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Wenn ihr, wie wir das hoffen, Justitias Wille, unseren anderen Podcast, der gerade noch läuft,
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wenn ihr den verfolgt, dann ist euch aufgefallen, dass wir heute keine neue Folge dazu rausgebracht
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haben. Das liegt daran, dass die Urteilsverkündung auf den 8. April geschoben wurde. Das heißt,
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dass am nächsten Dienstag unsere letzte Folge dazu rauskommt. Ja, genau. Und da werden wir dann
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quasi sagen können, ob es zu einem Freispruch oder zu einer Verurteilung gekommen ist. Und gerade
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sieht es ja noch so aus, als wäre es wirklich 50-50 beides möglich. Alles ist möglich. Laura und
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ich fassen in der nächsten Folge auch nochmal Argumente für eine Verurteilung und gegen eine
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Verurteilung zusammen. Dann könnt ihr euch nochmal ein eigenes Bild machen und dann werdet ihr hören,
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wie das Urteil ausgefallen ist. Und jetzt geht's los mit Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe. Mein Name ist Paulina Kraser.
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Und ich bin Laura Wohlers. Heute haben wir wieder einen Kriminalfall mitgebracht, den wir zusammen
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erzählen und der uns nachhaltig beschäftigt hat. Hier geht's um True Crime, also um die Schicksale
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von Menschen. Bitte behaltet das immer im Hinterkopf. Das machen wir auch, selbst dann,
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wenn wir zwischendurch etwas ungehemmter mal miteinander reden. Das ist für uns so eine Art
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Komikoliv, aber natürlich nicht respektierlich gemeint. Für den heutigen Fall begeben wir uns
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ins Nachbarland Österreich, genauer gesagt in die österreichischen Alpen. Und zwar geht's
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heute um ein Wintersportparadies, das für viele Menschen zum Albtraum wurde. Um trauende Angehörige,
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die sich nach Verantwortungsübernahme sehen und um einen Prozess, der bis heute viele Fragezeichen
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aufwirft. Fast alle Namen haben wir geändert. Das Loch, in dem er gefangen ist, ist schwarz und
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angsteinflößend. Hier im dunklen Abgrund wirkt die Schneelandschaft über ihm gar nicht so friedlich wie
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sonst. Aus der Ferne hört er ein Lachen, Stimmen, die er kennt und die immer lauter werden. Dann rast ein
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Schlitten an ihm vorbei, auf dem mehrere seiner Freundinnen sitzen. "Warum bist du nicht mit uns
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gekommen?", rufen sie ihm zu, ehe sie in der Ferne verschwinden. Der Mann kann ihnen nicht antworten, denn kurz
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darauf wacht er auf. So läuft der Albtraum jedes Mal ab. Und das schon seit vielen Jahren, seit dem
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Schreckenstag, der ihn nicht nur jeden Tag, sondern auch jede Nacht noch begleitet." 10. November 2000. In
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dem geräumigen Reisebus, der sich seinen Weg durch die Straßen bahnt, herrscht eine ausgelassene
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Stimmung. Erst vor wenigen Minuten haben die Mitfahrenden ihre Taschen und Koffer in den Gepäckfächern
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des Fahrzeugs verstaut. Nun haben sie es sich auf ihren Plätzen bequem gemacht und können es kaum
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erwarten, ihr Ziel in viereinhalb Stunden zu erreichen. So auch Hartmut. Der 51-Jährige mit
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den gräulichen Haaren und dem Schnauzer ist voller Vorfreude auf das bevorstehende Wochenende. Denn
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während er unter der Woche in seinem Beruf als Qualitätsprüfer industrielle Fertigungsprozesse im
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Blick hat, will er sich die kommenden zwei Tage voll und ganz seinem Hobby widmen: dem Skifahren. Hartmut ist
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ein begeisterter Wintersportler. Bereits seit Jahrzehnten schlüpft er so oft wie möglich in
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die klobigen Skischuhe, um weiße Pisten hinunter zu jagen. Eine Leidenschaft, die er mit den Frauen und
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Männern im Reisebus teilt. Hartmut ist Mitglied im Skiclub Unterweißenbach, einem Verein aus seiner
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oberpfälzischen Heimat Vilsäck. Gemeinsam mit 48 weiteren Mitgliedern ist er an diesem Abend auf dem Weg in die
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österreichischen Alpen. Genauer gesagt in das rund 400 Kilometer entfernte Dorf Kaprunn. Obwohl sich das Jahr
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2000 bereits dem Ende zuneigt, es ist der erste mehrtägige Ausflug für den Verein. Hartmut lässt seine
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Augen durch die Reihen schweifen und blickt in die Augen vieler vertrauter Gesichter. Innerhalb der
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Gruppe, die aus jung und alt besteht, herrscht eine familiäre Atmosphäre. Viele der ReiseteilnehmerInnen sind für
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den 51-Jährigen nicht nur sportliche Gleichgesinnte, sondern echte FreundInnen. Die Liebe zum Skifahren, das
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schweißt einfach zusammen. Das trifft auch auf ihn und Sohn Patrick zu. Der 27-Jährige sitzt an diesem
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späten Novembernachmittag mit im Bus. Hartmut ist stolz und froh darüber, dass er die Begeisterung für das
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Skifahren an Patrick weitergeben konnte und sie ein Hobby haben, das sie miteinander teilen. Doch noch
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glücklicher macht es ihn, dass der Sport seinem Sohn zugleich eine Partnerin geschenkt hat. Auf dem Platz
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neben Patrick sitzt Freundin Carla. Die beiden haben sich im Verein kennen und lieben gelernt.
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Hartmut freut sich darüber, dass Patrick und Carla Heiratspläne haben und die junge Frau mit den
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dunklen Augen und den schulterlangen dunklen Haaren daher schon bald seine Schwiegertochter sein wird.
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Eine weitere Skiliebhaberin in der Familie. Das klingt gut. Nach rund viereinhalb Stunden Fahrt haben
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Hartmut und die anderen es endlich geschafft. Sie sind angekommen. Ein wenig erschöpft von der langen
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Busfahrt checkt die Gruppe aus Filsäck im Hotel ein. Viel passieren wird heute nicht mehr, denn alle
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wollen morgen früh auf der Piste sein. Endlich wieder Schnee unter den Skiern. Endlich wieder frische
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Bergluft einatmen. Hartmut ist sich sicher, ihm steht ein großartiges Wochenende bevor.
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Der nächste Tag. Das Skigebiet in der österreichischen Gemeinde Kaprunn gilt als wahres Paradies für
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WintersportlerInnen. Auf dem sogenannten Kitzsteinhorn, einem vergletscherten Berg, der mehr als 3000 Meter
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in die Höhe ragt, liegt das ganze Jahr über Schnee und bietet selbst im Sommer die Möglichkeit, auf den
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Brettern den Berg hinunter zu jagen. Am heutigen, 11. November, beginnt jedoch die Hauptsaison. Und die
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Bedingungen dafür könnten kaum besser sein. Der touristische Ort im Salzburger Land empfängt die
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BesucherInnen an diesem Morgen mit einem echten Bilderbuchwetter. Vom blauen nahezu wolkenlosen
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Himmel strahlt die Sonne herab und bringt die weiße Landschaft rund um den Berg zum Glitzern.
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Obwohl es noch früh ist, sind an diesem Samstag bereits 2000 Personen auf den Beinen, um den Skitag
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pünktlich zu starten. Unter ihnen sind auch Hartmut Patrick, Carla und die anderen Mitreisenden. Die Gruppe
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aus der Oberpfalz hat es zeitig aus den Betten gerissen. Gekleidet in seiner lilafarbenen Skihose und einer
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blau gemusterten Jacke ist Hartmut vor kaltem Wetter und niedrigen Temperaturen gut geschützt.
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Nachdem Sohn Patrick als Reiseleiter die Skipässe verteilt hat, macht sich die Gruppe auf den Weg
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zur Talstation. Von dort aus wollen sie in die Gletscherbahn steigen, die sie hinauf zum
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Kitzsteinhorn bringen wird. Gut gelaunt läuft Hartmut anderen aus seiner Gruppe hinterher, die Skier unter
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den Arm geklemmt. An der Talstation angekommen, dauert es nur wenige Minuten, bis die erwartete
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Gletscherbahn auf den Schienen einfährt. Mit ihren getönten Fenstern und dem blau-grünen Anstrich
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wirkt die sogenannte Kitzsteingams nahezu futuristisch und erinnert ein wenig an ein ICE. Zumindest optisch,
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denn schneller als 25 kmh kann sie sich nicht fortbewegen. Mehrmals täglich bringt die Standseilbahn
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SkifahrerInnen in einer neunminütigen Fahrt hinauf auf den vergletscherten Berg. Insgesamt 180
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WintersportlerInnen finden in den zwei Waggons mit jeweils acht Abteilen Platz. Deutlich weniger als
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die zahlreichen Menschen, die an diesem Morgen den Fahrtweg zur Piste antreten möchten. Als sich die
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Türen öffnen, strömen viele von ihnen zügig hinein. Die anderen müssen zurückbleiben und auf die nächste
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warten. Es ist 9.02 Uhr, als sich die Gletscherbahn in Bewegung setzt. Abgesehen von jenen, die einen
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Sitzplatz ergattert haben, stehen die Fahrgäste dicht beieinander. Auch Hartmut trägt seine Skier
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eng am Körper. Er ist einigen aus seiner Gruppe in das hinterste Abteil gefolgt. Doch wie viele von
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ihnen wirklich eingestiegen sind und wer nun weiter an der Talstation warten muss, darüber hat er keinen
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Überblick. Der 51-Jährige blickt hinaus aus einem der Fenster. Obwohl die Scheiben leicht getönt sind,
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kann er die Aussicht genießen, die einem Naturspektakel nahe kommt. Die Fahrt führt Hartmut und die
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anderen WinterurlauberInnen über eine 600 Meter tiefe Schlucht. Schon bald kann Hartmut auch auf die
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dunkelgrünen Nadelbäume herabblicken, auf deren Äste sich Schnee gesammelt hat. Er ist beeindruckt. Als
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langjähriger Skifahrer hat er in Lifts und Gondeln schon oft auf Bilderbuchlandschaften herabgeblickt. Doch
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satt sehen wird er sich daran wohl nie. Nach einigen Minuten steuert die Gletscherbahn auf die Einfahrt
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eines drei Kilometer langen Tunnels zu, die von einer blauen Fassade umrahmt wird. Wie eine Achterbahn
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bewegt sich die Kittstein-Gams im 30-Grad-Winkel auf den Schienen nach oben. Als der Zug in die
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Dunkelheit fährt, ist es vorbei mit der spektakulären Aussicht und auch mit den schönen
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Tagträumen. Noch ehe sich Hartmuts Augen an das monotone Schwarz außerhalb der beleuchteten Bahn voll
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ins Gewöhnt haben, zieht etwas seiner Aufmerksamkeit auf sich. Die Stimmung im hintersten Zugabteil
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kippt. SkifahrerInnen tauschen besorgte Blicke aus, Unruhe und Hektik gesellen sich als ungebetene
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Fahrgäste mit ins Abteil. Hartmut muss niemanden fragen, was los ist, denn kurz darauf entdeckt er ihn
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selbst. Den Ursprung der Nervosität. Den Grund für die Anspannung der Menschen, den Rauch,
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der da aus den Bodenblechen quillt. Hartmut ist irritiert. Was ist denn jetzt los? Dem 51-Jährigen
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fällt es schwer, den Qualm zu deuten. Lange soll es jedoch nicht dauern, bis er den Ernst der Lage
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begreift. Denn der Rauch wird nun immer dichter. Kinder beginnen zu weinen, viele Leute zu husten.
