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Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Auch heute reden wir wieder über Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Kraser und ich bin Laura Wohlers.
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In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
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ordnen den für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
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psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
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Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
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Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
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Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
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Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
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Wir haben es ja in der letzten Folge schon angekündigt.
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Uns hatte vor einiger Zeit eine Hörerin geschrieben, die uns erzählt hat,
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dass vor vielen, vielen Jahren in ihrer Familie ein Verbrechen geschehen ist
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und sie gerne möchte, was wir davon hier erzählen.
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Und das machen wir heute.
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Vorher will ich von dir aber wissen, Laura, kannst du dir eigentlich gut Gesichter merken?
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Überhaupt gar nicht.
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Das weißt du auch, oder?
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Ja, eigentlich schon.
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Also, wenn Paulina und ich auf irgendeiner Veranstaltung sind, dann versuche ich immer hinter Paulina zu gehen, wenn sie Leuten Hallo sagt oder wenn sie durch die Menge geht, weil ich dadurch dann eben weiß, ob wir Leute kennen oder nicht.
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Weil wenn ich vorgehen würde, würde ich niemandem Hallo sagen und wäre richtig unhöflich.
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Aber das liegt für mich eher darin begründet, weil du ja eher selten dabei bist auf Veranstaltungen und ich dir dann immer sage, das ist übrigens der und der, das ist der und der.
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Aber jetzt nicht, weil ich mir besser Gesichter merken kann.
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Also, das kommt auch auf jeden Fall noch dazu.
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Doch, ich glaube schon, dass du es besser kannst als ich, weil ich es gar nicht kann.
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Auf jeden Fall ist es ziemlich oft so, wenn wir zusammen auf irgendwelchen Veranstaltungen sind und da sind dann auch irgendwelche Leute, mit denen wir mal entfernt zusammengearbeitet haben oder halt geschäftsmäßig in irgendeinem Kontakt stehen, gucken wir uns ganz oft danach an und fragen uns dann so, wer war das?
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Und neulich war das doch auch, falls du dich erinnerst, auf dem All Ears so, da standen wir in einer Gruppe zusammen mit mehreren PodcasterInnen und ich kannte so entfernt einen Typen von Lars und Elena von Niemand muss ein Promi sein und ich hatte mir diesmal auf der Veranstaltung vorgenommen, sehr nett zu dem zu sein, weil vielleicht war ich mal nicht so nett zu dem oder keine Ahnung, weiß jetzt nicht mehr, ja.
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Auf jeden Fall kam der dann so an und ich umarme den dann so und er stellt sich zu uns, wir reden miteinander und Lars dann irgendwann so, wer bist du denn eigentlich?
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Und er so, ich bin, weiß ich nicht, Klaus Lange, ja.
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Und mir ist wirklich alles aus dem Gesicht gefallen, weil ich dachte so, oh Gott, der arme Mann, erstens wer ist es und zweitens, der denkt sich doch, wie komme ich zu der Schande von diesen Leuten hier in ihren Kreis gezogen zu werden?
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Und jetzt muss ich mich auch noch mit denen unterhalten und so, ja, also der wusste, glaube ich, gar nicht, wie dem geschieht, aber der hat sein eigenes Kidnapping ganz charmant überspielt und war sehr nett, aber, ja.
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Also du kanntest den ja gar nicht, du dachtest, das wäre ein anderer Mensch.
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Ja, ich dachte, das wäre ein anderer Mensch, den Lars und Elena kennen und die waren dann danach auch so zu mir, woher kennst du den?
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Ich so, ich dachte, das ist euer Kollege, was redet ihr?
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Genau, also es zeigt sich, Laura und ich sind auf jeden Fall keine sogenannten Superrecognizer.
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Und jetzt komme ich zu dem Punkt, den ich dir eigentlich nämlich erzählen will.
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Das sind nämlich Menschen, die sich überdurchschnittlich gut Gesichter merken können.
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Ich wette, mein Mann ist einer.
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Ja, zu 100 Prozent.
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Es ist auch schon, wenn wir irgendwelche Filme oder Serien gucken, der weiß genau, woher er die Personen aus anderen Filmen kennt.
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Und jetzt waren wir gerade in Berlin und dann standen wir bei einem Flugzeug an und hinter uns stand ein Mann und dann hat mein Mann den so angesprochen, sie sind doch der CEO von bla bla bla.
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Und er so, ja, ja.
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Und dann hat mein Mann mir danach erzählt, dass er sich mit diesem Unternehmen von diesen Menschen beschäftigt hat, aber noch nie mit diesem Mann geredet hat, aber den halt im Internet auf dem Foto gesehen hat und dann erkannt hat hinter uns in der Schlange beim Flugzeug.
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Das würde mir nie passieren. Aber der Fusselfater, der ist auch so einer und gegen den habe ich mal eine Wette verloren, wo der Wetteinsatz ziemlich weht hat, das weiß ich noch, weil ich dachte, Oliver Masucci ist Mats Mikkelsen.
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Und die sehen für mich beide auch wirklich einfach komplett gleich aus.
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Und die spielen sogar in einem Film zusammen. Und da bin ich ja gar nicht klargekommen.
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So, und das Ding ist, die Menschen, die Gesichter extrem gut wiedererkennen können, die werden jetzt interessant und zwar für die Polizei und Strafverfolgungsbehörden.
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Die englische Polizei hat schon 2011 Superrecognizer eingesetzt, vor allem bei so Videoauswertungen und Fußballspielen, aber auch, um Hooligans unter anderem zu finden.
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Also denen werden dann vorher die Fotos von bekannten StraftäterInnen gezeigt oder halt von Personen, die Hausverbot haben oder so.
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Und dann werden die halt mit auf Demonstrationen oder Konzerte oder halt irgendwelchen anderen Großveranstaltungen geschickt.
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Und da gibt es jetzt aber so einen kleinen Widerstand, sage ich jetzt mal, weil das in Prozessen zu Problemen führen kann.
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Nämlich dann, wenn es eine tatverdächtige Person gibt, die sagt, it wasn't me.
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Und man dann versucht, diesen Superrecognizer als Belastungsindiz damit in den Prozess einzubringen.
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Und man sonst aber relativ wenig Indizien hat.
