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#149 Das ritual

Hi und herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Krasa.
Und ich bin Laura Wohlers.
Heute haben wir euch einen Kriminalfall mitgebracht, den wir zusammen erzählen und der uns beide
sehr schockiert hat.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas ungehemmter kommentieren.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
In dem Fall, über den wir heute sprechen, geht es um einen großen Traum, der mit Ehrgeiz
und Fleiß in Erfüllung gehen soll und um eine verhängnisvolle Nacht, in der dieser Traum
auf grausame und unmenschliche Art und Weise platzt.
Einige Namen haben wir geändert und die passende Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Antwerpen, Belgien.
Als sich in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 2018 die Türen der Notaufnahme öffnen, weht
eisige Winterluft von draußen ins Innere der Uniklinik.
Gleichzeitig wird eine Krankentrage hineingeschoben, auf der ein junger Mann liegt.
Seine Haut ist bleich und seine Lippen sind blau.
Der 20-Jährige ist bewusstlos und genauso kalt wie die frostige Luft vor der Tür.
Allen MedizinerInnen in der Notaufnahme ist klar, sie müssen schnell handeln, um sein Leben
zu retten.
Nur werfen die Untersuchungen, die die ÄrztInnen machen, genauso viele Fragen auf wie Antworten.
Vor allem den Salzgehalt im Blut des großen, schlanken Patienten kann sich niemand erklären.
Er überwiegt bei Weitem die normalen Werte.
Es ist, als hätte man dem jungen Mann etwa 140 Gramm pures Salz zugeführt oder als hätte
er um die 4 Liter Meerwasser getrunken.
Nur ist dort, wo man ihn gefunden hat, kein Meer.
Wo kommt also das ganze Salz her?
Eine Frage, die die MedizinerInnen zurückstellen müssen, denn zunächst gilt es, das Salz aus
seinem Körper herauszubekommen und das Leben des Patienten zu retten.
Erst wenn die Frage über Leben und Tod entschieden ist, wird wieder relevant, warum der junge Mann
im Dezember 2018 in der Notaufnahme gelandet ist.
Und die Antwort darauf wird nicht nur das Leben seiner Familie für immer verändern, sondern
ein ganzes Land schockieren.
Zwei eineinhalb Jahre zuvor.
Sander und sein Vater Ousman warten auf eine Nachricht.
Einen Brief oder eine E-Mail, ganz egal, die Rückmeldung muss nur positiv sein, denn sie
wird über Sanders Zukunft entscheiden.
Der 18-Jährige hat sich bei der katholischen Universität in der belgischen Stadt Löwen beworben.
Dort möchte Sander unbedingt Bauingenieurwesen studieren, denn die Uni gehört weltweit zu den
renommiertesten Hochschulen und ein Studium dort würde ihm eine schillernde Zukunft versprechen.
Eine Zukunft, wie sie sich auch sein Vater für seinen Sohn wünscht.
Ousman ist 1994 aus Maritanien in Westafrika als Asylsuchender nach Belgien gekommen.
In Antwerpen, im Norden von Belgien, hat er begonnen, als Hafenarbeiter zu arbeiten und
Sanders Mutter kennengelernt.
In kurzem Abstand voneinander haben die beiden zwei Jungs bekommen.
Erst Seidu, dann Sander.
Die Brüder wachsen behütet und bodenständig auf und sind vor allem eins.
Ein Herz und eine Seele.
Sander vertraut sich seinem großen Bruder an, wenn er einen Rat braucht und andersherum ist
auch Sander immer für Seidu da.
Denn Sander ist loyal und clever.
Er hat auch in der Schule einen großen Kreis an Freundinnen.
Und er ist sehr ehrgeizig.
Schon in seiner Jugend steckt sich der große, dünne Junge mit dem breiten Lächeln und den
braunen Augen das Ziel, dass er seinen Vater einmal stolz machen und einen hochbezahlten
Job an Land ziehen will.
Die guten Noten, die er stets nach Hause bringt, sind der erste Schritt in diese Richtung.
Und sein Fleiß zahlt sich aus, denn im Frühjahr 2016 hält Sander tatsächlich den Brief in den
Händen, auf den er so lange gewartet hat.
Die Immatrikulationsbescheinigung zum Studium im Fach Bauingenieurwesen an der KU Löwen.
Er hat es geschafft.
Je öfter Sander die Zeilen liest, desto breiter wird das Grinsen auf seinem freundlichen
Gesicht.
Und als er seiner Familie die glücklichen Neuigkeiten überbringt, da kann niemand mehr an sich halten.
Sander wird studieren.
Und alle sind mächtig stolz.
Im Herbst 2016, ein halbes Jahr nach der Zusage, beginnt Sanders Studium in Löwen.
Die 100.000 Einwohner Innenstadt liegt im Zentrum des Landes, nahe Brüssel.
Sanders Heimat ist 50 Kilometer entfernt, deshalb hat er sich ein Wohnheimzimmer in der Löwener
Innenstadt gesucht.
Hier, inmitten von Bars, Restaurants und hübschen Backsteinhäuschen, fühlt sich Sander wohl.
Denn auch jetzt an der Uni fällt es dem sympathischen Studenten leicht, Freundinnen zu finden, mit
denen er zusammen Sport machen oder in den umliegenden Clubs feiern gehen kann.
Und trotzdem verliert Sander den Lernstoff nicht aus den Augen.
Wie schon in der Schule, er bringt auch er an der KU Löwen eine Glanzleistung nach der anderen.
Nur eine Sache möchte er noch erreichen, um seinem Traumjob ein Stückchen näher zu kommen.
Er möchte Mitglied in einer Studentenverbindung werden, um schon während des Studiums wertvolle
Kontakte für sein späteres Berufsleben zu knüpfen.
So, eine Frage an dich, Laura.
Was ist das Erste, was dir einfällt, wenn du das Wort Studierendenverbindung hörst?
Junge Männer mit weißen Hemden, sturzbesoffen, mit so Narben auf der Wange, weil sie beim Fechten da einen Cut bekommen haben.
Ja, also wenn ich mir Studierendenverbindungen gerade in Bezug auf Männer vorstelle, denke ich glaube ich an deinen Freundeskreis.
Nee, Mann, nee, nee.
Doch, doch, doch, doch, doch.
Kurze Sache dazu.
Das ist voll die Beleidigung.
Nein, es ist nicht, aber die sehen schon alle ähnlich aus.
Die haben alle dieselben Hemden und die gleichen Slipper oder wie das da heißt dann, ja.
Und wir waren gerade, Laura und ich waren gerade im Urlaub in Portugal.
Und wir gehen zum Surfen.
Ach so, wir waren übrigens surfen wieder.
Und diesmal sind alle Körperteile heil geblieben.
Auf jeden Fall waren wir gerade auf dem Weg dahin.
Und da gehen Leute an uns vorbei.
Und ich denke in dem Moment, die sehen aus, als ob Laura die kennen würde.
Und einfach am Arsch der Welt in Portugal.
Laura.
So, und die sahen auch so ein bisschen aus wie Leute aus der Studentenverbindung.
Das ist wirklich so akkurat, weil dieser Mann ist für mich auch der Inbegriff von Studentenverbindung.
Aber nicht böse gemeint, weil ich mag ihn mega gerne.
Aber vom Aussehen.
Ja, lieb gemeint.
Vom Aussehen.
Nee, ich weiß, aber so diesen Stil haben halt viele, glaube ich, auch vor allem in London so.
Ja.
Ja, und so BWLer, ne?
Naja.
Ja, genau.
Genau.
Aber wir wissen ja beide, dass das steckt ein bisschen mehr hinter als dieses Outfit und Betrunkensein
und Fechten in manchen Fällen.
Für Leute, die jetzt noch nie von solchen Verbindungen gehört haben, das sind in erster
Linie Verbände von Studierenden.
Die es halt nicht nur in Belgien, sondern zum Beispiel auch in Deutschland oder in den USA
gibt.
Und in Deutschland existieren aktuell um die tausend Verbindungen, die in verschiedenen
Dachverbänden organisiert sind.
Und es gibt ganz verschiedene Arten von Verbindungen.
Zum Beispiel Landsmannschaften, Burschenschaften oder auch TurnerInnen oder SängerInnen-Schaften.
Warum gibt es sowas nicht für Podcaster?
Podcaster-Innen-Schaften.
Also wahrscheinlich ist Studio Boomens einfach sowas wie eine Podcaster-Verbindung.
Ja.
Oder?
Da hängen alle ab.
Und das Schöne an solchen Verbindungen ist natürlich die Gemeinschaft.
