00:00:08
Also Laura, Justizias Wille ist ja jetzt vorbei.
00:00:13
Was macht man denn jetzt mit der ganzen Freizeit?
00:00:16
Ja, ich bin total überfordert.
00:00:17
Ich weiß gar nicht, wohin mit mir.
00:00:20
Gib mir was zu tun, Paulina.
00:00:24
Das ist natürlich Quatsch.
00:00:26
Es ist ganz schön viel liegen geblieben bei uns die letzte Zeit.
00:00:28
Aber wie das halt so ist, man stützt sich trotzdem gleich wieder in neue Projekte.
00:00:32
Wir bereiten ja die Tour vor und meine Doku ist jetzt auch rausgekommen.
00:00:36
Schutt & Süne ist ja in die zweite Staffel gegangen, die aus zwei Filmen besteht.
00:00:40
Und der erste davon, der heißt Schüsse aus der Finsternis.
00:00:42
Und den könnt ihr jetzt in der ZDF Mediathek ansehen.
00:00:45
Ja, ich muss das unbedingt noch nachholen.
00:00:48
Aber vielleicht kannst du auch ein bisschen teasen, damit man ein bisschen weiß, worum es geht.
00:00:52
Genau, es geht um eine Verfolgungsjagd.
00:00:54
Zwei Polizisten entdecken verdächtige Personen auf ihrer Streife, verfolgen die und die eröffnen dann das Feuer.
00:01:02
Einer aus dem Polizeiteam stirbt dann.
00:01:05
Und die Ermittlungen sind ziemlich schwierig, bis die Polizei dann auf einen Hinweis trifft, der diesen Fall mit einem Verbrechen weit aus der Vergangenheit verbindet.
00:01:16
Und es stellt sich also heraus, hinter dem Verbrechen steckt auch noch viel mehr, als dass zwei Flüchtige auf die Polizei geschossen haben, weil sie Angst vor denen hatten.
00:01:26
Es gibt also eine echt interessante Wendung in dem Fall.
00:01:29
Und den haben wir natürlich auch noch nicht bei Mordlust besprochen.
00:01:31
Und wir packen euch mal den Link zu der Doku in die Folgenbeschreibung.
00:01:35
Und jetzt geht's los mit Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
00:01:40
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:01:43
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:01:45
Und ich bin Laura Wohlers.
00:01:47
Heute haben wir wieder ein Oberthema für euch.
00:01:49
Zudem wird zwei Kriminalfälle nachher erzählen, darüber diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
00:01:54
Hier geht's um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen.
00:01:58
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
00:02:00
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen ungehemmter miteinander sprechen.
00:02:05
Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:02:09
Also wir behandeln heute ein Thema, das viel zu viele im Umfeld von uns eigentlich betrifft.
00:02:14
Meist wissen wir darüber gar nichts.
00:02:17
Und zwar geht's um Gewalt, die man zu Hause erlebt.
00:02:20
Und ich hab mich ein bisschen gewundert, dass du sagst, du hast damit noch gar keine Berührung in deinem Umfeld gemacht auch, ne?
00:02:26
Also wahrscheinlich, weil es keine äußerlichen Anhaltspunkte dafür gab, wie jetzt vielleicht so blaue Flecken.
00:02:32
Oder weil man sich nicht getraut hat, mir das zu erzählen.
00:02:36
Was ich aber ehrlicherweise gut nachvollziehen kann, weil ich hab auch schon mal was in einer Beziehung erlebt, was sehr übergriffig war.
00:02:44
Und zwar hat mir mein Ex-Freund ins Gesicht gespuckt.
00:02:49
Und ich hab länger überlegt, ob ich das hier überhaupt erzählen soll, weil ich dann auch so ganz doofe Gedanken hatte, wie wenn ich das erzähle, dann könnte man ja sagen, das hätte ich nie gedacht, dass Laura sowas mit sich machen lässt.
00:03:04
Ja, und das ist so krass, weil du hast ja in dem Moment keinen Einfluss darauf.
00:03:08
Es passiert ja auf einmal.
00:03:10
Und ich weiß ja auch genau, dass es diese Reaktion gibt von Opfern von Gewalt und dass es falsch ist.
00:03:17
Und trotzdem hab ich diesen Gedanken auch gehabt, obwohl ich mich ja so oft damit beschäftige, was mich echt ein bisschen beunruhigt hat auch.
00:03:24
Ja, es ist dieses Schamgefühl, weshalb viele sich dann halt eben auch nicht mitteilen.
00:03:28
Und dabei betrifft das ja so viele.
00:03:30
Also die meisten meiner Freundinnen haben schon mal irgendwann eine Gewalterfahrung gemacht in der Beziehung.
00:03:35
Allerdings auch unterschiedlich ausgeprägt.
00:03:37
Eine Sache möchte ich jetzt nicht so gerne erzählen, aber bei der anderen zum Beispiel, da hat mein Ex-Freund mal eine Fernbedienung nach mir geworfen.
00:03:43
Und zwar aber richtig mit Schmackes auf den Kopf gezielt.
00:03:48
Andere wiederum haben da tatsächlich von mehreren Erfahrungen auch in Beziehungen erzählt, wo sich das wirklich wie so ein Verhaltensmuster immer wieder durchgezogen hat.
00:03:57
Was ich ganz erschreckend fand, weil mir das bis dahin nicht klar wurde, sondern erst in dem Moment, wo wir halt wirklich dann so offen in der Gruppe darüber geredet haben.
00:04:05
Und wo mir dann auch das erste Mal bewusst wurde, wie häufig das eigentlich passiert.
00:04:10
Und dass halt ganz viele, und das sagen ja auch die Zahlen in ihrem Leben, und nicht nur Frauen.
00:04:15
Ich habe gerade auch erst wieder eine Geschichte von einem Mann gehört, der mal eine gewischt bekommen hat.
00:04:20
Also das finde ich wirklich auch ganz, ganz schlimm.
00:04:23
Und ich finde das ganz schlimm, das Gewalt von Frauen, Männern gegenüber, gerade die so Backpfeife und so.
00:04:29
Dass das immer noch hier, habe ich gerade neulich irgendwo gehört, Prinzessinnenbackpfeife, so nach dem Motto.
00:04:35
Ja, also das ist körperliche Gewalt.
00:04:37
Und das wird dann irgendwie von einigen Leuten hier noch so hingenommen.
00:04:40
Und was ich natürlich gerade an diesen Geschichten so erschreckend fand, ist, das ist halt in den meisten Fällen da passiert, wo man sich ja eigentlich am sichersten fühlen sollte.
00:04:49
Und das ist zu Hause.
00:04:50
Und das waren entweder Familienangehörige, die die Gewalt ausgeübt haben, oder halt eben der Partner oder die Partnerin.
00:04:56
Also so Leute, von denen man ja eigentlich ausgeht, die sollen einem was Gutes tun.
00:05:00
Ja, und das Thema kam ja auch schon öfters hier bei Mordlust irgendwie zur Sprache, also in anderen Fällen.
00:05:06
Aber so explizit haben wir uns der häuslichen Gewalt ja noch gar nicht gewidmet.
00:05:11
Und ehrlich gesagt waren wir, als wir uns jetzt für dieses Thema entschieden haben, selbst kurz überrascht, dass wir in 150 Folgen darüber halt noch nie so explizit gesprochen haben.
00:05:20
Also wir hatten natürlich schon Fälle, bei denen häusliche Gewalt eine Rolle gespielt hat, aber es war nie so im Fokus, wie das heute der Fall sein soll.
00:05:29
Dabei ist es ein großes Problem in Deutschland.
00:05:32
Laut dem Bundeskriminalamt waren 2022 mehr als 240.000 Menschen davon betroffen.
00:05:40
Und das sind ein Viertel aller Opfer, die in der polizeilichen Kriminalstatistik erfasst werden.
00:05:45
Und das sind ja, wie wir wissen, nur die Fälle, die bei der Polizei bekannt sind.
00:05:50
Häusliche Gewalt findet aber ja hinter verschlossener Tür statt.
00:05:54
Und deshalb gehen Expertinnen und Opferverbände auch davon aus, dass das Dunkelfeld sehr groß ist.
00:06:00
Der Weißring zum Beispiel glaubt, dass 80 Prozent der Fälle im Verborgenen bleiben.
00:06:06
Und von zwei Fällen, die es ins sogenannte Hellfeld geschafft haben, erzählen wir euch in dieser Folge.
00:06:11
Mein Fall zeigt, dass ein Zuhause nur wenig mit vier Wänden und einem Dach zu tun hat, sondern mehr mit Liebe und Geborgenheit.
00:06:19
Alle Namen habe ich geändert.
00:06:22
Die Vögel zwitschern und die Blumen sprießen an dem Tag, an dem sich Paula und Max das Ja-Wort geben.
00:06:29
All ihre Liebsten sind gekommen, um im Rahmen einer Gartenparty auf das junge Paar anzustoßen.
00:06:36
Niemand ist sonderlich schick gekleidet.
00:06:37
Selbst Paula, die Braut, trägt Jeans und eine Windjacke.
00:06:41
Trotzdem sind alle Augen auf sie gerichtet, denn die 27-Jährige, mit dem langen, blonden Haar und den freundlichen Augen, strahlt mit der Sonne um die Wette.
00:06:50
Jeder kann ihr ansehen, dass sie glücklich ist, mit Max, der heute gleichzeitig seinen 31. Geburtstag feiert.
00:06:57
Dabei hat Paula ihren Ehemann erst vor sechs Wochen im Studium der Zahnmedizin kennengelernt.
00:07:02
Doch trotz der kurzen Zeit ist sich Paula jetzt schon sicher, Max ist die Liebe ihres Lebens und sie ist seine.
00:07:09
Das sagt er ihr immer wieder.
00:07:10
Deshalb hebt auch sie ihr Glas, als die Hochzeitsgäste auf das frisch vermählte Paar anstoßen.
00:07:16
Auf die Ehe, die zunächst erfüllt sein wird von Freude und Glück, bevor sie schleichend andere Gefühle darin breit machen.
00:07:24
Gefühle wie Eifersucht und Angst, die nicht nur eine, sondern gleich drei Familien zerreißen werden.
00:07:31
Nach der Hochzeit im Garten dauert es nicht lang, bis es Paula und Max auch langfristig ins Grüne zieht.
00:07:37
Sie kaufen einen alten Hof am Westensee in der Nähe von Kiel.
00:07:41
Hier, umgeben von Wäldern, Wiesen und Wasser, wollen sie ein Zuhause schaffen, für die große Familie, die sie sich wünschen.
00:07:48
Ein Baby ist schon auf dem Weg, denn nur wenige Monate nach der Hochzeit ist Paula schwanger.
00:07:53
Als sie Max davon erzählt, ist der überglücklich.
00:07:56
Nur mit den Renovierungsarbeiten muss es jetzt vorangehen.
00:07:59
Denn aktuell können sie nur ein einziges Zimmer in dem riesigen Haus bewohnen.
00:08:03
Also gibt Max Gas.
00:08:05
Wann immer er nicht studiert oder als Zahntechniker jobbt, um Geld zu verdienen, gilt seine ganze Aufmerksamkeit dem Ausbau des Hauses.
00:08:12
Paula auf der anderen Seite soll ihr Studium erstmal pausieren, findet Max.
00:08:16
So kann sie sich auf die Schwangerschaft und den Haushalt konzentrieren und auf ihr Hobby, das Reiten.
00:08:23
Früher, zu Hause in Flensburg, ist sie mit ihrer älteren Schwester Tina und ihrer Mutter geritten.
00:08:28
Jetzt freut sie sich darauf, dass sie den Sport einmal ihren eigenen Kindern näher bringen kann.
00:08:32
In ihrem Zuhause, auf dem Land, das immer gemütlicher wird.
00:08:38
In das große Landhaus, das einst heruntergekommen war, ist Leben eingekehrt.
00:08:47
Das Lachen von vier Kindern, drei Jungen und einem Mädchen, halt durch die großzügigen Räume.
00:08:52
Auf der Terrasse bellt der Familienhund und im Garten gackern die Hühner.
00:08:56
Mittendrin sind Paula und Max, deren Traum von der großen Familie wahr geworden ist.
00:09:02
Max führt mittlerweile eine Zahnarztpraxis im Dorf, nur wenige Minuten von zu Hause entfernt.
00:09:07
Er ist gesprächig, jeder in der Nachbarschaft kennt ihn.
00:09:10
Paula ist eher schüchtern und zurückhaltend.
00:09:13
Sie hat einige gute Freundinnen im Dorf und verbringt ansonsten jede freie Minute,
00:09:18
die sie nicht mit ihren Kindern oder im Haushalt zu tun hat, bei den Pferden.
00:09:22
Die anmutigen Tiere sind ihr Ausgleich, ihr Ruhepol.
00:09:25
Außerdem hat sie vor zwei Jahren ihr Studium der Zahnmedizin wieder aufgenommen.
00:09:29
Max wünscht sich, dass sie einmal in seine Praxis einsteigt.
00:09:32
Tatsächlich treibt Paula aber eine andere Motivation an.
00:09:36
Sie will finanziell unabhängiger werden.
00:09:39
Denn Paula ist jetzt 43 Jahre alt und sie liebt ihr Leben auf dem Land.
00:09:44
Aber all das ist an Max gekoppelt und an sein Gehalt.
00:09:48
Und auch wenn von außen wenig darauf hindeutet, denkt Paula schon seit Jahren über eine Trennung nach.
00:09:54
Denn hinter der idyllischen Fassade, die sie aufrecht erhalten, herrscht die Wut.
00:09:59
Darauf weisen die zerschlagenen Möbel hin, die auf der Terrasse stehen.
00:10:03
Ein zertrümmerter Fernseher oder die gesprungenen Gläser von Familienbildern, die einst an den Wänden hingen.
00:10:09
Max schlägt auf die Möbel ein, wenn er wütend ist.
00:10:12
Zum Beispiel, weil die Kinder die Fernbedienung nicht finden
00:10:15
oder weil Paula ihm seiner Meinung nach nicht genug Anerkennung und Liebe schenkt,
00:10:19
für das Geld, das er verdient.
00:10:21
Nur fällt es Paula mit jedem Streit schwerer, ihm gegenüber Nähe zuzulassen,
00:10:26
weil da, wo mal Liebe war, längst Angst eingezogen ist.
00:10:30
Damit er seine Wut nicht weiter an den Möbeln auslässt,
00:10:33
hat Paula ihm einen Sandsack besorgt, den er boxen kann.
00:10:36
Drei Monate ging das gut, dann ist Max wieder in alte Muster verfallen.
00:10:41
Einmal ist er so aggressiv geworden, dass sich Paula im Badezimmer eingeschlossen hat.
00:10:45
Doch Max hat auf die Tür eingehämmert, bis er vor ihr stand, groß und breit wie ein Turm,
00:10:50
schäumend vor Wut, während Paula sich ganz klein gemacht hat.
00:10:53
So geht das seit Jahren.
00:10:55
Max hat ihr Zuhause mit seinen eigenen Händen aufgebaut,
00:10:58
um jetzt mit denselben Händen darauf einzuschlagen.
