00:00:08
Hallöchen, Laura und ich kommen gerade aus einem Business Call, bei dem ich sehr verwundert war, dass Laura ganz ungeniert ihre Kamera angemacht hat, so wie jetzt auch.
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Und ich kann euch sagen, seid froh, dass es kein Videopodcast ist, denn Laura sieht aus auf eine Art.
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Ich dachte, das sieht aus wie das Sams.
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Nee, ich finde nicht, dass du aussiehst wie das Sams.
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Doch, jetzt schon.
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Nee, viel schlimmer.
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Das ist halt eine schlimme Krankheit.
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Ja, und das Schlimme ist eben, dachte ich auch in dem Call, also ich habe mich ja gesehen und dachte mir so, ach du Scheiße, muss ich jetzt was sagen?
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Oder sind alle einfach nur so, oh Gott, was ist mit ihr?
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Wir werden sie nicht darauf ansprechen, um sie nicht in eine peinliche Situation zu bringen.
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Ist das ansteckend?
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Fragt sich jeder.
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Ja, und dann habe ich dich gesehen und dein Bild, also dein Gesicht sah aus, als wäre da so ein Weichzeichner drauf und dann war der Unterschied nochmal so eine Milliarden Mal mehr, dass ich einfach so eine schreckliche Haut habe.
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Also wir müssen kurz sagen, was hier los ist.
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Ja, also Laura und ich waren gerade eine Woche weg und in Lauras Zimmer hat sich gleich in der ersten Nacht etwas zugetragen, was man sonst wirklich nur aus Horrorfilmen kennt.
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Ich bin in der Nacht aufgewacht und mein ganzer Körper hat gebrannt und war heiß und ich hatte das Gefühl, ich habe eine allergische Reaktion.
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Dann habe ich erstmal gegoogelt, woher kann das jetzt kommen?
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Und dann dachte ich, vielleicht bin ich allergisch gegen das Bettzeug oder gegen irgendwas, was ich gegessen habe.
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Naja, am nächsten Tag schaue ich in den Spiegel und mein ganzes Gesicht ist voller Stiche.
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Und da haben wir ja gedacht, das war eine Mücke.
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Also erstmal wurdest du ja auf der einen Seite verschont, weil du ja offenbar auf der einen Seite gelegen hast.
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Und Stiche kann man nicht so richtig sagen, weil die vielen, vielen Stiche so eng aneinander waren, dass sie ganze Beulen in Lauras Gesicht gebildet haben.
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Es sah auch ein bisschen aus an einer Stelle, wo fünf so auf einem Fleck waren, als wäre ich halt vermöbelt worden.
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Das sah es auch so aus.
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Ja, ja, du hattest ja auch irgendwie sieben unter der Augenbraue und da war dick.
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Und am Ohr hatte ich halt auch so vier in einer Reihe.
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Und da war mir dann klar, das kann eigentlich ja gar keine normale Mücke gewesen sein.
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So, jetzt habe ich recherchiert und es gibt…
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Warte ganz kurz.
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Wir müssen erst sagen, wie viele Stiche es waren, denn wir haben sie gezählt.
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Es hat sehr lange gedauert.
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Stellt euch mal vor, was ihr denkt, wie viele Stiche eine Mücke oder was auch immer in einer Nacht in einem Gesicht plus Hals,
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also wir haben Gesicht, Ohr und Hals gezählt, zustande bringen kann.
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Es sind 71 Stiche gewesen.
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Und das Allergeilste ist, Laura, du warst ja in deinem Zimmer nicht alleine, da war ja noch eine Person, die keinen einzigen Stich hatte.
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Also sowas habe ich noch nie in meinem Leben erlebt.
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Deswegen, und ich hatte ja schon Mückenstiche, aber das war Next Level.
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So, jetzt habe ich recherchiert.
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Hast du schon mal von Kribelmücken gehört?
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Weiß ich nicht, aber sind das diese ganz großen Mücken?
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Nee, dann weiß ich nicht.
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Die sind klein und die fliegen den Menschen geräuschlos an, ohne ein Gefühl von Berührung zu erwecken.
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Und das müssen die gewesen sein, weil ich war ja wach und wurde am Ohr gestochen, aber habe auch gar nichts gespürt.
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Und im Internet steht, sie beißen dann blitzschnell zu.
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Mit ihren scharfen, sägeblattähnlichen Mundwerkzeugen ritzen sie kleine Löcher in die Haut ihrer Opfer, um ihr Blut zu trinken.
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Und das ist nicht nur schmerzhaft.
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Und Paulina, wir erinnern uns, das sah aus wie ein Bluterguss, das eine.
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Also es war die Kribelmücke oder mehrere, keine Ahnung.
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Mein neues Feindbild.
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Ja, das ist nämlich das Problem, weil wir haben uns natürlich darüber erkundigt, wie oft eine Mücke überhaupt zustechen kann.
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Weil man würde ja meinen, nach 71 Mal ist die so voll gefressen, dass sie dann auch irgendwann nicht mehr fliegen kann, weil sie so viel gefressen hat.
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Also vielleicht waren es mehrere, ja.
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Gott, Paulina, was hier steht.
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Nicht googeln jetzt.
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Kribelmücken sind auch in der Lage, durch ihren Bissinfektionskrankheiten auslösenerreger zu übertragen.
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Der Fadenwurm zum Beispiel ist auf dem afrikanischen Kontinent behauptet.
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Nee, du hörst jetzt auf damit.
00:04:29
Nein, nein, nein, nein, nein.
00:04:30
Wenn man sich zu lange damit beschäftigt, ist man am Ende der Überzeugung, dass man sterben wird.
00:04:33
Und das geht nicht.
00:04:34
Du musst ja jetzt arbeiten.
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Und damit herzlich willkommen bei Mordlust.
00:04:39
Das ist ein Podcast der Partner in Crime.
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Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Kraser.
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Und ich bin Laura Wohlers.
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Wir haben heute wieder ein Oberthema mitgebracht, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nach erzählen,
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über die diskutieren und auch mit Menschen mit Expertise sprechen.
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Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von Menschen.
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Bitte behaltet es immer im Hinterkopf.
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Das machen wir auch.
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Selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas ungehemmter Sachen kommentieren.
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Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:05:06
Du hast mir ja gestern geschrieben, dass du diese Woche dreimal Sport machen willst, ne?
00:05:11
Ich weiß nicht, ob ich das für dich möchte.
00:05:14
Ich habe für diese Folge recherchiert und herausgefunden, dass Sport gefährlicher ist, als ich bisher annahm.
00:05:21
Laut Statistik der größten deutschen Sportversicherung, ARAG, stirbt etwa einer von 100.000 Sporttreibenden im Jahr.
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Die meisten aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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Aber jeder fünfte Todesfall ist die Folge eines Unfalls.
00:05:35
Jeder fünfte Todesfall von den 100.000 Sporttreibenden im Jahr.
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Von dem einen von 100.000, ja.
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Wie, von dem einen von 100.000?
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Ja, das ist ja gar nicht viel.
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Guck mal, die sagen, einer von 100.000 Sporttreibenden stirbt im Jahr.
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Ach so, ja, okay.
00:05:52
Ich sage mal so, ich glaube, es ist gefährlicher für mich, wenn ich keinen Sport treibe.
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Bei dem Sport, den ich treibe.
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Ich weiß es nicht, weil die meisten Unfälle passieren beim Fußball.
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Das ist ja jetzt auch nicht unbedingt ein Extremsport, würde ich jetzt mal sagen.
00:06:06
Aber das hat auch nichts mit dem Risiko natürlich an sich zu tun, sondern weil Fußball der beliebteste Sport in Deutschland ist und das eben ganz, ganz viele Leute machen.
00:06:14
Ja, ja, klar, genau.
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Aber wie stirbt man beim Fußball?
00:06:16
Also die Unfälle, würde ich jetzt sagen, zum Beispiel, zwei Spieler kommen angerannt, wollen Kopfball machen, knallen mit den Köpfen gegeneinander aus die Maus.
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Und deswegen hat mein Vater als professioneller Fußballspieler damals eigentlich nie Kopfballtore gemacht oder zum Kopfball hingesprungen oder so.
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Also jetzt wegen der Gefährlichkeit oder aus Faulheit?
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Nee, nee, der hatte schon Angst, dass er mit jemand anderem zusammenknallt.
00:06:42
Ah gut, was kann ich dann machen? Also was, wenn ich jetzt Fußball, das ist ja schlimm für mich, was empfiehlst du mir?
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Also sicher ist Kegeln. Zwischen 1972 und 2009 gab es in Anführungsstrichen nur fünf Todesfälle durch einen Unfall.
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Ja, aber weil das auch niemand ernsthaft betreibt. Also ich bitte dich, dann Bowling. Weißt du, Kegeln macht halt niemand.
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Nee, ich finde ja Kegeln viel besser als Bowlen.
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Ja, das müssen wir eigentlich mal machen. Finde ich viel besser irgendwie.
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Es macht doch mehr Spaß als Bowlen.
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Am sichersten würden wir, glaube ich, mit Schach fahren.
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Da kann man sich höchstens den Kopf dran zerbrechen. Aber ansonsten ist es, glaube ich, relativ safe.
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Nun ist es aber so, dass Unfälle oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht die einzigen Risiken sind, die es beim Sport gibt.
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Und in unserer heutigen Folge geht es um Verbrechen im Leistungssport, um Druck, unfaires Verhalten, Konkurrenzdenken, Betrug und Machtmessbrauch.
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Und mein Fall zeigt, was passiert, wenn nur die Leistung und nicht der Mensch dahinter zählt.
00:07:42
Alle Namen habe ich geändert.
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Oktober 1987 in Rotterdam.
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Von der Decke, der Mehrzweckhalle, hängen die bunten Fahnen der Nation, die bei den 24. Weltmeisterschaften im Geräteturnen antreten.
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Die Zuschauerinnenränge sind brechend voll und alle Augenpaare auf ein zierliches Mädchen gerichtet, das mit nackten Füßen auf der langen Turnmatte steht, die wie ein senfgelber Teppich zum Stufenbaren führt.
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Die Turnerin ist gerade einmal 1,51 Meter groß, 37 Kilo leicht und sieht mit ihren 16 Jahren noch aus wie ein Kind.
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Und nicht nur aufgrund des dunkelbraunen Kurzhaarschnitts könnte man sie auf den ersten Blick für einen Jungen halten.
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Denn sie ist körperlich noch nicht so weit entwickelt wie die meisten anderen in ihrem Alter.
00:08:28
Die riesige Anzeigetafel hinter ihr verrät, dass ihr Name Sonja Schneider und ihre Startnummer, die 334 ist.
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Die ziert auch den Rücken von Sonjas bläulich schimmerndem Turnanzug.
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Drei Streifen in grün, rot und schwarz umschlingen ihre Taille und am linken Oberarm glitzert ein Emblem aus einem goldenen Ehrenkranz, in dem ein Hammer und ein Zirkel liegen.
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Das Staatswappen der DDR.
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Und jetzt ist es soweit.
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Sonja hebt den Arm zum Gruß an die Richterin.
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Dann fixiert sie den Barren vor sich.
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Jeder Muskel ihres Körpers ist angespannt.
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Ein kurzer Pfiff und die 16-Jährige läuft auf das Sprungbrett zu, springt ab und schwingt sich an den unteren Holm.
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Die ZuschauerInnen, die den Einzelwettkampf der Frauen von zu Hause vor den Röhrenfernsehern verfolgen, können den Kommentator jetzt sagen hören,
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Sonja Schneider aus der DDR ertrunte sich gestern im Mannschaftswettkampf an diesem Gerät eine 10,0.
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Das ist die höchstmögliche Wertung und auch heute das erklärte Ziel.
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Im Hintergrund hört man das Dröhnen von Tröten aus dem Publikum und die Klaviermusik einer Kür, die gerade am Boden geturnt wird.
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Doch die Geräuschkulisse scheint Sonjas Konzentration nicht zu beeinflussen.
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Bisher eine ausgezeichnete Übung, beschreibt der Kommentator Sonjas Leistung.
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Und am Ende ihrer Kür landet sie mit einem Unterschwung mit halber Umdrehung in gehockter Position genau in den Stand.
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Keine 30 Sekunden dauert die Übung, für die Sonja 1987 die Goldmedaille gewinnt.
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Sonja Schneider wird als Weltmeisterin von den Menschen auf den Rängen und den ZuschauerInnen zu Hause gefeiert.
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Was das Publikum nicht weiß, ist, dass Sonja niemals den Anspruch hatte, Erste zu sein.
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Dass sie einfach nur froh ist, wenn sie keinen Ärger bekommt.
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Das Publikum weiß nicht, dass der Trainer, anstatt Sonja zu dem Sieg zu gratulieren, vorwurfsvoll fragt, warum sie bei ihrem Jochenko-Sprung eine Längsachsendrehung weggelassen hat.
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Und es weiß auch nicht, dass Sonja nur eine Marionette ist, um die Überlegenheit des Sozialismus auf sportlichem Gebiet zu demonstrieren.
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Und dass dem Staat dafür jedes Mittel recht ist.
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Dabei wollte Sonja ja eigentlich immer Eiskunstläuferin werden.
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Mitte der 70er Jahre, mit gerade einmal vier, steht sie das erste Mal auf Schlittschuhen.
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Da läuft sie los, als hätte sie nie etwas anderes gemacht.
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Sonja liebt das schnelle Gleiten auf dem kalten Untergrund.
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Doch Eiskunstlauf kommt für ihre Mutter nicht in Frage.
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Denn die möchte, dass Sonja Turnerin wird, so wie sie es selbst einmal war.
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Und so wird für die kleine Sonja entschieden, dass sie mit vier Jahren anstatt aufs Eis in den Berliner Sportkindergarten kommt,
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von dem aus es jeden Nachmittag in die Halle vom SV Dynamo Berlin in Hohenschönhausen geht.
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Ab auf die senfgelbe Matte, den hohen Schwebebalken, das Pferd oder den Stufenbarren.
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Ob sie das möchte oder nicht.
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Sonja ist zwar eine sehr gute Turnerin, soweit man das für ein kleines Kind sagen kann, aber sie ist auch eine Tagträumerin.
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Dass aus ihr mal eine Profisportlerin wird, ist eher der Mama als ihrer eigenen Motivation zu verdanken.
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Denn Mutter Nadine kennt als Jugendtrainerin im Nationalen Turnverband der DDR die richtigen Leute,
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um ihre Tochter einige Jahre später trotzdem auf eine Sportschule zu schicken.
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Gegen Sonjas Willen, die gar nicht auf ein Internat, sondern am liebsten weiter auf eine normale Grundschule gehen würde.
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Aber was die Mama will, wird gemacht.
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Und so wird Sonja aus ihrer Klasse genommen und ins Internat des SV Dynamo Berlin gesteckt.
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Von da an verbringt die Achtjährige die Nächte nicht mehr in ihrem vertrauten Kinderbett, umgeben von ihren Spielzeugen und Kuscheltieren,
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sondern in einem der Internatszimmer, das sie sich mit anderen Mädchen teilen muss.