Also wer eintritt, bekommt ein Zimmer in einem großen Verbindungshaus und man lebt da eben
mit vielen anderen Studierenden zusammen wie in so einer riesigen WG.
Und der Gedanke dahinter ist erstmal immer, dass man sich gegenseitig unterstützt.
Und diese Unterstützung, die geht auch übers Studium hinaus.
Weil die, die fertig damit sind und dann auch Geld verdienen, die bleiben meist Mitglied und
unterstützen die Verbindung jetzt dann wieder ihrerseits finanziell.
Und deswegen sind zum Beispiel auch die Wohnkosten in Verbindungshäusern vergleichsweise
niedrig.
Also man zahlt dafür die monatliche Miete in der Regel nur so 200, 300 Euro.
Und durch diese alten Herren, wie man die berufstätigen Mitglieder nennt, ja, nur Herren,
hat man eben auch gleich ein Netzwerk in der Arbeitswelt.
Vor allem, wenn diese Leute bei potenziellen Arbeitgebern in hohen Positionen sitzen, dann
fällt halt auch der Einstieg ins Berufsleben viel leichter, weil man halt direkt die richtigen
Kontakte hat.
Und davon profitieren in Deutschland aber, Surprise, vor allem Männer.
85% der deutschen Verbindungen sind nämlich rein männlich.
15% sind gemischt oder reine Damenverbindungen.
Die Verbindung, der Sander unbedingt beitreten möchte, wurde schon 1946 gegründet und nennt
sich, man möge uns die Aussprache verzeihen, Rösechom.
Sander weiß, dass jedes Jahr nur ganz wenige, ausschließlich männliche Mitglieder aufgenommen
werden.
Und dass eigentlich nur solche Männer Mitglied werden, die aus einflussreichen Familien stammen.
Die maximal 40 Rösechommer sind die Söhne von ÄrztInnen, AnwältInnen und UnternehmerInnen.
Sander, der Sohn eines einfachen Arbeiters, passt auf den
ersten Blick nicht ins Bild der Verbindung.
Doch das hat Sander noch nie davon abgehalten, etwas zu versuchen.
Die Sterne, nach denen er gegriffen hat, standen bisher immer ganz hoch am Himmel.
Sander hatte zwar nie ein Netz aus einflussreichen Kontakten, das ihn wie ein Trampolin mit Schwung
nach oben katapultiert.
Dafür hat er sich aber eine Leiter gebaut, deren Sprossen aus Ambitionen, Ehrgeiz und dem Rückhalt
seiner Familie bestehen.
Mit dieser Leiter hat Sander bisher jeden Stern, jedes seiner Ziele erreicht.
So ist er an die Uni in Löwen gekommen.
Und so will er auch in Rösechom aufgenommen werden und gleichzeitig in eine Welt, die ihm bisher
verwehrt blieb.
Eine Welt, die voll von schillernden Perspektiven zu sein scheint, von der Sander aber noch nicht
weiß, dass sie zerfressen ist von Hass und Grausamkeit.
Im Oktober 2018, da studiert Sander schon seit zwei Jahren in Löwen, ist es soweit.
Die elitäre Verbindung schmeißt eine ihrer legendären Partys und diesmal sind auch Nicht-Mitglieder
eingeladen.
Das ist seine Chance, denkt Sander, der inzwischen 20 geworden ist und geht hin.
Als er in dem großen, prunkvollen Verbindungshaus ankommt, ist die Party schon in vollem Gange.
Überall sind junge Menschen, die ausgelassen feiern.
Der Alkohol fließt in Strömen und mittendrin sind die, die die Party schmeißen.
Die Mitglieder von Reiserum.
Sanders Plan ist es, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und ihnen klarzumachen, dass er Mitglied
bei ihnen werden will.
Also mischt er sich unter die Menge, holt sich einen Drink und es dauert nicht lang, bis
Sander wirklich mit ein paar Studenten aus der Verbindung in einer Runde steht.
Sie unterhalten sich locker, stoßen an und verstehen sich gut.
Als Sander sagt, dass er gerne Mitglied werden würde, freuen sich die Jungs über sein Interesse.
Der erste Schritt ist getan, denkt Sander zufrieden.
Jetzt wird gefeiert.
Als Sander Stunden später nach Hause gehen will, geht schon die Sonne über Löwen auf.
Er ist einer der letzten Partygäste und das Verbindungshaus gleicht inzwischen einem Schlachtfeld.
Stühle und Tische sind zertrümmert, die Wände wurden beschmiert und überall liegt Müll.
Sander will nur noch ins Bett, als ein Mitglied der Verbindung auf ihn zukommt und ihm aufträgt,
den Saustall aufzuräumen.
Die Aufforderung klingt fast nach einem Befehl und Sander ist todmüde.
Sander hat er sein Ziel klar vor Augen.
Er will Mitglied werden und er will sich vor den anderen beweisen.
Also sagt er nichts, sondern fängt an, den Müll aufzuheben und zu putzen.
Sanders Aufräumaktion scheint Eindruck hinterlassen zu haben.
Denn ab der Party ist er für die Reusechummer kein Unbekannter mehr.
Knapp zwei Monate später wird er tatsächlich zur alljährlichen Aufnahmeprüfung für potenzielle neue Mitglieder,
der sogenannten Taufe, eingeladen.
Sander weiß, was das bedeutet.
Er muss an zwei Tagen verschiedene Aufgaben durchlaufen, um zu beweisen,
dass er das Zeug hat, Mitglied der Verbindung zu werden.
Nur haben die Tests nichts mit den Disziplinen zu tun, die Sander aus der Schule und der Uni kennt.
Vielmehr geht es darum, Erniedrigungen und Mutproben auszuhalten.
An der Uni erzählt man sich, dass die Aufnahmeprüfung dort von allen Verbindungen eine der härtesten ist.
Doch das ist Sander egal.
Er will das schaffen, da ist er sich sicher.
Mit Sander wollen sich noch zwei weitere Studenten, Lukas und Adrian, einen Platz erkämpfen.
Sie alle drei stehen am 4. Dezember 2018 18 Verbindungsmitgliedern gegenüber.
Unter ihnen ist auch Ruben, der aktuelle Präsident der Verbindung und Leiter der zweitägigen Taufe.
Er verkündet, dass nur diejenigen der Bewerber, die jede einzelne Aufgabe durchstehen,
einen Platz in der Verbindung bekommen.
Wer Aufgaben abbricht oder unzureichend erfüllt, dem droht eine Strafe.
Welche Tests auf sie zukommen, das verrät Ruben nicht.
Nur so viel, es wird wirklich brutal, sagt er verheißungsvoll.
Zunächst fängt es aber harmlos an.
Gegen 16 Uhr sollen die drei Anwärter in der Innenstadt Rosen an Passantinnen verkaufen.
Derjenige, der am Schluss die meisten Blumen losgeworden ist, hat gewonnen.
Den Verlierer erwartet eine Strafe.
Eine Stunde später steht fest, es ist Sander, der die wenigsten Rosen verkauft hat.
Deshalb soll er jetzt ein Liter vergorene Milch trinken und dazu ein Meisenknödel essen.
Als Sander den Deckel des Milchkartons abschraubt, steigt ihm sofort der säuerliche Geruch in die Nase.
Schon beim Gedanken daran, sich den Inhalt in den Mund zu kippen, zieht sich Sanders Magen zusammen.
Doch es hilft alles nichts.
Er wird sicher nicht beim ersten Hindernis aufgeben, also fängt er an, die abgestandene Milch zu trinken.
Schluck für Schluck, bis alles leer ist.
Dann steht die zweite Challenge an.
Die Anwärter sollen ihre Trinkfestigkeit unter Beweis stellen, sagt Ruben, der bereits Bier und Schnaps bereitstellt.
Also setzt Sander Becher um Becher an seine Lippen.
Erst ist er froh darüber, den ekelhaften Geschmack von saurer Milch und Vogelfutter loszuwerden,
doch es dauert nicht lange, bis der Alkohol seine Sinne benebelt und ihm kotzübel wird.
Das Gemisch aus schlechter Milch und Hochprozentigem bekommt ihm nicht gut.
Aber Sander lässt sich die Magenschmerzen nicht anmerken.
Stattdessen lehrt er um 19 Uhr, drei Stunden nach Beginn des Rituals, eine weitere Flasche Gin.
Sie ist Teil der dritten Aufgabe für heute.
Sander muss Fragen über die Verbindung beantworten, während er den Wacholder-Schnaps trinkt.
Das Ziel ist es, sich nicht zu übergeben, sagt Ruben.