00:11:01
Nur was er nicht merkt, ist, dass er damit etwas viel Kostbares zerstört.
00:11:05
Die Familie, die darin lebt.
00:11:07
Denn es sind nicht nur Max Wutausbrüche, die Paula und die Kinder aushalten müssen,
00:11:13
sondern auch seine Abwesenheit.
00:11:15
Oft ist Max tagelang weg, auf Geschäftsreise oder im Urlaub.
00:11:19
Sogar über die Weihnachtsfeiertage ist er allein verreist.
00:11:23
Paula fühlt sich dann im Stich gelassen mit der Erziehung und mit dem Haushalt.
00:11:27
Sie weiß oft nicht mal, wo genau sich Max aufhält.
00:11:30
Nur, wer immer wieder dabei ist.
00:11:32
Britta, Max' Assistentin, die ihn auf Geschäftsreisen begleitet.
00:11:37
Reisen, die nicht mit Feierabend, sondern gemeinsam im Bett enden, vermutet Paula.
00:11:42
Einmal, als Max mit Britta unterwegs war,
00:11:45
hat Paula nämlich einen fremden Slip und eine Zahnbürste im Auto ihres Ehemannes gefunden.
00:11:50
Ey, stell dir mal den Moment vor, wie das erstmal rattert
00:11:54
und dann realisiert man, was das eigentlich bedeutet, so ein Slip im Auto.
00:11:58
Ja, weil erstmal denkst du ja so, hä, wieso habe ich hier meinen Slip vergessen oder so,
00:12:03
weil man dann ja erstmal denkt, ah, das ist bestimmt meiner und ich habe jetzt einfach vergessen, wie der da hingekommen ist.
00:12:09
Weil man sich natürlich irgendeine Erklärung dafür zurechtlegen will, die nicht was Schreckliches bedeutet.
00:12:15
Ich habe neulich auch einen fremden Slip gefunden.
00:12:19
In meiner Unterwäscheschublade.
00:12:22
Von wem war denn der bei dir?
00:12:23
Ja, haben wir die jetzt vertauscht?
00:12:25
Nee, ich weiß von wem.
00:12:27
Du weißt von wem deiner ist?
00:12:28
Ja, der ist nicht von dir.
00:12:30
Woher weißt du das?
00:12:31
Der ist dir zu groß.
00:12:33
Nee, der ist ja zu groß.
00:12:34
Also, das ist was, das passiert Männern nicht.
00:12:40
Das ist so absurd, wie oft ich schon irgendeinen Slip bei mir gefunden habe und gedacht habe, komisch.
00:12:50
Na, aber passt der denn?
00:12:53
Das weiß ich nicht.
00:12:55
Ich habe den doch nicht angezogen.
00:12:56
Also, ich habe genug Unterbumpeln.
00:13:00
Naja, aber Paula hat den Slip im Auto gefunden und sie weiß, das ist nicht ihrer.
00:13:08
Und dann ist natürlich auch die Frage, hat die Britta den vielleicht mit Absicht da liegen lassen?
00:13:13
Weil ich denke mir, es würde doch auffallen, wenn man unten ohne auf einmal irgendwo rumläuft.
00:13:20
Also, Paula ist sich quasi sicher, ne?
00:13:22
Aber immer, wenn sie Max konfrontiert, streitet der alles ab und wird wütend.
00:13:28
Vor einem Jahr hat er sie deshalb sogar am Bett fixiert und ihr ein blaues Auge verpasst.
00:13:32
Damals hat Paula das hingenommen, weil sie Angst vor Max hatte.
00:13:37
Doch inzwischen hat sie seine Lügen satt, denn sie ist überzeugt davon, dass Max sie noch immer betrügt.
00:13:42
Und das soll er endlich zugeben, findet Paula.
00:13:45
Aber sie braucht Beweise.
00:13:47
Beweise, die so eindeutig sind, dass er nicht länger lügen kann.
00:13:51
Deshalb hat Paula heimlich ein Tonbandgerät in Max' Praxis angebracht, das sie im Mai 2020 in der Hand hält.
00:13:59
Bevor sie es abhört, ist sie nervös.
00:14:01
Sie hat Angst, dass sich ihre Vermutung bewahrheitet.
00:14:05
Andererseits will sie genau das, die Wahrheit.
00:14:07
Also drückt sie auf Play.
00:14:09
Und tatsächlich, zwischen PatientInnen-Gesprächen und Zahnbohrungen gibt es auch eine Stelle, an der Paula klar hören kann, wie zwei Menschen Sex haben.
00:14:17
Ey, wie schlimm ist das?
00:14:19
Das ist ja so schlimm.
00:14:20
Stell dir das mal vor.
00:14:22
Wobei ich sagen muss, wenn man der Meinung ist, dass man irgendwo eine Wanze verstecken muss, dann ist die Beziehung sowieso schon im Arsch.
00:14:29
Egal, ob sie das jetzt hören würde oder nicht.
00:14:32
Und hier erst recht, weil der ist gewalttätig und da gibt es ja auch keine Entschuldigung für.
00:14:36
Offenbar hat sie ihr Bauchgefühl da jetzt aber auch nicht getrübt.
00:14:40
Ich kann das an sich verstehen, dass man, wenn man diesen Verdacht hat und vielleicht ja auch selber an sich zweifelt, ob man nicht irgendwelche Geister die ganze Zeit sieht, dass man dann dafür Gewissheit haben will.
00:14:50
Ja, aber wenn man sich das vorstellt, diesen Moment, wo sie das dann hört, also das ist ja wirklich einfach nur furchtbar.
00:14:57
Paula hatte also recht.
00:15:00
Als Max an diesem Abend nach Hause kommt, ist sie stinksauer.
00:15:03
Sie will, dass er auszieht, sagt sie.
00:15:05
Sie hätte ja nicht hinhören müssen, sagt er.
00:15:09
Doch dann packt er tatsächlich seine Tasche und wirft die Tür hinter sich ins Schloss.
00:15:14
Paula ist erleichtert und verletzt zugleich.
00:15:18
Statt der Scherben, die sie nach Max' Wutausbrüchen regelmäßig beseitigen musste, liegt nun ihre Ehe in einem Scherbenhaufen.
00:15:24
Eine Ehe, die ihr zwar schon lange keine Liebe mehr gegeben hat, dafür aber eine finanzielle Sicherheit, ohne die sich eine erdrückende Existenzangst in ihr breitmacht.
00:15:33
Paula braucht noch zwei Semester, bis sie ihr Studium geschafft hat und auf eigenen Beinen stehen kann.
00:15:40
Und dann ist da jetzt noch Max, der sich in den kommenden Wochen immer wieder entschuldigt.
00:15:44
Er sagt, dass er sie liebe und dass er sich Hilfe suchen wolle.
00:15:48
Max schlägt eine Paartherapie vor.
00:15:51
Doch als Paula sich darauf einlässt, streiten sie sich schon in der ersten Sitzung so heftig, dass Paula die Therapie abbricht.
00:15:57
Sie sieht einfach keine Chance mehr für ihre Ehe.
00:16:01
Das macht sie Max ganz klar, bevor sie endgültig geht.
00:16:04
Von da an kommuniziert Max meistens im Monologen.
00:16:08
Die Nachrichten, die er schreibt, sind endlos, aber seine Entschuldigungen lassen Paula kalt.
00:16:13
Im November 2020, fünf Monate nach der Trennung, schreibt sie ihm schließlich, dass er erst lernen müsse, sich selbst zu lieben, bevor ihn jemand anders lieben könne.
00:16:22
Max antwortet, dass er glaube, ein Narzisst zu sein.
00:16:25
Paula schreibt zurück, dass sie das auch glaube.
00:16:27
Dann legt sie ihr Handy weg und geht reiten.
00:16:30
Die Kinder sind heute nicht zu Hause, deshalb hat sie Zeit.
00:16:34
Auf dem Rücken ihres Pferdes spürt sie den Wind in ihrem langen Haar.
00:16:37
Ihre Probleme werden ganz klein.
00:16:39
Solange, bis sie nach Hause kommt und die Probleme wortwörtlich vor ihrem Haus warten.
00:16:45
Es ist Max, der sich vor ihr aufbaut, so wie damals, als sie sich im Bad versteckte.
00:16:50
Er will reden, sagt er.
00:16:52
Sofort steigt in Paula die Angst auf.
00:16:54
Schnell geht sie ins Haus, doch Max folgt ihr und packt sie an beiden Oberarmen.
00:16:58
Er schreit, dass er auch Rechte an ihrem Zuhause habe.
00:17:02
Paula will nur, dass er sie loslässt, also tritt sie nach ihm.
00:17:06
Da wird Max noch aggressiver.
00:17:08
Er werde sie fertig machen, sagt er, bevor er ihr mit der Faust ins Gesicht schlägt.
00:17:13
Paula geht sofort zu Boden.
00:17:15
Blut läuft aus ihrer Nase auf den Boden im Hausflur.
00:17:20
Da holt Max mit seinem Fuß aus und tritt gegen Paulas Kopf.
00:17:24
Bevor er sich nach unten beugt und ihr mit dem Arm die Luft abdrückt.
00:17:28
Aus dem Augenwinkel kann Paula sehen, wie Max ein Messer zückt.
00:17:32
Unter Todesangst bittet sie ihn loszulassen.
00:17:35
Und tatsächlich.
00:17:36
Er hält inne, steckt das Messer weg und sein Griff wird lockerer.
00:17:41
Da steht Paula auf und rennt.
00:17:42
Raus aus der Tür.
00:17:45
Weg von ihrem Haus.
00:17:46
In die Arme eines überraschten Postboten.
00:17:49
Paulas Herz schlägt wie verrückt.
00:17:51
Adrenalin pumpt durch ihre Adern.
00:17:53
Ein Überlebensinstinkt ihres Körpers.
00:17:56
Wie in Trance bekommt sie mit, wie der Postbote sie zu ihren Nachbarinnen begleitet,
00:18:00
die den Rettungsdienst alarmieren.
00:18:02
Paula wird in die Notaufnahme des Uniklinikums gebracht.
00:18:05
Als sie dort die Frontkamera ihres Handys öffnet, kann sie ihr Spiegelbild kaum wieder erkennen.
00:18:10
Ihr Gesicht ist geschwollen.
00:18:12
Ihre Augen sind dunkel unterlaufen.
00:18:14
Sie hat etliche Blutergüsse.
00:18:15
Ihre Lippe ist aufgeplatzt.
00:18:18
Ihre Nase gebrochen.
00:18:21
Viel schlimmer ist aber die Angst, die noch immer tief in ihren Knochen sitzt.
00:18:24
Die Angst vor dem Mann, der sie krankenhausreif geprügelt hat.
00:18:28
Als Paula ihrer großen Schwester Tina die Fotos von ihrem entstellten Gesicht schickt, ist Tina geschockt.
00:18:35
Wenn er dich noch einmal in die Finger bekommt, dann bist du tot, sagt sie.
00:18:39
Ich weiß, antwortet Paula.
00:18:41
Nie wieder darf ihr Max so nahe kommen.
00:18:44
Als Paula nach mehreren Behandlungen noch am selben Tag aus dem Krankenhaus entlassen
00:18:50
wird, trifft sie daher alle Vorkehrungen, die in ihrer Macht stehen, um sich zu schützen.
00:18:55
Bei der Polizei erstattet sie Anzeige und mithilfe eines Anwalts erwirkt sie eine Gewaltschutzverfügung
00:19:01
gegen ihren Ehemann, der kurz darauf stattgegeben wird.
00:19:03
Max darf ihr gemeinsames Haus nun nicht mehr betreten und er darf Paula nicht näher als 100 Meter kommen
00:19:09
oder versuchen, sie zu kontaktieren.
00:19:11
Weder persönlich noch übers Telefon.
00:19:14
Sonst droht ihm ein Bußgeld oder die Haft, erklärt der Anwalt Paula.
00:19:18
Mehr kann sie rechtlich nicht gegen Max unternehmen.
00:19:20
Dafür aber physisch.
00:19:22
Als sie zu Hause ankommt, wo im Flur noch immer ihr Blut haftet, beschließt Paula, dass
00:19:28
ihr Zuhause zu einer sicheren Festung werden muss.
00:19:30
Für die Kinder und für sie.
00:19:32
Also lässt sie noch am selben Tag alle Schlösser austauschen und ruft einen befreundeten Elektriker,
00:19:37
um eine Überwachungskamera vor dem Haus zu installieren.
00:19:40
Doch die Angst, die in ihren Knochen sitzt, kann kein Schloss und keine Kamera aufhalten.
00:19:46
Vor allem, wenn es dunkel wird, kriecht sie in den kommenden Wochen unter Paulas Decke und hindert sie daran, zur Ruhe zu kommen.
00:19:52
Sie hat Angst, dass Max einen Weg ins Haus findet und plötzlich wieder vor ihr steht.
00:19:57
Oder dass er den Kindern etwas antut.
00:20:00
Bei den kleinsten Geräuschen schreckt sie aus dem Schlaf.
00:20:02
Dann pumpt ihr Herz wieder.
00:20:04
Das Einzige, was sie dann beruhigt, sind ihre Kinder, die mittlerweile mit ihr im Bett schlafen.
00:20:10
Paula braucht Ruhe und Abstand, um zu heilen.
00:20:14
Um ihren Kindern zu erklären, warum sie nicht länger mit ihrem Vater zusammen sein kann.
00:20:17
Warum sie Angst vor ihm hat.
00:20:19
Doch Max gibt ihr keine Zeit.
00:20:22
Stattdessen versucht er in den nächsten Monaten mit allen Mitteln die Festung, die Paula um sich aufbaut, einzureißen.
00:20:28
Immer und immer wieder ruft er an, schreibt WhatsApp-Nachrichten oder Briefe.
00:20:32
Meistens entschuldigt er sich für alles, was er getan hat.
00:20:35
Doch manchmal bricht auch die Wut aus ihm heraus.
00:20:38
Einmal droht der Paula am Telefon, dass er sie, die Kinder, die Pferde und sich selbst erschießen werde.
00:20:43
Mehrfach schleicht er ums Haus oder passt Paula im Auto ab.
00:20:47
Sie gibt dann die Nummer des Notrufs in ihr Handy ein und zeigt ihm das Display, bis Max wieder geht.
00:20:53
Dann versucht er sie wieder anderweitig zu erreichen.
00:20:56
Als Paula ihn auf ihrem Telefon blockiert, ruft er die Kinder an.
00:21:00
Manchmal schickt er auch gemeinsame Freundinnen vor.
00:21:03
Es scheint, als könne Paula Max nirgends entfliehen.
00:21:07
Also antwortet sie im Februar 2021 doch auf einen seiner Briefe.
00:21:11
Die Angst sei geblieben und für sie komme nur die Scheidung in Betracht, schreibt sie.
00:21:17
Ich gehöre dir nicht und ich möchte frei sein.
00:21:21
Liebe fordert nicht.
00:21:22
Liebe schlägt nicht.
00:21:24
Liebe verletzt nicht.