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Und anstatt, dass sie nach der Schule mit ihren Puppen spielt oder sich mit Freundinnen verabredet,
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ist der Tag im Internat komplett durchgetaktet.
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Um sechs Uhr morgens ist Aufstehen angesagt, dann Frühstücken im Essenssaal.
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Nach zwei Stunden Schule steht die erste Trainingseinheit des Tages an und nach dem Mittagessen die zweite.
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Abends noch Physiotherapie oder Sauna, dann ab ins Bett, bis am nächsten Morgen alles von vorne beginnt.
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Ach ja, das Wiegen gehört vor den Trainingseinheiten und nach dem Abendbrot auch fest zum Programm.
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Das Gewicht der Turnerinnen wird akribisch in Tabellen dokumentiert
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und wenn die Waage mal ein paar Gramm zu viel anzeigt, heißt es,
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du bist fett und die Mädchen müssen laufen gehen, um die überflüssigen Funde wieder loszuwerden.
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Zum strengen Fitnessprogramm gehören auch komisch schmeckende Vitamindrinks,
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die Sonja nur widerwillig herunterwirkt.
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Einzig und allein über die Eiweißpralinen und die Kaugummis,
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die sie ab und zu von den Sportärzten gereicht bekommt, freut sie sich.
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Denn Süßigkeiten sind sonst natürlich strengstens verboten.
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Und die Sportärzte sind eine feste Größe in Sonjas Leben.
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Der Untersuchungsraum der Sportmedizin vom SV Dynamo Berlin
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befindet sich auf demselben Gelände wie die Trainingshallen.
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Doch schon auf dem Weg dorthin stellen sich Sonjas Nackenhaare auf.
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Ständig muss sie Blut und Urin abgeben, sich immer wieder mit langen Nadeln pieksen lassen,
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immer wieder in einen Becher pinkeln und den Inhalt erwachsenen Männern übergeben.
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Immer wieder untersuchen und immer wieder anfassen lassen.
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Sonja entwickelt mit der Zeit einen regelrechten Ekel gegen die Sportmedizin.
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Dass der ärztliche Direktor, Dr. Mario Schneider, ihr eigener Stiefvater ist,
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macht es für sie nicht besser.
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Sie hat zwar als Achtjährige durch seine Heirat mit ihrer Mutter seinen Nachnamen bekommen,
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nach Familie fühlt sich der Mann aber nicht an.
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Denn mit seinem Auftauchen in ihrem Leben hat Sonjas Kindheit aufgehört.
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Weil auch wenn Sonja das Wochenende bei Mutter Nadine und Stiefvater Mario verbringt,
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ist sie nie einfach nur Tochter.
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Sie ist an allererster Stelle Leistungsturnerin.
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Und deshalb geht es an den Samstagen und Sonntagen zu Hause nur darum,
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sie für die Trainingswoche fit zu machen.
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So gibt es im Hause Schneider statt Ausflügen oder Spielerabenden Inhalation und Wadenwickel.
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Statt Nudeln und Süßigkeiten wird weiter penibel Diät gehalten.
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Sonja fährt deshalb nicht gerne nach Hause.
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Sie ist aber auch nicht gerne im Internat.
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Nirgends fühlt sie sich wirklich zugehörig
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oder hat einen Platz, wo sie einfach nur Kind sein kann.
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Dabei möchte sie doch einfach gerne mal Zelten, Höhlen bauen oder Geschichten schreiben.
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Aber für all das, was eine tolle Kindheit ausmacht, ist keine Zeit.
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Daher wächst in Sonja langsam aber sicher der Widerstand.
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Und irgendwann nimmt sie all ihren Mut zusammen
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und traut sich das auch laut und deutlich gegenüber Mama Nadine auszudrücken.
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Sie sagt ihr klipp und klar, dass sie nicht mehr tun möchte.
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Aber anstatt, dass ihre Mutter ihr zuhört und auf sie eingeht, wird sie ignoriert.
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Aufhören komme nicht in Frage, ist die Antwort, die dem Grundschulkind entgegenschlägt.
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Keine Diskussion.
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Dabei ist es mittlerweile nicht mehr nur die Kindheit, die Sonja verwehrt bleibt.
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Es ist auch die Gesundheit, die in Mitleidenschaft gezogen wird.
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Sonja leidet aufgrund des harten Trainings und der unzähligen Landung nach Salto, Flickflack und Co.
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seit einiger Zeit unter extremen Rückenschmerzen.
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Dafür hat sie eine Gipsschale bekommen, die an ihren Rücken angepasst wurde und die sie ins Hohlkreuz zwingt.
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Jeden Tag muss Sonja ihren schmalen Körper in die Schale quetschen.
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Angeblich soll das ihre Wirbelsäule entlasten.
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Daher muss Sonja die Schale überall mit hinschleppen, mittags eine Stunde darin liegen und nachts darin schlafen.
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Helfen tut ihr das nicht.
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Während sich Sonja jeden Tag zum Training aufrafft und gute Miene zum bösen Spiel macht, brodelt es tief in ihr drin weiter.
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Bei anderen Mädchen bekommt sie mit, wie diese den Absprung vom Leistungssport schaffen und dabei von ihren Eltern unterstützt werden.
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Mit elf Jahren will Sonja dann noch einmal versuchen, die Erwachsenen davon zu überzeugen, dass sie wirklich nicht mehr turnen möchte.
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Daraufhin folgen Gespräche mit verschiedenen FunktionärInnen des Vereins und dann eine große Sitzung im Besprechungsraum,
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bei der alle wichtigen Personen der Turnabteilung des SV Dynamo vor ihr sitzen.
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Alle wollen Sonja überreden, weiterzumachen.
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Sie sei doch so gut, sie könne doch so viel erreichen.
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Gegen die Wand an Erwachsenen vor ihr kommt Sonja mit ihren elf Jahren nicht an.
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Und obwohl ihre Mutter und ihr Stiefvater sehen, wie schlecht es Sonja mit dem Sport geht,
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dass sie jeden Tag starke Schmerzen aushält und dass ihr das Turnen keinen Spaß macht, unterstützen sie sie nicht.
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Also das verstehe ich nicht.
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Nee, es ist wirklich so furchtbar.
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Also Sport soll doch in erster Linie Spaß machen.
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Also ich finde, das ist halt Quälerei.
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Das ist wie so Kinderarbeit.
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Ja, und es gibt ja auch so oft den Fall, dass Eltern ihre Kinder zu einer Leistung zwingen, weil sie sie selbst nicht erreichen konnten.
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Und du hast ja auch gesagt, dass die Mutter hier auch mal Turnerin war.
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Drei weitere Jahre quält sich Sonja in der Kaderschmiede.
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Dann, als sie 14 ist, verkündet ihr Mannschaftsleiter in Anwesenheit von Mutter Nadine, dass ein interner Trainerwechsel ansteht und Heiko Jansen ihr neuer Trainer wird.
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Sonja fängt auf der Stelle an zu weinen.
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Mutter Nadine ist das peinlich.
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Aber Sonja kann nicht anders, denn Heiko Jansen bedeutet, dass es in ihrer persönlichen Hölle noch dunkler wird.
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Sonja kennt Jansen, hat jahrelang erlebt, wie er in der Halle ältere Turnerinnen getriezt hat und teilweise sogar gewalttätig wurde.
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Von Geschrei über Beleidigungen bis hin zu Tritten hat Sonja alles schon gesehen.
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Den meisten Mädchen hat er mit seinem Verhalten zu olympischen Medaillen verholfen und das DDR-Frauenturn international nach vorne gebracht.
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Und diese Zukunft soll jetzt auch Sonja blühen.
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Mit dem Wechsel zum Meistertrainer beginnt für sie die schrecklichste Zeit im Internat.
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Voller Demütigung, Verletzung, Druck und Jezorn.
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Jeden Tag bringt der Mann sie an ihre Grenzen und darüber hinaus.
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Im Trainingslager in Kienbaum, 35 Kilometer östlich von Berlin, wird es für Sonja besonders schlimm.
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Immer wieder schickt Jansen sie auf den Schwebebalken.
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Sonja muss einen Bogengang nach dem anderen wiederholen.
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So lange, bis ihre Zehen perfekt gestreckt sind und sie nicht mehr wackelt.
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Doch je öfter sie die Übung macht, desto anstrengender wird es.
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Langsam zittert Sonja am ganzen Körper.
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Ihre Muskeln sind überstrapaziert.
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Ihr ist schwindelig.
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Sie kann nicht mehr.
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Aber Trainer Jansen will, dass sie weiter turnt.
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Sonja, die hoch oben auf den Balken steht, erklärt ihm schließlich, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist und nicht mehr weitermachen kann.
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Daraufhin schlägt ihr Trainer ihr die Füße weg.
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Sonja knallt auf den Balken.
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Ihr schießen die Tränen in die Augen.
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Der wollte mich verletzen, denkt sie.
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Da ist sie sich ganz sicher.
00:18:21
Aber helfen tut ihr niemand.
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Sonja bleibt nichts anderes übrig, als weiter zu funktionieren, so wie man es von ihr erwartet.
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Und mit der Angst im Nacken wird sie besser und besser.
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Im ersten Jahr des Trainerwechsels wird sie dreifache Spartak-Jade-Siegerin.
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Das sind diese großen nationalen Sportwettkämpfe der DDR.
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Vor allem am Stufenbarren gilt sie als Spezialistin und holt sich trotz ihrer Rückenschmerzen eine Medaille nach der anderen.
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Und wenn sie mal nicht aufs Treppchen kommt, dann gibt es Tränen.
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Für die Nachwelt festgehalten auf Video.
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Da sieht man die kleine Sonja in Nahaufnahme, mit wässrigen Augen und traurigem Gesichtsausdruck und weit und breit niemanden, der sie tröstet.
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Doch traurig ist Sonja nicht, weil sie gepatzt hat, sondern weil sie Ärger von ihrem Trainer erwartet und weil sie Schmerzen hat.
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Was ihr hilft, die Schmerzen auszublenden, sind die Süßigkeiten, von denen sie besonders oft während der Wettkampfvorbereitung zu naschen bekommt.
00:19:12
So kann sie auch die Kür bei der WM in Rotterdam 1987 trotz schwerer Rückenschmerzen durchstehen und die Goldmedaille für die DDR nach Hause bringen.
00:19:21
Die Olympischen Spiele ein Jahr später im südkoreanischen Seoul markieren dann den Höhepunkt ihrer Karriere.
00:19:26
Da ist sie noch keine 17 Jahre alt.
00:19:29
Sonja gewinnt mit dem Team Bronze.
00:19:31
Ein Foto hält den siegreichen Moment der Punktevergabe fest.
00:19:34
Die kleine Sonja, die ihren Kameradinnen gerade mal bis zu den Schultern geht, wirft beide Arme in die Luft.
00:19:39
Ihr Mund ist zu einem Freudenschrei weit aufgerissen.
00:19:42
Es ist das letzte Foto, das Sonja in ihrem glitzernden Turnanzug zeigt.
00:19:46
Nach den Spielen ist sie körperlich so am Ende, dass sie wegen ihres geschädigten Rückens mehrere Monate in der sportmedizinischen Abteilung in Hohenschönhausen verbringen muss.
00:19:54
Ihre Regeneration dauert dem Trainer zu lange.
00:19:58
Zurück in die Turnhalle kommt sie nicht mehr.
00:20:00
Doch für Sonja ist das kein Grund zur Trauer, sondern zur Erleichterung.
00:20:04
Endlich ist sie frei.
00:20:06
Endlich kann sie ihr Leben so lieben, wie sie es möchte.
00:20:10
Niemand wird ihr mehr vorschreiben, was sie wann zu tun hat, was sie essen darf und wann sie sich wiegen muss.
00:20:14
Auch nicht ihre Mutter.
00:20:15
Denn Sonja zieht in ihre erste eigene Wohnung.
00:20:18
Aber das Gefühl der Befreiung hält nicht lange an.
00:20:21
Sonja stellt fest, dass sie im normalen Leben gar nicht klarkommt.
00:20:24
Sie hat nie gelernt, wie man kocht, den Haushalt macht oder mit Jungs umgeht.
00:20:29
Ihre ganze Kindheit und Jugend hat Sonja nur in der Turnhalle verbracht und die einzige enge Bezugsperson war ihr Trainer, der nur Leistung von ihr verlangte.
00:20:38
Jetzt in der echten Welt ist sie aufgeschmissen, fühlt sich mit alltäglichen Dingen schnell überfordert.
00:20:43
Auch ihr Körper will sich von den jahrelangen Strapazen nicht erholen.
00:20:47
Obwohl sie nicht mehr turnt, macht ihr ihr Rücken mehr und mehr zu schaffen.
00:20:51
Fast jede Bewegung tut ihr weh.
00:20:53
Ihren Berufswunsch-Koreografin muss sie an den Nagel hängen, bevor sie ihn überhaupt angehen kann.
00:20:58
Sonja beginnt stattdessen eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau, lernt einen Partner kennen und schiebt ihre Vergangenheit so weit weg wie möglich.
00:21:06
Was ihr dabei hilft ist, dass es den Staat, für den sie damals alles aufgeben musste, ab 1990 nicht mehr gibt.
00:21:14
Zwei Jahre nach dem Mauerfall wird Sonja von der sogenannten Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität kontaktiert und damit zurück in ihre Vergangenheit katapultiert.
00:21:24
Ihr Name sei in Unterlagen der Stasi zum Leistungssport in der DDR aufgetaucht.
00:21:29
Sonja soll aufs Polizeipräsidium kommen.
00:21:32
Die 21-Jährige ist perplex. Was hat das zu bedeuten?
00:21:37
Als sie dann schließlich vor den Beamtinnen sitzt und ihre Stasi-Sportakte ausgehändigt bekommt, merkt sie, wie ihr langsam der Boden unter den Füßen weggerissen wird.
00:21:45
Denn das, was darin steht, liest sich wie eine unheimliche Dystopie.
00:21:49
Sonja erfährt, dass sie mit elf Jahren Opfer des sogenannten Staatsplan-Thema 14.25 wurde.
00:21:57
Ein Codename des staatlich gelenkten Doping-Programms der DDR.
00:22:01
Ins Leben gerufen, um mit sportlichen Erfolgen den Ruf des Landes zu pushen und der Welt die Überlegenheit des Sozialismus zu verkaufen.
00:22:09
Eine vermeintliche Überlegenheit, die nur durch die körperliche und psychische Ausbeutung von oft minderjährigen SportlerInnen wie Sonja erreicht wurde.
00:22:17
In ihrer Akte ist penibel aufgelistet, welche Mittel sie als Kind und Jugendliche bekam, damit sie diese Leistung erbringen konnte.
00:22:25
Darunter Oral-Turinabol, ein Anabolikum, also ein künstliches männliches Sexualhormon, das ein schnelles Wachstum der Muskeln bewirkt.
00:22:33
Außerdem sind Testosterone, Wachstumshemmer und überdosierte Schmerzmittel aufgeführt.
00:22:38
Auch von nicht enterforschten Psychopharmaka ist die Rede.
00:22:42
Also Substanzen, bei denen die genauen Neben- und Auswirkungen noch gar nicht bekannt sind.
