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Herzlich Willkommen zu Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Kraser.
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Und ich bin Laura Wohlers.
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Wir haben heute wieder ein Oberthema für euch dabei,
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zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
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über die diskutieren und mit Menschen mit Expertise sprechen.
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Hier geht es um True Crime, das heißt auch immer um die Schicksale von Menschen.
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Bitte behaltet das im Hinterkopf, das machen wir auch.
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Selbst wenn wir zwischendurch mal ein bisschen lockerer miteinander sprechen,
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das ist für uns so eine Art Comic Relief.
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Aber das ist natürlich nicht despektierlich gemeint.
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Laura, du wurdest ja in der letzten Episode hypnotisiert von unserem Gast Timon Krause.
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Bei mir hat es ja leider nicht geklappt.
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Dabei wolltest du es ja viel mehr als ich.
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Ja, ich wollte es zu sehr wahrscheinlich.
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Aber dafür hat es bei einigen Menschen zu Hause geklappt.
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Die haben das quasi mitgemacht.
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Haben uns Zuhörende geschrieben.
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Doch, und die konnten den Arm dann auch nicht mehr bewegen.
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Und da waren auch Leute bei, die haben das auf unserer Instagram-Seite
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Mordlust, der Podcast geschrieben,
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die gar nicht daran geglaubt haben, dass das funktioniert.
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Und das ja, obwohl wir ein bisschen die Doppelung rausgeschnitten haben.
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Jetzt bin ich natürlich doppelt traurig,
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dass es bei mir nicht funktioniert hat.
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Zu widerspenstig halt.
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Naja, also wer die letzte Folge noch nicht gehört hat,
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da gibt es was zum Zuhause ausprobieren.
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Aber jetzt geht es los mit dieser Folge
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und dazu einen kleinen Schmankerl aus unserem Berufsalltag.
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Wir kriegen hier oft die Frage gestellt,
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ob sich manchmal TäterInnen bei uns melden.
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Und das kommt ja schon ab und zu mal vor.
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Jetzt nicht so häufig, aber wenn,
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dann sind das natürlich die,
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die schon wieder aus dem Gefängnis draußen sind.
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Und die haben immer so ein ganz ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis.
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Und das ist ja so,
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dass wir hier fast ausschließlich mit Gerichtsurteilen arbeiten.
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Und ihr könnt euch ja sicherlich vorstellen,
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dass wir uns immer auf diese gesicherte Quelle berufen.
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Und wenn wir die haben,
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dann können wir die Geschichte natürlich auch nicht einfach anders erzählen.
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Schon gar nicht.
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Wenn sich dann eben die TäterInnen bei uns melden.
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Wenn die sich melden,
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dann teilen die nämlich meist mit,
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dass das alles ganz anders abgelaufen ist,
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als wir das erzählt haben.
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Und die sind dann auch ein bisschen sauer.
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Am stärksten war da Jens Wöhring.
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Der hat sich neulich richtig ausgetobt,
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auch auf unserer Instagram-Seite.
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Und hat da eben auf andere Formate hingewiesen,
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die seine Zitat-Unschuld bestätigen.
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Und ist uns da auch sehr angegangen.
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Ja, und auf eine Art und Weise war das ja jetzt auch neu.
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Also, dass ein verurteilter Straftäter mehrere Male unter unsere Postings kommentiert
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und dann auch ja teilweise noch so von oben herab und so besserwisserisch.
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Bei Söhring fand ich auch so geil, dass er halt von Unschuld bestätigen gesprochen hat.
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Und ich meine, selbst wenn er den Doppelmord, für den er rechtskräftig verurteilt wurde und 33 Jahre in Haft saß,
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nicht begangen hat, hat er ja mal zumindest seine Freundin decken wollen,
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die er beschuldigt ist, getan zu haben.
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Und davon Unschuld zu sprechen, finde ich ja auch schon ein bisschen gewagt.
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Naja, aber man kann sich vorstellen, TäterInnen fühlen sich oft falsch dargestellt.
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Wenn die ihre Geschichte selber erzählen würden, dann wäre ihr Schuldanteil da natürlich deutlich geringer.
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Zumindest bei den meisten, ja.
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Ja, auch bei den Fällen, die wir jetzt gleich erzählen,
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haben die Verurteilten ja eine ganz andere Geschichte zu erzählen, als die, die im Urteil steht.
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Die Augenbinde von Justitia ist nicht nur ein schlichtes Accessoire.
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Sie macht die römische Göttin blind und soll ihr damit die Macht verleihen, stets gerecht zu urteilen.
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Doch mein Fall zeigt, dass nicht nur Justitia blind ist,
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sondern manchmal auch die, die ihr zuarbeiten sollen.
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Alle Namen habe ich geändert.
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Sieben Minuten, nachdem der Notruf eingegangen ist,
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biegt der Streifenwagen in die Einfahrt eines gepflegten Rheinhauses ein.
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Es ist 2.47 Uhr in der Nacht
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und die Siedlung in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt ist in tiefe Dunkelheit getaucht.
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Nur der grelle Schein von Straßenlaternen erhält die düstere Szenerie.
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Ein Mann steht hellwach und sichtlich aufgeregt vor dem Haus.
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Auf seinem Arm hält er einen kleinen Jungen.
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Die PolizistInnen erkennen den Mann.
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Er ist einer von ihnen.
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Schnell folgen sie ihm ins Innere, wo sie nach wenigen Schritten schon wieder Halt machen.
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Im schmalen Hausflur vor der Treppe, die zum Keller führt, liegt eine junge Frau.
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Auch sie ist für die BeamtInnen keine Unbekannte.
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Auf den ersten Blick ist nicht ersichtlich, ob sie noch lebt oder tot ist.
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Nur mit einem dünnen Nachthemd und einem Wollschal bekleidet, liegt sie rücklinks auf dem Boden und hat die Augen geschlossen.
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Die Fliesen sind hart und kalt und die Tür zum Schlafzimmer ist nur ein paar Zentimeter entfernt.
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Was ist hier passiert?
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Das Haus ist still.
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Nur, wenn man ganz genau hinhört, ist ein leises Röcheln zu vernehmen, das den Flur erfüllt.
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Die Frau lebt und sie braucht dringend Hilfe.
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In dem Moment stürzt der Rettungsdienst zur Tür hinein.
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Die SanitäterInnen schieben sich an den Anwesenden vorbei, heben die Frau auf eine Bahre und nehmen sie mit.
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Jetzt gilt es, keine Zeit zu verlieren.
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Es geht um Leben und Tod.
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Und darum, dass die wichtigste Zeugin nicht für immer verstummt.
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Als sich das flackernde Blaulicht des Rettungswagens immer weiter entfernt,
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weicht die Hektik aus dem engen Flur und die Stille kehrt zurück.
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Nun beginnt die Arbeit der BeamtInnen.
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Es gilt herauszufinden, was sich in dieser Nacht hier abgespielt hat.
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Dazu befragen sie zunächst den Mann, der ihnen die Tür geöffnet hat.
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Ihren Kollegen Peter.
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Peter ist selber Polizist.
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Und auch Maike, seine 26 Jahre alte Tochter, um deren Leben die MedizinerInnen jetzt im Krankenhaus kämpfen, ist bei der Polizei.
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Allen ist daher klar, wer auch immer Maike wehgetan hat, muss unter allen Umständen zur Rechenschaft gezogen werden.
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Von ihrem Kollegen erfahren die BeamtInnen, dass Peter gestern Geburtstag hatte,
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deshalb bei seiner Tochter Maike und seinem Enkel Nico zu Besuch war und im Keller des Hauses übernachtet hat.
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Das macht er öfter. Schließlich hat er das Haus bezahlt und er will seinen Enkel so oft wie möglich sehen, erklärt der 49-Jährige.
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Nachdem er Maike und Nico gestern Abend Gute Nacht gesagt hat, hat er sich unten im Gästebett schlafen gelegt.
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Um 2.34 Uhr ist er dann durch das Piepsen seiner Sportuhr wach geworden und hat ein lautes Rumpeln in der Etage über sich vernommen.
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Weil das Gepolter nicht aufgehört hat, ist er die Treppe vom Keller nach oben gestiegen, um nachzusehen.
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Als er die Klinke zu Maikes Wohnbereich nach unten gedrückt hat und die Holztür öffnen wollte, hat aber etwas die Tür versperrt, erzählt er.
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Beim näheren Hinsehen hat Peter erkennen können, dass es sich um seine Tochter handelt, als ihm plötzlich jemand die Tür vor der Nase zugeknallt hat.
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Von dem Einbringling hat Peter nur einen behaarten Arm sehen können.
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Um Verstärkung zu rufen, ist er zurück in die Kellerwohnung gerannt.
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Unten angekommen hat er allerdings feststellen müssen, dass das einzige Telefon im Haus oben im Erdgeschoss war.
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Also ist er die Treppen wieder nach oben gelaufen.
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Dann hat er die Tür so weit aufgestoßen, dass er sich an Maikes reglosem Körper vorbeischieben konnte.
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Peter hat sich umgesehen, aber im Haus war zu diesem Zeitpunkt niemand mehr.
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Nur noch Maikes zweijähriger Sohn, der ruhig auf dem Bett lag, in dem er jede Nacht mit seiner Mama schläft.
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Daraufhin hat Peter sich um Maike gekümmert.
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Um ihren Hals war der Wollschall so fest geschlungen gewesen, dass er Mühe hatte, ihn zu lockern.
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Nach einer kurzen Mund-zu-Mund-Beatmung hat er festgestellt, dass seine Tochter wieder atmet,
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und sofort den Notruf gewählt.
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Erklärt er jetzt seinen Kolleginnen.
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Wer könnte der Eindringling gewesen sein, der Peter die Tür ins Gesicht geknallt hat
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und für Maikes lebensgefährlichen Zustand verantwortlich ist?
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Um die Person zu finden, wird zunächst die Spurensicherung angefordert.
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Und es dauert nicht lange, bis die etwas entdeckt, das für den Fall von großem Interesse sein wird.
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Im Hausflur und im angrenzenden Schlafzimmer auf dem Bett
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liegt jeweils ein abgerissenes Stück eines Einweg-Handschuhs.
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Nachdem die Fundstücke in kleinen Plastiktüten verschwunden sind,
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widmen sich die Ermittler in den Fenstern und Türen des Hauses.
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Einbruchsspuren finden sie keine.
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Ein Hinweis darauf, dass Maike den Täter womöglich ins Haus gelassen oder derjenige einen Schlüssel hat.
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Eine erste Theorie wird formuliert.
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Maike könnte den Täter gekannt haben.
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Ihr Vater Peter schließt sich der Vermutung an.
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Er geht von einer Beziehungstat aus und liefert seinen Kolleginnen gleich zwei Namen.
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Michael und Stefan
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Michael ist Maikes Ex-Partner, noch Ehemann und der Vater ihres zweijährigen Sohnes.
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Die beiden kennen sich schon seit der Schule, aber als Maike nach ihrer Elternzeit zurück in den Dienst ging, zerbrach die Beziehung.
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Bei der Arbeit hatte Maike nämlich einen anderen Mann kennen und lieben gelernt.
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Und obwohl der ebenfalls verheiratet ist und zwei Kinder hat, teilt er mit Maike seit einem Jahr nicht nur den Dienst, sondern auch das Bett.
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Ein getrennt lebender Ehemann und ein Liebhaber, der zweigleisig fährt.
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Noch in der Tatnacht hat die Polizei somit gleich zwei Verdächtige.
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Sowohl Michael als auch Stefan werden nur wenige Stunden, nachdem die Polizei den Notruf erreicht hat, zu Hause aufgesucht und zur Wache gebracht.
00:09:10
Stefan sitzt nun in einem Vernehmungsraum, in dem normalerweise er die Fragen stellt.
00:09:15
Jetzt muss er sich dem Verdacht gegen sich selbst stellen.
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Sein Verhältnis zu der zwölf Jahre jüngeren Maike ist seit jeher ein offenes Geheimnis.
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Viele KollegInnen und Bekannte wissen Bescheid, selbst seine Ehefrau Tina.
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Die ErmittlerInnen mutmaßen deshalb, dass Stefans Frau genug von seiner Affäre gehabt und daher verlangt haben könnte, dass er eine Entscheidung trifft.
00:09:35
Da sei seine Wahl auf Tina und die Kinder gefallen.
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Deshalb, so meinen die BeamtInnen, könnte der 38-Jährige gestern zu Maike gefahren sein, um Schluss zu machen.
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Dabei könnte es zum Streit gekommen sein, der letztendlich eskaliert ist.
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Stefan beteuert aber, dass er gestern daheim bei seiner Frau gewesen sei.
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Heute Morgen hätte er sogar seit langem wieder Sex mit ihr gehabt.
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Streit hätte es weder mit ihr noch mit Maike gegeben.
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Der zweite Verdächtige ist noch Ehemann Michael.
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Der 30-Jährige mit den hellbraunen Haaren und dem kurzgeschonenen Schnauzer macht sich gerade für seine Arbeit in einer Metallfabrik fertig, als die Polizei vor ihm steht.
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Bei seiner Vernehmung konfrontieren die ErmittlerInnen ihn jetzt mit Maikes Zustand und der Theorie, warum auch er der Täter sein könnte.
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Frau weg, Kind weg und sie hat einen neuen.
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Ein Mann, der sich in einem emotionalen Dilemma befunden und daher einen Mord aus Eifersucht habe durchführen wollen, tippten die BeamtInnen.
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Auch die zwei abgerissenen Stücke der Einweghandschuhe würden zu Michael als Täter passen.
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Denn ihm fehlen seit einem Motorradunfall zwei Endglieder an seiner linken Hand, weshalb er solche Einweghandschuhe oft im Haushalt, bei Wetterfühligkeit oder der Gartenarbeit trägt, wie er selbst bestätigt.
00:10:45
Aber genau wie Stefan pocht auch Michael darauf, dass er unschuldig ist.
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Er habe in der Nacht alleine zu Hause geschlafen.
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Doch am Ende des Tages glaubt die Polizei nur einem der Männer, ihrem Kollegen Stefan, dessen Frau bestätigt, dass er in der Tatnacht bei ihr war.
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Für die Ermittelnden ist die Theorie vom verlassenen Ehemann als Täter ohnehin plausibler als die des Liebhabers, der mit seinen zwei Beziehungen sowieso nicht hinterm Berg gehalten hat.
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Michael auf der anderen Seite habe sein Ein und Alles, seinen Sohn, seit der Trennung von Maike nun noch selten gesehen.
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Aus Sicht der Polizei liege nahe, dass er damit nicht einverstanden war und deswegen womöglich einen Sorgerechtsstreit vom Zaun gebrochen haben könnte, der aus dem Ruder lief.
00:11:23
Außerdem erzählt ein Nachbar von Maike den BeamtInnen, dass er in der Tatnacht ein Streitgespräch gehört habe, bei der eine männliche Stimme gesagt habe,
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ich bring dich um, ich schlag dich tot, das kannst du nicht mit mir machen.
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Und eine weinerliche Frauenstimme, die erwidert habe, lass mich doch gehen, ich will doch nichts von dir.
00:11:40
Der Verdacht erhärtet sich und Michael kommt in U-Haft.
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Noch immer bestreitet er irgendetwas mit dem Angriff auf Maike zu tun zu haben.
00:11:48
Sie könnte alles aufklären, könnte sagen, wer sie angegriffen hat, ob es ihr geliebter Stefan war oder ihr Ex Michael.
00:11:55
Doch Maike liegt im Koma, als ihr Ex in die Zelle geführt wird.
00:11:59
Erst eine Woche später wacht sie auf, doch der Polizei bei der Erklärung des Falls helfen kann sie nicht.
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Die 26-Jährige wurde zu schwer verletzt.
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Der Sauerstoffmangel, der infolge der Strangulation aufgetreten ist, hat ihr Gehirn irreparabel geschädigt.
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Die wichtigste Zeugin ist verstummt.
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Und der zweite Zeuge, der den Angriff miterlebt hat, ihr Sohn Nico, ist noch zu klein, um sich zu erinnern.
00:12:24
Doch im Gegensatz zu ihm wird Maike nie widersprechen können.
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Sie wird Nico nie wieder Gute-Nacht-Geschichten vorlesen oder ihn zärtlich in den Schlaf wiegen können.
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Der Zweijährige kann das jetzt noch nicht verstehen.
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Und erst recht nicht, dass er in dieser Nacht nicht nur seine Mutter Maike, sondern auch seinen Vater Michael für immer verloren hat.
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Nach zwei Wochen im Gefängnis legt Michael schließlich doch noch ein Geständnis ab.
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Und kurze Zeit später finden Vollzugsbeamtinnen in seiner Zelle ein Blatt Papier.
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Darauf steht noch einmal schwarz auf weiß, was Michael vorher mündlich zugegeben hat.
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Und so kommt es achteinhalb Monate nach der Tat zum Prozess vor dem Karlsruher Landgericht.
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An diesem 12. Januar 1998 wird der Angeklagte, gekleidet in einem himmelblauen Hemd und dunkler Jeanshose, in den Saal geführt.
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Seine Hände sind hinter dem Rücken verschränkt, um die Gelenke klackert das kalte Metall der Handschellen.
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Mit einem nervösen Blick durch den Saal nimmt Michael auf der Anklagebank Platz.
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Ihm wird versucht, daheim tückischer Mord vorgeworfen.
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Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat sich Michael in der Tatnacht mit dem Schlüssel, den er nach seinem Auszug behalten hatte, Zutritt zum Haus verschafft.
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Dann sei er in Maikes Schlafzimmer geschlichen, mit dem Ziel, sie zu töten.
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Um dabei keine Spuren zu hinterlassen, habe Michael Einweghandschuhe getragen.
