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#146 Im unruhestand

Bevor wir in die Folge starten, können wir schon mal verraten, dass das Thema heute die
allermeisten unserer HörerInnen noch nicht betrifft.
Aber ob das auch so bleibt, das wird sich erst in einigen Jahren oder Jahrzehnten zeigen.
Und vorher nochmal ein Hinweis.
Heute erscheint die vorerst vorletzte Folge von Justitias Wille.
Da spricht Laura heute mit jemandem, der eine psychische Erkrankung hat und sterben will.
Also genauso wie Isabel R., die Tote, um die es ja im Prozess geht.
Genau, und wir erfahren endlich, was der Gutachter zur Einschätzung ihres freien Willens sagt.
Und das ist ja eine der entscheidenden Fragen für den Prozess.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
Wir haben heute wieder ein Oberthema mitgebracht, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas ungehemmter miteinander sprechen.
Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Laura, in so Vorstellungsgesprächen, die schlimmste Frage, abgesehen hier von Stärken und Schwächen und so,
finde ich immer, also nicht, dass ich die letzten zehn Jahre ein Vorstellungsgespräch gehabt hätte,
aber bei meinem letzten Vorstellungsgespräch fand ich am schlimmsten, wo siehst du dich in fünf Jahren.
Wir wollen heute ja mal etwas weiter in die Zukunft schauen.
Deswegen jetzt die Frage, wo siehst du dich in 40 Jahren?
Ich muss einmal noch mal kurz zu den Stärken und Schwächen was sagen.
Wir beide werden ja wahrscheinlich nie wieder in unserem ganzen Leben ein Vorstellungsgespräch machen,
wo wir eingestellt werden wollen, hoffe ich jetzt einfach mal.
Aber andersrum ist das ja so.
Wir führen ja öfters mal Vorstellungsgespräche.
Bitte, wenn ich noch einmal lese oder höre, dass deine Schwäche Perfektionismus ist,
von dir da draußen, wer auch immer sich dann bei uns bewirbt, bitte nicht.
Nein, nein, nein, nein.
Bei uns bewirbt sich jetzt keiner mehr nach dieser Ansage.
Okay, dann sag eine gute Schwäche.
Was ist eine gute Schwäche zu erzählen in einem Vorstellungsgespräch?
Eine gute Schwäche?
Ja.
Es gibt keine gute Schwäche.
Es ist doch eigentlich super, wenn man gar keine Schwächen hat.
Nein, das heißt, dass du total unreflektiert bist.
Hä?
Sollst du sagen, ich habe keine Schwäche?
Nein, aber...
Das würde dir gefallen bei einem Vorstellungsgespräch.
Okay, eine Schwäche, mit der ich total gut leben kann, weil ich kann mit diesem Perfektionismus-Ding
nicht leben, wenn jemand sagt, das ist eine Schwäche, weil...
Ja, okay.
Oder?
Aber das verstehst du, weil das ist ja eigentlich so eine verpackte Stärke, was die denken, was
die dann mir sagen.
Natürlich, und es sagt jeder und es ist super unkreativ, was blöd ist für einen Job, der
daraus besteht, dass du kreativ bist.
So, deswegen, okay, aber...
Das stimmt, okay.
Ich habe jetzt hier so die Waffe auf der Brust und ich würde sagen, was ich sagen würde,
wenn ich bei mir selber ein Vorstellungsgespräch hätte.
Meine Schwäche ist, also eine ehrliche Schwäche, die ich habe, hatte, ein bisschen habe ich
schon daran gearbeitet, ist ja, dass ich mich schwer kurz fassen kann.
Okay, ja, damit kann ich leben.
Okay.
Jetzt möchte ich aber deine auch wissen.
Jetzt, wo ich mich hier so nackig gemacht habe.
Du hast dich total aufgemacht jetzt.
Super krass verletzlich gezeigt.
Ich glaube, ich würde sagen, meine Schwäche, also aktuell ist meine Schwäche Mittagsschläfchen.
Ja, das machst du schon gerne, das stimmt.
Aber ich weiß ja, dass du dann hinten raus immer öfters mal was dranhängst.
Ja.
Ihr merkt, die, die sich potenziell bei uns bewerben möchten, Mittagsschläfchen sind hier,
also angesehen, kann man machen.
So, wo waren wir, wo ich mich in 40 Jahren sehe?
Ja.
Ich muss sagen, ich glaube nicht, dass wir da noch Mordlust machen, auch wenn das vielleicht
jetzt einige enttäuschen wird.
Ich glaube, da würde ich gerne, weil dann sind wir schon so lange am Arbeiten, im Arbeitsleben,
da würde ich zumindest, was die Arbeit angeht, wirklich nur noch machen, worauf ich richtig,
richtig Bock habe.
Weißt du, wo man sich dann wirklich nur noch aussuchen kann.
Also nicht sowas wie, jede Woche musst du Mordlust rausbringen und auch wenn du jetzt in
der Woche zum Beispiel nicht kreativ bist und irgendwie eine tolle Geschichte schreiben
kannst, sondern nur noch Sachen, die man auch unbedingt machen will.
Und wenn das auch nur ein Projekt in, also ein Projekt im Jahr ist, weißt du?
Mhm.
Ich meine, wir sind dann Mitte 70, ne?
Ich weiß nicht, ob ich Bock habe, überhaupt noch zu arbeiten.
Ich sehe dich da schon noch im Gerichtssaal sitzen.
Als?
Reporterin.
Ach so.
Als Angeklagte.
Das könnte sein.
Und darum geht es hier ja auch heute, nämlich um ältere Menschen, die auf der Anklagebank
sitzen oder im Gefängnis.
Wir sprechen nämlich heute hier über Alterskriminalität.
Und davon spricht man, wenn Personen, die älter sind als 60, straffällig werden oder wenn
SeniorInnen der Prozess gemacht wird und sie ins Gefängnis müssen, auch wenn jetzt ihre
Verbrechen vielleicht schon Jahrzehnte zurückliegen.
Dabei handelt es sich jetzt nicht um ein Massenphänomen.
Laut dem Portal Statista saßen 2023 knapp 43.700 Menschen insgesamt im Gefängnis und davon
waren jetzt gerade mal 2.317 Personen, Ü60.
Aber Alterskriminalität ist ein Thema, was die Justiz in Zukunft immer mehr beschäftigen
wird.
Allein aufgrund des demografischen Wandels und einfach der Tatsache, dass unsere Gesellschaft
immer älter wird.
Daher sprechen wir heute unter anderem darüber, wieso Menschen so spät noch kriminell werden.
Ob es jetzt analog zum Jugendstrafrecht auch ein Altersstrafrecht braucht und warum es
fatal ist, dass SeniorInnen oft als süße Omis und nette Opis abgestempelt werden.
Mein Fall zeigt, was passieren kann, wenn jemand einen jahrzehntelangen Leidensweg geht und
sich am Ende mit dem Rücken zur Wand stehen sieht.
Alle Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Zweifaltige Hände umfassen den schlanken Metallschläger mit geübtem Griff.
Friedrich holt aus und schlägt.
Zufrieden beobachtet er, wie der weiße Ball über den sattgrünen Rasen fliegt.
Als die kleine weiße Kugel in einiger Entfernung landet, setzt er sich in Bewegung.
Auf dem weitläufigen Platz kommt der Rentner zur Ruhe.
Golf ist sein Ventil.
Der Kors sein Zufluchtsort, wenn ihm zu Hause mal wieder alles viel zu viel wird.
Hier ist nur der nächste Schlag wichtig.
Beim Ball angekommen, setzt er erneut zum Abschlag an und sieht wieder zu, wie der Golfball durch
die Luft fliegt.
Frei, ohne Verpflichtung und ohne Angst vor all dem, was noch kommen wird.
22. Februar 2015.
Es ist halb neun am Sonntagmorgen, als Michael und seine Frau Ursula ihr Haus in Wuppertal verlassen.
Sie müssen sich beeilen.
Vor knapp einer Stunde hat Michaels Vater Friedrich auf den Anrufbeantworter gesprochen,
den Ursula gerade erst abgehört hat.
Friedrichs Stimme klang normal, unaufgeregt wie immer.
Der 78-Jährige wählte seine Worte mit Bedacht.
Doch der Inhalt beunruhigte das Ehepaar.
Friedrich sagte, es sei etwas Schlimmes passiert.
Michael und Ursula sollen sofort kommen und an den Haustürschlüssel denken.
Daher laufen die beiden jetzt zum Haus von Michaels Eltern Friedrich und Gerda, das nur
200 Meter entfernt von ihrem eigenen steht.
Als Michael mit Ursula an der vertrauten Fassade seines Elternhauses ankommt, stecken sie den
Schlüssel ins Schloss.
Kaum ist die Haustür offen, bahnen sie sich ihren Weg durch den Flur und rufen nach Friedrich.
Keine Antwort.
Nur Schritte auf der Treppe.
Auf wackeligen Beinen und im Schlafanzug steckt Friedrich die Stufen vom Obergeschoss, wo sich
das Schlafzimmer befindet, ins Erdgeschoss.
Er wirkt verschlafen, reagiert aber klar, als Michael und Ursula ihn mit Fragen bombardieren.
Geht's ihm gut?
Was ist denn so schlimmes Geschehen?
Warum sollten sie so dringend herkommen?
Gerda ist tot, sagt Friedrich.
Sie liege unten, im Auto.
Sofort läuft Ursula los, die Treppe runter in den Keller und in die angrenzende Garage.
Dort steht die Mercedes-A-Klasse ihrer Schwiegereltern, wie immer rückwärts eingeparkt.
Das Fenster auf der Fahrerseite ist nach unten gekurbelt.
Im Inneren erkennt Ursula Decken, die über Fahrer- und Beifahrersitz liegen.
Durch das offene Fenster beugt sie sich in den Wagen und zieht daran.
Darunter zum Vorschein kommt ein Gesicht, das Ursula seit fast 20 Jahren vertraut ist und
jetzt doch ganz anders aussieht als sonst.
Aus den Wangen ihrer Schwiegermutter Gerda ist jegliche Farbe gewichen.
Und aus ihrem Körper das Leben.
Wenig später parken Rettungskräfte und PolizistInnen ihre Einsatzwagen vor dem Familienhaus.
Anders als Ursula betreten sie die Garage nicht sofort.
Bei der Mitteilung leblose Person in einem Auto in einer Garage ist es wahrscheinlich, dass sich die Person durch das Einatmen von Autoabgasen suizidiert hat.
Also messen die Einsatzkräfte zuerst den CO2-Wert.
Als sie sicher sind, dass keine Gefahr besteht, kann sich der Notarzt Gerda genauer ansehen.
Und nur noch bestätigen, was Friedrich, Michael und Ursula bereits wissen.
Die 77-Jährige ist tot.
Dabei ist Gerda nicht der einzige Mensch, um den sich der Notarzt kümmern muss.
Als er mit Michael, Ursula und den PolizistInnen bei Friedrich steht, verliert der die Fassung.
Tränen laufen über seine Wangen.
Der 78-Jährige weint und schluchzt.
Aber er bemüht sich, die Frage zu beantworten, die alle Menschen haben, die gerade in seinem Haus sind.
Was ist passiert?
Einen Tag zuvor.
An dem Februar-Samstag holt er Gerda am frühen Nachmittag wie so oft nach Hause.
Seine Frau lebt momentan nicht in dem Einfamilienhaus, sondern wird in einer psychiatrischen Einrichtung stationär behandelt.
Sie trinken Kaffee und kommen dabei auf ein Thema zu sprechen, das sie schon lange umtreibt.
Nachdem das Leben in den letzten Jahren immer schwerfälliger wurde, die beiden immer weniger positive Momente miteinander teilten, ziehen sie Bilanz.
So könne ihr Leben nicht weitergehen, sagt Friedrich.
Daher entscheiden sich die beiden zu sterben.
Und zwar heute.
Bevor sie gemeinsam diese Welt verlassen, fahren sie abends ein letztes Mal zu ihrem Stammgriechen.
Als sie danach wieder in die A-Klasse steigen, lenkt Friedrich den Wagen zu einem abgelegenen Parkplatz in der Nähe eines Waldes.
Drei Kilometer von ihrer Wohnsiedlung entfernt.
Nachdem Friedrich den Mercedes in der Dunkelheit in der Nacht abgestellt hat, greifen beide zu einer Flasche Uso, die sie mitgebracht haben.
Dann ist es soweit.
Gerda und Friedrich nehmen die vorbereiteten Plastiktüten und ziehen sie sich über den Kopf.
Friedrich spürt noch, wie der Kopf seiner Frau auf seine Schulter sackt.
Bei ihm selbst funktioniert das Erstecken mit der Plastiktüte nicht, erzählt er.
Aber er hat vorgesorgt.
Und so öffnet er die mitgebrachte Gaskartusche, die er normalerweise dafür verwendet, das Unkraut in seinem Garten abzuflammen.
Während das Gas ausströmt, sinkt Friedrich in den Fahrersitz zurück.
In wenigen Augenblicken wird alles vorbei sein.
Sieben Stunden später schlägt Friedrich die Augen auf.
Die Kälte des Februarmorgens kriecht unter seine Kleidung und packt ihn mit Klamm im Griff.
Er blickt nach rechts auf den Beifahrersitz zu seiner geliebten Gerda.
Sie ist tot.
Aber er lebt.
Der Plan ist nicht aufgegangen.
Friedrich entscheidet sich, nach Hause zu fahren.
Dort lotet er seine Möglichkeiten aus.
Dass er sich im Haus erhängt, ist keine Option.
Michael und Ursula sollen ihn keinesfalls so finden.
Das Mittel seiner Wahl ist es, giftige Augentropfen zu trinken.
Er spricht seinem Sohn auf den Anrufbeantworter und legt sich ins Bett.
Bald ist er wieder bei seiner Gerda.
Doch auch dieser Suizidversuch misslingt.