00:22:47
Sonja kann sich nicht daran erinnern, solche Mittel bekommen zu haben.
00:22:51
Als sie weiterliest, wird ihr klar, dass sie unwissentlich gedobt wurde.
00:22:55
Die Süßigkeiten, über die sie sich als Kind so gefreut hatte, waren keine Aufmerksamkeit der Trainer, mit denen man ihr eine Freude machen wollte oder mit denen sie für gute Leistung belohnt wurde.
00:23:05
Die Eiweißpralinen und Kaugummis waren versetzt mit jenen Mitteln, die in ihren Unterlagen stehen.
00:23:11
Mit denen man sie stressresistenter machen und ihr Wachstum hemmen wollte.
00:23:14
Mit denen man ihre Muskeln wachsen lassen und ihr das Schmerzempfinden nehmen wollte.
00:23:18
Und das alles nur, damit Sonja die glänzenden Medaillen mit nach Hause bringen konnte und die DDR ganz oben auf der Tabelle stand.
00:23:25
Sonja ist schockiert und angewidert zugleich.
00:23:29
Als wäre diese Erkenntnis allein noch nicht schlimm genug, erfährt Sonja nun auch noch, dass es im Programm Staatsplan Thema 14.25 eine Arbeitsgruppe unterstützende Mittel gab, zu deren Aufgaben zählte, die leistungssteigernden Substanzen zu entwickeln.
00:23:44
Und niemand Geringeres als Dr. Mario Schneider, einer der sechs Mitglieder war.
00:23:49
Sonja war das Versuchskaninchen ihres eigenen Stiefvaters.
00:23:53
Und sie ahnt, dass auch ihre eigene Mutter all die Jahre davon gewusst hat.
00:24:00
Sonja fühlt sich hinter Gang.
00:24:03
Nie hätte sie gedacht, dass sie einen noch heftigeren Schmerz verspüren kann, als den, der ihr Rücken ihr mit gerade mal Anfang 20 täglich bereitet.
00:24:10
Aber der emotionale Schmerz ist noch stärker.
00:24:13
Als Sonja kurze Zeit später schwanger wird, kommt noch ein weiteres Gefühl dazu.
00:24:18
Während ihrer Schwangerschaft macht sie sich immer wieder Sorgen um ihr ungeborenes Baby.
00:24:23
Sie hat von dem transgenerationalen Effekt gehört.
00:24:26
Ein erhöhtes Risiko für bestimmte Organschäden in der nächsten Generation, die durch das Doping besteht.
00:24:32
Als ihr Sohn 1995 schließlich gesund zur Welt kommt, ist Sonja unendlich froh und erleichtert und setzt alles daran, ihrem Kind ein geborgenes Zuhause zu schenken.
00:24:41
Eins, in dem es sich sicher fühlt.
00:24:43
Sie weiß, sie will es anders machen als ihre Mutter.
00:24:46
Aber sie weiß nicht wie.
00:24:48
In den ersten Jahren macht sich Sonja ständig Sorgen, irgendetwas falsch zu machen.
00:24:52
Gleichzeitig wächst ihre Wut auf Mutter Nadine.
00:24:55
Jetzt, da sie ein eigenes Kind hat, wird ihr erst richtig klar, was ihre Mutter ihr damals zugemutet hat und wie diese versucht hat, ihre eigenen Träume mit ihrer Tochter zu verwirklichen.
00:25:05
Sonja konfrontiert Nadine damit.
00:25:07
Doch die weint nur und behauptet, sie habe nicht gewusst, dass es Sonja so schlecht ging.
00:25:11
Das kann Sonja ihr nicht glauben.
00:25:14
Denn wenn sie ihr eigenes Kind ansieht, erkennt sie die geringsten Veränderungen.
00:25:18
Selbst wenn nur eine Kleinigkeit am Tag ihres Sohnes schlecht lief, spürt ihr Mamaherz das sofort.
00:25:24
In den nächsten Jahren geht es Sonja immer schlechter.
00:25:26
Sie hat starke Schmerzen und alles ist ihr zu viel.
00:25:29
Mit 26 Jahren erleidet sie ihren ersten Nervenzusammenbruch und muss mehrere Monate stationär aufgenommen werden.
00:25:37
Chronisches Erschöpfungssyndrom.
00:25:39
Sonja verfügt nur noch über 30% der Kraft, die Menschen durchschnittlich in ihrem Alter haben.
00:25:44
Der Preis, den sie für eine Sportkarriere bezahlt, die sie selbst gar nicht wollte.
00:25:50
Sonja ist sauer.
00:25:51
Nicht nur auf ihre Mutter, die sie in die Hölle geschickt hat, oder ihren Stiefvater, der das Gift mitentwickelte, das ihren Körper und Geist zerstörte.
00:25:58
Sondern auch auf die Verantwortlichen der DDR.
00:26:00
Sonja wünscht sich, dass alle, die daran beteiligt waren, dass unschuldige Kinder und Jugendliche vom Staat für ihre Ziele missbraucht wurden, zur Rechenschaft gezogen werden.
00:26:09
Doch mit der Aufarbeitung des Zwangsdopings stehen die Beamtinnen von der Zentralen Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität,
00:26:16
die auch Sonja kontaktiert hatten, schon allein aufgrund der Anzahl der Geschädigten
00:26:20
vor einer riesigen Herausforderung.
00:26:21
Tausende Opfer, die teilweise schwerste Schäden am Skelettapparat oder an Organen wie dem Herz, der Leber oder den Nieren haben,
00:26:28
die mit Depressionen, Panikattacken und Angststörungen leben und deren Kinder mit Organschäden oder Deformierungen zur Welt kommen.
00:26:35
Hinzu kommt, dass unzählige Dokumente vernichtet wurden und die Behörde unter Zeitdruck steht,
00:26:40
weil im Oktober 2000 die Verjährung einsetzt.
00:26:43
Doch trotz der vielen Hürden schaffen es die Beamtinnen genügend Beweise zu sammeln, um zumindest einige Verantwortliche noch rechtzeitig vor Gericht zu stellen.
00:26:51
Der wichtigste Prozess beginnt am 2. Mai 2000 vor dem Berliner Landgericht.
00:26:56
Es ist das Strafverfahren gegen die Drahtzieher des systematischen Kinderdopings und der Arbeitsgruppe unterstützende Mittel, dem auch Sonjas Stiefvater angehörte.
00:27:04
Es geht also um die Männer von ganz oben in der Weisungskette.
00:27:08
Dirk Ernst, der 27 Jahre lang Sportchef der DDR war und Reinhold Hanke, der als Arzt und Vize-Chef des Sportmedizinischen Dienstes für das Doping im Leistungssport zuständig war.
00:27:18
Diejenigen, die beschlossen und angeordnet haben, dass Kinder und Jugendliche wie Sonja ohne ihr Wissen gedopt wurden.
00:27:26
Den beiden wird vorgeworfen, zwischen 1974 und 1989 gemeinschaftlich und jeweils vorsätzlich, nicht nur bei Sonja, sondern noch in 141 weiteren Fällen unterstützend dazu beigetragen zu haben, die Gesundheit von Menschen zu schädigen und damit Beihilfe zur Körperverletzung geleistet zu haben.
00:27:43
Den Beschuldigten soll laut Anklage bewusst gewesen sein, dass Oral-Turinabol und andere Anaboles-Steroide in den vom Sportmedizinischen Dienst ausgegebenen Mengen den Zweck der Leistungssteigerung gehabt haben sollen.
00:27:54
Mögliche Gesundheitsschäden wie Leberkarzinome und Lebertumore, Herzerkrankung, Wachstumsstörung, Störung der Fruchtbarkeit, irreversible Stimmvertiefung, Zunahme der weiblichen Körperbehaarung etc. seien in Kauf genommen worden.
00:28:08
Von den 142 Geschädigten sitzen auf der Nebenklagebank nur 22.
00:28:13
Die meisten Opfer sind nicht persönlich vor Ort, sondern verfolgen den Prozess über die Medien.
00:28:17
Für fast alle ist diese Verhandlung für die Aufarbeitung ihrer Geschichte extrem wichtig.
00:28:22
Auch für Sonja. Sie führt mit mit den anderen Opfern, die nach und nach in den Zeuginnenstand treten und von ihrem Leid erzählen.
00:28:30
Jede einzelne der herzzerreißenden Geschichten der Opfer erinnert Sonja an ihre eigene verschwendete Jugend und Gesundheit.
00:28:36
All das Leid nur für den Erfolg. Für das falsche Bild eines Staates, der sie benutzt und dann weggeschmissen hat wie Müll.
00:28:43
Wie eine der Nebenklägerinnen es passend vor Gericht beschreibt.
00:28:45
Nachdem die Geschädigten ausgesagt haben, wird noch ein Toxikologe befragt.
00:28:50
Um die Risiken des Dopings, wie es die DDR durchgeführt hat, für die Anwesenden zu veranschaulichen,
00:28:55
erzählt er von einer Studie, die im Jahr 1997 durchgeführt wurde.
00:28:58
Für diese wurden Mäuse in drei Gruppen eingeteilt.
00:29:02
In eine Kontrollgruppe, der kein Testosteron gegeben wurde, einer Gruppe, der die fünffache Normaldosis verabreicht wurde und einer dritten Gruppe, die die zwanzigfache Dosis bekam.
00:29:11
Das Experiment dauerte sechs Monate. Danach wurden die Mäuse ein Jahr lang beobachtet.
00:29:17
Aus der Kontrollgruppe waren nach Ablauf des Beobachtungsjahres zwölf Prozent der Mäuse gestorben.
00:29:21
Aus der Gruppe mit niedriger Steroid-Dosierung 33 Prozent und aus der hochdosierten Gruppe 52 Prozent.
00:29:28
Dieses Ergebnis gebe laut dem Sachverständigen Einblick über die durch Doping hervorgerufenen Langzeitschäden.
00:29:34
Das Ausmaß der gesundheitlichen Schäden ist aber mit den Mitteln des Strafrechts nicht messbar, so der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer.
00:29:41
Er fordert für beide Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Beihilfe zur Körperverletzung an minderjährigen SportlerInnen und die Zahlung von je 4.500 D-Mark.
00:29:52
Die Nebenklage findet das zu wenig.
00:29:55
Sie fordert drei Jahre Gefängnis für Ernst und zweieinhalb Jahre für Hanke.
00:30:00
Als Anfang Juli 2000 das Urteil gesprochen werden soll, ist es ungewöhnlich voll auf den Bänken der Nebenklage.
00:30:05
Viele Kinder sitzen hier anstelle der Mütter, die in ihrem Alter in ein System gezwungen wurden, in dem sie nicht sein wollten und deren Gesundheit auf Kosten des Staates zerstört wurde.
00:30:15
Ihre Mütter stehen hinter ihnen.
00:30:18
Am Ende lautet das Urteil gegen den ehemaligen Sportchef der DDR, Dirk Ernst, Beihilfe zur Körperverletzung von Kindern und Jugendlichen in 22 Fällen.
00:30:27
Ja, du hast richtig gehört, 22 Fälle. Es ging ja am Anfang um 142 angeklagte Fälle.
00:30:32
Die meisten wurden eingestellt und zwar aus Zeitdruck.
00:30:36
Aus Zeitdruck? Achso, ich dachte, weil man es da nicht irgendwie hätte nachweisen können oder so.
00:30:40
Die wollten ja unbedingt noch eine Verurteilung, aber es war ja schon 2000 und diese Verjährung würde im Oktober einsetzen und die wollten unbedingt vorher verurteilen.
00:30:49
Und es war quasi keine Zeit, die ganzen Fälle vor Gericht zu verhandeln und am Ende haben sie halt die meisten eingestellt.
00:30:55
Cool. Fühlt sich bestimmt richtig gut an für die Betroffenen.
00:30:58
Auf die Zahlung von Geld wird verzichtet, da der Eindruck verhindert werden sollte, die Angeklagten könnten sich von ihrer Schuld freikaufen, erklärt der Richter.
00:31:14
Die Kammer wolle das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß nicht ausschöpfen, weil Ernst und Hanke in das totalitäre Machtsystem der DDR eingebunden gewesen wären und die Straftaten schon so lange zurücklegen.
00:31:26
Sonja ist enttäuscht von dem Prozess, aber überrascht hat sie das Ergebnis nicht.
00:31:31
Denn auch alle anderen Verantwortlichen, die in der Hierarchie unter Ernst und Hanke standen, sind glimpflich davongekommen.
00:31:38
Auch die, die unmittelbar mit Sonja zu tun hatten und viel direkter für ihr Leid verantwortlich waren.
00:31:43
So wurde der frühere Chefarzt ihres Turnvereins wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung in neun Fällen schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 14.400 Mark verurteilt.
00:31:54
Seine Approbation wurde ihm nicht entzogen und er darf weiter als Arzt praktizieren.
00:32:01
Sonjas Stiefvater, Mario Schneider, wurde wegen Beihilfe zur Körperverletzung angeklagt.
00:32:06
Das Verfahren wurde jedoch eingestellt.
00:32:09
Wie die meisten, vermutlich aus Zeitnot.
00:32:12
Ihr ehemaliger Trainer Heiko Jansen wurde nie vorgeladen.
00:32:16
Er ist bis 2010 noch als Trainer aktiv.
00:32:20
Dem Jahr, in dem Sonja in Frührente gehen muss.
00:32:24
Mit 40 Jahren kann sie aufgrund der Dopingschäden nicht mehr arbeiten.
00:32:27
Doch Sonja widmet sich einer anderen Aufgabe.
00:32:30
Sie geht 2018 erstmals mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit, will aufklären und mit ihrer Stimme dafür sorgen, dass die Opfer des DDR-Zwangsdopings die Aufmerksamkeit und die Hilfe bekommen, die sie verdient haben.
00:32:42
Nicht aufgeben, das ist etwas, das sie auch aus dem Turnen kennt.
00:32:46
Ist es sicher, dass dieser Heiko Jansen davon wusste?
00:32:54
Ist es sicher, dass dieser Heiko Jansen davon wusste?
00:32:59
Bei meiner Recherche habe ich jetzt eigentlich nur von TrainerInnen gelesen, die sagen, dass sie nichts davon gewusst haben.
00:33:04
Aber die TrainerInnen haben ja den TurnerInnen diese Sachen gegeben.
00:33:11
Also die haben denen ja diese Eiweißpralinen und Kaugummis gegeben.
00:33:15
Ja, aber die werden ja wahrscheinlich dann sagen, ich wusste nicht, was da drin ist.
00:33:19
Das ist auf jeden Fall deren Verteidigungsstrategie.
00:33:22
Und ich habe auch irgendwo gelesen, dass ganz viele TrainerInnen in dieser Zeit das nicht mehr mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten und dann deshalb aus dem Leistungssport ausgetreten sind.
00:33:32
Ja, also zum Glück gibt es Leute, die das nicht für normal und vertretbar finden, Kinder unter solche Substanzen zu setzen.
00:33:40
Aber auch schade, dass das lange genug möglich war, um so viele Menschen zu schädigen.
00:33:45
Und das werden sicherlich nicht alle gewesen sein, diese 142 Anklagen.
00:33:49
Nee, da komme ich gleich nochmal drauf zurück auf die genauen Zahlen.