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Und da hat der BGH jetzt auch Stellung zu bezogen und hat in einem Urteil darauf verwiesen, dass Superrecognizer nicht mehr gewertet werden dürfen als andere ZeugInnen.
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Ja, aber das finde ich jetzt so oder so richtig, weil nur weil eine Person irgendeine random Superrecognizer Person sagt,
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ja, die Person sieht sehr ähnlich aus wie die Person, die bei dieser Straftat dabei war.
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Es ist ja wichtig, dass noch andere Indizien in einer Indizienkette so eng aneinandergereiht sind,
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dass man jemanden auch verurteilen kann oder eben nicht verurteilen kann.
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Genau. Und das Gericht sagt quasi, bis nicht wissenschaftlich begründet ist, dass diese ZeugInnen einen höheren Beweiswert hätten als alle anderen,
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darf man sich darauf nicht stützen. Also heißt, die haben jetzt keinen Beweiswert, aber die können wichtige Hinweise geben.
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Könnte ich meinem Mann mal vorschlagen, weil ich meine, ich weiß nicht, ob die bezahlt werden, wahrscheinlich ja schon, oder?
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Aber ich finde, diese Gabe, das ist ja schon eine Gabe, die die haben, wenn man die sozusagen für einen guten Zweck einsetzt, finde ich gut, kann man mal machen für die Gesellschaft.
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Da müsste er aber bei der Polizei vorher anfangen, weil die suchen unter ihren eigenen Leuten jetzt die Leute raus.
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Ach so, ich dachte, das wäre vielleicht eher so ein Ausschreiben gewesen, die Polizei sucht Leute, die andere Leute gut erkennen können.
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Melden sie sich bei uns.
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Wir brauchen sie.
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Und man, ich finde es voll toll, wenn man mit so einer Fähigkeit dann halt auch wirklich irgendwas Tolles machen kann, ne?
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Also ich kann Songtexte super schnell auswendig und weiß bei so ersten Sekunden von Liedern dann auch immer, welches das ist, aber damit kriege ich wirklich keinen Blumentopf, ja?
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Was soll ich damit machen?
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Damit gewinnst du immer das Spiel Hits da.
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Also ich hoffe nur, wir werden nie in ein Verbrechen involviert und müssen dann als ZeugInnen aussagen.
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Erstmal wissen wir aus der Vergangenheit schon, dass selbst wenn du nicht weißt, was passiert ist, du würdest der Polizei genau sagen, was passiert ist, anhand irgendwelcher Geräusche, die du vorher gehört hast.
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Ja, und von dir wissen wir, als es darum ging, dass du eine Aussage machen solltest, du ganz andere Sachen gesehen hast, als die anderen Leute, die mit dir unterwegs waren.
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Genau, weil ich offenbar kein Super-Recognizer bin. Also uns sollte man nicht fragen.
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Ja, wir sind dann nur dazu da, um danach über das Verbrechen zu berichten.
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Der Fall, von dem wir euch gleich erzählen, handelt von einer Familiengeschichte, die uns lehrt, dass man manchmal den Menschen, die man am meisten liebt, am wenigsten vertrauen kann.
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Alle Namen sind geändert und die Trigger-Warnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
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Morgens, kurz nach halb acht in Hessen.
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Die Sonne blinzelt in die Häuser, in der Goethe-Straße herrscht das übliche morgendliche Treiben.
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Aber in dem Haus mit der Nummer 19 ist heute kein Tag wie jeder andere.
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Das sieht die 30-jährige Karin sofort, als sie an diesem Mittwoch, den 24. Mai 1995, einen Fuß in die Küche ihrer Mutter setzt.
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Das Erste, was sie sieht, ist rot.
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Der Boden ist voller Blut.
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An den Schränken und Wänden prangen dicke Spritzer.
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Karin packt die Panik.
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Was ist denn hier passiert?
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Mittendrin, zwischen den Scherben von zerbrochenem Geschirr, liegt ein regloser Körper.
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Karins Mutter Helga.
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Die Füße stecken in Hausschuhen.
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Den fleischfarbenen Pyjama hat das Blut dunkelrot gefärbt.
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Als Karin ihre Mutter erblickt, beginnt ihr Herz zu rasen.
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Das kann nicht wahr sein.
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Das darf nicht wahr sein.
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Und noch bevor ihr Tränen über die Wangen laufen, schießt ihr ein Gedanke in den Kopf.
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Jetzt hat sie's tatsächlich getan.
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Mama hat sich umgebracht.
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Es werden bestimmt ein paar nette Stunden.
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Höhere Erwartung hat Helga nicht, als die 39-Jährige mit dem dunklen, welligen Kurzhaarschnitt
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und dem freundlichen Gesicht an der Wohnung einer Bekannten klingelt, die sie eingeladen hat.
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Doch als sich die Tür öffnet, nimmt dieser stinknormale Tag im Herbst 1977 für Helga eine
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Wendung, die sie sich niemals erträumt hätte.
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Helgas Bekannte ist nämlich nicht allein.
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Ein Handwerker ist gerade dabei, ihre Wohnung zu renovieren.
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Helga schaut sich den Mann in seiner Arbeitskluft genauer an.
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Groß, muskulös, blonde Haare, auf der Nase eine von diesen modischen Pilotenbrillen.
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Dieser Mann sieht mehr als gut aus, denkt sie.
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Als er sie begrüßt und sich als Thomas vorstellt, jagt ihr seine kräftige Stimme einen Schauer
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über den Rücken.
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Helga ist hin und weg.
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Sie fühlt sich plötzlich wie ein verknallter Teenie.
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Dabei ist sie doch schon 39 und längst raus aus dem Alter für solche albernen Schwämmereien,
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Und was noch viel schwerer wiegt, sie ist seit 14 Jahren mit ihrem Mann Hans verheiratet.
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Die beiden haben sogar eine 13-jährige Tochter, Karin.
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Doch das kümmert die Schmetterlinge in ihrem Bauch herzlich wenig.
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Die flattern umso energischer, je mehr Thomas von sich erzählt.
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Mit seiner einnehmenden Art zieht er Helga sofort in seinen Bann, und das, obwohl er erst 25 ist.
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In seinen blauen Augen sieht Helga Leidenschaft lodern.