Das ist das Bild, das sich aus den Bruchstücken zusammensetzen lässt,
die Friedrich zuerst seiner Schwiegertochter und danach dem Notarzt berichtet.
Dabei hört er nicht auf zu schluchzen.
Seine Frau ist tot und ohne sie möchte auch der 78-Jährige nicht mehr weiterleben, sagt er.
Weil Friedrich immer wieder von dem gemeinsam geplanten Suizid spricht, wird er ins Krankenhaus gebracht.
Die Untersuchungen zeigen, dass der Rentner körperlich fit, aber psychisch angeschlagen ist.
Er redet die ganze Zeit weiter von der Selbsttötung mit Alkohol, Propangas und Augentropfen.
Auch nach einer Woche sind sich die Ärztinnen sicher, der 78-Jährige ist nach wie vor akut eigengefährdet.
Eine Rückkehr nach Hause, ausgeschlossen.
Als Friedrich das hört, wird er zornig.
Laut und deutlich betont er immer wieder, keinen neuen Suizidversuch unternehmen zu wollen.
Schließlich existiere die Situation, unter der er so gelitten habe, nicht mehr.
Er könne nun endlich leben, sagt Friedrich.
Mit der Situation meint er seine 54-jährige Ehe mit Gerda.
Diese war vor allem in den vergangenen Jahren eher Belastung als Glück für den Rentner.
Das ist inzwischen auch den Ermittlenden bekannt.
Und genau deshalb sind die auch nicht von Gerdas Todeswunsch überzeugt.
Schon als der Notarzt in der Garage den Tod der Rentnerin feststellt,
fällt ihm ein Hämatom an ihrem rechten Auge auf.
Und auch an ihren Unterarmen bemerkt er blaue Flecken.
Als Todesursache kann der Mediziner also Fremdverschulden nicht ausschließen.
Daher übernimmt die Polizei die Ermittlung.
Als Friedrich ins Krankenhaus kommt, wird seine Frau zur Obduktion in die Rechtsmedizin gebracht.
Dabei entdeckt der Pathologe, dass Gerdas Lungen prall sind wie Kissen.
Sie sind aber nicht mit Luft, sondern mit Blut gefüllt.
Ein typisches Merkmal für einen Erstickungstod.
Aber neben den Blutergüssen an Gerdas Auge und den Unterarm
werden weitere Hämatome am Körper der Rentnerin sichtbar.
Auch die Haut an ihren Oberarm ist verfärbt.
Am schlimmsten sehen die Einblutungen auf Gerdas Rücken aus.
Als wäre er eine Leinwand, die jemand mit roter und blauer Farbe bemalt hat.
Was geschah in dem Mercedes zwischen den beiden Menschen,
die 54 Jahre lang verheiratet waren?
Rückblick.
1958 jubelt Deutschland über das Wirtschaftswunder.
Konrad Adenauer ist Bundeskanzler und auf Partys wird zu Hits wie
Que sera sera und Pack die Badehose eingetanzt.
Auch auf der, die Friedrich an diesem Abend besucht.
Eigentlich hat der Anfang 20-Jährige gerade wenig Zeit für solche Dinge.
Nach seiner Arbeit als Klischee-Etzer, eine Art Mediengestalter,
verbringt er viele Stunden auf dem Grundstück, das er sich kürzlich gekauft hat.
Es liegt in derselben Siedlung, in der er mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder aufgewachsen ist.
In Eigenregie ist Friedrich dabei, Bäume und Gestrüpp zu roden und das Areal herzurichten.
Sein Plan, er will wie seine Eltern ein Haus bauen, in dem er und seine zukünftige Familie ein glückliches Leben führen können.
Aber an diesem Abend macht er eine Pause, um tanzen zu gehen und nähert sich dabei seinem Lebenstraum ein großes Stück.
Im Getümmel kommt er mit einer Frau ins Gespräch.
Sie ist ein Jahr jünger als er.
Für Friedrich ist es Liebe auf den ersten Blick.
Er ist hin und weg von Gerda, wie sich die Bankkauffrau ihm vorstellt.
Friedrich bemerkt schnell, dass Gerda einen tollen Charakter hat und zäh ist.
Keine Mimose.
Genauso hatte er sich seine zukünftige Ehefrau immer vorgestellt.
Und auch Gerda ist angetan von Friedrich und seiner zielstrebigen eigenständigen Art.
Die beiden werden ein Paar.
Drei Jahre später, im Januar 61, läuten die Hochzeitsglocken.
Gerda und Friedrich schwören sich die Treue, in guten wie in schlechten Tagen, in Gesundheit und Krankheit, bis dass der Tod sie scheidet.
Bald darauf packen sie in ihren eigenen vier Wänden die Umzugskisten aus.
Zum großen Glück fehlt nur noch Kinderlachen, das durch Friedrichs selbst gebautes Haus heilt.
Auch dieser Wunsch geht in Erfüllung.
1964 bringt Gerda Sohn Michael zur Welt.
Als Friedrich das Menschlein mit den roten Bäckchen auf den Arm nimmt, platzt der 28-Jährige fast vor Glück.
Alle seine Träume sind wahr geworden.
Doch dann löst sich seine Wolke 7 von einem auf den anderen Tag in Luft auf.
Und Friedrich fällt.
Jahrelang.
Er ist bei der Arbeit, als er eine Nachricht erhält, die sein Leben von nun an auf den Kopf stellen wird.
Er muss sofort nach Hause.
Irgendwas ist mit Gerda.
Die 27-Jährige ist mit dem Neugeborenen Michael erst vor kurzem aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen.
Weil Friedrich arbeiten muss, hilft Gerdas Mutter ihrer Tochter mit dem Baby.
Als Friedrich das Haus betritt, erkennt er sofort, dass mit Gerda etwas nicht stimmt.
Sie läuft nackt herum und faselt immer wieder davon, Michael sei Jesus und sie die Jungfrau Maria.
Friedrichs Schwiegermutter steht die Sorge ins Gesicht geschrieben.
Sie konnte ihre Tochter nicht beruhigen und nachdem Gerda sie sogar gebissen hat, alarmierte sie ihren Schwiegersohn.
Friedrich kontaktiert den Hausarzt, der Gerda Beruhigungsspritzen verabreicht.
Doch selbst hohe Dosen helfen nicht.
In verschiedenen Kliniken wollen die ÄrztInnen herausfinden, was der jungen Mutter fehlt.
Zuerst vermuten sie eine Wochenbettpsychose, dann Schizophrenie.
Nach weiteren Untersuchungen steht die Diagnose fest.
Gerda leidet an einer bipolaren Störung bzw. einer schizoaffektiven Psychose.
Sie ist manisch-depressiv, schwankt zwischen Himmel hoch jauchzend und zu Tode betrübt.
Die ÄrztInnen versuchen Gerda medikamentös einzustellen,
doch die Forschung ist Mitte der 60er Jahre noch nicht sehr vertraut mit ihrem Krankheitsbild und den Symptomen.
Daher dominieren ÄrztInnenbesuche und Krankenhausaufenthalte Gerdas Alltag.
Aber auch, wenn sie zu Hause ist, ist Gerda aufgrund ihres Zustands nicht in der Lage,
sich um Söhnchen Michael zu kümmern.
Friedrich bemüht sich zwar sehr, seinem Jungen ein guter Vater zu sein,
aber er kämpft damit, Familie, Haushalt und Arbeit unter einen Hut zu bekommen.
Zum Glück leben Gerdas Eltern in der Nähe, genauso wie Friedrichs Eltern und seinen Bruder.
Friedrich ist dankbar für die helfenden Hände,
die dafür sorgen, dass das Familienleben einigermaßen geregelt verläuft.
Trotzdem fällt es ihm schwer, das Beste aus der Situation zu machen.
Immer wieder quält ihn eine Frage.
Warum muss ausgerechnet Gerda und ihn so ein Schicksal ereilen?
Hoffnung schöpft er, als etwa vier Jahre nach Gerdas Diagnose ein neues Medikament auf den Markt kommt.
Die Tabletten mildern Gerdas extreme Stimmungsschwankungen,
die den Alltag der Familie bestimmen.
Friedrich ist erleichtert, als Gerda wieder stabil genug ist,
um sich selbst um Michael und den Haushalt zu kümmern.
Aber das gelingt trotz Tabletten nicht immer.
Gerdas Laune ist nach wie vor sehr wechselhaft.
Ihre Stimmung kann Friedrich schon daran ablesen, was Gerda morgens aus dem Schrank zieht.
In manischen Episoden sieht sie mit ihren übertrieben farbenfrohen Klamotten oft aus,
als würde sie auf eine Faschingsparty gehen.
Gerda ist dann in allem, was sie tut, euphorisch und extrem überschwänglich.
Sie läuft herum wie ein aufgescheuchtes Huhn,
redet viel, reißt Witze und ist in ihrem Eifer kaum zu bremsen.
Weil Friedrich weiß, dass Gerda einen Gegenpol braucht, damit sie sich wieder entspannt,
bemüht er sich besonders darum, ruhig zu bleiben.
Auch wenn ihn das viel Kraft kostet.
Er will seine Frau auf gar keinen Fall anschreien oder einen Streit vom Zaun brechen.
Vor allem nicht vor Michael.
Friedrich liebt Gerda, auch wenn ihre Krankheit sie manchmal in einen Menschen verbringt.
Wandelt, der ihm fremd ist.
Besonders schlimm ist es an den Tagen, an denen eine dunkle Gewitterwolke über Gerda zu hängen scheint.
In den depressiven Phasen bleiben die bunten Blusen im Schrank.
Stattdessen kleidet sie sich wie für eine Beerdigung.
Egal wie behutsam Friedrich dann mit ihr spricht, er kommt nicht an seine Frau heran.
Sie zieht sich in ein Schneckenhaus zurück.
Und wenn sie doch mal hervorkommt, ist sie aggressiv, beschimpft und kritisiert Friedrich.
Ihn verletzt das, aber er versucht besonnen zu bleiben und Gerda so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten.
Er weiß, dass alles andere zwecklos wäre.
Seine Frau verhält sich ja nicht absichtlich so.
Sie ist krank.
So lernt Friedrich über die Jahre, dass er je nach der Phase, in der sich Gerda gerade befindet,
mal der beste Ehemann der Welt und kurze Zeit später ein teuflischer Mann ist.
13 Jahre nach der Diagnose schimmert ein Lichtblick auf.
Gerda ist stabil genug, um wieder als Bankkauffrau arbeiten zu können.
Zumindest in Teilzeit und auch nur, wenn es ihr gut geht.
Für Friedrich ist es nach all den Jahren die erste Verschnaufpause, die er so dringend nötig hat.
Denn Gerdas Erkrankung und all ihre Konsequenzen gehen auch an dem inzwischen 41-Jährigen nicht spurlos vorbei.
Schwindel, Kopfschmerzen und Überlastung machen ihm zu schaffen.
Sein Arzt diagnostiziert ihm einen psychovegetativen Erschöpfungszustand und schickt ihn mehrfach auf Kur.
Wieder zu Hause entdeckt Friedrich eine Beschäftigung, die ihm hilft, Kraft zu tanken und mit der Situation zu Hause besser fertig zu werden.
Er meldet sich im Golfclub an.
In den Stunden auf dem Platz gelingt es ihm, alle Sorgen zur Seite zu schieben
und sich nur darauf zu konzentrieren, den kleinen weißen Ball in den Himmel zu schlagen.
Dabei wird Friedrich so schnell erfolgreich, dass er mit der NRW-Mannschaft immer wieder auch an internationalen Turnieren teilnimmt.
Eine willkommene Abwechslung zum anstrengenden Alltag.
Wie sehr Gerdas Krankheit das Familienleben bestimmt, merkt nun auch Michael immer deutlicher.
Er ist inzwischen 13 und fängt an zu begreifen, dass seine Mama nicht, wie er selbst, einfach gute oder auch mal schlechte Laune hat,
sondern dass bei ihr alles extremer ist.
Wenn Gerda übertrieben bunt rumläuft, ist Michael das manchmal peinlich.
Aber der Teenager merkt auch, dass sie in solchen Phasen besonders großzügig ist und ihm viele Wünsche erfüllt.
Daher gelingt es ihm, sich mit dem Verhalten seiner Mutter zu arrangieren.
Doch gerade als sich das Familienleben einigermaßen eingependelt hat, schlägt das Schicksal erneut zu.
Mit Mitte 50 erhält Gerda eine weitere Diagnose.
Sie hat Brustkrebs.
Um das Karzinom zu besiegen, muss eine Brust entfernt werden.
Friedrich macht sich große Sorgen um Gerda.
Selbst eine erneute Kur bringt ihm nicht die gewünschte Erholung.
Vor allem dem Druck in der Arbeit hält er jetzt nicht mehr Stand.
Er wird daher mit 58 Jahren Frührentner.
Wenig später erhalten Friedrich und Gerda noch eine Hiobsbotschaft.
Gerda muss die Tabletten, mit denen sie ihre Stimmungsschwankung seit 30 Jahren einigermaßen im Griff hat, absetzen.
Sie greifen ihre Nieren so stark an, dass sie bald auf Dialyse angewiesen sein könnte.
Für Friedrich geht, Zitat, die Hölle wieder los.
Denn jetzt mit Anfang 60 werden Gerdas Hochphasen noch höher und die Tiefen noch tiefer.
Mit diesen Extremen kann Friedrich immer schlechter umgehen.
Er ist inzwischen nicht mehr so jung und widerstandsfähig.
Die vergangenen Jahrzehnte der Pflege haben ihm stark zugesetzt.
Doch er macht weiter.
Tag für Tag.
Monat für Monat.
Jahr für Jahr.
Und als er denkt, dass er nicht noch mehr ertragen kann,
findet er seine Gerda im Februar 2009 plötzlich an der Schwelle zum Tod.
Sie hat versucht, sich mit einer Medikamentenüberdosis das Leben zu nehmen.