Lukas und Adrian, den anderen Anwärtern, die mit Sander auf den kalten Pflastersteinen der Löwener Innenstadt sitzen,
scheint das noch vergleichsweise leicht zu fallen.
Sander hingegen braucht all seine Beherrschung, um noch gerade zu sitzen und nicht dem dringenden Bedürfnis nachzugeben, seinen Mageninhalt auszuspucken.
Er will nicht aufgeben, er will durchhalten, für seine Zukunft, für die Kontakte, für das Ziel, das er sich gesetzt hat.
Doch schließlich entscheidet nicht mehr Sanders Kopf, sondern sein Körper.
Der ganze Alkohol und die widerliche Milch muss raus.
Sander kann nicht mehr, er übergibt sich, dann bleibt der Sturz betrunken auf der Straße liegen.
In seinem Delirium bekommt der 20-Jährige nur noch verschwommen mit, was dann passiert.
Die Verbindungsmitglieder ziehen ihn von der Straße zurück auf die Beine, dann schleppen sie ihn in einen Nachtclub.
Auf Befehl der Mitglieder trinkt Sander bei lauter Musik und dunkler Beleuchtung Gin, Bier und Wodka, bis er sich noch einmal übergibt.
Auch Lukas und Adrian sind inzwischen so betrunken, dass sie brechen müssen.
Also lassen die Verbindungsmitglieder endlich von ihnen ab.
Sander muss gestützt werden, als er aus dem Nachtclub nach draußen geht.
Er kann sich nicht mehr verständigen.
Der Alkohol hat den smarten Studenten zu einem hilf- und orientierungslosen Schatten seiner selbst gemacht.
Auf einem Bordstein bricht Sander schließlich zusammen.
Lukas und Adrian liegen neben ihm, als sich Präsident Ruben und die anderen über ihnen auftürmen,
ihre Hosen öffnen und auf die drei Anwärter urinieren.
Die ultimative Erniedrigung.
Der grausame Abschluss des ersten Tauftages.
Anschließend bringen einige Mitglieder Sander ins Zimmer seines Wohnheims.
Er bekommt nicht mehr mit, wie sie ihn in seinen dreckigen Klamotten in sein Bett legen.
Wie sie ihm ganze Büschel seiner dunkelbraunen lockigen Haare abschneiden
und ihn mit Ketchup und Schokolade beschmieren,
statt ihm den ruhigen Schlaf zu gönnen, den Sander dringend braucht.
Denn schon in wenigen Stunden wird sein Wecker wieder klingeln.
Dann muss Sander für den zweiten Tag der Taufe bereit sein.
Den Tag, für den sich die Verbindung noch brutalere Spielchen ausgedacht hat.
Und der Tag, an dessen Ende Sander nicht im Bett, sondern in der Notaufnahme landet.
Etwa 24 Stunden später, in den frühen Morgenstunden des 6. September 2018,
liegt Sander vor den Ärztinnen im Uniklinikum in Antwerpen.
Er wurde von einem anderen kleineren Krankenhaus hierher verlegt,
weil die MedizinerInnen ihm dort nicht helfen konnten.
Sander ist seit Stunden bewusstlos und eiskalt.
Seine Körpertemperatur liegt bei gerade einmal 27,2 Grad.
Die eines gesunden Menschen liegt mindestens 9 Grad höher.
Ein viel größeres Rätsel stellt für die ÄrztInnen aber der Salzgehalt dar,
der in Sanders' Körper gemessen wird.
Sanders' Körper ist deswegen stark übersäuert,
was einen lebensbedrohlichen Mineralstoffmangel zur Folge hat.
Sein Körper setzt die verbleibenden Mineralstoffe ein, um die Säure zu neutralisieren.
Dadurch werden mehrere lebenswichtige Organe nicht mehr ausreichend versorgt.
Die ÄrztInnen tun alles, um ihn zu retten, aber es sieht nicht gut aus.
Im Flur des Krankenhauses sitzt Ruben, der Präsident von Rösechum,
zusammen mit zwei weiteren jungen Männern der Verbindung,
wo sie jetzt auf Neuigkeiten zu Sanders' Zustand warten.
Auch Sanders' Eltern wurden zwischenzeitlich informiert.
Sie leben in einem Vorort von Antwerpen und sind auf dem Weg ins Krankenhaus.
Doch als Usman und seine Frau am Krankenbett ihres Sohnes ankommen,
erwarten sie die ÄrztInnen mit schlechten Neuigkeiten.
Das Gehirn ihres 20 Jahre alten Jungen, das einst Höchstleistung vollbracht hat,
ist wegen der Übersäuerung stark angeschwollen.
Sander wurde in ein Koma versetzt und schon jetzt steht fest,
selbst wenn er wieder aufwachen sollte,
wird er nie wieder derselbe Junge sein, den seine Eltern kannten.
Usman und seine Frau können sich das, was die ÄrztInnen ihnen sagen, nicht erklären.
Sander war doch gesund, er war sportlich fit und stand mitten im Leben.
Er wollte nach den Sternen greifen.
Wie kann es sein, dass er jetzt bewusstlos vor ihnen liegt?
Dass sein Leben am seidenen Faden hängt?
Was ist mit ihrem Kind passiert?
Antworten darauf kann ihnen Sander nicht geben.
Usman bleibt nichts anderes übrig, als neben seinem Sohn zu sitzen,
seine Hand zu halten und zu hoffen, dass Sander aus dem Koma erwacht.
Die Polizei hingegen kann mehr tun, um den Fragen, die Sanders Zustand aufwirft,
auf den Grund zu gehen.
Die BeamtInnen werden noch in derselben Nacht vom Personal der Uniklinik hinzugezogen.
Niemand kann sich erklären, wie Sander ohne Fremdeinwirkung so viel Salz zu sich genommen haben soll.
Außerdem hat das Pflegepersonal Körperteile einer toten Maus in seiner Jackentasche gefunden.
Irgendwas stimmt hier nicht.
Und was auch immer es ist, es muss mit der Studentenverbindung zu tun haben,
von der noch immer drei Mitglieder im Krankenhausflur warten.
Die Polizei befragt die jungen Männer, die erzählen, dass Sander sich einem Aufnahmeritual unterzogen hat,
das in einer verlassenen Hütte im Wald, 30 Kilometer außerhalb von Antwerpen, stattgefunden hat.
Das möchten sich die BeamtInnen ansehen.
Sie treffen um kurz vor 4 Uhr morgens in dem Waldstück ein.
Im Licht der Taschenlampen sieht die Hütte von außen nicht nur verlassen, sondern auch unheimlich aus.
Doch es gibt Hinweise darauf, dass hier vor kurzem Menschen waren.
Denn im Inneren sieht es aus, als sei dort frisch geputzt worden.
Kein Staub oder Spinnenweben.
Müll und leere Flaschen sind fein säuberlich in Plastiksäcke gepackt worden und stehen zum Abholen bereit.
Vielleicht waren die jungen Männer einfach ordentlich, überlegt die Polizei.
Oder sie wollten Spuren einer Party verwischen, die aus dem Ruder gelaufen ist.
Als nächstes wollen sich die BeamtInnen Sanders' Wohnheim genauer ansehen.
Doch als sie die Tür öffnen, finden sie auch hier einen aufgeräumten, sauberen Raum vor.
Sauberer, als sich die PolizistInnen das Zimmer eines 20-jährigen Studenten vorstellen,
der nicht vorhatte, länger wegzubleiben.
Einen Tag später, am 7. Dezember 2018, steht fest, Sander wird nie in sein kleines Zimmer im Wohnheim zurückkehren.
Er wird nie sein Studium an der Elite-Uni abschließen und nie die schillernde Zukunft erleben,
von der er jahrelang geträumt und für die er hart gearbeitet hat.
Sanders' Eltern und Seydoux, sein großer Bruder, sitzen einen Tag lang bei ihm,
halten seine Hand und sprechen mit ihm, in der Hoffnung, dass er aufwacht.
Dass sein Körper wie durch ein Wunder heilt und den Kampf gegen die Säure gewinnt.
Die ÄrztInnen versuchen alles, um Sanders' Zustand zu verbessern.
Aber der Salzgehalt in seinem Blut und der Druck in seinem Gehirn lassen sich nicht regulieren.
Schließlich versagen die Organe des 20-Jährigen, der im Leben alles erreichen wollte und vielleicht alles erreicht hätte.
Und mit seinem Tod verliert auch seine Familie von einem auf den anderen Tag den Halt unter den Füßen.
Sander war ihr Ein und Alles.
Für seine Eltern ist es, als würde ihnen die Trauer die Luft zum Atmen abschnüren.
Ohne Sander fällt es ihnen schwer, den Sinn in ihrem eigenen Dasein zu sehen.