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Der Smog raubt den Menschen in der Gletscherbahn nicht nur die Luft zum Atmen, sondern auch die Sicht.
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Hartmut kommt es vor, als hätte sich ein grauer Schleier über alles gelegt. Angestrengt und panisch
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versucht er unter den weiteren Fahrgästen bekannte Gesichter auszumachen. Er entdeckt einige
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Vereinsmitglieder. Von Sohn Patrick und dessen Freundin Clara fehlt jedoch jede Spur. Sind sie überhaupt in die
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Bahn eingestiegen? Hartmut weiß es nicht. Seine Augen brennen, seine Atemwege schmerzen. Und dann
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sieht er plötzlich rot. Und zwar wortwörtlich.
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Feuer, schreit jemand. Dann bemerkt auch Hartmut die Flammen, die sich ihren Weg vom hinteren Zugende
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in den Fahrgastraum bahnt. Der 51-Jährige kann nicht glauben, was er da sieht. Es ist der Moment,
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in dem Panik ausbricht. Während einige der WintersportlerInnen schützend ihre Liebsten im Arm
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halten, machen andere ihre Angst durch hysterische Schreie Luft. Immer wieder hauen Menschen verzweifelt
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gegen die Fensterscheiben. Dann, ganz plötzlich, bleibt die Bahn nach etwa 600 Metern im Tunnel ruckartig
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stehen. Eine Notbremsung. Gott sei Dank, denkt Hartmut. Gleich werden sich die Türen öffnen. Gleich
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können sie hinausströmen. Doch der erhoffte Ausweg erweist sich als Trugschluss. Die Türen bleiben
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verschlossen. Verdammt. Verzweifelt versuchen einige die Türen mit ihrem vollen Körpereinsatz
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auseinanderzuziehen. Doch es gelingt nicht. Sie müssen hier raus. Und zwar schnell. Es sind diese
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Gedanken, die Hartmut dazu bringen, das Bahnabteil hektisch abzusuchen. Hier muss es doch irgendwas
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geben. Ein Feuerlöscher, eine Gegensprechanlage, ein Notfallhammer. Irgendetwas, das ihnen helfen kann.
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Aber Hartmut findet nichts dergleichen. Also bleibt ihm nur eine Wahl. Geistesgegenwärtig
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tritt er an eines der Fenster und nimmt einen seiner Schier fest in die Hände. Dann holt er aus und
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schlägt zu. Mit voller Wucht hämmert er das Brett mit der Metallspitze voran gegen die Scheibe. Das
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Plexiglas erweist sich als robust. Doch Hartmut denkt nicht daran aufzugeben. Er schlägt erneut zu.
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Ein zweites Mal. Ein drittes Mal. Wieder und wieder.
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Ihr Überlebensinstinkt hat den 51-jährigen Oberpfälzer fest im Griff. Es kommt gar nicht in Frage, dass er den
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Feuertod in der Gletscherbahn sterben wird. Nein, nicht hier. Nicht heute. Schweißperlen laufen ihm über die
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Stirn. Sowohl die körperliche Anstrengung als auch die Todesangst und die Hitze der Flammen machen sich
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bemerkbar. Hartmut hat nicht mitgezählt. Vermutlich hat er mittlerweile schon 20 Mal gegen das Fenster
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geschlagen. Dann ertönt plötzlich ein klirrendes Geräusch. Die Scheibe gibt nach und zerspringt.
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Ohne großartig darüber nachzudenken, drücken Hartmut und einige seiner Skifreunde mit ihren Händen,
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die in gefütterten Handschuhen stecken, die Scherben heraus. Dann geht es ganz schnell. Nach und
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nach stürzen sich die Menschen kopfüber durch das zerstörte Fenster hinaus. Immer wieder weist
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Hartmut Fahrgäste schreiend an, durch die zerstörte Scheibe zu klettern. Er zieht an Skijacken, um die
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Menschen zu positionieren, schiebt die Körper an, um die Rettung zu beschleunigen. Dann britt er selbst an das
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Fenster. Die Flammen haben den Großteil des Abteils bereits im Beschlag genommen. Der Kragen von
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Hartmuts Skijacken ist verbrannt, einige seiner Haare angekokelt. Hektisch klettert er aus der Bahn und
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fällt. Er landet ruckartig auf seiner Schulter. Ein stechender Schmerz durchdringt seinen Körper. Doch
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Hartmut rabbelt sich auf. In dem schwarzen Tunnel ist der brennende Zug die einzige Lichtquelle, die die
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Dunkelheit durchbricht. Immer wieder laufen Menschen panisch an Hartmut vorbei, um nach oben zu rennen.
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Weg vom Feuer. Weg vom Zug. Soll er es ihnen gleich tun? Oder sind seine Überlebenschancen besser, wenn er
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bergab, vorbei an der brennenden Bahn zurück zum Tunnelausgang läuft? Hoch oder runter? Vom Feuer weg? Oder
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erst mal am Feuer vorbei? Es ist eine Entscheidung, die Hartmut gewisserweise abgenommen wird. Ein
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Vereinsmitglied weist ihn und einige seiner Freundinnen an, nach unten zu laufen. Und Hartmut gehorcht. Die
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Gefahr ist noch nicht gebannt, das weiß Hartmut. Jeden Augenblick könnten ihn die Kräfte verlassen. Jeder
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Atemzug, der seine Lunge mit giftigem Rauch füllt, könnte einer zu viel sein. Hartmut ist zwar aus der
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brennenden Bahn entkommen, der dichte Qualm kann jedoch nach wie vor zur tödlichen Gefahr werden.
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Nahezu blind und keuchend kämpft er sich auf der Wartungstreppe, die seitlich neben den Schienen
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verläuft, einen Weg vorwärts. Seine sperrige Winterkleidung macht den Abstieg jedoch alles
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andere als einfach. Auf den schmalen Stufen ähneln die klobigen Skischuhe einem Gipsbein, das ihn daran
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hindert, zügig voranzukommen. Hartmut versucht sich an einem Stahlseil, das an der Tunnelwand neben ihm
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verläuft entlang zu hangeln, doch immer wieder gerät er ins Stolpern. Das Atmen fällt ihm
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mittlerweile immer schwerer. Plötzlich kann Hartmut etwas vor seinen Augen erkennen. Ein grelles Licht,
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das immer größer wird und auf das er zugeht.
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Also das ist meine absolute Horrorvorstellung. Ich habe ja eh schon in so engen Räumen und so mit
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vielen Leuten, wenn wir Skifahren in Vorarlberg, da gibt es nach Lech so eine bestimmte Bahn, wo man
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wirklich wie in einer Sardinenbüchse so eng steht. Es ist so warm da drin. Und dann halt diesen Berg hoch und
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ich denke mir jedes Mal so, was, wenn jetzt irgendwas passiert? Ja, du bist da drin gefangen, dann geben die
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diese Türen nicht nach und du hast keine Luft mehr zum Atmen.
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Ich finde das auch, das ist die absolute Horrorvorstellung und die Szene, wo Hartmut jetzt gerade ist, also in diesem Tunnel, da muss ich an was denken, was ich als Kind
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erlebt habe. Und zwar, warum auch immer konnte man da, wo ich gewohnt habe damals, quasi so in diese Abwasserkanäle reingehen.
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Wofür diese Geschichte jetzt hin?
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Ich habe keine Vorstellung.
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Nein, es war aber wirklich dann halt auch so ein kleiner Tunnel und es war ganz dunkel und wir sind da halt so durchgegangen auf so einem Holzbrett. Das war für mich die Kanalisation. Ja, also ich bin in der Kanalisation entlang gegangen.
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Du hast als Kind in der Kanalisation gespielt.
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Nee, ich weiß nicht warum, aber du armes. Ich da war, aber irgendwie konnte man von einem Ort zum anderen durch diese Kanalisation gehen, wenn man das wollte. Und ich wollte das, aber dann war ich drin und dann fand ich es so schrecklich und beengend. Und ich dachte mir, ich komme hier nie wieder raus. Und als dann auch endlich irgendwann mal Licht, ja, wirklich am Ende des Tunnels zu sehen war, war ich so glücklich und ich habe auch so geweint. Also es war wirklich für mich, war das wirklich ganz schlimm. Dabei war es klar, dass ich nicht in Lebensgefahr bin. Ich war auch nicht alleine und alles.
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Aber es war so ein schreckliches Gefühl, in diesem Tunnel zu sein, in dem dunklen Tunnel.
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Für Hartmut ist das hier auf jeden Fall alles gar kein Spiel, sondern in dem Moment ein nicht endender Albtraum.
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Etwa zur gleichen Zeit im Tal. Schockiert beobachten zahlreiche TouristInnen das hektische Geschehen. Mittlerweile herrscht ein echtes Großaufgebot an Einsatzkräften. 500 Feuerwehrleute und zahlreiche NotfallmedizinerInnen sind in mehr als 100 Einsatzfahrzeugen angereist.
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Grund dafür ist ein Notruf, der um 9.12 Uhr eingegangen war. Ein Mitarbeiter des Kontrollraums der Gletscherbahn hatte telefonisch die Feuerwehr verständigt, nachdem der Zugbegleiter berichtet hatte, dass in der Bahn, die sich derzeit im Tunnel befindet, womöglich ein Feuer ausgebrochen sei.
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Details hatte er dem Kontrollraummitarbeiter nicht mehr nennen können, denn kurz darauf sei die Funkverbindung abgebrochen.