Aber sie atmet noch, als Friedrich sie zu Hause findet.
Wieder einmal kommt sie für lange Zeit ins Krankenhaus.
Zwei Jahre später, 2011, sind Gerdas Stimmungsschwankungen so extrem wie lange nicht.
Die 74-Jährige ist nur noch aggressiv, faucht ihn an, schreibt Zettel mit Botschaften wie
Du bist es nicht wert.
Ich will nicht mehr mit dir zusammen sein.
Außerdem verlangt sie, er solle aus dem Haus ausziehen.
Und sie gibt Annoncen auf, in denen sie jüngere Männer sucht.
Friedrich wird von Tag zu Tag hilfloser.
Er kann nichts mehr richtig machen, kommt nicht mehr an seine Gerda heran.
Ihre Krankheit droht auch ihn zu zerfressen.
Seine Nerven liegen blank.
Sein Arzt stellt eine wiederkehrende depressive Störung fest.
Obwohl das Zusammenleben mit Gerda schlimmer ist als je zuvor,
kommt eine Trennung für Friedrich nicht in Frage.
Er erinnert sich an das Versprechen, das er Gerda am Traualltag gegeben hat.
In guten wie in schlechten Tagen.
Nur überschatten die schlechten Tage inzwischen jeden Hoffnungsschimmer.
Anfang 2015 geht dem inzwischen 78-Jährigen endgültig die Kraft aus.
Seit über 50 Jahren bestimmt Gerdas Erkrankung nicht nur ihr, sondern auch sein Leben.
Friedrich geht auf dem Zahnfleisch.
Selbst in den Auszeiten auf dem Golfplatz findet er nicht mehr die nötige Erholung.
Seine Gedanken kreisen nur noch um Gerda und die Zukunft, die in Friedrichs Augen düster aussieht.
Er glaubt nicht mehr daran, dass sich Gerdas Zustand irgendwie wieder verbessern könnte.
Sein Leid klagt er einem Nachbarn.
Ihm offenbart er, dass er selbst völlig am Ende sei und nicht mehr leben wolle.
Zugleich betont er, dass er das Gerda nicht antun könne.
Seinen Suizid würde sie niemals verkraften.
Sechs Tage später ist nicht Friedrich tot, sondern Gerda.
Im November 2007, fast drei Jahre danach, beginnt vor dem Wuppertaler Landgericht der Prozess gegen Friedrich.
Im Saal nimmt der inzwischen 81-Jährige auf der Anklagebank Platz.
Das Verbrechen, das ihm zur Last gelegt wird, lautet Totschlag.
Denn die Staatsanwältin hegt massive Zweifel an Friedrichs Erzählung vom gemeinsamen Suizid, der nur Gerda gelang.
Als sie den Tag, an dem die 77-Jährige starb, für alle Anwesenden im Gericht sei rekonstruiert, wird klar, dass Friedrich in seiner Version ein paar entscheidende Details geändert hat.
Im Februar 2015 hat Gerda nach mehreren Wochen in der Klinik große Fortschritte gemacht.
Sie ist zwar körperlich eher gebrechlich und nach wie vor auf Medikamente angewiesen, aber laut ihrem Arzt ist sie emotional stabil und zukunftsorientiert.
Am Samstag, den 21. Februar 2015, holt Friedrich seine Frau für einen Nachmittag nach Hause.
Als sie sich an den Kaffeetisch setzen, spricht Friedrich Gerdas Gesundheitszustand an.
Der 78-Jährige macht deutlich, wie belastend die Situation sei, die er inzwischen schon ein halbes Jahrhundert ertrage.
Jetzt ist es genug. Friedrich will nicht mehr leben. Aber er will auch Gerda nicht alleine lassen.
Welche Angst diese Worte bei seiner Frau schüren, ist ihm klar.
Gerda weiß, was Friedrich seit Jahrzehnten ihr zuliebe alles tut und dass sie ihren Alltag ohne ihn gar nicht bewältigen kann.
Friedrichs Plan geht in nur 15 Minuten auf.
Die psychisch labile Gerda stimmt ihrem Mann zu. Ein gemeinsamer Suizid sei die beste Lösung.
Friedrich weiß, dass Gerda nicht in der Lage ist, die nötigen Vorkehrungen zu treffen.
Aber er hat sich bereits überlegt, wie sie sich das Leben nehmen. Und zwar im Auto.
Denn ihr Haus soll nicht, Zitat, entehrt werden.
Gegen 17.30 Uhr fahren sie ein letztes Mal zu ihrem griechischen Stammlokal.
Zum Essen trinkt Friedrich ein kleines Bier, Gerda ein Alsterwasser.
Mit der Rechnung serviert der Wirt einen Uso als Verdauungsschnaps.
Wieder zu Hause lädt Friedrich vier Mülltüten, für jeden zwei, doppelt hält besser, Spanngurte und eine Gaskartusche mit einem Propan-Butan-Gas-Gemisch,
das er zur Unkrautvernichtung benutzt, ins Auto.
Dass die Gase keine toxische Wirkung haben und daher für den Suizid nutzlos sind, weiß Friedrich nicht.
Dann schreibt er Notizen auf drei Zettel, die er unter anderem für seinen Sohn im Haus hinterlässt.
Einmal, es reicht, der Tod ist Erlösung.
Kein Kummer, Schmerz, Klinik, Zukunftsgedanken, Verzweiflung, Erlösung.
Dann, nur so kann das Haus gerettet werden.
In Klammern, keine Heime.
Und, tschüss.
Währenddessen fordert er Gerda immer wieder dazu, auf Uso zu trinken.
Gerda ist Alkohol nicht gewohnt.
Sie darf ihn wegen der Medikamente, die sie nimmt, eigentlich nicht trinken.
Gegen 21 Uhr steigen die beiden in den Mercedes und fahren zu einem Parkplatz am Waldrand.
Dort stülpt sich Gerda zwei Mülltüten über den Kopf.
Friedrich hilft ihr, sie mit einem der Spanngurte,
die er normalerweise dafür benutzt, seine Golftasche am Golfwagen zu befestigen,
an ihrem Hals festzuzurren.
Bevor er beginnt, die Vorbereitung für seinen eigenen Suizid zu treffen,
öffnet er das Ventil der Gaskartusche und sieht zu,
wie Gerda die restliche Luft unter ihren Plastiktüten einatmet.
Doch als der Sauerstoff verbraucht ist, wird Gerda panisch
und versucht, sich die Tüten vom Kopf zu reißen.
Als Friedrich das erkennt, entschließt er sich spontan, die Situation auszunutzen.
So groß ist seine Angst vor den Strapazen,
die auf ihn zukommen, wenn Gerda weiterleben würde.
Daher packt er zuerst ihre Arme
und drückt dann ihren Oberkörper mit aller Kraft in den Beifahrersitz.
Gerda versucht, sich aus Friedrichs Griff zu winden.
Im Todeskampf stößt sie mit der rechten Gesichtshälfte
im Bereich ihres Auges gegen die B-Säule des Wagens.
Erst als ihr Widerstand erlischt
und sich die Plastiktüte über ihrem Mund nicht mehr hebt und senkt,
lässt Friedrich los.
Die Nacht verbringt er neben seiner toten Frau im Auto.
Gegen 6 Uhr morgens entscheidet er sich nun auch zu sterben.
Er zieht sich die beiden übrigen Mülltüten über den Kopf,
verschließt den Spanngurt,
dann setzt der Atemreflex ein.
Friedrich reißt sich die Tüten vom Kopf.
So funktioniert das nicht.
Er fährt zurück nach Hause.
In der Garage verstaut er alle Plastiktüten unter dem Fahrersitz
und legt Decken über seine tote Frau.
Zurück im Haus schlüpft er in seinen Schlafanzug,
trinkt die seiner Meinung nach giftigen Augentropfen
und legt sich ins Bett.
Zuvor spricht er seinem Sohn Michael auf den Anrufbeantworter.
Etwas Schlimmes sei passiert.
So zeichnet die Staatsanwältin die Tötung von Gerda nach.
Friedrich dagegen ist mit dem, was ihm zur Last gelegt wird,
nicht einverstanden.
Er habe keinen Totschlag begangen, betont er in seiner Einlassung.
Obwohl die Spurenlage gegen ihn spricht.
Außerdem gibt es Unstimmigkeiten in seinen Schilderungen.
Seiner Schwiegertochter Ursula zum Beispiel erklärte er,
er habe am Morgen nach dem Suizidversuch zu Hause
die Augentropfen getrunken, die er für giftig gehalten habe.
Dem Notarzt berichtete er davon nicht.
Ursula sagte er, auch Gerda und er hätten sich im Auto mit Decken zugedeckt,
um nach dem Suizid PassantInnen nicht zu erschrecken.
Vor Gericht behauptet er, nie Decken im Auto gehabt zu haben,
obwohl Gerda nachweislich mit einer zugedeckt war,
als Ursula sie im Wagen fand.
Solche Unstimmigkeiten in seinen jeweiligen Schilderungen
führt Friedrich im Prozess auf sein inzwischen nicht mehr
ganz so intaktes Erinnerungsvermögen zurück.
Er sei schließlich 81 Jahre alt.
Aber die Hauptsache wisse er nach wie vor genau.
Er und Gerda hätten sich gemeinsam für den Suizid entschieden.
Gerda sei, kurz nachdem sie sich die Plastiktüte über den Kopf gezogen habe,
bewusstlos auf seine Schulter gesunken.
Er habe sie nicht in den Sitz gedrückt und daran gehindert, wieder Luft zu bekommen.
Das sei aufgrund der Rückenschmerzen, die ihn seit 40 Jahren plagen würden,
überhaupt nicht möglich.
Dem widerspricht ein Gutachter, der Friedrich exploriert hat.
Als rüstiger alter Mann sei er körperlich in der Lage gewesen, seine Ehefrau zu überwältigen.
Der Rechtsmediziner, der Gerdas Leiche obduziert hat, erklärt, dass es nahezu unmöglich sei,
sich selbst so zu ersticken, wie Gerda es laut Friedrich getan haben soll.
Denn vor dem Einsetzen der Bewusstlosigkeit übernehme der menschliche Selbsterhaltungstrieb die Kontrolle.
Trotz Gerdas Alkoholisierung hätte der Atemreflex unweigerlich dazu geführt,
dass sie die Tüten zerrissen hätte, um an Sauerstoff zu gelangen.
Deshalb habe sich auch Friedrich mit den Tüten nicht ersticken können.
Zudem habe eine Rekonstruktion der Tat mit Gerdas Leichnam in dem Mercedes ergeben,
dass ihre massiven Einblutungen an Schultern, Arm und Rücken
nur dort und nur durch Fremdeinwirkung verursacht worden sein können.
Gerda musste sterben, weil Friedrich mit der Gesamtsituation überfordert war.
Als der psychiatrische Sachverständige in den ZeugInnenstand tritt,
erklärt er, dass Friedrich zum Tatzeitpunkt unter Anpassungsstörung
einer rezividierenden, also wiederkehrenden, depressiven Störung gelitten habe.
Ausgelöst durch die jahrzehntelange Belastung aufgrund von Gerdas Krankheit.
Allerdings seien Friedrichs Alltags- und Handlungskompetenzen in hohem Maß erhalten geblieben.
Er habe die sozialen Kontakte zu Familie und NachbarInnen aufrechterhalten,
sei weiter Golfspielen gegangen und habe sich Unterstützung bei seinem Arzt gesucht.
Es gebe keine Hinweise auf eine psychiatrische Störung.
Anders als es die Verteidigung angeführt hatte,
sei Friedrich auch durch den Alkoholkonsum vor der Tat nicht beeinträchtigt gewesen.
Der Gutachter kommt zu dem Schluss,
zum Zeitpunkt der Tat sei weder Friedrichs Einsicht noch seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen.
Der 81-Jährige sei daher voll schuldfähig.
Am zweiten und letzten Verhandlungstag fällt das Urteil.
Als sich der vorsitzende Richter in seiner schwarzen Robe erhebt, um im Namen des Volkes Recht zu sprechen,
stehen auch Friedrich und die anderen Prozessbeteiligten auf.
Seinen Kopf hält der Rentner jedoch tief gesenkt, als er die Worte hört, die seine Zukunft bestimmen.
Friedrich muss wegen Totschlags für drei Jahre und neun Monate ins Gefängnis.
Der Richter meint, das ist sicher eine harte Strafe, aber es ist ein Mensch zu Tode gekommen,
der in der Situation weiterleben wollte.
Statt auf dem Golfplatz Bälle zu schlagen und zwischen sattgrünem Rasen und blauem Himmel das Leben zu spüren,
dreht Friedrich nun hinter trostlosen Gefängnismauern beim Hofgang seine Runden.
Und auch die Gedanken des 81-Jährigen haben endlos Zeit, um zu kreisen.
Hätte er trotz all der Strapazen einige der letzten Jahre seines Lebens nicht lieber in seinem eigenen Zuhause und mit Gerda verbracht,
die er 57 Jahre lang liebte, so wie sie es sich eigentlich versprochen hatten.
Also ich fühle natürlich mit Friedrich, dass es alles schwer für ihn war und dass er überfordert war mit der Situation
und dass es natürlich schwer ist, mit jemandem zusammen zu sein, der krank ist.
Aber es gibt doch immer Möglichkeiten.
Ich stelle mir nur vor, wie die dann da in diesem Auto sitzen und Gerda eben nicht möchte
und dann aber nicht gegen ihren Mann ankommt, weil er natürlich viel stärker ist als sie.
Also was für eine schreckliche Situation, wenn du dann realisierst,
dass der Mann, den du über alles liebst und schon mit dem du 57 Jahre zusammen bist,
dich nicht am Leben lassen will.
Ja genau, also das ist so absurd, weil ich meine, man muss ihm ja bis vor der Tat den größten Respekt zollen,
dafür, dass er seine kranke Frau so lange gepflegt hat und sein ganzes Leben dafür aufgeopfert hat.