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Doch dann sei Maike plötzlich aufgewacht.
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Es sei zum lauten Streit zwischen Michael und seiner Noch-Ehefrau gekommen.
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Aus Frust und Wut habe Michael dann seine Hände um Maikes Hals gelegt.
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Nachdem er einige Sekunden zugedrückt habe, habe er den Wollschall zur Hilfe genommen und diesen mehrere Male um Maikes Hals gewickelt.
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Dann habe er mindestens drei Minuten mit aller Gewalt zugezogen.
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Weil sich Maike gewehrt habe, seien die Einweghandschuhe gerissen, von denen später am Tatort zwei abgerissene Stücke gefunden wurden.
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Und in denen Michaels DNA festgestellt wurde.
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Nach dem Angriff mit dem Schal habe Michael Maike aus dem Schlafzimmer in den Hausflur geschleift und vor der Kellertür abgelegt.
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Maike sei zu diesem Zeitpunkt bewusstlos, aber nicht tot gewesen und habe letztendlich nur überlebt, weil ihr Vater Peter ihr zur Hilfe geeilt sei.
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Warum Michael seine Ex und die Mutter seines Sohnes töten wollte, dazu hat die Staatsanwaltschaft zwei Theorien.
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Möglich sei zum einen ein Sorgerechtsstreit, da Michael seinen Sohn seit der Trennung nur noch jeden zweiten Samstag für ein paar Stunden sehen durfte.
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Möglich sei andererseits aber auch, dass Michael es auf die Lebensversicherung von Maike abgesehen hatte.
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Während die Staatsanwaltschaft die Anklage verließ, schüttelt Michael immer wieder den Kopf.
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Als die Verteidigung an der Reihe ist, wird klar, warum.
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Der Angeklagte sei unschuldig, heißt es nämlich plötzlich wieder.
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Sein Geständnis hatte Michael noch in U-Haft wieder zurückgezogen.
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Nun erklärt sein Rechtsbeistand, Michael sei zur Tatzeit zu Hause gewesen und habe geschlafen.
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Schließlich habe er sehr früh morgens aufstehen und zur Arbeit fahren müssen.
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Es stimme zwar, dass sein Mandant und Maike öfter mal darüber diskutiert haben, dass Michael seinen Sohn öfter sehen wollte.
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Aber Michael hätte die Mutter seines Sohnes deshalb niemals angegriffen.
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Das beteuere er.
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Für das Gericht reicht Michaels Wort aber nicht.
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Die Aussage des Nachbarn, die abgerissenen Handschuhe, die DNA, die Affäre, die Diskussion über das Sorgerecht und die Lebensversicherung.
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Das alles spricht für Michael als Täter.
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Und so wird er nach nur vier Verhandlungstagen schuldig gesprochen.
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Zwar nicht des versuchten Mordes, aber wegen versuchten Totschlags.
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Zu elf Jahren Haft.
00:15:54
Und während die ErmittlerInnen im Saal triumphierende Gesten machen, weil einer, der ihre Kollegin angegriffen hat, verknackt wurde,
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senkt sich der Kopf des Verurteilten immer weiter.
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Für Maikes Eltern ist das Urteil eine Erleichterung.
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Endlich sind die Ermittlungen und das Gerichtsverfahren vorüber.
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Endlich haben sie Gerechtigkeit für ihre Tochter, die seit der verhängnisvollen Nacht im April letzten Jahres nicht mehr die ist, die sie einmal war.
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Die sie haben aufwachsen sehen und für die sie sich noch so viel gewünscht haben.
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Aber nicht nur Maikes Leben hat sich um 180 Grad gedreht.
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Auch das ihrer Eltern und ihres Sohnes.
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Maikes Mutter Doro und ihr Vater Peter kümmern sich seither aufopferungsvoll um ihr Kind und ihren Enkel.
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Peter und Doro pflegen ihre Tochter, waschen sie, ziehen sie an, verpflegen sie und fahren sie mit dem Rollstuhl spazieren.
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Maikes Mutter ist Krankenschwester und kennt sich daher mit Pflegebedürftigen aus.
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Bei dem eigenen Kind ist es dennoch etwas völlig anderes.
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Jeden Tag zu sehen, dass von ihrer lebensfrohen, sportlichen und ehrgeizigen Tochter nicht mehr viel übrig ist, ist für die Eltern fast unerträglich.
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Aber die zwei stehen nicht nur vor einer enormen psychischen und körperlichen Belastung, sondern auch vor einem riesigen Berg an Rechnungen.
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Die intensive Pflege ihrer schwerbehinderten Tochter fordert extrem hohe Kosten, die von Peter und Doro kaum bewältigt werden können.
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Und mit jeder neuen Rechnung steigt die Wut auf Michael weiter.
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Nicht nur, dass er ihrer Tochter das Leben, das sie bis dato kannte, genommen hat, jetzt zahlt er nicht mal für ihre Pflege, für das, was er angerichtet hat.
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Und so beschließen Doro und Peter, dass es an der Zeit ist, sich etwas zurückzuholen.
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Ein Jahr nach Michaels Verurteilung reichen die zwei Zivilklage ein.
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Meikes Eltern fordern 300.000 Mark Schmerzensgeld von Michael und die Feststellung seiner Pflicht zum Ersatz künftiger Schäden.
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Doch zu der Zahlung kommt es nicht.
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Denn die Klage wird abgewiesen.
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Und zwar, weil das Zivilgericht sich im Gegensatz zum Karlsruher Landgericht überhaupt nicht so sicher ist, dass Michael für Meikes Pflegezustand verantwortlich ist.
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Um darüber zu entscheiden, ob Meikes Eltern Michaels Geld zusteht, haben sich die Richter in die Akten noch einmal genau angeschaut und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es Zweifel an Michaels Täterschaft gibt.
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Ihnen reichen die Indizien, die das Landgericht überzeugt hatten, nicht aus, um Michael zu einer Zahlung von 300.000 Mark zu verurteilen.
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Für Peter und Doro ein Schlag ins Gesicht.
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Sie fühlen sich in ihrem Leid und ihrer finanziellen Notlage nicht ernst genommen.
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Außerdem steht für sie weiterhin fest, dass Michael schuldig ist.
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Sowieso hatte Peter Michael noch nie gemocht.
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Schon damals, als Mikey ihn als ihren neuen Freund vorgestellt hatte, war ihr Vater nicht begeistert.
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Für seine einzige Tochter hatte Peter sich einen anderen Mann vorgestellt.
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Als Maike dann mit Nico schwanger wurde, wollte Peter sie sogar zu einer Abtreibung überreden.
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Die Entscheidung der Zivilkammer führt nun dazu, dass Michaels Anwalt im Herbst 2001 einen Wiederaufnahmeantrag stellt.
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Der wird allerdings abgelehnt, wogegen Michael und sein Verteidiger Beschwerde beim Oberlandesgericht einlegen.
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Am 30. November 2001 ordnet das Oberlandesgericht dann die Prüfung des Falls an und, zur großen Überraschung, auch Michaels vorläufige Entlassung aus der Haft.
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Michael kommt also nach viereinhalb Jahren frei.
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Zumindest so lang, bis geklärt ist, ob es sich bei seinem Schuldspruch tatsächlich um ein Fehlurteil handelt.
00:19:12
Doch damit lässt sich die Justizzeit.
00:19:14
Es dauert noch einmal fast vier Jahre, bis das Oberlandesgericht eine neue Hauptverhandlung ansetzt.
00:19:20
In all der Zeit hätte Michael jederzeit wieder inhaftiert werden können.
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Ende Mai 2005 wird also schließlich alles auf Null gesetzt.
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Michael wird wie schon vor acht Jahren als Angeklagter in den Gerichtssaal geführt.
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Nicht am Landgericht Karlsruhe, sondern nun in Mannheim.
00:19:35
Zahlreiche Journalistinnen sind gekommen.
00:19:38
Alle wollen einen Blick auf den Mann erhaschen, dessen Schuldfrage erneut geprüft werden soll.
00:19:43
Michael wirkt angespannt, als er in seinem grauen T-Shirt, das in einer dunklen Jeans steckt, auf der Anklagebank Platz nimmt.
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Doro und Peter haben im Namen ihrer Tochter Maike die Nebenklage angetreten und wollen damit alle nochmal daran erinnern, um wen es hier eigentlich gehen sollte.
00:19:58
Um ihre Tochter, die seit Jahren auf ihre Pflege angewiesen ist, weil Michael ihr das Leben nehmen wollte.
00:20:04
Davon sind sie bis heute überzeugt.
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Genau wie die Staatsanwaltschaft, die Michael diesmal wegen versuchten Totschlags anklagt.
00:20:10
In den nächsten Verhandlungstagen wird allerdings deutlich, dass ihre Version auf wackeligen Beinen steht.
00:20:16
Denn es kommt heraus, dass die Ermittelnden sich damals schon viel zu früh auf Michael als Verdächtigen eingeschossen und danach nicht mehr nach links und rechts geschaut hatten.
00:20:24
Mit Schuld daran war niemand Geringeres als Maikes Vater Peter.
00:20:29
Als der um 2.40 Uhr in der Nacht die Polizei alarmierte, sprach er bereits im ersten Telefonat von einer Beziehungstat und brachte so Michaels Namen ins Spiel.
00:20:38
Seine KollegInnen am anderen Ende der Leitung reagierten sofort.
00:20:42
Schließlich war Peter damals einer von ihnen.
00:20:44
Sie schickten nur 14 Minuten nach dem Notruf fünf Streifenwagen zu Michaels Wohnung.
00:20:49
Alles war stockdunkel, aber anstatt zu überprüfen, ob der Motor von Michaels Wagen noch warm ist,
00:20:54
blieben die StreifenpolizistInnen in ihren Autos sitzen und beobachteten das Haus.
00:20:59
Dort ging um 4.41 Uhr dann das erste Mal das Licht an, zu der Zeit, in der sich Michael für die Arbeit fertig machen musste.
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Darauf angesprochen, warum der Wagen des Verdächtigen nicht überprüft wurde,
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erklärten die BeamtInnen damals, sie hätten das Auto nicht gefunden,
00:21:13
obwohl es nachweislich nur 200 Meter von Michaels Wohnung entfernt stand.
00:21:18
Ein erster Fehler in einer langen Reihe.
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Denn während die PolizistInnen vor Michaels Türdäumchen drehten, wurde auch der Tatort nicht ordnungsgemäß abgesperrt.
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Außerdem hat Maikes Vater bei der Beweissicherung mitgeholfen und das ohne Handschuhe zu tragen.
00:21:33
Also das geht doch gar nicht.
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Sowieso finde ich das immer ein Problem.
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Das ist ja auch nicht der erste Fall, den wir jetzt hier besprechen.
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Das einige PolizistInnen dann bei Verwandten mit ermitteln.
00:21:43
Ja, und es wird auch klar, dass Peter sogar Utensilien weggeschmissen hat,
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die die Rettungskräfte bei der Versorgung von Maike am Tatort hinterlassen haben.
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Also es schien quasi so, als hätte er ein bisschen aufgeräumt, bevor die Spurensicherung kam.
00:21:58
Auch sonst machten der Hausflur und das Schlafzimmer einen sehr ordentlichen Eindruck.
00:22:03
Nicht gerade so, als hätte die Kampfszene stattgefunden, die die Staatsanwaltschaft im ersten Prozess skizziert hatte.
00:22:09
Aber die Anklage war nicht nur von einem Kampf ausgegangen,
00:22:12
bei dem die Handschuhe abgerissen wurden,
00:22:13
sondern auch davon, dass Michael mit seinem eigenen Schlüssel ins Haus kam.
00:22:17
Es stellte sich aber schon damals heraus,
00:22:19
dass Michael gar nicht mehr im Besitz eines Schlüssels war.
00:22:22
Er hatte ihn nach dem Auszug abgegeben
00:22:24
und Maikes Mutter Doro hatte das sogar bestätigt.
00:22:27
Bis in den ersten Gerichtssaal hatte es diese Info aber nicht geschafft.
00:22:30
Eines der wichtigsten Indizien, die Michael 1998 hinter Gitter brachten,
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waren die abgerissenen Einweghandschuhe.
00:22:37
Das Problem ist hier, solche Handschuhe
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fanden sich damals auch zu Hauf bei Maike.
00:22:42
Sie hat sie zum Haare färben, beim Putzen oder für Michael aufbewahrt,
00:22:46
wenn er ihr zum Beispiel bei der Gartenarbeit half.
00:22:48
Ein Vergleich mit den Einweghandschuhen aus Michaels Wohnung ergab zudem bereits im ersten Verfahren,
00:22:53
dass seine Handschuhe und die vom Tatort nicht aus dem gleichen Material waren.
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Und dass die DNA an den Handschuhen sowohl von Michael als auch von seinem Sohn Nico hätte stammen können.
00:23:02
Und dass noch eine weitere DNA-Spur von einer unbekannten Person darauf gefunden wurde,
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dessen Identität nie ermittelt wurde.
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Auch bezüglich des Motivs wurde nicht richtig hingesehen.
00:23:12
Bei der ersten Gerichtsverhandlung wurde Michael vorgeworfen,
00:23:15
dass er sich an Maikes Lebensversicherung bereichern wollte.
00:23:17
Jetzt kommt aber heraus, dass das gar nicht möglich war,
00:23:21
denn begünstigter war nicht Michael oder Nico, sondern Maikes Vater.
00:23:25
Peter, der nicht nur den Verdacht als erstes auf seinen Ex-Schwiegersohn gelenkt hatte,
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sondern der überdies auch ausgesagt hatte,
00:23:32
in Maikes Tagebüchern gelesen zu haben, dass sie Angst vor Michael hatte.
00:23:36
Nun stellt sich heraus, dass Maikes Vater das zwar behauptet,
00:23:40
die Tagebücher aber nie vorgelegt hatte.
00:23:42
Diese seien laut Peter auch bis heute nicht mehr auffindbar.
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Wenn da so ein Hinweis drin ist?
00:23:48
Ja, also schon ein sehr ärgerlicher Zufall.
00:23:53
Naja, möglicherweise hat Peter die damals entsorgt.
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Denn schon kurz nach der Tat hatte Maikes Vater sämtliche Möbelstücke
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und Habseligkeiten seiner Tochter kaputtgeschlagen und auf den Müll geschmissen.
00:24:05
Nun auf die Gründe angesprochen, antwortet er, er könne sich daran nicht mehr erinnern.
00:24:10
Zum Schluss kommt Michaels Geständnis noch einmal zur Sprache.
00:24:13
Warum er damals in U-Haft gestanden hat, wollen die RichterInnen wissen.
00:24:16
Michael sagt, dass es sich um ein Gefälligkeitsgeständnis gehandelt habe.
00:24:20
Sowohl seine Mitgefangenen als auch sein damaliger Anwalt hätten ihm dringend geraten zu gestehen,
00:24:25
damit er schneller wieder entlassen werde und einfacher Besuch empfangen könne.
00:24:28
Michaels Geständnis war damals übrigens voller Widersprüche,
00:24:32
sodass es von den Vernehmungsbeamtinnen als unglaubhaft eingestuft wurde.
00:24:36
Trotzdem waren sich Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht sicher,
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Michael ist ohne Zweifel schuldig.
00:24:42
Bei dieser Verhandlung ist das anders.
00:24:44
Nach insgesamt 19 Prozestagen, wir erinnern uns, der erste hatte nur vier,
00:24:48
spricht die Mannheimer Kammer dem mittlerweile 39-jährigen Michael aus Mangel an Beweisen frei.
00:24:54
Als das Urteil gesprochen wird, laufen Michael Tränen über das Gesicht.
00:24:57
Er wirkt unendlich erleichtert.
00:24:59
Und nach diesem Tag kennt fast ganz Deutschland seine Geschichte.
00:25:03
Michael wird bekannt, als Justizopfer und als Ping-Pong-Ball der Gerichte.
00:25:07
Acht Jahre lang galt er als derjenige, der seine Ex-Partnerin fast zu Tode gewirkt hat.
00:25:12
Acht Jahre lang haben er und seine Verteidiger versucht,
00:25:15
die Gerichte von dem Fehlurteil des Karlsruher Landgerichts zu überzeugen
00:25:18
und immer wieder waren sie gescheitert.
00:25:20
Jetzt hat er es geschafft.
00:25:22
Michael ist freigesprochen.
00:25:24
Doch nur ein Jahr später steht seine Unschuld schon wieder in Frage.
00:25:28
Denn der BGH hebt den Freispruch auf.
00:25:31
Die Nebenklage, also Peter und Doro, hatten im Namen ihrer Tochter Revision eingelegt,
00:25:36
und zwar, weil sie der Meinung sind, dass nicht alle wichtigen Indizien ausgewertet wurden.
00:25:40
Vor allem ein Indiz.
00:25:42
Michael habe in Haft einen Brief an seine damalige Freundin verfasst,
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auf dem unter anderem folgender Satz gestanden habe.
00:25:49
Wenn sie sagt, ja, ich war's, bin ich für Jahre im Knast.
00:25:53
Der Brief wurde eine Woche nach der Tat verfasst,
00:25:56
als Michael noch davon ausgehen konnte,
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dass Maike als Zeugin Angaben zum Täter würde machen können.
00:26:01
Die Sache muss daher neu verhandelt werden.
00:26:03
Vor einer anderen Kammer des Landgerichtsmannheim.
00:26:06
Am 22. April 2009,
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und damit fast auf den Tag zwölf Jahre nach der Tat,
00:26:12
geht alles noch einmal von vorne los.
00:26:16
Vorhang auf, also für die dritte Vorstellung.
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Diesmal tritt allerdings eine Figur auf, die schon fast vergessen schien.