00:33:53
Aber bei den TrainerInnen war es auch so, dass die sozusagen leistungsabhängig bezahlt wurden.
00:33:59
Das heißt, wenn ihre TurnerInnen auf dem ersten Platz waren, haben die auch mehr Geld bekommen.
00:34:05
Ja, na das ist ja der ideale Nährboden dann, um sowas auch noch zu fördern.
00:34:09
Und das ja sehenden Auges von Startseite her.
00:34:13
Und das finde ich daran so eklig, dass es der DDR ja so wichtig war, beim Sport international herauszustechen,
00:34:18
um da eben halt auch Ansehen zu bekommen.
00:34:20
Also es gab ja nicht mal so unabhängige Vereine.
00:34:23
Und der Staat dopt seine BürgerInnen, ja?
00:34:26
Zu welchem Preis?
00:34:27
Ja, ganz tolles System.
00:34:28
Und ich habe ja auch schon in dem Fall jetzt angedeutet, dass Sonja nur ein Beispiel von vielen war.
00:34:34
Aber welche Ausmaße das Zwangsdoping in der DDR hatte, darum geht es jetzt nochmal explizit in meinem Aha.
00:34:41
Erstmal hat man mit dem Doping in der DDR jetzt nicht erst 1974 angefangen.
00:34:45
Das ging schon in den 60er Jahren los, aber eben noch nicht so systematisch.
00:34:49
Dieses Staatsplan-Thema 14.25, das war eher eine Reaktion auf die weltweiten Dopingkontrollen,
00:34:56
die dann langsam eingeführt wurden.
00:34:58
Und da wollte man natürlich nicht aufliegen.
00:35:00
Und das hieße, das muss alles besser durchdacht und natürlich streng geheim durchgeführt werden.
00:35:04
Und in diesem Geheimplan wurde dann eben genau geregelt, wie die Forschung und Anwendung der sogenannten
00:35:10
unterstützenden Mittel, so haben die das dann genannt,
00:35:13
erfolgen sollen.
00:35:14
Und da sollte zum einen natürlich die Nachweisbarkeit im Körper verhindert oder zumindest erschwert werden,
00:35:20
damit man eben durch die Kontrollen kommt.
00:35:22
Und zum anderen wurde aber auch festgelegt, wie und an wen die Mittel verabreicht werden sollten
00:35:27
und wer davon wissen durfte.
00:35:28
Und dafür haben dann die Arbeitsgruppe unterstützende Mittel und die Forschungsgruppe unterstützende Mittel
00:35:33
ganz gezielt an diesen Arznei-Wirkstoffen geforscht.
00:35:36
Vor allem an Anabolika, Testosteron, Schmerzmittel und Psychopharmaka,
00:35:40
die dann in Summe dafür gesorgt haben, dass die SportlerInnen leistungsfähiger
00:35:44
und stressresistenter wurden.
00:35:46
Und was halt dann für die Medaillen in Kauf genommen wurde, ist natürlich das Leid.
00:35:50
Viele Opfer haben heute massive gesundheitliche Schäden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
00:35:55
Organschäden und Stoffwechselstörungen und auch Krebs, weil je nach Dauer und Art der Anwendung
00:36:02
von Anabolika können die nicht nur das Wachstum von Muskeln, sondern eben auch das Wachstum
00:36:06
von Tumoren begünstigen.
00:36:09
Aber auch eben die seelischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen
00:36:14
und auch dieses Erschöpfungssyndrom, wie das Sonja hat, sind Folgen von den Substanzen.
00:36:18
Weil wenn du so viele männliche Sexualhormone bekommst, die sorgen dafür, dass du sozusagen
00:36:23
diese natürlichen Regulierungsmechanismen, die man im Körper hat, um zum Beispiel sich zu
00:36:29
entspannen, dass das nicht dagegen ankommt mehr.
00:36:31
Du kannst dich dann nie entspannen.
00:36:33
Und deswegen kommen die in diese Erschöpfung.
00:36:36
Also es ist total krass.
00:36:37
Naja, das ist halt so, wenn man auf der einen Seite alles rauspowert, dann fehlt es halt
00:36:42
nachher auf der anderen, ja.
00:36:43
Und natürlich, wenn du so viele männliche Sexualhormone nimmst als Frau, passieren ja auch Sachen, ja.
00:36:51
Habe ich ja eben schon gesagt.
00:36:52
Körperbehaarung, tiefere Stimme und alles.
00:36:54
Und dann kann es natürlich auch passieren, dass du dich nicht mehr als Frau fühlst.
00:36:58
Dass es zum Beispiel der Kugelstoßerin Heidi Krieger passiert, die heute Andreas Krieger
00:37:03
heißt und ein Mann ist.
00:37:04
Weil er einfach zunehmend Schwierigkeiten hatte, sich in dieser weiblichen Geschlechterrolle
00:37:09
Und er führt das zumindest teilweise auf das Doping mit Testosteron zurück.
00:37:13
Insgesamt geht man davon aus, dass circa 15.000 SportlerInnen gedobt wurden.
00:37:19
Und ExpertInnen schätzen, dass 30% von ihnen irreversible Schäden haben.
00:37:23
Außerdem sind mehrere hundert Opfer bereits infolge der Schädigung verstorben.
00:37:27
Und dass das mit den Gerichtsverfahren nicht annähernd wieder gut gemacht wurde, ist ja klar.
00:37:32
Insgesamt gab es auch nur 38 Strafverfahren gegen 67 Beschuldigte.
00:37:36
Und davon wurden auch nur ein bisschen mehr als 70% verurteilt.
00:37:40
Also 15 Trainer, 19 Sportärzte und 14 staatliche Verantwortungsträger.
00:37:45
Die meisten davon auch nur zu einer Geldstrafe.
00:37:48
Also niemand musste ins Gefängnis.
00:37:49
Damit die Opfer aber nicht im Stich gelassen werden, wurde 1999 der Dopingopferhilfeverein gegründet,
00:37:56
an den sich bisher tausende Betroffene gewendet haben.
00:37:58
Der auf Sportrecht spezialisierte Anwalt Dr. Michael Lehner ist Mitgründer des Vereins.
00:38:03
Und er war auch der Anwalt vieler von den NebenklägerInnen von dem Prozess, von dem ich eben erzählt habe.
00:38:08
Lehner hat mit vielen Opfern persönlich Kontakt, weiß, wo die größten Probleme liegen und wie der Verein helfen kann.
00:38:15
Das geht natürlich los mit Postkrebserkrankungen, spezieller genetischer Auswirkungen,
00:38:22
die eben durch die Anabolika, durch die Wachstumshormone, durch nicht zugelassene Medikamente,
00:38:29
Medikamente da in Anführungszeichen aufgetreten sind.
00:38:33
Ich sehe dann natürlich auch die lange Leidensgeschichte unter dem besonderen Aspekt,
00:38:38
dass es eben nicht um wohlhabende Bürger geht, sondern die mit ohnehin kleinen Renten.
00:38:45
Die Opfer kommen zu uns, vor allem, weil sie eben bei uns ein großes Ohr haben.
00:38:49
Wir hören zu, wir haben eine Sozialarbeiterin, die besonders ausgebildet ist, sich den Opfern annehmen kann.
00:38:57
Wir haben Selbsthilfegruppen.
00:38:58
Die Opfer finden sich bei uns zusammen, was natürlich in Gesprächen und so weiter sehr, sehr viel hilft.
00:39:05
Und das ist auch wichtig, weil von juristischer Seite ist da ja nichts mehr zu erwarten,
00:39:10
weil da eben 2000 diese Verjährung eingetreten ist.
00:39:14
Und vom Staat kommt jetzt auch nicht so viel.
00:39:17
2002 wurde da zwar ein Hilfsfonds eingerichtet, der 2018 auch nochmal aufgestockt wurde.
00:39:22
Und aus diesem Hilfsfonds bekommen die Geschädigten dann eine Einmalzahlung von rund 10.500 Euro.
00:39:28
Aber das ist natürlich nicht viel in Anbetracht der Schäden.
00:39:32
Und das findet auch unser Experte Lena so.
00:39:35
Und er fordert eine dauerhafte Opferrente für die Geschädigten.
00:39:38
Das wünscht sich auch Sonja.
00:39:40
Bei der reicht nämlich diese Frührente, die sie da bekommt, vorne und hinten nicht.
00:39:45
Und zu ihrer angespannten finanziellen Situation kommt, dass sie Angst hat,
00:39:49
dass ihr die Krankenkasse irgendwann die Psychotherapie nicht mehr weiter bewilligt,
00:39:53
die sie auch noch heute dringend braucht, damit es ihr besser geht.
00:39:58
Ich finde, das ist einfach so ein krasser Eingriff in deinen Organismus.
00:40:02
Ja, das ist so krass.
00:40:03
Du kannst doch nicht einfach das ganze System von Menschen auf den Kopf stellen.
00:40:06
Ich sage das selten, aber ich finde die Strafen dafür wirklich viel zu lasch.
00:40:10
Ja, und das Krasse ist, wenn du so viel von dem Zeug bekommen hast, dass sich auch was in der Genetik ändern kann.
00:40:15
Und das dann deine Kinder betrifft, die gar nichts damit zu tun hatten, die noch nicht mal irgendeinen Sport gemacht haben,
00:40:21
die dann mit Schäden auf die Welt kommen.
00:40:24
Ich finde das so krass.
00:40:26
Ich finde eigentlich, dass die Kinder die auch verklagen können müssten.
00:40:29
Die Kinder haben auch jetzt seit neuestem ein Anrecht zumindest auf die 10.500 Euro.
00:40:36
Aber das war am Anfang auch noch nicht so, aber ja.
00:40:40
Ja, und wenn man bedenkt, was Doping für Schäden nach sich ziehen kann, also zum Beispiel Krebs oder so,
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dann müsste man ja eigentlich meinen, dass Doping heute eigentlich gar kein Thema mehr ist.
00:40:50
Dem ist es aber nicht so.
00:40:51
Die Radsportvereinigung MPCC hat dieses Jahr Zahlen zu Dopingfällen im Hochleistungssport aus 2023 veröffentlicht.
00:40:58
Und insgesamt wurden 620 Dopingfälle registriert.
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Das ist ein Anstieg von 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
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Und die meisten Fälle, nämlich 151, gab es in der Leichtathletik.
00:41:08
Da ist jetzt allerdings nicht klar, ob dieser Dopingmissbrauch von den SportlerInnen selbst begangen wurde
00:41:14
oder ob sie wie Sonja halt eben nichts davon wussten.
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Das ist auch schwer festzustellen.
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Ein prominentes Beispiel ist der Fall von Dieter Baumann.
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Der ist auch Leichtathlet und ist in der Öffentlichkeit immer als Dopinggegner aufgetreten.
00:41:25
Jetzt ist er allerdings bei zwei Doping-Tests 1999 durchgefallen,
00:41:30
weil der Wirkstoff Nandrolon, also ein Anabolika bei ihm festgestellt wurde.
00:41:34
Und diese Substanz wurde auch in seiner Zahnpasta gefunden.
00:41:37
Baumann sagt, irgendjemand habe ihm das Mittel in die Zahnpasta injiziert,
00:41:42
um ihm halt so einen Dopingfall anzuhängen.
00:41:45
Aber der Internationale Leichtathletikverband hat ihm das nicht geglaubt und ihn dann auch für zwei Jahre gesperrt.
00:41:50
Und hier einmal kurz zur Einordnung.
00:41:51
Der Baumann wurde jetzt nur in Anführungsstrichen vom Internationalen Leichtathletikverband bestraft und nicht von irgendeinem Gericht.
00:41:58
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Ermittlungen gegen ihn damals eingestellt.
00:42:02
Ein Fall, bei dem das vermutet wird, dass das halt unwissentlich passiert ist, ist der der russischen Eiskunstläuferin Kamila Waliva.
00:42:28
Sie gewann bei den Olympischen Winterspielen im Februar 2022 in Peking Gold mit der Mannschaft.
00:42:33
Und da war sie gerade einmal 15 Jahre alt.
00:42:36
Einen Tag nach dem Wettkampf lagen jedoch die Ergebnisse einer Dopingkontrolle aus Dezember vor,
00:42:41
bei der die verbotene Substanz Trimetazidin festgestellt wurde.
00:42:45
Das ist ein Herzmedikament, das den Blutfluss und damit die Ausdauer steigern kann.
00:42:50
Weil das ja dann erst nach dem Olympiasieg rauskam, hat der Internationale Sportgerichtshof diesen Januar entschieden,
00:42:56
dass ihr nachträglich der Olympiasieg und alle anderen Titel aberkannt werden, die sie seit Dezember 2021 gewonnen hat.
00:43:01
Außerdem wird sie für vier Jahre gesperrt.
00:43:03
Sie und ihre Trainerin weisen alle Anschuldigungen von sich.
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Es sei nämlich so gewesen, dass sie aus einem Glas getrunken habe, aus dem ihr herzkranker Opa vorher angeblich sein Medikament eingenommen hat.
00:43:16
Was die sich immer einfallen lassen, ja. Ist ja geil.
00:43:20
Ja, genau. Und man fragt sich dann ja schon irgendwie, warum wird denn noch gedopt?
00:43:25
Also erstens, weil man ja die Gesundheitsrisiken kennt, aber ja auch, weil man ja weiß, dass es diese Kontrollen gibt und dass das Ganze halt auffliegen kann.
00:43:34
Und unser Experte Dr. Michael Lehner, der erklärt das so.
00:43:37
Höher, schneller, weiter. Das ist das grundlegende Motiv im Leistungssport.
00:43:42
Man will immer besser werden und da ist doppelt natürlich ein beliebtes Mittel, ein naheliegendes Mittel, um die natürlichen Grenzen zu überwinden.
00:43:51
Man muss aber auch die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Sport betrachten.
00:43:55
In einem Sport, bei dem wenige Zehntel Sekunden alles ausmachen, also die Grenze zwischen dem Vielverdiener und dem Wenigverdiener,
00:44:04
da greift man gerne eben dann zu Dopingmitteln, um hier vorne zu sein.
00:44:08
Wer vom Sport leben muss, ist eben eher geneigt, seinen Körper als Werkzeug zum Geldverdienen zu betrachten.
00:44:14
Alle sind abhängig von den Medien und Sponsoren.
00:44:17
Ein schlechtes Ergebnis, das schlägt nicht nur auf die Laune, sondern das wirkt sich insgesamt auf das gesamte Leben, auf die gesamte Existenz des Sportlers aus.
00:44:26
Und manchmal hilft da auch heute noch der Staat nach, zum Beispiel Russland.
00:44:30
Laut einem Bericht der Welt-Anti-Doping-Agentur hat Russland seine AthletInnen für die Olympischen Winterspiele in Sochi 2014
00:44:37
systematisch mit einem geheimdienstlich gedeckten Staats-Doping-Programm gedopt.
00:44:42
Im Moskauer Doping-Labor seien über Jahre hinweg positive Proben verschwunden.
00:44:46
Über 1000 russische AthletInnen sollen zwischen 2012 und 2015 von der systematischen Doping-Vertuschung profitiert haben.