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Eine schwierige Situation für die Einsatzkräfte. Sie wissen weder, was genau im Tunnel geschehen ist, noch was aktuell vor sich geht. Und auch die Lage des Einsatzes ist alles andere als günstig.
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Das untere Tunnelende liegt tief im Berg und kann nicht mit dem Rettungswagen erreicht werden. Einige Feuerwehrleute entscheiden daher, zu Fuß über die Gleise hineinzugehen. Ausgestattet mit Atemmasken wagen sie den Weg ins Ungewisse und machen nur wenige Minuten später eine grauenvolle Entdeckung.
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Die Gletscherbahn brennt lichterloh. Die lodernen Flammen haben sämtliche Wagen und Abteile der Kitzsteingams eingenommen und schlagen bedrohlich in die Höhe.
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Doch nicht nur das Feuer und der dichte Qualm erschweren die mögliche Rettung. Aufgrund der großen Hitze besteht die Gefahr, dass das Zugseil, mit dem die Gletscherbahn bergauf gezogen wird, reißt.
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Die Konsequenz wäre verheerend. Der 40-Tonner würde rückwärts bergab rasen und die Rettungskräfte und die Menschen, die sich noch hinter der Bahn im Tunnel befinden, begraben. Sie haben daher keine andere Wahl.
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Es ist 9.35 Uhr, als die Feuerwehr die schwere Entscheidung trifft, den Einsatz nur 23 Minuten nach dem Notruf abzubrechen.
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Die Evakuierung der Talstation wird eingeleitet und die Menschen im brennenden Zug sind nun ihrem Schicksal überlassen.
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Doch die Arbeit der Rettungskräfte ist damit noch nicht getan. Denn nur wenige Minuten später geht ein weiterer Notruf aus dem Skigebiet ein.
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Diesmal kommt er von oben. Ein Anrufer berichtet von dichtem Rauch, der aus den geöffneten Brandschutztüren des Tunnelendes in die Bergstation dringe.
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So auch in das sogenannte Alpin-Center, in dem sich Restaurants und Geschäfte befinden.
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Nachdem die Stromversorgung zusammengebrochen sei, hätten sich sämtliche Türen des Gebäudes automatisch geöffnet und dem dunklen Qualm damit Einlass geboten.
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Es ist der Moment, in dem sich der Einsatz verlagert. Bisher hatten sich die Rettungskräfte auf das untere Tunnelende konzentriert.
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Nun fliegen Feuerwehrleute und SanitäterInnen mit Rettungshubschraubern hinauf auf die Bergstation, in die der rund drei Kilometer lange Tunnel mündet.
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Vereinzelt ziehen sich völlig entkräftete Menschen aus den Geschäften und Restaurants, deren Skijacken von Ruß bedeckt sind und deren geschockte Gesichter eine eindeutige Sprache sprechen.
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Sie haben es gerade nochmal geschafft. Eine Erleichterung, die an diesem Morgen nur wenige spüren können.
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Etwa zur gleichen Zeit im oberbayerischen Übersee.
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Der heutige Tag gehört ganz ihr.
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Die 39-jährige Doris freut sich darauf, den Samstag im Pferdestall verbringen zu können.
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Sie hat reichlich Zeit, denn Luca muss sie erst am Abend wieder vom Bus abholen.
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Doris' 14-jähriger Sohn ist mit seinem Skiteam am Morgen nach Kaprunnen aufgebrochen.
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Am Kitzsteinhorn will der Nachwuchskader einige Stunden trainieren, ehe es am Abend zurück nach Hause geht.
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Doris ist beeindruckt vom sportlichen Ehrgeiz ihres Sohnes.
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Davon, dass er an einem Samstag frühmorgens seine Trainingstasche packt, statt lange zu schlafen.
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Und Lukas' Biss macht sich auch jetzt schon im jungen Alter bezahlt.
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Der 14-Jährige ist Juniorenmeister und gehört zu den großen Hoffnungsträgern des Bayerischen Skiverbandes.
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Immer wieder erfeuert Doris ihn bei Wettkämpfen an und bewundert die Medaillen, die er mit nach Hause bringt.
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Die 39-Jährige mit dem dunkelbraunen Kurzhaarschnitt ist sich sicher, dass das erst der Anfang seines Erfolges ist.
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Die Chancen stehen gut, dass Luca sein Hobby eines Tages zum Beruf macht und Profisportler wird.
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Und wenn nicht, dann übernimmt er bestimmt den Skiservice am Chiemsee,
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wo Doris und ihr Mann sich um die Pflege der Skier ihrer KundInnen kümmern.
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Kanten schleifen und die Bretter so bestmöglich auf ihren nächsten Einsatz im Schnee vorbereiten.
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So oder so ist sie sich sicher.
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Lukas' Liebe zum Wintersport wird immer einen Platz in seinem Leben haben.
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Als Doris am Stall ankommt, wird sie bereits erwartet.
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Die Besitzerin der Anlage kommt aufgeregt auf sie zu.
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Irgendetwas sei mit Luca passiert, berichtet sie hektisch.
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Sie solle lieber schnell nach Hause fahren.
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Ihr Mann würde sie schon suchen.
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Doris fühlt sich überrumpelt.
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Sie ist unsicher, wie sie diese Information deuten soll.
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Etwas ist mit Luca passiert?
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Was soll das bedeuten?
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Hat er sich vielleicht verletzt?
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Das wäre natürlich übel, kann im Leistungssport aber vorkommen.
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Grübelnd steigt Doris zurück ins Auto und fährt los.
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Ihr Ziel ist jedoch nicht ihr Zuhause, sondern das eineinhalb Stunden entfernte Kaprun.
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Und noch ahnt Doris nicht, dass sie den heutigen 11. November 2000 niemals vergessen wird.
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Zurück in Österreich.
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Das Licht, das Hartmut gesehen hat, es war das Ende des Tunnels.
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Er hat all seine letzten Kräfte mobilisiert, um den Ausgang aus der brennenden Hölle zu erreichen und es noch geschafft.
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Noch sitzt der Schock zu tief, um Dankbarkeit zu spüren.
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Dankbarkeit dafür, überlebt zu haben.
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Der 51-Jährige befindet sich nicht mehr in der verrauchten Dunkelheit, sondern im Bett eines Krankenhauses.
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Nachdem er und einige seiner Freundinnen den Tunnelausgang endlich erreicht hatten, hatte sein Kreislauf schlapp gemacht und er war zusammengebrochen.
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Zum Glück hatte ein Rettungshubschrauber ihn nur wenige Minuten später ins Tal gebracht, von wo aus er dann in einem Rettungswagen notversorgt wurde.
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Hartmut kann immer noch nicht fassen, was passiert ist.
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Feuer und Rauch haben ihre Spuren an seinem geschwächten Körper hinterlassen.
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Er hat eine schwere Rauchvergiftung, außerdem einige Brandwunden und Prellungen.
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Doch die größten Schmerzen bereiten ihm nicht seine Verletzung.
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Es ist der traurige Ausdruck in den Augen seines Sohns Patrick.
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Zunächst war Hartmut einfach nur froh gewesen, als er erfahren hatte, dass der 27-Jährige keinen Platz mehr in der Unglücksbahn bekommen hatte und somit an der Talstation auf die nächste Verbindung gewartet hatte, die niemals kam.
00:21:45
Anders als seine Freundin Clara.
00:21:47
Als Hartmut Patrick im Krankenhaus erleichtert in die Arme schließt, sieht er ihm sofort an, dass etwas nicht stimmt.
00:21:52
Sein Sohn hatte zuvor von einem anderen Überlebenden aus der Gruppe erfahren, dass es nicht alle aus ihrer Skigruppe, die in der Bahn saßen, hinaus geschafft haben.
00:22:01
Als Patrick sich konkret nach Carla erkundigt hatte, hatte sein Sportskollege nur traurig den Kopf geschüttelt und gesagt, die kommt nicht mehr.
00:22:09
Hartmut ist erschüttert. Das kann doch alles nicht wahr sein.
00:22:13
Dieses Wochenende sollte ein ausgelassener Skiurlaub werden.
00:22:16
Doch stattdessen hat er sich vor wenigen Stunden als Albtraum entpumpt.
00:22:21
Genauso schnell wie die Flammen die Gletscherbahn verschlungen haben, verbreitet sich auch in den Medien die Nachricht von einem Feuer im Skigebiet Kitzsteinhorn.
00:22:30
Entsprechend riesig ist die Ansammlung von JournalistInnen, die am Mittag der Katastrophe zur einberufenen Pressekonferenz erscheinen.
00:22:37
Zahlreiche Fotografinnen richten ihre Kameras auf die Männer, die mit erschütterten Minen nebeneinander an einem Tisch sitzen.
00:22:43
Neben der Geschäftsführung der Gletscherbahngesellschaft, dessen Haupteigentümer der österreichische Staat ist und Mitarbeitern des Verkehrsministeriums,
00:22:51
ist auch der Salzburger Landeshauptmann anwesend, um die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was am Morgen in Kaprun geschehen ist.
00:22:58
Der Schock bei den Anwesenden sitzt tief.
00:23:01
Eigentlich ist die Kitzsteingams der ganze Stolz der österreichischen Skiregion.
00:23:05
In ihrer Modernisierung Anfang der 90er war es IngenieurInnen gelungen, eine Bahn zu konstruieren, die ganz ohne Treibstoff und Motoren auskommt.
00:23:14
Lediglich ein Seil und ein Elektromotor in der Bergstation sind notwendig, um eine Bahn bergaufwärts zu ziehen bzw. bergabwärts zum Tal hinunterfahren zu lassen.
00:23:23
Denn grundsätzlich sind immer zwei Bahnen gleichzeitig unterwegs, die sich gegenseitig ausbalancieren.
00:23:29
Fährt eine hoch, steuert die andere runter.
00:23:31
Doch nun ist eben in einer dieser Vorzeigebahnen etwas Furchtbares passiert.
00:23:36
Bisher gibt es nur wenige gesicherte Informationen.
00:23:39
Doch sie genügen, um zu verstehen, was für ein tragisches Unglück es gegeben hat.
00:23:44
Der Salzburger Landeshauptmann berichtet, dass in einer Gletscherbahn, die am Morgen auf dem Weg zur Bergstation gewesen war, ein Feuer ausgebrochen sei.
00:23:50
Der Tunnel, in dem sich die Bahn zu diesem Zeitpunkt befand, habe dabei wie ein Kamin gewirkt und verursacht,
00:23:56
dass sowohl Flammen als auch Rauch nach oben zur Bergstation gezogen seien.