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Sie findet ihn charmant und witzig und geht an diesem Tag ganz beseelt nach Hause.
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Getragen von dem Gedanken, dass sie zu Hause dringend mal das Wohnzimmer renovieren lassen müsste.
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Besagtes Wohnzimmer liegt in der Erdgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses in der Nähe von Frankfurt.
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Das Haus mit dem roten Dach und der weiß getünchten Fassade ist Helgas ganzer Stolz.
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Ihr Vater hat es selbst gebaut, Stein auf Stein aufeinander gesetzt
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und viel Zeit, Geld und Kraft investiert.
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Inzwischen darf Helga das Haus in der Goethe-Straße 19 ihr eigen nennen.
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Ihr Vater hat es ihr als seinem einzigen Kind vor einiger Zeit schuldenfrei überschrieben.
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Das war ihm wichtig, denn Schulden macht man nicht.
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Das ist sein Credo und das hat auch Helga verinnerlicht.
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Man muss sein Geld zusammen, Sparsamkeit ist eine Tugend und so lebt die Industriekauffrau auch heute.
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Genauso wie ihr Mann, der als Personalsachbearbeiter tätig ist.
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Shishi brauchen sie nicht.
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Da sparen sie das Geld lieber für ihre Tochter Karin.
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Und so wächst die gut situiert und sehr behütet auf.
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Zu dritt haben sie sich ein heimeliges Leben eingerichtet.
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Ihr Alltag ist geprägt von Routinen, Sicherheit.
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Er ist bodenständig und unaufgeregt.
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Helga könnte zufrieden sein.
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Eigentlich fehlt es ihr an nichts.
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Doch dass das nicht ganz stimmt, wird ihr nun klar, wo sie Thomas getroffen hat.
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Ihr fehlt die Leidenschaft.
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Doch die kehrt wieder in ihr Leben, als Thomas wenig später seinen Werkzeugkoffer auf dem Boden in Helgas Wohnzimmer abstellt.
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Denn schon bald liegt seine Arbeitskleidung direkt daneben.
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Und er in Helgas Bett.
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Als Thomas Helga danach liebevoll ansieht, kann sie ihr Glück kaum fassen.
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Jetzt ist Helga klar, dass sie auf so jemanden wie Thomas eigentlich die ganze Zeit gewartet hatte, ohne dass sie sich darüber überhaupt im Klaren war.
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Und eines weiß Helga ganz sicher, nachdem Thomas ihr Haus an diesem Tag wieder verlässt.
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Zurück in ihr altes Leben kann sie nicht mehr.
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Also berichtet sie Ehemann Hans schon bald von ihrem Seitensprung und verkündet, dass sie die Scheidung will.
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Helga weiß, dass das für Hans wie aus dem Nichts kommen muss.
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Aber eine solche Hiobsbotschaft, glaubt sie, überbringt man am besten so, wie man ein Pflaster abreißt.
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Je schneller, desto weniger tut es weh.
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Zwar ist Hans wie vor den Kopf gestoßen, doch trotz seiner Enttäuschung sieht er, dass es für Helga der richtige Weg zu sein scheint.
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Als Hans im März 1978, nur wenige Monate nachdem Helga Thomas kennengelernt hat, auszieht, könnte sie eigentlich erleichtert sein.
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Doch was ihr sehr zu schaffen macht, ist, dass nicht nur Hans seine Koffer mitnimmt, sondern auch Tochter Karin.
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Helga kann das nicht verstehen.
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Karin ist doch ihr Mädchen.
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Ein hundertprozentiges Mama-Kind.
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Aber die 13-Jährige macht ihr unmissverständlich klar, wie enttäuscht sie von ihrer Mutter ist.
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Seit Thomas in ihr Leben getreten ist, sei Karin nur noch zweite Wahl.
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Das fühle sich an, als habe ihre eigene Mutter ihr ein Messer ins Herz gerammt.
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Und auch der arme Papa sei nun ganz allein.
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Karin trifft deshalb die Entscheidung, dass sie künftig bei Hans leben möchte und nicht bei ihrer Mutter und deren neuem Freund.
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Wörtlich sagt Karin, sie müsse ausziehen, da es sonst Mord und Totschlag gäbe.
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So voller Wut und Enttäuschung ist sie darüber, dass Thomas ihre heile Familie zerstört.
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Helga schmerzt Karins Reaktion.
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Trotzdem bereut sie die Trennung von Hans nicht, denn die Freude über Thomas' Einzug tröstet sie.
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Mit dem neuen Mann an ihrer Seite blüht Helga auf.
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Sie lebt und liebt nun so leidenschaftlich, wie sie es sich immer gewünscht hat.
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Als dann vier Jahre später noch die Hochzeitsglocken läuten, ist sie überglücklich.
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Wenig später kommt auch Tochter Karin wieder zurück.
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Zumindest in die Goethe-Straße.
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Weil die Wohnung über Helgas frei wird, zieht die inzwischen Volljährige dort mit ihrem Partner ein.
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Doch so getrennt, wie die übereinanderliegenden Wohnungen sind, bleiben auch Mutter und Tochter.
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Sie sind sich zwar räumlich nah, leben aber ansonsten ihr eigenes Leben.
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Helga vermutet, dass Karin es ihr noch immer nicht verziehen hat, dass sie sich damals für Thomas entschieden hat.
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Aber manchmal muss das Herz eben das tun, was es tun muss.
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Das wird Karin sicher auch noch verstehen.
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Zwei Jahre später bekommt das Liebesglück von Helga und Thomas einen Dämpfer versetzt.
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Handwerker Thomas zieht sich bei der Arbeit eine schwere Rückenverletzung zu, die ihn arbeitsunfähig macht.
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Mit nur 31 Jahren wird er zum Frührentner.
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Helga macht sich große Sorgen.
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Viele Menschen stürzt so ein Schicksalsschlag in eine Sinnkrise.
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Doch Thomas ist ein Stehaufmännchen.
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Er lässt sich nicht unterkriegen, sondern schmiedet Pläne, was er stattdessen beruflich machen kann.
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Überlegen muss er nicht lange.
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Als leidenschaftlicher Angler will er sich mit einem Angelgeschäft in Helgas Garage selbstständig machen.
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Helga ist unsicher.
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Diese Idee kann ja voll nach hinten losgehen.