Und auch Seydoux ist am Boden zerstört.
Nicht nur, weil er seinen Bruder verloren hat, sondern auch, weil sein Kind keinen Onkel haben wird.
Denn Seydouxs Freundin ist hochschwanger.
Ihr gemeinsames Baby wird bald zur Welt kommen.
Sander war überglücklich darüber, Onkel zu werden.
Doch noch bevor das Leben seiner Nichte überhaupt begonnen hat, ist Sanders' Leben zu Ende.
Mit der Nachricht von Sanders Tod ändern sich auch die Ermittlungen der Polizei, die inzwischen auf Hochtouren laufen.
Sie ermitteln nun nicht mehr wegen Körperverletzung, sondern in einem Tötungsdelikt.
Denn dass es sich bei dem, was Sander zugestoßen ist, um einen Unfall handelt, glaubt inzwischen niemand mehr.
Das penibel geputzte Wohnheimzimmer und die aufgeräumte Waldhütte geben den PolizistInnen Grund zur Annahme,
dass die jungen Männer von Röserum mehr wissen, als sie aussagen und dass sie etwas mit Sanders Tod zu tun haben.
Doch die Verbindung hört sich zu den Vorwürfen in Schweigen.
Dafür sprechen die Inhalte, die auf den beschlagnahmten Handys der Studenten sichergestellt werden können, Wände.
IT-SpezialistInnen können haufenweise gelöschte Nachrichten aus Gruppenchats und Dateien wiederherstellen.
Auf einem Video ist Sander gemeinsam mit den zwei anderen Anwärtern Lukas und Adrian zu sehen.
Zusammengekauert und mit gesenkten Köpfen sitzen sie im Wald.
Ihre Beine hängen in einem Erdloch, das mit Wasser und Schlamm gefüllt ist.
Immer wieder wird ihnen kaltes Wasser ins Gesicht gekippt.
Im Hintergrund hört man, wie andere Männer lachen und singen.
Ein anderes Foto zeigt Sander, wie er mit durchnässten Klamotten im Gras liegt.
Es sieht so aus, als würde er schlafen.
Der Zeitstempel des Bildes lässt aber vermuten, dass er da bereits bewusstlos war.
Denn das Foto ist nur wenige Stunden vor seiner Einlieferung ins Krankenhaus entstanden.
Das Bildmaterial liefert nur erste Anhaltspunkte für die PolizistInnen, deren Ermittlungen zwei Jahre dauern werden.
Denn was genau am zweiten Tag der Verbindungstaufe mit Sander passiert ist,
müssten die BeamtInnen im Alleingang herausfinden.
Die 18 jungen Männer, die in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember dabei waren,
haben sich in der Zwischenzeit Rechtsbeistände genommen.
Und zwar nicht irgendwelche, sondern aufgrund der einflussreichen Kreise, in denen sie sich bewegen,
nur die besten AnwältInnen des Landes.
Und die raten ihnen vor allem eins, zu schweigen.
Die einzigen Konsequenzen, die zunächst auf die Männer zukommen,
werden ihnen von der Universität in Löwen auferlegt.
Nachdem Medien in ganz Europa über die Taufe berichten,
die, Zitat, aus dem Ruder gelaufen sei und in dem Zusammenhang auch der Ruf der Universität leidet,
wird die Verbindung am Campus verboten.
Außerdem ordnet die Uni an, dass die 18 Studenten, die in der Nacht dabei waren,
je 30 Sozialstunden abarbeiten und je ein Strafessay schreiben müssen.
Darüber hinaus dürfen sie erst einmal unbehelligt weiter studieren.
Ja, und man muss hier vielleicht nochmal dazu sagen,
dass dieser Fall von Sander und auch, dass ein Student so ein Taufritual in der Verbindung nicht überlebt,
für die Uni, aber auch für die Strafverfolgungsbehörden in Löwen,
was ganz Neues ist.
Also sowas gab es noch nie und es gibt in Belgien auch keine Gesetze oder sonstige Regularien für solche Fälle.
Das wäre in den USA tatsächlich anders, denn dort sind so Studieverbindungen ein Riesending
und manche von denen haben auch brutale Aufnahmeprüfungen,
gegen die viele US-Bundesstaaten inzwischen deswegen auch gesetzlich vorgehen.
Man spricht ja in den USA vom Hasing, was auf Deutsch wortwörtlich schikanieren bedeutet,
in Amerika aber eben auch Rituale beschreibt, die einzig und allein der Demütigung dienen.
44 von 50 US-Bundesstaaten haben Gesetze verabschiedet, die das Hasing verbieten,
auch um die strafrechtliche Verfolgung solcher Vorfälle einfacher zu machen.
Aber die Gesetze sind ganz verschieden.
Nur in zehn Staaten handelt es sich um einen eigenen Straftatbestand,
für den Beteiligte dann auch ins Gefängnis kommen können.
In den restlichen 34 Staaten ist es in Anführungszeichen nur eine Ordnungswidrigkeit,
die jetzt weniger schlimme Konsequenzen nach sich zieht.
Und dieser Knackpunkt, warum es so schwierig ist, über solche Taten zu urteilen, ist das Thema Konsent.
Also dass man dem auch zustimmt, weil eigentlich nehmen die Anwärter in ja freiwillig an den Prüfungen teil
und warum soll dann jemand anders für ihren Tod verantwortlich gemacht werden.
So argumentieren in den USA jedenfalls einige wenige Bundesstaaten, die keine entsprechenden Gesetze erlassen haben.
Die Mehrheit der Staaten ist aber der Meinung, dass die Zustimmung des Opfers keine Erlaubnis für Hasing ist.
Also die stehen ja unter enormem sozialen Druck und haben oft schon viel Alkohol getrunken.
Und von einem freien Willen kann da dann auch keine Rede mehr sein.
Da gibt es auch einen ganz schlimmen Fall in Amerika, der 2017 passiert ist und der viel in der Öffentlichkeit diskutiert wurde.
Damals war ein 19-jähriger Footballer bei einem Hasing-Ritual an der Penn State University gestorben.
Der musste in kurzer Zeit große Mengen Wodka, Bier und Wein auf nüchternen Magen trinken.
Und wegen des Pegels ist der Footballer dann schließlich eine Treppe heruntergefallen und bewusstlos geworden.
Die anderen Männer haben ihn anschließend zwölf Stunden lang auf dem Sofa liegen lassen, ohne ihm zu helfen.
Als er ins Krankenhaus kam, war dann sein Gehirn so stark angeschwollen, dass man nichts mehr für ihn tun konnte.
Mehr als 15 junge Männer wurden schließlich vor Gericht angeklagt, unter anderem eben wegen des Hazings.
Und einige von ihnen wurden auch schließlich zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Und das ist leider kein Einzelfall.
Laut dem Magazin The Economist sind allein in den zehn Jahren zwischen 2007 und 2017
40 Studierende in den USA bei solchen Ritualen gestorben.
Das ist dann eben oft aufgrund von Alkoholvergiftungen oder weil sie dann eben sturzbetrunken gefährliche oder körperlich anstrengende Aufgaben erledigen mussten
und dabei dann tödlich verletzt wurden.
Und eines haben alle diese Fälle gemeinsam.
Es ist immer enorm schwer, in einer so großen Gruppe von Jugendlichen, von denen meistens die Mehrheit schweigt,
herauszufinden, wer für was verantwortlich war und was überhaupt passiert ist.
Auch im Fall von Sander kommt es unter anderem wegen der umfangreichen Ermittlungen erst viereinhalb Jahre nach seinem Tod zum Prozess.
Einige der 18 Männer, die im Mai 2023 auf der Anklagebank im Gericht in Antwerpen Platz nehmen, haben da bereits ihr Studium beendet.
Für sie ist das Leben seit Sanders Tod weitergegangen.
Sie streben erfolgsversprechende Karrieren an.
Deshalb ziehen sie sich jetzt vor Gericht Baseball-Caps und Kapuzen ins Gesicht, um sich vor den Aufnahmen der zahlreichen FotografInnen zu schützen.
Sanders' Familie geht erhobenen Hauptes in den Gerichtssaal.
Denn sie hat lang auf den heutigen Tag gewartet.
Ihr Leben ist seit Sanders Tod ein anderes.
Ihre Welt scheint an dem Tag im Krankenhaus, an dem sie seine Hand gehalten haben, stehen geblieben zu sein.
Seydus Tochter, Sanders' Nichte, die einen Monat nach seinem Tod geboren wurde, ist heute vier Jahre alt.
Doch obwohl Seydus sie liebt, plagt ihn ständig das Gefühl, dass er seinem Kind kein guter Vater sein kann.