Und klar, das wird ihn natürlich auch irgendwie gebrochen haben, weshalb dann irgendwann diese Tat zustande kam.
Aber ich frage mich halt, weil du gerade meintest, es gibt Alternativen oder Möglichkeiten.
Warum gibt er sie denn nicht in ein Heim, weil er es nicht kann?
Das ist halt das Ding dabei und und in dem Moment ist das natürlich der größtmögliche Egoismus,
dass er sozusagen mit seinem schlechten Gewissen nicht leben möchte, dass er sie dann abgeschoben hat.
Ja, also ich finde, das ist generell ein wichtiges Thema.
Angehörige sind keine PflegerInnen und am Ende war es mit ihrer Erkrankung so schlimm
und natürlich war Friedrich ist auch älter geworden, kann weniger damit umgehen, auch ganz normal.
Dafür gibt es ja eben solche Heime oder Menschen, die einem dabei helfen.
Und es ist halt so schade, weil man irgendwie denkt, wie du sagst, er hat es ja auch echt schon lang gemacht
und er war dieser Mann, den man sich wünscht in dem Fall, der auch in Krankheit für einen da ist.
Also es ist halt wieder so ein Fall, wo es auch für den Täter sicherlich ganz schlimm war, auch diese Tat.
Weißt du, was ich meine?
Genau, das meine ich. Jeder hätte das verstanden, wenn er nach über 50 Jahren der Pflege sie nicht mehr hätte pflegen können.
Aber sie zu töten, da fällt es mir schwer davon auszugehen, dass er das ihr zuliebe gemacht hat, wenn sie sich dagegen gewehrt hat.
Wobei man natürlich auch dazu sagen muss, viele wollen nicht in ein Heim und haben auch Angst davor und vielleicht wollte er sie auch irgendwo davor bewahren.
Aber deswegen kann man, glaube ich, auch so ein bisschen das Strafmaß nachvollziehen.
Also der musste bestraft werden, aber auch angesichts seines hohen Alters kriegt er jetzt natürlich nicht irgendwie zehn Jahre Haft oder so.
Ja, und normalerweise kommt man für Totschlag ja auch nicht unter fünf Jahre in Haft.
Friedrich musste jetzt aber drei Jahre und neun Monate in Haft und die Kammer hat, wie eben gesagt, eben auch berücksichtigt, dass er ja schon ein hohes Alter hatte.
Also der war 81 Jahre alt und wie sinnvoll solche Haftstrafen im hohen Alter sind, wird aber immer wieder in Frage gestellt.
Und darum geht es jetzt in meinem Aha.
Diskutiert wurde das in den letzten Jahren mehrfach und zwar vor allem bei einer bestimmten Art von Verbrechen.
Wenn ehemalige KZ-Mitarbeitende vor Gericht standen, zum Beispiel im Juni 22, da wurde in Berlin ein ehemaliger KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord schuldig gesprochen und zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Ich meine, das ist jetzt noch möglich, weil Mord verjährt nicht.
Der Mann war zu diesem Zeitpunkt 101, also auch schon echt ein beträchtliches Alter.
Und natürlich hatte er diese Straftaten, die er begangen hat, die hatte er ja vor 75 oder 80 Jahren verübt.
Und natürlich war das ein Versäumnis der Justiz, die natürlich schon viel früher die Gelegenheit hatte, dem Mann den Prozess zu machen.
Und die Kritik wurde dann noch lauter, als der Mann zehn Monate nach dem Prozess starb, ohne die Haft je angetreten zu haben, weil der BGH noch nicht entschieden hatte, ob er die Revision des Mannes zulässt.
Und nachdem das halt bekannt wurde, dass er überhaupt verurteilt wurde, kam halt in der Öffentlichkeit die Frage auf, muss das überhaupt noch sein, dass so ein alter Mensch ins Gefängnis muss?
Hast du da Gefühle zu, Laura?
Also, ich finde eigentlich nicht, dass ein 101-jähriger Mensch ins Gefängnis gehört.
Ich kann aber natürlich verstehen, dass es wichtig für die Angehörigen der Toten ist, dass das noch aufgearbeitet wird.
Deswegen ist das, finde ich, meiner Meinung nach ein Dilemma und tatsächlich einfach nur unglaublich und unverschämt, dass die Justiz das eben so lange versäumt hat.
Hätten sie das früher gemacht, was sie hätten machen können, weil es gab ja diese Information, hätten sie es also vor 30, 40 Jahren gemacht, der Mann wäre 70, 60 gewesen, dann würde hier auch kein Hahn nachgrähen, ob das in Ordnung ist oder muss das jetzt sein?
Ja, das muss sein.
Ja, und wenn ich sage, das muss sein vor 30 Jahren, dann muss ich eigentlich auch weiterhin dazu stehen, das muss sein.
Jemand muss für seine Taten auch irgendwie bestraft werden, ja.
Es ist halt so unglücklich, dass das jetzt so lange gedauert hat.
Ja, und ich meine, als Deutschland kannst du auch nicht sagen, ja, Schwamm drüber.
Das geht natürlich bei den Nazi-Verbrechen nicht, zu Recht.
Und ich finde es aber tatsächlich auch ein Problem, dass das Versäumnis der Justiz nachher quasi so ein Mitleid für den Beschuldigten hervorruft.
So sollte es halt nicht sein.
Professor Stefan Pohlmann hat zu der Frage auch eine Meinung.
Er ist Psychologe und Professor für Gerontologie, also Alterswissenschaft an der Hochschule München und in dieser Folge unser Experte.
Und er sagt, dass man Haftstrafen im hohen Alter zwar keinesfalls ausschließen sollte, aber im Einzelfall genau prüfen muss, wie sinnvoll eine Gefängnisstrafe ist.
Denn natürlich müsse ein Verbrechen gesühnt werden und jemand zur Verantwortung gezogen werden.
Und es geht ja beim Strafmaß dann auch immer viel um Abschreckung und um den Schutz der Bevölkerung.
Die Frage ist aber, wie scharf das Schwert dann sein muss, das eingesetzt wird.
Denn eine Haftstrafe fällt ja bei RentnerInnen ganz anders ins Gewicht als bei jüngeren StraftäterInnen, sagt Professor Pohlmann.
Nun, der Verlust von Freiheit ist ganz grundsätzlich ein sehr dramatischer Einschätzung und auch eine massive Form der Bestrafung.
Das gilt für Junge wie für alte Menschen.
Allerdings zeigen unsere Untersuchungen, dass ältere Menschen eine Inhaftierung als noch avasiver, als noch massiver erleben.
Und das hängt damit zusammen, dass diese Personen eine härtere Stigmatisierung befürchten und zugleich auch einen stärkeren Kontrollverlust erleben.
Für sie fällt die Bilanz des eigenen Lebens nicht nur schlechter aus, sondern sie haben auch weniger Möglichkeiten, das Ruder nochmal rumzureißen und in sozial erwünschte Bahnen zu lenken,
weil ihnen einfach nicht mehr so viel Lebenszeit bleibt wie jungen Menschen.
Das führt unter anderem dazu, dass das Depression und auch das Suizidrisiko bei älteren Inhaftierten deutlich höher ausgeprägt ist.
Andere Untersuchungen zeigen, dass Menschen in der Haft schneller altern als jüngere Inhaftierte und dass sie auch höhere Gesundheitsrisiken aufweisen.
Damit stellt sich dann die Frage, welche Alternativen es zur Haft gibt.
Es braucht Sanktionierungen, die abschrecken und die die Gesellschaft schützen, aber alte Menschen nicht wegsperren, ohne zuvor auch andere Bestrafungen abzuwägen.
Zu solchen Alternativen gehören Sozialstunden, Geldbußen, Hausarrest, Täter-Opfer-Ausgleiche und vieles andere mehr.
Unser Strafrecht bietet da beim Strafmaß viele Möglichkeiten und Ermessensspielräume, die meines Erachtens auch alterssensibel genutzt werden sollten.
Professor Pohlmann fordert daher, dass die Justiz im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein bisschen kreativer und mutiger sein soll, nicht nur mit Haft zu bestrafen.
Im Interview hat er zum Beispiel von einer Seniorin berichtet, bei der immer Autos vor der Tür geparkt haben.
Darüber hat sie sich so geärgert, dass sie mehrfach die Reifen mit einem Küchenmesser zu stochen hat.
Dafür wurde sie dann vor Gericht gestellt und ihr wurde aufgegeben, für die Opfer zu stricken.
Okay. Ja, wenn man Stricken ganz doll hasst, dann finde ich, ist das eine gute Strafe.
Also ich finde, sie hätte eher so die Autos waschen müssen oder so, weißt du.
Oder da immer mit so einem Mini-Handsauger da immer den Dreck aus den Ritzen machen.
Das ist nämlich richtig die Kackaufgabe.
Das stimmt. Aber je nachdem, wie alt die Frau war, vielleicht hätte die das dann auch nicht mehr machen können, so körperlich.
Da muss man dann durch.
Geht ja auch nicht, dass man da vor dem Haus parkt.
Aber generell ist es ja so, dass wenn alte Menschen vor Gericht gestellt werden, bei manchen so dieser Impuls einsetzt,
was, das ist doch so eine nette, süße Omi oder ein Opi, der hat das jetzt gemacht, kann ich ja gar nicht glauben und war bestimmt nicht so gemeint.
Was ich im Übrigen ganz furchtbar finde, weil es sicherlich ganz viele Opis und Omis gibt, die ganz furchtbare Sachen früher gemacht haben und vielleicht auch noch denken oder immer noch dazu stehen im Zweifel.
Und daran sich ja jetzt nicht nur was ändert, weil sie jetzt nicht mehr so gut gehen können und irgendwie süß aussehen, weil sie so schrumpelig sind.
Keine Ahnung.
Aber dass manche Menschen Omas und Opas süß finden, das hat was mit den Altersbildern zu tun, die wir alle in unseren Köpfen haben.
Auch damit beschäftigen sich Professor Pohlmann und sein Team in ihrer Forschung.
Dazu haben sie zum Beispiel LeihInnen Fotos von verschiedenen Personen unterschiedlichen Alters vorgelegt und ihnen gesagt, was diese Menschen angeblich verbrochen hätten.
Und dann sollten die ProbandInnen das Strafmaß festlegen.
Was wir erkennen ist, dass auch hier Altersvorurteile greifen, ohne dass wir uns dessen wirklich bewusst sind.
Es lassen sich bei nicht geschulten Personen zwei Tendenzen ausmachen.
Bei leichten Vergehen findet sich die Neigung, ältere Tatverdächtige etwas weniger hart bestrafen zu wollen.
Dagegen zeigt sich bei schwerwiegenden Delikten eher das umgekehrte Muster.
Hier werden ältere Personen negativer eingeschätzt im Sinne von, in dem Alter, da hätte man das doch wirklich besser wissen müssen.
Was wir über unsere Studien allerdings nicht folgern können, ist, ob Altersstereotype auch bei den Strachverfolgungsbehörden zu einer Ungleichbehandlung beitragen.
Also ob jetzt auch RichterInnen frei sind von Altersbildern.
Also ich bin mir sicher, dass RichterInnen generell natürlich wissen, dass man immer in jedem Prozess irgendwie mit Vorurteilen oder mit Altersbildern oder irgendwelchen anderen Bildern reingeht.
Aber dass sie sich darüber bewusst sein sollten.
Aber ich glaube, es ist trotzdem schwierig, da so neutral reinzugehen, weil du bist einfach ein Mensch mit Erfahrungen.
Du hast irgendwie vielleicht selber eine Oma oder keine Ahnung, einen Sohn, je nachdem, wer dann da gerade vor dir sitzt als Richter oder als Richterin.
Von daher glaube ich, kann man das gar nicht ausschließen, dass sowas immer mit rein spielt.
Also ich darf dazu ja eigentlich überhaupt nichts sagen, weil ich bin ja so anfällig dafür, Mitleid für ältere Leute zu haben.
Und da haben wir ja wieder das Thema mit der Justitia, die ja eigentlich die Augenbinde trägt, also die römische Göttin der Gerechtigkeit, weil sie eigentlich frei von Vorurteilen sein sollte.
Und das ist sie aber halt oft nicht.
Ja.
Und ich glaube, dessen muss man sich halt einfach irgendwie bewusst sein, dass jeder Mensch, auch der an einem RichterInnen-Tisch sitzt, das nicht einfach ablegen kann.
Ja. Und auch in meiner Geschichte, die ich jetzt gleich erzähle, geht es um alte Menschen vor Gericht, bei denen viele vielleicht erst mal denken, was, diese alte Omi?
Mein Fall zeigt, dass Menschen zwar älter, aber in Liebesangelegenheiten nicht unbedingt weiser werden.
Prost! Das Klirren der Wein- und Aperolgläser untermalt das ausgelassene Geplapper der SeniorInnen.
Die Handvoll Frauen und Männer haben an diesem Samstag, den 7. Mai 2022, wie üblich an einem der Tische in ihrem Stammlokal in München-Gladbach Platz genommen, um den Frühlingstag ausklingen zu lassen.
Der Besuch im Eiskaffee Cellino ist wie ein Mini-Urlaub in Italien.
Von den Bildern an den Wänden strahlen den Gästen italienische Stars wie Sophia Loren entgegen,
Der Duft von Cappuccino erfüllt die Luft und die vielen bunten Eissorten in der großen Tiefkultur lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Noch mehr als das Bella Italia Gefühl schätzen die RentnerInnen allerdings ihre eigene Gesellschaft.
Eine gesellige Runde, der nie der Gesprächsstoff ausgeht. Auch nicht an diesem Samstag.
Heute ist allerdings etwas anders als sonst.
Zwei, die eigentlich immer mit von der Partie sind, fehlen unentschuldigt.
Das ist ungewöhnlich.