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Man kann doch in einer Garage nicht so einfach einen Laden aufmachen.
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Aber Thomas kann das offenbar.
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Beziehungsweise macht er es einfach.
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Helga ist skeptisch.
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Aber noch mehr bewundert sie ihren Mann für seine Tatkraft.
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Doch mit dem Geschäft in der Garage ist es nicht getan.
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Schon bald reicht Thomas der kleine Laden, der eher provisorisch als professionell eingerichtet ist, nicht mehr.
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Er unterbreitet Helga eine neue Idee.
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Er möchte zusätzlich zum Laden einen Weiher kaufen, um dort Fischfang zu betreiben.
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Allerdings kostet der 140.000 Mark.
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Geld, das Thomas als Frührentner nicht hat.
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Denn nachdem ihr Vater verstorben ist, hat sie das Wohnhaus der Eltern gerade für genau diesen Betrag verkauft.
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Helga weiß nicht so recht, ob der Weiher wirklich das Wahre ist.
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140.000 Mark gibt man nicht mal eben so aus.
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Aber weil Thomas sie inständig darum bittet, kann sie nicht anders als Ja zu sagen.
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Es imponiert ihr, dass er so für seine Ideen brennt.
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Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann wird er es auch durchziehen.
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Obwohl ihm sein Rücken nach dem Unfall noch immer Probleme macht, ist er motiviert und sieht in der Herausforderung eine Chance.
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Davon würde sich Helga gerne eine Scheibe abschneiden.
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Sie selbst ist ganz anders.
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Sie ist eine ängstliche Frau.
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Selbst so etwas Alltägliches wie Autofahren bereitet ihr Unbehagen.
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Der Straßenverkehr ist so gefährlich.
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Und das nahe Frankfurt besucht sie auch nicht gern.
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Großstädte sind irgendwie bedrohlich.
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Helga macht sich oft Sorgen über alles Mögliche.
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Sie denkt immer zuerst daran, was alles passieren könnte.
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Doch dieses Mal nicht, nimmt sie sich vor.
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Sie weiß, dass der Verlust seiner Arbeit ihren Mann schwer getroffen hat.
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Der Weiher ist sein großer Wunsch.
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Er hat eine Vision.
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Und schließlich macht er das ja auch für sie, redet sie sich gut zu.
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Also gibt sie ihm die 140.000 Mark und Thomas kauft das Gewässer.
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Doch schon bald folgt der nächste Rückschlag.
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Thomas muss den Angelladen schließen.
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Das Ordnungsamt hat mitbekommen, dass ihm die erforderliche Betriebsgenehmigung fehlt.
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Doch Thomas wäre nicht Thomas, wenn er in der Krise nicht wieder eine Chance sehen würde.
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Helga soll sich keine Sorgen machen.
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Der Laden sei ohnehin zu klein gewesen.
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Was er jetzt von ihr brauche, sei ein bisschen finanzielle Unterstützung, um in der Nähe ihrer
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Wohnung größere Räume anzumieten.
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Dabei funkelt er sie mit seinen blauen Augen an.
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Helga kann nicht anders, als ihm das nötige Geld zu geben.
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Und Thomas richtet einen neuen, größeren Laden für den Angelbedarf ein.
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Helga ist froh, dass Thomas eine Tätigkeit gefunden hat, die ihm Spaß macht.
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Allerdings läuft das Geschäft nicht so, wie er hofft.
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Aber das wird schon.
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Thomas weiß ja, was er tut.
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Er ist doch ein Geschäftsmann, denkt sie.
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Und als solcher strebt er nach immer mehr.
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Als 1993 ein Gebäude zwangsversteigert wird, das nur 70 Meter von ihrem Wohnhaus entfernt
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liegt, merkt Helga sofort, wie ernst es ihrem Mann ist.
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Sie solle sich doch mal vorstellen, dort könnten sie sogar endlich eine Fischtheke mit frischem
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Fisch an den Angelladen an Gliedern.
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Der inzwischen 41-Jährige sprüht regelrecht vor Begeisterung.
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Helga dagegen ist, wie immer, zurückhaltend.
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Sie ist zwiegespalten.
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So wie in den vergangenen 15 Jahren will sie Thomas auch jetzt gerne unterstützen.
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Allerdings sitzt das Geld bei ihr nicht so locker.
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Das Vermögen, das sie hat, reicht nicht, um jetzt sogar eine Immobilie zu kaufen.
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Und Schulden will sie dafür auf gar keinen Fall aufnehmen.
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Helga ist hin- und hergerissen.
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Wie Engel und Teufel sitzen auf ihren Schultern zwei Männer.
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Auf der einen Seite ihr verstorbener Vater, der ihr eingebläut hat, auf ihr Erspartes zu achten.
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Und auf der anderen Seite ihr Ehemann, der große Pläne für die Zukunft hat und den sie über alles liebt.
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Doch zu Gefühlen von Liebe und Leidenschaft hat sich in der Vergangenheit noch ein anderes gemischt.
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Enormer Respekt.
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Manchmal sogar Furcht.
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Denn Thomas kann je zornig werden, wenn etwas nicht so funktioniert, wie er sich das wünscht.
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Helga mag es gar nicht, wenn er laut wird.
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Aber Thomas ist nun mal ein anderer Typ als sie.
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Und dieses energische, dynamische war schließlich auch, dass sie so anziehend fand, als sie ihn kennengelernt hat.
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Aber seine lockere Einstellung zu Geld kann Helga nicht teilen.
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Das wächst doch nicht auf Bäumen.
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Dass Thomas so damit umgeht, macht ihr zu schaffen.
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Und nicht nur das setzt ihr zu.
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Der mittlerweile 55-Jährigen geht ihr Alter an die Substanz.
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Immer wieder entdeckt sie neue Falten im Gesicht.
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Ihr Körper war auch schon deutlich straffer, findet sie.
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Körperliche Arbeit steckt sie nicht mehr so leicht weg wie früher.
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Inzwischen geht sie schon auf die 60 zu.
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Und mit 60 ist man wirklich eine alte Frau, meint Helga.
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Thomas dagegen ist erst Anfang 40.
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Je älter Helga wird, desto problematischer wird der Altersunterschied für sie.