Denn die Trauer, die er seit Sanders Tod in seinem Herzen trägt, ist noch immer allgegenwärtig.
Und die Fragen, die Seydus und seine Eltern seit vier Jahren plagen, sind noch immer offen.
Sie wollen endlich wissen, was bei der Taufe passiert ist.
Sie wollen verstehen, wie die letzten Stunden in Sanders' Leben abgelaufen sind.
Und vor allem, wie es dazu kommen konnte, dass ihr kerngesunder, ambitionierter Junge so plötzlich sterben musste.
Im Gerichtssaal sitzen Sanders' Angehörige, den 18 Angeklagten gegenüber, die mit einer ganzen Schar an Rechtsbeiständen gekommen sind.
Aber auch Ousman, seine Frau und Seydus haben Unterstützung dabei.
Auf den Zuschauerplätzen sitzen etliche Freundinnen von Sander, die die Angeklagten mit ernster Miene ansehen und wie Sanders' Familie vor allem eins wollen.
Gerechtigkeit für den Tod ihres Freundes.
Denn die Anklage lässt vermuten, dass die Verantwortung dafür in den Händen der ehemaligen Verbindungsmitglieder liegt.
Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem fahrlässige Tötung, Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung vor.
Und dann nimmt sie alle Anwesenden im Gerichtssaal mit an den Morgen, an dem Sander nach dem ersten Tauftag im Wohnzimmer eines Wohnheims aufwacht.
Noch immer benommen von der letzten Nacht, in der er sich vom Alkohol mehrfach übergeben hat und von den Mitgliedern der Rösechummer aufs Übelste erniedrigt wurde.
Trotzdem entscheidet sich Sander, in diesem Moment weiterzumachen.
Noch diesen einen Tag auszuhalten, um an sein Ziel zu kommen.
Er will noch immer zu der Verbindung gehören, deren Mitglieder am Tag davor auf ihn uriniert haben.
Wenn er erstmal dabei ist, dann ist er einer von ihnen, sagt sich Sander.
Dann klettert er auf seine Leiter zum Erfolg eine Sprosse nach oben.
Dann steht ihm und seiner beruflichen Zukunft nichts mehr im Weg.
Nur noch dieser eine Tag.
Als Sander am 5. Dezember, kurz vor halb elf vormittags, ins Auto eines Verbindungsmitglieds steigt, geht es ihm noch immer elend vom Vortag.
Er hat Kopfschmerzen, ihm ist schwindelig und kotzübel.
Am liebsten will er literweise Wasser gegen den Kater trinken, doch als er heute Morgen aufgewacht ist, kam kein Tropfen aus dem Wasserhahn in seinem Zimmer.
Auch das ist Teil des Taufrituals, sagt man ihm jetzt im Auto.
Die Verbindungsmitglieder, die ihn gestern nach Hause gebracht haben, haben die Leitung abgedreht.
Genau wie bei den anderen Anwärtern, Adrian und Lukas.
Keiner von ihnen soll Wasser gegen den Kater trinken.
So sind die Regeln.
Also kauert sich Sander im Auto zusammen.
Sein Mund ist trocken, sein Magen ist flau.
In seinem Gesicht hängen Reste vom Ketchup und von der Schokolade, mit der er gestern beschmiert wurde.
Ganze Büschel seines Haares fehlen.
Wie ein Häufchen Elend hat der 20-Jährige aus, bis sie nach etwa einer Stunde von der Schnellstraße abfahren.
Nur 100 Meter von der Ausfahrt entfernt, bei einer verlassenen Hütte, halten sie an.
Hier im Wald soll der zweite Tag der Taufe vollzogen werden, erklären die Verbindungsmitglieder.
Sander soll aus dem Auto aussteigen.
Dann wird ihm eine Schaufel in die Hand gedrückt.
Mit der soll er im Waldboden eine Grube ausheben, befiehlt man ihm.
Es ist die erste Aufgabe des heutigen Tages.
Noch immer mit Kreislaufproblemen kämpfend, macht sich Sander an die Arbeit.
Schaufel um Schaufel hieft er die kalte, harte Erde zur Seite.
Lukas und Adrian tun neben ihm dasselbe.
Und sie sind viel schneller.
Die körperlich anstrengende Arbeit scheint ihnen weit weniger auszumachen als Sander,
dem es von Minute zu Minute schlechter geht.
Lukas und Adrian sind längst mit ihrer Grube fertig, als Sander die Schaufel zur Seite legt.
Eine Strafe gibt es diesmal nicht.
Stattdessen wird das Erdloch, das er gebuddelt hat, jetzt von der Verbindung mit eiskaltem Wasser gefüllt.
Obwohl gerade einmal sechs Grad herrschen, sollen Sander, Lukas und Adrian den restlichen Tag lang
oberkörperfrei im eisigen Wasser ausharren.
So lautet die Anordnung.
Zögerlich zieht Sander seinen Pullover aus und steigt in die schlammige Grube.
Dann müssen er und die anderen wie am Vortag Fragen zur Verbindung beantworten.
Wer richtig liegt, bekommt endlich trinkbares Wasser.
Wer falsch liegt, muss stattdessen Fischsoße zu sich nehmen.
Allein der beißende, fischige Geruch bringt Sander zum Würgen.
Doch die Frage-Antwort-Challenge dauert mehrere Stunden und Sander, der vor Kälte zittert, liegt oft falsch.
Also muss er immer wieder salzige Fischsoße trinken.
Und schließlich zum krönenden Abschluss des ekelhaften Spiels auch den Urin mehrerer Verbindungsmitglieder.
Denn die kommen jetzt erst richtig in Fahrt.
Als sechs Stunden nach Ankunft an der Hütte die Dämmerung anbricht, fahren sie ihre Autos vor die Gruben und schalten die Scheinwerfer ein.
Sander scheint das grelle Licht direkt ins Gesicht.
Laute Musik droht aus den Boxen, als Ruben ankündigt, dass es nun Zeit für den sogenannten Schaftenbrei sei.
Weder Sander noch die anderen wissen, aus was die beigefarbene, dickflüssige Masse gemacht ist, die man ihnen reicht.
Als der Brei in seinem Magen ankommt, muss Sander erneut seinen Brechreiz unterdrücken.
In den letzten Stunden hat er saure Milch, Vogelfutter, Fischsoße, Urin und Unmengen an Alkohol zu sich nehmen müssen.
Kein Essen und nur wenig Wasser.
Hinzu kommt die Erschöpfung und die beißende Kälte, die seinen Körper seit Stunden plagt.
Sander kann nicht mehr.
Das, was er durchmacht, ist schon lange keine Mutprobe mehr, sondern Folter, die bald schon zum Überlebenskampf wird.
Ein Kampf, der die umstehenden Studenten belustigt und anheizt.
Sie lachen und grölen lauthals, als Sander, Adrian und Lukas einer toten Maus den Kopf abbeißen müssen.
Dann werfen sie einen lebendigen Aal, den sie in der Tierhandlung gekauft haben, zu Sander in die Grube.
Er soll ihn fangen und dann auch dem Aal den Kopf abbeißen.
Sander ist erschöpft und er zittert wie der Aal am ganzen Körper.
Er will nur raus aus dieser widerlichen Grube, also greift er nach dem Tier und beißt zu.
Die Gruppe um ihn herum tobt und alle schreien und jubeln.
Doch Sander muss im Wasser sitzen bleiben.
Als nächstes müssen er und die zwei anderen Anwärter einen lebenden Goldfisch erst schlucken und dann wieder erbrechen.
Das ist so schrecklich.
Ja, also ich verstehe das auch immer nicht mit diesen Tieren.
Es ist so eklig und asozial.
Und dass dann noch so gegrölt wird und also wie, nee, ich finde gar keine Worte dafür, wie asozial ich dieses Verhalten von diesen Männern finde.
Um den Würgereiz auszulösen, sollen sie an Fischsoße riechen.
Bei Lukas und Adrian funktioniert der Reflex sofort.
Sie spucken den orangefarbenen Fisch aus.
Nur Sander kann sich nicht übergeben.
Also wird ihm die Fischsoße in den Rachen geleert, deren enorm hoher Salzgehalt später für seinen Tod sorgen wird.
Selbst trinken kann Sander zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Obwohl er seit dem Vortag keinen Tropfen Alkohol getrunken hat, steht er nach der stundenlangen Tortur inzwischen völlig neben sich.
Seine Reaktionen sind langsam.
Er hat Gleichgewichtsprobleme und kann sich kaum verständigen.
Er schwankt sekündlich zwischen Bewusstsein und Ohnmacht.