00:21:25
Liebe betrügt nicht.
00:21:26
Liebe manipuliert nicht.
00:21:29
Woher ist das nochmal?
00:21:30
Das ist doch von diesem Bibelfers, den jeder Arsch bei seiner Hochzeit vorlesen lässt.
00:21:36
Und den ich mir peinlicherweise ja mal tätowieren lassen wollte.
00:21:43
Du wolltest dir die beschlägt nicht tätowieren?
00:21:46
Nein, der Vers geht ein bisschen anders.
00:21:49
Aber der ist auch ultra lang.
00:21:51
Und deshalb war dann ja auch irgendwie klar, dass ich mir das jetzt nicht alles tätowieren lassen kann.
00:21:56
Und dann habe ich mir überlegt, ob ich mir nur den Bibelverweis stechen lassen soll.
00:22:02
Der ist folgendermaßen.
00:22:04
Erster Korintherbrief 13, 4 bis 8.
00:22:07
Stell dir mal vor, ich hätte mir das tätowieren lassen.
00:22:12
Also ich weiß natürlich, dass du eine sehr gläubige Person bist.
00:22:15
Und deswegen war das gar nicht nötig, dass du dir das jetzt quasi nochmal als Beweis für deine Religiosität, die das nochmal auf die Haut tackern lässt.
00:22:27
Also das weiß ja jeder auch so.
00:22:29
Also was ich mir schon alles auf meinen Rippenbogen habe schreiben wollen.
00:22:34
Weißt du, was ich auch noch wollte?
00:22:36
Das war auf jeden Fall von der Aperol-Werbung.
00:22:40
Also den Liedtext.
00:22:44
Und was bedeutete der?
00:22:45
Der bedeutete, alles verändert sich.
00:22:48
Mein Cousin hat auch auf dem Arm tätowiert, die Perfektion der besten Art und Weise.
00:22:55
Von den Sportfreunden.
00:22:56
Das ist ja auch geil.
00:23:00
Und ich denke mir ja so, gut, aber ich darf ja nicht sagen, was peinliche Tattoos angeht.
00:23:06
Aber ich bin sehr froh, weil ich war ja kurz vor Playboy Bunny am Knöchel, was mich natürlich ewig als Landei ausgewiesen hätte.
00:23:14
Mit einem fragwürdigen Freundeskreis zu Teenager-Zeiten.
00:23:17
Ich weiß wieder, was ich mir tätowieren lassen wollte.
00:23:24
Das ist von diesem Lied hier.
00:23:25
Naja, und dann habe ich mir natürlich eingeredet, dass das super gut passt, weil sich immer alles verändert und nichts bleibt, wie es ist.
00:23:50
Damit hast du recht und zum Glück fällt darunter auch der Wunsch, sich so ein Tattoos stechen zu lassen.
00:23:55
Jetzt geht's mal weiter.
00:23:57
Ja, kommen wir zurück zu Paula, die den Brief geschrieben hat.
00:24:00
Als sie den Brief in einen Umschlag steckt, hofft sie, dass es die letzten Worte sind, die sie austauschen.
00:24:07
Sie will mit dem Terror abschließen und wieder Freude einziehen lassen.
00:24:10
In ihr Herz und in die vier Wände, in denen sie mit ihren Kindern lebt.
00:24:16
Drei Monate später, Mitte Mai 2021, kann Paula sagen, dass sie das geschafft hat.
00:24:22
Sie hat viel Rückhalt von ihrer Familie erfahren, zum Beispiel von ihrer Schwester Tina, aber auch von Freundinnen, von denen sie es nicht erwartet hätte.
00:24:30
Oliver zum Beispiel, der befreundete Elektriker, der die Überwachungskamera an ihrem Haus installiert hat, hat immer wieder nach ihr gefragt und ab und zu Brötchen vorbeigebracht.
00:24:41
Erst war sie ihm gegenüber reserviert, weil sie inzwischen herausgefunden hat, dass Oliver Max eine Wohnung für seine Affäre bereitgestellt hatte.
00:24:48
Doch inzwischen hat sie ihm verziehen.
00:24:50
Denn auch Oliver ist nicht mehr gut, auf Max zu sprechen.
00:24:53
Seit er gesehen hat, wie Max Paula zugerichtet hat, möchte Oliver nichts mehr mit ihm zu tun haben.
00:24:58
Das hat er ihm klar gemacht.
00:25:01
Paula ist dankbar um Menschen wie Tina oder Oliver, die ihr dabei helfen, das Geschehene zu verarbeiten und die ihr Kraft geben, sich nach 16 Jahren Ehe neu zu erfinden.
00:25:12
Mut zu haben, neue Dinge auszuprobieren.
00:25:15
Eines dieser Dinge ist das Online-Dating.
00:25:18
Paula hat sich auf Tinder angemeldet und dort Jan kennengelernt.
00:25:23
Er ist 52 und professioneller Kitesurfer.
00:25:26
Seine zwei Kinder sind bereits erwachsen, deshalb ist er meistens unterwegs, am Meer oder in den Bergen.
00:25:32
Auf dem Kite- oder Surfboard, auf Skiern oder mit dem Wohnmobil.
00:25:35
Jan ist aktiv und abenteuerlustig, aber auch liebevoll und offen für Neues.
00:25:41
Paula hat ihm schon das Reiten näher gebracht.
00:25:43
Sie lernen sich gerade erst kennen, aber mit Jan ist alles so leicht.
00:25:48
In seiner Gegenwart blüht sie auf.
00:25:49
Ein Gefühl, von dem Paula vergessen hatte, wie es sich anfühlt.
00:25:53
Und das vom herrlichen Frühling noch unterstützt wird, der jetzt den dunklen Winter ablöst, der hinter ihr liegt.
00:26:00
Das Wetter ist sehr traumhaft, lässt Paula Jan am Morgen des 19. Mai wissen.
00:26:06
Ich freue mich auf dich, schreibt er zurück, kurz bevor sie gegen 11 Uhr an seinem Reihenhaus in Dänischenhagen einige Ortschaften weiter ankommt.
00:26:14
Als sie klingelt und er ihr die Tür öffnet, lächeln sich beide an.
00:26:18
Doch in derselben Sekunde halt ein Schuss durch die Luft.
00:26:22
Er ist der erste von vielen.
00:26:24
Am späten Abend desselben Tages klingelt das Telefon bei Paulas Schwester Tina, die gerade ihre Kinder ins Bett gebracht hat.
00:26:32
Am anderen Ende der Leitung ist er Nachbar von Paula.
00:26:35
Tina kennt ihn gut.
00:26:36
Seine Stimme zittert, als er sagt, dass er für sie da sei, falls sie Hilfe brauche.
00:26:42
Tina versteht nicht.
00:26:43
Ob sie es denn nicht gehört habe, entgegnet er.
00:26:46
Und dann sagt er die Worte, die ihr den Boden unter den Füßen wegreißen.
00:26:51
Es gab am Morgen eine Schießerei mit zwei Toten.
00:26:54
Paula ist eine von ihnen.
00:26:57
Tina kann das nicht glauben.
00:27:00
Ihre kleine Schwester soll tot sein?
00:27:02
Wieso erfährt sie das nicht von der Polizei?
00:27:04
Tina fühlt Panik in sich aufsteigen.
00:27:07
In ihrem Kopf sind lauter Fragezeichen.
00:27:09
Nur eine Sache ist für sie glasklar.
00:27:11
Es war Max, der den Abzug betätigt hat.
00:27:14
Direkt nach dem Anruf wählt Tina die Nummer der Polizei in Kiel, die ihr den Tod ihrer Schwester bestätigt.
00:27:21
Wo Paulas Kinder sein, will sie dann von den Beamtinnen wissen.
00:27:24
Die seien in Sicherheit.
00:27:25
Bei Max' Eltern.
00:27:27
Nur von Max fehlt jede Spur.
00:27:29
Es ist keine ruhige Nacht, die Tina bevorsteht.
00:27:32
Sie kann nicht verstehen, warum sie nicht über Paulas Tod verständigt wurde.
00:27:36
Oder warum ihre Nichte und ihre Neffen bei Max' Eltern sind und nicht bei ihr.
00:27:41
Gleichzeitig weicht der Schock über den Tod ihrer kleinen Schwester Stunde um Stunde der Trauer,
00:27:45
die sich wie ein dichter, schwarzer Schleier über sie legt.
00:27:48
Immer wieder muss sie an Paula denken und an das letzte Mal, als sie sich gesehen haben.
00:27:53
Erst vor drei Tagen waren sie mit den Hunden spazieren.
00:27:57
Zum ersten Mal seit langem wirkte Paula so glücklich, so hoffnungsvoll,
00:28:01
als hätte sie zurück ins Leben gefunden.
00:28:04
Als Tina am nächsten Morgen erwacht, sammeln sich bereits zahlreiche Berichte
00:28:08
über die Bluttat in Dänischen Hagen in den Zeitungen.
00:28:11
Und was sie darin liest, lässt die 47-Jährige erneut fassungslos zurück.
00:28:15
Die Presse schreibt von einem Maschinengewehr und mehr als 40 Schüssen,
00:28:20
die Paula und ihren Freund Jan getötet haben.
00:28:22
Doch es gibt noch ein Opfer.
00:28:25
Auch im 15 Kilometer entfernten Kiel wurde am späten Abend ein Mann tot in seiner Werkstatt aufgefunden.
00:28:31
Der Killerzahnarzt, wie Max inzwischen von der Boulevardpresse getauft wurde,
00:28:36
habe sich der Polizei gestellt und alle drei Tötungsdelikte gestanden.
00:28:39
Nur was die Taten miteinander zu tun haben, können sich weder die Presse noch die Polizei erklären.
00:28:45
Und auch Tina lassen die Informationen Fragen zurück.
00:28:48
Viele von Tinas Fragen bleiben bis zum Prozess ungeklärt,
00:28:52
der Ende Februar 2022 vor dem Landgericht in Kiel beginnt.
00:28:56
Aber nicht in den üblichen Gerichtssälen,
00:28:58
sondern in einem großen grauen Container, der coronabedingt aufgebaut wurde,
00:29:02
um die Teilnehmenden sowie Presse und BesucherInnen mit dem nötigen Sicherheitsabstand unterzubringen.
00:29:07
Viele JournalistInnen sind anwesend, sowie Hinterbliebene der drei Opfer, die die Nebenklage angenommen haben.
00:29:14
Daneben Paula hinterlassen auch die zwei getöteten Männer insgesamt fünf Kinder,
00:29:19
von denen einige am Prozess teilnehmen.
00:29:21
Paulas Schwester Tina auf der anderen Seite hat sich dagegen entschieden.
00:29:25
Sie möchte den Mann, der ihrer Familie so viel Leid zugefügt hat, nie wiedersehen.
00:29:29
Stattdessen wollen die PressevertreterInnen einen Blick auf Max erhaschen,
00:29:34
als er in grüner Outdoor-Jacke und mit FFP2-Maske vom Mund und Nase
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von vier Polizisten in den improvisierten Gerichtssaal geführt wird.
00:29:42
Seine Augen liegen in dunklen Schatten und die Adern auf seiner Stirn treten hervor,
00:29:46
als er eindringlich in die Kameras starrt.
00:29:48
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm dreifachen heimtückisch begangenen Mord aus niedrigen Beweggründen vor.
00:29:54
Und die Anklage, die zum Prozessauftakt verlesen wird, gibt Einblicke in die Abgründe,
00:29:59
die sich in den Monaten vor Paulas Tod in Max Kopf aufgetan haben.
00:30:05
Im Februar 2021, als Paula Max schreibt, dass sie die Scheidung will,
00:30:10
verliert er jegliche Hoffnung, dass er und Paula je wieder ein Paar werden.
00:30:13
Er ist sauer, dass sie nicht mit ihm spricht.
00:30:16
Er hat Angst vor dem finanziellen Ruin, weil er die Arbeit seit Wochen vernachlässigt
00:30:20
und weil er bei einer Scheidung Unterhalt zahlen müsste.
00:30:23
Und er hat Angst davor, ersetzt zu werden, weil er erfahren hat,
00:30:27
dass Paula im Internet nach einem neuen Partner sucht.
00:30:29
Max ist verzweifelt.
00:30:31
Die Situation scheint ihm ausweglos.
00:30:34
Er kann an nichts anderes mehr denken.
00:30:36
Schon vor Wochen hat er einen GPS-Tracker an Paulas Auto befestigt,
00:30:40
damit er rund um die Uhr abrufen kann, wo sie ist.
00:30:43
Deshalb ahnt er auch, dass Paula einen Mann kennengelernt hat,
00:30:46
bei dem sie auch schon übernachtet hat.
00:30:48
Der Gedanke daran lässt die Eifersucht in ihm hochkochen.
00:30:52
Und er kurbelt weitere, viel dunklere Vorstellungen an,
00:30:55
die sich in seinem Kopf einnisten.
00:30:57
In der Nacht vor der Tat liegt Max wach,
00:31:00
ruft immer wieder Paulas Standort ab
00:31:02
und googelt Begriffe wie Mörder, Gewissen,
00:31:05
Ehefrau erschossen und Psychologie-Femizide.
00:31:09
Bevor er um 7.30 Uhr in seine Praxis fährt, um sich zu bewaffnen.
00:31:15
Er hat seit Jahren den Jagdschein und eine ganze Sammlung an Gewehren,
00:31:18
die er im Keller seiner Zahnarztpraxis aufbewahrt.
00:31:21
Er greift zu einem Maschinengewehr und zu einer kleineren Pistole.
00:31:25
Dann setzt er sich wieder ins Auto und fährt zu einem Mietwagen,
00:31:28
den er geliehen hat, um unauffällig hinter Paula herzufahren.
00:31:31
Auch jetzt ermittelt er ihren Standort und folgt ihrem Auto bis nach Dänischenhagen
00:31:36
zum Haus von Jan.
00:31:37
Dort sieht er, wie Paula aussteigt und wie Jan ihr die Tür öffnet.
00:31:41
Im selben Moment greift Max zur Waffe, steigt aus dem Auto, zielt und drückt ab.
00:31:46
Das Knattern der Maschinenpistole stoppt erst, als das Magazin leer ist.
00:31:51
Da greift Max zu einem zweiten vollen Magazin.
00:31:54
Noch einmal 25 Schuss, die die am Boden liegenden toten Körper treffen.
00:31:59
Doch Max' Rachefeldzug ist noch nicht vorbei.
00:32:02
Unbeirrt setzt er sich ins Auto und fährt die 15 Kilometer nach Kiel zu Oliver.
00:32:07
Seinem früheren Freund und dem Mann, dem er inzwischen eine Mitschuld an seiner Trennung von Paula gibt.
00:32:13
Denn seine Zahnarzthelferin Britta ist nicht die einzige Frau,
00:32:16
mit der er sich ab und zu zum Sex in Olivers Wohnung getroffen hat.
00:32:20
Max hatte Affären mit zwei weiteren Frauen und Oliver wusste davon.
00:32:25
Er muss Paula davon erzählt haben, sonst hätte sie sich nicht von Max getrennt, glaubt Max.