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In einer Zeit, in der Fernsehwerbung und Hochglanzmagazine Low-Fat-Diäten und den Heroin-Schick propagieren,
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hadert Helga immer mehr mit sich, ihrem Alter und ihrem Aussehen.
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Sicherheit frisst sich tief in ihr Selbstbewusstsein.
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Was, wenn Thomas eines Tages erkennt, wie alt und faltig sie geworden ist?
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Thomas könnte massenweise jüngere, attraktivere Frauen haben.
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Was, wenn er sie eines Tages für eine von ihnen verlässt?
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Helga mag gar nicht darüber nachdenken.
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Doch wem macht sie hier eigentlich was vor?
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In den Momenten, in denen Sätze wie dieser in ihrem Kopf besonders laut dröhnen,
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fühlt sie, wie über ihr eine pechschwarze Gewitterwolke aufzieht, die das warme Sonnenlicht schluckt.
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Dann kann Helga nur noch an eines denken.
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Vielleicht sollte sie ihrem Leben ein Ende setzen.
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Ab und an erzählt sie ihren Freundinnen auch, dass sie manchmal das Gefühl hat,
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Thomas nur noch mit ihrem Geld bei sich halten zu können.
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Gelegentlich macht sie sogar bei ihnen leise Andeutung darüber,
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ob ein Suizid nicht die beste Lösung wäre.
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Seit eine Bekannte sich das Leben genommen hat, denkt Helga darüber nach.
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Die Freundinnen verneinen vehement, das sei definitiv kein Weg.
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Und das betont auch Tochter Karin immer wieder,
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die nach wie vor in der Wohnung über Helga und Thomas wohnt.
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Sie ist inzwischen Ende 20 und selbst Mutter von zwei Töchtern, die sechs und drei Jahre alt sind.
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Seit sich Helga von Karins Vater getrennt hat, sind gut 15 Jahre vergangen.
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15 Jahre, in denen Karin selbst endgültig erwachsen geworden ist
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und in denen die Wunden von damals offenbar geheilt sind, mutmaßt Helga.
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Denn sie spürt, dass Karin wieder eine größere Rolle in ihrem Leben spielen will.
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Und sie selbst wünscht sich das andersherum genauso.
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Karin ist doch ihre einzige Tochter.
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Ihr will Helga eine gute Mutter sein.
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Auch, weil sie weiß, dass sie es eine ganze Zeit lang nicht war.
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Und auch für ihre zwei Enkelinn will sie als Oma da sein.
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Deswegen passt Helga öfter mal auf die Mädchen auf und vertraut sich Karin auch an, wenn sie und Thomas Streit haben.
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Doch Thomas ist nach wie vor die Liebe ihres Lebens.
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Und das soll für immer so bleiben.
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Als er ihr dann tagelang mit dem Gebäude in den Ohren liegt, das er ersteigern will, um den Angeladen auszubauen,
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willigt Helga letzten Endes ein.
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Sie kann ihm einfach nichts abschlagen.
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Thomas kann bei der Auktion mitmachen, aber nur unter einer Bedingung.
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Mehr als 320.000 Mark darf er nicht bieten.
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Das ist das absolute Maximum.
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Das muss Thomas ihr versprechen.
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Um ihrem Mann den Rücken zu stärken, begleitet sie ihn zur Versteigerung.
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Doch dort versteht Helga gar nicht, was geschieht.
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Wie in Trance muss sie miterleben, wie Thomas alle Abmachungen in den Wind schlägt
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und in einen regelrechten Bieterrausch gerät.
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Immer wieder schnellt seine Kelle in die Höhe.
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Benommen realisiert Helga, als der Hammer des Auktionators ein letztes Mal fällt
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und Thomas den Zuschlag für die Immobilie erhält.
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Für 400.000 Mark.
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80.000 mehr als vereinbart.
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Das ist sehr viel mehr Geld, als Helga ausgeben kann.
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Das kann doch nicht sein Ernst sein.
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Doch spätestens als Thomas sie zum ersten Mal stolz in das Gebäude führt,
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begreift Helga, dass es kein Zurück mehr gibt.
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Während Thomas ihr lebhaft erklärt, welche Möbel und Geräte wo ihren Platz finden werden,
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denkt Helga nur an das viele Geld, das sie investieren muss,
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bis der Angelladen mit Fischtheke und angeschlossenem Imbiss,
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den sich Thomas jetzt auch noch wünscht, so aussieht, wie Thomas sich das vorstellt.
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Das Gebäude muss erst einmal großzügig renoviert werden.
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Außerdem lässt Thomas eine neue Industrieküche für 50.000 Mark einbauen.
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Auch für Arbeiten wie diese muss Helga ihre Bankkarte zücken.
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Damit sie das alles bezahlen kann, muss sie einen Kredit aufnehmen.
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Dafür wird ihr Zuhause, das Erbe ihres Vaters, an dem Helga so sehr hängt, mit einer Hypothek belastet.
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Helga ist überhaupt nicht wohl dabei, aber Thomas erklärt ihr immer wieder,
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dass am Anfang Investitionen notwendig seien, um ein großes Geschäft aufzubauen.
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Das Geld hätten sie in Nullkommanichts wieder reingewirtschaftet und sie würden sich ein goldenes Näschen verdienen.
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Aber so schnell wie Thomas meint, gelingt das nicht.
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Anfang 1995 liest sich Thomas dann auch noch einen weinroten Mercedes.
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Ein Geschäftsmann wie er braucht schließlich ein passendes Auto.
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Helga lässt ihn machen.
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Sie vertraut ihrem Mann.
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Und wenn er sagt, alles wird gut, dann ist das so.
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Doch so sehr sie auch daran glauben will, wenn sie ehrlich ist, weiß sie,
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dass das große Geld, von dem Thomas träumt, noch lange auf sich warten lässt.
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Denn der in der ersteigerten Immobilie neu eröffnende Laden läuft auch nach ein paar Monaten noch nicht so, wie er soll.
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Der Imbiss wirft auch noch kein Geld ab, denn dafür fehlt nach wie vor die Gaststättenerlaubnis.
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Außerdem bekommen sie vom Ordnungsamt immer mehr Auflagen.
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Zum Beispiel müssen die Toilettenräume gefliest werden.