Sein Körper hat keine Kraft mehr, sich zu übergeben.
Er hat keine Kraft mehr, überhaupt irgendetwas zu tun.
Das merken auch Lukas und Adrian, die Sander schließlich aus der eiskalten Grube heben und ihn auf eine Wiese neben die Hütte legen.
Mit durchnester Kleidung liegt er regungslos da.
Kein Mensch hilft ihm.
Stattdessen wird das Foto geschossen, das später in den Händen der Polizei landen wird.
Doch Sanders Ruhepause dauert nicht lange an.
Schon kurze Zeit später tragen ihn die Höchserummer zurück in das schlammige Erdloch,
das noch immer von den Scheinwerfern der umliegenden Autos beleuchtet wird.
Er bekommt nur noch am Rande mit, wie die letzte Challenge der Taufe eingeläutet wird.
Der sogenannte Blitzkrieg.
Sander sitzt jetzt am Rand derselben Grube wie Lukas und Adrian.
Er lehnt sich kraftlos an sie und seine Beine stecken im Schlamm, als umstehende Studenten ihnen Eimer voll mit eiskaltem Wasser ins Gesicht kippen.
Zusätzlich explodieren Feuerwerkskörper direkt neben ihm.
Sanders Kopf brummt, er kann die Geräusche um sich herum nicht mehr zuordnen.
Er kann nicht aufstehen.
Er kann sich nicht wehren.
Dann spürt er Tritte und Schläge, die auf ihn einprasseln.
Irgendwann dürfen Adrian und Lukas aufstehen.
Nur Sander wird weiter gequält, bis sein Körper in sich zusammensackt.
Da erklärt Präsident Ruben die Taufe offiziell für beendet.
Endlich hört die Folter auf.
Nur bekommt Sander nichts mehr davon mit.
Alles um ihn herum ist längst kalt und schwarz.
Und es wird nie wieder hell werden.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben ergeben, dass Lukas und Adrian Sander nach der Taufe an ein Lagerfeuer getragen haben, um seinen regungslosen Körper zu wärmen.
Doch da hätte Sander längst medizinische Hilfe gebraucht.
Stattdessen lassen ihn die Männer 20 Minuten liegen, bevor wieder jemand nach ihm sieht und feststellt, dass es Sander kein wenig besser geht.
Erst dann werden sie unruhig.
Zwei Männer setzen Sander in eines der Autos, drehen die Heizung auf und flößen ihm Wasser ein.
Doch der 20-Jährige schluckt nicht einmal mehr.
Also trifft Ruben gegen 20.30 Uhr, etwa eine Stunde nachdem der Blitzkrieg begonnen hat, die Entscheidung, dass Sander ins Krankenhaus muss.
Viel zu spät, denn obwohl ihn die Männer jetzt in die Notaufnahme fahren, kann niemand mehr Sanders Leben retten.
Die Ermittlungen belegen auch, dass Ruben dem Rest der Gruppe vom Krankenhaus aus aufgetragen hat, die Spuren der grausamen Taufe zu beseitigen.
Ein Teil der Mitglieder sollte in der Hütte aufräumen und die Erdgrube zuschütten, in der Sander misshandelt wurde.
Die übrigen Studenten sollten zurück nach Löwen fahren und sein Zimmer säubern.
Sie beseitigen die abgeschnittenen Haare und Sanders Erbrochenes.
Dann drehen sie den blockierten Wasserhahn auf und löschen, wie von Ruben befohlen, alle Nachrichten und Bilder, die sie während der Taufe versandt haben.
Daten, die die Polizei glücklicherweise rekonstruieren konnte und die eindeutig belegen, dass alle Anwesenden wussten, wie schlecht es Sander schon zu Beginn des zweiten Tauftages ging.
Und dass sie sich darüber amüsiert haben, statt das Ritual abzubrechen und ihm zu helfen.
Das Ziel der Taufe war von Anfang an, die Anwärter zu demütigen und zu quälen.
Das verdeutlicht auch der sogenannte Schaftenbrei, dessen Bestandteile die Polizei zwischenzeitlich von mehreren Kassenzetteln ablesen konnte.
Die Verbindungsmitglieder müssen unter anderem tote Mäuse, Würmer, Kakerlaken, Schrimmspaste und scharfe Soße im Mixer zerkleinert und zu einer Masse angerührt haben, die Sander, Lukas und Adrian zu sich nehmen mussten.
Dabei stellt sich vor Gericht heraus, dass nur einer von ihnen den Brei wirklich geschluckt hat.
Sander.
Lukas und Adrian geben auf die Frage des Gerichts im Zeuginnenstand zu, dass sie oft geschummelt haben.
Den Goldfisch zum Beispiel hat einer der beiden nur unter der Zunge versteckt und dann sofort wieder ausgespuckt.
Auch die Fischsoße und den Schaftenbrei haben sie nicht getrunken, sondern die Flüssigkeit stattdessen über das Kinn laufen lassen.
Das sei niemandem aufgefallen, sagen Lukas und Adrian.
Da ergreift Sanders Vater Usman das Wort.
Er will wissen, warum Sander nicht geschummelt hat, um sein Leben zu retten.
Er habe es richtig und ehrlich machen wollen, sagen die Studenten.
Sie wünschten, sie hätten dafür eine andere Erklärung.
Aber Lukas und Adrian glauben, dass Sanders Ehrlichkeit ihn umgebracht hat.
Der Gedanke daran, dass ihr Sohn zu ehrlich war, um sein Leben zu retten, ist für Sanders Eltern nur schwer zu ertragen.
Seine Ehrlichkeit und sein Ehrgeiz waren mitunter seine besten Eigenschaften.
Dass er jetzt tot ist, liegt nicht daran, dass er ehrlich war, sondern daran, dass die Probe, auf die er gestellt wurde, nur mit Betrug aushaltbar gewesen wäre.
Denn alles, was Sanders Familie und seine Freundinnen vor Gericht über das Ritual hören, das Sander nicht überlebt hat, zeigt ihnen, wie Menschen verachten diejenigen sein müssen, die es ausgerichtet haben.
Und inzwischen liegt für sie auch die Vermutung ganz nahe, dass die Mitglieder der Verbindung nicht alle Nichtmitglieder missbilligen, sondern manche ganz besonders.
Schwarze Menschen zum Beispiel.
Denn seit Jahren gilt Rösserum als eine Verbindung für weiße, privilegierte Studenten, die sich auf Partys rassistisch oder antisemitisch äußern.
Auch auf den Social-Media-Profilen der Angeklagten soll es Hinweise auf Rassismus geben.
Zwar wurden die Beiträge inzwischen gelöscht, aber Studierende der Uni Löwen haben sich mittlerweile an die Presse gewandt.
Die schreibt von einem Foto, auf dem drei Mitglieder der Verbindung in weißen Roben posieren, die an den Ku Klux Klan erinnern.
Bei einer internen Versammlung soll einer von ihnen auch vom guten deutschen Freund Hitler gesprochen haben.
Studierende, die auf der Verbindungsparty waren, bei der Sander am Ende den Müll aufräumen musste, berichten zudem, dass Sander an dem Abend aufgrund seiner Hautfarbe sauber machen sollte.
Die Häuserumer sollen ihn währenddessen immer wieder rassistisch beschimpft haben.
Auf einem der beschlagnahmten Handys findet die Polizei außerdem ein Video, das zeigt, wie Verbindungsmitglieder vor einem schwarzen Obdachlosen stehen und ein rassistisches Lied singen.
Auch deshalb fragt sich Sanders Familie inzwischen, ob Sander jemals eine faire Chance hatte, die Aufnahmeprüfung für Rösechum zu überstehen.
Und nicht nur sie, auch viele Studierende von Sanders Uni, darunter Lukas und Adrian und ein Großteil der BelgierInnen, sind der Meinung, dass Sander aufgrund seiner Hautfarbe während der Taufe mehr aushalten musste.
Und dieser Vorwurf, dass Verbindungen rassistisch sind, der kommt auch in Deutschland immer wieder auf.
Vor allem, wenn es um sogenannte Burschenschaften geht.
Wir haben ja eben schon kurz erzählt, dass es verschiedene Arten von Verbindungen gibt.
Am häufigsten sind eben die sogenannten Landsmannschaften und Burschenschaften.
Und da gibt es einen wichtigen Unterschied.
Burschenschaften sind politisch und religiös unabhängig und meist recht liberal.
Burschenschaften haben aber oft eine politische Agenda.
Und die ist in den meisten Fällen irgendwo zwischen konservativ und rechtsnah.