00:24:00
Dass auf einige wenige, die sich aus dem brennenden Zug retten konnten und bergabwärts wie Hartmut ins Freie liefen,
00:24:07
sei davon auszugehen, dass alle anderen Menschen, die sich in der Bahn befunden hatten, die Katastrophe nicht überlebt hätten.
00:24:13
Man sei, Zitat, bis in die Knochen erschüttert, formuliert es ein Mitglied des österreichischen Verkehrsministeriums.
00:24:21
Die Kitzstein gab es da eine außerordentlich sichere Anlage.
00:24:24
Eine solche Katastrophe kann sich keiner der Anwesenden erklären.
00:24:30
Doris weiß von all dem noch nichts.
00:24:32
Nervös umklammert sie das Lenkrad ihres Autos mit den Händen, während im Hintergrund leise Radiomusik läuft.
00:24:38
Doris hat nur noch wenige Minuten Autofahrt vor sich.
00:24:41
Am Kitzsteinhorn angekommen, findet sie sich schließlich wenig später in einem Jugendgästehaus wieder.
00:24:46
Einige Eltern der Kinder aus Lukas Skigruppe sind bereits vor Ort.
00:24:50
Andere kommen in den nächsten Minuten und Stunden dazu.
00:24:53
Doch Doris blickt nicht nur in bekannte Gesichter.
00:24:57
Unter den besorgten Eltern haben sich auch MitarbeiterInnen des Roten Kreuzes gemischt.
00:25:01
NotfallpsychologInnen stellen sich vor, bieten den Anwesenden Getränke und kleine Speisen an und bemühen sich um Smalltalk.
00:25:08
Je weiter die Zeit voranschreitet, desto angespannter wird die Stimmung im Raum.
00:25:13
Bei einigen Eltern schlägt die Nervosität in Wut um.
00:25:16
Immer wieder rufen sie erbost, dass sie nun endlich wissen wollen, was Sache ist.
00:25:21
Ein Wunsch, den ihnen vorerst niemand erfüllt.
00:25:24
Je später es an diesem 11. November 2000 wird, desto mehr bekommt es auch Doris mit der Angst zu tun.
00:25:30
Sie weiß noch immer nicht, was mit Luca passiert ist.
00:25:33
Zu diesem Zeitpunkt hat sie noch keine Nachrichten gehört.
00:25:37
Damals gibt's ja auch noch keine richtigen Smartphones und niemand redet mit ihr.
00:25:42
Dass die NotfallpsychologInnen seit ihrer Ankunft in der Vergangenheit von ihrem Sohn und den anderen Kindern aus der Skigruppe sprechen, macht ihr Sorgen.
00:25:50
Doris ist in Gedanken, als sie plötzlich ein Gespräch zwischen zwei Roten Kreuz-Mitarbeitern mitbekommt.
00:25:55
Im Flüsterton hört sie einen von ihnen sagen, warum sagen sie ihnen es nicht endlich?
00:26:01
Dann, nach Stunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen, lässt das anwesende Krisenteam die umgangssprachliche Bombe platzen.
00:26:10
Es ist der Moment, in dem Doris sich das Warten und die Ungewissheit zurückwünscht.
00:26:14
Denn nun muss sie der Wahrheit ins Auge blicken.
00:26:16
Luca wird nicht mehr kommen.
00:26:19
Denn Doris' Sohn saß in der Unglücksbahn.
00:26:24
Zweiflung herrscht unterdessen auch in einem nahegelegenen Hotel.
00:26:27
Während Hartmut noch im Krankenhaus behandelt wird, sitzen Sohn Patrick und andere Mitglieder des Skiclubs unter Weißenbach zusammen.
00:26:33
Obwohl die OberpfälzerInnen froh sind, dass zehn von ihnen in der Flammenhölle im Tunnel entkommen sind,
00:26:38
sind Trauer und Fassungslosigkeit an diesem Abend die präsentesten Gefühle.
00:26:42
Die Gruppe ist nun deutlich kleiner als zu dem Zeitpunkt, als sie in den Urlaub aufgebrochen sind.
00:26:47
Ursprünglich waren sie mit 49 WintersportlerInnen angereist.
00:26:51
Nun sind 20 von ihnen tot.
00:26:53
Während einige aus der Gruppe wie gelähmt sind, machen sich andere von ihnen schließlich daran, die Koffer der Toten zu packen.
00:26:59
Als sie am nächsten Morgen den Heimweg antreten, können sie es kaum erwarten, die österreichischen Alpen hinter sich zu lassen.
00:27:05
Die Gruppe will nur noch weg hier.
00:27:09
Weg aus dem Ort, der so vielen von ihnen das Leben gekostet hat.
00:27:12
Die vielen leeren Plätze im Reisebus sprechen Bände.
00:27:16
Wo auf der Hinfahrt noch gut gelaunte Männer und Frauen saßen, befinden sich nun unbesetzte Polstersitze.
00:27:22
Die verlassenen Reihen sind für die Hobby-SkifahrerInnen, zu denen auch Hartmut Sohn Patrick gehört, nicht zu ertragen.
00:27:29
Sie halten den Anblick nicht aus und hängen sie schließlich mit einem weißen Tuch ab.
00:27:35
Diese Zahl spiegelt die traurige Bilanz des Unglücks wieder.
00:27:40
In der brennenden Bahn hatten die PassagierInnen, die am Samstagmorgen auf dem Weg zum Berg gewesen waren, keine Chance gehabt.
00:27:46
Sie waren sowohl dem giftigen Rauch als auch dem Feuer schutzlos ausgeliefert gewesen.
00:27:51
Lediglich im hinteren Abteil war es den Fahrgästen gelungen, sich durch die Scheibe zu befreien, die Hartmut zuvor eingeschlagen hatte.
00:27:59
Ein wortwörtlicher Befreiungsschlag, der in den anderen Wagen und Abteilen niemandem geglückt war, wo die Menschen daraufhin hinter verschlossenen Türen erstickten und verbrannten.
00:28:09
Doch abgesehen von zehn Mitgliedern aus Hartmuts Skiverein und zwei Personen aus Österreich, die die Flucht nach unten gewagt hatten, waren die meisten instinktiv auf den Schienen Richtung Bergstation gerannt.
00:28:20
Ein Ziel, das sie nie erreichen sollten.
00:28:23
Wir erinnern uns ja daran, auch Hartmut hatte ja überlegt, hoch oder runter.
00:28:28
Und die Gefahr beim Runterlaufen war natürlich, dass sie an der Feuerstelle vorbei mussten.
00:28:33
Und deswegen haben halt viele den Weg nach oben gewählt.
00:28:36
Eine Entscheidung, die ihnen das Leben kostete.
00:28:39
Denn Rauch und Flammen, die nach oben zogen, waren schneller gewesen und hatten sie bereits nach wenigen Metern eingeholt.
00:28:45
Wer vorher nicht bereits erstickte, verbrannte schließlich auf dem vermeintlichen Weg ins Freie.
00:28:50
Neben den meisten Insassinnen der Bahn starben auch drei Menschen auf der Bergstation im dunklen Smog.
00:28:55
Es wären vermutlich mehr gewesen, wenn an diesem frühen Morgen schon viel los gewesen wäre in den Geschäften und Restaurants des Alpin-Centers.
00:29:03
Und auch für den Zugbegleiter der entgegenkommenden Gletscherbahn und seinen einzigen Fahrgast endete die Fahrt im Tunnel mit einer tödlichen Rauchvergiftung.
00:29:12
Insgesamt kommen die Toten aus acht Nationen, 37 von ihnen aus Deutschland, darunter die 20 VereinskollegInnen von Hartmut oder Doris' 14-jähriger Sohn Luca.
00:29:23
Andere waren aus Ländern wie Slowenien, Japan oder den USA angereist, um einen Winterurlaub in den österreichischen Alpen zu verbringen.
00:29:30
Ein Urlaub, der den Tod brachte.
00:29:32
Auch außerhalb von Kaprun ist die Fassungslosigkeit groß.
00:29:36
Drei Tage Staatstrauer werden ausgerufen.
00:29:39
Und während Österreich in nationaler Schockstarre verharrt, bringt die Trauer der Angehörigen eine wesentliche Frage hervor.
00:29:46
Wer ist verantwortlich für das Feuer in der Gletscherbahn?
00:29:50
Wer hat Schuld am Tod von 155 Menschen?
00:29:55
Einige Tage nach der Katastrophe beginnen im Skigebiet die Bergungsarbeiten.
00:29:59
Gekleidet in Schutzanzügen und ausgestattet mit Helmen, auf denen Stirnlampen montiert sind, wagen sich die Einsatzkräfte hinein in den dunklen Tunnel.
00:30:07
Schnell zeigt sich, eine Gletscherbahn müssen sie hier, am finsteren Unglücksort, nicht mehr betreten.
00:30:13
Die Kitzstern-Gams ist komplett ausgebrannt.
00:30:17
Lediglich ein Metallgestell, das einem Gerippe gleicht, erinnert noch an das Transportmittel, das vor wenigen Tagen noch zahlreiche TouristInnen zu den Skipisten beförderte.
00:30:25
Um die verkohlten Leichen zu finden, müssen die BergungsarbeiterInnen genau hinsehen.
00:30:30
Viele Körper wurden vom Feuer unkenntlich gemacht.
00:30:33
Optisch heben sie sich kaum von der schwarzen, verbrannten Unglücksstelle ab.
00:30:37
Ein Anblick der selbst erfahrenen Kräften an die Nieren geht.
00:30:40
Doch nicht nur mental sind die BergungsarbeiterInnen gefordert.
00:30:43
Der Abtransport der Toten gestaltet sich als körperliche Schwerstarbeit.
00:30:47
Da die Tunneleinfahrt nur zu Fuß erreichbar ist, wird ein Opfer nach dem anderen, verstaut in einem olivgrünen Sack, die schmalen Treppenstufen hinuntergetragen.
00:30:56
Vier Tage lang fliegen PilotInnen des Bundesheeres die Leichen in Hubschraubern zur Rechtsmedizin, wo sich insgesamt 235 SpezialistInnen der Identifizierung der Toten annehmen.
00:31:06
Sie alle haben das gemeinsame Ziel, jedem der verbrannten Körper einen Namen zu geben.
00:31:12
Und diese ExpertInnen sind Teil einer ganz bestimmten Einheit, nämlich dem sogenannten DVI-Team.
00:31:18
DVI, das ist die Abkürzung für Disaster Victim Identification, also für Katastrophenopferidentifizierung, wenn man es ins Deutsche übersetzt.