00:32:30
Deshalb soll auch Oliver sterben.
00:32:32
Max parkt vor dem Laden des Elektrikers.
00:32:35
Der Schlüssel steckt von außen.
00:32:36
Er geht hinein, zieht mit der kleinen Pistole auf Olivers Kopf und schießt siebenmal.
00:32:41
Auch Oliver ist sofort tot.
00:32:45
An den Taten, so wie sie die Anklage schildert, bestehen keine Zweifel.
00:32:49
Zum einen, weil Max sie vor der Polizei bereits gestanden hat.
00:32:53
Zum anderen, weil sie vor den Augen von Zeuginnen geschehen sind.
00:32:56
Mehr als 30 von ihnen sind vor Gericht geladen.
00:32:58
Darunter Augenzeuginnen, aber auch Freundinnen, die Max und Paula seit Jahren kennen.
00:33:03
Das Bild, das sie von Max zeichnen, ist fast immer gleich.
00:33:07
Er habe zwei Gesichter.
00:33:09
Das des freundlichen Vaters, aber auch das eines Mannes, der oft grundlos wütend und herrisch wurde.
00:33:14
Ein Patriarch, der nicht damit klarkam, dass seine Frau ohne ihn leben wollte.
00:33:20
Frauenfreundinnen erzählen zudem, dass Max schon damals im Besitz von Waffen war.
00:33:24
Darunter auch Kriegswaffen und Pistolen aus der NS-Zeit, von denen die Polizei einige in seinem Tresorraum findet.
00:33:30
Ein Hinweis auf Max Kontakte ins rechte Milieu, die vor Gericht mehrfach eine Rolle spielen.
00:33:37
Nur, weshalb Max letztendlich drei Menschen hingerichtet hat, dafür hat vor Gericht keiner eine Erklärung.
00:33:42
Bis Max ankündigt, dass er sich selbst zur Sache einlassen möchte.
00:33:47
Als er schließlich das Wort ergreift, hoffen vor allem die Angehörigen der Opfer darauf, die Wahrheit zu hören.
00:33:53
Die Wahrheit darüber, warum ihre Liebsten auf so brutale Art und Weise aus dem Leben gerissen wurden.
00:33:59
Doch was stattdessen aus Max Mund kommt, sind nur Schutzbehauptungen.
00:34:03
Laut Max habe er damals, als er Paula die Nase gebrochen hat, nur sachlich mit ihr reden wollen.
00:34:10
Aber sie habe ihn getreten und ihm das Gespräch verwehrt.
00:34:13
Genau wie am Tag ihres Todes.
00:34:16
Auch da wollte er nur mit ihr sprechen.
00:34:19
Warum er dann zur Waffe gegriffen habe, könne er selbst nicht verstehen.
00:34:22
Die Dinge seien in ihm entdrückt gewesen, sagt Max immer wieder.
00:34:26
Nach der Tat sei der Druck kurzzeitig von ihm abgefallen.
00:34:30
Er habe Oliver davon erzählen wollen, deshalb sei er zu ihm gefahren.
00:34:34
Doch vor Ort sei Oliver auf ihn losgegangen.
00:34:37
Deshalb habe er geschossen.
00:34:41
Ich kann es gar nicht vorlesen, ohne so ironisch zu werden.
00:34:45
Das ist ja einfach nur, was soll das?
00:34:48
Der kann doch nicht ernsthaft glauben, dass man ihm das glaubt.
00:34:51
Und es ist auch so respektlos den Toten gegenüber.
00:34:55
Ekelhaft, die kann man so dumm sein.
00:34:57
Also, dass er das auch selbst nicht traf, dass es komisch ist, wenn immer alle anderen die Schuldigen sind.
00:35:02
Das ist übrigens auch was, wo man meiner Meinung nach sehr hellhörig werden sollte,
00:35:07
wenn man halt jemanden gerade frisch kennenlernt.
00:35:09
Ja, voll die Red Flag.
00:35:11
Ja, und ich hatte doch mal vor einer Zeit einen Anruf von irgendeiner Person,
00:35:17
die jetzt völlig egal ist, aus meiner Vergangenheit bekommen.
00:35:19
Und der Mann, der hatte an dem Tag irgendwie sich auf die Fahne geschrieben,
00:35:23
mir jetzt zu erzählen und sich bei mir darüber auszuheulen,
00:35:25
dass er, die arme Sau, in seinem Leben ja nur an narzisstische Frauen geraten würde.
00:35:31
Ich so denke, so als ganz klar seine Diagnose.
00:35:37
Und zwar wirklich bis ins richtig Problematische hinein.
00:35:41
Was sich ja auch dann wieder in diesem Anruf so krass belegt und bestätigt hat.
00:35:48
Ja, aber was ich mich jetzt bei dem Fall hier auch noch frage, was ist denn mit dem Verteidiger?
00:35:54
Also, der muss doch wissen, wie das vor Gericht rüberkommt, wenn der sowas erzählt.
00:35:58
Ja, so wie ich das jetzt verstanden habe, ist das so gewesen, dass Max aus dem Nichts heraus dann sich äußern wollte.
00:36:05
Dass das quasi gar nicht so geplant war oder sowas.
00:36:08
Und ich habe den Max jetzt auch so eingeschätzt von der Recherche her,
00:36:12
dass da niemand ihm, auch nicht der Verteidiger, dann quasi hätte stoppen können.
00:36:17
Also, Max redet sich um Kopf und Kragen und natürlich glaubt ihm niemand.
00:36:23
Denn seine Taten sprechen für sich und sie gleichen einer Hinrichtung, keinem Klärungsgespräch.
00:36:29
Dass Max trotzdem so viel redet, entspricht seiner Persönlichkeit.
00:36:33
Und zwar verweigert er eine Untersuchung, trotzdem kann der psychiatrische Sachverständige
00:36:37
während der gesamten Hauptverhandlung narzisstische und histrionische Persönlichkeitszüge in Max' Verhalten erkennen.
00:36:42
Das habe ich mir schon gedacht.
00:36:44
Er sei auf Anerkennung angewiesen und verfalle hinsichtlich seiner Erfolge und seiner Probleme immer wieder in Rätseligkeit, sagt der Experte.
00:36:52
Eine krankhafte seelische Störung könne er aber nicht feststellen.
00:36:56
Max sei seiner Meinung nach voll schuldfähig.
00:37:00
Eine Einschätzung, der sich das Gericht Ende April nach einem zweimonatigen Prozess anschließt.
00:37:05
Max' Verteidigung hatte auf Totschlag plädiert, doch die Kammer hat keinen Zweifel daran,
00:37:09
dass der Angeklagte heimtückisch vorgegangen ist, als er am 19. Mai 2021 zu seinem Rachefeldzug aufbrach.
00:37:16
Deshalb wird Max wegen Mordes in drei Fällen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
00:37:21
Die besondere Schwere der Schuld wird festgestellt und die anschließende Sicherungsverwahrung angeordnet.
00:37:27
Max bekommt die Höchststrafe für den Femizid, der drei Menschen das Leben gekostet hat.
00:37:32
Jan, der die Wellen geliebt hat und nur wenige Monate vor seinem Tod Opa wurde.
00:37:37
Oliver, der seinen Einsatz für eine Freundin mit dem Leben bezahlen musste.
00:37:41
Und Paula, die frei und glücklich sein wollte und deshalb ermordet wurde.
00:37:48
Wenn Tina heute an ihre kleine Schwester denkt, dann daran, wie sie als Kinder ohne Sattel geritten sind.
00:37:53
Nur der Rücken der Pferde unter ihnen und der Wind in ihren Haaren.
00:37:57
Tina würde alles tun, um die Zeit zurückzudrehen und noch einmal mit Paula zu reiten.
00:38:02
Stattdessen lebt ihre Schwester in ihrem Herzen und in ihrer Erinnerung weiter.
00:38:07
Und in ihren Kindern.
00:38:09
Doch auch der Gedanke an sie versetzt Tina einen Stich ins Herz.
00:38:13
Denn Paulas jüngste Kinder leben nach wie vor bei Max' Eltern.
00:38:17
Und dort wird ihnen laut Tina die psychologische Hilfe verwehrt, die sie brauchen würden, um den Verlust ihrer Mutter zu verarbeiten.
00:38:25
Selbst der Kontakt zu Tina und ihrer Mutter wird von Max' Eltern eingeschränkt.
00:38:29
Das hätte Paula nicht so gewollt, da ist sich Tina sicher.
00:38:32
Sie wünscht sich mehr Kontakt zu ihren Neffen und ihrer Nichte.
00:38:36
Sie will, dass sie wissen, was für ein guter Mensch Paula war.
00:38:40
Wie mutig sie in den letzten Monaten ihres Lebens war.
00:38:42
Und dass sie sicher alles dafür gegeben hätte, heute noch bei ihnen zu sein.
00:38:47
Sie aufwachsen zu sehen und dass sie sie wahnsinnig lieb hatte.
00:38:51
Deshalb hat Tina auf dem Hof in Dänemark, auf dem sie lebt, Zimmer für ihre Neffen und ihre Nichte freigemacht.
00:38:57
Damit sie kommen können, wann immer sie möchten.
00:38:59
Tina weiß, dass sie ihnen nie die Mutter ersetzen könnte.
00:39:02
Aber sie bietet ihnen ein Zuhause im Grünen an.
00:39:05
Ein Zuhause voller Liebe und Geborgenheit.
00:39:09
Dass man bei so einer Tat dann auch keinen Gedanken an die Kinder verschwendet,
00:39:16
den man beide Elternteile damit nimmt, ja.
00:39:19
Das ist wirklich so ein Horrorfall.
00:39:21
Und was so besonders tragisch ist, ist, dass gerade als Paula irgendwie wieder zurück in ihr Leben findet
00:39:28
und nach vorne schauen will und diese schrecklichen Jahre und die ganze Angst und Gewalt hinter sich lassen kann
00:39:38
und einen neuen Mann findet, mit dem es mal leicht ist,
00:39:42
dann wird ihr das Leben genommen, weil ihr Ex damit nicht klarkommt.
00:39:46
Der selber mehrere Affären hatte und der selber nie zu Hause war und mit anderen irgendwo anders im Bett war.
00:39:55
Das hört sich an für mich wie so ein kleines Kind, das noch nicht gelernt hat, wie es ist, Sachen zu teilen.
00:40:02
Also man kann sich doch nicht so verhalten.
00:40:03
Soll er seine Frau teilen?
00:40:06
Nein, ich weiß ja, was du meinst.
00:40:08
Es ist auf jeden Fall so.
00:40:11
Also dieses, auch generell, dieses Fremdgehen und dann aber nicht darauf klarkommen,
00:40:16
wenn der Partner, der das ganz genau weiß, dasselbe macht.
00:40:20
Oder die Partnerin, ja.
00:40:21
Ja, und dabei ist sie ja nicht mal fremdgegangen, sondern...
00:40:24
Nee, nee, genau, sondern sie wollte einfach nur ein gutes Leben für sich und nicht mal das verkraftet, dieses Arsch.
00:40:29
Ja, und was mich an dem Fall auch so frustriert zurückgelassen hat, ist diese Tatsache,
00:40:35
dass Paula ja gegen Max vorgegangen ist und dass die Polizei wusste, dass der gewalttätig ist.
00:40:41
Also es gab ja dieses Annäherungsverbot und trotzdem konnte Max Paula weiter bedrohen und am Ende sogar töten.
00:40:48
Und zwar, weil die Maßnahmen zum Schutz von Opfern häuslicher Gewalt Lücken haben.
00:40:52
Und um die geht es jetzt in meinem AHA.
00:40:55
Also, wenn sich eine betroffene Person bei der Polizei meldet, dann kann sie dort zum einen Strafanzeige erstatten,
00:41:02
beziehungsweise Strafantrag stellen.
00:41:04
Zum anderen greift aber in Fällen häuslicher Gewalt das sogenannte Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten
00:41:10
und Nachstellung, kurz Gewaltschutzgesetz.
00:41:12
Auf die Möglichkeit, einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz zu stellen,
00:41:17
werden Betroffene dann bei der Polizei, bei Opferhilfestellen,
00:41:20
aber auch den zuständigen Familiengerichten standardmäßig hingewiesen.
00:41:24
Auf einen solchen Antrag hin ist es den Gerichten dann möglich,
00:41:28
Schutzanordnungen, also zum Beispiel so einem Annäherungsverbot zu erlassen,
00:41:32
um die Opfer schnell zu schützen.
00:41:34
Und die Betonung hier liegt auf schnell, weil deshalb war das Gesetz, als es 2001 eingeführt wurde,
00:41:39
so besonders, weil vorher konnten Betroffene natürlich auch eine Anzeige erstatten,
00:41:43
aber das hat dann natürlich erstmal längere Ermittlungen nach sich gezogen.
00:41:47
Was ja gefährlich werden kann, weil die Betroffenen bei häuslicher Gewalt ja mit ihren PeinigerInnen zusammenwohnen.
00:41:55
Das Gewaltschutzgesetz hat das also verändert, weil das folgt dem Grundsatz, wer schlägt, geht.
00:42:00
Also das bedeutet, die gewalttätige Person kann nicht nur von der Polizei sofort der gemeinsamen Wohnung oder dem Haus verwiesen werden
00:42:06
und das regelt dann die Anordnung, darf sie die Wohnung oder das Haus dann für die angeordnete Dauer nicht mehr betreten.
00:42:13
Und das ist deshalb wichtig, weil die Opfer, oft sind es Frauen, finanziell nicht selten abhängig sind und sich keine eigene Wohnung nehmen können.
00:42:23
Leider hält der Abstand aber meist nicht lange an, weil einerseits ist das Annäherungsverbot zeitlich begrenzt
00:42:30
und andererseits wollen die TäterInnen, so wie Max, natürlich unbedingt zurück nach Hause.
00:42:35
Und deshalb halten sie sich dann auch oft nicht an diese Gewaltschutzanordnung.
00:42:39
Eine Maßnahme, die neben der Wohnungsverweisung, der Strafanzeige bzw. dem Antrag und einer Gewaltschutzanordnung auch noch denkbar ist,
00:42:47
ist, dass die Polizei eine sogenannte Gefährderansprache durchführt.
00:42:50
Das kennen wir ja schon, also wenn die Polizei die Person beiseite nimmt und klar macht, dass man die Person jetzt auf dem Schirm hat
00:42:57
und wenn die Person wieder gewalttätig wird, dass dann rechtliche Schritte eingeleitet werden.
00:43:01
Das kann hilfreich sein, aber auch nicht immer, sagt Silvia Haller, unsere Expertin für die heutige Folge.
00:43:08
Sie ist eine der drei VertreterInnen der Zentralen Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser
00:43:13
und seit 2023 auch im Vorstand des Deutschen Frauenrats.
00:43:17
Im Interview hat sie betont, wie wichtig Maßnahmen wie das Annäherungsverbot oder die Gefährderansprache sind.
00:43:23
Sie hat aber auch erzählt, dass man in der Praxis immer wieder merkt, dass sich lange nicht jeder daran hält.