00:44:54
Und erst im April dieses Jahres hat die ARD zusammen mit der New York Times Recherchen zur Doping-Vertuschung in China veröffentlicht.
00:45:01
Dort heißt es, dass 23 chinesische SpitzenschwimmerInnen Anfang 2021 bei einem nationalen Wettkampf in China
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positive Doping-Tests auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin hatten, darunter auch Minderjährige.
00:45:13
Also wir sehen, dass die Problematik aus Sauras Fall heute auch immer noch sehr aktuell ist.
00:45:18
Auch in dem Fall, den ich gleich erzähle, geht es um Gefahren beim Sport, allerdings auf eine ganz andere Art.
00:45:25
Mein Fall zeigt, dass Schuld auch unabhängig von einem Schuldspruch existiert und dass die empfundene Schuld mit weder noch zu tun hat.
00:45:33
Alle Namen habe ich geändert und die Trigger-Warnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
00:45:37
Vertraue Gott in jeder Lage, vertraue ihm nur ihm allein.
00:45:41
Was auch dich trifft, nur nicht verzage.
00:45:44
Gedenke stets, es muss so sein.
00:45:46
Zur Beherzigung fürs ganze Leben, in Liebe deine Mutter.
00:45:49
Tauberbischofsheim, 4. April 1965
00:45:54
Oliver Bolz ist erst 10 Jahre alt, als seine Mutter diese Notiz im fränkischen Nordosten Baden-Württembergs an ihn verfasst.
00:46:01
Welche Bedeutung sie mal für ihn haben wird, weiß er noch nicht.
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Ein Jahr später. Es ist ein Oktoberdonnerstag und Oliver ist 11 Jahre alt.
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Nachdem er gerade seine Hausaufgaben erledigt hat, macht er sich auf den Weg zu der Stadt- und Sporthalle,
00:46:13
dem Trainingsräum des TSV 1863 Tauberbischofsheim.
00:46:17
Er will seinen zwei älteren Brüdern beim Fechten zuschauen und so endlich mal mit eigenen Augen sehen,
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was die da in der Fechthalle so treiben.
00:46:24
Also schleicht er sich so unauffällig wie möglich auf eine Holzbank am Rand und beobachtet sie dort mit großen Augen.
00:46:30
Oliver ist fasziniert von seinen Brüdern, von der Eleganz und Kraft, die sie ausstrahlen,
00:46:35
und stellt sich vor, selbst mit einem Florett der langen, dünnen Fechtklinge in der Hand gegen einen Gegner anzutreten.
00:46:41
Doch plötzlich wird Oliver aus seinen Tagträumen gerissen.
00:46:44
Ein kleiner, runder Mann baut sich vor ihm auf.
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Der Elfjährige ist eingeschüchtert von dem dominanten Auftreten.
00:46:50
Warum er nicht auch Sport treibe, will der Mann wissen, gibt Oliver eine Ohrfeige und sagt,
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nächste Woche fängst du an. Ist das klar?
00:46:58
Diese Ohrfeige soll das Schicksal von Oliver Bolz besiegeln, soll ihn zum Auserwählten machen,
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den Fechtsport auf den Kopf zu stellen. Leider.
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Der kleine Ohrfeigenmann ist Trainer Karl Ullmann, auch genannt der allmächtige Fechtmeister.
00:47:13
Nach dem ersten Training, das Oliver mit ihm hat, erkennt Ullmann gleich dessen Talent.
00:47:17
Oliver verbringt in den kommenden Jahren viel Zeit mit Trainer Karl im Fechtzentrum.
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Und dieser wird für Oliver nicht nur zum Mentor, sondern auch zu einer Art Vaterersatz.
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Sein eigener Vater verstarb, als er vier Jahre alt war.
00:47:30
Unter Karls Obhut und mithilfe von Bruder Robin, der später als Assistent von Karl fungiert,
00:47:34
wächst Oliver zu einem 1,96 m großen Mann und einem erfolgreichen Sportler heran.
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Er entwickelt in den 70ern seinen berüchtigten Overhead-Touch,
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einen Fechtstoß, der seine Gegner verzweifeln lässt.
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1973, mit 18 Jahren, erkämpft Oliver sich die erste Goldmedaille bei den Deutschen Meisterschaften.
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auf die noch viele weitere folgen.
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Drei Jahre später verhilft er seinem Team im Mannschaftswettkampf zur Olympia Gold in Montreal.
00:47:58
Und während er sich selbst auf den zweiten Platz der Weltrangliste fechtet,
00:48:02
trainiert er schon bald andere SportlerInnen.
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Seine sensible und mitfühlende Art gegenüber seinen FechtsfühlerInnen und seine beachtliche Größe
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geben ihm in der Fechtszene den Spitznamen Der Weiche Riese.
00:48:13
Dabei wächst ihm der Erfolg nie über den Kopf.
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Oliver ist ein bodenständiger Typ.
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Sympathisch und in seiner Heimatstadt Tauber-Bischofsheim ist man mächtig stolz auf den Jungen,
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der es zu was gebracht hat.
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Von dem es Artikel in Zeitungen und Beiträge im Radio gibt.
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Dass sie von Oliver schon bald noch mehr in den Zeitungen lesen werden,
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aber nicht wegen seiner Fechtkunst, das weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
00:48:35
Rom, 19. Juli 1982.
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32. Fecht-Weltmeisterschaften.
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Der mittlerweile 27-jährige Oliver reist mit seinem Trainer Karl, Bruder Robin und seinen Teamkameraden
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in die italienische Hauptstadt, um der Welt zu zeigen, was sie drauf haben.
00:48:52
Die deutschen Florett-Fechter treffen im Viertelfinale des Mannschaftswettkampfes auf die sowjetischen.
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Mannschaftswettkampf heißt für Oliver damals, jeder der vier Fechter aus seinem Team tritt einzeln
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gegen jeden der vier Gegner des anderen Teams an.
00:49:05
Wer zuerst sechs Treffer erzielt oder wer nach der Rundenzeit von fünf Minuten die meisten Treffer hat,
00:49:10
gewinnt das Gefecht und erhält einen Punkt fürs Team.
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Als das deutsche Team mit 2 zu 1 in Führung liegt, kommt es zum Duell der Meister.
00:49:18
Oliver, der Weltranglisten zweiter ist, steht auf der sogenannten Planche, der Fechtbahn,
00:49:22
dem einzigen Mann gegenüber, an dessen Erfolg er bisher nicht rangekommen ist.
00:49:27
Weltranglisten erster, Oleg Petrov.
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28. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden aufeinandertreffen.
00:49:34
Oliver hatte schon ein paar Mal das Vergnügen, gegen ihn anzutreten und zuletzt gegen ihn verloren.
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Oleg ist extrem schwer zu schlagen.
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Oliver freut sich zwar über diese Top-Duelle, aber ist auch über jeden Treffer froh, den er setzen kann.
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Oliver respektiert seinen Gegner und ist beeindruckt von ihm und seinem Fechtstil.
00:49:52
Oleg, der Mann, der ihm jetzt gegenüber steht, gilt als Ausnahmefechter dieser Zeit.
00:49:57
Damit er seinen Titel verteidigen kann, hat er seine Frau Anna zu Hause in Kiew mit den beiden 5- und 6-jährigen Kindern allein gelassen.
00:50:03
Bei solchen Reisen kann er immer auf ihre Unterstützung zählen, denn seine Frau weiß, wie viel der Sport ihm bedeutet.
00:50:10
So hatte sie ihn damals auch mit 16 Jahren kennengelernt.
00:50:14
Als jemand, der in den Sport vernaht ist.
00:50:16
Fußball, Hockey, Basketball, alles hat er gespielt.
00:50:19
Bis ein Fechttrainer auf den dünnen Jungen mit dem Lockenkopf aufmerksam wird und ihn für ein Training einlädt.
00:50:25
Oleg ist zunächst nicht begeistert vom Fechten.
00:50:27
Er besiegt seinen Gegner im ersten Spiel zu leicht.
00:50:30
Doch er lässt sich mitreißen und schon bald ist es unmöglich, für ihn damit wieder aufzuhören.
00:50:35
Er gewinnt die UDSSR-Meisterschaften 1977 und 1978, wird Meister im Einzelwettbewerb und Silbermedaillengewinner im Mannschaftswettbewerb der Olympischen Spiele 1980.
00:50:46
Ein Jahr später gewinnt Oleg die Weltmeisterschaft sowohl im Einzel- als auch mit seiner Mannschaft.
00:50:51
Während seine Frau ihm von zu Hause die Daumen drückt, ist er jetzt im über 2000 Kilometer entfernten Rom, um beide Titel zu verteidigen.
00:50:58
Jetzt stehen sie sich also gegenüber, Oliver Bolz und Oleg Petrov.
00:51:02
Die zwei Besten der Welt treffen aufeinander.
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In der Fechtszene ist das vergleichbar mit Ali gegen Foreman oder Messi gegen Ronaldo.
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Beide in weißer Montur.
00:51:11
An ihrem Rücken hängt jeweils ein langes Kabel, das aussieht wie ein Seilzug und ihre Anzüge und Klingen mit der elektrischen Trefferanzeige verbindet.
00:51:18
Der weiche Riese und vis-à-vis sein Gegner, der mächtige Petrov.
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Sie begrüßen einander durch den Fechtergruß, anschließend den Kampfrichter und das Publikum.
00:51:26
Dann verschwinden ihre Gesichter unter den uneinsichtigen Schutzmasken.
00:51:30
Der Richter gibt das Kommando zum Angriff.
00:51:33
Durch die vergangenen Kämpfe weiß Oliver, welche Stärken und welche doch ganz kleinen Schwächen sein Gegner hat.
00:51:41
Und das Wissen will er einsetzen, um seine Mannschaft nach vorn zu bringen.
00:51:44
Und tatsächlich, seine flexible Klinge biegt sich einige Male, wenn ihre Spitze auf Olegs Körper trifft.
00:51:50
Nach einigen spektakulären Paraden liegt Oliver 4 zu 3 vorn.
00:51:54
Aber es ist noch alles offen.
00:51:56
Alle Leute im Palazzo de los Bord sind gefesselt.
00:51:59
Die Luft ist wie elektrisiert.
00:52:02
Beide stehen bereit für den nächsten Angriff an der Startlinie und warten auf das Signal des Kampfrichters.
00:52:07
Sie starten einen gleichzeitigen Angriff.
00:52:09
Das Publikum sieht begeistert dabei zu, wie Olivers und Olegs Floretz aufeinandertreffen.
00:52:14
Oliver ist fest entschlossen, jetzt seinen nächsten Treffer zu erzielen.
00:52:18
Doch plötzlich passiert etwas Seltsames.
00:52:20
Die Spitze von Olivers Klinge trifft Oleg unterhalb der linken Schulter im oberen Brustbereich.
00:52:26
Das Florett biegt sich wie gewohnt unter dem Gewicht des Kontrahenten.
00:52:29
Aber plötzlich hört Oliver ein seltsam klirrendes Geräusch und merkt, wie der Widerstand seiner Waffe,
00:52:34
den er gerade eben durch die Berührung mit Olegs Körper gespürt hatte, verschwindet
00:52:38
und bemerkt, wie er nach vorn kippt.
00:52:40
Oliver verliert die Kontrolle über seine Bewegung, zieht automatisch die Klinge zurück.
00:52:44
Oleg, der eben noch in der Vorwärtsbewegung auf ihn zuging, fällt plötzlich um und bewegt sich nicht mehr.
00:52:51
Was ist denn jetzt geschehen?
00:52:53
Der schneeweiße Anzug seines am Boden liegenden Gegners färbt sich rot.
00:52:57
Oliver wird schlecht.
00:52:59
Er schaut auf seine Klinge, die er noch immer in der Hand hält.
00:53:02
Auch sie ist blutverschmiert und um einige Zentimeter kürzer.
00:53:06
Da realisiert er, was da gerade passiert ist.
00:53:09
Die Klinge von Oliver ist während des Angriffs unter der Biegung gebrochen.
00:53:13
Durch die Bruchstelle ist eine messerscharfe Waffe entstanden, die sich durch die Bewegung, die Oliver gerade ausgeführt hat, durch Olegs Maske gebohrt hat.
00:53:20
Oliver ist wie gelähmt vor Entsetzen, nimmt nichts mehr wahr und weiß nicht mehr, wohin mit sich.
00:53:26
Mit der blutverschmierten Waffe in der Hand läuft er rastlos umher und schreit immer wieder, nein, nein, nein.
00:53:32
Sein Bruder Robin eilt zur Hilfe, nimmt ihm die Waffe ab.
00:53:35
Während sich zahlreiche Menschen um den offenbar schwer verletzten Oleg tummeln, sitzt Oliver auf der Bank, vergräbt sein verschwitztes Gesicht in ein Handtuch.
00:53:43
Oleg, immer noch regungslos, wird auf einer Bahre weggetragen.
00:53:46
Oliver will nur noch fort.
00:53:48
Robin bringt seinen unter Schock stehenden Bruder ins Hotel.
00:53:52
Hoffentlich ist die Verletzung nicht ganz so schlimm, wie sie aussah.
00:53:54
Und trotzdem fällt er in diesem Moment die Entscheidung, nie wieder fechten zu wollen.
00:53:59
Oleg kommt mit schweren Kopf- und Hirnverletzungen in ein Krankenhaus, wo ÄrztInnen um sein Leben kämpfen.
00:54:05
Nachdem die Klinge abgebrochen war, hatte sie sich in sein linkes Auge und den Schädel gebohrt.
00:54:10
Jetzt liegt der 28-Jährige im Koma.
00:54:13
Die Gefechte bei den Weltmeisterschaften werden nach anderthalb Stunden fortgesetzt.
00:54:17
Ohne Oliver und ohne Oleg.
00:54:20
Trainer Karl will unbedingt, dass die deutsche Mannschaft um die Platzierung weiterkämpft.
00:54:24
Aber Olivers Teamkameraden weigern sich.
00:54:26
Die sowjetische Mannschaft macht weiter, holt sich den Sieg und widmet ihn ihrem verletzten Kameraden.
00:54:31
Als Anna Petrov an diesem Abend in ihrer Wohnung in Kiew vor dem Radio sitzt,
00:54:36
ist die Nachrichtenlage über den Kalten Krieg mal wieder ermüdend.
00:54:39
Der sogenannte eiserne Vorhang, der die Grenze bezeichnet, durch die Europa in dieser Zeit getrennt ist,
00:54:44
schirmt Anna in Kiew von dem westlichen Geschehen ab.
00:54:48
Umso aufmerksamer lauscht sie jetzt der Stimme des Sportnachrichtensprechers,
00:54:51
um zu erfahren, wie ihr Mann bei der WM abgeschnitten hat.
00:54:54
Anna freut sich, als sie hört, dass die Sowjetunion den Teamwettkampf gewonnen hat.
00:54:59
Doch als der Sprecher die Namen der Mannschaftsmitglieder vorliest, verfliegt die Freude schnell.
00:55:03
Der Name ihres Mannes, Oleg Petrov, wird nicht genannt.
00:55:07
Anna rutscht das Herz in die Hose.