00:31:26
Und DVI-Teams gibt es in vielen Ländern und die setzen sich zusammen aus SpezialistInnen von ganz unterschiedlichen Bereichen, also aus Gerichtsmedizin oder Kriminalpolizei oder auch forensische ZahnärztInnen und IT-ExpertInnen.
00:31:39
Und der Name zeigt ja auch schon, was die Aufgabe eines DVI-Teams ist, nämlich Menschen, die infolge von Attentaten, Unglücken oder Naturkatastrophen gestorben sind, zu identifizieren.
00:31:51
Das ist nach solchen Ereignissen nämlich oft gar nicht so einfach, weil Leichen immer wieder unkenntlich sind oder zumindest so schlimm aussehen, dass man Angehörigen eine Identifizierung nicht zumuten will.
00:32:01
So ja auch die Menschen, die in der Gletscherbahn im Tunnel gestorben sind.
00:32:04
Und in solchen Fällen kann es eben total wertvoll sein, wenn verschiedene ExpertInnen zusammenarbeiten, die alle irgendwie ihr jeweiliges Know-how und ihre Methoden haben, die dann dazu führen können, die einzelnen Opfer zu identifizieren.
00:32:18
Ja und apropos wertvoll, eine Identifizierung ist ja vor allem für die Hinterbliebenen halt wichtig und zwar nicht nur aus emotionaler, sondern auch aus rechtlicher oder finanzieller Sicht.
00:32:27
Weil nur wenn der Tod eines Menschen auch rechtmäßig festgestellt wurde, haben die Familienmitglieder einen Anspruch auf Erbschaft, Versicherungsleistung oder halt irgendwelche Schadensersatzzahlungen.
00:32:38
Das klingt jetzt im ersten Moment unwichtig im Vergleich zum Verlust, den man ja hat, aber das ist halt nicht zu unterschätzen, vor allem wenn jemand verstirbt, der jetzt beispielsweise der Alleinverdiener oder die Alleinverdienerin ist in der Familie.
00:32:50
In Österreich ist diese DVI-Einheit übrigens dem Innenministerium unterstellt und die wurde im Jahr 2000 nämlich direkt nach der Katastrophe in Kaprun ins Leben gerufen und besteht heute aus ungefähr 250 Menschen.
00:33:03
Und die werden nicht nur aktiv bei Katastrophen im Inland, sondern es kommt auch schon mal vor, dass sie sich an Untersuchungen im Ausland beteiligen.
00:33:09
Das erste Mal war das zum Beispiel 2004 der Fall, nach diesem Tsunami in Thailand und Sri Lanka.
00:33:14
Damals haben die SpezialistInnen dieser österreichischen DVI-Einheit in Kooperation mit Teams aus anderen Ländern mehr als 2900 Opfer identifiziert.
00:33:24
Das muss man sich mal vorstellen, was das für eine schreckliche Arbeit ist, oder?
00:33:28
Das machst du dann zehn Stunden da oder noch mehr nach diesen riesigen Katastrophen.
00:33:33
Och nee, und dann, ach nee, Kinder und alles was da drunter ist, das ist ja einfach nur schrecklich.
00:33:40
Ja, und ich meine, wenn es Spezialeinheiten braucht, um Menschen zu identifizieren, kann man sich halt ja eben auch vorstellen, wie die aussehen.
00:33:49
Ja, nachdem die Bergungsarbeiten am 16. November 2000, fünf Tage nach der Tragödie, endlich abgeschlossen sind, beginnen die Ermittlungen.
00:33:58
Denn die Frage nach dem Warum beschäftigt nicht nur die Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer.
00:34:03
Auch die Salzburger Staatsanwaltschaft will wissen, wie es zu dem Feuer in der Gletscherbahn kommen konnte, das 155 Menschen das Leben kostete.
00:34:12
Um der Ursache auf den Grund zu gehen, beauftragt die Staatsanwaltschaft den Brandexperten Anton Moore.
00:34:17
Europaweit gehört er zu den Besten seines Fachs.
00:34:20
Er erstellt jährlich mehr als 100 Brandgutachten.
00:34:23
Kein Wunder also, dass die Wahl auf ihn fiel.
00:34:25
Da der Unglückszug komplett ausgebrannt ist, soll die entgegenkommende, baugleiche Bahn, die von den Flammen im Tunnel nur leicht beschädigt wurde,
00:34:33
Moore dabei helfen, zu rekonstruieren, warum die Kitzsteingams Feuer fing.
00:34:38
Nach und nach untersucht er jeden Winkel des Zugs und macht schließlich eine beunruhigende Entdeckung.
00:34:43
Außerordentlich sicher, so hatten Mitglieder des österreichischen Verkehrsministeriums die Gletscherbahn unmittelbar nach dem Unglück bezeichnet.
00:34:51
Doch Anton Moore ist anderer Meinung.
00:34:53
Er hält in seinem Gutachten schriftlich fest, die Gletscherbahn war eine tickende Zeitbombe.
00:34:58
Und daran ist nicht nur die Technik schuld.
00:35:01
Filsack in der Oberpfalz, einige Wochen nach dem Unglück.
00:35:06
Wie macht man nach solch einem Erlebnis weiter?
00:35:08
Es ist eine Frage, auf die Hartmut keine Antwort findet.
00:35:11
Das Feuer in der Kapruner Gletscherbahn, dem man nur knapp entkommen ist, hat den 51-Jährigen traumatisiert.
00:35:18
Die Erinnerungen daran sind unerträglich lebhaft.
00:35:21
Er weiß noch genau, wie sich die Hitze des Feuers anfühlte, wie der giftige Rauch in seinen Atemwegen schmerzte.
00:35:27
Nicht nur tagsüber spielt er das Geschehen immer wieder durch.
00:35:31
Auch nachts holt ihn sein Trauma ein.
00:35:33
Hartmut hat Albträume.
00:35:35
Vor allem eine Szene begegnet ihm im Schlaf immer wieder.
00:35:38
Hartmut träumt, wie er in einem schwarzen Loch sitzt, während seine verstorbenen Freundinnen auf einem großen Schlitten an ihm vorbeisausen.
00:35:46
Warum bist du nicht mit uns gekommen, rufen sie ihm zu.
00:35:49
Dabei waren ja sie es, die fest saßen, im schwarzen Loch.
00:35:52
Und er es, der sie im Nachhinein fragen würde, warum seid ihr nicht mit uns gekommen?
00:35:58
Denn dann wärt ihr noch am Leben.
00:35:59
Hartmut kann ihnen aber nicht antworten.
00:36:02
Denn kurz darauf wacht er jedes Mal auf.
00:36:05
Sein Leben ist ein anderes geworden.
00:36:06
Viele Dinge, die früher selbstverständlich waren, sind für ihn nun unerträglich.
00:36:11
Zugfahren und Flugzeugfliegen zum Beispiel.
00:36:13
Aber auch große Menschenansammlungen.
00:36:16
Das Unglück von Kaprun hat den Hobbyskifahrer unfreiwillig bekannt gemacht.
00:36:20
Immer wieder schreiben Zeitungen und Magazine über Hartmut und sein besonnenes Verhalten in der brennenden Gletscherbahn.
00:36:26
Bezeichnen ihn als Lebensritter und Held von Kaprun.
00:36:30
Doch Hartmut kann solchen Bezeichnungen nichts abgewinnen.
00:36:32
Zu groß ist der Schmerz über die Menschen, die er verloren hat.
00:36:36
Zu traurig macht ihn auch der Anblick seines niedergeschlagenen Sohns Patrick, dessen Freundin Carla im Tunnel gestorben ist.
00:36:43
Patrick und Carla hatten Pläne für ein gemeinsames Leben geschmiedet.
00:36:46
Lange hätte es nicht mehr gedauert, bis die beiden vor den Traualltag getreten wären, das weiß Hartmut.
00:36:52
Doch die Katastrophe in der Gletscherbahn hat diese Pläne zunichte gemacht.
00:36:56
Die Vision von einer gemeinsamen Zukunft ging wortwörtlich in Flammen auf.
00:37:01
Und statt Carla einen Ring anzustecken, musste Patrick seine große Liebe beerdigen.
00:37:06
Hartmut wünschte, er könnte seinem Sohn diesen Schmerz abnehmen.
00:37:10
Doch ihm ist klar, dass er das nicht kann.
00:37:12
Im bayerischen Ort Übersee wünscht sich unterdessen auch Doris endlich aufzuwachen.
00:37:17
Doch ihr Albtraum ist die Wirklichkeit.
00:37:19
Der Tod ihres Sohnes die schmerzliche Realität.
00:37:23
Auf einem Sims in ihrem Wohnzimmer stehen eingerahmte Fotos von Luca.
00:37:26
Auf einem davon rast der 14-Jährige gerade die Piste hinunter.
00:37:30
Auf einem anderen guckt er mit seinen hellen Augen direkt in die Kamera.
00:37:34
Die Lippen hat er zu einem zaghaften Lächeln geformt, das nicht mehr als ein Schmunzeln ist.
00:37:39
Die Sonnenbrille nach oben ins struppige braune Haar geschoben.
00:37:42
Es sind Fotos, an denen Doris oft stehen bleibt und ihren Blick nicht abwenden kann.
00:37:47
Dass sie Luca nie wieder in die Arme schließen wird, zerreißt ihr das Herz.
00:37:50
Doch neben der Traurigkeit gibt es seit der Katastrophe noch ein Gefühl, das sich in ihrer Brust breit macht.
00:37:57
Wut darüber, dass Luca in einer Gletscherbahn saß, die offenbar einfach so in Flammen aufgehen konnte.
00:38:03
Vor allem darüber, wie mit ihr und den anderen Angehörigen seit der Katastrophe umgegangen wird.
00:38:08
Doris fühlt sich im Regen stehen gelassen.
00:38:10
Seit man ihr und den anderen die Nachricht vom Tod ihrer Liebsten überbracht hat, muss sie um jede weitere Information kämpfen.
00:38:16
Dabei hat Doris viele Fragen.
00:38:18
Musste Luca leiden?
00:38:19
Wie lange hat er in dem brennenden Zug ausharren müssen, in Ehe er starb?
00:38:23
Wie verkohlt war seine Leiche, als man sie fand?
00:38:26
Die 39-Jährige versteht nicht, dass sie auf der Suche nach Antworten immer wieder auf Gegenwind stößt.
00:38:31
Sie solle sich nicht unnötig quälen, kriegt sie von den verantwortlichen Stellen immer wieder zu hören.
00:38:36
Sie soll sich nicht mit Details verrückt machen.
00:38:38
Doch Doris will genau das.
00:38:40
Sie will Details.
00:38:41
Sie will alles wissen.