00:43:28
Das hängt sehr stark vom jeweiligen Mann in dem Fall ab, ob bei ihm solche Maßnahmen wirken.
00:43:35
Faktoren, die das beeinflussen, sind zum Beispiel, ob ich eingebunden bin in ein soziales Netzwerk,
00:43:41
ob ich Sorge habe, dass die NachbarInnen davon erfahren, ob mein Arbeitgeber, Arbeitgeberin vielleicht davon erfährt,
00:43:47
ob die Polizei, der Rechtsstaat Systeme für mich sind, die einen Einfluss auf mich haben
00:43:52
oder ob ich eben in dem Moment des Kontrollverlustes sozusagen all diese Faktoren vergesse
00:43:59
und mich in den Mittelpunkt meiner Wahrnehmung stelle und dann eben der Meinung bin,
00:44:03
ich kann jetzt diese Gewalt ausüben.
00:44:05
Es dreht sich alles nur um mich.
00:44:07
Die Frau hat sich nicht so verhalten, wie ich es mir vorstelle
00:44:10
oder sie wagt es eben, den Schritt der Trennung anzukündigen oder zu gehen
00:44:14
oder sie hat den schon vollzogen und dann ich eben in der Nacht oder am Abend
00:44:18
trotzdem wieder bei ihr vorm Hotelzimmer stehe
00:44:21
oder an irgendeinem Punkt sozusagen wieder Kontakt mit ihr aufnehme.
00:44:24
Eine Sache, die Silvia Hallers Meinung nach solchen TäterInnen helfen würde,
00:44:28
sei die Verpflichtung zur Teilnahme an einem TäterInnen-Programm,
00:44:32
das dann durch das Gewaltschutzgesetz vorgeschrieben werden sollte.
00:44:35
Also damit meinst du so eine Art Training, wo die TäterInnen an sich arbeiten
00:44:40
und dann lernen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen,
00:44:43
aber auch andere Konfliktlösungsstrategien als Gewalt anzuwenden.
00:44:48
Sowas in der Art gibt es zum Beispiel schon in Österreich.
00:44:50
Da müssen TäterInnen, gegen die so ein Annäherungsverbot ausgesprochen wurde,
00:44:54
seit 2021 zumindest eine Gewaltpräventionsberatung machen.
00:44:59
Das ist jetzt kein Training, sondern so ein Gespräch, das geht sechs Stunden
00:45:02
und das kann man sich wie eine Art Therapiesitzung vorstellen.
00:45:04
Ja und in Spanien gibt es seit 2009 elektronische Fußfesseln
00:45:08
beziehungsweise Armbänder für Männer, die Frauen gegenüber gewalttätig waren.
00:45:13
Die Täter und die Betroffenen bekommen da dann beide so einen Sender,
00:45:17
den die immer bei sich tragen müssen und auf dem ein Mindestabstand eingestellt wird.
00:45:22
Und wenn der nicht eingehalten wird, dann werden automatisch Sicherheitskräfte alarmiert,
00:45:26
die Frau wird gewarnt und der Mann aufgefordert, die Umgebung zu verlassen.
00:45:30
Und so eine Warnung geht auch raus, wenn das Fuß oder Armband abgenommen wird, beschädigt ist oder der Akku leer geht.
00:45:38
Und laut der FAZ waren Ende 2023 mehr als 4000 solcher Geräte im Einsatz.
00:45:43
Und diese Geräte wurden in Spanien tatsächlich in erster Linie zum Schutz von Frauen eingeführt.
00:45:49
Von häuslicher Gewalt sind aber natürlich auch Männer betroffen.
00:45:52
Und zwar sind laut BKA-Statistik 30 Prozent der Betroffenen von häuslicher Gewalt männlich.
00:45:58
Und man kann ja gerade da davon ausgehen, dass das Dunkelfeld da halt sehr hoch ist,
00:46:02
bei Männern, die zu Hause Gewalt erfahren.
00:46:05
Weil da, ich meine, man kennt das auch schon von Frauen, die Scham ist super groß.
00:46:08
Und natürlich auch die Sorge, dass einem nicht geglaubt wird, weil man halt oft Aussage gegen Aussage hat.
00:46:13
Und bei Männern wegen des Bildes von Männlichkeit, was wir heute noch in der Gesellschaft haben,
00:46:18
ist das natürlich noch größer.
00:46:20
Also auch Stichwort traditionelles Rollenverständnis.
00:46:23
Also auch so nach dem Motto, man ist kein richtiger Mann, wenn man sich von der Frau verprügeln lässt oder so.
00:46:27
Wir haben in unserer Folge 66 ja auch schon mal ausführlicher über Gewalt gegen Männer gesprochen.
00:46:32
Und da hatte ich ja diesen furchtbaren Fall aus Berlin,
00:46:35
bei dem ein älterer Mann jahrelang von seiner Ehefrau misshandelt wurde
00:46:39
und ja auch am Ende dann gestorben ist an seinen Verletzungen.
00:46:42
Und ich glaube, das war in der Folge, als wir erzählt haben,
00:46:45
dass ein Mann sich bei der Polizei gemeldet hat und angerufen hat,
00:46:48
dass er zu Hause häusliche Gewalt erfährt und die ihn ausgelacht haben.
00:46:52
Und den Fall, den du erzählt hast, den fand ich auch so schlimm.
00:46:56
Und ich glaube, das liegt einmal auch ganz klar daran,
00:46:58
dass man aufgrund dieses Rollenverständnisses damit nicht so richtig rechnet.
00:47:03
Aber auch, dass wir hier bei Mordlust auch einfach selten von diesen Fällen erzählen.
00:47:08
Denn es ist nun mal Fakt, dass Frauen häufiger Opfer von häuslicher Gewalt werden.
00:47:13
Also 70 Prozent der Opfer sind weiblich.
00:47:15
Und den Grund dafür sieht unsere Expertin Silvia Haller
00:47:18
aber auch genau bei diesem traditionellen Rollenverständnis.
00:47:22
Ja, auch 2024 und auch wenn es nicht alle wahrhaben wollen,
00:47:26
leben wir immer noch in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur.
00:47:29
Und da muss man auch ansetzen bei der Frage.
00:47:31
Also Jungs wachsen immer noch im Glauben auf, sie müssen stark sein, Emotionen unterdrücken.
00:47:35
Wenn sie dann groß sind, müssen sie auch die finanzielle Verantwortung für die Familie übernehmen.
00:47:40
Und parallel dazu wird Mädchen eben diese klassische emotionale Rolle zugeschrieben.
00:47:45
Also liebevoll zu sein, fürsorglich zu sein, als Partnerin, als Mutter.
00:47:50
Und das in Kombination führt dann eben zu ganz unterschiedlichem Konfliktlösungsverhalten.
00:47:55
Und wenn ich in der Überforderungssituation eben gelernt habe, ich gehe nach draußen mit meiner Wut,
00:48:00
ich mache die deutlich, ich bin sehr laut, ich kann auch mal auf den Tisch hauen,
00:48:04
bis hin zu dann eben das ganz destruktive Verhalten von ich schlage zu
00:48:09
oder ich unterdrücke dann eben mein Gegenüber, mit dem Gegenüber eben was gelernt hat,
00:48:15
eher zurückhaltend zu sein, die eigenen Emotionen zurückzunehmen, sich nicht so wichtig zu nehmen.
00:48:19
Das führt dann eben dazu, dass wir die so hohe Gewaltbetroffenheit von Frauen sehen,
00:48:24
wo gegenüber eben die Täter in der Regel männlich sind.
00:48:28
Was aber fast alle Betroffenen, egal ob jetzt weiblich oder männlich, gemeinsam haben,
00:48:33
sind die Fragen, mit denen sie früher oder später konfrontiert werden.
00:48:37
Und zwar dieses, warum hat er sie nicht früher verlassen oder warum ist sie noch so lange geblieben und sowas.
00:48:42
Und als Außenstehende ist das natürlich oft nicht wirklich verständlich.
00:48:46
Und dann auch einfach, in Anführungszeichen, einen Teil der Verantwortung irgendwie auf die Opfer zu schieben,
00:48:51
auch wenn das vielleicht unterbewusst passiert.
00:48:53
Und Außenstehende können ja auch natürlich oft gar nicht beurteilen,
00:48:57
wie schwer das sein kann, Menschen zu verlassen, den man ja auch mal geliebt hat oder immer noch liebt
00:49:02
oder einen Teil davon liebt und Hoffnung hat, dass es vielleicht auch wieder besser wird
00:49:05
und von dem man emotional oder halt auch finanziell abhängig ist oder der einen bedroht.
00:49:11
Und oft ist es so, dass die Betroffenen dann erstmal versuchen, ihr eigenes Verhalten zu ändern,
00:49:15
damit es eben nicht mehr zu der Gewalt oder den Wutausbrüchen kommt, kommt aber dann trotzdem wieder dazu.
00:49:22
Und dann ist es oft so, wie auch bei Max, dass die TäterInnen sich dann richtig doll entschuldigen
00:49:28
und die Betroffenen dann auch die Entschuldigung natürlich glauben wollen,
00:49:32
weil sie ja auch die andere Seite der TäterInnen kennen.
00:49:35
Nur leider ist es eben halt viel zu oft so, dass die TäterInnen wieder zuschlagen
00:49:39
und die Gewaltspirale, also das, wovon die ExpertInnen immer sprechen, geht dann wieder von vorne los.
00:49:44
Viele Opfer glauben ja auch dann, dass sie selbst schuld an der Gewalt sind.
00:49:48
Also deswegen ist auch diese Frage, warum bist du nicht gegangen, so problematisch,
00:49:52
weil das die Opfer dann im Denkmuster noch bestärkt, dass die was damit zu tun haben.
00:49:58
Und aus Angst schützen manche Opfer die TäterInnen sogar aktiv.
00:50:02
In der Frankfurter Rundschau habe ich von einem Fall gelesen,
00:50:05
bei dem eine Schwangere die Polizei angerufen hat, weil sie von ihrem Ehemann verprügelt wurde.
00:50:10
Und als die BeamtenInnen aber dann kamen, ist sie zurückgerudert und meinte,
00:50:14
dass ihr die Schwangerschaftshormone einen Streich gespielt haben.
00:50:19
Also sie hat erklärt, sie hätte sich das nur eingebildet, dass ihr Mann sie geschlagen hat.
00:50:23
Und ich finde, das ist so traurig, weil es halt zeigt, wie viel Angst,
00:50:27
aber auch Manipulation in solchen Beziehungen herrscht.
00:50:30
Naja, auf jeden Fall ist es auch so, dass TäterInnen selten und wenn dann auch viel zu spät
00:50:36
Verantwortung für ihre Taten übernehmen.
00:50:37
Manche aber, wie gesagt, gar nicht.
00:50:39
Und das spielt auch in meinem Fall eine ganz zentrale Rolle.
00:50:43
Mein Fall zeigt, dass der unsichtbare Schmerz viel tiefer sitzen kann
00:50:48
als die sichtbaren Wunden auf unseren Körpern.
00:50:51
Alle Namen habe ich geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:50:55
Der 3. Mai 2020 ist ein Sonntag.
00:50:59
Der letzte Tag eines langen Wochenendes,
00:51:01
das in Lennestadt einer kleinen Stadt in Nordrhein-Westfalen kühl ausgefallen ist.
00:51:06
Der Himmel war meist bedeckt,
00:51:07
doch jetzt bahnen sich Sonnenstrahlen ihren Weg durch die grauen Wolken.
00:51:12
Sie fallen auch auf die sattgrünen Bäume, die das Gewerbegebiet einrahmen.
00:51:16
Hier, abseits der Ortsmitte, haben sich vorrangig Firmen niedergelassen.
00:51:21
Aber auch ein Mehrfamilienhaus mit grauen Dachziegeln steht hier.
00:51:24
Und da ist heute einiges los.
00:51:27
Denn ein Vater, der im ersten Stock wohnt, hat Besuch von seinem kleinen Sohn.
00:51:31
Sie haben sich über eine Woche lang nicht gesehen, deshalb ist die Freude jetzt riesengroß.
00:51:36
Der Kleine ist gerade einmal dreieinhalb Jahre alt und macht den Hof vor dem Haus auf seinem Laufrad unsicher.
00:51:41
Sein Vater steht daneben und macht Fotos, die er über WhatsApp an Bekannte verschickt.
00:51:46
Er will jedem zeigen, dass sein Junge heute bei ihm ist.
00:51:49
Denn die Zweisamkeit ist in den letzten Monaten eine Seltenheit geworden,
00:51:53
was den jungen Vater traurig macht.
00:51:55
Als sein Sohn später am Tag einschläft, greift der Mann zu Stift und Papier,
00:52:00
um seine Gedanken festzuhalten.
00:52:01
Grausame Gedanken, die erst ans Licht kommen, wenn es schon zu spät ist.
00:52:06
Vier Jahre zuvor.
00:52:08
Cleo ist aufgeregt, denn heute ist der Tag, an dem es für sie zurück nach Hause geht.
00:52:13
Zurück in die kleine Stadt Attendorn im Sauerland in Nordrhein-Westfalen.
00:52:17
Zurück zu ihren Eltern Marita und Thomas.
00:52:20
Deshalb ist der 15-Jährigen auch mulmig zumute,
00:52:23
denn sie sind nicht gerade im Guten auseinandergegangen.
00:52:26
Cleo ist mit 14 vor über einem Jahr von zu Hause abgehauen
00:52:31
und mit ihrem Freund Emir durchgebrannt, den ihre Eltern nie akzeptiert haben.
00:52:36
Dabei hatte sie sich Hals über Kopf in den großen, schlanken Typen verliebt.
00:52:39
Dass er schon Ende 20 und damit fast doppelt so alt, wie sie war, störte Cleo nicht.
00:52:44
Ganz im Gegenteil zu ihren Eltern, die deshalb immer wieder Streit anfingen.
00:52:48
Streit, der Cleo auf die Nerven ging.
00:52:51
Deshalb hat sie 2014 nur die wichtigsten Sachen aus ihrem Kinderzimmer gepackt
00:52:55
und ihr behütetes Leben von einem auf den anderen Tag hinter sich gelassen.
00:53:01
Zurückgelassen hat die 14-Jährige aber nicht nur ihre Eltern, sondern auch das beschauliche Sauerland.
00:53:06
Cleo und Emir haben sich in einen Zug gesetzt und sind weggefahren.
00:53:10
One way durch Deutschland.
00:53:12
Ohne die Absicht, zurückzukommen.
00:53:14
Sie haben bei Bekannten von Emir geschlafen, sich treiben lassen, waren überall und nirgendwo zu Hause.
00:53:20
Für Cleo war das alles neu und aufregend.
00:53:24
Er hat jahrelang so gelebt.
00:53:26
Denn Emir hatte keine einfache Kindheit.
00:53:28
Seine Mutter war noch sehr jung, als sie Emir in Marokko, seinem Heimatland, bekommen hat.
00:53:33
Seinen Vater hat er nie kennengelernt.
00:53:36
Mit 16 ist Emir illegal nach Frankreich eingereist.