00:55:10
Sie weiß, wie diszipliniert Oleg ist.
00:55:12
Er ist schon mit hohem Fieber und Verletzungen bei Wettkämpfen angetreten.
00:55:15
Nichts und niemand hätte ihn aufhalten können, seinem Sport, seiner großen Leidenschaft nachzugehen.
00:55:21
Niemals hätte er sich einfach so abgemeldet.
00:55:24
Anna weiß sofort, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein muss.
00:55:27
Vom Trainer ihres Mannes erfährt sie später, dass Oleg verletzt im Krankenhaus liegt.
00:55:32
Er versichert ihr aber, dass alles gut wird.
00:55:34
Ihr Gefühl sagt ihr etwas anderes.
00:55:36
Eine andere Möglichkeit an Informationen zu kommen, hat die 28-Jährige aber nicht.
00:55:41
Oleg Petrov, der gefeierte Fechtheld im Westen, zu Fall gebracht.
00:55:44
Solche Meldungen finden in den Medien keinen Platz zwischen den Lobgesängen über die eigene Überlegenheit.
00:55:50
Für Anna ist das Warten und Bangen unerträglich.
00:55:53
Während die anderen Männer aus Olegs Team nach der erfolgreichen Meisterschaft nach Hause zu ihren Frauen und Kindern zurückkehren,
00:55:59
versucht Anna nicht die Hoffnung zu verlieren, dass ihr Mann auch bald wieder in ihren Armen sein wird.
00:56:03
In welchem Zustand das auch immer sein mag.
00:56:06
Anna bereitet sich nämlich innerlich schon darauf vor, ihn den Rest ihres Lebens pflegen zu müssen.
00:56:11
So gern würde sie nach Rom, ihrem Oleg beistehen.
00:56:14
Doch einfach mal in den Bus setzen und rüberfahren ist während des Kalten Kriegs nicht möglich.
00:56:18
In der Sowjetunion ist ein Ausreisevisum dieser Tage nur für diejenigen möglich,
00:56:23
die aus beruflichen Gründen das Land verlassen müssen und die die hohe Würde des Sowjetmenschen nicht in Gefahr bringen würden.
00:56:29
Die Vorgesetzten der AntragstellerInnen müssen ein Dokument ausstellen,
00:56:33
das eindeutig belegt, warum eine Reise zu einem Ziel außerhalb der Sowjetunion notwendig ist.
00:56:38
Vielen wird die Ausreise aber auch dann verwehrt, ohne dass dies begründet wird.
00:56:42
Trotzdem versucht Anna, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um doch ein Ausreisevisum zu bekommen.
00:56:48
Nach Tagen, die sie damit verbringt, Schlange zu stehen, um bei BeamtInnen zu Kreuze zu kriechen,
00:56:53
bekommt sie tatsächlich eine Genehmigung.
00:56:55
Als sie schließlich quasi auf gepackten Koffern sitzt, um endlich ihren Oleg wiedersehen zu können,
00:57:00
klopft es an ihrer Tür.
00:57:01
Es ist Olegs Trainer, der vor ihr steht und sagt, du brauchst nicht mehr zu fahren.
00:57:08
Währenddessen ist Oliver nach seiner Rückkehr aus Rom im Urlaub in den Niederlanden.
00:57:12
Die Reise war schon vor dem tragischen Unfall geplant, um nach der WM wieder zur Ruhe zu finden und Kraft zu tanken.
00:57:18
Aber von Urlaub oder Ruhe kann hier keine Rede sein.
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Mit im Gepäck sind nicht nur die lähmenden Schuldgefühle, die Angst, der Schmerz, die Überforderung.
00:57:27
Er hat auch einen schwarzen Anzug dabei, für den Fall, dass Oleg es nicht schaffen wird.
00:57:32
Westliche Zeitung widmen dem Unfall von Rom im Gegensatz zu den sowjetischen viel Raum.
00:57:37
Oliver holt sich jeden Morgen eine Ausgabe im Kiosk, um über Olegs Gesundheitszustand auf dem Laufenden zu bleiben.
00:57:43
Nach zehn qualvollen Tagen, am 28. Juli, hält er die Zeitung in der Hand, die seine schlimmste Befürchtung in traurige Gewissheit verwandelt.
00:57:51
Oliver liest, dass Oleg seinen schweren Kopf- und Hirnverletzungen erlegen ist.
00:58:04
Er war seit dem Unfall mit einer Herz-Kreislauf-Maschine künstlich am Leben gehalten worden und starb in einer Klinik von Rom, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
00:58:13
Oliver ringt nach Luft.
00:58:15
Auch wenn er mit Olegs Tod gerechnet hat, es schwarz auf weiß zu lesen, trifft ihn wie ein Schlag in die Magenrube.
00:58:21
Ein Ehemann, Vater und liebevoller und talentierter Sportler ist durch seine Klingel gestorben.
00:58:26
Tief im Inneren weiß er zwar, dass er daran keine Schuld trägt, trotzdem fühlt er sich verantwortlich.
00:58:32
Für Oliver startet ein innerer Schuldprozess.
00:58:34
Mit ihm selbst auf der Anklagebank.
00:58:38
Am Ende des Artikels steht, dass eine erste Untersuchung von Olegs Maske und Olivers Florett keine Mängel ergeben hätten.
00:58:44
Maske und Waffe seien neu gewesen.
00:58:46
Gleichzeitig wird bekannt gegeben, dass der Internationale Fechtverband einen mit 180.000 D-Mark dotierten Wettbewerb ausgeschrieben hat, um verstärkte Sicherheitsmaßnahmen im Fechtsport zu erforschen.
00:58:57
Und das ist nicht verwunderlich.
00:58:58
Allein Oliver sind in Wettkampfvorbereitungen schon bis zu 50 Mal die Klingen gebrochen.
00:59:04
Dass es zu dieser Zeit nichts Ungewöhnliches ist.
00:59:06
Die Materialien damals sind nicht besonders widerstandsfähig.
00:59:09
Zu diesem Zeitpunkt geben die Regeln lediglich eine Mindestdicke des Gitternetzes der Maske sowie die maximale Maschenweite der Fechtmaske vor.
00:59:17
Auf sicherheitsrelevante Vorschriften für Klingen wird vollständig verzichtet.
00:59:20
All das hat dazu geführt, dass es vor Olegs Tod bereits vier Todesfälle gab.
00:59:25
Zahlreiche Fechter hatten sich teils lebensbedrohliche Verletzungen zugezogen.
00:59:29
Erst zwei Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen in Moskau wäre Olegs Teamkollege beinahe ums Leben gekommen.
00:59:35
Während des Halbfinalspiels mit der polnischen Mannschaft drang die Klingel in seinen Rücken im Bereich des Herzens ein.
00:59:42
Das Florett kam drei Millimeter neben dem Herzen aus der Brust heraus.
00:59:45
Oliver hörte damals davon.
00:59:47
Dass er selbst einmal in solch einen Unfall verwickelt sein würde, hätte er niemals für möglich gehalten.
00:59:53
Dass erst wieder jemand habe sterben müssen, damit an verbesserten Sicherheitsmaßnahmen im Fechten geforscht wird, macht Oliver wütend.
00:59:59
Hätte all das nicht verhindert werden können.
01:00:02
Ja, sogar verhindert werden müssen.
01:00:04
Da fällt Oliver die Notiz ein, die seine Mutter an ihn verfasste, als er zehn Jahre alt war.
01:00:09
Vertraue Gott in jeder Lage.
01:00:13
Was auch dich trifft, nur nicht verzage.
01:00:17
Es muss so sein.
01:00:19
Oliver glaubt, dass er vom Schicksal dazu auserwählt wurde, in grausamer Weise etwas für die Sicherheit des Fechtens zu tun.
01:00:25
Obwohl Oliver den Anzug für Olegs Beerdigung eingepackt hatte, entscheidet er sich nicht zu gehen.
01:00:30
Er weiß nicht, wie Familie und Trauergäste auf ihn reagieren würden.
01:00:33
Er hat Angst, als Mörder beschimpft zu werden.
01:00:35
Die Vorbereitung der Beerdigung erlebt Anna währenddessen wie unter Hypnose.
01:00:40
Die Nachricht von Olegs Tod, die ihr sein Trainer an ihrer Haustür überbringt, reißt ihr die rosa-rote Brille vom Gesicht,
01:00:46
die sie an der Seite ihres geliebten Mannes immer getragen hatte.
01:00:49
Mit einem Mal sieht sie die Welt nur noch in Grau.
01:00:52
Sie weint nicht.
01:00:53
Sie ist wie versteinert.
01:00:55
Sie kann nicht glauben, dass er für immer fort ist.
01:00:57
Für sie ist mit dem Tod ihres Mannes ihr Leben ruiniert.
01:01:01
Sie muss ihn sehen, um das zu realisieren.
01:01:03
Mit einem Militärflugzeug wird Olegs lebloser Körper nach Kiew gebracht und im Offiziershaus aufgebahrt.
01:01:09
Da liegt er nun in einem schicken Sarg.
01:01:11
Annas Ehemann, mit dem sie noch ihr ganzes Leben verbringen wollte.
01:01:15
Viel Zeit, um ihrer Trauer Raum zu geben, hat sie aber nicht.
01:01:18
Später erzählt sie, dass sie ihn sich nur kurz anschauen durfte und ihr nicht erlaubt wurde, sich richtig von ihm zu verabschieden.
01:01:25
Geschweige denn, ihn für die Beerdigung einkleiden durfte.
01:01:29
Also wird er auf dem Soldatenfriedhof in Kiew in dem schmutzigen Laken begraben, mit dem man Oleg im römischen Leichenschauhaus zugedeckt hatte.
01:01:36
Die Organisation der Beerdigung übernimmt der Armeesportverein und der Sportausschuss.
01:01:41
Der Nachruf passt in zwei Zeilen.
01:01:43
Auf die Umstände des Todes wird nicht eingegangen.
01:01:47
Bei der Beerdigung bekommt Anna versichert, dass sie finanziell unterstützt werde.
01:01:51
Trainer der sowjetischen Mannschaft sprechen außerdem davon, dass andere Athleten bei der römischen Meisterschaft einen Fonds eröffnet hätten, um der Familie Petrov zu helfen.
01:01:59
Auch Oliver Bolz, der Gegner, der ihren Mann getötet habe, habe dorthin Geld überwiesen.
01:02:04
Auch das Sportunternehmen, mit dessen Ausrüstung das sowjetische Team an den Start ging, muss eine riesige Geldsumme spenden.
01:02:10
Muss, denn entgegen der ersten Berichterstattung am Tag nach Olegs Tod ist bei weiteren Ermittlungen rausgekommen, dass seine Maske doch Mängel aufwies.
01:02:18
Rostig und porös sei sie gewesen.
01:02:21
Außerdem bescheinigt ein italienisches Gericht dem Internationalen Dachverband für Fächter aufgrund des Fehlens ausreichender Sicherheitsvorschriften eine Mitschuld an Olegs.
01:02:29
Tot. Wirklich verantwortlich für Olegs Tod wird aber niemand gemacht. Und das Unglück wird zu den Akten gelegt.
01:02:36
Von dem versprochenen Geld, erzählt Anna später, sei nie etwas bei ihr angekommen.
01:02:41
Angeblich sei es bei den sowjetischen Beamtinnen hängen geblieben.
01:02:44
Anna erhält nur eine kleine Entschädigung und etwas mehr Geld zusätzlich zu ihrer Witwenrente.
01:02:50
Insgesamt umgerechnet etwa 452 D-Mark. Viel zu wenig, um zwei kleine Kinder großzuziehen.
01:02:57
Doch abgesehen von den Geldsorgen, die Anna nun plagen, weiß sie auch nicht, wie sie es ihren Kindern beibringen soll.
01:03:02
Deswegen verheimlicht sie den Tod des Vaters erst.
01:03:05
Als sie es ihnen schließlich doch erzählt und mit ihnen zum Friedhof geht, fragen sie, ob ihr Papa denn keinen Sand in die Augen kriegen würde, wenn er unter der Erde lege, oder ob ihm nicht kalt sei.
01:03:14
Für Anna ist das alles viel zu viel.
01:03:17
Jede Nacht träumt sie von ihrem Mann, von dem sie sich nicht verabschieden konnte.
01:03:21
Im Traum umarmt er sie und flüstert, du schaffst das ohne mich.
01:03:26
Während Anna an ihrem Schmerz und der neuen Verantwortung, die sie für ihre Kinder trägt, fast zerbricht, geht es auch Oliver nicht gut.
01:03:32
Dass Oleg wegen des Kampfes, den die beiden geführt haben, nicht mehr am Leben ist, zerreißt ihn.
01:03:37
Wie eine seelenlose Hülle schreitet er durchs Leben.
01:03:40
Er kann keinen klaren Gedanken fassen.
01:03:42
Er ist selbst verheiratet und Vater und denkt ununterbrochen an die hinterbliebene Familie.
01:03:47
Auch in der Arbeit mit den Kindern im Fechtzentrum findet er keine Ablenkung.
01:03:51
Wie soll er den Kindern Begeisterung für den geliebten Sport vermitteln, den er plötzlich selbst in Frage stellt und der offenbar so gefährlich ist, dass man einen Menschen töten könnte.
01:04:00
Oliver ist zerrissen zwischen nie mehr fechten und ich muss weiter fechten, sonst zerbreche ich.
01:04:07
Letztlich hilft ihm sein Umfeld, allen voran seine Familie und Ziehvater Karl, sich zurück auf die Planche und ins Leben zu kämpfen.
01:04:13
Um den Kopf freizukriegen, fährt Oliver mit Karl drei Tage durch den bayerischen Wald.
01:04:18
Zwischen Vogelgezwitscher und rauschenden Bäumen kommt er erstmals seit dem Unfall etwas zur Ruhe.
01:04:24
Die stundenlange Gespräche mit seinem Trainer sind wie Massagen für seine Seele.
01:04:27
Am 28. Oktober 1982, drei Monate nach dem tragischen Unglück, steht Oliver bei den Europameisterschaften im italienischen Foggia wieder auf der Planche.
01:04:38
Doch die Furcht fechtet mit.
01:04:40
Er erreicht nur den siebten Platz.
01:04:41
Es dauert eine ganze Zeit lang, bis er zumindest sportlich seine alte Form wieder erlangt.
01:04:46
Tief im Inneren kann er nicht einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen.
01:04:51
Gedanken an die hinterbliebene Familie von Petrov treiben ihn herum.
01:04:54
Er schreibt viele Briefe an Anna, in denen er seine Gefühle schildert, wie schuldig er sich fühlt und wie sehr ihm alles leidtut.
01:05:01
Doch nie antwortet sie ihm.
01:05:03
Das soll sie mir auch schreiben, denkt er.
01:05:05
Trotzdem wünscht er sich eines Tages irgendeine Art Antwort von ihr.
01:05:09
Oliver lenkt sich mit Sport ab, wird Fechter des Jahres 1984,
01:05:13
widmet sein Leben dem Fechten mehr als zuvor, woran schließlich seine erste Ehe zerbricht.
01:05:19
1991, der nächste Schicksalsschlag.
01:05:21
Olivers Mutter stirbt an Krebs.