00:26:23
Stefan, Meikes Liebhaber.
00:26:25
Direkt nach seiner Befragung am Tag nach der Tat,
00:26:28
hatte man Stefan wieder laufen lassen.
00:26:29
Diesmal will man keinen Stein auf dem anderen lassen
00:26:32
und jedes Indiz und jeden möglichen Verdächtigen
00:26:35
noch einmal genau unter die Lupe nehmen.
00:26:36
Und dabei kommt heraus,
00:26:38
dass die Dreiecksbeziehung zwischen Stefan, seiner Ehefrau Tina und Maike
00:26:42
wohl doch ein größeres Problem für alle Beteiligten war,
00:26:45
als es 1997 bei den Ermittlungen den Eindruck machte.
00:26:48
Lange Zeit konnte sich Stefan nämlich nicht zwischen den beiden Frauen entscheiden.
00:26:53
Für die ganze Familie sei das furchtbar gewesen,
00:26:55
erzählen Zeuginnen nun vor Gericht.
00:26:57
So furchtbar, dass Stefans kleiner Sohn einmal die Wohnungstür von innen abgeschlossen
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und den Schlüssel versteckt habe, weil er nicht wollte, dass sein Vater wieder weggeht.
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Stefan habe die Tür daraufhin eingetreten und sei erst am nächsten Tag wieder zu Hause aufgetaucht.
00:27:12
Nur wenige Wochen vor der Tat
00:27:14
habe dann seine Tochter bei einer Freundin ihrer Mutter angerufen
00:27:16
und sie gebeten, schnell vorbeizukommen.
00:27:18
Als diese eintraf,
00:27:20
habe Tina zitternd am Boden gelegen
00:27:21
und nicht mehr aufstehen können.
00:27:23
Offenbar hatte sie einen Nervenzusammenbruch.
00:27:25
Stefan sei dann einfach über seine Frau hinweggestiegen,
00:27:28
ohne sich um sie zu scheren.
00:27:30
Zwischen Tina und Maike
00:27:32
sei es sogar einmal zu Handgreiflichkeiten gekommen.
00:27:35
Tina habe Maike eine Ohrfeige verpasst
00:27:37
und Maike habe Tina daraufhin die Treppe runtergeschubst.
00:27:41
Auf die Tatnacht angesprochen,
00:27:43
erklärt Tina, die seit einigen Jahren von Stefan geschieden ist,
00:27:46
nun im Zeugenstand,
00:27:47
dass Stefan an dem Abend noch einmal zu Maike wollte.
00:27:50
Quasi, um mit ihr Schluss zu machen,
00:27:52
weil er sich just an diesem Tag für seine Frau und seine Familie entschieden hatte.
00:27:55
Doch Tina habe ihm daraufhin erklärt,
00:27:58
wenn du jetzt gehst, ist alles aus.
00:28:00
Laut ihrer Aussage sei Stefan in der Nacht dann nicht mehr zu Maike gefahren.
00:28:04
Ob er aber wirklich die ganze Zeit neben ihr lag, ist fraglich.
00:28:08
Denn Tina war schon damals seit einigen Jahren schwerhörig.
00:28:11
Stefan selbst präsentiert sich den Anwesenden im Saal so,
00:28:14
als ginge ihm die Angelegenheit nichts an.
00:28:16
Alle Fragen beantwortet der mittlerweile 50-Jährige nur schwammig
00:28:20
oder er behauptet, dass er keine Erinnerung mehr habe.
00:28:23
Als eine der Richterinnen ihn fragt,
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ob er an dem Tatabend noch mal zu Maike gefahren ist,
00:28:28
nicht, dass ich wüsste.
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Ob er seiner Ex-Frau denn widersprechen würde,
00:28:32
packt die Richterin nach.
00:28:34
nein, ich erinnere bloß nicht jede Kleinigkeit.
00:28:37
In diesem Moment platzt der Richterin die Hutschnur.
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Mit scharfem Ton fährt sie den Zeugen an,
00:28:43
das nennen sie eine Kleinigkeit.
00:28:45
Wieso haben sie dieses ganze Konfliktpotenzial bisher verschwiegen?
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Darauf hat Stefan keine Antwort.
00:28:51
Das sei alles zu lang her.
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Dieses Verfahren zeigt noch einmal deutlich,
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dass die damaligen ErmittlerInnen einen Tunnelblick
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und neben Michael keine anderen Verdächtigen in Betracht gezogen hatten.
00:29:01
Dabei gab es neben Stefan auch noch Maikes Vater Peter,
00:29:04
der sich verdächtig verhalten hat,
00:29:06
indem er am Tatort ohne Handschuhe bei der Beweissicherung
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mithalf, die Tagebücher nie präsentierte
00:29:11
und Maikes Möbel kurz nach der Tat entsorgte.
00:29:13
Peter, der nun wieder die Nebenklage angetreten hat
00:29:16
und dem es wichtig war, dass sich das Gericht noch einmal mit dem Brief beschäftigt,
00:29:19
den Michael nach der Tat an seine Freundin geschrieben hat.
00:29:22
Was den genauen Wortlaut angeht,
00:29:25
stellt sich allerdings jetzt heraus,
00:29:26
dass dieser anders war als bisher gedacht.
00:29:29
Im Brief an Michaels damalige Freundin stand nicht,
00:29:32
Wenn sie sagt, ja, ich war's, bin ich für Jahre im Knast,
00:29:35
sondern es kommt nur auf Maike an.
00:29:37
Wenn sie sagt, ich wäre es gewesen, bin ich für Jahre im Knast.
00:29:41
Für die RichterInnen in Mannheim
00:29:43
ist der Inhalt des Briefes kein Hinweis auf Michaels Täterschaft.
00:29:47
Sie sind von seiner Unschuld überzeugt.
00:29:50
Die Kammer spricht Michael am 22. Oktober 2009 frei
00:29:54
und der vorsitzende Richter betont,
00:29:56
dass Michael niemals für die Tat an Maike hätte verurteilt werden dürfen.
00:30:00
Bei diesen Worten jubelt und klatscht das Publikum im Gerichtssaal.
00:30:05
Nur einer bleibt still.
00:30:07
In sich zusammengesackt sitzt er da.
00:30:10
Er zittert und weint.
00:30:12
Die letzten zwölfeinhalb Jahre waren zu viel.
00:30:14
Das Kräftemessen mit der Justiz zu anstrengend.
00:30:17
Michael kämpft schon seit Jahren mit Depressionen, tiefer Erschöpfung, Schlaf- und Angststörungen.
00:30:23
Als er jetzt vor die Presse tritt, erklärt er, dass es in der Sache drei Opfer gibt.
00:30:27
Seine Ex-Frau Maike, ihn selbst und ihren gemeinsamen Sohn Nico,
00:30:31
den er seit Jahren nicht mehr hat sehen dürfen und der seinen Vater wahrscheinlich für den Täter hält.
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Heute ist Michael 58 Jahre alt.
00:30:40
Sein größter Wunsch ist es, wieder Kontakt zu Nico zu haben.
00:30:43
Denn bis heute hat sein mittlerweile erwachsener Sohn all seine Kontaktversuche abgeblockt.
00:30:48
Durch Medienberichte hat Michael erfahren, dass Nico Polizist geworden ist
00:30:53
und damit denselben Weg wie sein Opa und seine Mutter eingeschlagen hat.
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Ob er diesen gewählt hat, um den wahren Täter zu finden, ist unwahrscheinlich.
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Dabei ist es gut möglich, dass dieser noch immer auf freiem Fuß lebt.
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Der Mann, der Maike zum Pflegefall machte und damit Nico seine Mama nahm, wie er sie kannte.
00:31:11
Dem kleinen Jungen, der damals alles mit ansehen musste,
00:31:14
aber genau wie seine Mutter für immer ein stummer Zeuge bleibt.
00:31:20
Also was ist das denn für ein Fall?
00:31:22
Ich dachte, jetzt weiß man dann wenigstens noch, wer der wahre Täter war.
00:31:26
Aber das ist halt so bitter, wenn von Anfang an Leute irgendwie so eine Vermutung haben
00:31:31
und dann aber auch noch in dieser Machtposition sind, die Ermittlungen dahin zu lenken
00:31:36
und nicht sehen, dass sie es nicht unbedingt besser wissen.
00:31:39
Und dann da auch kein Korrektiv ist.
00:31:41
Denn eigentlich hätten ja zumindest die KollegInnen bei der Polizei da intervenieren müssen.
00:31:45
Ja, das Ding ist eben, wenn man sich so früh auf jemanden versteift,
00:31:48
weil man eben in dem Fall ja auf Peter auch irgendwie gehört hat,
00:31:52
der ein langjähriger Kollege ist und so,
00:31:54
dass man dann ja wirklich nicht mehr offen ist
00:31:57
und dann nur noch nach den Sachen sucht, die zu dieser Theorie passen.
00:32:00
Ja, aber die sollten offen sein.
00:32:03
Also ich meine, dass das erst nicht selbst ist als Vater.
00:32:06
Okay, kann ich verstehen, das ist deine Tochter, du bist voller Wut,
00:32:10
du willst, dass es geklärt ist.
00:32:11
Und wenn deine Meinung von ihrem Ehemann eh schon so geprägt ist, okay.
00:32:15
Aber das geht halt eben nicht, dass die restliche Polizei da halt so mitgeht.
00:32:19
Ja, und ich muss auch sagen, dieser Fall ist so umfangreich.
00:32:23
Ich konnte jetzt auch nicht alles erzählen
00:32:25
und es wurden auch echt noch viel mehr Fehler gemacht von der Polizei.
00:32:28
Da sind auch Asservate verschwunden und Zeugenaussagen
00:32:32
wandern auf einmal irgendwie nicht mehr in den Unterlagen
00:32:34
und wandern woanders und so weiter.
00:32:36
Also da war schon echt ganz viel.
00:32:37
Aber ich muss auch sagen, nicht nur die Polizei,
00:32:40
sondern es waren dann auch schon die Gerichte,
00:32:42
die dann darüber entscheiden mussten,
00:32:45
ob es zur Wiederaufnahme kommt oder nicht.
00:32:47
Also da wurden auch zwei Wiederaufnahmeanträge abgelehnt.
00:32:50
Ja, aber, ich meine, da kommen wir ja gleich nochmal darauf,
00:32:53
die Gerichte haben ja manchmal gar keine andere Wahl.
00:32:55
Die bewerten ja nicht den ersten Prozess nochmal neu.
00:32:59
Aber es gab zwei Wiederaufnahmeanträge,
00:33:01
die zu Unrecht vom Landgericht Mannheim abgelehnt wurden.
00:33:04
Das hatte nämlich das Oberlandesgericht ja entschieden.
00:33:06
Also man sieht schon auch, dass irgendwie auch das Gericht offenbar nicht wahrhaben wollte,
00:33:12
dass da möglicherweise vorher mal eine falsche Entscheidung getroffen wurde.
00:33:17
Und erst nach dem zweiten Freispruch,
00:33:20
also man kann sich ja vorstellen,
00:33:21
der hatte also drei Prozesse.
00:33:23
Und beim zweiten Freispruch hat die Kammer explizit gesagt,
00:33:28
dass es viel wahrscheinlicher ist,
00:33:30
dass Stefan der Täter ist.
00:33:32
Dann kam es also endlich mal zu Ermittlungen gegen Stefan.
00:33:37
Und der wurde auch vom Dienst suspendiert.
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2013 wurden die Ermittlungen dann wieder eingestellt.
00:33:43
Und von der Polizei hieß es dann,
00:33:44
dass die Tat zu lange her ist
00:33:47
und Beweismittel gegen Stefan nicht aussagekräftig genug seien,
00:33:50
um eine Anklage zu rechtfertigen.
00:33:52
Ein Polizeisprecher sagte dann,
00:33:55
Letztlich gilt die Unschuldsvermutung.
00:33:56
Gut, das stimmt ja auch.
00:33:58
Aber für Michael galt die sehr, sehr lange nicht.
00:34:05
Da misst man halt mit zweierlei Maß, ja.
00:34:07
Und was meinst du, Paulina,
00:34:09
hat Michael vom Staat als Haftentschädigung bekommen?
00:34:11
Also wie viel Geld?
00:34:12
Ja, das könnte ich ja jetzt ausrechnen.
00:34:15
Was waren das damals?
00:34:19
Wie viele Jahre saß der?
00:34:21
Vier, eineinhalb Jahre saß er unschuldig in Hintergittern.
00:34:26
Ja, so 40.000 Euro.
00:34:32
Knapp 14.000, ja, Witz.
00:34:33
Und dann knapp 14.000 davon gingen dann direkt wieder zurück an den Staat.
00:34:37
Weil wir wissen ja,
00:34:38
Kost und Logis im Gefängnis muss man ja dann trotzdem bezahlen.
00:34:41
Das ist halt so ein Scherz, ne?
00:34:45
Also ich bin froh, dass die das jetzt erhöht haben auf die 75.
00:34:47
Und was immer noch ein Witz ist, ja?
00:34:49
Was, wie viel ist die Freiheit wert?
00:34:51
Ja, was die zu unschuldig Verurteilten ja dann auch noch sozusagen einklagen können, ist ein Verdienstausfall.
00:34:59
Das hat Michael gemacht und er verlangt auch Schmerzensgeld und zwar in Höhe von 26.000 Euro.
00:35:06
Am Ende von diesem Schmerzensgeldprozess wurde ihm dann aber eine Entschädigungssumme von 450.000 Euro zugesprochen.
00:35:14
Also viel, viel, viel, viel mehr, als was er gefordert hat.
00:35:18
Und da denkt man, oh wow, das ist ja viel, ne?
00:35:20
Also so im ersten Moment eine halbe Million fast.
00:35:23
Aber nach Abzug von Steuern und Anwaltskosten bleiben ihm jetzt, er kann nicht mehr arbeiten, er ist erwerbsunfähig, 600 Euro bleiben ihm dann jetzt davon im Monat.
00:35:34
Einige von euch kannten den Fall wahrscheinlich schon und deshalb auch den echten Namen von Michael.
00:35:42
Wir haben uns aber dazu entschieden, den Namen zu ändern, nachdem wir mit Michaels Anwältin gesprochen hatten.
00:35:47
Die hat uns nämlich gesagt, dass der echte Michael nicht mehr über seinen Fall sprechen möchte.
00:35:52
Und ich persönlich kann mir auch vorstellen, dass zum Beispiel sein Sohn auch nicht möchte, dass sein Name immer wieder in der Öffentlichkeit genannt wird.
00:35:59
Weil die Tat ist schließlich auch schon fast 30 Jahre her.
00:36:03
Wir wollten den Fall aber trotzdem erzählen, weil er wie fast kein anderer zeigt, wie schwer es sein kann, seine Unschuld zu beweisen, wenn man einmal rechtskräftig verurteilt wurde.
00:36:11
Das geht nämlich nur mithilfe eines Wiederaufnahmeverfahrens.
00:36:15
Und damit sind wir bei unserem heutigen Oberthema.
00:36:18
Genau, wie Laura gerade gesagt hat, kann nur durch ein Wiederaufnahmeverfahren, ein Fall, der eigentlich schon abgeschlossen ist, nochmal gerichtlich geprüft werden.
00:36:26
Und ich weiß, wir reden hier oft ja von den Revisionen und vielleicht fragen sich jetzt manche, was ist denn damit?
00:36:32
Es gibt dann einen entscheidenden Unterschied zwischen einer Revision und einem Wiederaufnahmeverfahren.
00:36:36
Wenn jemand verurteilt wird, hat er oder sie immer die Möglichkeit, Revision einzulegen.
00:36:41
Dann wird das Urteil dem zuständigen Oberlandesgericht oder dem BGH vorgelegt und auf Rechtsfehler überprüft.
00:36:46
Die haben dafür aber dann halt nur das Urteil in schriftlicher Form und die Ausführungen und Anlagen der Revision.
00:36:52
Das lesen die sich dann durch und entscheiden dann, ob das Recht richtig angewendet wurde oder eben nicht.
00:36:57
Was dabei aber nicht passiert ist, dass jetzt da nochmal ZeugInnen befragt werden oder sich nochmal andere Beweismittel angeschaut werden.
00:37:04
Und wenn dann Rechtsfehler gefunden werden, verweist das Revisionsgericht die Sache in der Regel an eine andere Kammer zurück und dort muss dann nochmal neu verhandelt werden.
00:37:12
Wenn aber keine Rechtsfehler gefunden werden, dann ist das Urteil auch rechtskräftig.
00:37:16
Bei einem Wiederaufnahmeverfahren liegt immer schon ein rechtskräftiges Urteil vor.
00:37:20
Also heißt das mit der Revision ist alles schon vorbei.
00:37:23
Entweder wurde keine eingelegt oder die wurde halt abgelehnt.
00:37:26
Und bei diesem Wiederaufnahmeverfahren geht es dann eben nicht nur um Rechtsfehler, sondern darum, das Verfahren nochmal komplett neu aufzurollen.
00:37:33
Also heißt, ein Wiederaufnahmeverfahren macht man eigentlich, wenn man davon ausgeht, dass das rechtskräftige Urteil ein Fehlurteil ist und dass man das nochmal wieder richtigstellen möchte.
00:37:43
Und das sowohl bei Verfahren, in denen jemand schuldig gesprochen wurde.
00:37:47
Das sind dann die Wiederaufnahmeverfahren zugunsten der verurteilten Person.
00:37:51
Es gibt aber auch die zu Ungunsten von Personen.
00:37:54
Beispielsweise, wenn jemand freigesprochen wurde und sich dann aber später herausstellt, die Person war es wahrscheinlich doch.