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Die To-dos auf dem Zettel häufen sich und mit jedem Punkt, der hinzukommt, verzweifelt Helga ein bisschen mehr.
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Früher hat sie sich die Zukunft mit Thomas, dem Mann ihrer Träume, so rosig ausgemalt.
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Jetzt legen sich düstere Schatten über die rosarote Leichtigkeit.
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Aber Helga versucht sie wegzuschieben und krempelt die Ärmel hoch.
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Sie will helfen, denn sie hat panische Angst davor, wegen der Schulden, die sie für Thomas und den Laden gemacht hat,
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das Haus zu verlieren, das ihr ihr Vater vererbt hat.
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Um die Betriebskosten für den Laden zu verringern, steigt sie mit ein.
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Aber sie will nicht nur am Verkaufstresen stehen, wie Thomas es vorsieht.
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Als Industriekauffrau kann sie sich doch um die Buchhaltung kümmern.
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Thomas jedoch ist damit nicht zufrieden.
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Statt sich zu freuen, dass seine Frau ihn unterstützt, ist er genervt.
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Sie soll an der Theke stehen, was muss sie denn bei den Finanzen mitmischen?
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Helga ist irritiert.
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Sie will doch nur helfen.
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Aber Thomas hat keine Lust auf Teamwork.
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Weder im Laden, noch im Alltag.
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Das merkt Helga inzwischen immer deutlicher.
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Wo einst die Leidenschaft loderte, hat nun eine eisige Kälteeinzug gehalten, die Helga frösteln lässt.
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Früher flüsterte ihr Thomas Zärtlichkeiten ins Ohr.
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Inzwischen wirft er ihr Beleidigungen an den Kopf.
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Und das auch vor anderen.
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Auf einer Familienfeier beispielsweise bemerkt Helga nicht gleich, dass er sie ruft.
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Aber was er dann vor allen Gästen laut und deutlich sagt, ist auch für Helga sofort zu verstehen und sie würde vor Scham am liebsten im Boden versinken.
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Thomas sagt, man muss der Alten ständig gegen den Kopf treten, dass sie hört.
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Situationen wie diese gibt es nun immer häufiger.
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Für Helga sind sie jedes Mal einfach nur furchtbar.
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In was für einen schrecklichen Menschen verwandelt sich ihr Mann?
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Liebt er sie denn gar nicht mehr?
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Die Antwort darauf bekommt Helga schon bald.
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Im Frühjahr 1995 geht die inzwischen 56-Jährige regelmäßig in den Laden, um die Kundinnen zu bedienen.
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Und das, obwohl ihr das lange Stehen zunehmend schwerfällt.
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Während Helga sich abmüht, bemerkt sie, dass Thomas immer häufiger Raucherpausen macht.
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Und zwar nicht allein, sondern mit Marianne.
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Sie arbeitet als Aushilfe im Laden und sie ist 20 Jahre jünger als Helga.
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In ihr steigt sofort das schreckliche Gefühl hoch, das sie oft hat, wenn sie ihren Körper im Spiegel betrachtet.
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Sicher findet Thomas Marianne deutlich attraktiver.
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Sie ist immerhin erst 35 und nicht schon fast 60 wie sie selbst.
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Besonders schlimm ist es eines Tages, als Helga vor lauter Kundschaft gar nicht weiß, wen sie zuerst bedienen soll,
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Thomas aber wieder einmal mit Marianne zum Rauchen verschwindet.
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Als Helga ihnen zuruft, sie sollen doch bitte helfen, antwortet Thomas Schroff,
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du machst deine Arbeit und wir machen unsere.
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Spätestens jetzt zählt Helga eins und eins zusammen.
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Thomas und Marianne teilen nicht nur Zigaretten, sondern deutlich mehr.
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Zumal Helga und Thomas schon seit einem halben Jahr nicht mehr im selben Bett schlafen.
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Und Thomas bemüht sich nicht einmal darum zu verheimlichen, dass er eine Geliebte hat.
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Für alle in ihrem Umfeld ist es ein offenes Geheimnis.
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Nur Helga versucht vor dieser Tatsache noch die Augen zu verschließen.
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Thomas ist ihr Ein und Alles, sie hat so viel für ihn getan.
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Wie kann er sie jetzt betrügen?
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Auch Tochter Karin weiß darauf keine Antwort, wenn Helga sich ihr anvertraut.
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Ihre eigene Ehe ist gerade erst zerbrochen.
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Die 30-Jährige hat sich erst kürzlich von ihrem Mann und dem Vater ihrer Kinder getrennt.
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Obwohl Helga sich eins selbst von Karins Vater Hans hat scheiden lassen, kann sie den Schritt ihrer Tochter überhaupt nicht begreifen.
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Ihr Schwiegersohn war so ein netter Mann, den sie am liebsten ihr Leben lang in der Nähe gehabt hätte.
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Jetzt ist Karin allein, mit gerade mal 30 und zwei Kindern, die noch nicht zur Schule gehen.
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Helga kann nicht verstehen, wie man sich so etwas antut.
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Und obwohl sie selbst in der Beziehung immer wieder leidet, würde sie nicht daran denken, Thomas zu verlassen.
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Ganz zum Unmut ihrer Freundinnen, die sich wünschen, Helga nicht mehr leiden zu sehen.
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Sie solle doch mal ernsthaft über eine Trennung nachdenken.
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Doch das will Helga nicht hören.
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Das ist viel zu radikal, sie liebt ihren Thomas wie damals, als sie ihn in seiner Handwerkerkluft bei ihrer Bekannten in der Wohnung zum ersten Mal gesehen hat.
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Und sicherlich wird es in der Beziehung auch wieder laufen, wenn es der Laden auch endlich tut.
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Kampfgeist, packt Helga.
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Sie kümmert sich jetzt um die noch immer fehlende Gaststättenerlaubnis, damit endlich der langersehnte Aufschwung kommt.
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Als Thomas jedoch davon erfährt, ist er genauso wenig begeistert wie damals, als Helga in den Laden einstieg.
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Helga solle sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen, davon verstünde sie sowieso nichts.
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Stattdessen würde sie die Kundschaft vergraulen, wenn sie weiterhin an der Verkaufstheke erzähle, wie schwierig die Situation gerade sei.