01:05:23
Damit hat Oliver mit 36 Jahren bereits beide Elternteile verloren.
01:05:27
Zwei Jahre später heiratet er eine erfolgreiche Fechtsportlerin.
01:05:31
Der Anfang dieser Ehe soll allerdings das Ende der väterlichen Beziehung mit Karl sein.
01:05:36
Er nimmt es seinem Ziehsohn übel, dass er andere Prioritäten entwickelt hat und ihm nicht mehr Tag und Nacht zur Verfügung steht.
01:05:42
Als Oliver beschließt, nicht mit zur Olympia 96 nach Atlanta zu reisen, um seiner Frau nach einem Notkaiserschnitt ihrer Zwillinge beizustehen, eskaliert die Situation.
01:05:50
Karl wird in der Presse nicht mehr der Goldschmied, sondern der Blechschmied genannt,
01:05:55
weil das deutsche Fechtteam von diesen Olympischen Spielen nur mit einer Bronzemedaille zurückkehrt.
01:06:00
Und dafür macht Karl Oliver verantwortlich.
01:06:03
Für Oliver ist es, als würde er zum zweiten Mal einen Vater verlieren.
01:06:06
Für den weichen Riesen ist das alles zu viel.
01:06:09
Oliver erkrankt an einer schweren Depression.
01:06:11
Es ist ein schöner Frühlingsabend im März 2002.
01:06:16
Oliver kann sich nicht daran erfreuen.
01:06:18
Er nimmt nichts davon wahr, als er auf einer Autobahnbrücke steht, um sich das Leben zu nehmen.
01:06:22
Ein Bein hat der mittlerweile 47-Jährige bereits über das Geländer geschwungen.
01:06:27
Da hält er inne.
01:06:29
Was, wenn ich auf ein Auto falle und andere Menschen in Gefahr bringe?
01:06:32
Wieder jemanden töte, obwohl ich das nicht will?
01:06:35
Dieser Gedanke ist für ihn unerträglich.
01:06:37
Besonnen schwingt er sich wieder zurück auf die andere Seite des Geländers, steigt in sein Auto und fährt nach Hause.
01:06:43
Zu seiner Familie, wo er sich geborgen fühlt.
01:06:46
Als er heimkehrt von der Autobahnbrücke, bittet ihn seine Ehefrau Maria händeringend, du musst zum Arzt.
01:06:52
Oliver folgt ihrer Bitte, findet einen Psychiater und kriegt tatsächlich die Kurve.
01:06:57
Olivers Trainer Karl stirbt 2006 im Alter von 70 Jahren an einem Herzinfarkt.
01:07:02
Zu einer Aussprache ist es nie gekommen.
01:07:04
Oliver hätte sich das sehr gewünscht.
01:07:06
Auch wenn es am Ende nur noch ein Gegeneinander statt eines Miteinander war, hat er ihm viel zu verdanken.
01:07:12
2010 übernimmt Oliver die Leitung des Olympia-Stützpunktes, der FechterInnen in Tauberbischofsheim.
01:07:18
Zumindest kann er dort mittlerweile die NachwuchssportlerInnen guten Gewissens trainieren.
01:07:22
Als nach dem Unfall für mehr Sicherheit im Fechtsport gesorgt wurde, kamen bruchfestere Klingen und stichfeste Kleidung aus bundesdeutscher Forschung zum Einsatz.
01:07:30
Allerdings erst fünf Jahre nach Olegs Tod.
01:07:33
Für einige SportlerInnen viel zu spät.
01:07:35
1983, ein Jahr nach dem Rom-Unfall, stirbt ein Brite.
01:07:39
Wieder ein Jahr später erliegt ein 17-jähriger Bremer den Verletzung eines Klingenbruchs.
01:07:43
Erst ab 1987 werden Marra-Jing-Klingen im Florett zur Pflicht bei allen Turnieren des Internationalen Dachverbands für Fechtsport.
01:07:52
Klingen, die eine längere Lebenserwartung haben und bei denen, wenn sie brechen, keine spitz zu laufenden, sondern überwiegend glatte Bruchstellen entstehen.
01:07:59
Auch in der Bekleidung wird nachgebessert.
01:08:02
Durchstoßfestere Anzüge und Masken aus Edelstahl machen das Fechten zu einem sichereren Sport.
01:08:07
Einem Sport, den Oliver wieder nachgehen kann, ohne permanent Angst haben zu müssen.
01:08:11
Er schreibt ein Buch, was auch Grundlage war für diese Erzählung und kommt mit der Zeit wieder mit sich ins Reine.
01:08:17
Nur eine Sache lässt ihn einfach nicht los und hindert ihn daran, absoluten Frieden mit sich zu schließen.
01:08:23
Oliver hat nach wie vor das Gefühl, einer Frau den Mann genommen zu haben.
01:08:27
Und es ist sein inniger Wunsch, Trost zu spenden.
01:08:31
Laura, würdest du in Olivers Situation nochmal jetzt wieder Kontakt mit der Anna aufnehmen wollen?
01:08:36
Nee, würde ich auf keinen Fall machen.
01:08:39
Ich finde es ein bisschen, also ich kann es total verstehen, dass er das möchte, für seinen eigenen Seelenfrieden.
01:08:46
Aber er hat ihr ja schon mal angeboten, mit ihr zu sprechen und sie hat das nicht wahrgenommen und sie ist nicht auf ihn dann nochmal zugekommen.
01:08:55
Er weiß nicht, wie es ihr gerade geht, ob er damit nochmal eine Wunde aufreißen kann.
01:09:00
Und meiner Meinung nach hört sich das ein bisschen mehr nach Eigennutz an.
01:09:04
Ich habe das auch zunächst gedacht.
01:09:07
Allerdings hat Anna ja nie zurückgeschrieben und ihm gesagt, sie möchte nicht mehr, dass er sie kontaktiert.
01:09:11
Und ich glaube, dass wenn sie das gemacht hätte, dass er dann ja auch aufgehört hätte.
01:09:15
Das würde ich dann auch hoffen.
01:09:17
Aber ja, ihn wurmt es irgendwie, dass er halt so viele Briefe schreibt und keine Antwort bekommt.
01:09:24
Und er gibt dann irgendwann auch die Hoffnung auf, dass er jemals was von Anna hören wird.
01:09:28
Und das erzählt er dann auch einem Filmemacher, während der 2016 eine Doku über ihn dreht.
01:09:33
Und dem Filmemacher kommt dann eine Idee.
01:09:35
Wenig später klingelt Olivers Handy.
01:09:37
Am anderen Ende ist der Journalist und fragt ihn, ob er bequem sitze.
01:09:42
Denn er sagt, ich habe eine besondere Nachricht für dich.
01:09:44
Und er teilt ihm mit, dass er es geschafft habe, Anna zu erreichen.
01:09:48
Sie ist bereit, mit Oliver in Kontakt zu treten.
01:09:52
Oliver ist perplex, ihm fehlen die Worte, kann einige Sekunden gar nichts sagen und kann seiner Freude auch gar keinen Ausdruck geben.
01:09:59
Oha, sagt er schließlich, vollkommen überwältigt von dieser Nachricht.
01:10:03
34 Jahre hat er auf diesen Moment gewartet und jetzt ist es endlich soweit.
01:10:08
Am 20. April 2016 hält Oliver eine Nachricht von Anna in seinen zitternden Händen und erfährt nun endlich, was sie über ihn denkt.
01:10:18
Sie schreibt, als erstes möchte ich ihnen mitteilen, dass uns niemals der Gedanke befallen hatte, dass sie eine Schuld trifft.
01:10:24
Diese schreckliche Situation ist für uns beide tragisch.
01:10:27
In dem Moment fällt Oliver ein unbeschreiblich großer Stein vom Herzen.
01:10:30
All die Jahre hat er so darunter gelitten, nicht zu wissen, ob er in den Augen der Familie ein Mörder ist.
01:10:35
Diese Antwort ist wie eine heilende Salbe auf einer tiefen Wunde.
01:10:39
Ein Jahr später, 2017, erlebt Oliver dann das Unglaubliche.
01:10:43
Etwas, das er nicht mal in seinen kühnsten Träumen erwartet hat.
01:10:47
Nach einem ersten Telefonat ist er auf Annas Einladung nach Kiew gereist, um sie, ihre Kinder und ihren neuen Mann zu treffen.
01:10:53
Nach dem Flug setzt er sich zu Annas Mann ins Auto, der die beiden nach Hause fährt.
01:10:57
Als Oliver dort ankommt und aus dem Auto aussteigt, ist er angespannt.
01:11:02
Sie quälte der Gedanke, dass Oliver nie wusste, dass sie ihm nicht die Schuld gibt.
01:11:07
Sie kann nachvollziehen, was für ein furchtbares Gefühl er all die Jahre mit sich habe rumtragen müssen und spürt seinen Schmerz.
01:11:13
Endlich kann sie ihm ihre Gefühle mitteilen und ihm die Last nehmen.
01:11:16
Die Aufregung der beiden legt sich rasch.
01:11:19
Anna küsst ihn zur Begrüßung auf die Wangen, links, rechts, ohne zu zögern.
01:11:23
Sie reden stundenlang.
01:11:25
Oliver erfährt, dass die vielen Briefe sie nie erreicht haben.
01:11:28
Erst zehn Jahre später kamen einige bei ihr an.
01:11:31
Sie vermutet, dass sie abgefangen wurden, weil der Kontakt von russischer Seite nicht gewollt war.
01:11:36
Auf dem Tisch steht Salat, Gurken, Tomaten, Steaks vom Grill und hausgemachter Wodka.
01:11:41
Familie und Menschen aus der Nachbarschaft kommen.
01:11:43
Alle trinken gemeinsam.
01:11:45
Am Abend stimmt Anna ein ukrainisches Volkslied an und Oliver summt mit.
01:11:49
So sitzen sie da, trinken und lachen.
01:11:51
Oliver Beutz und die Frau, dessen Ehemann durch seine Hand gestorben ist.
01:11:55
Der emotionale Höhepunkt der Reise ist der Besuch auf dem Friedhof am nächsten Tag.
01:12:00
Anna und Oliver legen gelbe Blumen aufs Grab.
01:12:03
Dann stehen sie Hand in Hand vor der imposanten Statue.
01:12:06
auf dem Grabstein des damals besten Florettfechters der Welt.
01:12:09
Anna sagt erneut, Oliver, dich trifft keine Schuld.
01:12:13
Es gab gegen ihn nie einen offiziellen Strafprozess, sondern nur den inneren.
01:12:17
Der ist jetzt, nach 35 Jahren, endlich zu Ende.
01:12:21
Und sorgt dafür, dass Oliver sich jetzt auch unschuldig fühlen kann.
01:12:24
An dieser Stelle könnte die Geschichte vorbei sein.
01:12:28
Aber fünf Jahre nach dem Besuch geht sie im Februar 2022 weiter.
01:12:32
Invasion russischer Truppen in der Ukraine.
01:12:36
Anna bittet Oliver, ihren Schwiegersohn und ihre beiden Enkelsöhne aufzunehmen,
01:12:39
die vor den Granateneinschlägen in Kiew geflüchtet sind.
01:12:42
Oliver zögert keinen Moment.
01:12:44
Endlich kann er der Familie etwas Gutes tun.
01:12:47
Der Mann, den Oliver aufnimmt, trägt an seiner Hand zwei Eheringe.
01:12:51
Sein und den seiner geliebten Frau.
01:12:54
Also Olegs und Annas Tochter, die bei einem Unfall starb.
01:12:57
Die Enkelkinder und der alleinerziehende Witwer leben bei der Familie in Tauberbischofsheim,
01:13:02
bis sie noch im selben Jahr eine eigene Bleibe gefunden haben.
01:13:04
Oliver unterstützt die drei bei allen Angelegenheiten.
01:13:07
Er tut alles, damit sich die bildungshungrigen Jungen schnell integrieren,
01:13:11
in die Schule gehen und Deutsch lernen können.
01:13:13
Der 16-Jährige will Fußballprofi werden.
01:13:16
Der 7-Jährige bekommt schon Fechtunterricht in der Kindersportgruppe des Fechtclubs Tauberbischofsheim.
01:13:20
Als er das Florett in die Hand nimmt, denkt Oliver einen Moment an Oleg,
01:13:24
seinen genialen Opa, und ihm kommen die Tränen.
01:13:27
Einst führte die Hand des Meisterfechters das Florett durch den Kopf von Oleg Petrov.
01:13:31
Nun liegt sie beruhigend auf der Schulter seines Enkelsohns.
01:13:34
Mit dem Gedanken, endlich bin ich mit meinem Schicksal versöhnt.
01:13:38
Für mich schließt sich der Kreis.
01:13:41
Wir haben ja selten Fälle, die irgendwie dann doch, ich will jetzt nicht sagen ein Happy End haben.
01:13:47
Aber so eine Geschichte, die klingt ja fast ausgedacht.
01:13:52
Weil das so schön ist, dass Oliver am Ende so eine große Rolle im Leben von Anna spielen konnte
01:13:58
und ihrer Familie so helfen konnte.
01:14:00
Das ist so wahnsinnig, dass der sich halt, und deswegen war es natürlich genau richtig,
01:14:04
von ihm immer wieder Kontakt aufzunehmen, dass er sich halt so bemüht hat,
01:14:08
da einen Kontakt herzustellen und für was das am Ende dann auch noch wieder gut ist.
01:14:12
Da fängt der Enkel des Mannes, den er getötet hat, dann da an zu trainieren,
01:14:17
wo Olivers Karriere angefangen hat.
01:14:20
Ja, das ist wirklich, das müsste eigentlich verfilmt werden.
01:14:23
Ja, vor allem, weil es ja so eine emotionale Geschichte auch ist,
01:14:27
auch aus Olivers Sicht, der ja so zerrissen war durch das, was passiert ist.
01:14:33
Und das ist ja so unfair, dass dir das passiert, weil der kann halt ja gar nichts dafür.
01:14:38
Also es kam ja nie zum Prozess.
01:14:40
Er hat ja nichts getan.
01:14:41
Und in meinem Aha schauen wir uns jetzt auch nochmal ganz kurz an,
01:14:44
wie die Frage nach der Schuld bei der juristischen Betrachtung von Sportunfällen beurteilt wird.
01:14:49
Und zwar spielt da der bewusste oder unbewusste Verstoß gegen das sogenannte Fair Play eine Rolle.
01:14:55
Also Fair Play, das ist ein Verhaltenskodex, der besagt, dass sich SportlerInnen im Wettkampf über die Regeln hinaus
01:15:00
mit Achtung und Respekt zu begegnen haben, die Würde der anderen Personen zu achten
01:15:05
und deren körperliche und psychische Unversehrtheit zu wahren haben.
01:15:08
Gleichzeitig erklärt man sich mit der Ausübung eines fairen Sports, sowohl im Profi- als auch im Amateursport,
01:15:14
damit einverstanden Verletzungen und im Worst Case den Tod in Kauf zu nehmen.
01:15:19
Das gilt aber eben nur bei Fair Play und nicht bei Unsportlichkeit oder Fouls.