00:38:00
Dass es dazu kommt, muss aber einiges passieren, weil, und das muss man schon sagen, bis ein Urteil rechtskräftig wird, haben potenziell eine Menge JuristInnen über so einen Sachverhalt bzw. über die Anwendung des Rechts geschaut.
00:38:12
Deshalb, und um irgendwann auch mal so etwas wie Rechtssicherheit zu haben, heißt Rechtskraft eben auch, die Sache ist entschieden.
00:38:19
So ist es jetzt, ja.
00:38:20
Um ein rechtskräftiges Urteil dann noch kippen zu können, müssen große Hürden überwunden werden.
00:38:26
Und welche das sind, darum geht es jetzt in meinem AHA.
00:38:28
Also als allererstes Mal muss ein Wiederaufnahmeantrag beim Gericht gestellt werden.
00:38:33
Und das ist in den allermeisten Fällen dann nicht das Gericht, das das Urteil in dem Fall gesprochen hat.
00:38:38
Das hat damit zu tun, dass man nicht möchte, dass dieselben Personen nochmal über dieselbe Sache entscheiden.
00:38:44
Stichwort Befangenheit.
00:38:46
In der Regel ist das ein Gericht im selben Bundesland mit derselben sachlichen Zuständigkeit.
00:38:50
Also wie bei Michael, bei dem erst das Landgericht Karlsruhe und dann das Landgericht Mannheim entschieden hat.
00:38:56
Wenn das Gericht dann den Antrag erhalten hat, startet das sogenannte Additionsverfahren.
00:39:01
Und da wird geprüft, ob der Wiederaufnahmeantrag zulässig ist.
00:39:04
Heißt, ob ein Wiederaufnahmegrund vorliegt.
00:39:08
Ein Grund liegt zum Beispiel vor, wenn Sachverständige bei ihrem Gutachten geschlampt haben.
00:39:12
Also stellen wir uns mal vor, für das Gutachten über die DNA-Spuren, aus meinem Fall, werden aus Faulheit nicht alle Proben untersucht.
00:39:20
Im Gutachten steht dann aber, alle DNA-Spuren seien Michael zuzuordnen.
00:39:25
Dabei könnten ja die Proben, die nicht untersucht wurden, die DNA des wahren Täters enthalten.
00:39:30
Also wenn sowas nach einem Urteil rauskommt, müsste man dem Wiederaufnahmeantrag stattgeben.
00:39:35
Genauso ist das mit falschen Aussagen.
00:39:38
Also wenn nachträglich rauskommt, dass eine Zeugin gelogen hat zum Beispiel.
00:39:41
Und der Wiederaufnahmegrund, der am häufigsten zu Wiederaufnahmeverfahren führt, sind neue Beweise oder Tatsachen.
00:39:47
Also wenn nach dem Urteil beispielsweise die Aufnahme einer Bewachungskamera gefunden wird,
00:39:52
auf der zu sehen ist, wie ein anderer Mensch die Tat begeht.
00:39:57
Und dass einer dieser Gründe vorliegt, das muss natürlich dann auch von der Person bewiesen werden,
00:40:01
die den Wiederaufnahmeantrag stellt.
00:40:02
Und zwar indem sogenannte geeignete Beweismittel vorgelegt werden.
00:40:05
Wie eben so eine Aufnahme von der Überwachungskamera oder die neue Aussage einer Zeugin.
00:40:11
Ob diese Beweismittel tatsächlich auch dafür sprechen, dass das erste Urteil falsch war,
00:40:16
das wird dann im nächsten Schritt geprüft im Probationsverfahren.
00:40:19
Also da werden die vorgelegten Beweismittel dann genau unter die Lupe genommen.
00:40:23
Und wenn es da in einem Wiederaufnahmeverfahren zugunsten einer Person,
00:40:26
dann heißt, die vorgelegten Gründe sind hinreichend wahrscheinlich für den Beweis der Unschuld,
00:40:31
dann gibt es eine neue Hauptverhandlung.
00:40:34
Ja, oder halt auch eben keine.
00:40:36
Weil es gibt es auch, dass man einen Freispruch ohne erneute Hauptverhandlung bekommt.
00:40:40
Also wenn halt einfach genügend offensichtliche Beweise für die Unschuld vorliegen,
00:40:44
dann muss es gar keinen neuen Prozess geben.
00:40:46
Dann wird quasi eine Abkürzung genommen, das Urteil aufgehoben und die verurteilte Person freigesprochen.
00:40:51
Genau, wenn man sich aber jetzt nicht hundertprozentig sicher ist,
00:40:54
dann kommt es wie bei Michael zu einer neuen Hauptverhandlung,
00:40:56
bei der sich das Gericht nochmal alle Beweismittel, also neue, alte, auch ZeugInnen-Aussagen,
00:41:02
Gutachten und so weiter anschaut.
00:41:04
Wenn jetzt zum Beispiel ZeugInnen in der Zwischenzeit gestorben sind,
00:41:07
dann werden auch ihre alten Aussagen verlesen.
00:41:10
Und am Ende der Verhandlung gibt es logischerweise auch eine Entscheidung.
00:41:13
Ist das ein Freispruch?
00:41:14
Spricht man wie im Fall von Michael von einem Justizirrtum?
00:41:17
Es kann aber auch sein, dass in Anführungszeichen nur eine geringere Strafe als bei der ersten Verhandlung verhängt wird
00:41:24
oder das ursprüngliche Urteil nochmal bestätigt wird.
00:41:27
Eine höhere Strafe kann es aber nicht geben.
00:41:30
Das liegt am Verschlechterungsverbot.
00:41:33
Das haben wir ja auch schon mal im Podcast besprochen.
00:41:35
Und das besagt ja,
00:41:37
dass ein Urteil in einem Wiederaufnahmeverfahren zugunsten
00:41:40
nicht zum Nachteil der verurteilten Person abgeändert werden darf.
00:41:44
Also jemand, der beispielsweise zuerst wegen Totschlags zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde,
00:41:49
darf in der neuen Hauptverhandlung dann nicht zum Beispiel zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden.
00:41:54
So, und die, die gut aufgepasst haben,
00:41:57
haben vielleicht mitbekommen,
00:41:58
dass Michael in der letzten Verhandlung aber ja wegen versuchten Mordes angeklagt wurde,
00:42:04
obwohl er ja beim ersten Mal nur wegen versuchten Totschlags verurteilt wurde.
00:42:08
Ja, aber da ist es dann so,
00:42:10
dass wenn er in der Verhandlung wegen versuchten Mordes dann schuldig gesprochen wäre,
00:42:14
dann hätte er keine höhere Strafe kriegen dürfen als die elf Jahre vom ersten Prozess.
00:42:20
Weil eben bei einer Wiederaufnahmeverfahren zugunsten einer Person das Verstechterungsverbot gilt
00:42:25
und der Sinn dahinter ist,
00:42:27
dass man quasi nicht aus Angst vor einem noch schlimmeren Urteil dann keine Wiederaufnahmeanträge stellen will.
00:42:33
Ja, also das alles zeigt, ein rechtskräftiges Urteil zu kippen ist wirklich nicht einfach.
00:42:37
Und das ist eigentlich auch gut so,
00:42:39
weil mit Sicherheit gibt es auch Verurteilte, die schuldig sind
00:42:42
und versuchen durch ein Wiederaufnahmeverfahren einen Freispruch zu erlangen,
00:42:45
der ihnen halt gar nicht zusteht.
00:42:46
Und wenn jede verurteilte Person einfach so ein Wiederaufnahmeverfahren bekommen würde,
00:42:50
dann würde erstens die sogenannte Rechtskraft des Urteils degradiert werden
00:42:54
und zweitens hätten Gerichte dann so viel Arbeit,
00:42:56
dass sie gar nicht mehr hinterherkommen würden.
00:42:58
Denn ich glaube, da sind wir uns einig,
00:43:01
wenn dieses ganze Prozedere sehr einfach wäre,
00:43:03
dann würden ganz viele Wiederaufnahmeanträge stellen,
00:43:06
weil die meisten TäterInnen mit ihrem Urteil sicherlich nicht zufrieden sind.
00:43:11
Also, dass der Weg zu so einem Wiederaufnahmeverfahren lang und steinig ist,
00:43:14
das wisst ihr jetzt,
00:43:15
dass es dabei aber um noch viel mehr als Freiheit gehen kann,
00:43:19
erzähle ich gleich.
00:43:20
Mein Fall zeigt, dass sich trotz aller Hoffnungsschimmer
00:43:23
schwedische Gardinen nur schwer beiseite schieben lassen.
00:43:26
Alle Namen habe ich geändert.
00:43:29
In dem kleinen Ort Oberhenneborn ist Ende Mai 1983 viel los.
00:43:34
Jedes Jahr um Pfingsten hört man in den Straßen des 400-Seelen-Dorfes
00:43:38
zünftige Blasmusik und klirrende Gläser.
00:43:40
Es ist schützenfest.
00:43:42
Für die EinwohnerInnen von hier, aber auch für die Leute aus den Nachbardörfern
00:43:45
heißt das drei Tage ausgelassene Stimmung.
00:43:48
Das Fest ist Tradition in dem idyllischen Ort in Nordrhein-Westfalen
00:43:52
und zieht auch heute Abend eine Schar von Menschen an.
00:43:55
Einer davon ist die 24-jährige Katharina.
00:43:57
Auf das Fest hat sie sich schon lange gefreut.
00:44:00
Außerdem ist es eine willkommene Abwechslung zu ihrem Uni-Alltag.
00:44:04
Ihre Eltern haben einen Bauernhof.
00:44:06
Sie hat sich aber gegen die Landwirtschaft und für ein Studium entschieden.
00:44:09
Die Wahl fiel auf Theologie.
00:44:11
Einfach, dass der jungen Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt
00:44:14
besonders am Herzen liegt.
00:44:15
An diesem alljährlichen Höhepunkt im Dorf
00:44:17
trifft sie sich mit FreundInnen in der Schützenhalle
00:44:20
und fegt über die Tanzfläche.
00:44:21
Katharina ist gerne unter Leuten.
00:44:24
Gegen zwei Uhr morgens geht dann aber auch Katharina die Energie aus.
00:44:27
Im Gegensatz zu vielen anderen,
00:44:30
die sich noch immer mit Bier und Wein in Stimmung trinken,
00:44:32
hat sie genug von der lauten Feierei und will nach Hause.
00:44:34
Zu Fuß sind es nur wenige hundert Meter zu ihrem Elternhaus.
00:44:38
Also verlässt die 24-Jährige die bunt dekorierte
00:44:41
und hell erleuchtete Schützenhalle
00:44:42
und tritt nach draußen in die Dunkelheit.
00:44:44
Allerdings ist sie dabei nicht allein.
00:44:48
Um fünf Uhr in der Früh am Morgen nach dem Fest
00:44:50
ist es ruhig in den Straßen Oberhenneborns.
00:44:53
Die meisten sind noch am Schlafen.
00:44:54
Der Abend ging lang.
00:44:56
Aber die, die bereits auf den Ballen sind,
00:44:58
spähen neugierig durch die Fenster oder über die Gartenzäune.
00:45:01
Nicht, weil noch ein paar Betrunkene vom Vorabend grölen,
00:45:05
durch den Ort ziehen,
00:45:05
sondern weil gleich mehrere Polizeiautos an ihnen vorbeidüsen.
00:45:09
Die Fahrzeuge haben alle dasselbe Ziel.
00:45:12
Katharinas Elternhaus.
00:45:13
Schaulustige stellen sich in die Einfahrt,
00:45:16
die durch ein flatterndes Band vom Rest des Ortes abgeschnitten ist.
00:45:19
Dort angekommen, erfahren sie,
00:45:22
was der Grund für den ganzen Aufruhr ist.
00:45:24
Und kurz darauf weiß das ganze Dorf Bescheid.
00:45:27
Katharina ist tot.
00:45:28
Ihr Vater wollte frühmorgens mit der Arbeit auf dem Hof beginnen.
00:45:31
Als er die wenigen Treppenstufen vor dem Haus hinunter
00:45:34
in Richtung des Traktors gelaufen ist,
00:45:36
hat er eine Entdeckung gemacht, die ihn in Schock versetzte.
00:45:39
Katharina lag unter der Remise im Innenhof.
00:45:41
Neben ihrem Kopf eine Eisenstange,
00:45:44
an der ringsrum dunkelrotes Blut klebte.
00:45:46
Sie wurde übel zugerichtet.
00:45:48
Auf ihren Kopf wurde massiv eingeschlagen,
00:45:50
das zarte Gesicht vollkommen zertrümmert.
00:45:53
An ihrem Hals waren Würgemale zu erkennen.
00:45:55
Von der Hüfte abwärts war die Leiche der jungen Frau entkleidet.
00:45:58
Alles deutet auf einen Sexualmord hin.
00:46:01
Nachdem ihr Vater die Polizei alarmiert hatte,
00:46:03
legte er ein dünnes Leinentuch über den geschundenen Körper seiner Tochter.
00:46:07
So liegt Katharina noch immer da.
00:46:09
Den neugierigen NachbarInnen und auch der Polizei
00:46:12
wird durch das Tuch der grausame Anblick erspart.
00:46:15
Die Nachricht von Katharinas Tod spricht sich schnell in der Dorfgemeinde herum.
00:46:20
Der arme Bauer musste seine Tochter so auffinden, wie schrecklich.
00:46:23
Doch neben Mitleid machen sich noch weitere Gefühle
00:46:26
bei den EinwohnerInnen Oberhenneborns breit.
00:46:29
Angst und Unruhe.
00:46:31
Gestern war noch überall gute Stimmung im Ort.
00:46:33
Alle haben gemeinsam gefeiert.
00:46:34
Und jetzt wurde eine junge Frau ermordet aufgefunden?
00:46:37
Hier kennt doch jeder jeden.
00:46:39
Wer also könnte für so eine blutige Tat verantwortlich sein?
00:46:42
Und wer würde Katharina, die immer so freundlich und hilfsbereit war,
00:46:46
nur so etwas antun?
00:46:49
In den folgenden Tagen ist nichts mehr
00:46:52
von der ausgelassenen Schützenfeststimmung übrig.
00:46:54
Der Ort wirkt wie in Schockstarre verfallen.
00:46:57
Misstrauen hat sich breit gemacht.
00:46:59
Man weiß, das Zusammenleben hier wird nie wieder so sein wie vorher,
00:47:03
bis derjenige gefasst ist, der es getan hat.
00:47:05
Das Verbrechen hat das Dorf gespaltet.
00:47:08
Was, wenn es einer von ihnen war?
00:47:11
Es vergehen einige Tage, in denen viel getuschelt und verdächtigt wird.
00:47:14
Aber dann, neun Tage nach dem Fest, die gute Nachricht.
00:47:18
Ein Schuldiger wurde offenbar ausgemacht.
00:47:20
Auch wenn noch niemand die enorme Trauer über den Tod der jungen Frau verarbeitet hat,
00:47:24
kommt trotzdem ein Gefühl von Erleichterung auf.
00:47:27
Ganz Oberhenneborn atmet auf und schließt sich wieder zusammen.
00:47:31
Denn es ist doch niemand von ihnen.
00:47:32
Sondern ein junger Mann aus dem Nachbardorf.
00:47:34
Der 25-jährige Fritz soll es gewesen sein.
00:47:38
Er wurde verhaftet und hat auf der Wache sogar schon den Mord an Katharina gestanden.
00:47:41
Als ihn die Beamtinnen bei seiner Schwester Elke abgeholt und aufs Revier gebracht haben,
00:47:46
dauerte es nur zweieinhalb Stunden und er gab alles zu.
00:47:48
Auch vor dem Haftrichter hat er bereits mehrmals beteuert,
00:47:51
dass er derjenige sei, den sie suchen.
00:47:53
Und weil Fritz zusätzlich noch Täterwissen preisgegeben hat,
00:47:57
ist sich die Polizei absolut sicher, den richtigen erwischt zu haben.
00:48:00
Er wusste, dass Katharina unter der Remise lag,
00:48:03
dass sie ihre Schuhe nicht mehr trug
00:48:05
und sie stattdessen im Innenhof rumlagen
00:48:07
und auch von der blutigen Eisenstange,
00:48:09
die am Tatort gefunden wurde, berichtete er.
00:48:11
Es kommt zur Anklage gegen ihn.
00:48:13
Der Leichnam von Katharina findet wenige Tage nach ihrem Tod
00:48:18
in einem mit Blumen überseeten Grab die letzte Ruhe.
00:48:20
Ihre Eltern können nicht fassen,
00:48:22
dass ihre Tochter so jung und vor allem so grausam sterben musste.
00:48:25
Fast das ganze Dorf versammelt sich,
00:48:27
um sich von der jungen Frau zu verabschieden,
00:48:29
die noch ihr ganzes Leben vor sich hatte.
00:48:31
Ein Leben, das Fritz auf brutale Art und Weise genommen haben soll.
00:48:36
Die Fassungslosigkeit ist groß.
00:48:37
Im Dorf ist man sich einig, dass diese Tat hart bestraft werden muss.
00:48:41
Auch deswegen fiebert man dem Prozessbeginn im Dezember 83 entgegen.
00:48:46
Als es schließlich soweit ist, sind die meisten ZuschauerInnen,
00:48:48
die sich zum Prozessauftakt in dem mit dunklen Holz verkleideten Gerichtssaal eingefunden haben,
00:48:53
Sie hoffen, dass Fritz für das verurteilt wird, was die Anklage fordert.
00:48:58
Nur drei Frauen schauen besorgt auf den Mann,
00:49:00
der mit hängenden Schultern auf der Anklagebank sitzt.
00:49:03
Es sind die drei Schwestern von Fritz,
00:49:05
Elke, Minna und Petra.
