was Volker angeht,
sehen die Behörden
von einer Anklage ab.
nicht, weil man an seiner Täterschaft zweifelt,
sondern weil Volker in Frankfurt
bereits zu lebenslanger Haft
verurteilt wurde.
Eine weitere Verurteilung
in Darmstadt
würde am Strafmaß nichts ändern.
Deshalb stellt man die Ermittlungen
nach § 154
der Strafprozessordnung ein.
Und kleiner Einschub hierzu.
Die Strafprozessordnung sagt,
dass die Staatsanwaltschaft
von der Verfolgung
einer Tat absehen kann,
wenn ein Täter oder eine Täterin
gleich mehrere Taten begangen hat,
wegen einiger von denen
aber schon verurteilt wurde
und eine weitere Verurteilung
am Strafmaß
nichts mehr ändern würde.
Also am Beispiel von Volker,
der hat ja bereits
lebenslang bekommen.
Da würde dann
eine weitere Verurteilung
im Fall von Jens
an der Höchststrafe
nichts mehr ändern.
Und deswegen muss man sich
dann die Umstände
eines weiteren Prozesses
nicht mehr machen.
Und damit spart man sich
natürlich Steuergelder
und die Zeit
von allen Prozessbeteiligten.
Für die Familien
und die Zugehörigen
kann das aber natürlich
super schlimm sein,
weil zu wissen,
wer Täter oder Täterin war
und dann aber
keinen Schuldspruch
zu bekommen,
das kann ja super hinderlich
bei der Verarbeitung sein.
Und so ein Prozess
bietet ja auch
der Familie
die Option,
bei einer Nebenklage
zu Wort zu kommen
und Fragen zu stellen.
Ja, genau.
Und Gehör zu finden
und seinem Leid
irgendwie Ausdruck zu verleihen.
Und es ist, finde ich,
auch schon ein großer Unterschied,
ob du sagen kannst,
XY wurde wegen Mordes
an meinem Partner,
sage ich jetzt mal,
verurteilt.
Oder eben sagst,
naja, eigentlich wissen alle,
wer es war.
Aber vor Gericht
musste der sich halt
nie dafür verantworten.
Ja, voll.
Ein 90 Zentimeter breites Einzelbett,
ein klappbarer kleiner Tisch,
davor ein Stuhl.
Viel mehr gibt es nicht
in dem kleinen Zimmer,
in dem Volker heute,
25 Jahre nach seiner Verurteilung,
in Sicherungsverwahrung lebt.
Trotzdem ist der Raum
etwa viermal so groß
wie das Verlies,
in dem er einst
Ben gefangen gehalten hat,
bevor er ihm das Leben nahm.
Volker bestreitet beides bis heute,
genau wie alle anderen Taten,
die ihm zulastgelegt werden.
Er behauptet noch immer,
Opfer einer Verschwörung
gegen ihn
und in Wahrheit unschuldig zu sein.
Die Wahrheit der Strafvollzugsbehörden
sieht anders aus.
Seit Volker seine Strafe
im Gefängnis abgesessen hat
und in die Sicherungsverwahrung
verlegt wurde,
wird einmal jährlich geprüft,
ob er an sich gearbeitet hat,
ob er vielleicht
nicht mehr gefährlich ist,
entlassen werden kann.
Bisher wurde diese Frage
immer verneint.
Sein Sohn Axel
wäre heute etwa so alt
wie sein Vater damals
bei seiner Verurteilung.
Axel hat elf Jahre
im Gefängnis verbracht
und dort seinen Realschulabschluss
nachgeholt,
bevor er wegen seiner
positiven Entwicklung
während des Strafvollzugs
frühzeitig entlassen wurde.
In Freiheit
hat Axel eine Frau
kennengelernt und geheiratet.
Er galt als gutes Beispiel
von Resozialisierung.
Bis man ihn Ende 2010
im Wald fand,
wo er sich selbst
das Leben genommen hat.
Zuvor habe es einen Streit gegeben,
sagt seine Frau.
Axel habe noch gesagt,
wir sehen uns
in einem anderen Leben wieder.
In einem anderen Leben
wird vielleicht auch Ben
seine Familie
wiedersehen können.
Seine Mutter Martha
ist 2017,
elf Jahre nach dem Tod
ihres Sohnes gestorben.
Weder sie
noch sonst jemand
aus der Familie Mendel
hat je öffentlich
über Ben gesprochen.
Öffentlichkeit
hatten sie genug
durch die zwei Männer,
die ihnen das genommen haben,
was ihnen kein Geld
der Welt jemals
ersetzen könnte.
Ben.