00:38:42
Und zwar so genau wie möglich.
00:38:43
Doch niemand erfüllt ihr diesen Wunsch.
00:38:45
Den verhängnisvollen Brand in der Gletscherbahn hat niemand gewollt.
00:38:49
Darüber sind sich Doris und die anderen Angehörigen einig.
00:38:52
Doch zugleich sind sie sich sicher, dass eine Bahn nicht grundlos Feuer fängt.
00:38:56
Irgendjemand muss dafür verantwortlich sein.
00:38:58
Das sieht auch die Staatsanwaltschaft Salzburg so und macht das Unglück schließlich mit einer Anklageerhebung zum Kriminalfall.
00:39:07
Es ist ein historischer Prozess, der an diesem Dienstag vor dem Landgericht Salzburg beginnt.
00:39:12
Das wird nicht nur durch die zahlreichen MedienvertreterInnen klar, die den Saal mit ihrem Blitzlichtgewitter erhellen.
00:39:19
Etwa 500 Angehörige betreten an diesem Morgen das Salzburger Gericht.
00:39:23
Nachdem sie auf den gepolsterten Holzstühlen Platz genommen haben, erhalten viele von ihnen Fotos in die Kameras der JournalistInnen.
00:39:30
Eingerahmte Bilder ihrer Liebsten, die vor etwa eineinhalb Jahren im Feuer der Kapruner Gletscherbahn ums Leben gekommen sind.
00:39:37
Wer übernimmt Verantwortung für diese 155 Menschenleben?
00:39:42
Steht in roter Schrift auf einem Plakat, das ein alter Mann mit traurigen Augen vor sich hält.
00:39:46
Und tatsächlich könnte ein Blick auf die vollbesetzte Anklagebank schon bald Antworten darauf liefern.
00:39:52
Insgesamt 16 Männer müssen sich ab heute für das Feuer in der Kitz-Steingams verantworten.
00:39:57
Dazu zählen führende Mitarbeiter der Gletscherbahngesellschaft, die laut Anklage für eine sichere Bauweise und Ausstattung der Seilbahn verantwortlich sind.
00:40:06
Aber auch Beamte des Verkehrsministeriums, die den Betrieb der Bahn genehmigt hatten.
00:40:10
Und Mitarbeiter des TÜV, also des Technischen Überwachungsvereins, die die Kitz-Steingams als sicher abgenommen und keine Mängel festgestellt hatten.
00:40:18
Fahrlässiges Herbeiführen einer Feuerbrunst.
00:40:22
Das ist es, was die Staatsanwältin ihnen vorwirft.
00:40:24
Ein Delikt, das eine Strafe von bis zu fünf Jahren vorsieht, wenn mindestens zehn Menschen gestorben sind.
00:40:32
Feuerbrunst finde ich irgendwie so ein richtig süßes Wort und passt für mich überhaupt nicht in diesen Bereich.
00:40:38
Aber das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass es einfach österreichisch ist.
00:40:41
Bei uns gibt es diesen Straftatbestand so nicht.
00:40:44
Und ganz kurz, die Deutschen sind ja immer die Überheblichen, die die ÖsterreicherInnen immer so süß finden.
00:40:51
Das hatten wir doch schon mal.
00:40:53
Deswegen sind wir die Piefkes.
00:40:55
Mann, da habe ich mich jetzt ja richtig verraten.
00:40:58
Naja, also nur ganz kurz, dieser Begriff Feuerbrunst, der dient im österreichischen Strafrecht dazu, eine ganz bestimmte Art von Feuer zu definieren.
00:41:05
Nämlich ein sogenanntes ausgedehntes Schadensfeuer.
00:41:08
Das ist eine Art sehr unkontrolliertes Feuer einfach, das man nicht so richtig in den Griff kriegt, um das jetzt mal ganz heruntergebrochen zu erklären.
00:41:16
Und den Angeklagten im Kaprun-Prozess, denen wird jetzt also vorgeworfen, eine Feuerbrunst fahrlässig hervorgerufen zu haben.
00:41:24
Auch Doris ist zum Prozessauftakt gekommen.
00:41:26
Nach der Katastrophe im Skigebiet ist die mittlerweile 41-Jährige so etwas wie die Stimme der Hinterbliebenen geworden.
00:41:32
Immer wieder hat sie der Presse in den vergangenen Monaten Rede und Antwort gestanden.
00:41:36
Stärke und Rhetorik in den Momenten bewiesen, in denen anderen Angehörigen Kraft und Worte fehlten.
00:41:42
An diesem Dienstag schaut sie nun adrett gekleidet im taillierten, beigen Blazer, aus der hintersten Reihe gebannt nach vorne.
00:41:49
Doris Blick fällt auf die 32 Anwälte, die die 16 Angeklagten vertreten.
00:41:55
Auf die einzelne Staatsanwältin, die dieser männlichen juristischen Front gegenüber sitzt.
00:42:00
Und auf einen Richter, der am Ende des Prozesses allein sein Urteil fällen und damit entscheiden wird,
00:42:05
ob Luca und den anderen Opfern ein Stück Gerechtigkeit zuteil wird.
00:42:09
Doris ist angespannt und zugleich voller Hoffnung.
00:42:12
Warum fing die Kitzstein-Gams, der ganze Stolz der österreichischen Skiregion, am Morgen des 11. November 2000 im Tunnel Feuer?
00:42:20
Das ist eine der Fragen, die in den kommenden Verhandlungstagen im Fokus steht.
00:42:25
Und zumindest über den Ursprung der Flammen herrscht bereits jetzt, zu Prozessbeginn, Klarheit.
00:42:29
Es war ein in Brand geratener Heizlüfter.
00:42:33
Die grauen, kompakten Geräte des deutschen Herstellers Fakir waren im Zuge von Modernisierungsarbeiten 1993 in die Kaproner Gletscherbahn eingebaut worden.
00:42:42
In den sogenannten Führerständen, den Räumen für die ZugbegleiterInnen, sollten sie ab sofort für wohlige Wärme sorgen und der kalten Luft von draußen trotzen.
00:42:51
Die BrandermittlerInnen hatten das Gerät schnell als Quelle für den Ausbruch des Feuers identifizieren können.
00:42:56
Eine Einschätzung, der im Gericht niemand widerspricht.
00:42:59
Doch warum der Lüfter am Morgen des 11. November 2000 Feuer fing, darüber haben Anklage und Verteidigung zwei völlig unterschiedliche Ansichten.
00:43:09
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, der Haushaltslüfter, der laut Herstellerbeschreibung nur für Badezimmer und Wohnräume vorgesehen ist, hätte niemals in einem Transportmittel wie der Gletscherbahn eingebaut werden dürfen.
00:43:20
Und schon gar nicht an einer Stelle, an der die Hydraulikleitungen des Bremssystems verlaufen.
00:43:26
Das sieht auch Brandermittler und Hauptgutachter Anton Moore so.
00:43:30
Während seiner Aussage berichtet der Sachverständige dem Gericht von einer roten, schmierigen Flüssigkeit, die er bei seinen Untersuchungen im Inneren des Heizlüfters der entgegenkommenden Bahn gefunden habe.
00:43:40
Wir erinnern uns, der Originalheizlüfter ist ja komplett ausgebrannt.
00:43:44
Moore sei sich sicher, dass es sich dabei um Hydraulikböe gehandelt habe, das offenbar aus den undichten und mangelhaft gewarteten Leitungen in das Gerät gelangt sei.
00:43:53
Die Hitze des Lüfters und das hineintropfende Öl sei eine fatale Kombination gewesen, die die Kitzstein-Gams zu einer tickenden Zeitbombe gemacht hätten.
00:44:02
Eine Einschätzung, die die Männer auf der Anklagebank in kein gutes Licht rückt und die die Verteidigung nun versucht abzuwehren.
00:44:09
Und das mit allen Mitteln.
00:44:11
In den kommenden Verhandlungstagen knüpfen sich die Anwälte Anton Moore wiederholt vor.
00:44:16
Wieder und wieder gehen sie ihn scharf an und hinterfragen nicht nur seine Vorgehensweise, sondern sein gesamtes Know-how.
00:44:23
Von außen betrachtet könnte man meinen, Moore sei derjenige, der auf der Anklagebank sitzt.
00:44:27
Das Ganze geht so weit, dass Moore schließlich aus dem Prozess ausscheidet.
00:44:32
Mittelgradiges bis schweres depressives Syndrom lautet die Diagnose, die ein Psychiater ihm stellt.
00:44:38
Moore ist jetzt als Gutachter verhandlungsunfähig.
00:44:42
Der Prozess hat ihn krank gemacht.
00:44:45
Und das wundert mich manchmal wirklich, wie mit ZeugInnen vor Gericht umgegangen wird.
00:44:50
Dass man da wirklich das Gefühl hat, also gerade natürlich von der Verteidigung oder je nachdem für welche Seite die Aussagen, dann eventuell auch von der Staatsanwaltschaft, werden die halt so richtig in die Mangel genommen.
00:45:01
Ja, um irgendwie vor Gericht darzustellen, dass deren Aussage nicht Hand und Fuß haben.
00:45:07
Bei dem Prozess gegen den Arzt von unserem anderen Podcast Justitias Wille.
00:45:11
Da war das so, da hat einmal eine Polizistin ausgesagt, die bei dem Einsatz mit dabei war.
00:45:16
Ich weiß jetzt nicht mal, ob nach dem gescheiterten Suizidversuch oder als es dann nachher geklappt hatte.
00:45:21
Auf jeden Fall hatte sie wohl irgendeinen Vermerk in die Akten eingetragen, bei dem der Strafverteidiger davon ausgegangen ist, dass sie selbst eine persönliche Haltung zum Thema Suizidbeihilfe hat.
00:45:30
Und wollte sozusagen vor Gericht klar machen, dass da schon bei der Aufnahme des Falls irgendwie eine persönliche Meinung mit eingeflossen ist oder so.
00:45:39
Und sie sagte dann auch, dass sie zum Zeitpunkt des Einsatzes gar nicht wusste, unter welchen Bedingungen Suizidbeihilfe in Deutschland erlaubt ist und ob das überhaupt erlaubt ist und so.
00:45:48
Und erwähnte dann, dass sie nach dem Einsatz sich darüber informiert hat und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelesen hatte, vom Februar 2020.
00:45:55
Und als der Strafverteidiger dann dran war mit der Befragung, sagte er so, und Sie haben das Urteil gelesen, ja?
00:46:03
Und er so, und haben Sie da auch alles verstanden, was Sie da gelesen haben?
00:46:08
Und sie so, na, mit Sicherheit nicht.