00:49:08
Weil mehrere FestbesucherInnen Fritz und Katharina an dem Abend miteinander haben Reden sehen,
00:49:12
geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass sich die beiden gut verstanden haben.
00:49:16
Mehr noch, Fritz und Katharina wurden später sogar beobachtet,
00:49:19
wie sie gemeinsam gegen zwei Uhr morgens die Schützenhalle verlassen haben.
00:49:22
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hat Fritz die Studentin bis vor die elterliche Haustür gebracht,
00:49:27
wo sich die beiden noch weiter unterhalten haben.
00:49:30
Fritz habe sich daraufhin zu Katharina gebeugt, um ihr näher zu kommen.
00:49:33
Katharina muss Fritz dann abgewiesen haben, woraufhin der wütend wurde
00:49:37
und im Innenhof des Elternhauses ihren Hals packte und kräftig zudrückte.
00:49:41
Aufgrund der Auffindesituation und den Verletzungen an Katharinas Leiche
00:49:45
schlussfolgert die Staatsanwaltschaft, dass Fritz den bewusstlosen Körper unter die Remise geschleift hat
00:49:50
und sich dann an Katharina vergehen wollte.
00:49:52
Weil sie dann aber wieder zu sich gekommen sei und Fritz nicht damit gerechnet habe,
00:49:57
so die Anklage, sei er in Panik verfallen, habe zur Eisenstange,
00:50:00
die neben dem Traktor von Katharinas Vater lag, gegriffen
00:50:03
und ihr damit mehrmals mit Wucht auf den Kopf geschlagen.
00:50:06
Weil Fritz nicht erwischt werden oder den Verdacht auf sich ziehen wollte,
00:50:09
ist er laut Staatsanwaltschaft nach der Tat zurück zum Fest gegangen.
00:50:12
ZeugInnen, die an dem Abend auch dort waren, schätzen, dass Fritz ca. eine halbe Stunde weg war.
00:50:17
Zurück in der Halle, so bestätigen es mehrere Festgäste,
00:50:20
hat Fritz weiter getrunken und sich mit vielen der Anwesenden unterhalten.
00:50:24
Das soll er getan haben, um möglichst präsent zu sein und so den Eindruck zu erwecken,
00:50:28
dass er mit dem brutalen Mord nichts zu tun habe.
00:50:30
Das zumindest ist die Theorie der Staatsanwaltschaft.
00:50:34
Fritz selbst hatte bei seinem Geständnis gesagt, dass er sich an Details der Tat nicht mehr erinnere,
00:50:38
weil er an dem Abend zu viel getrunken habe.
00:50:41
Für die ZuschauerInnen im Gerichtssaal ist es kaum auszuhalten,
00:50:45
mit anzuhören, was Fritz Katharina angetan haben soll.
00:50:48
Vor allem die drei Schwestern von Fritz sind fassungslos.
00:50:51
Niemals hätten sie ihrem Bruder so etwas zugetraut.
00:50:54
Besonders ein paar Details aus dem rechtsmedizinischen Gutachten klingen so gar nicht nach Fritz,
00:50:58
der seine ehemalige Partnerin immer auf Händen getragen hat.
00:51:02
Auf Katharinas Brust wurde eine Bissspur entdeckt,
00:51:05
so tief und fest, dass ein dunkelblauer Bluterguss entstand.
00:51:08
Außerdem wurde das Schamhaar von Katharina mit Feuer angeschmort.
00:51:12
Laut Staatsanwaltschaft hat Fritz das getan, um sich an Katharina für die Abweisung zu rächen.
00:51:17
Fritz' Schwester Elke kann sich auf diese Grausamkeiten überhaupt keinen Reim machen.
00:51:21
Das ist nicht der Fritz, den sie kennt.
00:51:23
Aber das Landgericht Arnsberg macht mit Fritz kurz einen Prozess.
00:51:27
Insgesamt wird an nur drei Tagen verhandelt.
00:51:30
Mitte Dezember wird das Urteil verkündet.
00:51:32
Es ist Fritz' 26. Geburtstag.
00:51:35
Statt süßem Kuchen kriegt er ein bitteres Urteil serviert.
00:51:38
Er ist des Mordes an Katharina schuldig und muss lebenslang in Haft.
00:51:42
Fritz, der noch bis vor ein paar Monaten als unbescholtener Postbote seine Runden drehte,
00:51:46
wandert jetzt geradewegs ins Gefängnis.
00:51:48
Für Katharinas Eltern ist das ein schwacher Trost.
00:51:51
Katharina ist weg und Fritz zwar hinter Gittern,
00:51:54
im Gegensatz zu ihrer Tochter lebt ihr Mörder aber noch.
00:51:57
Ihr Kind werden sie nie wieder in die Arme schließen können.
00:52:00
Dennoch ist es für die Eltern eine kleine Genugtuung zu wissen,
00:52:03
dass der, der das getan hat, eingesperrt wurde und so schnell auch nicht mehr rauskommt.
00:52:09
In Oberhenneborn kehrt Ruhe ein, aber es dauert, bis man sich von dem Schock erholt.
00:52:14
Und noch immer fühlt man mit den Eltern, die bis an ihr Lebensende um ihre fleißige, gutmütige Tochter trauern werden.
00:52:19
Besonders schlimm ist es, wenn die Schützenfestzeit wieder näher rückt.
00:52:23
Katharinas Eltern werden an diesen Pfingsttagen an den größten Verlust in ihrem Leben erinnert.
00:52:28
Während das Dorf die Halle schmückt, schmücken Katharinas Vater und ihre Mutter ihr Grab und legen Blumen nieder.
00:52:34
Für sie gibt es nichts zu feiern.
00:52:36
So ist es auch zwei Jahre später, als wieder die Klänge der Musikkapelle das Dorf unterhalten.
00:52:41
Doch nur kurz bevor der ganze Trubel erneut beginnt, beendet eine schreckliche Nachricht die Vorfreude und legt die Vorbereitung für die große Feier lahm.
00:52:49
Eine Frau aus dem Nachbardorf Niederhenneborn wurde tot aufgefunden.
00:52:54
Annette war auf der Landstraße unterwegs zum Friseur und wollte sich für das bevorstehende Fest die Haare schön machen lassen.
00:53:00
Doch dort kam sie nie an.
00:53:02
Stattdessen fand ein Mofa-Fahrer sie getötet in ihrem Auto, als ihm auf dem Weg zur Arbeit ihr Pkw am Straßenrand auffiel.
00:53:08
Schon wieder wurde eine Frau ermordet.
00:53:11
Schon wieder während der Schützenfestzeit.
00:53:13
Zwei tote Frauen in nur zwei Jahren.
00:53:16
Im selben Umkreis.
00:53:17
Kann das Zufall sein?
00:53:19
Auf keinen Fall, denkt sich Fritz' Schwester Elke, als sie von dem Mord an Annette erfährt.
00:53:23
Nichts ahnt, hatte sie die Zeitung aufgeschlagen, doch als sie die Worte liest, springen ihr die Parallelen zwischen dem Mord an Katharina und dem an Annette sofort ins Auge.
00:53:32
Die beiden Frauen wohnten praktisch nebeneinander und beide wurden erdrosselt.
00:53:37
Die Ähnlichkeiten sind so groß, dass sich in Elke eine Vermutung breitmacht.
00:53:41
Die Taten hängen miteinander zusammen und wurden vom selben Täter begangen.
00:53:45
Aus der Vermutung wird Überzeugung.
00:53:47
Elke beschließt, dass ihr Bruder unschuldig sein muss.
00:53:50
Während ihre Gedanken kreisen, muss sie immer wieder an den Prozess und Fritz' 26. Geburtstag vor Gericht denken.
00:53:56
Ihr dämmert, dass damals schneller Prozess gemacht wurde.
00:54:00
Viel zu schnell, denkt Elke jetzt.
00:54:02
Möglicherweise hatte das Gericht entscheidende Hinweise, die für Fritz' Unschuld sprachen, übersehen.
00:54:07
Denn dafür hatte es einige gegeben.
00:54:09
Zwei Jahre zuvor.
00:54:13
Elke hat mal wieder ihren Bruder bei sich zu Besuch, der gerade an seinem Kaffee schlürft.
00:54:18
Nur diesmal legen sich Sorgenfalten über seine Stirn.
00:54:21
Thema ist bei den beiden nämlich der grausame Mord an Katharina, der vor neun Tagen passierte.
00:54:25
Fritz hat Elke bereits erzählt, dass er sich mit der blonden Studentin an dem Abend auf dem Fest unterhalten hat und sie nachts um zwei Uhr nach Hause begleiten wollte.
00:54:33
300 Meter vor Katharinas Elternhaus hätten sie sich dann aber verabschiedet und Fritz sei zurück aufs Fest gegangen.
00:54:39
Weil das von einigen Neugierigen im Schützenzelt nicht unbeobachtet blieb, machte sich die Polizei gleich am nächsten Morgen auf den Weg zu Fritz.
00:54:47
Der hatte bei Bekannten in Oberhenneborn übernachtet und trug deshalb immer noch seine Klamotten vom Vortag.
00:54:52
Kurz nachdem er bei sich daheim im Nachbardorf angekommen ist, standen die Beamtinnen dann vor ihm.
00:54:58
Mit einem ordentlichen Brummschädel wurde er befragt.
00:55:01
Da erzählte er, dass sie sich kurz vor ihrem Zuhause verabschiedet hatten und Katharina noch wohl auf war, als er sich umgedreht hatte, um zum Fest zurückzugehen.
00:55:08
Nachdem Fritz seine Aussage machte, so erzählt er es Schwester Elke, steckten die Polizistinnen ihn ins Auto und fuhren mit ihm nach Oberhenneborn.
00:55:16
Hier sollte er die Stelle zeigen, an der sich seine und Katharinas Wege getrennt hatten, um seine Aussage zu bestätigen.
00:55:22
Danach bogen die Beamtinnen mit Fritz in den Innenhof von Katharinas Eltern ein.
00:55:27
Der quasi frische Tatort war mit einem Band abgesperrt und Katharinas Leiche schon weggebracht.
00:55:32
Die Beamtinnen forderten Fritz auf, auszusteigen und im Kreise der Schaulustigen zu warten.
00:55:37
Während sich die Polizei mit Katharinas Familie austauschte, wanderte Fritz Blick über den gesamten Hof.
00:55:43
Er musste schlucken, als er unter der Überdachung Katharinas Schuhe erblickte, die sie am Vortag auf dem Fest getragen hatte.
00:55:49
Etwas daneben lag eine Eisenstange, die offenbar die Tatwaffe war, denn sie war nahezu vollständig rot gefärbt, erinnert sich Fritz.
00:55:56
Ebenso mit Blut befleckt waren auch die Wände im überdachten Innenhof.
00:56:00
Dunkelrote Spritzer klebten daran und ließen nur vermuten, mit wie viel Gewalt jemand das Leben aus Katharina geprügelt hatte.
00:56:08
Warum die Polizei ihn überhaupt dorthin gebracht hat, weiß er nicht, man hat es ihm nicht gesagt.
00:56:13
Aber Elke kann erkennen, dass ihn allein der Anblick des Tatorts immer noch verstört.
00:56:17
Während die beiden weiterhin fassungslos am Kaffeetisch sitzen, klingelt es plötzlich an Elkes Haustür.
00:56:23
Elke öffnet. Es ist die Polizei, die noch einmal mit ihrem Bruder sprechen möchte.
00:56:28
Elke hat sofort das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt.
00:56:31
Sie geht in die Küche, um Fritz zu holen und fragt ihn ganz unverblümt.
00:56:36
Warst du es? Wenn ja, dann musst du dafür einstehen.
00:56:39
Aber ihr Bruder verneint entschieden, während er aufsteht, um die PolizistInnen zu begrüßen.
00:56:43
Wenig später steigt er in den Polizeiwagen in Elkes Einfahrt.
00:56:47
Auf dem Weg zum Revier dreht er sich noch einmal kurz um und ruft ihr zu.
00:56:51
Ich bin in einer Stunde wieder da.
00:56:52
Aber Fritz kommt nicht in einer Stunde wieder.
00:56:55
Er kommt gar nicht wieder und stattdessen in Urhaft.
00:56:58
Von dort aus ruft er Elke an und erzählt, was passiert war, nachdem die Polizei ihn abholte.
00:57:03
Zwar wiederholte Fritz erst seine Aussage, dass er Katharina nur bis kurz vor die Haustür gebracht habe und dann wieder umgedreht sei.
00:57:09
Allerdings, so sagt er, könne er sich auch nicht mehr so richtig an alles erinnern.
00:57:13
Er habe an dem Abend um die 30 Bier getrunken.
00:57:15
Daraus hätten die BeamtInnen ihm einen Strick gedreht.
00:57:18
Und dann hört Elke ihren Bruder mit rauer Stimme sagen, dass er noch über zwei Stunden auf der Wache ein Geständnis abgelegt habe.
00:57:27
Elke kann das nicht glauben.
00:57:28
Noch vor wenigen Stunden hatte Fritz ihr versichert, dass er mit Katharinas Tod nichts zu tun habe.
00:57:33
Und jetzt gesteht er die Tat?
00:57:36
Nachdem Elke und Fritz aufgelegt haben, berät sie sich mit ihren Schwestern Minna und Petra.
00:57:40
Die drei sind sich unsicher.
00:57:42
Wieso bestreitet er erst vehement die Tat begangen zu haben und gesteht dann doch?
00:57:46
Ist da vielleicht etwas faul an der Sache?
00:57:48
Noch am selben Tag zieht Fritz sein Geständnis plötzlich zurück.
00:57:52
In einem weiteren Telefonat versucht er seinen Schwestern klarzumachen, dass er wirklich unschuldig sei.
00:57:58
Wieso er denn überhaupt gestanden habe, wollen sie deshalb von ihrem Bruder wissen.
00:58:01
Da kreidet Fritz der Polizei an, dass er mit enormem Druck konfrontiert worden wäre.
00:58:06
Er beteuert, dass die Polizei ihn bei der zweiten Vernehmung sofort zu verstehen gab, dass ihm nicht geglaubt werde und er verdächtig sei.
00:58:13
Immerhin habe er bei seinem Geständnis während der zweiten Vernehmung Täterwissen preisgegeben.
00:58:18
Seinen Schwestern erzählt Fritz nun aber, dass er die Details des Tatorts nur so genau benennen konnte,
00:58:24
weil die Polizei direkt nach der ersten Vernehmung mit ihm dorthin gefahren ist.
00:58:28
Weitere Informationen zur Tat, wie beispielsweise der Brustbiss oder die angeschmorte Intimbehaarung,
00:58:33
hätte er aber gar nicht selbst preisgegeben, sondern seien ihm in den Mund gelegt worden.
00:58:38
Die Polizei habe es sich zunutze gemacht, dass er sich wegen der vielen Biere nicht mehr genau an alles erinnern könne.
00:58:44
In diese Gedächtnislücke hätte die Polizei Selbstzweifel gepflanzt.
00:58:48
Die PolizistInnen hätten zu ihm gesagt, dass es doch möglich sei, dass ein Mann von einer Frau mehr will.
00:58:54
Darauf hätte Fritz nur geantwortet, möglich ist das wohl bei jedem Menschen, also auch bei mir, und sei damit direkt in die Falle getappt.
00:59:02
Elke und ihre Schwestern wissen nicht mehr, was sie glauben sollen.
00:59:05
Die Polizei wird jedoch bestimmt richtig ermittelt haben.
00:59:08
Welchen Grund sollte es geben, ihrem Bruder einen Mord anzuhängen, den er nicht begangen hat?
00:59:13
Die drei Schwestern können nicht mehr ignorieren, dass ihr geliebter Fritz offenbar etwas mit der Tat zu tun hat.
00:59:17
Die drei sind sich einig, wenn Fritz Katharina umgebracht hat, dann muss er dafür gerade stehen.
00:59:22
Nachdem Fritz sein erstes Geständnis widerrufen hat, gestillt er allerdings in Urhaft noch zwei weitere Male.
00:59:27
Im August und damit zwei Monate nach Katharinas Tod widerruft Fritz sein Geständnis dann endgültig.
00:59:35
Natürlich möchten die Schwestern Fritz Glauben schenken, aber wer gesteht schon so oft, ohne es getan zu haben?
00:59:40
Aber sollte er tatsächlich doch unschuldig sein, wird das der Prozess schon zutage fördern, meinen die Schwestern.
00:59:47
Als es dann im Dezember 1983 soweit ist, beteuert Fritz zwar auch bei der Einlassung,
00:59:52
dass er Katharina nicht getötet und seine Geständnisse alle schon längst widerrufen habe,
00:59:57
doch das Gericht braucht nur drei Tage, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
01:00:01
Fritz ist Katharinas Mörder, die Sache ist abgeschlossen.
01:00:04
Fritz' Schwestern hätten sich einen anderen Ausgang gewünscht.
01:00:07
Dann hätten sie ihrem Bruder Glauben schenken können.
01:00:11
Wenn seine Schuld jetzt bewiesen ist, dann wird es wohl so sein.
01:00:14
Sie vertrauen der Entscheidung des Gerichts.
01:00:17
Bis zwei Jahre nach dem Mord genau zur Schützenfestzeit wieder eine Frau getötet wird.
01:00:21
Als Elke durch die Zeitung von Annettes Tod erfährt, ist es, als würde ihr jemand die Luft zum Atmen abschnüren.
01:00:27
Genau wie Katharina damals wurde auch Annette gewürgt und halb entkleidet aufgefunden.