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Helga lässt Thomas meckern, aber sie weiß, dass sie auf dem richtigen Weg ist.
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Die Gaststättengenehmigung wird bald da sein, der zuständige Sachbearbeiter beim Ordnungsamt spricht ihr Mut zu, die Unterlagen sehen gut aus.
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Helga schöpft zum ersten Mal seit langem wieder Hoffnung.
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Davon ist Helga so überzeugt, dass sie sogar der Frau einen Gefallen tut, mit der ihr Mann sie betrügt.
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Marianne braucht dringend 1000 Mark für die Konfirmation ihres Sohnes.
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Helga leiht ihr das Geld bereitwillig.
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Sie hilft, wo sie kann.
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So ist sie einfach.
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Der Junge soll ein schönes Fest haben und er kann ja schließlich nichts für das unmögliche Verhalten seiner Mutter.
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Helgas Optimismus hält jedoch nicht lange an.
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Nach wenigen Wochen kommt der tiefe Fall.
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Am Montag, den 22. Mai, erfährt Helga, dass die Gaststättenerlaubnis offenbar doch noch nicht in trockenen Tüchern ist.
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Und während Helga nach der Nachricht einem Nervenzusammenbruch nahe ist, sieht Thomas das alles, wie immer, nicht so dramatisch.
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Dabei hängen an der Konzession viele Einnahmen, die sie dringend brauchen, um ihre Schulden zurückzuzahlen.
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Nicht auszudenken, wenn es jetzt nicht endlich klappt.
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Und als wäre das alles nicht schlimm genug, muss Helga am Tag darauf miterleben, wie ihr Mann völlig ungeniert mitten im Laden mit Marianne flirtet.
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So als wäre Helga gar nicht da.
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Helga kriegt die Vollkrise.
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So kann das alles nicht mehr weitergehen.
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Einen Tag später, am Mittwoch, den 24. Mai, bereitet Helgas Tochter Karin gerade das Frühstück für ihre 8 und 5 Jahre alten Töchter vor, als es an der Tür klingelt.
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Über die Gegensprechanlage meldet sich ihr Stiefvater Thomas.
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Aufgeregt hört sie ihn rufen, hast du heute schon was von deiner Mutter gehört?
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Thomas sagt, das sei seltsam.
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Er könne nicht in die Wohnung, weil die Tür von innen verschlossen sei.
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Er wolle jetzt versuchen, über die Terrasse in die Wohnung zu kommen.
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Karin wundert sich.
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Was hat er denn?
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Wieso ist er so hektisch?
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Ihre Mutter wird halt im Bad sein, wenn sie überhaupt schon wach ist.
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Sie schlägt immerhin gerne aus.
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Karin denkt sich nichts dabei und widmet sich wieder den Broten für ihre Kinder.
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Bis sie durch die offene Balkontür Schreie aus der Wohnung unterhalb hört.
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Thomas plärrt wie am Spieß.
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Karin fährt es durch Mark und Bein.
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Thomas brüllt, sie solle Rettungswagen und Polizei rufen.
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Kurz danach hastet sie die Treppe nach unten zur Wohnung ihrer Mutter.
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Sie läuft in Richtung Küche.
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Von dort kommen die Schreie ihres Stiefvaters.
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Und noch ehe Karin über die Schwelle tritt, sieht sie das viele Blut.
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Die Schränke und Wände sind voller Spritzer.
00:30:46
Der Boden ist voll mit der rotbraunen Flüssigkeit und Scherben von zerbrochenem Geschirr.
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Und noch schlimmer ist das, was sie noch auf dem Boden liegen sieht.
00:30:54
Es ist der reglose Körper ihrer Mutter, die in ihrem Schlafanzug da liegt.
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Blut überströmt.
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Es dauert einen Moment, bis Karin begreift.
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Dann überrollt sie der Schock wie eine tosende Welle und Karin fürchtet, keine Luft mehr zu bekommen.
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Und wie Karin diesen Moment erlebt hat, hat sie uns erzählt.
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Ich komme runter, ich komme durch das Treppenhaus, ich renne in die Küche und dann sehe ich, wie meine Mutter da liegt auf dem Boden und alles voller Blut.
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Und es gab für mich eigentlich nur einen Gedanken.
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Sie hat sich umgebracht.
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Anders konnte ich mir dieses Bild da überhaupt nicht erklären.
00:31:30
Und ich wusste auch überhaupt gar nicht, was sollte ich denn da jetzt denken.
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Also es war überhaupt, mein Kopf war komplett leer, Schock, alles Mögliche geht durch den Kopf und doch nichts geht durch den Kopf.
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Es ist ein Moment, den man sich überhaupt gar nicht vorstellen kann und den man sich auch gar nicht vorstellen will.
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Das kann nicht sein, das darf nicht sein, denkt Karin.
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Doch es ist offenbar wirklich so.
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Denn auch Thomas, den Karin jetzt neben sich wahrnimmt, ist in Tränen aufgelöst.
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Wie ein kleiner Junge wimmert er immer wieder, warum hat sie das nur getan und wisst sich mit den Händen permanent durch das Gesicht, obwohl die voller Blut sind.
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Trotz des Schocks irritiert Karin diese Geste.
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Und nicht nur sie, sondern auch die Polizistinnen, die mit dem Rettungsdienst inzwischen eingetroffen sind.
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Auf die Frage, woher das Blut an seinen Händen kommt, erklärt Thomas, als er seine Frau blutend und reglos auf dem Boden liegen sah, habe er sie aufheben wollen.
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Dabei sei er jedoch gestürzt.
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Das finden die Einsatzkräfte seltsam.
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Thomas' weißes T-Shirt und seine Jeans sind bis auf einen kleinen Blutfleck am Knie sauber.
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Allerdings entdecken sie trotz des Bluts in seinem Gesicht auf Thomas' linker Wange einen Kratzer.
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Doch das ist nicht das einzige Eigenartige.
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Als die Ermittelnden die Leiche genauer betrachten, grafen ihnen massive Kopfverletzungen entgegen.
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Und sie entdecken eine Nylonstrumpfhose, die wie ein Schal eng um Helgas Hals gewickelt wurde.
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An den Handgelenken stellen sie jedoch keine Verletzungen fest.