Allein im Dachverband Deutsche Burschenschaften, dem ältesten und größten Dachverband, den es in Deutschland gibt,
sind nach eigenen Angaben fast 70 Burschenschaften und damit mehr als 4.500 Studenten ausschließlich Männer aktiv.
Und der Wahlspruch des Dachverbandes lautet Ehrefreiheit Vaterland.
Und in der Vergangenheit gab es mehrere Schlagzeilen darüber, dass nur Studenten aufgenommen werden, die keinen Migrationshintergrund haben.
Und nach Informationen des Spiegel und der Bundeszentrale für politische Bildung sollen auch schon sogenannte ARIA-Nachweise verlangt worden sein.
Und das ist ja mal so ekelhaft.
Ja. Und deswegen ist es auch nicht so verwunderlich, dass einzelne Burschenschaften inzwischen auch vom Verfassungsschutz der jeweiligen Bundesländer beobachtet werden,
weil bei denen eben die Nähe zum Rechtsextremismus im Raum steht.
Zum Beispiel, weil Mitglieder auch in rechtsextremen Organisationen aktiv sind.
Oder weil bekannte Rechtsextreme, zum Beispiel hochrangige NPD-Funktionäre, zu Veranstaltungen von Burschenschaften eingeladen werden.
Wir wollen trotzdem einmal sagen, die Nähe zum Rechtsextremismus betrifft natürlich nicht alle Verbindungen, sondern wirklich nur speziell Burschenschaften.
Und unter den Burschenschaften gibt es welche, die konservativ sind, sich aber klar von rechtsextremen oder völkischem Gedankengut abgrenzen.
Und dann gibt es eben manche, die das nicht tun oder es noch befeuern.
Die Rassismusvorwürfe, die in Sanders' Fall in Belgien mittlerweile die Berichterstattung des Prozesses bestimmen, werfen aber noch eine andere Frage auf.
Viele LeserInnen, aber auch ZuhörerInnen im Gerichtssaal fragen sich, warum Sander überhaupt Teil einer solchen Verbindung werden wollte.
Warum er Beleidigungen und Schikane über sich hat ergehen lassen, wo er doch sonst nie kleinlaut war.
Weil er diese Gruppe als Sprungbrett in seiner Karriere sah, sagt sein großer Bruder Seydoux, als er vor Gericht in den ZeugInnenstand tritt.
Er sieht müde aus und sein Blick ist leer.
Aber er will seine Worte mit Bedacht, als er vor den Anwesenden spricht.
Was inzwischen über Häuserum bekannt ist, ist definitiv rassistisch, sagt Seydoux.
Aber die meisten hier wissen nicht, wie es ist, als schwarzer Junge in einer überwiegend weißen Gesellschaft aufzuwachsen, fährt er fort.
Er spricht für Sander, aber auch für sich selbst, als er sagt, dass sie etwas erreichen wollten.
Ihr Plan sei es gewesen, hart zu arbeiten, um dann irgendwann stolz auf ihr Leben zurückzublicken und festzustellen, dass ihre Träume wahr geworden seien.
Doch von diesen Träumen sei heute nichts mehr übrig.
Als Sander starb, ist auch ein großer Teil von mir gestorben, sagt Seydoux.
Gestorben ist Sander letztendlich an den großen Mengen Fischsoße, die er zu sich nehmen musste.
Der große Salzgehalt der Flüssigkeit hat dazu geführt, dass seine Organe versagt haben.
Wie viel Soße Sander getrunken hat und wer sie ihm zum Schluss eingeflößt hat, um den Goldfisch zu erbrechen, lässt sich vor Gericht nicht mehr rekonstruieren.
Nur die Angeklagten könnten Aufschluss darüber geben.
Doch die meisten von ihnen wollen sich jetzt, mehr als vier Jahre nach der Taufe, nicht mehr daran erinnern.
Von den 18 Männern, die in der verhängnisvollen Nacht im Dezember 2018 dabei waren, geben nur sieben an, teilweise oder voll schuldig zu sein.
Sie geben zu, dass die Taufe aus dem Ruder gelaufen ist und beteuern, dass es ihnen aufrichtig leid tut, dass Sander nicht mehr lebt.
Die restlichen elf Angeklagten fordern einen Freispruch.
Sie geben an, dass sie nur den Anweisungen von anderen Beteiligten gefolgt sind und weder Sander noch Lukas oder Adrian je eine Flüssigkeit verabreicht haben.
Keiner der 18 Männer habe damit gerechnet, dass die anstehende Taufe so viel Schaden anrichten würde.
Da sind sich alle einig.
Trotzdem nehmen gegen Ende des Prozesses nur vier Angeklagte die Möglichkeit des Gerichts an, letzte Worte an Sanders Hinterbliebene zu richten.
Einer von ihnen ist Ruben, der ehemalige Präsident der inzwischen verbotenen Studentenverbindung und derjenige, der das tödliche Ritual geleitet hat.
Seine Stimme zittert, als er sagt, dass ihm bewusst sei, dass sie alle die Schuld an Sanders Tod treffe und sie die Verantwortung tragen müssten.
Nichts davon hätte passieren dürfen, sagt Ruben.
Dann setzt er sich wieder.
Sanders Vater Usman spricht nach ihm.
Er zweifelt nicht an der Aufrichtigkeit von Rubens Worten, aber sie bringen ihm seinen Sohn nicht zurück.
Usman spürt jeden Tag, dass Sander nicht mehr bei ihm ist.
Worte können kaum beschreiben, wie sehr er ihn vermisst.
Jeden Tag in den vergangenen Jahren und jeden Tag, der noch kommt.
Usmans Bartstoppeln sind inzwischen grau geworden und sein Blick ist ernst, als er vor Gericht ans Mikrofon tritt.
Was er sagt, drückt den Schmerz aus, den er und seine Familie seit Sanders Tod ertragen müssen.
Dass er heute hier stehe und sprechen könne, sein Medikamenten zu verdanken, sagt Usman.
Denn durch Sanders Tod habe er sich selbst verloren.
Ich weiß nicht, wie meine Frau mich überhaupt noch ertragen kann, gibt er zu.
Dann sieht er hinüber zu den Angeklagten.
Hier wird behauptet, dass Sander ein Freund dieser 18 Herren war.
Aber jeder weiß, dass das nicht stimmt.
Denn während er am Sterbebett seines Sohnes, dessen Hand gehalten habe, hätten die Männer versucht, Beweise zu verwischen.
Aber einen Freund lasse man nicht im Stich.
Einen Freund lasse man nicht einfach so sterben, appelliert Usman.
Dann sieht Sanders Vater die RichterInnen an und sagt,
Ich bin wütend und zu Recht.
Ich bin sehr wütend und hoffe, dass Gerechtigkeit siegt.
Das ist das Letzte, was mir von meinem Sohn Sander übrig bleibt.
Damit wird der Prozess geschlossen.
Zur Urteilsverkündung etwa eine Woche später
nehmen Sanders Familie und zahlreiche FreundInnen ein letztes Mal im vollbesetzten Gerichtssaal Platz.
Nur auf der Anklagebank ist es heute leerer als sonst.
Nur die sieben Angeklagten, die sich teilweise oder voll schuldig bekennen, sind vor Gericht erschienen.
Die anderen elf Männer lassen sich von ihren AnwältInnen vertreten.
Ein weiteres Zeichen dafür, dass sie noch immer keine Verantwortung übernehmen wollen
für das, was in der eiskalten Dezembernacht im Wald passiert ist.
Dann ergreift der vorsitzende Richter das Wort.
Alle Anwesenden stehen auf.
Sanders Familie sieht ihn erwartungsvoll an.
Und tatsächlich.
Das Gericht spricht alle 18 Angeklagten wegen der fahrlässigen Tötung von Sanders schuldig.
Zusätzlich werden ihnen erniedrigende Behandlungen und Tierquälerei zur Last gelegt.
Von der Körperverletzung werden sie allerdings freigesprochen.
Grund dafür ist, dass Fischsoße an sich keine gesundheitsschädliche Substanz ist
und dass das Gericht nicht eindeutig feststellen kann, wer Sander die Fischsoße gegeben hat und wie viel davon.
Darüber hinaus sieht es das Gericht als erwiesen an, dass die Angeklagten Sanders Verletzungen und schließlich seinen Tod nicht absichtlich herbeigeführt haben.
Das erklärt auch das geringe Strafmaß, das für Erleichterungen auf der Anklagebank sorgt.
Alle Angeklagten werden lediglich zu maximal 300 Stunden gemeinnütziger Arbeit und Geldstrafen in Höhe von 250 bis 400 Euro verurteilt.
What the fuck.
Aber sie müssen auch noch Schmerzensgeld zahlen.