01:00:32
Als Elke ihren Schwestern Minna und Petra von dem Verbrechen erzählt,
01:00:36
sind sich alle drei plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob das Gericht das richtige Urteil gefällt hat
01:00:40
und ihr Bruder nicht doch zu Unrecht hinter schwedischen Gardinen sitzt.
01:00:44
Jetzt müssen sie sich auch vor Fritz eingestehen,
01:00:46
dass er wohl damals doch die Wahrheit gesagt hat.
01:00:49
Um das auch ganz Oberhenneborn zu beweisen, haben die drei eine große Hoffnung.
01:00:53
Nämlich, dass im Fall von Annette der wahre Täter gefunden wird
01:00:56
und dass man diesem möglicherweise auch den Mord an Katharina nachweisen kann.
01:01:00
Doch das passiert nicht.
01:01:02
Es vergehen sechs Todestage, ohne dass man weiß, wer für das Verbrechen an Annette verantwortlich ist.
01:01:07
Sechs Geburtstage, an denen die Schwestern ihrem Bruder Fritz Hoffnung schenken und versichern,
01:01:12
dass sie immer weiter für ihn kämpfen werden.
01:01:14
Sechs Jahre, in denen Katharinas Familie sich in falscher Gewissheit bietet,
01:01:18
dass der Mörder ihrer Tochter seine gerechte Strafe absitzt.
01:01:21
Zumindest glauben das Elke Minner und Petra.
01:01:24
Nur reicht es nicht, wenn die drei jetzt davon überzeugt sind.
01:01:27
Wenn es Fritz nicht war und der wahre Täter offenbar noch frei herumläuft,
01:01:30
dann muss die Entscheidung rückgängig gemacht werden.
01:01:33
Nur dazu müssen sie erstmal beweisen, dass Fritz es nicht war.
01:01:36
Deshalb wenden sich die drei Schwestern an einen renommierten Anwalt aus Dortmund.
01:01:40
Der nimmt sich der Sache zum Glück an.
01:01:43
Doch die Lage ist nicht einfach.
01:01:44
Um einen Wiederaufnahmeantrag erfolgreich durchzubringen, müssen neue Beweismittel her.
01:01:48
Und die liegen immerhin nicht einfach auf der Straße rum.
01:01:51
Also wühlt er sich wochenlang durch sämtliche Gerichts- und Polizeiakten in Katharinas und Annettes Fall.
01:01:57
Dabei achtet er ganz besonders auf zwei Dinge.
01:02:00
Die Todesursachen und wie die Leichen aufgefunden wurden.
01:02:03
Beide wurden so stark gewirkt, dass ihnen das Zungenbein brach.
01:02:06
Beide Morde geschahen zur Schützenfestzeit und beide Leichen wurden von der Hüfte abwärts entkleidet aufgefunden.
01:02:12
Der Anwalt setzt einen Wiederaufnahmeantrag auf und weist auf Ähnlichkeiten der beiden Fälle hin.
01:02:18
Und noch eine Sache bemängelt der Jurist.
01:02:20
Fritz hat sein erstes Geständnis offenbar abgelegt, ohne dass er vorher darüber belehrt wurde.
01:02:26
Stattdessen labelte die Polizei die Vernehmung als informatorisches Vorgespräch.
01:02:31
Als Fritz seine Schwestern und ihr Anwalt den Wiederaufnahmeantrag einreichen, sitzt Fritz bereits seit knapp acht Jahren in der JVA.
01:02:38
Die Hoffnung ist groß, dass endlich wieder Bewegung in den Fall kommt.
01:02:41
Doch das Gericht weist den Wiederaufnahmeantrag mit der Begründung ab,
01:02:44
dass die zusammengetragenen Hinweise auf die Parallelen in beiden Fällen nicht aussagekräftig genug seien
01:02:49
und es keine konkreten Beweise für eine eindeutige Verbindung zwischen den Taten gebe.
01:02:53
Das kann nicht sein, denken sich die Abgeblützten.
01:02:56
Wie kann das Gericht nicht sehen, was sie sehen?
01:02:59
Auch die fehlende Belehrung stellt für das Gericht keinen Grund dar.
01:03:02
Zwar ist eine Beschuldigtenvernehmung ohne vorherige Belehrung mittlerweile unzulässig,
01:03:07
Damals, als Fritz vernommen wurde, war das aber noch nicht der Fall.
01:03:10
Doch so leicht lassen sie sich nicht abwimmeln.
01:03:13
Fritz Anwalt will einen zweiten Wiederaufnahmeantrag einreichen.
01:03:16
Diesmal will er die Verbindung zwischen beiden Fällen noch deutlicher belegen.
01:03:20
Dazu holt er sich Unterstützung von einem Kriminalwissenschaftler aus Wien.
01:03:23
Der hat beim FBI eine Ausbildung zum Profiler gemacht und soll ein umfangreiches Gutachten erstellen.
01:03:29
Auch der Kriminalwissenschaftler stellt auffällige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Tötungsdelikten fest.
01:03:35
Die geografische Nähe, Jahreszeit, das Entkleiden ab der Hüfte abwärts und,
01:03:39
und das kommt bei diesem Wiederaufnahmeantrag hinzu,
01:03:41
die verschmorte Intimbehaarung und Bissspuren auf der Brust.
01:03:45
Denn auch bei Annettes Leiche wurden laut Gutachter diese besonderen Merkmale gefunden.
01:03:49
In Summe lasse sich all das mit hoher Wahrscheinlichkeit auf ein und denselben Täter zurückführen.
01:03:56
Am Schluss des Gutachten steht, dass Fritz aufgrund der nahezu identischen Vorgehensweise als Katharinas Mörder ausscheidet.
01:04:03
Das Gutachten aus Wien stimmt alle positiv.
01:04:05
Und es ist nicht das Einzige, was die Hoffnung in der Familie weckt.
01:04:08
Ein forensischer Sachverständiger hat Fritz' Persönlichkeitsstruktur genau unter die Lupe genommen
01:04:12
und mit dem Gutachten vom damaligen Prozess verglichen.
01:04:16
Dabei fällt ihm auf, dass Fritz vor zwölf Jahren nur oberflächlich von dem Psychologen begutachtet worden sei.
01:04:21
Auf sein Sexualverhalten sei er zudem überhaupt nicht eingegangen.
01:04:25
Und der vom Gericht bestellte Psychiater habe von dem Psychologen nur oberflächlich Anmerkungen übernommen.
01:04:31
Schon damals sei aber beim Prozess durch die Aussagen von Fritz' Ex-Partnerin klar geworden,
01:04:35
Fritz' Sexualverhalten sei als normal sogar eher passiv einzustufen.
01:04:40
Das passt laut neuem Gutachter nicht zu dem brutal begangenen Sexualmord an Katharina.
01:04:46
Und die beiden Gutachten sind nicht das Einzige, was Fritz' Unschuld untermauern soll.
01:04:51
Auch Fritz' helle Kleidung vom Schützenfest soll das tun.
01:04:54
Durch die brutalen Schläge auf Katharinas Kopf mit der Eisenstange entstand damals nicht nur die große Blutlache auf dem Boden.
01:04:59
Um die Leiche herum befanden sich auch etliche Blutspritzer,
01:05:03
die teilweise bis zu 1,80 Meter hoch an die Wände des Unterstands im Innenhof reichten.
01:05:07
Allerdings gab es dem Gutachter zufolge eine größere Stelle an der Wand, zu der kein Blut gelangt war.
01:05:13
Für diesen blutfreien Fleck hat der Anwalt nur eine Erklärung.
01:05:16
Der Täter stand so, dass er mit seinem Körper die Blutspritzer an dieser Stelle abfing.
01:05:20
Laut Anwalt müsste die Kleidung des Täters also ebenfalls voller Blut gewesen sein.
01:05:24
Als Fritz allerdings am Morgen nach dem Schützenfest von der Polizei befragt wurde,
01:05:28
trug er noch immer seine traditionelle helle Schützenkleidung vom Vorabend.
01:05:32
Und die wies keine Blutspuren auf.
01:05:35
Das fiel damals auch den BeamtInnen ins Auge, weshalb sie in den Akten den Vermerk machten,
01:05:40
dass Fritz schon allein aufgrund der äußeren Begutachtung als Täter auszuschließen sei.
01:05:44
Die nachweislich saubere Kleidung soll jetzt also der Beweis für seine reine Weste sein.
01:05:49
Mit drei Assen im Ärmel, zwei Gutachten und die Argumentation mit der sauberen Kleidung reichen Fritz,
01:05:54
seine Schwestern und der Anwalt einen zweiten Wiederaufnahmeantrag ein.
01:05:57
Alle sind zuversichtlich, den Kampf um die Gerechtigkeit für Fritz diesmal zu gewinnen.
01:06:03
Zwölf Jahre nach dem Mord an Katharina und zehn Jahre nach dem Mord an Annette,
01:06:07
für den noch immer niemand zur Verantwortung gezogen wurde,
01:06:10
kann auch das Gericht die vorgelegten Zweifel an Fritz und Schuld nicht mehr ignorieren.
01:06:14
Als Antwort auf den Wiederaufnahmeantrag werden zwei Gegengutachten in Auftrag gegeben.
01:06:18
Die Rechtsmedizin der Uniklinik Münster soll feststellen,
01:06:22
ob tatsächlich eine Chance besteht, dass Katharina und Annette vom selben Täter umgebracht wurden.
01:06:26
Die RechtsmedizinerInnen untersuchen die beiden Fälle noch einmal gründlich
01:06:30
und gleichen Tatortfotos und Akten ab.
01:06:33
Nach akribischen Untersuchungen kommt raus, dass es zwar einige Parallelen gibt,
01:06:37
aber auch etliche Unterschiede.
01:06:39
Unterschiede, die keinen Einzug in das Gutachten vom Wiener Kriminalwissenschaftler gefunden haben.
01:06:44
Die Uniklinik Münster weist etwa darauf hin,
01:06:46
dass Katharinas Leiche nicht nur massive Verletzungen am Hals,
01:06:49
die man auch bei Annette fand, aufwies.
01:06:51
Ihr Schädel wurde zusätzlich mit der Eisenstange stark verletzt.
01:06:54
Bei Annette wurden solche blutigen Kopfverletzungen nicht festgestellt.
01:06:58
Außerdem wurde Katharina nachts vor ihrem Elternhaus ermordet,
01:07:01
Annette am helllichten Tag in ihrem Outro.
01:07:03
Und ein entscheidender Fehler findet sich im Gutachten,
01:07:06
das von Fritz' Schwestern in Auftrag gegeben wurde.
01:07:08
Die Bissspuren, die eine Gemeinsamkeit der beiden Fälle belegen sollten,
01:07:12
habe es bei Annette gar nicht gegeben, sagt die Staatsanwaltschaft.
01:07:15
Abgesehen davon war Katharina Blond, 24 Jahre alt und Studentin.
01:07:20
Annette war 58 Jahre alt und trug dunkles Haar.
01:07:23
Die Zeit, der Ort und die verschmorte Intimbehaarung,
01:07:26
ja, das sei schon ähnlich, aber gerade bei letzterem Merkmal
01:07:30
könne sich der Täter von Annette auch durch die Tat,
01:07:32
die vermeintlich von Fritz begangen wurde, inspiriert gefühlt haben.
01:07:35
Immerhin wurden diese Details damals auch von der Presse veröffentlicht.
01:07:39
Gut möglich also, dass es sich beim Tod von Annette
01:07:41
einfach nur um eine schlecht inszenierte Nachahmungstat handelt.
01:07:45
Das Fazit ist vernichtend für das Gutachten aus Wien.
01:07:48
Im zweiten Gegengutachten geht es um die Frage,
01:07:50
wieso sich auf Fritz' Kleidung keine Blutspritzer befanden.
01:07:53
Dazu wurde ein Schädeldummy in einen mit weißen Laken ausgekleideten Raum gelegt
01:07:58
und der Silikonkopf mit Schweineblut gefüllt.
01:08:00
Der zuständige Gutachter schlug mit einer Eisenstange zu.
01:08:04
Dabei war er von Kopf bis Fuß in einen weißen Schutzanzug gekleidet.
01:08:07
Auf einigen Fotos, die das Gutachten dokumentieren,
01:08:10
sieht man, dass sich eine rote Flüssigkeit auf dem hellen Laken am Boden gesammelt hatte.
01:08:14
Allerdings reichten die Blutspuren auf den Laken,
01:08:17
die als Wände fungieren sollten, nur wenige Zentimeter hoch.
01:08:20
Und auf dem weißen Anzug des Gutachters
01:08:22
landeten erst nach dem siebten Schlag ein paar rote Flecken.
01:08:25
Das Gegengutachten sieht den Grund dafür in der Position von Katharinas Arm.
01:08:30
Dieser lag nämlich über ihrem Hals.
01:08:32
Die Blutspritzer sollen durch den Arm also davon abgehalten worden sein,
01:08:36
auf den Täter zu landen.
01:08:37
Deshalb, so der Gutachter, sei es trotz Blutbad am Tatort
01:08:42
sogar eher unwahrscheinlich, dass der Täter Spuren an seiner Kleidung hatte.
01:08:46
Fritts saubere Kleidung sei somit kein Hinweis auf seine Unschuld.
01:08:49
So, und jetzt muss man sich ja schon die Frage stellen,
01:08:52
wieso verweist das Gutachten hier nicht auf diese Aussparung,
01:08:55
die man am Tatort angeblich gefunden hat?
01:08:59
Aber, und das muss man hier jetzt einmal so ganz deutlich sagen,
01:09:02
wir haben weder das eine noch das andere Gutachten.
01:09:04
Und das hier ist jetzt eher so, der eine sagt dies, der andere sagt das.
01:09:08
So oder so, dieses Gegengutachten, was von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde,
01:09:13
widerlegt für das Gericht die Gutachten von Fritz Anwalt.
01:09:17
Vier Jahre, nachdem der Antrag auf Wiederaufnahme eingereicht wurde,
01:09:21
schmettert das Landgericht Siegen ihn ab.
01:09:22
Elke, Minna und Petra wissen nicht mehr weiter.
01:09:25
Mittlerweile sind 16 Jahre vergangen, in denen sie wie Löwinnen für ihren Bruder gekämpft haben.
01:09:30
Und trotzdem wurde jeder Versuch, Fritz aus dem Gefängnis zu holen, abgewiesen.
01:09:34
Einen letzten Hoffnungsschimmer sehen die drei in der DNA-Analyse.
01:09:38
Mit der Jahrtausendwende wurden nämlich riesige Fortschritte in der Kriminaltechnik erzielt.
01:09:42
Elke, Minna und Petra machen sich auf den Weg zu Fritz Anwalt,
01:09:45
um ihm das Beweismittel für eine dritte Wiederaufnahme vorzuschlagen.
01:09:48
An Katharinas Leiche oder an der Eisenstange müssten sich doch Hautschuppen oder andere DNA-Spuren vom Täter befinden.
01:09:55
Der Anwalt setzt sich daraufhin umgehend mit der Polizei in Verbindung, die damals gegen Fritz ermittelt hat.
01:10:01
Einige Tage später meldet er sich bei Elke.
01:10:03
Sie ist voller Hoffnung, als sie den Hörer in die Hand nimmt und die Stimme des Anwalts erkennt.
01:10:08
Er berichtet ihr in sachlicher Tonlage, dass ein DNA-Abgleich der Fritz entlasten könnte, nicht möglich ist.
01:10:13
Bereits 1991, acht Jahre nach Fritz' Verurteilung und kurz nach Ablehnung des ersten Wiederaufnahmeantrags,
01:10:20
seien sämtliche Asservate weggeworfen worden.
01:10:22
Elke kann nicht glauben, was sie da hat.
01:10:25
Warum wurden denn so wichtige Beweisstücke einfach vernichtet?
01:10:28
Für sie und ihre Schwestern ist glasklar, dass Fritz nicht Katharinas Mörder ist.
01:10:33
Aber für die Polizei ist er das sehr wohl.
01:10:36
Aus deren Sicht und auch juristisch gesehen ist die Sache abgeschlossen.
01:10:39
Und weil es sich somit nicht um einen Cold Case handelt, sind die Beweismittel nach einiger Zeit entsorgt worden.
01:10:44
Wobei es sich aber um einen Cold Case handelt, ist der Mord an Annette.
01:10:48
Noch immer wurde kein Täter gefunden.
01:10:51
Und in diesem Fall wurden auch die Asservate nicht entsorgt.
01:10:54
Tatsächlich ergibt die DNA-Analyse an ihrer Kleidung auch einen Treffer.
01:10:58
Am Rocksaum und ihrer Strumpfhose wurde Zellmaterial von ihrem Ehemann sichergestellt.
01:11:03
Auch an ihrem Hals und an ihrem Unterleib.
01:11:05
Tatrelevante Bereiche also.
01:11:06
Weswegen ist die Ermittlenden für sehr wahrscheinlich halten, dass er Annette umgebracht hat.
01:11:11
Ob er aber tatsächlich für den Tod seiner Ehefrau verantwortlich ist, kann nie mehr mit Sicherheit festgestellt werden.
01:11:17
Annettes Ehemann ist bereits seit einigen Jahren tot.
01:11:20
Und es gibt nichts mehr, womit die Ermittlenden einen DNA-Abgleich machen könnten.
01:11:24
Als diese Erkenntnis von den Medien verbreitet wird, hat Fritz schon 18 Geburtstage in Haft verbracht.
01:11:30
Elke weiß, wenn er sich um den Friedenswillen geständig zeigen oder im Gefängnis eine Therapie machen würde, könnten sich seine Chancen auf eine Freilassung erheblich verbessern.
01:11:39
Aber der mittlerweile 44-Jährige bleibt eisern wie die Gitterstäbe, die ihn schon so lange von seinem Leben in Freiheit trennen.