Als dann am späten Abend noch eine ältere Dame in den Laden am Marktplatz stürmt und völlig aufgebracht von einer verstörenden WhatsApp-Nachricht berichtet,
ist klar, die beiden fehlenden werden auch nicht mehr kommen.
Und ihre Clique wird es so, wie sie war, nie mehr geben.
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hat, machen sich fünf der SeniorInnen auf den Weg zu der fünf Kilometer entfernten Wohnung der Absenderin der WhatsApp-Nachricht.
Der viergeschossige, hellbraune Klinkerbau mit den beigefarbenen Balkonen im Süden von Mönchengladbach liegt ruhig und friedlich in der Dämmerung.
Aber an der weißen Eingangstür endet der Weg für die RentnerInnen.
Niemand öffnet ihn.
Abwarten und Däumchen drehen ist für die fünf aber keine Option.
Sie müssen in die Wohnung im Erdgeschoss.
Als sie ihre Möglichkeiten ausloten, fällt ihnen auf, dass genau die Balkontür dieser Wohnung offen ist.
Und die Brüstung ist niedrig genug, um darüber zu klettern.
Wie GarnowInnen steigen die FreundInnen also über den Balkon und durch die offene Tür in die Wohnung ein.
Im Inneren bietet sich ihnen eine schauerliche Szene.
Der Boden in der Küche ist voller Blut, Spritzerprangen an den Schränken und Schubladen.
Die schreckliche Spur zieht sich bis in den Flur, wo die dunkle Flüssigkeit große Lachen gebildet hat.
Als wäre dieser Anblick nicht schon gruselig genug, liegt inmitten des blutroten Sees eine Frau.
Dass sie tot ist, erkennen die fünf FreundInnen auf den ersten Blick.
Nicht nur wegen der Unmengen an Blut, sondern auch, weil ihr Hals und der Rumpf mit etlichen Stichwunden übersät sind
und neben dem leblosen Körper ein Filetiermesser liegt.
Im Schlafzimmer hört das Grauen nicht auf. Auf dem Bett liegt eine weitere Frau, die sich nicht bewegt.
Neben ihr auf dem Nachttisch häufen sich leere Tablettenverpackungen.
Die FreundInnen sind geschockt.
Kurz Zeit später, gegen 21.30 Uhr, huscht Blaulicht über die Häuserfassaden und ein Martinshorn zerschneidet die abendliche Stille in der Wohnsiedlung.
In der Erdgeschosswohnung des Klinkerbaus bietet sich den Einsatzkräften von Rettungsdienst und Polizei ein skurriles Bild.
Sie finden eine Handvoll RentnerInnen vor, die aufgeregt durcheinander schnattern und sich nur schwer beruhigen lassen.
Allerdings haben natürlich die zwei reglosen Frauen, wegen der sie gerufen wurden, Priorität.
Bei der Frau auf dem Boden im Flur kann die Notärzte nur noch den Tod feststellen.
Die Dame im Bett ist fast komatös.
Sie schwebt in Lebensgefahr und wird mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht.
Die PolizistInnen, die in der Wohnung zurückbleiben, nehmen die Ermittlungen auf.
Was ist hinter dieser unscheinbaren Fassade geschehen?
Die erste Antwort gibt die WhatsApp-Nachricht, mit der die ältere Dame zuvor ins Cialino gestürmt ist.
Inge hat sie bereits am Nachmittag um 15.42 Uhr erhalten, aber erst Stunden später gelesen.
Und wegen dieser Nachricht waren die FreundInnen überhaupt erst in die Wohnung eingestiegen.
Sie lautet nämlich,
Lieber Schatzi, ich kann nicht mehr, bin am Ende, habe sie umgebracht.
Die Absenderin dieses Einsatzes liegt jetzt in weißen Laken auf der Intensivstation im Krankenhaus.
Ihre Partnerin wird in der Rechtsmedizin in Düsseldorf auf einem Obduktionstisch aus kühlem Edelstahl platziert.
Die Nachricht, dass das Liebesglück der beiden über 70-Jährigen so tragisch endete,
macht nicht nur in der Clique, sondern auch im weiteren Bekanntenkreis schnell die Runde.
Die Telefone glühen, WhatsApp-Nachrichten verbreiten sich wie Kettenbriefe.
Jedes Wort trieft vor Entsetzen und Aufregung.
Eine solche Gräueltat ereignet sich doch nur am Sonntagabend im Tatort,
nicht in ihrem Leben, in dem zwischen ÄrztInnen-Besuchen am Vormittag und Aperolabenden im Eiskaffee
nur noch wenig Spektakuläres geschieht.
Vor allem, wieso es zu diesem Verbrechen kam, kann sich niemand so recht erklären.
Es herrschte doch eigentlich immer heile Welt bei Käthe und Hanni, die seit 25 Jahren ein Paar waren.
Doch je länger die Polizei ermittelt und je mehr ZeugInnen sie befragt,
desto stärker kristallisiert sich heraus, dass bei den beiden eben doch nicht immer alles eitel Sonnenschein war
und zwar schon seit einiger Zeit nicht mehr.
Rückblick
Käthe ist 46 Jahre alt und arbeitet als Verkäuferin in einem Kaufhaus,
als sie 1997 die gleichaltrige Berufsschullehrerin Hanni kennenlernt.
Die gemeinsame Freundin Erna stellt die beiden einander vor.
Wobei Erna nicht irgendeine, sondern Kätes feste Freundin ist.
Käthe und Erna sind nämlich ein Paar.
Für Erna hatte Käthe damals Anfang der 80er ihren Mann nach zwölf Jahren Ehe verlassen.
Käthe zog zu Erna und wurde mit ihr glücklich.
Aber jetzt ist da plötzlich Hanni in ihr Leben getreten.
So kommt es, dass die Frauen jetzt häufiger zu dritt unterwegs sind.
Käthe, Erna und Hanni machen gemeinsame Unternehmungen und Ausflüge.
Alle drei werden enge Freundinnen, die bald nicht nur ihre Gedanken und Gefühle teilen, sondern noch mehr.
Zwischen allen dreien fliegen die Funken.
Und so wird aus der Paar eine Dreiecksbeziehung.
Doch mit der Zeit gerät die immer mehr aus dem Gleichgewicht.
Drei sind offenbar doch eine zu viel.
Und Kätes Gefühle verändern sich.
Sie fühlt sich immer weniger zu Erna hingezogen.
Stattdessen ist sie sich sicher.
Die Bushikose Hanni ist die Frau, mit der sie zusammen sein will.
Und zwar nur mit ihr.
Sie will sie für sich allein.
Mit ihrer ruhigen, introvertierten Art ist Hanni der ideale Gegenpol zur geselligen Käthe.
Ein Fels in der Brandung.
Ein fürsorglicher Mensch, der ihr Geborgenheit schenkt.
Zu Kätes großer Freude empfindet Hanni ähnlich.
Und mit Kätes Auszug bei Erna und ihrem Einzug bei Hanni im Jahr 1998 ist die Ménage à Trois mit Erna Geschichte.
Käthe schwebt mit Hanni auf Wolke 7.
2001, vier Jahre nachdem sie Hanni kennengelernt hat, erfüllt sich die inzwischen 50-Jährige ihren Wunsch von einer Eigentumswohnung.
Hanni greift ihr dabei mit 15.000 Euro unter die Arme.
Gemeinsam ziehen sie in eine Erdgeschosswohnung in einem ruhigen Viertel im Süden von Mönchengladbach.
Das grüne Umland nur einen Katzensprung entfernt.
Käthe ist dankbar für Hannis Unterstützung.
Nicht nur finanziell, sondern vor allem emotional und praktisch.
Seit sie vor einigen Jahren die Diagnose Multiple Sklerose erhalten hat, fällt es Käthe oft schwer, ihren Alltag alleine zu bewältigen.
Phasenweise geht es ihr zwar gut, aber wenn ein Krankheitsschub kommt, kann sie sich nur von Tag zu Tag hangeln und ist auf Hannis Hilfe angewiesen.
Denn dann verhärten sich Kätes Muskeln, vor allem das Gehen bereitet ihr Probleme.
Weil sie ihren Fuß nicht mehr richtig heben kann, muss sie am rechten Bein eine Schiene tragen und öfter zu Stock oder Rollator greifen.
Außerdem leidet sie an Sehstörungen.
Die Krankheit sorgt letztlich auch dafür, dass Käthe zur Frührentnerin wird.
Sie ist zwar in neurologischer Behandlung, genauere Untersuchungen und Tests lehnt sie aber ab.
Käthe will nicht wissen, wie weit die Erkrankung ihres zentralen Nervensystems schon fortgeschritten ist.
Das würde sie zu sehr belasten.
Aber da ist auch noch etwas anderes, das ihr mental zu schaffen macht.
Ein Schicksalsschlag, der zwar schon lange zurückliegt, sich aber tief in ihre Seele eingegraben hat.
Denn Käthe hatte mal ein Kind.
Mit dem Mann, mit dem sie verheiratet war, bevor sie sich in Erna verliebte, hatte sie eine Tochter.
Doch die starb Ende der 80er mit nur 18 Jahren bei einem Verkehrsunfall.
Den Tod ihres Kindes hat Käthe bis heute nicht überwunden.
Wenn die schlimmen Gedanken wie feindliche Eindringlinge Käthes Kopf besetzen, hilft ihr Hanni, sie zu verjagen.
Und Hanni ist auch für Käthe da, wenn sich die MS lautstark zu Wort meldet.
Hanni sorgt dafür, dass Käthe ihre Medikamente nimmt und springt ein, wenn Kätes Motorik sie im Stich lässt.
Allein eine Strickjacke zuzuknöpfen ist während eines Schubs ein Kampf.
Dabei ist Käthe eine feine Frau, die viel Wert auf ihr Äußeres legt.
Trotz der Einschränkungen, die die Krankheit mit sich bringt, erleben Käthe und Hanni viel Schönes.
Sie machen Ausflüge und Urlaube, etwa nach Italien, und treffen sich mit ihren Freundinnen regelmäßig im Eiskaffee Cellino.
Hanni ist dabei Kätes persönliche Aufpasserin und ermahnt die Clique immer wieder, Rücksicht auf Käthe und ihre schwere Erkrankung zu nehmen.
Hannis Mühen weiß Käthe sehr zu schätzen.
Aber mit den Jahren ist sie auch ein wenig genervt, denn manchmal ist Hanni nicht nur fürsorglich, sondern schon regelrecht bevormundend und kontrollierend.
Vor allem, was das enge Verhältnis zwischen Käthe und ihren Eltern angeht.
Käthe selbst ist dankbar, dass sie mit Mitte 60 überhaupt noch Eltern hat. Das ist ja nicht selbstverständlich.
Daher telefoniert sie täglich mit ihnen. Oft nicht nur ein, sondern viermal.
Hanni ist das zu viel.
Mutig weist die Käthe darauf hin, dass das ins Geld gehe, zumal Hanni die Hälfte der Telefonrechnung zahle, aber deutlich weniger am Hörer hänge.
Als Käthe ihren Eltern erklärt, dass sie sich künftig weniger oft melden kann, ist es für die Eltern kein Thema, dass ab sofort sie bei Käthe anrufen und damit diejenigen sind, die die Kosten tragen.
Käthe ist erleichtert, doch Hannis Ärger über den häufigen Kontakt bleibt.
Eines Abends klagt Käthes Mutter über Schmerzen. Käthe fährt mit ihr ins Krankenhaus.
Als die Ärztinnen ihnen mitteilen, dass die Beschwerden der alten Dame nicht schwerwiegend sind, fällt Käthe ein Stein vom Herzen.
Hanni dagegen freut sich nicht über die gute Nachricht.
Sie regt sich darüber auf. Das Ganze sei viel Lärm um nichts gewesen.
Ein anderes Mal funktioniert der Fernseher von Käthes Eltern nicht mehr.
Käthe fragt ihre Freundin, die technikaffin ist und bei jedem Gerät weiß, welche Knöpfe zu drücken sind, ob sie nicht kurz bei Käthes Eltern vorbeischauen könnte.
Kaum hat Käthe den Wunsch ausgesprochen, schnaubt Hanni genervt.
Käthes Vater sei einfach zu blöd.
Käthe bittet und bettelt, bis sich Hanni endlich dazu herablässt, den Fernseher zu begutachten.
Als Hanni Käthe vorwirft, sie würde ihre Eltern regelrecht vergöttern, platzt Käthe dann aber die Hutschnur.
Mit deutlichen Worten macht sie Hanni klar, sie werde am Verhältnis zu ihren Eltern nichts ändern.
Wenn sich Hanni so sehr an der engen Bindung störe, müssten sie wohl oder übel getrennte Wege gehen.
Käthe ist es leid, sich diese Vorhaltung immer wieder anzuhören.
und gleichzeitig sehr enttäuscht, dass sich ihre Freundin nicht für sie freut, dass sie eine schöne Beziehung zu ihren Eltern hat.
Neben der Familie gibt es aber noch ein weiteres Streitthema in der Beziehung.
Das Geld.
Käthe ist eine großzügige Person, sie macht ihren Eltern und Freundinnen gern kleine Geschenke,
unterstützt auch ihren Ex-Mann finanziell und schmeißt immer mal wieder im Eiskaffee Runden für die Clique.
Hanni hat dafür kein Verständnis.
Sie wirft Käthe vor, sich so Freundinnen erkaufen zu wollen.
Auch bei diesem Streit zieht Käthe eine klare Grenze.
Sie macht das gern und wenn Hanni ein Problem damit hat, müsste sie über eine Trennung nachdenken.
Also das ist ja ganz klar hier der Eifersucht geschuldet.
Wie gemein ist das, dass man sagt, man will sich so Freunde erkaufen.
Ja, das sagt man doch nicht über seinen Partner oder seine Partnerin.
Also da liegt das Problem ja ganz eindeutig nicht bei Käthe, sondern bei Hanni.