Also wenn du sowas
als Familie erlebst,
dass gleich
mehrere Familienmitglieder
entführt werden,
damit Geld erpresst wird,
da kannst du doch wirklich,
und das ist ja auch
bei Samuel so,
also nicht mehr
normal weiterleben.
Du musst ja quasi immer
Angst haben,
dass wenn dein Kind
jetzt alleine zur Schule geht
oder deine Frau
alleine zum Einkaufen geht,
dass jemand dir
das Liebste wegnehmen will
und zwar nur,
weil deine Familie
oder eben in diesem Fall
dein Vater
viel gearbeitet hat
und erfolgreich wurde
und deswegen eben
viel Geld hat.
Und dann das Ganze
noch bei einer Familie,
die aber ja mit diesem
Geld haben hinterm Berg
gehalten hat, ja.
Wahrscheinlich auch deshalb,
weil sie eben wussten,
was für ein Risiko
das birgt.
Ja, genau.
Und das hat man ja eben
auch bei diesen
bekannten Entführungsfällen
gesehen,
dass das natürlich auch
oft Leute des öffentlichen
Lebens waren,
von denen man wusste,
dass die Geld haben.
Also die Oetker-Entführung,
die Kronzuckerkinder
und der Aldi-Mitbegründer
Theo Albrecht,
der wurde auch entführt
und das ging sogar
drei Wochen lang.
Ja.
Und da war es ja so ähnlich
wie jetzt in dem Fall,
dass die sich ja gar nicht
in der Öffentlichkeit
gezeigt haben,
die Aldi-Brüder.
Da war das doch sogar so,
dass die Entführer
den vorher gefragt haben
nach dem Ausweis,
weil die nicht wussten,
wie der aussieht.
Und dann haben die
das gesehen
und dann haben die den
mitgenommen.
Du kannst dich halt
offenbar gar nicht
vor diesen Menschen
schützen,
die so habgierig sind.
Ja,
wie auch.
Das war's mit unserer
Mordlust-Folge.
Und wie gesagt,
hoppt gerne gleich rüber,
falls ihr's noch nicht getan habt,
zu Justitias Wille,
unserem neuen Podcast.
Leute, ich sag euch,
das war ein Haufen Arbeit.
Wir haben das nämlich
relativ kurzfristig entschieden,
diesen Prozess zu begleiten,
wirklich so vier Wochen vorher
und haben das auch alles
nur mithilfe von
Studio Bummens geschafft.
Vielen, vielen Dank dafür.
Und es ist natürlich auch
ein nicht ganz so
risikoarmes Projekt,
weil wenn man einen aktuellen Fall
begleitet,
da kann ja einiges passieren.
und ich glaube,
deswegen gibt es dieses Format
so bisher auch in Deutschland
noch gar nicht,
weil man ja nicht weiß,
wird der Prozess eingestellt,
werden Verhandlungstage verschoben
und so.
Also es ist für uns alle
wirklich gerade sehr,
sehr aufregend.
Ja, vielleicht wird dieser Podcast
noch viel, viel länger gehen,
als wir uns das jetzt gerade vorstellen.
Aber erst mal jetzt
fleißig abonnieren,
wenn ihr den Podcast
nicht finden solltet.
Den Link dazu packen wir euch
natürlich auch noch
in unsere Folgenbeschreibung.
Und wie gesagt,
lasst uns gerne, gerne
eine Bewertung da.
Das hilft uns nämlich total,
besser ausgespielt zu werden
und dass mehr Leute
den Podcast finden.
Weil man muss ja sagen,
als wir Mordlust angefangen haben,
gab es noch nicht viele
True Crime Podcasts.
Ja.
Aber jetzt gibt es viele
und deswegen wird man auch
normalerweise
nicht so schnell gefunden.
Genau.
Deswegen würden wir uns sehr freuen,
wenn ihr uns da genauso unterstützt,
wie bei der Anfangszeit
von Mordlust
und das zweite Baby
genauso wachsen lässt,
wie das erste große Klopperchen,
was wir hier schon
zur Welt gebracht haben.
Ja.
Und kommt, Leute,
wir hauen hier dieses Jahr
jede Woche eine Folge raus, ne?
Ja.
Und jetzt kommt noch oben drauf
nochmal mindestens zehn Episoden.
Also wenn das nicht
mindestens ein Abo
und ein Teil
bei Instagram
verdient hat,
dann weiß ich es auch nicht.
Also wir werden euch
auf jeden Fall
sehr dankbar dafür.
Das war ein Podcast
der Partner in Crime.
Hosts und Produktion
Paulina Kraser
und Laura Fohlers.
Redaktion
Wir und Isabel Mayer.
Schnitt
Henk Heuer.
Rechtliche Abnahme
und Beratung
Abel und Kollegen.