01:11:45
Er beharrt weiter darauf, ich bin unschuldig.
01:11:47
Elke und ihre Schwestern glauben ihm.
01:11:49
Sie sind schon lange der Meinung, dass nur jemand, der hochaggressiv ist, zu der brutalen und blutigen Tat an Katharina fähig gewesen ist.
01:11:57
Fritz sei aber immer zuvorkommend gewesen und sei Streit stets aus dem Weg gegangen.
01:12:01
Aufgrund seiner langen Zeit in Haft wird im Jahr 2001 von einem psychiatrischen Gutachter eine Kriminalprognose für Fritz erstellt.
01:12:08
Der soll einschätzen, ob Fritz wieder rückfällig werden könnte oder nicht.
01:12:12
Nach einigen intensiven Gesprächen mit dem Verurteilten kommt er zu dem Schluss, dass Fritz eine Person ist, die Negatives verdrängt.
01:12:19
Er hält fest, dass Fritz seine Rolle als Justizopfer nach vielen Jahren und den Wiederaufnahmeanträgen so sehr verinnerlicht habe, dass er diesen Schein nach außen aufrechterhalten will.
01:12:28
Schließlich konnte er durch das Bestreiten der Tat auf den Rückhalt seiner drei Schwestern zählen.
01:12:33
Würde er sich nach so vielen Jahren geständig zeigen, würde die Gefahr bestehen, dass sich sein Umfeld von ihm abwendet.
01:12:38
Und das würde Fritz auf keinen Fall riskieren wollen.
01:12:42
Er würde sich daher wahrscheinlich nichts mehr zu Schulden kommen lassen,
01:12:45
Weswegen der Gutachter ihm eine positive Prognose ausstellt und Haftlockerungen anrät.
01:12:50
So kommt Fritz nach über 20 Jahren in Haft im Oktober 2003 frei.
01:12:55
Elke Minner und Petra sind froh, dass er den nächsten Geburtstag mit ihnen feiern kann.
01:12:59
Sie diskutieren noch immer viel über den blutigen Mord an Katharina und seine saubere Kleidung.
01:13:05
Und so ganz können die vier die Sache noch nicht ruhen lassen.
01:13:08
Nur wenige Monate nach Fritz' Freilassung stellt sein Anwalt einen dritten Wiederaufnahmeantrag.
01:13:14
Diesmal weist er auf zu vage Formulierungen in Fritz' damaligem Geständnis hin.
01:13:18
Darin würden Aussagen wie
01:13:20
»Dann wird es wohl so gewesen sein« und »In der Zeitung stand das« stehen.
01:13:25
All das gibt der Anwalt dem Landgerichtssiegen zur Prüfung.
01:13:28
Doch auch diesmal reicht es nicht.
01:13:30
Das Landgerichtssiegen lehnt ab.
01:13:32
Fritz' Anwalt reicht Beschwerde dagegen ein,
01:13:34
aber das Oberlandesgericht Hamm sieht es genauso wie das Landgericht.
01:13:38
Es ist Fritz' dritter und finaler Versuch, seine Reputation herzustellen.
01:13:42
In den zwei Jahrzehnten, die er hinter Gittern verbracht hat,
01:13:44
hat Elke ihn immer wieder sagen hören,
01:13:47
»Ich will nicht erreichen, dass die Leute mir glauben.
01:13:49
Ich will es beweisen.«
01:13:50
Aber dazu wird es wohl nie kommen.
01:13:53
Seit mittlerweile fast 20 Jahren hat Fritz keine Schritte mehr eingeleitet.
01:13:56
Er ist und bleibt verurteilt als Katharinas Mörder.
01:14:00
Vor allem für ihre Eltern ist Fritz der Schuldige und wird es auch immer bleiben.
01:14:03
Elke Minner und Petra hingegen sehen jeden Tag die Unschuld in den Augen ihres Bruders.
01:14:09
Eine Unschuld, die offenbar weder sie noch Fritz jemals beweisen können.
01:14:13
Man will sich ja nicht vorstellen, dass Fritz wirklich unschuldig ist,
01:14:18
weil so viel Unrecht, das ist für mich dann fast zu schlimm,
01:14:23
dass ich dann sage, ja, wahrscheinlich ist er schon schuldig,
01:14:26
Aber alles, was du mir erzählt hast, oder zumindest das meiste,
01:14:29
spricht dafür, dass es schon einige Zweifel an seiner Schuld gibt
01:14:35
und vielleicht so viele, dass man ihn eigentlich nicht hätte verurteilen dürfen.
01:14:39
Das ist vor allem für mich jetzt die saubere Kleidung,
01:14:44
wenn ich höre, dass Blutspritzer so hochgeflogen sind,
01:14:47
dann, dass er davor nicht straffällig war.
01:14:50
Weil diese Art von Tat, ja, dass man da so brutal wird
01:14:55
und dann auch noch dieses Verbrennen von den Schamhaaren,
01:14:59
das ist ja was, was man jetzt normalerweise nicht von einer Ersttat kennt.
01:15:03
Deswegen, ja, hört sich da leider auch viel für mich nach einem Fehlurteil an.
01:15:10
Naja, nun muss man aber auch dazu sagen,
01:15:13
dass Fritz ja auch seine Tat nicht nur einmal gestanden hat.
01:15:17
Ja, der hat die Geständnisse danach ja dann auch wieder zurückgenommen
01:15:20
und dabei blieb der dann am Ende auch.
01:15:22
Das ist schon klar.
01:15:23
Aber ich habe mich dann auch gefragt, ob man ein Geständnis,
01:15:27
was man wieder zurückgenommen hat,
01:15:28
überhaupt als Beweismittel bei einer Hauptverhandlung einführen darf.
01:15:31
Und dazu habe ich unsere Rechtsberatung von Abel und Kollegen gefragt.
01:15:35
Und die haben mir erklärt, dass ein Geständnis immer vom Gericht
01:15:38
auf seine Glaubhaftigkeit hin zu prüfen ist.
01:15:40
Und Geständnisse werden ja oft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens,
01:15:43
manchmal auch im Rahmen eines sogenannten Deals abgegeben.
01:15:47
Also quasi Geständnis gegen gemilderten Strafrahmen.
01:15:50
Und jede beschuldigte Person hat dann jederzeit die Möglichkeit,
01:15:54
ein abgegebenes Geständnis auch zu widerrufen.
01:15:56
Manchmal passiert das auch.
01:15:58
Und zwar häufig, wenn die Verteidigungsstrategie
01:16:00
sich im Laufe des Verfahrens halt nochmal ändert.
01:16:02
Beispielsweise, weil der Deal geplatzt ist
01:16:05
oder halt rauskommt, dass das Geständnis falsch war.
01:16:07
Oder es neue Erkenntnisse für eine effektivere Verteidigung gibt.
01:16:10
So ein Widerruf ist aber schon riskant,
01:16:13
weil außer bei so einem Deal
01:16:15
oder wenn das Geständnis
01:16:17
mit einer verbotenen Vernehmungsmethode
01:16:19
quasi erzogen wurde,
01:16:20
bleibt so ein freiwillig abgegebenes Geständnis
01:16:23
halt in der Welt.
01:16:23
Und das kann dann auch vom Gericht verwertet werden.
01:16:26
Und, was man auch sagen muss,
01:16:29
nicht nur ein Geständnis
01:16:30
soll ja von dem Gericht auf Glaubhaftigkeit geprüft werden,
01:16:33
sondern auch der Widerruf selbst, wenn es einen gibt.
01:16:36
Ich finde das interessant,
01:16:38
weil ich irgendwie immer dachte,
01:16:39
wenn jemand ein Geständnis zurückzieht,
01:16:41
dass das in einem Verfahren dann quasi so behandelt werden muss,
01:16:44
als hätte der nie gestanden.
01:16:45
Was ich mich aber jetzt frage,
01:16:47
wenn Fritz so oft vor seinem Prozess gestanden hat,
01:16:52
warum hat er dann eigentlich in Haft,
01:16:54
also keine Ahnung, nach 15 Jahren,
01:16:55
wo er irgendwie gemerkt hat,
01:16:56
ich komme mir nicht mehr raus,
01:16:58
warum hat er dann nicht nochmal gestanden?
01:17:00
Weil das hätte ich mir an seiner Stelle vielleicht ja mal überlegt,
01:17:03
um halt möglicherweise frühzeitig entlassen zu werden.
01:17:06
Weißt du, was ich meine?
01:17:09
Ich glaube, das kann man so schwer beurteilen,
01:17:11
irgendwie aus dieser Position jetzt heraus,
01:17:14
weil so würde ich natürlich sagen,
01:17:15
nein, ich würde nie was gestehen,
01:17:17
was ich gar nicht getan habe,
01:17:18
weil dann könnte ich ja selber nicht mehr in den Spiegel gucken.
01:17:20
Und damit würde man natürlich auch die Ermittlungen,
01:17:23
wenn es dann doch nochmal welche gibt, behindern.
01:17:27
Aber ich glaube, wenn ich so lange schon sitze
01:17:30
und habe die Aussicht darauf,
01:17:31
weitere fünf Jahre meines Lebens noch im Gefängnis zu verbringen,
01:17:34
obwohl ich weiß, ich bin unschuldig,
01:17:36
ey, ich glaube, dann würde ich gestehen,
01:17:37
meine eigene Oma getötet zu haben.
01:17:39
Also, weißt du, am Ende ist es so,
01:17:41
was ist es dir dann wert?
01:17:42
Ist es dir dann wert, was die Leute denken?
01:17:44
Und wahrscheinlich wird ja sowieso nicht mehr ermittelt,
01:17:46
weil du bist ja sowieso offiziell schuldig gesprochen.
01:17:50
Ich meine, was man natürlich dazu sagen muss,
01:17:52
ist, dass das natürlich nicht klar ist,
01:17:55
dass man dann eher wieder rauskommt.
01:17:56
Also Reue alleine reicht ja auch nicht.
01:17:58
Man muss sich halt ja bereit zeigen,
01:18:00
auch Verantwortung für die Tat zu übernehmen.
01:18:01
Und auch dann ist das ja noch lange nicht sicher,
01:18:03
dass man vorzeitig entlassen wird.
01:18:06
Wir haben ja schon mal in Folge 57 über Justizirrtümer gesprochen
01:18:10
und da auch zwei sehr bekannte Fälle behandelt.
01:18:12
Das war ja einmal diese Frau,
01:18:15
die beschuldigt wurde,
01:18:16
ihren Vater mit Brennenspiritus übergossen
01:18:17
und dann die Wohnung angezündet zu haben.
01:18:19
Den hast du ja erzählt.
01:18:20
Und ich habe die Geschichte von dem Lehrer erzählt,
01:18:22
der von seiner Kollegin wegen Vergewaltigung angezeigt wurde.
01:18:25
Und was mir nämlich gerade auffällt,
01:18:28
das war ja auch bei den beiden so,
01:18:29
dass die die ganze Zeit in Haft
01:18:32
kein Geständnis abgegeben haben.
01:18:34
Und am Ende hat es sich aber auch ja bei denen gezeigt.
01:18:36
Das waren zwei Fehlurteile.
01:18:38
Und solche Fehlurteile gibt es laut Ralf Eschelbach
01:18:41
viel öfter, als sie aufgedeckt werden.
01:18:42
Er war bis vor kurzem BGH-Richter
01:18:44
und er schätzt, dass jedes vierte Strafurteil ein Fehlurteil ist.
01:18:48
Jetzt muss Fehlurteil nicht gleich heißen,
01:18:50
dass jemand, der unschuldig ist,
01:18:51
wegen Mordes verurteilt wurde.
01:18:53
Da kann es um kleinere Delikte
01:18:54
oder auch um ein zu hohes Strafmaß gehen.
01:18:57
Das wird jetzt sehr juristisch,
01:18:59
aber beispielsweise, wenn Strafmilderungsgründe
01:19:01
beim Urteil nicht berücksichtigt wurden,
01:19:03
die aber vorlagen.
01:19:04
Wie viele Freisprüche durch Wiederaufnahmeverfahren
01:19:06
insgesamt bisher in Deutschland erwirkt wurden,
01:19:09
das ist nicht bekannt.
01:19:10
Und zwar aus einem solchen Grund,
01:19:12
nämlich weil es dazu keine verlässlichen Datensätze gibt.
01:19:14
Viele AnwältInnen schätzen aber,
01:19:16
dass die Erfolgsquote bei Wiederaufnahmeverfahren
01:19:18
so gerade mal bei drei Prozent liegt.
01:19:21
Also heißt die meisten Anträge scheitern,
01:19:24
bevor es überhaupt zu einem neuen Verfahren kommt.
01:19:26
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen
01:19:29
hat sich im August 2023
01:19:31
die Wiederaufnahmen in Deutschland mal genauer angeschaut.
01:19:33
Und dazu haben die Forschenden
01:19:34
bei sämtlichen Gerichten in Deutschland Akten angefragt
01:19:38
und 512 Wiederaufnahmeanträge
01:19:40
aus 14 Bundesländern zur Auswertung bekommen.
01:19:43
Die Anträge sind aus den Jahren 2013 bis 2015.
01:19:46
Und ob das wirklich alle Anträge sind,
01:19:49
weiß man natürlich nicht.
01:19:50
Außerdem fehlen ja auch Daten aus zwei Bundesländern.
01:19:52
Jedenfalls ging es in den Wiederaufnahmeanträgen
01:19:55
um alle möglichen Straftaten.
01:19:56
Also zum Beispiel auch um sowas wie Urkundenfälschung,
01:19:59
Liebstahl oder Beleidigung.
01:20:01
Von den 512 Anträgen wurden nur 15 Straftaten
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gegen das Leben behandelt.
01:20:05
Also das heißt, in nur drei Prozent
01:20:07
wurde der Versuch unternommen,
01:20:08
Mord- oder Totschlagsurteile zu kippen.
01:20:11
Ob die dann erfolgreich waren oder nicht,
01:20:13
das zeigt die Studie leider nicht.
01:20:14
Aber interessant ist,
01:20:16
wie oft die Staatsanwaltschaften
01:20:17
Wiederaufnahmeanträge gestellt haben.
01:20:19
von den 512 Anträgen
01:20:21
sind 167, also ungefähr ein Drittel,
01:20:23
von der Staatsanwaltschaft gestellt worden.
01:20:25
Davon 154 zugunsten der verurteilten Person
01:20:28
und 15 zu Ungunsten.
01:20:30
Dass nur die wenigsten Wiederaufnahmeverfahren
01:20:33
überhaupt zugelassen werden,
01:20:34
weiß auch Regina Rigg aus eigener Erfahrung.
01:20:36
Sie ist Rechtsanwältin für Strafrecht
01:20:38
und beschäftigt sich schon lange
01:20:39
mit diesem komplexen Gebiet der Wiederaufnahme.
01:20:42
Viermal hat sie es bereits geschafft,
01:20:44
Verurteilte erfolgreich durch ein Wiederaufnahmeverfahren
01:20:47
wieder frei zu bekommen.
01:20:48
Und zwar einmal auch in einem Fall,
01:20:50
den wir hier in Folge 52 erzählt haben,
01:20:52
und zwar der von Manfred Genditzki,
01:20:54
der letztes Jahr nach 13 Jahren Haft freigesprochen wurde.
01:20:58
Manfred wurde 2010 wegen Mordes verurteilt,
01:21:00
weil das Gericht sich sicher war,
01:21:02
dass er eine alte Dame in ihrem Badezimmer erschlagen hat,
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die daraufhin in ihre Badewanne gefallen war.
01:21:07
Für das Wiederaufnahmeverfahren
01:21:09
hatte seine Anwältin Regina Rigg
01:21:10
dann ein Gutachten vorgelegt,
01:21:12
bei dem mit einer ganz speziellen Computertechnik
01:21:14
ca. 500 mögliche Sturzgeschehen simuliert wurden.
01:21:18
Und das Gutachten zeigte halt,
01:21:20
die Wahrscheinlichkeit,
01:21:21
dass die alte Dame einfach gestürzt
01:21:22
und deshalb in die Badewanne gefallen ist,
01:21:24
ist viel wahrscheinlicher,
01:21:25
als dass Manfred sie erschlagen hat
01:21:27
und sie deshalb in die Wanne fiel.
01:21:28
Regina Rigg hat uns erzählt,
01:21:30
dass die Erstellung dieses Gutachtens
01:21:32
das übrigens sehr aufwendig und teuer war
01:21:34
und auch nur durch Spenden finanziert werden konnte,
01:21:37
Jahre gedauert hat.
01:21:39
Und von der Antragstellung der Wiederaufnahme
01:21:41
bis zum Freispruch
01:21:42
hat es auch nochmal über drei Jahre gedauert.
01:21:44
Für die Rechtsanwältin liegt
01:21:46
die grundsätzliche Schwierigkeit,
01:21:48
so ein Verfahren überhaupt
01:21:49
bis zur neuen Verhandlung zu bringen,
01:21:51
aber bei der Justiz selbst.
01:21:53
Das liegt an der restriktiven Rechtsprechung.
01:21:55
Es liegt weniger an der gesetzlichen Regelung.
01:21:58
Es liegt an dem Unwillen der Justiz.
01:22:01
Das ist der einzige Grund.
01:22:02
Das muss man sich auch auf der Zunge zergehen lassen.
01:22:04
Die Wiederaufnahmeregelungen,
01:22:06
die zielen nicht darauf ab,
01:22:08
ein falsches Urteil zu korrigieren,
01:22:10
sondern es muss eben
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einer der Wiederaufnahmegründe vorliegen.
01:22:15
Also nochmal, es reicht für die Wiederaufnahme eines Verfahrens nicht,
01:22:18
wenn man weiß, dass ein Urteil falsch war.