Ja, und ich finde es genauso mit der Beziehung mit den Eltern.
Also das ist doch auch Eifersucht.
Natürlich.
Und deswegen sage ich halt immer, es gibt eigentlich keine gesunde Eifersucht.
Also zumindest nicht, wenn das in einer Beziehung dauerhaft ein Thema ist.
Und das ist ja ganz offenbar der Fall.
Also entweder ist was in der Beziehung dann nicht richtig, dass man generell kein Sicherheitsgefühl in der Beziehung hat.
Und dann liegt es vielleicht auch daran, dass man der anderen Person nicht vertraut.
Vielleicht hat das ja auch seinen Grund.
Aber bei sowas, wo es jetzt auch gar nicht um Fremdgehen geht, das ist halt nur giftige Unsicherheit, die man dann auf die andere Person projiziert.
Ja, und man macht es ja auch der anderen Person voll madig, wenn man jetzt sagt, boah, du nervst, du tifnierst so viel mit deinen Eltern, du vergötterst die, du gibst dir zu viel Geld aus.
Und man sich so denkt, also ich finde es total nett von Käthe und auch zum Beispiel, dass sie ihren Ex-Mann noch finanziell unter die Arme greift.
Das zeigt ja eigentlich, dass sie irgendwie offenbar eine ganz gute Person ist, ja, oder eine hilfsbereite Person.
Ja, und es könnte natürlich auch ein Hinweis darauf sein, dass die Käthe halt noch irgendwie so ihr eigenes Leben hat und sich ein bisschen weniger nur über die Beziehung definiert als Hanni.
Ja.
Um jetzt hier mal meine unqualifizierte Ferndiagnose einer Paarbeziehung von Leuten abzugeben, die ich nie in meinem Leben gesehen habe.
Und ich meine, was auch gemein wäre, wäre, wenn Hanni das alles nur sagt, weil sie selbst die Sachen nicht hat.
Dass sie vielleicht selber die Freundschaften nicht hat und die Beziehung zu den Eltern und ihr das halt nicht gönnt.
Das wäre ja auch nochmal eine andere Art von Eifersucht.
Ja.
Ich finde es aber gut, dass die Käthe sagt, da musst du halt über eine Trennung nachdenken, weil das ist dann halt so, ja.
Ja, das Ding ist nur bei Käthe, dass die in Wahrheit natürlich eigentlich nicht ohne Hanni will, ohne Hanni sein will, ja.
Aber wenn man mitbekommt, dass seine Partnerin so darunter leidet und dann anfängt, die andere Person umformen zu wollen, so wie das einem passt, dann sagt man sowas natürlich, weil man weiß, dass es eigentlich die logische Konsequenz daraus sein müsste, auch weil man das natürlich selbst eigentlich gar nicht will.
Ja, das stimmt.
Also, wie gesagt, eigentlich kann sich Käthe ein Leben ohne Hanni gar nicht vorstellen.
Sie liebt ihre Freundin und sie weiß auch ganz genau, was sie an ihr hat.
Also vor allem für Hannis Unterstützung während dieser Krankheitsschübe ist Käthe unglaublich dankbar und auch dafür, eine treue Partnerin an ihrer Seite zu haben.
Denn sie werden ja auch nicht jünger.
Doch ab September 2019, Käthe ist inzwischen 68, setzen ihr die Differenzen mit Hanni immer mehr zu.
Kätes Eltern sind inzwischen hochbetagt und kommen in ein Pflegeheim.
Käthe sorgt sich sehr um die beiden und besucht sie oft und lange zum Missfallen von Hanni.
Im Frühjahr 2021 sterben Käthes Eltern kurz hintereinander.
Damit fällt ein großes Streitthema zwischen den Frauen weg, aber das Verhältnis zwischen Käthe und Hanni wird nicht besser.
Und dann, ein Jahr nach dem Tod von Käthes Eltern, geschieht etwas, das die Beziehung der beiden Frauen für immer verändern soll.
Eines Nachmittags im Frühjahr 2022 sitzt die Clique wie so oft im Eiskaffee.
Zu der Runde gesellt sich ab und zu auch Cordula, die Wirtin des Cellino und eine gute Bekannte von Hanni.
Sie war an der Berufsschule die Lehrerin der gut 20 Jahre jüngeren Cordula.
Normalerweise freut sich Käthe, wenn Cordula Zeit für einen Plausch hat.
Aber als Cordula jetzt bei ihnen am Tisch steht, beschleicht Käthe ein ungutes Gefühl, das sie auch an den nächsten Nachmittagen im Eiskaffee nicht mehr verlässt.
Cordula und Hanni wirken sehr vertraut.
Dagegen ist Cordula Käthe gegenüber nicht mehr so freundlich wie üblich.
Auch dass Cordula sie nicht so herzlich wie gewohnt begrüßt, findet Käthe seltsam.
Kurz darauf passieren zwei Dinge, die Kätes Argwohn wie Brandbeschleuniger zum Lodern bringen.
Zum einen stellt ihr Hanni eine merkwürdige Frage.
Sie will wissen, ob Käthe schon mal fremdgegangen sei.
Als Käthe verneint, antwortet Hanni, schade, denn sonst hätte ich ja auch mal einen Grund dafür.
Zum anderen irritiert Käthe einen WhatsApp-Verlauf mit Cordula nach der Tanz in den Mai-Feier, die die Clique gemeinsam besucht hat.
Anders als sonst dauert es lange, bis Cordula Käthe antwortet.
Und als Cordula dann endlich eine Nachricht schickt, redet sie Käthe nicht wie üblich mit Schatzi, sondern einfach nur mit Käthe an.
Denn Käthe rumort es.
Es geht etwas nicht mit rechten Dingen zu.
Als sie Cordula damit konfrontiert, schreibt die, nie würde ich das tun, was du vermutet hast.
Und, wenn ich nicht sofort antworte, dann wegen Arbeitsstress.
Doch Käthe schenkt diesen getippten Worten keinen Glauben.
Sie muss mit Hanni reden.
Hanni muss ihr in die Augen sehen und ihr ehrlich sagen, ob sie und Cordula eine Affäre haben.
Und das tut Hanni.
Sie erklärt Käthe, dass das nicht der Fall sei.
Etwaiges Getutel zwischen Hanni und Cordula bildet sich Käthe nur ein.
Für Käthe ist das keine befriedigende Antwort.
Sie glaubt nicht, dass ihre weibliche Intuition sie täuscht.
Sie will die Wahrheit wissen.
Daher lässt sie auch in den nächsten Tagen nicht locker.
Und macht Hanni damit sauer.
Käthe nerve und würde Gespenster sehen.
Zwischen ihr und Cordula laufe nichts.
Kein Mensch könne so blöd sein und das glauben.
Käthe werde langsam verrückt und solle mal zum Arzt gehen.
Vielleicht liege es an der MS, dass die 71-Jährige den Verstand verliere.
Diese Gemeinheiten aus Hannis Mund treffen Käthe wie Faustschläge in die Magengrube.
Sie ist doch nicht verrückt.
In ihrer Verzweiflung vertraut sich Käthe Inge an, einer Freundin aus der Eiskaffee-Clique.
Inge sagt, wenn das stimmt, was Käthe vermutet, sei Cordula eine falsche Schlange.
Sie schlägt vor, Käthe soll Hanni und Cordula genau beobachten, um Gewissheit zu erlangen.
Für diese Beschattung überlegt Käthe sogar, einen Privatdetektiv zu beauftragen.
Doch dann entscheidet sie sich für einen anderen Weg.
Sie will Hanni selbst beschatten, um zu prüfen, ob sie sich heimlich mit Cordula trifft.
Als Käthe ihre Freundin Inge in den Plan einweiht, red die ihr via WhatsApp von dem Vorhaben ab.
Am Samstag, den 7. Mai 2022, um 12.17 Uhr, schreibt Inge an Käthe,
Du machst dich kaputt.
Es wird sich die Gelegenheit ergeben, wo alles rauskommt.
Die Situation ist sehr ernst.
Es würde total eskalieren.
Wenige Stunden später ist Hanni tot.
Und Käthe muss sich für diese Tötung ab Oktober 2022, gut fünf Monate nach der Tat,
an vier Prozesstagen vor dem Landgericht Mönchengladbach verantworten.
Als die Rentnerin mit hellgrauer Strickjacke, rosafarbenem Halstuch und Schiene am rechten Bein
auf der Anklagebank Platz nimmt, wirkt sie in dem imposanten, mit dunklem Holz vertefelten Saal A100 ganz klein.
Zum Schutz vor dem Coronavirus verschwindet Käthes Gesicht hinter einer weißen FFP2-Maske.
Ihr restliches Gesicht schirmt sie mit einem roten Aktendeckel vor den Kameras der PressevertreterInnen und den bohrenden Blicken der ProzessbesucherInnen ab.
Von denen sind heute viele gekommen.
Freundinnen von Käthe und Hanni sind als ZeugInnen geladen, die anderen Bekannten nehmen auf den ZuschauerInnenbänken Platz.
Sie sind schockiert darüber, dass da vorne eine von ihnen sitzt, der in schreckliches Verbrechen zur Last gelegt wird.
Die Staatsanwältin wirft der 71-Jährigen nämlich Mord aus niedrigen Beweggründen vor.
Genauer aus Eifersucht und übersteigertem Besitzdenken.
Absurd, dass das jetzt so geendet ist.
Also dabei war Hanni ja sehr lange sehr eifersüchtig und hat da die Beziehung zu den Eltern und so stören wollen.
Mit der Verlesung der Anklageschrift führt die Staatsanwältin alle Anwesenden zurück an den Tag vor fünf Monaten, an dem Käthe Hanni das Leben nahm.
Am Samstagnachmittag, den 7. Mai 2022, kommt es in der Erdgeschosswohnung im Süden München-Gladbachs zwischen Käthe und Hanni mal wieder zum Streit.
Mal wieder wegen Cordula.
Käthe wirft Hanni erneut vor, heimlich mit Cordula bei WhatsApp zu schreiben.
Hanni streitet das wie immer ab, doch die Unterstellung sorgt dafür, dass in ihr die Wut zu brodeln beginnt.
Wie aus einem Vulkan bricht es schließlich aus ihr heraus.
Käthe sei verrückt, sie soll endlich zu einem Psychologen oder in die Klinik gehen, denn mit ihrer Krankheit werde es immer schlimmer.
Die wirke sich auch schon auf ihren Kopf aus.
Überhaupt, selbst wenn Käthe wollte, könnte sie einen verdächtigen WhatsApp-Verkehr nicht aufdecken, denn sie könne mit dem Smartphone ja nicht einmal richtig umgehen.
Hannis Schimpftirade trifft Käthe ins Mark.
Inständig bittet sie Hanni nochmal, ihr endlich die Wahrheit über die Affäre mit Cordula zu sagen.
Doch Hanni sagt gar nichts mehr.
Stattdessen lässt sie Käthe im Flur stehen, geht in die Küche und beginnt dabei lauthals zu lachen.
Käthe auszulachen.
Käthe schreit ihr hinterher, Hanni solle damit aufhören, sie sei nicht verrückt.
Aber Hanni macht weiter.
Das höhnische Gelächter in Käthes Ohren übertönt auf einmal alles.
Hanni lügt ihr mitten ins Gesicht, da ist sich Käthe sicher.
Dazu schießen ihr Szenen aus der Vergangenheit in den Kopf.
Wie Hanni Käthes enge Bindung zu ihren inzwischen toten Eltern verurteilt hat.
Wie sie wegen finanzieller Dinge immer wieder Streit vom Zaun gebrochen hat.
Da sieht Käthe plötzlich rot und alles geht ganz schnell.
Sie folgt Hanni in die Küche, zieht eine Schublade auf, greift zum Filetiermesser und rammt es mit aller Kraft in Hannis Oberkörper.
Nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Hanni versucht in den Flur zu flüchten und die Attacke mit dem Arm abzuwehren, aber Käthe hört nicht auf.
Ein Stich in Hannis Hals verursacht eine Luftembolie, ihre Lunge kollabiert.
Hanni geht zu Boden.
Der Lungenkollaps und der massive Blutverlust durch die zahlreichen Stichwunden in ihrem Oberkörper führen schließlich dazu, dass das Herz der 71-Jährigen auf dem Boden im Flur aufhört zu schlagen.
Als Käthe sieht, was sie getan hat, lässt sie das blutverschmierte Messer neben Hanni auf den Boden fallen, greift sie im Smartphone und öffnet den Chat mit Inge.
Die letzte Unterhaltung, die sie miteinander führten, ist nur dreieinhalb Stunden her.
Da hatte Inge Käthe via WhatsApp davon abgeraten, Hanni zu bespitzeln, damit die Situation nicht eskaliert.
Jetzt, um 15.42 Uhr, schickt Käthe eine neue Mitteilung an Inge.
Lieber Schatzi, ich kann nicht mehr, bin am Ende, habe Hanni umgebracht.
Dann tauscht sie das Handy gegen Zettel und Stift, um Inge noch eine weitere Nachricht zu hinterlassen.
Einen Abschiedsbrief, der mit Hab dich lieb gehabt endet.
Anschließend schluckt sie etliche Tabletten aus ihrem wegen der multiplen Sklerose üppig gefüllten Medikamentenschrank.
Dann legt sich Käthe ins Bett und wartet auf den Tod.
Als die Staatsanwältin endet, ergreift Kätes Verteidiger das Wort.
Seine Mandantin könne sich zwar nicht an alle Details erinnern, aber gestehe die Tat und bereue sie zutiefst.
In einem entscheidenden Punkt widerspricht der großgewachsene Mann mit dem kurzen, blonden Haar der Staatsanwältin auf der anderen Seite des Gerichtsaals jedoch.
Käthe habe Hanni nicht ermordet, sondern im Affekt, heißt auch ohne die von der Staatsanwaltschaft angenommenen, niedrigen Beweggründe gehandelt.