00:53:40
Dort saß er wegen Diebstählen im Gefängnis, bevor er nach Deutschland kam.
00:53:43
Inzwischen ist Emir seit 10 Jahren hier.
00:53:46
Er hat in Geflüchtetenunterkünften und zeitweise auf der Straße gelebt, bevor Cleo ihn kennengelernt hat.
00:53:52
Sie könnte ihm stundenlang zuhören, wenn er von seiner Vergangenheit erzählt.
00:53:56
Noch lieber spricht Cleo aber inzwischen von ihrer gemeinsamen Zukunft, die sie bald zu dritt verbringen werden.
00:54:02
Denn in Cleos Brauch wächst heute, eineinhalb Jahre nachdem sie von zu Hause abgehauen ist, ein Baby heran.
00:54:08
Ein Baby, das ein festes Zuhause braucht.
00:54:11
Deshalb ist die 15-Jährige jetzt auf dem Weg in ihr eigenes Zuhause.
00:54:15
Zurück zu ihren Eltern.
00:54:17
Gemeinsam mit Emir, der sich wie Cleo auf den Nachwuchs freut.
00:54:21
Um für ihr Kind sorgen zu können, brauchen sie Unterstützung, ein Dach über dem Kopf und Geld für Babysachen.
00:54:27
Nach all dem Kummer, den Cleo, Marita und Thomas bereitet hat, keine bescheidene Bitte.
00:54:31
Deshalb ist die werdende Mutter aufgeregt, als sie schließlich wieder vor ihren Eltern steht.
00:54:36
Doch die sind vor allem eins.
00:54:38
Heil, froh und überglücklich, dass ihre Tochter endlich wieder da ist und dass es ihr gut geht.
00:54:44
Und so nehmen sie das junge Paar bei sich auf.
00:54:46
Doch während Cleo zurück in ihrer Heimat mit offenen Armen empfangen wird,
00:54:50
holt Emir nur Tage später seine kriminelle Vergangenheit ein.
00:54:54
Denn gegen die 29-Jährigen liegen in Nordrhein-Westfalen mehrere Haftbefehle vor.
00:54:59
Unter anderem wegen Diebstahls und gefährlicher Körperverletzung.
00:55:03
Deshalb wird der werdende Vater nur Tage später festgenommen und kurz darauf zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt.
00:55:10
Cleo ist am Boden zerstört.
00:55:12
Sie hatte sich gewünscht, dass Emir ihr während der Schwangerschaft zur Seite stehen kann.
00:55:16
Sie wollten doch eine Familie sein.
00:55:18
Stattdessen ist Emir nun im Gefängnis.
00:55:21
Er wird weder bei der Geburt dabei sein, noch die ersten Schritte seines Sohnes sehen.
00:55:25
Die Lücke, die Emir im Alltag hinterlässt, versucht Cleos Mutter Marita zu füllen.
00:55:30
Sie hilft, wo sie kann.
00:55:32
Und als Cleos kleiner Sohn Mo schließlich geboren wird, freut sich auch Marita riesig.
00:55:37
Cleo ist ihrer Mutter dankbar, aber sie vermisst Emir.
00:55:40
Gerade jetzt kommen so viele Momente, die sie mit ihm teilen will.
00:55:44
Das erste Lachen und die ersten Worte ihres Sohnes zum Beispiel.
00:55:48
Deshalb nimmt Cleo den Kleinen mit ins Gefängnis.
00:55:51
Um Emir zu besuchen.
00:55:52
Dort schmieden sie Pläne für eine glücklichere Zukunft mit Mo.
00:55:56
Eine Zukunft, die beginnen soll, sobald sie keine Gitterstäbe mehr trennen.
00:56:01
Als es 2017 endlich soweit ist, ist der kleine Mo schon fast zwei Jahre alt.
00:56:07
Er ist ein aufgeweckter, fröhlicher Junge, bei dessen Lachen Cleo das Herz aufgeht.
00:56:12
Und Mo lacht viel, jetzt, wo sein Vater endlich mehr Zeit mit ihm verbringen kann.
00:56:18
Zum ersten Mal sind die gemeinsamen Spielzeiten nicht mehr zeitlich begrenzt und Mo kann nachts bei Emir im Bett schlafen, wenn er will.
00:56:25
Denn jetzt, wo Cleo volljährig ist, nimmt sie sich eine kleine Wohnung für sich und Mo, in die auch Emir mit einzieht.
00:56:32
Und in der sie zum ersten Mal eine richtige kleine Familie sind.
00:56:35
Cleo, Emir und Mo.
00:56:37
Mutter, Vater, Sohn.
00:56:39
Cleo ist überzeugt davon, dass jetzt, wo sie zusammen sind, alles besser wird.
00:56:43
Emir hat sogar einen Job gefunden.
00:56:46
Das bringt Stabilität und ein bisschen finanzielle Sicherheit für ihre junge Familie.
00:56:50
Doch jetzt, wo die äußeren Umstände zum ersten Mal stabil zu sein scheinen, ist es ihre gemeinsame Basis, die zu bröckeln beginnt.
00:56:58
Denn Cleo und Emir haben ganz andere Erwartungen an die Erziehung ihres kleinen Sohnes.
00:57:03
Während Cleo Mo Grenzen setzt, erlaubt Emir ihm einfach alles.
00:57:07
Aber so funktioniert das nicht, weiß Cleo.
00:57:09
Kinder müssen lernen, Regeln einzuhalten.
00:57:11
Und Eltern müssen als Team auftreten und an einem Strang ziehen.
00:57:15
Denn wenn sie weiter in verschiedene Richtungen zerren, dann zerrt das nicht nur an den Kräften, sondern auch an ihrer Beziehung.
00:57:21
Dann droht der Strang zwischen ihnen zu reißen und mit ihm die Verbindung, die sie zusammenhält.
00:57:26
Zunächst hat Cleo noch Hoffnung, dass sie ihre Probleme lösen können.
00:57:31
Doch je länger sie mit Emir zusammenlebt, desto mehr wird ihr klar, dass es für ihn nur einen Strang gibt.
00:57:37
Und an dem zieht er verbissen und auch mit Gewalt.
00:57:41
Als Emir Cleo im Streit zum ersten Mal mit der flachen Hand ins Gesicht schlägt, ist sie völlig perplex.
00:57:46
Dort, wo die Ohrfeige sie getroffen hat, brennt ihre Haut.
00:57:49
Doch der Schmerz sitzt viel tiefer, nämlich in ihrer Brust.
00:57:53
Dass der Mann, den sie vor ihren Eltern verteidigt und auf den sie zwei Jahre lang gewartet hat, sie schlägt, verletzt die 18-Jährige.
00:58:00
Trotzdem versucht sie, ihre Gefühle auszublenden.
00:58:04
Für Mo, für ihre kleine Familie.
00:58:07
Aber Emir schlägt wieder zu.
00:58:09
Und jedes Mal, wenn Cleo einen Schlag trifft, fühlt sie sich ihm hilflos ausgesetzt.
00:58:14
Mit jedem Mal droht das Bild in ihrem Kopf weiter zu zerbrechen.
00:58:18
Das Bild ihrer kleinen, heilen Familie.
00:58:22
Sechs Monate lang erduldet sie seine Gewalt, weil Cleo sich nicht eingestehen will, dass ihr Traum längst zerbrochen ist.
00:58:28
Ein Traum, den Emir mittlerweile regelmäßig und wortwörtlich mit Füßen tritt.
00:58:33
Dann, im Oktober 2019, geht er noch weiter.
00:58:36
Im Streit greift Emir nach wahrlosen Gegenständen, die er mit aller Kraft auf Cleo schleudert.
00:58:42
Da wird der jungen Mutter klar, dass Emir immer weitermachen wird und dass sie ihn verlassen muss, um sich zu retten.
00:58:48
Und nicht nur sich.
00:58:50
Mit dem Entschluss alarmiert Cleo schließlich die Polizei und berichtet von der Gewalt, die sie monatelang ertragen hat.
00:59:01
Von den Streits, bei denen Emir handgreiflich wird.
00:59:03
Von der Hilflosigkeit, die sie ihrem körperlich überlegenen Freund gegenüber empfindet.
00:59:09
Es dauert nicht lange, bis die Beamtinnen vor der Tür der jungen Familie stehen und Emir mitnehmen.
00:59:13
Er wird der Wohnung verwiesen.
00:59:15
Cleo fällt es nicht leicht, dabei zuzusehen, wie Emir weggebracht wird.
00:59:19
Aber sie weiß auch, dass sie das Richtige getan hat.
00:59:22
Denn als die Tür hinter Emir ins Schloss fällt, sind die vier Wände, in denen Cleo mit Mo steht, zum ersten Mal wieder ihre vier Wände.
00:59:29
Ihr Zuhause, aus dem die Person, mit der sie sich eine Zukunft ausgemalt hatte, auszieht.
00:59:35
Dafür aber wieder Sicherheit und Geborgenheit einziehen.
00:59:39
Cleos und Mo's Sicherheit stehen auch für das Familiengericht an oberster Stelle,
00:59:43
das im Anschluss an den Polizeieinsatz ein Annäherungsverbot gegen Emir verhängt.
00:59:47
Für Cleo bedeutet das vor allem eines.
00:59:49
Sie hat Zeit zu heilen.
00:59:51
Ihr Körper, aber auch ihre Seele sollen sich von der Gewalt erholen, die ihr der Mensch angetan hat, den sie einst geliebt hat.
00:59:58
Heute ist da keine Liebe mehr.
01:00:00
Aber ein anderes Band, das sie verbindet.
01:00:03
Und während Cleo sich von Emir freimachen will, versteht der Dreijährige die Welt nicht mehr.
01:00:08
Immer wieder will er wissen, wo Emir ist.
01:00:10
Und wenn seine kleinen, fragenden Augen Cleo ansehen, dann bricht ihr fast das Herz.
01:00:14
Natürlich will sie Mo nicht von seinem Vater fernhalten.
01:00:17
Aber sie hat auch ein ungutes Gefühl dabei, wenn sie ihn mit Emir allein lässt.
01:00:22
Schließlich entscheidet sich Cleo mit Hilfe des Jugendamts dazu,
01:00:25
dass sie begleitete Treffen zwischen Emir und Mo möglich machen will.
01:00:29
Emir lebt inzwischen in einer Wohnung, die ihm sein Arbeitgeber zur Verfügung gestellt hat.
01:00:35
Er scheint sein Leben im Griff zu haben.
01:00:36
Schon im Dezember, nur einen guten Monat nach dem Polizeieinsatz, treffen sie sich wieder zu dritt.
01:00:42
Cleo ist mulmig zumute, als sie Emir gegenüber steht.
01:00:45
Aber er hat Spielsachen für Mo dabei.
01:00:48
Und Mo freut sich über das Wiedersehen.
01:00:51
Sie muss nur ein paar gemeinsame Stunden überstehen, weiß Cleo.
01:00:53
Und die Stunden verlaufen glücklicherweise unproblematisch.
01:00:57
Genau wie die darauf folgenden Treffen zu dritt.
01:00:59
Mit jedem Mal fällt die Anspannung ein wenig von Cleo ab.
01:01:03
Und sie schöpft wieder Hoffnung.
01:01:04
Hoffnung darauf, dass sie das hinkriegen.
01:01:07
Für Mo, der sie beide in seinem Leben braucht.
01:01:10
Aber eben nicht zusammen, sondern getrennt.
01:01:12
Denn in Cleos Leben ist zwischenzeitlich ein anderer Mann getreten, der sie glücklich macht.
01:01:17
Ihr Nachbar Timon.
01:01:19
Er war ihr in den letzten Monaten eine Stütze.
01:01:21
Und inzwischen ist er mehr als das.
01:01:23
Sie hat ihn lieben gelernt.
01:01:25
Timon hat ihr gezeigt, dass eine Beziehung nicht mit Gewalt einhergehen muss,
01:01:29
sondern dass sie harmonisch sein kann.
01:01:31
So baut sich Cleo nach und nach ein neues Leben auf.
01:01:34
Mit Timon an ihrer Seite.
01:01:35
Und mit regelmäßigen Treffen, bei denen Emil Mo sehen darf.
01:01:39
Vier Monate später, im April 2020, ist Cleo sogar damit einverstanden,
01:01:44
dass Emil Mo in Zukunft einmal in der Woche alleine sehen darf.
01:01:47
Auch, weil sie froh um die Entlastung ist.
01:01:50
Denn in ihrem Bauch wächst, dreieinhalb Jahre nachdem Mo zur Welt gekommen ist,
01:01:54
wieder ein kleiner Mensch heran.
01:01:56
Cleo erwartet ein Kind von Timon.
01:01:58
Die zwei freuen sich riesig.
01:02:01
Und auch Emil spricht seine Glückwünsche aus, als Cleo ihm davon erzählt.
01:02:04
Vielleicht wird ihr Traum von der Familie ja doch noch wahr.
01:02:08
Nur ist es dann eben eine Patchwork-Familie.
01:02:10
Sonntag, eine Woche später.
01:02:13
Die Sonne fällt durch die Wolken, als ein Radfahrer durchs Gewerbegebiet fährt.
01:02:18
Doch statt dem frischen Duft des Frühlings liegt hier ein beißender Geruch in der Luft.
01:02:22
Die Ursache dafür sieht der Mann sofort.
01:02:25
Aus dem oberen Fenster eines Hauses quellen dicke Rauchwolken.
01:02:31
Der Radfahrer wählt den Notruf.
01:02:32
Wenige Minuten später treffen mehrere Feuerwehrautos, Rettungswagen und die Polizei ein.
01:02:37
Und dann muss alles ganz schnell gehen.
01:02:39
Die Feuerwehr kann den Brandherd im zweiten Stock des Hauses erkennen.
01:02:43
Die Aufmerksamkeit des Rettungsdienstes gilt derweil einem Verletzten, der vor dem Haus liegt.
01:02:49
Er ist aus einem Fenster im zweiten Stock gesprungen.
01:02:51
Dabei hat er sich das Becken gebrochen.
01:02:53
Außerdem hat der Mann eine Stichverletzung in der Brust.
01:02:56
Er ist bei Bewusstsein, aber er muss schnellstmöglich ins Krankenhaus.
01:03:01
Vorher will der Verletzte den Rettungskräften aber noch etwas sagen.
01:03:04
Da sei noch jemand im Haus, presst er unter seinen Lippen hervor.
01:03:08
Die Information versetzt die Polizei in äußerste Alarmbereitschaft.
01:03:13
Die Feuerwehr fährt den langen Kranarm aus und steigt in die Wohnung ein, in der ihnen dicke Rauchwolken die Sicht vernebeln.
01:03:20
Trotzdem können sie erkennen, dass der Rauch aus einem kleinen Zimmer kommt, dessen Tür nur einen kleinen Spalt offen steht.
01:03:27
Als sie sie aufreißen, kommt ihnen noch mehr schwarzer Nebel entgegen.
01:03:30
Und dann, als ihnen die Sicht klarer wird, wird ihnen gleichzeitig klar, dass die Flammen längst das Kostbarste in der Wohnung an sich genommen haben.