00:46:11
Die war auch so eine richtige Berliner Schnauze.
00:46:13
Und dann sagte er, das denke ich mir.
00:46:18
Und dann sagte sie, ich bin ja auch nur eine einfache Polizistin.
00:46:22
Also das ging da richtig bitschig zu teilweise.
00:46:25
Also auf der einen Seite finde ich es sehr gut, dass offenbar die Parteien da immer so, also so eine Leidenschaft beim Job haben.
00:46:34
Das für mich dafür spricht oder hoffentlich ein Zeichen dafür ist, dass sie sich wirklich für ihren Mandanten oder ihre Mandantin einsetzen wollen.
00:46:44
Aber es geht ja trotzdem immer darum, wie man auch eine Zeugin oder einen Zeugen behandelt, der damit jetzt gar nichts zu tun hat und auch nichts Böses im Hinterkopf hatte oder sowas.
00:46:54
Wie jetzt auch hier der Moor, der einfach nur seine Arbeit macht und dann halt am Ende verhandlungsunfähig ist, weil es ihm so schlecht geht, weil man ihn so scheiße behandelt hat.
00:47:06
Also da denkt man sich ja auch nur, wie unnötig.
00:47:09
Na, die Verteidigung in diesem Fall wollte damit ja offenbar was ganz Bestimmtes bewirken.
00:47:15
Vielleicht nicht, dass er unbedingt verhandlungsunfähig ist, aber ja zumindest mal, dass seine Expertise hier infrage gestellt wird.
00:47:21
Und tatsächlich bewirkt das Ausscheiden von Moor jetzt auch eine Wende im Fall, die der Verteidigung in die Karten spielt.
00:47:29
Denn Ersatz für den Sachverständigen ist schnell gefunden.
00:47:32
Bereits zu Beginn der Brandermittlungen hatte Moor gemeinsam mit weiteren Experten im Team gearbeitet.
00:47:38
Eben einer dieser Experten rückt nun an seine Stelle und übernimmt Moors Rolle als Hauptgutachter.
00:47:44
Und in veränderter Zusammensetzung gibt das Gutachterteam ein fachmännisches Urteil ab, das der Verteidigung deutlich besser passt.
00:47:51
Und von undichten Leitungen und tropfendem Öl ist darin nun keine Rede mehr.
00:47:56
Der Heizlüfter in der Unglücksbahn habe schlichtweg einen Konstruktionsfehler gehabt.
00:48:00
An den heißen Drähten des Geräts, dem sogenannten Heizstern, sei eine der beiden Befestigungsschrauben abgerissen,
00:48:06
was dazu geführt habe, dass der Heizstern samt Ventilator gekippt sei.
00:48:10
Daraufhin hätten die bis zu 600 Grad heißen Drähte die Plastikwand des Geräts berührt und den Lüfter schließlich in Brand gesetzt.
00:48:18
Mehrere Brandversuche hätten das deutlich gemacht.
00:48:21
Dass diese jedoch an einem anderen Modell vorgenommen wurden und darüber hinaus auch noch im Garten eines Gutachters statt unter Laborbedingungen,
00:48:28
daran stört sich der Richter offenbar nicht.
00:48:31
Eine Erklärung, die die 16 Angeklagten in ein unschuldigeres Licht rückt
00:48:36
und die Verantwortung angesichts des angeblichen Konstruktionsfehlers somit indirekt der Herstellerfirma des Lüfters zuschiebt.
00:48:44
Die Verteidigung schöpft aus dieser Erklärung volles Selbstvertrauen.
00:48:47
Nahezu jeden Einwand der Staatsanwältin wehren die 32 Anwälte ab und entgegnen Kritik mit simplen Erklärungen.
00:48:54
Als die Anklage beispielsweise argumentiert, dass die Firma Fakir ausdrücklich darauf hinweise,
00:49:00
dass das betroffene Heizlüfter-Modell nicht für Fahrzeuge geeignet sei,
00:49:03
kontern die Juristen, eine Gletscherbahn, die ohne Motoren und Treibstoff auskomme, sei überhaupt kein richtiges Fahrzeug.
00:49:12
Außerdem wären der Kapruner Gletscherbahngesellschaft die Geräte damals ohne Bedienungsanleitung geliefert worden.
00:49:17
Und auch für die rote Flüssigkeit in dem untersuchten Gerät, die die Staatsanwaltschaft für Hydrauliköl hält,
00:49:23
haben sie eine alternative Erklärung.
00:49:26
Es sei Kondenswasser gewesen, das auf Beweisfotos nur rot sei, weil sich die rote Jacke eines Polizisten darin spiegele.
00:49:34
Eine Aussage, die bei den Angehörigen in den hintersten Reihen für bitteres Gelächter sorgt.
00:49:39
Und die auch Doris erschüttert.
00:49:41
Was zur Hölle geht hier eigentlich vor?
00:49:44
Lange hatte sie dem Prozess hoffnungsvoll entgegengefiebert,
00:49:47
doch je mehr Verhandlungstage vergehen, desto stärker wird das ungute Gefühl, das sie beschleicht.
00:49:53
Womöglich wird ihr der Prozess nicht die Gerechtigkeit schaffen, die sie sich erhofft hat.
00:49:59
20. Februar 2004.
00:50:01
Es herrscht eine angespannte Stimmung im Salzburger Kolpinghaus.
00:50:04
Nach über eineinhalb Jahren und 63 langen Verhandlungstagen ist heute der Tag gekommen, an dem das Urteil verkündet wird.
00:50:12
Doch als der Richter dafür zum Mikrofon greift, nutzt er die ersten Minuten erst einmal, um einige Verhaltensregeln aufzustellen.
00:50:19
Im bisherigen Prozessverlauf habe er sich, Zitat, außerordentlich großzügig gezeigt.
00:50:24
Das werde er heute nicht tun.
00:50:26
Wer mit Zwischenrufen das Urteil kommentiere, werde umgehend aus dem Saal entfernt.
00:50:30
Es ist ein Moment, in dem Doris klar wird, das, was jetzt folgt, wird niederschmetternd für sie.
00:50:36
Und sie soll Recht behalten.
00:50:38
Alle 16 Angeklagten werden vom Vorwurf der Staatsanwaltschaft freigesprochen.
00:50:42
In seiner fünfstündigen Urteilsbegründung spricht der Richter von einem Prozess, den sowohl menschlich als auch fachlich gefordert habe.
00:50:50
Die Schuld der Angeklagten an dem Ausbruch des Feuers in der Gletscherbahn hätte die Verhandlung jedoch nicht bewiesen.
00:50:56
Im Gegenteil, das Verfahren habe zu ihrer vollständigen Entlastung geführt.
00:51:01
Der Jurist ist sich sicher, dass das Unglück in Kaprun auf eine Verkettung unglücklicher Umstände zurückzuführen sei.
00:51:09
Das Risiko eines Brandes in einer Gletscherbahn sei keinem der Angeklagten bewusst gewesen und habe auch keinem von ihnen bewusst sein müssen.
00:51:16
Schließlich sei so etwas zuvor noch nie passiert.
00:51:19
Die Angeklagten hätten sich an alle Vorschriften gehalten.
00:51:22
Das Fehlen von Hilfsmitteln wie Feuerlöscher oder Notfallhammer sieht der Richter nicht als strafrechtlich relevant.
00:51:28
Schließlich gäbe es für Seilbahnen wie die Kittstein-Gams keine gesetzlich verankerten Brandschutzvorschriften.
00:51:35
Zudem ist der Richter überzeugt, die Brandursache des Heizlüfters war ein Produktionsfehler.
00:51:40
Eine Ansicht, mit der er sich dem neuen Gutachten anschließt.
00:51:43
Da das Gerät alle einschlägigen Prüfsiegel gehabt habe, hätten die Verantwortlichen auf eine sichere Funktionsweise vertrauen müssen.
00:51:50
Insofern könne keiner der Angeklagten zur Verantwortung gezogen werden.
00:51:54
Stattdessen wählt der Richter eine andere Erklärung für den Tod der 155 Menschen.
00:51:59
Nämlich göttliche Fügung.
00:52:03
In seinen letzten Worten sagt er in Bezug auf die Katastrophe, Zitat, da hat der liebe Gott für einige Minuten im Tunnel das Licht ausgemacht.
00:52:11
Also das ist doch wirklich ein Witz, oder?
00:52:14
Ich kann das nicht glauben.
00:52:15
Also das ist ja wirklich wie ein Witz.
00:52:20
Der Scherz darüber.
00:52:23
Also wie kann man so eine fünfstündige Urteilsbegründung halten und dann das sagen am Ende?
00:52:29
Also hat er sich mal da reinversetzt, wie das vielleicht für die Angehörigen der Toten rüberkommen kann?
00:52:36
Also ich meine, da hat jemand das Licht ausgemacht.
00:52:39
Das sag ich, wenn ich mal wieder einen Zustand der geistigen Umnachtung habe oder so.
00:52:43
Ja, aber doch nicht irgendwie, wenn da 155 Menschen in einem Tunnel verbrennen und ersticken.
00:52:50
Die Reaktionen auf das Urteil könnten kaum unterschiedlicher sein.
00:52:54
Während einige der Freigesprochenen ihren Anwälten High Five geben, geht ein Sprecher der Gletscherbahngesellschaft sogar noch einen Schritt weiter.
00:53:01
Eifrig verteilt er nach Prozessende Flugblätter, auf denen steht, die Gerechtigkeit hat gesiegt.
00:53:07
Doch wie Gerechtigkeit nach solch einem Unglück aussehen könnte, davon haben die Angehörigen der Opfer eine ganz andere Vorstellung.
00:53:14
Sie sind am Boden zerstört.
00:53:16
Nicht nur die juristische Niederlage macht sie traurig, sondern auch der Umgang mit ihnen.
00:53:20
Während einige weinend das Gebäude verlassen und geduckt an der Presse vorbeihuschen, macht Doris ihrer Wut Luft.
00:53:27
Das Urteil sei für sie und die anderen Angehörigen mehr als enttäuschend, macht sie unter Blitzlichtgewitter klar.
00:53:33
Es sei in keinster Weise auch nur im Ansatz nachvollziehbar.
00:53:37
Wenn 155 Menschen sterben, dann muss jemand schuld sein.
00:53:41
Ähnlich denkt auch die Staatsanwaltschaft und legt Berufung ein.
00:53:45
Doch auch das Oberlandesgericht Linz hält 2005 am Freispruch der Angeklagten fest.
00:53:50
Das Kapitel Kaprun ist damit juristisch abgeschlossen.
00:53:54
Zumindest in Österreich.