War es Mord oder eine solche Affekt-Tötung ohne Mordmerkmale, sprich ein Totschlag, vielleicht sogar ein solcher in einem minder schweren Fall?
Das muss das Gericht nun herausfinden.
Dazu werden zahlreiche Zeuginnen gehört.
Hannis Schwester und Bruder, die beide auch die Nebenklage angetreten haben, teilen die Meinung der Staatsanwältin.
Käthe habe ihre Schwester aus Eifersucht ermordet.
Und das, obwohl Hanni Käthe jahrelang auf Händen getragen habe.
Dabei sei Käthe gar nicht krank, sondern nur eine gute Schauspielerin.
Hannis Geschwister werfen Käthe vor, die Multiple Sklerose seit Jahren nur vorzuspielen, um im Mittelpunkt zu stehen und von Hanni von vorne bis hinten bedient zu werden.
Kätes Arzt widerlegt diese Anschuldigung jedoch.
Die war wirklich krank.
Die Mitglieder der Eiskaffee-Clique, die neben Hannis Geschwister nacheinander vor die RichterInnen und ChefInnen treten, berichten von diversen kleineren Differenzen zwischen dem Paar.
Aber niemand von ihnen hätte gedacht, dass die Situation so ernst sei und am Ende in einer Tötung und einem Suizidversuch gipfeln könnte.
Vor allem, weil es tatsächlich gar keinen Grund für die ganzen Streitereien gab, die letztendlich zu Hannis Tod führten.
Es gab nämlich nie eine Affäre zwischen Hanni und Cordula.
Das beteuert nicht nur die Cellino-Wirtin glaubwürdig im ZeugInnenstand, sondern das belegen auch die Auswertung von Cordulas und Hannis Handys.
Die WhatsApp-Chats zwischen den beiden, die Käthe vermutete, existierten nie.
Stattdessen kommt heraus, dass nicht Käthe, sondern wenn dann Hanni einen Grund zur Eifersucht gehabt hätte.
Das macht Zeuge Juan deutlich.
Das ist nicht dein Ernst.
Den Handwerker mit dem spanischen Akzent hatten Käthe und Hanni im Cellino kennengelernt.
Und danach haben die beiden Frauen ihn öfter in ihre Wohnung eingeladen.
Als der vorsitzende Richter von Juan wissen will, ob Käthe, Zitat, scharf auf ihn gewesen sei,
fühlt sich der Mitte-50-Jährige sichtlich unwohl mit den ganzen ProzessbesucherInnen im Rücken.
Der Richter setzt auf Humor.
Wir sind doch unter uns.
Juan erklärt, ja, Käthe habe Anspielungen gemacht.
Wollte sie Sex mit ihnen.
Wird der Richter konkreter.
Ja, sagt Juan.
Aber er sei nicht auf ihre Avancen eingegangen.
Käthes Flirtversuche könnten erklären, warum sie es für möglich gehalten habe, dass Hanni ihr fremd geht.
Weil sie es für sich selbst in Erwägung gezogen hat.
Och, und da habe ich so die Lanze gebrochen für die Käthe, ne?
So ein Mist.
Schneiden wir alles raus.
Nach den Freundinnen ist der psychiatrische Gutachter geladen.
Er soll erklären, was im Kopf der 71-Jährigen vorging, als sie ihre Partnerin mit dem Filetiermesser attackierte.
Er bescheinigt Käthe eine verminderte Schuldfähigkeit.
Ihre Steuerungsfähigkeit sei aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung erheblich beeinträchtigt gewesen,
weshalb es sich laut ihm bei Hannis Tötung um eine Affekttat gehandelt habe.
Bei einer solchen Tat kann laut dem Bundesgerichtshof die Steuerungsfähigkeit eines Täters oder einer Täterin erheblich vermindert oder ganz aufgehoben sein.
Das sei bei Hanni der Fall gewesen.
Dass sie im Affekt getötet habe, erklärt der Experte anhand verschiedener Aspekte.
Kettes Tatmotiv habe sich aus einem länger schwelenden Partnerschaftskonflikt entwickelt.
Der tatauslösende Moment sei Hannis Lachen gewesen.
Bei Käthe sei es daher zu einem augenblicklichen Auffallen der Leidenschaften gekommen.
Zitat
Sie habe als unmittelbare Reaktion auf das Lachen zum Messer gegriffen und auf Hanni eingestochen.
Mindestens 26 Mal.
Das komme einer Übertötung gleich.
Ein Hinweis darauf, dass Käthe in diesem Moment sehr emotional war.
Außerdem habe Käthe sogenannte insuläre Erinnerungslücken.
Sie könne die Tat nicht im Detail wiedergeben.
All das seien Kriterien, die für eine Affekttat sprechen.
Der Gutachter betont, Zitat
Das war die Affekttat einer Täterin, die erst an jenem Samstag zur Täterin wurde.
Mit seinen Ausführungen überzeugt der Psychiater sogar die Staatsanwältin.
Sie tritt schließlich vom Vorwurf des Mordes zurück und plädiert wie der Verteidiger auf Totschlag.
Für den 28. November 2022 ist die Urteilsverkündung angesetzt.
Käthe nimmt ein letztes Mal auf der Anklagebank im Saal A100 Platz.
Wie alle Anwesenden steht auch sie auf, als sich der vorsitzende Richter in seiner schwarzen Robe erhebt,
um im Namen des Volkes das Urteil zu sprechen.
Unter Berücksichtigung aller Aspekte, sowie der Tatsache,
dass Käthe aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters und ihrer MS-Erkrankung besonders haftempfindlich sei,
wird die 71-Jährige wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Käthe muss ihre liebgewonnene Erdgeschosswohnung gegen dicke Gefängnisbauern tauschen.
So hat sich die 71-Jährige ihren Lebensabend nicht vorgestellt.
Sie wollte gewiss in ihrem eigenen Zuhause alt werden.
Mit Hanni, die 25 Jahre lang alles für sie getan hat.
Die Frau, die Käthe geliebt hat und die sie nicht mehr wie früher teilen wollte,
sondern für sich allein haben und bis zu ihrem Lebensende an ihrer Seite wissen wollte.
Doch diese überschäumenden Gefühle waren es letztendlich,
die Käthe dazu brachten, sich selbst das Liebste und ihrer Hanni das Leben zu nehmen.
Und während hinter Käthe ihr neues Zuhause, der Haftraum, zugeschlossen wird,
bleibt im Eiskaffee Cellino ihre Clique zurück.
Noch immer fassungslos darüber,
dass das, was die RentnerInnen nur aus dem Fernsehen kannten,
in ihrer kleinen Welt grauenvolle Wirklichkeit geworden ist.
Und die zwei leeren Plätze werden sie das so schnell auch nicht vergessen lassen.
Es ist doch eigentlich absurd, weil viele Menschen leben im Alter ja total alleine.
Und hier hatten die beiden offenbar so viel Kontakt,
dass das gefährlich wurde für die dann irgendwann.
Was ich ehrlich gesagt sagen muss,
wenn jetzt hier nicht Käthe und Hanni gestanden hätte,
sondern Annika und Pia und da nicht 71 Jahre,
sondern 16 Jahre gestanden hätte,
dann hätte ich das genauso geglaubt.
Also, dass sich das nicht ändert, weißt du?
Ja, ich weiß, was du machst.
Genau, dass sich das nicht ändert, diese Probleme,
dieses, oh nein, geht da jemand fremd
und oh nein, sind da irgendwelche WhatsApp-Verläufe
und ich muss mal meine Freundin, die muss ich jetzt beschatten.
Das habe ich doch als Teenager gemacht, ja?
Also, wenn das meine Zukunft ist,
dass ich im Alter noch so diese emotionalen Probleme habe.
Ach so, und weil du gerade gesagt hast,
hätten die Pia und Annika geheißen, ne?
Was ist denn, wenn die Käthe und Roland geheißen hätten?
Dann wäre es halt ein typischer Femizid gewesen.
Ja.
Und sehe ich ja auch so von der Angst heraus,
die Partnerin nicht zu verlieren.
Ja, genau, mit diesem Besitzdenken.
Ja.
Ja.
Und an sich finde ich das natürlich total schade,
weil man sich das ja wünscht im Alter noch so zu sein,
also so eine funktionierende Clique zu haben
und so ein funktionierendes Umfeld.
Ja.
Also, Käthe hatte sich ja in diese vermeintliche Affäre
richtig doll reingesteigert.
Und als Hanni sie dann ausgelacht hat,
sind da bei ihr quasi die Sicherungen durchgebrannt.
Das heißt, sie hat ihre Partnerin immer weggetötet.
Eifersucht hat zwar eine Rolle gespielt,
aber das Gericht ging ja dann nicht so weit zu sagen,
dass es sich um einen Mord aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat.
Dass das Motiv oft nicht klar ist,
wenn es jetzt um Fälle geht,
wo SeniorInnen straffällig werden,
das ist oft so.
Und darum und um typische Delikte der Alterskriminalität
geht es jetzt in meinem AHA.
Grundsätzlich muss man sagen,
dass auch ältere Menschen Kapitalverbrechen
wie Mord oder Totschlag begehen.
Das sieht man ja jetzt auch an den Fällen,
die wir erzählt haben.
Aber es ist auch so,
dass solche schweren Vergehen in der Alterskriminalität
nur einen sehr kleinen Teil ausmachen.
Delikte, die viel typischer sind,
sind Diebstahl, Sachbeschädigung, Beleidigung,
Vergehen im Straßenverkehr,
leichte Körperverletzungen oder Betrug.
Und die Gründe dafür,
dass SeniorInnen überhaupt Straftaten begehen,
die sind vielfältig und individuell
und die unterscheiden sich laut der Forschung
auch nicht grundsätzlich von anderen Altersgruppen.
Man wird ja auch nicht plötzlich eine andere Person oder so,
nur weil man alt ist.
Aber was man schon sagen kann,
ist, dass es natürlich solche Motive gibt,
wie in deinem Fall, Paulina,
natürlich so persönliche Notlagen,
die Angst vor einem sozialen Abstieg
oder vor irgendwie Pflege im Alter oder sowas.
Und es kommt natürlich auch immer wieder vor,
und das ist eine menschliche Schwäche,
unabhängig vom Alter,
dass man Tathintergründe einfach verdrängt
oder verschweigt,
um sich selbst besser darzustellen.
Also, dass man auch gerne mal die Verantwortung
auf eine andere Person schiebt
oder auf äußere Umstände oder so
und dann halt sagt,
bloß weil das so und so war,
habe ich dann eben so gehandelt.
Was aber schon mit dem Alter zu tun hat,
manchmal werden SeniorInnen bewusst straffällig,
weil sie früher schon kriminell waren,
deshalb dann lange im Gefängnis saßen
und dadurch quasi verlernt haben,
ein eigenverantwortliches Leben in Freiheit zu führen.
Stichwort nicht funktionierende Resozialisierung
hätten wir dann hier wieder.
Und dann gibt es eben diese Menschen,
die dann im Alter die Haft der Freiheit vorziehen.
Das hat uns auch unser Experte erklärt.
Und das ist jetzt zwar nicht in Deutschland der Fall,
aber in anderen Ländern,
in denen keine staatliche Altershilfe greift,
da gibt es auch alte Menschen,
die Straftaten provozieren,
weil sie der Meinung sind,
dass es ihnen in Haft vermeintlich besser geht
als zu Hause.
Da gab es doch mal diesen einen Film.
Welchen Film?
Da will jemand in Haft nicht nach Hause
und begeht deswegen noch mal eine Straftat.
Doch, doch, doch, doch, doch, doch.
Dieser Film.
Die Verurteilten, wo der Alte dann rauskommt
nach so vielen Jahren
und dann arbeitet er im Supermarkt
und dann muss er diese Beutel da einpacken
und das möchte er nicht
und er kann nicht allein
und dann will er zurück.
Ja, das ist wirklich traurig.
Ja, und nachher tötet er sich doch selbst.
Ja, genau.
Ja, aber das ist,
wenn man 20, 30 Jahre in Haft sitzt
und die Resozialisierungsmaßnahmen
nicht richtig greifen,
wie sollst du klarkommen?
Dann kommst du raus in eine Welt,
die du überhaupt nicht mehr kennst
und nicht mehr klarkommst.
Überleg mal,
was in der Zwischenzeit alles passiert ist,
was wir mit unseren Handys mittlerweile machen
und so, ja, also.
Ja, und was auch vorkommt,
was ich auch sehr spannend finde,
ist, dass laut unserem Experten
ältere Menschen manchmal auch
aus einer Art Langeweile heraus straffällig werden.
Also, weil sie sich nach Ablenkung sehen
und mal wieder was Aufregendes erleben wollen.
Und dabei ist dieses Überschreiten von Grenzen
ja eigentlich eher was,
was wir aus der Jugendkriminalität kennen.
Aber dass das bei älteren Strafverlegen
wieder auftaucht,
erklärt die Forschung damit,
dass sich ja nicht nur Heranwachsende
in Umbruchssituationen befinden,
die irgendwie mit großen Veränderungen einhergehen.
Und während viele Jugendliche
und junge Erwachsene
dann irgendwie noch auf der Suche
nach ihrem Platz im Leben sind,
ist es bei älteren Menschen ja so,
dass es irgendwie denen droht,
dass sie diesen Platz
oder bestimmte Funktionen verlieren.
Also zum Beispiel durch den Renteneintritt
oder eben durch körperliche Veränderungen,
die halt mit dem natürlichen Alterungsprozess einhergehen.
Genau.
Und das kommt ja auch noch dazu,
weißt du, in dem Alter ist es ja so,
dass viele wissen,
es geht jetzt in den meisten Fällen
nur noch bergab.
Also da kommt nicht mehr viel,
worauf man sich freuen kann,
sondern gerade wenn man auch körperlich
dann irgendwie merkt,
das Alter nagt an einem.