01:22:20
Also angenommen, eine Mutter steht vor Gericht,
01:22:23
weil sie ihr Baby erstickt haben soll.
01:22:24
Und in einem rechtsmedizinischen Gutachten
01:22:27
wird festgestellt, dass der Säugling Einblutung in den Augen hatte
01:22:30
und dass das für diesen Erstickungstod spricht.
01:22:32
Sie wird dann schuldig gesprochen
01:22:34
und das Urteil ist auch rechtskräftig danach.
01:22:36
Danach werden aber zehn weitere Gutachten von RechtsmedizinerInnen vorgelegt,
01:22:40
die sagen, dass die Einglutungen viel wahrscheinlicher
01:22:43
von den Wiederbelebungsmaßnahmen durch die Rettungskräfte verursacht wurden.
01:22:47
Und trotzdem ist das kein geeigneter Wiederaufnahmegrund
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und der Antrag würde abgelehnt werden,
01:22:53
weil die Einglutungen an sich ja keine neuen Beweise sind.
01:22:56
Aber ein neues Beweismittel zu finden,
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sei aber auch deshalb schon alleine schwer,
01:23:01
weil die AnwältInnen oft gar nicht alle Unterlagen zum Fall bekommen,
01:23:04
wie unsere Ginerik erzählt hat.
01:23:06
Also es werden aus meiner Wahrnehmung ständig Aktenteile zurückgehalten
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auf die eine oder andere Weise.
01:23:13
Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass das immer Absicht ist von den Ermittlungsbehörden,
01:23:18
aber oft schlummern zum Beispiel noch wesentliche Aktenteile
01:23:22
bei der Polizei.
01:23:23
Und manchmal findet man schon so einen Wiederaufnahmegrund,
01:23:27
auch in den Akten, die es schon gibt irgendwo.
01:23:30
Manchmal auch in den Akten, die tatsächlich im Gericht vorlagen.
01:23:34
Das gibt es auch.
01:23:34
Ich habe das eben in meinem Fall nicht erzählt,
01:23:37
weil der Ehe sowieso auch schon sehr lang war.
01:23:38
Aber auch Michaels Anwalt hatte Probleme, an alle Akten zu kommen.
01:23:42
Also die wurden teilweise erst Jahre nach seiner Verurteilung rausgegeben.
01:23:46
Und Michael ist sogar der Meinung,
01:23:48
dass bis heute Unterlagen von der Polizei zurückgehalten werden.
01:23:52
Michaels Anwalt, mit dem er damals die Wiederaufnahme gemacht hat,
01:23:54
der hat sich genauso wie Regina Rigg auf Wiederaufnahme spezialisiert.
01:23:58
Es gibt aber nicht viele, die das machen.
01:24:00
Regina Rigg wünscht sich, dass das anders wäre.
01:24:03
Also erstens fände ich schön, wenn mehr Kollegen sich mit diesem Rechtsgebiet befassen würden
01:24:09
und die Justiz auch so ein bisschen fordern.
01:24:12
Ich möchte jetzt nicht sagen überfluten, aber fordern mit Wiederaufnahmeanträgen,
01:24:16
damit es da auch mehr höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt.
01:24:19
Also da macht man sich eine Riesenmühe auf mehreren hundert Seiten,
01:24:24
reicht man da einen detaillierten Wiederaufnahmeantrag ein
01:24:27
und die bügeln einen mit wenigen Sätzen ab.
01:24:31
Und wenn sowas mal häufiger korrigiert würde, dann würde sich auch was ändern.
01:24:34
Warum sich da nur wenige JuristInnen rantrauen, liegt zum einen daran,
01:24:38
dass die Wiederaufnahme ein extrem komplexes Verfahren ist.
01:24:41
Das hat man ja jetzt hier auch schon an der Folge gemerkt.
01:24:43
Da müssen sich die AnwältInnen extrem gut auskennen.
01:24:47
Zum anderen ist das auch super zeitintensiv.
01:24:49
So ein Verfahren kann sich, wie gesagt, über mehrere Jahre ziehen.
01:24:52
Und dann muss man halt auch erstmal diese neuen Tatsachen oder Gutachten finden,
01:24:56
die im ursprünglichen Prozess ja noch gar nicht existiert haben.
01:24:59
Und dann ist halt auch noch das Problem,
01:25:01
dass Wiederaufnahmeverfahren halt so extrem kostspielig sind.
01:25:03
Also vor allem diese speziellen Gutachten sind halt sauteuer.
01:25:06
Und viele Verurteilte haben ja auch gar nicht diese finanziellen Mittel dafür
01:25:10
oder überhaupt für diese Anwaltskosten, die dann auch auf die zukommen.
01:25:15
Und JuristInnen wissen natürlich auch alle,
01:25:17
dass die Erfolgschancen von Wiederaufnahmeverfahren relativ gering sind.
01:25:20
Und deswegen ist dieses Gebiet jetzt auch nicht super attraktiv.
01:25:23
Ja, aber würden sich halt eben mehr AnwältInnen mit dem Thema beschäftigen,
01:25:27
so Regina Rick, dann gäbe es mehr Anträge
01:25:30
und dann auch mehr Urteile aus neuen Hauptverhandlungen,
01:25:33
die für andere künftige Verfahren wegweisend sein könnten
01:25:36
und damit letztendlich mehr erfolgreiche Wiederaufnahmen.
01:25:39
Da ist sich unsere Expertin sicher.
01:25:40
Und das wiederum würde dann für eine bessere Fehlerkultur sorgen,
01:25:44
die es momentan laut Regenerik bei der deutschen Justiz nicht gibt.
01:25:48
Auch der BGH-Richter Ulrich Maidowski sieht das so.
01:25:51
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung hat er geäußert,
01:25:53
dass sich viele RichterInnen gar nicht sagen lassen wollen,
01:25:56
dass sie etwas falsch gemacht haben
01:25:58
und dass es ihnen auch schwerfallen würde, das überhaupt zuzugeben.
01:26:01
Das kommt laut dem Richter daher,
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dass die Justiz eine öffentliche Gewalt ist,
01:26:05
auf der sehr viel Hoffnung ruht.
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Und wir kennen das ja bei Justiztümern.
01:26:09
Da reagiert die Gesellschaft natürlich extrem empört
01:26:12
und da hagelt es dann Kritik.
01:26:14
Wenn es in Deutschland dann aber doch zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommt,
01:26:18
dann meistens zugunsten der betroffenen Person.
01:26:20
Es kann aber auch ein Wiederaufnahmeverfahren
01:26:23
zu Ungunsten einer Person eingeleitet werden.
01:26:25
Und dazu kommen wir zu meinem Lieblingsspezialgebiet,
01:26:29
was ich für mich definiert habe,
01:26:31
hier nach sechs Jahren mordlos.
01:26:33
Das kann ich auch schon fast auswendig.
01:26:35
Also da geht es dann zum Beispiel um eine Person,
01:26:37
die in einem Verfahren vorher freigesprochen wurde.
01:26:40
Und das kennt ihr sicherlich auch alle noch von dem Fall von Friederike von Möhlmann.
01:26:43
Den haben wir in Folge 13 erzählt und hatten hier auch öfter mit dem Anwalt des Vaters Kontakt.
01:26:49
Die 17-Jährige wurde 1981 auf ihrem Heimweg vergewaltigt und getötet.
01:26:53
Damals wurde Ismet H. verdächtigt und der wurde aber in einem Prozess
01:26:57
zwei Jahre später freigesprochen, weil man nicht genug Beweise gefunden hat.
01:27:01
2012, also 29 Jahre nach Ismet H.'s Freispruch,
01:27:05
wurden die Asservate aber nochmal untersucht.
01:27:08
Und dank eines DNA-Abgleichs konnten dann Spermaspuren von ihm in Friederike Slip festgestellt werden.
01:27:14
Zum Zeitpunkt seines Freispruchs im Jahr 83 gab es diese DNA-Verfahren ja noch nicht.
01:27:19
Und diese Spuren haben quasi Ismet H. als mutmaßlichen Täter dann identifiziert.
01:27:25
Nun ist es aber so, dass bei Wiederaufnahmeverfahren zu Ungunsten einer Person
01:27:30
noch strengere Voraussetzungen gelten als bei Wiederaufnahmeverfahren zugunsten einer Person.
01:27:35
Dass also jemand ein zweites Mal in derselben Sache strafverfolgt werden darf,
01:27:40
das geht nur in vier besonderen Härtefällen.
01:27:43
Und zwar erstens, wenn sich eine Urkunde nachträglich als unecht oder falsch herausstellt.
01:27:47
Zum Beispiel wäre, wenn auf einer Sterbeurkunde fälschlicherweise absichtlich ein natürlicher Tod
01:27:52
anstatt eines Tötungsdelikts eingetragen wurde.
01:27:55
Oder wenn eine Zeugin beispielsweise vorsätzlich falsch ausgesagt hat
01:27:59
oder ein Sachverständiger vorsätzlich oder fahrlässig ein falsches Gutachten erstellt hat.
01:28:04
Wenn RichterInnen oder SchöpfInnen durch eine Verletzung der Amtspflicht zum Freispruch mitgewirkt haben.
01:28:10
Also wenn die sich beispielsweise bestechen haben lassen.
01:28:12
Oder wenn die freigesprochene Person nachträglich ein glaubhaftes Geständnis ablegt.
01:28:17
Aber wie oft passiert denn wohl das?
01:28:19
Ja, in diesem Fall auf jeden Fall nicht.
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Was nicht zu diesen Härtefällen hier zählt, sind neue Beweismittel.
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Heißt, in diesem Fall war es so, dass man ja quasi einen wirklich guten Hinweis darauf hatte.
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Ein Beweismittel.
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Das ist mit Haar, der ja auch schon damals verdächtigt wurde, aber nicht überführt werden konnte.
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Doch der mutmaßliche, muss man dazu sagen, Täter war.
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Das Verfahren aber trotzdem nicht noch einmal eingeleitet werden konnte gegen ihn,
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weil ein neues Beweismittel keiner der Gründe ist für so einen Härtefall.
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Da gilt dann das sogenannte Doppelverfolgungsverbot.
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So, und jetzt kann man sich ja vorstellen, wie beschissen das für Friederikes Vater war.
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So, und jetzt kommt's.
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Am 30.12.21 trat dann aber ein Gesetz in Kraft, das einen fünften Härtefall definierte.
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Und zwar nämlich neue Beweise oder Tatsachen.
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Und nach dieser Gesetzesänderung hat der Vater von Friederike von Müllmann seine Chance natürlich gewittert,
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den mutmaßlichen Mörder von Friederike doch noch hinter Gitter zu bringen.
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Und Ismet Haar kam dann auch in Haft und es sollte auch neu verhandelt werden,
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weil die Wiederaufnahme wegen der Gesetzesänderung im ersten Schritt dann auch schon durch war.
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Ismet Haar hat dann aber am Ende Verfassungsbeschwerde eingereicht.
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Und im Oktober 2023 hat das Bundesverfassungsgericht dann tatsächlich entschieden,
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eine Wiederaufnahme eines Strafverfahrens zu Ungunsten des Freigesprochenen
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aufgrund neuer Tatsachen oder neuer Beweise ist verfassungswidrig.
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Und zwar zum Schutz der Menschenwürde.
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Das Gericht hat sich da auch auf Artikel 103 des Grundgesetzes bezogen.
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Der Artikel schreibt nämlich nicht nur ein Mehrfachbestrafungsverbot vor,
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sondern eben auch ein Mehrfachverfolgungsverbot.
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Und ich finde eigentlich, dieser Fall zeigt so klar, wie wichtig es ist,
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dass es so wenig Fehlurteile wie möglich geben darf, weil es eben teilweise so, so, so schwer ist
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oder eigentlich unmöglich, wie in dem Fall von Friederike von Müllmann,
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im Nachhinein ein Fehlurteil zu korrigieren.
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Und deswegen wäre es natürlich am allerbesten, wenn Wiederaufnahmeverfahren gar nicht notwendig wären.
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StrafrechtlerInnen haben uns aber gesagt, dass es da noch enormen Handlungsbedarf gibt.
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Also viele sagen, dass eine unabhängige Kontrollinstanz gut wäre, die mögliche Fehler aufspürt.
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Bei einer Revision, wie wir am Anfang erklärt haben, wird ja nur das Urteil auf Rechtsfehler geprüft.
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Aber die Tatsachengrundlage, worauf das Urteil gründet, ja nicht nochmal angeschaut.
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Und manchmal werden ja im Prozess wichtige Dinge gesagt,
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die dann ihren Weg am Ende gar nicht ins schriftliche Urteil finden.
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Ja, eine Verbesserungsmöglichkeit wäre da, Tonaufnahmen während eines Prozesses.
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Das ist nämlich so, dass aktuell Urteile nur auf Basis von Erinnerungen und Mitschriften
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von RichterInnen und GerichtsschreiberInnen getroffen werden.
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Das war jetzt auch in der Planung, dass es das geben sollte
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und diese Tonaufnahmen dann halt auch digital transkribiert werden.
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Da gab es aber ziemlich viel Kritik dran.
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Vor allem Staatsanwaltschaften und RichterInnen hatten da irgendwie die Befürchtung,
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dass ZeugInnen dann durch so eine Aufnahme eingeschüchtert werden könnten.
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Und es bestand auch so ein bisschen die Angst,
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dass Mitschnitte dann in die Öffentlichkeit gelangen könnten
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und dadurch dann Opfer beispielsweise bloßgestellt werden könnten
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oder ZeugInnen gefährdet werden könnten.
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Deswegen wurde das bisher tatsächlich abgelehnt.
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Und zwar mit der Begründung, dass es keinen Bedarf für Änderungen gäbe.
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Und ob es jetzt Tonaufnahmen in Zukunft in Strafverfahren geben soll,
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das steht jetzt gerade noch in den Sternen.
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Also es soll jetzt ein neuer Gesetzesvorschlag
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vor einem Vermittlungsausschuss nochmal überarbeitet werden
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und dann will man halt gucken, ja.
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Also ich sehe schon diese Kritik, dass man vielleicht davor Angst hat,
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ja das ZeugInnen dann, dass sie dann vielleicht nicht aussagen wollen,
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weil sie Angst haben.
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Aber man muss doch mal gucken, wie sagt man das mit diesem,
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welchen Tod will man sterben?
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Sagt man das so?
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Ja, ganz ehrlich, genau.
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Also lieber habe ich doch dann ein Transkript davon,
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was wirklich eins zu eins gesagt wurde, also schwarz auf weiß,
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als eine unvollständige Mitschrift.
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Ich verstehe auch die Sorge dahinter nicht so richtig.
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Das ist ein öffentlicher Prozess.
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Die meisten Strafprozesse sind öffentliche Verfahren.
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Da kann jeder Hans Franz sich in den Gerichtssaal reinsetzen.
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Ja, habe ich ja auch gemacht hier bei Justitias Wille.
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Und das muss nicht unbedingt Presse sein.
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Und die können das theoretisch auch leaken.
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Also ich meine, da wird ja wohl die Justiz irgendwie einen Weg finden.
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Ich meine, wir sind in Deutschland.
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Nichts ist uns so heilig wie kein Tempolimit auf der Autobahn.
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Und Datenschutz stimmt.
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Und unabhängig jetzt von den Transkripten fordern AnwältInnen,
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aber auch StrafrechtsprofessorInnen,
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dass die Fehlurteilsforschung ernst genommen wird
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und auch von Seiten der Justiz besser unterstützt wird.
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In Deutschland hapert es nämlich gewaltig an einer systematischen Erfassung
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von Wiederaufnahmeverfahren und deren Ausgang.
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Also wir haben euch ja eben schon gesagt,
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es gibt keine Zahlen, genau, weil sie halt nicht ausgewertet werden.
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Und 2017 bei einer Tagung ging es dann auch um die fehlende Kooperation der Justiz,
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diese Forschung betreffend.
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Da hat ein BGH-Richter dann geantwortet,
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beim Bundesgerichtshof gibt es für dieses Problem kein Verständnis.
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Wo ich sagen muss, da hört man ja dann vielleicht das raus,
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was Regina Rigg schon vorher kritisiert hat,
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dass es nämlich eben keine Fehlerkultur gibt.
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So und zum Schluss haben wir uns natürlich noch gefragt,
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wie es bei Verurteilten aussieht,
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die keinen Rechtsbeistand finden,
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der für die die Wiederaufnahme in die Hand nimmt
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oder halt auch die kein Geld dafür haben.
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Und dabei sind wir auf ein Projekt von deutschen JuristInnen
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mit dem Namen Fehlurteil und Wiederaufnahme gestoßen.
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Also Verurteilte können sich da an das Projekt wenden
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und die das betreiben, die prüfen dann,
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welche Möglichkeiten es geben könnte, Urteile anzugreifen.
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Das ist kostenlos und die AnwältInnen, die das machen,
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die werden ehrenamtlich von Jurastudierenden unterstützt.
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Falls ihr Interesse daran habt oder gerade zu Unrecht im Knast sitzt,
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dann haben wir euch das in der Folgenbeschreibung verlinkt.
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Das ist noch unser Servicebeitrag am Ende dieser Folge,
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die die letzte für die nächsten drei Wochen war.
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Denn wir gehen bis zum 17. Juli in die Sommerpause.
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Und an dem Tag, wo wir zurückkommen,
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da gibt es mordlos dann sechs Jahre.
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Wir haben ja immer gesagt, wir machen das nur fünf.
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Und da kommen wir mit einem Knallern zurück.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktionen Paulina Kraser und Laura Wohlers.
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Redaktion Marisa Morell und wir.
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Schnitt Pauline Korb.
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Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.