00:53:56
Die Gletscherbahngesellschaft scheint aus dem Urteil Selbstvertrauen zu schöpfen und zeigt jetzt mit dem strafrechtlichen Finger Richtung Deutschland.
00:54:04
2007 stellt die Gesellschaft Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung.
00:54:08
Und zwar gegen Fakir, den Hersteller des Heizlüfters.
00:54:11
Ein Schritt, mit dem sich der Fall Kaprun nach Deutschland verlagert.
00:54:15
Da die Firma ihren Sitz im Süden der Bundesrepublik hat, gibt Österreich den Fall ans Nachbarland ab.
00:54:20
Ab sofort sind das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft Heilbronn zuständig.
00:54:26
Und die halten die Anschuldigung an Fakir nicht nur für nicht haltbar, sondern kommen 2008 zu Untersuchungsergebnissen, die die österreichische Justiz in kein gutes Licht rücken.
00:54:36
Im Gegensatz zu ihren KollegInnen können die deutschen ErmittlerInnen nämlich keinen Konstruktionsfehler am Heizlüfter feststellen.
00:54:42
Die Verantwortlichen der Gletscherbahn hätten die Heizlüfter vielmehr auseinandergebaut und bei der Anbringung rund um ein Loch im Bedienpult des Führerstandes in veränderter Form wieder zusammengesetzt.
00:54:54
Damit seien jegliche Siegel, die als Sicherheitsgarant gelten, erloschen.
00:54:58
Wortwörtlich heißt es im LKA-Bericht, Zitat,
00:55:01
dass durch einen solchen Umbau das Prüfzeichen erlischt, müsste jedem Handwerker im Elektrohandwerk bekannt sein.
00:55:08
Außerdem, Zitat,
00:55:10
Das Gutachten, das im Salzburger Prozess letztendlich für den Freispruch entscheidend war, halten die deutschen BeamtInnen daher für mehr als fragwürdig.
00:55:23
Womöglich hätten die Gutachter geschlampt.
00:55:25
Vielleicht waren die Sachverständigen sogar manipuliert worden.
00:55:28
Naja, führen sie den Vorwurf aber öffentlich nicht aus.
00:55:32
Österreich selbst antwortet mit Schweigen.
00:55:35
Kaum eine Zeitung berichtet dort über die Wendung im Fall Kaprun, die die Vermutung eines Justizskandals aufkommen lässt.
00:55:42
Das Entsetzen der süddeutschen Behörden wird abgetan.
00:55:45
Ein Mitglied des österreichischen Justizministeriums spricht in einem Interview von
00:55:49
Deutscher Wichtigtuerei.
00:55:51
Das kenne man schon.
00:55:52
Und auch eine Strafanzeige aus Deutschland gegen mehrere Gutachter des Kaprun-Prozesses verläuft schließlich im Sande.
00:55:58
Denn bereits nach kurzer Zeit werden die Ermittlungen in Österreich eingestellt.
00:56:03
Einige Jahre später.
00:56:05
Weißer Schnee, frische Bergluft, gut gelaunte WintersportlerInnen.
00:56:09
Am Kitzsteinhorn ist der touristische Alltag zurückgekehrt.
00:56:13
Bereits in der darauf folgenden Saison, ein Jahr nach dem Unglück, hat das österreichische Skigebiet in der Gemeinde Kaprun den Betrieb wieder aufgenommen.
00:56:21
Wenn auch ohne die Kitzsteingams.
00:56:24
Die Gletscherbahn wurde unmittelbar nach dem Feuerausbruch außer Betrieb genommen.
00:56:29
Eine moderne Hightech-Seilbahn führt SkitouristInnen nun hoch hinauf und verbindet das Ortszentrum Kapruns mit den Naturschneepisten auf dem Gletscher.
00:56:37
An den Unglückszug erinnert heute nur noch die verschlossene Tunneleinfahrt.
00:56:42
Auch Hartmut ist mittlerweile zurück zur Normalität gekehrt.
00:56:45
Zumindest versucht er es.
00:56:47
Hartmut kann bis heute nicht verstehen, dass niemand für das Feuer in der Bahn zur Verantwortung gezogen wurde.
00:56:52
Ein so großes Unglück ohne jegliche menschliche Schuld?
00:56:56
Nein, das kann nicht sein.
00:56:58
Das leuchtet ihm einfach nicht ein.
00:57:00
Doch Hartmut hat keine Kraft mehr zu kämpfen.
00:57:03
Immer wieder mit dem Horror konfrontiert zu werden, das packt er einfach nicht.
00:57:07
Das Erlebte wird ihn ohnehin auf ewig begleiten, das weiß er.
00:57:11
Genau wie die Erinnerung an seine FreundInnen, die er am 11. November 2000 verloren hat.
00:57:16
Dafür sorgt unter anderem die Collage, die eingerahmt an einer hölzernen Wand im Vereinsheim seines Skiclubs hängt.
00:57:22
Sie zeigt die Porträts der Vereinsmitglieder, die es nicht geschafft haben.
00:57:26
Menschen, die nie zurück nach Vilsack kehren werden.
00:57:31
Auch im bayerischen Übersee sind Erinnerungen alles, was Doris geblieben ist.
00:57:34
Nach wie vor blickt sie regelmäßig auf die Bilder von Sohn Luca, die mittlerweile nicht mehr nur in ihrem Wohnzimmer, sondern auch in Kaprun stehen.
00:57:41
Im Herbst 2004 wurde in der österreichischen Gemeinde eine Gedenkstätte eröffnet.
00:57:46
Ein Betonbau, in dem 155 bunte Glaslamellen an die Toten erinnern und jedes Opfer eine eigene kleine Nische hat.
00:57:54
Vor allem zu den Jahrestagen der Katastrophe kommt Doris hierher, um ihrem Sohn zu gedenken.
00:58:00
Es sind die Ausnahmen, an denen sie noch einmal mit Wintersport in Berührung kommt.
00:58:03
Denn nach dem Tod von Luca haben sie und ihr Mann den gemeinsamen Ski-Service verkauft.
00:58:08
Mit Schnee, Pisten und Ski wollen sie nichts mehr zu tun haben.
00:58:11
Stattdessen widmet sich Doris nun einem anderen Thema.
00:58:15
Der Kaprun-Prozess und sein schmerzlicher Ausgang haben in ihr das Interesse an der Rechtsprechung geweckt.
00:58:20
Am Jugendgericht Traunstein und im Verwaltungsgericht München übt sie mittlerweile ein Ehrenamt als Chefin aus.
00:58:26
Eine Aufgabe, die sie erfüllt.
00:58:28
Denn anders als in der Verhandlung in Salzburg sitzt Doris dabei nicht hilflos auf den ZuschauerInnenplätzen, sondern auf der Richterbank.
00:58:36
Doris muss nun nicht einfach nur hinnehmen.
00:58:38
Als Chefin hat sie ein Mitspracherecht.
00:58:40
Sie kann bei Urteilsfindung mitwirken, einen fairen Prozess mitgestalten.
00:58:44
Und dabei ist Doris fest davon überzeugt, sie wird anderen Menschen das ermöglichen, was ihr und den anderen Hinterbliebenen des Gletscherbahnunglücks verwehrt geblieben ist.
00:58:54
Das ist halt so frustrierend an solchen Unglücken, die aber halt doch irgendwie einen Crime-Bezug haben, weil Menschen fahrlässig gehandelt haben zum Beispiel.
00:59:04
Wir hatten das ja hier auch einmal im Fall der Love Parade.
00:59:07
Das ist ja irgendwie ähnlich.
00:59:08
Menschen haben offenbar ihre Arbeit nicht richtig gemacht.
00:59:10
Und zwar dann nicht nur ein Mensch, sondern die Schuld oder die gefühlte Schuld oder die Verantwortung zumindest verteilt sich auf so viele Schultern,
00:59:19
dass du am Ende halt nicht sagen kannst, ja, hier gibt es eine schuldige Person und die ist sozusagen dann eine Art Täter oder Täterin.
00:59:26
Sondern es ist ja auch in der Kombination eine Art kollektives Versagen, was das für die Angehörigen natürlich auch so schwer macht, weil es so schwer begreifbar ist.
00:59:35
Was hat jetzt am Ende denn wirklich eigentlich dazu geführt?
00:59:38
Ja, einmal das und dass man natürlich nicht wie in manchen anderen Fällen irgendwie so einen Sündenbock hat,
00:59:44
der ja dann auch irgendwie dabei hilft, dass man seine Wut oder seine Trauer so ein bisschen auf irgendwas zumindest fokussieren kann oder sowas.
00:59:52
Aber bei so einem Unglück kann man ja auch fast sicher sagen, dass der Mensch oder die Person, die dann irgendwie gesagt haben,
01:00:01
ach, wir brauchen diesen Heizlüfter, sonst ist dem armen Gletscherbahnfahrer oder der Fahrerin irgendwie kalt.
01:00:08
Die bauen wir jetzt hier ein.
01:00:09
Dass die Person das ja niemals gewollt hätte, dass das passiert und noch nicht mal irgendwie im Ansatz sich hätte vorstellen können.
01:00:16
Nur ganz kurz, wir wissen ja auch gar nicht, ob das eine Person war, die das entschieden hat oder ist das da gang und gäbe, dass solche Fahrzeuge in Anführungsstrichen halt auch irgendwie beheizt sind, ja?
01:00:26
Also es ist halt gar nicht festzumachen.
01:00:28
Ich finde es halt nur schade, dass man also gefühlt diese Punkte aus Deutschland so ein bisschen unter den Teppich gekehrt hat oder sich das nicht so richtig angesehen hat.
01:00:41
Weil was sollte jetzt von deutscher Seite jetzt die Wichtigtuerei sein?
01:00:46
Was haben deutsche BeamtInnen damit zu tun, ob der Heizlüfter jetzt falsch eingebaut war oder einen Produktionsfehler hatte, ja?
01:00:54
Also das finde ich dann auch irgendwie so ein bisschen so von oben herab.
01:00:57
Ja, aber das wissen wir ja, dass das bei manchen Strafrechtssachen zwischen Ländern wird halt gerne mal mit dem Finger irgendwie woanders hingezeigt.
01:01:05
Naja, nächste Woche bleiben wir wieder in Deutschland und widmen uns einem speziellen Thema des deutschen Strafrechts.
01:01:11
Es wird also mal wieder ein bisschen juristischer bei Mordlust.
01:01:20
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
01:01:23
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
01:01:27
Redaktion Jennifer Fahrenholz und wir.
01:01:30
Schnitt Pauline Korb.
01:01:32
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.