01:15:23
Das heißt, eine strafrechtliche Verfolgung oder Verurteilung setzt voraus,
01:15:27
dass es eine verantwortliche Person gibt, die durch ihr Handeln oder Unterlassen einen Unfall verursacht hat,
01:15:32
der halt erkennbar und vermeidbar gewesen wäre.
01:15:35
Also wenn wir beide gegeneinander Paddle spielen und ich statt einem normalen Ball eine Stahlkugel nehme,
01:15:42
die mit voller Wucht und Absicht auf dich verfahr und dich damit verletze,
01:15:45
dann kann ich dafür natürlich schon strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden,
01:15:49
weil ich halt eben nicht fair gespielt habe.
01:15:51
Muss ich jetzt Angst haben, weil ich habe jetzt gerade meinem Mann gesagt,
01:15:54
er soll für Mitte Juni, wenn du kommst, einen Paddelplatz reservieren.
01:15:59
Ich bezweifle, dass ich als Superanfängerin überhaupt eine Stahlkugel übers Netz kriege.
01:16:04
Aber diese Fair Play Sache finde ich gerade in Bezug auf Kampfsportarten interessant,
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weil da geht es ja darum, sich gegenseitig körperlichen Schaden zuzufügen.
01:16:14
Da greift aber dann ein ganz bestimmter Paragraf des Strafgesetzbuches,
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und zwar der 228er, die Einwilligung.
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Dort heißt es, wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt,
01:16:24
handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.
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Und Regelverstöße wie zum Beispiel Doping lassen, laut einem Urteil des Kölner Landgerichts,
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diese Einwilligung dann entfallen.
01:16:37
Bei dem ehemaligen Boxer Felix Sturm wurde 2016 nach einem Weltmeisterschaftskampf festgestellt,
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dass er Doping betrieben hatte.
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Und das Gericht in Köln hat deshalb dann entschieden,
01:16:46
dass bei dem WM-Kampf jeder Schlag eine Körperverletzung war.
01:16:49
Und Sturm danach dann eben auch verurteilt.
01:16:51
Genau, und in meinem Fall war es ja jetzt aber so,
01:16:54
dass Oliver gar keine Chance hatte, diese Verletzung von Oleg irgendwie zu vermeiden.
01:16:58
Also der hätte gar nicht mehr reagieren können oder so.
01:17:00
Und Oleg ist eben mit seinem Antreten bei dem Wettkampf das Berufsrisiko eingegangen,
01:17:05
sich zu verletzen beim Fechten.
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Deswegen trifft Oliver ja überhaupt keine Schuld.
01:17:09
Trotzdem hätte dieser Unfall vermieden werden können,
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wenn es schärfere Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen vor dem Wettkampf gegeben hätte.
01:17:15
Und die Maske, die Oleg da getragen hat, die unterlag ja keiner Norm.
01:17:19
Und deswegen wurde der Internationale Dachverband für Fechtsport
01:17:22
ja auch von einem italienischen Gericht zwar nicht für den Unfall direkt,
01:17:26
aber für die fehlenden Sicherheitsvorschriften verantwortlich gemacht.
01:17:28
Und ich habe ja im Fall schon erzählt,
01:17:30
danach wurde ja dann einiges auf den Kopf gestellt, was Sicherheitsmaßnahmen angeht.
01:17:33
Und man muss sagen, dass wenn diese Sicherheitsmaßnahmen, die es heute gibt,
01:17:37
wenn es die damals schon gegeben hätte,
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dann wäre Oleg mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit
01:17:40
nicht mit einer rostigen Maske an den Start gegangen und wäre dann nicht gestorben.
01:17:45
Jetzt nochmal zu einer ganz anderen Art der Gewalt,
01:17:48
was ich in meinem Fall jetzt eben rausgelassen habe,
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weil Sonja sich selbst nicht zu solchen Vorwürfen geäußert hat,
01:17:55
ist der sexuelle Missbrauch im DDR-Leistungsturn.
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Viele Turnerinnen von damals haben sich aber dazu geäußert,
01:18:01
vor allem in Bezug auf die Sportärzte,
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die laut ihnen bei Untersuchungen sexuell übergriffig wurden.
01:18:07
Und dass sowas auch heute noch im Sport passiert,
01:18:11
das zeigt die Sicher im Sportstudie aus dem Jahr 2022,
01:18:15
bei der man Gewalt und sexualisierte Übergriffe in Sportvereinen untersucht hat.
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70% der Befragten gaben beispielsweise an,
01:18:22
in ihrem Leben bereits irgendeine Form der Gewalt,
01:18:24
Grenzverletzung oder Belästigung
01:18:26
im Zusammenhang mit dem Vereinssport erfahren zu haben.
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Und 19%, dass sie Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt
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mit Körperkontakt erlebt haben.
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Im Abschlussbericht der Studie steht außerdem,
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dass zu berücksichtigen gilt,
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dass es vermutlich eine sehr hohe Dunkelziffer gibt.
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Die Professorin Bettina Rulofs leitete die Studie
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und sie sagt in einem Interview mit dem Verbandsmagazin
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von Berliner Ton- und Freizeitbund,
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dass die Körperlichkeit im Sport
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Situationen und Gelegenheiten erzeuge,
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die mitunter auch für sexualisierte Übergriffe
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ausgenutzt werden können.
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Und das fängt an bei Unterbringungen in Jugendsportschulen
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mit Internaten, wo Kinder weit weg von ihren Eltern
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TäterInnen schutzlos ausgeliefert sind.
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Und TäterInnen können dabei zum Beispiel TrainerInnen sein,
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die ihre Autorität und die körperliche Nähe,
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die halt oft bei diversen Übungen einfach nötig ist,
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So wie zum Beispiel ein Jugendfußballtrainer
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eines Vereins im Landkreis München,
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der sich über Jahre mit vermeintlichen
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Physiotherapiebehandlungen an seinen Spielern verging.
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Zum Beispiel auf der Massageliege in der Kabine
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des Fußballvereins, beim Trainingslager
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oder auch in seinem Haus,
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nahm er sexuelle Handlungen vor
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und sagte quasi seinen Opfern,
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dass diese Berührung und was auch immer
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der Durchblutung der Muskulatur diene.
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Das Landgericht München 1 hat ihn dann im März dieses Jahres
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wegen 488 Fällen sexueller Übergriffe
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und 153 Vergewaltigungen zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt.
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Ja, oder eben die Sportärztinnen,
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die du ja auch eben schon angesprochen hast.
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Also da ist ja auch 2017 ein Fall ganz groß durch die Presse gegangen
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und zwar der von Larry Nassar.
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Der war lange Zeit für den US-Turnverband zuständig,
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unter anderem auch für das olympische Team
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und der wurde wegen des sexuellen Missbrauchs
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in über 250 Fällen
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zu 175 Jahren Gefängnis verurteilt.
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Ja, und das finde ich so einen krassen Fall
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und auch deswegen erschreckend,
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weil es ja nicht so war,
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dass niemand sonst im Turnverband davon wusste.
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Da gab es schon super früh Gerüchte darüber
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und auch Berichte,
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aber die Mädchen wurden halt nicht geschützt,
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sondern Nassar wurde halt gedeckt,
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damit es nicht zu irgendeinem Skandal kommt.
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Da gibt es übrigens auch eine ganz tolle Netflix-Doku zu.
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Um in Deutschland gegen den Missbrauch im Sport anzugehen,
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hat das Bundesinnenministerium seit Juli 2023
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übrigens die Anlaufstelle Safe Sport eingerichtet.
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Das ist eine gemeinnützige Organisation
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und unabhängige Ansprechstelle
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für Betroffene sexualisierter,
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psychischer und physischer Gewalt im Sport.
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Und den Kontakt packen wir euch natürlich
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in die Folgenbeschreibung.
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Es gibt aber auch andere Verbrechen im Sport,
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die nichts mit Gewalt zu tun haben
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und tatsächlich noch viel häufiger vorkommen.
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Und zwar Manipulation und Matchfixing.
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Was das ist, hat uns unser Experte
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und Anwalt für Sportrecht Dr. Michael Lehner erklärt.
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Wir haben Sport versucht,
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den Ausgang eines Wettkampfs zu beeinflussen,
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indem er entweder einen Sport oder eine Sportlerin
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oder Trainer oder Trainerin etwas anbietet,
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verspricht oder gibt,
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um den Wettkampf zu manipulieren,
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kann mit Gefängnisstrafe oder Geldstrafe bestraft werden.
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Das gilt selbstverständlich auch für Schiedsrichter,
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Schiedsrichterinnen oder Kampfrichter,
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Kampfrichterinnen,
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die sich bestichen lassen,
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um den Verlauf eines Wettkampfes zu ändern.
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Dass es dazu überhaupt einen Paragrafen
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im Strafgesetzbuch gibt,
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ist auf Robert Holzer zurückzuführen.
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An den erinnern sich manche von euch vielleicht,
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dass es ein ehemaliger Schiedsrichter,
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der 2005 zugegeben hat,
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gegen Bezahlung mehrere Fußballspiele beeinflusst zu haben.
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Holzer wurde damals zu zweieinhalb Jahren
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wegen Betrugs verurteilt.
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Es dauerte dann aber doch noch mehr als zehn Jahre,
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bis der Straftatbestand der Sportmanipulation eingeführt wurde.
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Dieses Matchfixing ist eine Form der Manipulation im Sport.
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Eine andere ist,
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den Gegner oder die Gegnerin selbst irgendwie auszuschalten.
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Ein Fall, der da vermutlich gleich vielen ins Gedächtnis kommt,
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ist der von Tonja Harding.
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Den kennen wahrscheinlich viele von euch,
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weil das natürlich auch ein True-Crime-Fall ist,
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der schon oft erzählt wurde.
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Aber für diejenigen, die die Story nicht kennen,
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Tonja Harding war eine US-amerikanische Eiskunstläuferin.
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Und sie wurde 1994 weltweit bekannt,
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weil ihr damaliger Ehemann ein Attentat
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auf ihre direkte Eiskunstlauf-Konkurrentin plante.
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Er beauftragte dazu einen Mann,
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der die Sportlerin mit einer Eisenstange am Knie verletzte,
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damit sie eben nicht mehr am Bettkampf gegen Tonja teilnehmen konnte.
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Tonja hatte damals erklärt,
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sie habe von dem Plan ihres Mannes nichts gewusst.
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Und weil man ihr nichts anderes nachweisen konnte,
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wurde sie auch deshalb nicht belangt.
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Im Januar 2018 hat sie dann aber
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in einer ABC-Doku eingeräumt von dem Angriff gewusst zu haben.
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Und das, ganz ehrlich,
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ich kann es nicht verstehen.
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Also ich bin ja super kompetitiv.
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Und manche sagen dann immer so zu mir so,
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ja, dann lasse ich dich halt einmal gewinnen.
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Und da raste ich aus.
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Da werde ich wütender,
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als wenn ich verliere.
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Weil das ist dann ja kein faires Gewinn.
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Du gewinnst ja dann nicht gegen den Besten.
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Das verstehe ich nicht.
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Also das verstehe ich nicht,
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wie man dann denken kann,
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das habe ich mir jetzt wirklich verdient und erarbeitet.
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da geht es natürlich auch noch um ein bisschen mehr.
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Geld, Verträge, große Anerkennung und so.
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Anders als jetzt beim Brettspiel.
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Aber Sport an sich hat ja diesen Wettkampfgedanken drin.
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Und wenn man Sportler oder Sportlerin ist
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und das zum Beruf macht,
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kann ich nicht verstehen,
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dass man da manipulieren will.
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Ja, ich habe auch darüber nachgedacht,
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als ich von dem Fall gelesen habe,
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weil du halt sehr gerne beim Spielen gewinnst,
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ja, habe ich mir überlegt,
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ob du irgendwas sozusagen manipulieren würdest.
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ich bin dann auch zu dem Schluss gekommen,
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dass es auf jeden Fall nie der Fall wäre.
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Also Entschuldigung,
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wir hatten uns doch gerade erst in der Wolle,
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weil ich dich darauf hingewiesen habe,
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dass du die Karten ständig so hältst,
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dass ich da reingucken kann.
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Genau, und das sage ich ja,
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damit ich nicht weiß, was du hast.
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Weil ich will das ja nicht wissen,
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weil dann würde ich das Wissen ja benutzen.
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Und dann ist es ja kein Spaß mehr,
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weil ich dann gegen dich gewinne.
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Nee, ich finde das auch gut.
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Also, obwohl du so gerne gewinnst,
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würde es dir gar nichts bringen,
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auf unfaire Weise zu gewinnen, genau.
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Und manchmal nervt dich ja,
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dass ich nicht so gerne gewinne.
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Ja, ist langweilig für mich.
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Oder zumindest du tue,
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ich tue ja oft dann so,
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als würde ich nicht gerne gewinnen,
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weil ich auch weiß,
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dass sich das ein bisschen ärgert.
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ich verliere schon sehr ungern.
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Das weißt du eigentlich auch,
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weil ich dir sage,
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dass ich auch weine,
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wenn ich verliere gegen meinen Mann.
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haben wir das hier schon mal erzählt?
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Also Laura und ich spielen gerne
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Monopoly Deal gegeneinander.
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Das Monopoly als Kartenspiel.
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Und Laura fand es eine angemessene Reaktion,
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in Tränen auszubrechen,
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nachdem ihr Mann sehr oft gegen sie gewonnen hat.
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Aber gestern haben wir nur ein Spiel gespielt,
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das ist dann okay.
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Das ist mein Ziel.
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Seitdem ich das gehört habe,
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ja, seitdem ich das gehört habe,
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dass Laura mal geweint hat,
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als sie verloren hat,
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möchte ich das natürlich auch.
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ich gewinne auch sehr gerne
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und beim Spielen,
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aber auch für im Turnen.
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Ich habe ja auch so ein bisschen
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Leistungsturnen gemacht
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und Wettkämpfe gemacht,
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deutsche Meisterschaften und so.
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Und da muss ich auch sagen,
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hatte ich, finde ich,
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ein gesundes Konkurrenzdenken.
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Und also ich wäre nicht auf die Idee gekommen,
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irgendwas zu machen,
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um das zu manipulieren
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oder den anderen zu schaden.
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Aber wir wollten natürlich
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die beste Leistung erbringen,
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meine Mannschaft und ich.
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Und wir waren ja so 14, 13 und so.
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Und da kamen gerade
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diese Monster Energy Drinks auf,
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wo man am Anfang noch so dachte,
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das ist was ganz Schlimmes.
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Das ist viel zu doll.
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Das ist viel doller noch
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als normale Energy Drinks.
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Und dann haben wir uns
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diese Energy Drinks heimlich besorgt
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und uns quasi damit gedopt.
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Und dann sind wir auf die Turnmatte
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und haben unsere Kür abgeliefert.
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Und hat das was gebracht?
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Wir haben es so gefühlt, ja.
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Wir haben uns auf jeden Fall besser gefühlt.
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Ich glaube auch,
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das ist auf jeden Fall
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den Placebo-Effekt geben kann.
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Das war ein Podcast
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der Partner in Crime.
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Hosts und Produktionen
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und Laura Wohlers.
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Rechtliche Abnahme
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Abel und Kollegen.