In Höhe von je 23.000 Euro an Sanders Familie.
Sanders Familie und Freundinnen lässt das Urteil mit gemischten Gefühlen zurück.
Keines davon ist Hass.
Weder Ousman noch Seydoux wollen die jungen Männer, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben, im Gefängnis sehen.
Aber sie haben erwartet, dass die 18 Männer zumindest einen Eintrag ins Strafregister erhalten.
So würden sie ihr Leben lang damit konfrontiert werden, was im Dezember 2018 durch ihr Zutun mit Sander passiert ist.
Aber gemeinnützige Dienstverfügungen und Geldstrafen werden in Belgien nicht im polizeilichen Strafregister geführt.
Obwohl die 18 Männer schuldig gesprochen wurden, gelten sie also als nicht vorbestraft.
Sanders Familie könnte jetzt in Revision gehen und weiter für die Gerechtigkeit kämpfen, für die Ousman vor Gericht appelliert hatte.
Doch Ousman und Seydoux sind den Kampf leid.
Sie wollen endlich mit Sanders Tod abschließen.
In Frieden trauern und sich auf die schönen Dinge konzentrieren, die ihnen im Leben bleiben.
Zum Beispiel Seydouxs Tochter, Ousmans Enkelin, die ihnen Hoffnung für eine glückliche Zukunft gibt.
Den Kampf übernehmen von da an andere.
Denn die milden Strafen des Anwerpener Gerichts lösen in der Öffentlichkeit scharfe Kritik aus.
Hunderte Menschen versammeln sich nach der Urteilsverkündung im Mai 2023 vor dem Gerichtsgebäude, um dagegen zu protestieren.
Doch immer sind viele der Meinung, dass Sander aufgrund seiner Hautfarbe nie eine Chance hatte, bei der Verbindung aufgenommen zu werden.
Und dass ihm auch die Chance auf einen fairen Prozess verwehrt blieb.
In der Presse ist deshalb die Rede von einer Klassenjustiz.
Deshalb fordert das belgische Parlament schließlich den Hohen Justizrat auf, eine Untersuchung durchzuführen,
um eventuelle Fehler während des Gerichtsverfahrens aufzudecken.
Doch der lehnt schließlich ab.
Damit bleibt das Urteil des Gerichts in Antwerpen rechtskräftig.
In den Tagen danach protestieren Hunderte vor dem Antwerpener Berufungsgericht,
aber auch vor Gerichtsgebäuden in anderen europäischen Hauptstädten.
Sie sind davon überzeugt, dass Sander aufgrund seiner Herkunft bei der Taufe besonders brutal behandelt wurde.
Die geringen Geldstrafen und Sozialstunden fühlen sich deshalb an wie ein heftiger Schlag in die Markgrube.
Die Demonstrierenden sind der Meinung, dass das Urteil nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat.
Dass die Leiter, auf der Sander nach oben in Richtung Erfolg geklettert ist, von unten angesägt wurde, bis er tief gefallen ist.
Als Andenken an den Verstorbenen wird ein großes Porträt von Sander an eine Wand in der Löwener Innenstadt gemalt.
Den Kopf in die Hände gestützt, schaut er mit ernstem Blick direkt in die Gesichter der Betrachter in.
Hier, im Herzen der Stadt, wo Sander das tödliches Aufnahmeritual angefangen hat
und seine Träume von einer erfolgreichen Karriere ein jähes Ende fanden,
soll der ambitionierte Student, Freund und Sohn nicht in Vergessenheit geraten.
Die Identitäten der 18 Ex-Verbindungsmitglieder werden bis heute geschützt.
Ihnen soll ein normales Leben ermöglicht werden.
Ein Leben, das Sander im Dezember 2018 in der eiskalten Grube im Wald genommen wurde.
Und das finde ich so eine Frechheit.
Und auch, dass die keinen Eintrag ins Strafregister bekommen.
Also own it, ja.
Ich meine, sagt ja hier offenbar auch niemand, dass ihr den mit Absicht getötet habt und so.
Aber wie kann man so tun, als hätte man in dem Moment, wenn man sowas macht, nicht gewusst, wie gefährlich das sein kann.
Man kann mir auch nicht erzählen, dass man solche Taufen irgendwie sich ausdenkt, ohne einmal vorher darüber zu recherchieren, was das mit dem Körper anstellt.
Und dann nicht den Rettungswagen zu rufen rechtzeitig.
Ich finde es einfach so dumm.
Ich finde es so dumm.
Und es wäre für mich so ein Ick, wenn jemand mir sagen würde, der ist in einer Studentenverbindung.
Also die sowas halt macht, ja.
Ja.
Und schon gesunder Menschenverstand.
Also jeder sieht doch und weiß doch, was sowas, ja.
So ein Alkoholkonsum.
Und dann kein Wasser aufzunehmen, nichts zu essen und dann noch in dieser eisigen Kälte auszuharren.
Also das müsste eigentlich jeder wissen, dass das einen an die körperlichen Grenzen bringt.
Aber das Ding ist ja auch, sie haben es ja auch gesehen.
Und es gibt ja auch Videos und Fotos von Sander, die ganz klar beweisen, dass sie hätten eingreifen müssen.
Ich frage mich auch, was ist daran so geil, sich gegenseitig zu beweisen, dass man sich anpissen lässt und so.
Weil das ist ja immer so das Argument von den Leuten, die es machen.
Ja, ich musste da ja auch durch.
Ja, ist man da jetzt stolz drauf und so?
Fandst du das jetzt geil?
Ja, ich verstehe es halt irgendwie nicht so richtig, was daran irgendwie toll sein soll.
Man muss es halt aushalten, man muss sich da durchbeißen.
Warum macht man denn nicht, wenn man irgendwie eine exklusive Gemeinschaft will?
Warum legt man denn nicht einen Intelligenztest fest?
Zum Beispiel, ich meine, dass die dir nicht bestehen würden, ist mir schon klar.
Oder man nimmt halt irgendwas Sportliches oder so.
Irgendwas, wo man daran feststellen kann, ah, die Personen, die können irgendwas Tolles oder so.
Ja, also so kann man ja auch selektieren.
Ich denke mal so, wenn ich mit Leuten abhänge und wir haben vorher alle aufeinander uriniert oder so.
Also da habe ich ja nicht mehr Respekt vor den Leuten.
Also wenn man das jetzt aus anderen Gründen macht, mir ja egal.
Aber die machen das ja, weil die das eklig finden.
Nee, und was soll denn das auch beweisen?
Also was sind denn, guck mal, also was machen die in ihrer Freizeit?
Das hört sich an, das sind alles elitäre Sprösslinge von irgendwelchen AnwältInnen und ÄrztInnen und so weiter.
Müssen die in ihrem Alltag irgendwie besondere Willenskraft und besonderes Durchhaltevermögen an den Tag legen?
Nein.
Also es ist einfach so, weißt du, was ich meine?
Es ist noch nicht mal, dass man es irgendwie verargumentieren könnte, dass man halt nur diese Leute da braucht,
weil die halt jeden Tag in den Krieg ziehen und sich durchhalten müssen.
Nee, die sitzen einfach in ihrer BWL-Bibliothek vor ihrem Macbook, ja.
Ja, und ich meine, mir tut das total leid, weil wenn du tatsächlich so jemand bist, der nicht dazugehört, aber denkt, du, ne, also ich meine, Sander war ja der Überzeugung, er braucht diese Verbindungen später und so.
Und ich kann das verstehen, wenn das in einem Umfeld ist, wo viele in so einer Verbindung sind, ne, dass man das Gefühl hat, man ist dann wieder die abgehängte Person, wenn man da nicht mitmacht, ja.
Ja, ich glaube, das hat auch eine ganz große Rolle gespielt für Sander, der ja schon immer irgendwie diesen Traum hatte, einen tollen Job zu finden und es seinem Vater zu beweisen und so weiter.
Und ach, das ist dann nochmal irgendwie doppelt tragisch, ja.
Und dass er der Einzige war, der das quasi richtig und ehrlich mitgemacht hat, ach ja, da könnte man auch einmal nochmal kurz natürlich festhalten, dass er nicht, wie Adrian und Lukas hier vielleicht ein bisschen suggeriert haben, wegen seiner Ehrlichkeit gestorben ist, ne, sondern er ist gestorben, weil die anderen ihm diese Aufgaben gestellt haben.
Ja, das war es für heute mit einer Einzelfolge und in der nächsten Woche geht es mit einem Oberthema weiter, das sehr viele Menschen, vielleicht auch einige.
in eurem Umfeld betrifft.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Isabel Mayer und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.