Ja.
Das wird in der Regel
dann ja nicht besser.
Ja.
Was uns aufgefallen ist,
für Jugendliche,
die straffällig werden,
gibt es gesonderte Regelungen.
Und zwar das Jugendstrafrecht.
Und analog dafür gibt es aber für SeniorInnen
kein gesondertes Altersstrafrecht.
Und dabei kommt ja immer wieder mal die Frage auf,
ob es das nicht geben sollte.
Über das Jugendstrafrecht
haben wir in Folge 95 schon mal gesprochen.
Damit hat der Gesetzgeber ja eine Möglichkeit geschaffen,
Straftaten zu sanktionieren,
die Jugendliche und junge Erwachsene
zwischen 14 und 21 Jahren begangen haben.
Und zwar halt dann milder als bei Erwachsenen.
Das hat einmal damit zu tun,
dass viele junge Menschen
in ihrer Entwicklung ja noch nicht so weit sind
und dass sie das Unrecht ihrer Tat
sowie Erwachsene nicht immer so einsehen können
und auch nicht immer danach handeln können.
Und auch damit,
dass das Ziel des Jugendstrafrechts
halt nicht Bestrafung ist,
sondern Erziehung.
Also, dass Jugendliche nach einem Fehltritt
dann quasi nicht auf die schiefe Bahn geraten
und erneut straffällig werden,
sondern daraus dann lernen sollen.
Und VerfechterInnen eines Altersstrafrechts,
die fordern,
dass eben auch für ältere Menschen,
die straffällig werden.
Unter anderem,
weil ein Altersstrafrecht
gesundheitliche Aspekte berücksichtigen könnte
oder damit ältere StraftäterInnen milder bestraft werden könnten,
weil sie halt eh nicht mehr so lange zu leben haben.
Also, dass sie zum Beispiel für Mord dann nicht 15 Jahre bekommen,
sondern beispielsweise nur acht.
Der Bundesgerichtshof geht da aber nicht so mit.
zum Beispiel im Fall der sogenannten Opa-Bande.
Das waren drei Männer im Alter von 74, 73 und 64.
Und die standen 2005 vor Gericht.
Und zwar, weil sie in Ostwestfalen und dem Sauerland
innerhalb von 16 Jahren 14 Banken ausgeraubt
und so über eine Million Euro erbeutet haben.
Boah.
Ja.
Bei ihren Überfällen hatten die Männer Maschinenpistolen,
Handgranatenattrappen, Vorschlaghammer und eine Axt dabei.
Aber im Laufe der Jahre sind ihnen die Überfälle
immer schwerer gefallen,
weil sie halt nach und nach auch so Alterswehwehchen bekommen haben.
Also Bandscheiben und Knieprobleme.
Der eine musste ständig pinkeln.
Aber die Polizei kam letztlich nur durch einen Tipp
von einem Bekannten der Rentner auf die Bande,
weil sie die Bankräuber gar nicht in dieser Altersgruppe gesucht hatten.
Bei Vorbereitung zu einem weiteren Überfall
wurden die drei dann von der extra gebildeten Soko-Opa geschnappt.
Alle drei wurden dann zur Haftstrafen
zwischen neun und zwölf Jahren verurteilt.
Gefängnis war aber jetzt auch nichts Ungewöhnliches für die.
Also alle drei saßen ihr Leben lang immer mal wieder in Haft.
Der eine insgesamt sogar 40 Jahre.
Jetzt aber legten sie Revision ein mit der Begründung,
dass die Strafen zu hoch seien
und vermutlich ihre jeweilige Restlebensdauer überschreiten würden.
Und der BGH hat dann aber gesagt,
nee, die Strafe muss ein gerechter Schuldausgleich sein.
Und Zitat,
insbesondere könne sich aus dem Lebensalter eines Angeklagten
etwa unter Berücksichtigung statistischer Erkenntnisse
zur Lebenserwartung keine Strafobergrenze ergeben.
Denn kein Täter und keine Täterin kann wissen, wie alt er oder sie wird.
Trotzdem sagt das Bundesverfassungsgericht,
dass es die Würde des Menschen gebietet,
dass man grundsätzlich die Chance bekommen muss,
noch zu Lebzeiten aus der Haft entlassen zu werden.
Daher kann das Alter ja schon als Milderungsgrund berücksichtigt werden,
denn damit geht eine erhöhte Haftempfindlichkeit einher.
Das hat man bei Käthe festgestellt und auch bei dieser Opa-Bande.
Aber trotzdem darf man jetzt nicht denken,
dass es immer so eine Art Altersrabatt gibt.
Also das Gericht weckt da schon immer genau ab.
Obwohl der BGH da ja eigentlich schon eine Richtung vorgibt,
wird unter JuristInnen aber nach wie vor diskutiert,
wie sinnvoll ein Altersstrafrecht wäre.
Unser Experte Professor Polmann hat eine eindeutige Meinung dazu.
Er sagt, dass es kein zusätzliches Altersstrafrecht braucht.
Der Ermessensspielraum, den unsere rechtlichen Grundlagen
jetzt schon geben, sei groß genug,
um individuell auf Fragen wie Verhandlungsfähigkeit,
Schuldfähigkeit oder Haftfähigkeit der angeklagten Person einzugehen.
Als Beispiel nimmt er eine demente Person,
die eine andere Person geschlagen hat.
Eine Demenz kann jetzt natürlich auch Auswirkungen
auf die Schuldfähigkeit haben,
wenn sie zum Zeitpunkt der Tat so ausgeprägt war,
dass der Betroffene jetzt nicht mehr verstanden hat,
dass es Unrecht ist, die andere Person zu schlagen.
Es kann aber auch sein,
dass die Demenz nicht stark genug war, um das zu bewirken.
Das kann dann halt je nach Einzelfall geklärt werden.
Und wenn jetzt beispielsweise eine demente Person
vor 30 Jahren jemanden umgebracht hat,
jetzt aber erst überführt wurde,
dann kann es auch sein,
dass die Strafverfolgung abgebrochen wird,
wenn klar ist, dass die Person wegen ihrer Erkrankung
verhandlungsunfähig ist.
Polmann spricht da vom Gleichbehandlungsgrundsatz.
Wir wissen, dass bestimmte Erkrankungsrisiken im Alter stark ansteigen,
aber nur, weil eine Person Geburtstag hat
und damit eine willkürlich gesetzte Grenzschwelle überschreitet,
darf sie nicht anders behandelt werden.
Umgekehrt hat schließlich auch ein junger Mensch Anspruch darauf,
dass seine Lebenslage und sein Gesundheitsstatus,
aber auch die Begleitumstände einer Tat immer sorgsam Berücksichtigung finden.
Es gilt also in jedem Fall der Gleichbehandlungsgrundsatz.
Was wir aus meiner Sicht dringend benötigen,
sind aber sachverständige Fachkräfte,
die auch im Hinblick auf Altersthemen geschult sind,
um bei der Urteilsfindung gegenüber älteren Angeklagten
auch sorgsam zu unterstützen.
Was an einem Altersstrafrecht auch eher kritisch zu sehen ist,
ist die Altersdiskriminierung,
die damit zwangsweise irgendwo einhergehen würde.
Weil man sagt, man wird jetzt kein anderer Mensch,
nur weil man ein bestimmtes Alter erreicht hat.
Aber in dem Fall würde man dann jemanden ab dem 60. Geburtstag,
weil ab da spricht man ja von Alterskriminalität.
Es ist so absurd.
Ich habe mich erst neulich mit jemandem aus meiner Vergangenheit getroffen,
der halt fast 60 ist, weißt du?
Und ich denke mir so, das ist doch keine Alte.
Der würde jetzt dann darunter fallen, oder was?
Also 60 ist doch gar kein Alter.
Nee, genau.
Und deswegen ist es auch so absurd.
Also mit 55 wird man dann anders bestraft als mit 61, weißt du?
Wie alt ist dein Vater nochmal?
Dein Vater ist immer so, also ich weiß, der ist sozusagen alt,
aber ich finde, dein Vater gehört, wenn der jetzt was klauen würde,
dann finde ich auch noch nicht unbedingt,
dass der unter die Alterskriminalität fallen sollte.
Der ist 74.
Also ich finde, ab 80.
Oder ab 75.
Also ich finde, es braucht gar keiner,
wenn wir jetzt hier schon bei der Diskussion sind.
Ich bin für gar kein Altersstrafrecht.
Also 60.
Ja, und man muss ja auch sagen,
das biologische Alter ist jetzt auch nicht unbedingt ausschlaggebend.
Sondern ja die Lebenslage, in der man sich befindet.
Man ist halt nur so alt, wie man sich fühlt, ja.
Trotzdem ist es natürlich klar,
dass ältere Menschen zum Teil andere Bedürfnisse haben als jüngere, ja.
Das ist so.
Und dass die Inhaftierten immer älter werden,
das stellt deshalb halt auch die Gefängnisse vor Herausforderungen.
Und deshalb gibt es seit ein paar Jahren in einigen Bundesländern Bestrebungen,
die Gefängnisse besser daran anzupassen.
In einigen gibt es inzwischen spezielle gerontologische Abteilungen
für ältere Straftäter in.
Vorbild ist da oft das erste Seniorengefängnis Deutschlands in Baden-Württemberg.
Das wurde schon 1970 gegründet.
Und einen der 48 Plätze bekommen nur Männer,
die beim Antritt ihrer Strafe älter als 62 Jahre alt sind
und mehr als 15 Monate absitzen müssen.
Der Dienstleiter sagt in einem Interview mit Fokus Online,
Die Grundidee des Seniorengefängnisses sei,
dass ältere Inhaftierte in einer normalen JVA
eher an den Rand gedrängt werden würden
und dass man den speziellen Bedürfnissen
auf diesem Weg besser gerecht werden könne.
Also die Betreuung ist eben dem Alter angepasst,
weil ältere Menschen haben ja eher chronische Krankheiten
und sind weniger mobil oder teilweise sogar pflegebedürftig.
Ja, und das Ziel von solchen Gefängnissen ist vor allem,
die Inhaftierten körperlich und auch geistig mobil zu halten.
Also sie werden da auch animiert, dann einer Arbeit nachzugehen
oder sich an Angeboten wie Gymnastik, Gesangs- oder Bastelkursen zu beteiligen.
Und manche Dinge werden tatsächlich etwas lockerer gehandhabt
als jetzt in einer normalen JVA.
Zum Beispiel besteht laut dem Leiter bei den Senioren im Gefängnis
so gut wie keine Fluchtgefahr.
Und deshalb dürfen die sich auch tagsüber frei im Gefängnis bewegen
und auch mehr Besuch empfangen.
Nämlich nicht nur eine Stunde pro Monat, sondern sechs.
Und das wird damit begründet,
dass es für ältere Straftäter eine andere Art der Resozialisierung geben.
Weil bei Jüngeren geht das vor allem um den Beruf.
Bei RentnerInnen ist das aber ja nicht mehr der Fall.
Da stehen die sozialen Kontakte im Vordergrund,
um nach der Haft nicht wieder straffällig zu werden.
Aber gerade ältere Menschen, das hast du eben auch schon gesagt,
haben oftmals keine große Familie mehr
oder keinen großen Kreis an Bekannten.
Daher ist das mit der Resozialisierung im Alter doppelt schwierig,
sagt Professor Pohlmann.
Resozialisierungsprogramme werden bislang danach gemessen,
ob eine Person nach der Haft wieder in das Berufsleben eingeliefert werden kann.
Genau dieser Punkt fällt aber gerade für jene weg,
die das Rentenalter bereits erreicht haben.
Es fehlt uns an Indikatoren,
wie eine gelungene Resozialisierung im Alter überhaupt zu messen ist.
Das heißt, wie der Übergang zwischen Strafvollzug auf der einen
und ein Leben in Freiheit gerade für ältere Menschen
auf der anderen Seite gut gewährleistet werden kann.
All das ist in Theorie und Praxis noch sehr stark unterbelichtet.
Hier brauchen wir in der straffälligen Hilfe neue Impulse und auch neue Ansätze.
Ein wichtiger Punkt sollte dabei aus meiner Sicht die Gemeinwohlorientierung darstellen.
Dazu braucht es Betätigungsfelder für ältere Straffällige,
mit deren Hilfe ein soziales Engagement erleichtert wird.
Das könnte auch dazu beitragen, die Lebensbilanz Betroffener positiv zu beeinflussen.
Aber es gibt auch Kritik an solchen Gefängnissen für SeniorInnen.
Manchmal heißt es, mit diesen speziellen Angeboten sei die Haft zu angenehm
und den Menschen würde es dadurch sogar besser gehen als in Freiheit.
Aber wie auch unser Experte betont, darf man nicht vergessen,
was eine Inhaftierung, was das für eine schwere Strafe ist, gerade im hohen Alter.
Und Professor Pohlmann sagt auch, dass eine Gesellschaft dazu verpflichtet sei,
eine menschenwürdige Inhaftierung zu gewährleisten.
Allgemein gibt es aber jetzt noch keine belastbaren Informationen,
ob solche speziellen Gefängnisse sinnvoller sind als jetzt gemischte Haftanstalten.
Da sind Forschende erst gerade dabei, das zu untersuchen.
Aber am Ende des Tages muss man sich auch immer vor Augen führen,
dass es ja einen Grund gibt, warum SeniorInnen in Haft sind.
Und zwar, weil sie ein Verbrechen begangen haben
und dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen,
auch wenn sie süß aussehen.
Ja, manchmal wirklich sehr, sehr süß.
Nächste Woche geht es hier mit einer Einzelfolge weiter.
Da sprechen wir über einen sehr, sehr schlimmen und spektakulären Kriminalfall,
der in einem unserer Nachbarländer passiert ist.
und bei dem wieder mal die Beantwortung nach der Frage der Schuld
beziehungsweise Verantwortung sich sehr schwierig darstellt.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.