01:03:38
Denn auf einer Matratze, die mitten in der Abstellkammer platziert ist, liegt ein kleiner Körper.
01:03:43
Der Körper eines Kindes, das in den Flammen gestorben ist.
01:03:48
Die Feuerwehr kann den Brand unter Kontrolle bringen, noch bevor er sich in der restlichen Wohnung ausbreitet.
01:03:54
Was bleibt sind Einsatzkräfte, die unter Schock stehen.
01:03:57
Der Schock über den grausamen Leichenfund, der selbst langjährige Feuerwehrleute und PolizistInnen schaudern lässt.
01:04:03
Und darüber, dass das Kind sich gerade in dem Zimmer aufgehalten hat, in dem die Flammen ausgebrochen sind.
01:04:09
Nur wie konnte das passieren?
01:04:11
Und warum hat der Mann, der aus dem Fenster gesprungen ist, das Kind nicht gerettet?
01:04:16
Dieselben Fragen schießen Cleo in den Kopf, als die Polizei vor ihrer Tür steht.
01:04:20
Denn der Mann, der verletzt im Krankenhaus liegt, ist Emir und das Kind auf der Matratze ist ihr Sohn Mo.
01:04:27
Als sie von seinem Tod erfährt, versteht Cleo die Welt nicht mehr.
01:04:30
Mo war doch am Morgen noch wohl auf.
01:04:32
Wie kann er jetzt tot sein?
01:04:34
Wieso kam es überhaupt zu dem Brand, will sie wissen.
01:04:37
Die Polizei kann ihr nicht alle Fragen beantworten.
01:04:40
Doch das, was die Ermittlungen bisher vermuten lassen, ist für die schwangere Mutter beinahe unaushaltbar.
01:04:45
Man habe Brandbeschleuniger in der Abstellkammer nachweisen können, heißt es von den Seiten der Ermittelnden.
01:04:51
Damit steht fest, dass das Feuer in Emirs Abstellkammer kein Unfall war.
01:04:55
Darauf weist auch ein Brief hin, der in Emirs Küche gefunden wurde.
01:04:59
Hey, meine lieben Freunde und Feinde, steht dort geschrieben.
01:05:04
Ich kann so einfach nicht mehr leben.
01:05:06
Ich wollte einfach in Deutschland sterben, am besten mit meinem Sohn.
01:05:09
Keiner hat meine Schmerzen mitgefühlt, nicht mal die Mutter.
01:05:13
Mir fehlen die Worte.
01:05:16
Derzeit geht die Polizei davon aus, dass Emir Mo getötet hat und dann sich selbst töten wollte.
01:05:22
Die Mordkommission übernimmt die Ermittlungen.
01:05:25
Cleo kann das nicht fassen.
01:05:27
Von einem auf den anderen Moment ist es, als wäre alles um sie herum grau und schwarz.
01:05:32
Als läge sie selbst mitten im Rauch, in dem Mo umgekommen ist.
01:05:36
Was soll dieser Brief und von welchem Schmerz spricht Emir da?
01:05:39
Es war doch gerade wieder alles gut.
01:05:41
Emir hatte einen Job und eine Wohnung.
01:05:43
Er durfte Zeit mit Mo verbringen.
01:05:45
Es ging bergauf.
01:05:46
Und selbst wenn nicht, warum um alles in der Welt wollte er Mo töten?
01:05:49
Auf so grausame Art und Weise.
01:05:51
Das geht nicht in Cleos Kopf.
01:05:54
Am liebsten würde sie Emir schütteln und die Wahrheit einfordern.
01:05:57
Aber er liegt aufgrund seiner Verletzungen im Koma.
01:06:01
Also müssen Cleos Fragen warten.
01:06:03
Und mit dem Obduktionsbericht kommen noch neue hinzu.
01:06:06
An Mo's Hals wurden Spuren gefunden, die auf körperliche Gewalt hinweisen, heißt es.
01:06:11
Würgemale, die ihm vor seinem Tod zugefügt wurden.
01:06:15
Als Cleo das hört, gefriert ihr das Blut in den Adern.
01:06:18
Lang genug war sie es, die Emils Schläge abbekommen hat.
01:06:24
Allein die Vorstellung daran, dass Emir jetzt handgreiflich gegenüber ihrem Sohn gewesen ist,
01:06:28
schmerzt Cleo mehr als jeder Schlag, den sie ausgehalten hat.
01:06:32
Es hätte nie Mo sein dürfen.
01:06:34
Nicht ihr kleiner Junge.
01:06:37
In den darauf folgenden Monaten macht sich Verzweiflung und Trauer in Cleos Leben breit.
01:06:41
Sie will noch immer antworten.
01:06:43
Sie will wissen, warum Mo sterben musste.
01:06:45
Doch wann immer sie daran denkt, je wieder mit Emir in einem Raum sein zu müssen, bekommt sie Panik.
01:06:51
Sie will den Mann, dem sie ihre ganze Jugend geschenkt hat, nie wiedersehen.
01:06:55
Denn er ist derselbe Mann, der sie misshandelt und der ihr das Kostbarste auf der Welt genommen hat.
01:07:00
Die Vorstellung daran, Emir im Gerichtssaal gegenüber sitzen zu müssen, ist für Cleo unerträglich.
01:07:06
Deswegen entscheidet sie sich dazu am Prozess, der sechs Monate nach Mo's Tod startet, nicht teilzunehmen.
01:07:12
Sie muss an sich denken und an ihr ungeborenes Baby, das bald zur Welt kommt.
01:07:16
Zu hoch ist das Risiko, dass die Konfrontation mit Emir eine Frühgeburt einleiten würde.
01:07:21
Sagt auch ihr Gynäkologe.
01:07:23
Also ist Cleo nicht dabei, als ihr Exfreund am 10. November 2020 in den Schwurgerichtssaal des Siegener Landgerichts geführt wird.
01:07:31
Trotzdem hat sie die Nebenklage angenommen und lässt sich vor Gericht von ihrer Anwältin vertreten.
01:07:36
Emir trägt ein schwarzes Shirt und eine blaue Hose, als er zur Anklagebank humpelt.
01:07:41
Wegen seines gebrochenen Beckens ist er noch immer auf Krücken angewiesen.
01:07:45
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm den Mord an seinem dreieinhalbjährigen Sohn vor.
01:07:50
Eine grausame Tat, zu der sich Emil gleich zu Anfang des Prozesses äußern will.
01:07:55
Seine Einlassung nimmt alle im Gerichtssaal mit an den sonnigen Sonntag im Mai, der tödlich endete.
01:08:01
Es ist noch Vormittag, als Emil Mo am 3. Mai bei Cleos Mutter Marita zu Hause abholt, die auf ihren Enkel aufgepasst hat.
01:08:08
Emils Kumpel sitzt am Steuer, weil Emil kein Auto hat.
01:08:11
Auf dem Weg zu Emils Wohnung legen die drei noch einen Stopp bei einem Dönerladen ein, wo sie Essen mitnehmen.
01:08:17
Dann setzt Emils Freund seine Mitfahrer vor Emils Wohnung ab.
01:08:20
Er macht noch ein Foto von Vater und Sohn, die in die Kamera grinsen.
01:08:24
Dann lässt er sie allein.
01:08:25
Mo möchte draußen mit seinem Laufrad fahren.
01:08:28
Emir steht daneben und knipst fleißig Fotos, die er an Bekannte schickt.
01:08:33
Dann geht er mit Mo nach oben in seine Wohnung, wo sie gemeinsam Döner essen und anschließend auf dem Balkon mit Mo's Spielsachen spielen.
01:08:40
Gegen 15 Uhr ist Mo erschöpft und es dauert nicht lang, bis er einschläft.
01:08:44
Jetzt ist Emir allein mit seinen Gedanken und die Zeit läuft ihm davon.
01:08:49
Bald schon will ein anderer Kumpel, der ein Auto hat, vorbeikommen, um Mo zurück zu Cleo zu fahren.
01:08:54
Aber das will Emir plötzlich nicht mehr.
01:08:56
Er will seinen Sohn nicht wieder zurück zu seiner Mutter geben.
01:08:59
Er will, dass er bei ihm bleibt.
01:09:01
Also greift er kurzerhand zu seinem Handy und schreibt dem Fahrer, dass er nicht kommen muss.
01:09:06
Was dann passiert, können weder die Staatsanwaltschaft noch Emir zeitlich richtig einordnen.
01:09:11
Emir sagt, er habe Alkohol getrunken und Drogen genommen und könne sich deswegen nicht mehr genau erinnern.
01:09:16
Er muss aber den Abschiedsbrief verfasst und auf die Küchenanrichte gelegt haben.
01:09:20
Dann ist er zu Mo gegangen, der friedlich geschlafen hat und hat seine Hände um den Hals seines Sohnes gelegt.
01:09:26
Er hat ihn so lang gewirkt, bis sich der kleine Junge nicht mehr bewegt hat.
01:09:30
Bis Emir glaubte, Mo sei jetzt tot.
01:09:33
Dann hat er ihn in die Abstellkammer getragen und auf die Matratze gelegt, die er schließlich angezündet hat.
01:09:39
Anschließend hat er zu einem Küchenmesser gegriffen, dass er sich in die Brust gerammt hat, sagt Emir.
01:09:45
Er habe sterben wollen, deshalb sei er, während sich das Feuer entfacht habe, aus dem Fenster in die Tiefe gesprungen.
01:09:51
Was Emir gesteht, lässt alle im Gerichtssaal sprachlos zurück.
01:09:55
Dass er sich offenbar selbst umbringen wollte, ist schrecklich.
01:09:58
Viel grausamer ist aber das Schicksal, das er für seinen kleinen Sohn gewählt hat.
01:10:02
Mo hatte keine Chance, sich zu wehren.
01:10:04
Und er war laut Obduktionsbericht noch nicht tot, als sein Vater ihm zum Sterben auf die Matratze gelegt hat.
01:10:10
Durch die Strangulation sei der Junge zwar bewusstlos, aber noch am Leben gewesen, sagen die GerichtsmedizinerInnen.
01:10:16
Woran der kleine Schleswig gestorben ist, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen.
01:10:20
Es sei möglich, dass er sich aufgrund der Strangulation erbrochen habe und daran erstickt sei.
01:10:25
Es könne aber auch sein, dass die schnelle Hitzeentwicklung des Brandes zu einem tödlichen Hitzeschock geführt habe,
01:10:30
heißt es im Obduktionsbericht.
01:10:32
Die Frage, die aber allen im Gerichtssaal unter den Fingernägeln brennt, ist, wieso musste der Dreijährige sterben?
01:10:39
Was bewegt einen Vater dazu, seinen eigenen Sohn zu töten?
01:10:43
Ein Kind, das er doch so liebte, wie er auch vor Gericht immer wieder betont.
01:10:48
Doch seine Antwort ist ernüchternd.
01:10:50
Das könne er auch nicht erklären, sagt Emil vor Gericht.
01:10:54
Da sei Hass in ihm gewesen und er sei mit der Gesamtsituation unzufrieden gewesen.
01:10:59
Cleo habe immer etwas an ihm zu kritisieren gehabt und es habe ihn gestört, dass er immer ihre Zustimmung einholen musste, wenn er seinen Sohn sehen wollte.
01:11:07
Außerdem hatte er Angst gehabt, Mo zu verlieren, jetzt wo Cleo eine neue Familie gegründet habe.
01:11:13
Angst davor, dass er als Vater ersetzt würde.
01:11:16
Aber was geschehen ist, ist geschehen.
01:11:19
Ich kann es nicht rückgängig machen, fügt Emil anschließend gefasst hinzu.
01:11:22
Kein Wort darüber, dass er seinen Sohn jetzt endgültig verloren hat.
01:11:27
Dass Mo nie wieder zurückkommen wird.
01:11:29
Nicht wegen eines anderen Mannes, sondern wegen seines eigenen Vaters, dem er vertraut hat und der ihn getötet hat.
01:11:35
Aus einem spontanen Gefühl heraus, wie das Gericht feststellt.
01:11:38
Quasi nach dem Motto, wenn ich ihn nicht bei mir habe, soll ihn keiner haben.
01:11:43
Die Art und Weise, wie Emil nüchtern über den gewaltsamen Tod seines Sohnes spricht, schockiert alle im Gericht.
01:11:50
Genau wie seine egoistischen Motive.
01:11:51
Cleo hat ihre eigenen Bedenken und ihre Angst vor ihrem Peiniger zurückgestellt, um eine Bindung zwischen Vater und Sohn zu ermöglichen.
01:11:59
Emil hingegen scheint einzig und allein seine Ängste und sein verletztes Ego in den Mittelpunkt gestellt zu haben.
01:12:05
Dafür spricht auch das Gutachten, das eine Psychiaterin schließlich vor Gericht vorträgt.
01:12:11
Die Expertin bescheinigt dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung, die auch das Verhältnis zu seinem Sohn maßgeblich beeinflusst habe.
01:12:18
Emil habe emotional instabile Züge, die einem Borderline-Typ entsprechen.
01:12:23
Darüber hinaus sei er weitgehend dissozial.
01:12:26
Das macht die Ärztin daran fest, dass Emil weder Nähe noch Liebe noch Empathie für andere empfinden könne.
01:12:32
Nicht einmal für seinen eigenen Sohn.
01:12:34
Mo war für ihn kein autonomes Wesen, das liebenswert gewesen sei, so die Sachverständige.
01:12:39
Stattdessen habe er ihn als narzisstische Erweiterung seiner selbst gesehen.
01:12:44
Wie ein Körperteil, das ihm immer zur Verfügung stehen müsste.
01:12:47
Dadurch, dass Cleo dem Vater Mo entzogen hatte, hatte sie ein Stück weit die Macht über Emil.
01:12:52
Diese Fremdbestimmung habe er loswerden wollen.
01:12:56
Die Ursprünge seiner Persönlichkeitsstörung seien auf Emils Kindheit zurückzuführen.
01:13:00
Seine Mutter habe ihm das Gefühl gegeben, dass er nicht mehr wert sei als ein Sack Reis.
01:13:04
Seitdem sei sein Leben geprägt von losen Beziehungen, ziellosen Reisen und emotionaler Ungebundenheit.
01:13:10
Emil fehlt es an Perspektive, deshalb hat er sie auch seinem Sohn genommen.
01:13:15
Die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ist offensichtlich.
01:13:19
Aber sie hat zum Tatzeitpunkt nicht seine Schuldfähigkeit beeinflusst, urteilt die Sachverständige.
01:13:24
Genauso wenig wie die geringe Menge Alkohol und Drogen, die er zu sich genommen hat.
01:13:29
Emil wäre durchaus in der Lage gewesen, anders mit der Situation umzugehen, sagt die Ärztin.
01:13:34
Aber das ist er nicht.
01:13:35
Deshalb ist Mo jetzt tot und die Welt von Cleo eine andere.
01:13:39
Bevor die 20-Jährige in den Zeug in den Stand tritt, muss Emil den Raum verlassen.
01:13:44
Sie ist hochschwanger und denjenigen zu sehen, der ihr ihr Kind genommen hat, wäre laut Cleos Psychiaterin eine enorme Belastung.
01:13:50
Dabei ist es schon belastend, genug vor Gericht auszusagen.
01:13:54
Jeder im Saal kann sehen, wie schwer es der jungen Frau fällt, die richtigen Worte zu finden.
01:13:58
Aber die will sie finden.
01:14:00
Sie will stark sein für sich und Mo.
01:14:02
Zunächst berichtet Cleo vom glücklichen Anfang ihrer Beziehung, doch sie kommt schnell auf das schwierige Zusammenleben, nach Emirs Haft zu sprechen.
01:14:10
Als Cleo von den Streitereien und den Schlägen erzählt, laufen ihr Tränen über die Wangen.
01:14:15
Es hat sie Kraft gekostet, aus der häuslichen Gewalt auszubrechen, um sich zu schützen.
01:14:19
Doch dann hat Emil einen Weg gefunden, sie für immer zu verwunden.
01:14:22
Mir geht es nicht gut, sagt Cleo, der Vorsitzenden Richterin.
01:14:26
Was Emil getan habe, tue ihr weh und sie könne es noch immer nicht glauben.
01:14:30
Deshalb verdränge sie, was passiert sei, und baue eine Mauer um sich auf.
01:14:34
Eine Mauer, die sie vor der schrecklichen Wahrheit schützen soll.
01:14:39
Selbst der Staatsanwalt wird kurz persönlich, als er am vorletzten Prozestag im Dezember 2020 sein Plädoyer verkündet.
01:14:45
Es ist eines der schlimmsten Verbrechen, das ich hier je angeklagt habe, sagt er.
01:14:49
Auch deshalb, weil immer noch niemand ein klares Motiv benennen kann.
01:14:53
Am wahrscheinlichsten sei es, dass Emil Cleo bestrafen und ihr das Kind wegnehmen wollte, sagt der Staatsanwalt,
01:14:59
und fordert eine lebenslange Haftstrafe für Emil, mit Androhung der besonderen Schwere der Schuld.
01:15:03
Letzteres sieht er darin begründet, dass Emil mehrfach vorbestraft war
01:15:07
und dass er seinen kleinen Sohn im Schlaf, also arg und wehrlos, gewirkt habe.
01:15:12
Und selbst Emirs Verteidigerin hält die lebenslange Haftstrafe für unumgänglich.
01:15:16
Es sei nicht einfach gewesen, einen Mandanten zu verteidigen, der sein eigenes Kind getötet hat, sagt sie.
01:15:22
Aber er sei auch Opfer seiner Biografie geworden.
01:15:25
Deshalb wiege seine Schuld nicht besonders schwer.
01:15:28
Dann hat der Angeklagte selbst das letzte Wort.
01:15:31
Zunächst entschuldigt sich Emil für die Unmenschlichkeit seiner Tat.
01:15:34
Er spricht davon, dass ihn niemand bestrafen könne, denn er habe sich mit der Tat selbst bestraft.
01:15:39
Doch schon im nächsten Satz versucht er wieder, die Verantwortung von sich zu schieben.
01:15:43
Schließlich habe Cleo auch zu seinem Verhalten beigetragen, sagt Emil.
01:15:49
Das sieht die vorsitzende Richterin wie jeder im Gericht anders.
01:15:52
Emil ist allein dafür verantwortlich, dass der kleine Mo nicht mehr am Leben ist.
01:15:56
Der Junge habe sich arglos hingelegt und sei vom Papa getötet worden, sagt die Richterin bei der Urteilsverkündung Mitte Dezember.
01:16:03
Die quälenden Folgen für Cleo und ihre Familie seien unbeschreiblich.
01:16:07
Vor allem deshalb, weil Emirs Motiv so wenig greifbar ist.
01:16:11
Aber auch ohne Motiv steht für das Gericht fest, dass der Angeklagte einen heimtückischen Mord begangen hat, der eine lebenslange Haftstrafe nach sich zieht.
01:16:19
Emil sei voll schuldfähig, urteilt die vorsitzende Richterin.
01:16:23
Aber seine Schuld wiegt nicht besonders schwer, weil die Tat spontan stattgefunden habe und mit Emirs Persönlichkeitsstörung verbunden sei.
01:16:30
Es ist der 18. Dezember 2020, als das Urteil fällt.
01:16:35
Cleo ist nicht im Saal, als Emil abgeführt wird.
01:16:38
Aber sie ist froh darum, dass er nun jahrelang im Gefängnis sitzen wird für das, was er ihr angetan hat.
01:16:43
Denn während die Welt um sie herum mit bunten Weihnachtslichtern geschmückt wird und überall Familien zusammenkommen, um sie zu feiern, ist Cleos Welt noch immer erfüllt von Dunkelheit.
01:16:53
Mit Timon, dem Vater ihres zweiten Kindes, hat Cleo seit Monaten nur noch sporadisch Kontakt.
01:16:57
Zu groß ist das Tal der Trauer, das sich zwischen ihnen aufgetan hat.
01:17:01
Cleo vermisst Mo, ihren kleinen Jungen, den sie unter dem Herzen trug, als sie selbst beinahe noch ein Kind war.
01:17:08
Heute ist sie erwachsen und da ist wieder ein kleiner Mensch, der ganz bald das Licht der Welt erblickt.
01:17:13
Und dieser kleine Mensch ist es auch, der zumindest Hoffnung macht.
01:17:17
Hoffnung darauf, dass Cleo irgendwann wieder lachen und ihrem Kind von seinem großen Bruder erzählen kann.
01:17:24
Was mir hier auch gleich wieder aufgefallen ist, ist, dass auch dieser Täter gerne wieder die Schuld oder zumindest eine Mitschuld bei der Frau sucht und es wieder darum geht, Angst, Angst, Angst, Angst, Angst, dass jetzt ich hinten angestellt werde, dass jetzt hier eine neue Familie ohne mich gegründet wird, obwohl ich immer drauf gehauen habe.
01:17:49
Also das ist halt wirklich der größte Witz, die hätte den ja offenbar nicht verlassen, wenn er sie nicht geschlagen hätte und wenn sie nicht eine Gefahr für sich und das Kind gesehen hätte.
01:18:00
Und ich finde das so krass, was diese junge Mutter schon alles in ihrem Leben erlebt hat.
01:18:06
Die war 14, 15, als sie jemanden kennengelernt hat, der doppelt so alt wie sie war, der eine zugegeben sehr schwierige und traumatische Geschichte hinter sich hatte.
01:18:15
Dann ist sie mit dem abgehauen, weil sie mit ihm ihr Leben verbringen wollte und hat sich von ihrem vorherigen Leben verabschiedet.
01:18:21
Ich meine, das als Teenager zu entscheiden, dass man sich irgendwie von seinem gewohnten Umfeld, wo man ja selber noch so jung ist, trennt, das ist ja schon eine krasse Entscheidung.
01:18:30
Dann haben die überall und irgendwo gelebt, hat mit dem auf irgendwelchen Couchen geschlafen und so, ist dann schwanger geworden, zurückgekommen.
01:18:37
Dann ist sie in eine Wohnung gezogen und der Vater geht in den Knast. Sie kümmert sich, bleibt die ganze Zeit weiterhin mit dem zusammen und dann schlägt er die und dann trifft sie die Entscheidung und ist immer noch ein Teenager und sagt, das will ich nicht für mich und mein Kind und verlässt den.
01:18:53
Die hat die einzig richtige Entscheidung getroffen und dann kommt sowas am Ende dabei raus.
01:18:58
Es ist einfach nur schrecklich. Und ich finde es auch gut, dass wir jetzt in dieser Folge zwei so unterschiedliche Fälle erzählt haben, mit ganz unterschiedlichen Tätern, aber auch ganz unterschiedlichen Opfern aus verschiedenen sozialen Milieus, mit verschiedenen sozialen Hintergründen.
01:19:15
Denn die häusliche Gewalt findet nun mal überall statt.
01:19:19
Ja, und dieses Schicksal, was die Cleo jetzt hier hatte mit ihrem Ex, den kann man sich auch gar nicht so richtig entziehen, weil Emil ja auch das Recht hatte, Mo regelmäßig zu sehen.
01:19:29
Das steht ja im Bürgerlichen Gesetzbuch und da ist halt festgehalten, dass zum Wohle des Kindes der Umgang mit beiden Eltern gehört.
01:19:35
Und so ist das auch im deutschen Familienrecht verankert. Und da gibt es immer wieder Kritik dran. Warum? Darum geht es jetzt in meinem Aha.
01:19:41
Also erstmal zur Abgrenzung. Das sogenannte Umgangsrecht, das soll man jetzt nicht verwechseln mit dem Sorgerecht, weil das bestimmt, wer die Verantwortung zum Beispiel über medizinische Behandlung des Kindes trägt.
01:19:50
Das Umgangsrecht besagt, dass beide Eltern, ganz unabhängig vom Sorgerecht, das Recht und die Pflicht haben, Zeit mit dem Kind zu verbringen.
01:19:58
Damit soll natürlich sichergestellt werden, dass dann auch beide eine Bindung zum Kind haben.
01:20:02
Also genau wie bei Cleo und Emil. Mo hat zwar bei Cleo gewohnt, aber Emil sollte trotzdem das Recht darauf haben, seinen Sohn zu sehen.
01:20:09
Wie oft und wie lange die treffen sind, können Eltern individuell entscheiden.
01:20:12
Und wenn sie sich nicht einig werden, dann wird das vom Jugendamt oder vom Familiengericht festgelegt.
01:20:16
Im Fall von Familien, in denen häusliche Gewalt stattgefunden hat, kann das aber schwierig sein.
01:20:21
Ist ja klar, weil das Umgangsrecht bedeutet ja auch leider zwangsläufig, dass die Eltern wieder Kontakt miteinander haben müssen.
01:20:28
Entweder halt direkt oder über Behörden.
01:20:30
Und das ist in einer Zeit, in der das Opfer eigentlich Abstand vom Täter oder von der Täterin bräuchte, natürlich eine Belastung.
01:20:36
Und man hat ja auch Angst um das Kind.
01:20:38
Laut der Istanbul-Konvention dürfte das aber gar nicht so sein.
01:20:43
Die Konvention ist ja so ein Vertrag des Europarats zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt.
01:20:47
Und darin steht, dass das Umgangsrecht die Sicherheit von Frauen und Kindern nicht gefährden darf.
01:20:52
Aber unsere Expertin Silvia Haller, die in ihrer Arbeit im Frauenhaus ständig mit solchen Fällen konfrontiert ist, sagt, das ist alles ein bisschen schwierig.
01:20:59
Weil Frauen, die beispielsweise ein Annäherungsverbot gegen ihre Ex-Männer oder Männer erwirkt haben, die haben sich das dann quasi erkämpft, dass die Männer aus Sicherheitsgründen nicht mal wissen dürfen, wo Frauen und Kinder leben.
01:21:12
Gleichzeitig soll die Beziehung aber zwischen Kind und Vater nicht unterbrochen werden.
01:21:15
Und das ist natürlich ein Problem.
01:21:17
Wie soll das gehen?
01:21:17
Weil damit diese Beziehung nicht unterbrochen wird, muss die Mutter ja irgendwie wieder in Kontakt mit dem Vater treten.
01:21:23
Also beispielsweise, um halt die Übergabe des Kindes zu vereinbaren.
01:21:27
Und das kann unter Umständen halt eben auch gefährlich werden, wie wir gesehen haben, halt eben auch für die Kinder.
01:21:32
Ja, wenn sie selbst zu Opfern werden oder wenn sie mitbekommen, wie anderen aus der Familie Gewalt angetan wird.
01:21:39
Das passiert nämlich leider ziemlich häufig.
01:21:41
Laut Informationen des Deutschlandfunks sind Kinder in neun von zehn Fällen dabei, wenn Mütter misshandelt werden.
01:21:47
Das ist so schlimm.
01:21:49
Ja, das ist so schlimm.
01:21:50
Und ein anderes Problem beim Umgangsrecht, was immer wieder auftritt, ist, dass häusliche Gewalt bei solchen Verhandlungen vorm Familiengericht dann auch oft bagatellisiert, ignoriert und komplett negiert werden.
01:22:02
SoziologInnen und FamilienrechtlerInnen haben 2022.000 Fälle untersucht und sind zum Schluss gekommen, dass es in solchen Verfahren immer wieder auch zur Täter-Opfer-Umkehr kommt.
01:22:11
Also, dass Väter, die gewalttätig sind oder waren vor Gericht, die Mütter als unkooperativ und nicht bindungstolerant darstellen, weil sie dann versuchen, den Kontakt zum Vater zu unterbinden.
01:22:21
Und das führt dann dazu, dass die Mütter das Sorge- oder das Umgangsrecht teilen müssen oder sogar ganz verlieren.
01:22:27
Eine Frage, die sich Mütter zum Schutz ihrer Kinder ja dann auch oft stellen, wenn sie häusliche Gewalt erfahren, ist, wo sollen wir hin, wenn ich es zu Hause jetzt nicht mehr aushalten kann?
01:22:37
Und da sollten ja eigentlich Frauenhäuser die erste Anlaufstelle sein.
01:22:41
Aber da gibt es leider viel mehr Anfragen als Betten.
01:22:44
Laut der bundesweiten Statistik des Vereins Frauenhauskoordinierung gibt es in Deutschland etwa 400 Frauenhäuser und knapp 7.000 Plätze für Frauen, die mit ihren Kindern Schutz suchen.
01:22:54
Nach der Istanbul-Konvention bräuchten wir aber noch 14.000 weitere Plätze.
01:22:59
Silvia Haller sagt, da muss unbedingt investiert und der Gewaltschutz weiter ausgebaut werden.
01:23:05
Haller setzt da auf das sogenannte Gewalthilfegesetz, das bereits von Bund, Ländern und Kommunen erarbeitet wurde und von der Regierung dringend noch in dieser Legislatur umgesetzt werden muss.
01:23:14
Bei Männern sieht die Lage übrigens ähnlich aus.
01:23:17
Obwohl laut den Zahlen des BKA etwa jedes vierte Opfer von häuslicher Gewalt männlich ist, gibt es in ganz Deutschland nur zwölf Männerschutzwohnungen mit insgesamt 43 Plätzen.
01:23:27
Und wenn ihr selbst von häuslicher Gewalt betroffen seid, dann holt euch Hilfe, wenn das irgendwie geht.
01:23:33
Wendet euch an eine Person, der ihr vertraut, an die Polizei oder an eine der Hilfsangebote, die wir euch in der Folgenbeschreibung verlinkt haben.
01:23:41
Nächstes Mal geht es hier mit einer Einzelfolge weiter und zwar mit einem Fall, der wirklich absurd ist.
01:23:48
Und das können wir euch auch schon mal verraten, die Folge wird das Potenzial haben, eine unserer Lieblingsfolgen zu werden.
01:24:00
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
01:24:03
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
01:24:07
Redaktion Isabel Mayer und wir.
01:24:10
Schnitt Pauline Korb.
01:24:12
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.