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Es gibt also keine Spuren, die auf Suizid hinweisen.
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Daher ist für die Polizistinnen klar, hier handelt es sich nicht, wie die Angehörigen annehmen, um einen Suizid, sondern um ein Tötungsdelikt.
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Und Thomas wird wegen seines merkwürdigen Verhaltens vorläufig festgenommen.
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Wenige Tage später steht Karin in der Küche ihrer Mutter.
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Neben ihr kniet ihr bester Freund.
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Immer wieder taucht er den Putzlappen in den Eimer voller Wasser neben sich.
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Die Polizei hat den Tatort wieder freigegeben und Karin und ihrem Freund bleibt nun die Aufgabe, die Küche wieder sauber zu machen.
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Dass eine Putzfirma die letzten sterblichen Überreste ihrer Mutter wegputzt, kommt für sie nicht in Frage.
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Allerdings kann die 30-Jährige auch nicht selbst den Schwamm in die Hand nehmen.
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Sie bringt es einfach nicht über sich.
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Und so kniet jetzt ein Freund vor ihr auf dem Boden und schrubbt die Blutspritzer weg, während Karin daneben steht und stattdessen versucht, die schrecklichen Bilder aus ihrem Kopf wegzuwischen.
00:33:50
Bilder, die man aus dem Tatort im Fernsehen kennt, aber niemals in echt sehen will.
00:33:55
Wie ihre Mutter reglos da liegt, in dieser riesigen Blutlache.
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Karin kann schlicht nicht begreifen, dass ihre Mama nicht mehr da ist und nie wieder zurückkommen wird.
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Dass sie nie mehr mit ihr lachen, sie nie mehr um Rat fragen kann und dass sie auch nie mehr amüsiert die Augen verdrehen kann, wenn ihre Mutter in ihren ausschweifenden Erzählungen mal wieder nicht zum Punkt kommt.
00:34:15
Und dabei hatte sie ihre Mutter ja gerade erst wieder so richtig in ihrem Leben.
00:34:18
Wie gern würde sie sie jetzt in die Arme schließen und ihren ganz eigenen Helga-Duft schnuppern, von dem Karin gar nicht genau weiß, wie er sich zusammensetzt.
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Eine Mischung aus frisch, blumig und heimelig.
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Dass sich dieser Duft nun mit ihrer Mutter verflüchtigt, während sie dabei zusieht, wie Helgas Blut das Putzwasser dunkel färbt, ist völlig surreal für Karin.
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Als wäre sie aus ihrem Körper geschlüpft und würde von oben auf sich und die absurde Szene schauen.
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Gleichzeitig kreisen die Gedanken in ihrem Kopf so schnell, dass sie kaum einen richtig zu fassen bekommt.
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Karin kann immer noch nicht verstehen, dass ihre Mutter von fremder Hand getötet wurde.
00:34:54
Sie war so eine nette, gutmütige Frau, die keiner Fliege was getan hätte.
00:35:00
Eigentlich war sie viel zu gut für diese Welt, findet Karin.
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Wieso sollte jemand sie umbringen?
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Und vor allem könnte Thomas wirklich der Täter sein, wie die Polizei mutmaßt.
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Das würde ja auch bedeuten, dass Thomas die ganze Auffindesituation inszeniert hat.
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Klingelte er bei Karin, bat sie um Hilfe und spielte dann den erschrockenen Ehemann, obwohl er selbst für Helgas brutalen Tod verantwortlich war?
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Karin erinnert sich an den Moment, als sie durch Helgas Wohnungstür eilte, nachdem Thomas sie gerufen hatte.
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Sie hatte erst gestutzt.
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Sämtliche Schranktüren und Schubladen standen offen, dabei war ihre Mutter ein so ordentlicher Mensch.
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Wieso hätte Thomas so eine Unordnung veranstalten sollen?
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Karins Kopf schmerzt.
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Sie war noch nie so verwirrt und erschöpft.
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Warum gibt es keinen Ausscheiter für ihre Gedanken im Kopf?
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Karin ist in diesem Moment so in ihren Überlegungen versunken, dass sie gar nicht merkt, wie plötzlich eine Person im Türrahmen auftaucht.
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Dann deutet er auf eine Stelle hinter ihr und sagt lapidar, da ist auch noch ein Fleck.
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Dann verschwindet er so schnell, wie er gekommen ist.
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Wie gruselig ist das, dass der da auf einmal steht?
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Also ich glaube, ich hätte das ganze Haus zusammengeschrien.
00:36:14
Ja, also das ist auf jeden Fall eine Szene aus dem Füller.
00:36:17
Und ja, also auch Karin kann in dem Moment nicht fassen, was da gerade passiert.
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Wieso ist er überhaupt hier?
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Die Polizei hatte ihn doch als Tatverdächtigen festgenommen.
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Karin ist irritiert.
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Wurde er etwa wieder gehen gelassen?
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Und dann taucht er hier auf, ohne auch nur den Anschein zu erwecken, dass er trauert?
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Was hat das alles zu bedeuten?
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Wenig später erfährt Karin, dass Thomas auf der Wache vehement bestritten hat, etwas mit
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Helgas Tod zu tun zu haben.
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Stattdessen beteuerte er schon früh am Morgen nicht im Haus, sondern im neuen Laden beim Fischeräuchern
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gewesen zu sein.
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Als er über die offene Terrassentür wieder in die Wohnung zurückgekommen sei, habe er
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Helga dort tot aufgefunden.
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Nachdem die Suizidtheorie wegen ihrer Verletzungen aber vom Tisch ist, ist Thomas überzeugt, dass
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Helga Opfer eines Einbruchs geworden ist, der außer Kontrolle geraten ist.
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Und weil der Ermittlungsrichter Thomas offenbar Glauben schenkte und keinen dringenden Tatverdacht
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feststellen konnte, wurde daher auch kein Haftbefehl erlassen.
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So kehrte Thomas nur wenige Stunden nach seiner Festnahme wieder in die Goethe-Straße zurück.
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Karin ist darüber überhaupt nicht glücklich.
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Und so macht sich die nächsten Tage ein unwohles Gefühl in ihr breit.
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Allein, dass die Möglichkeit besteht, dass Thomas ihre Mutter getötet hat, lässt ihr einen
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eisigen Schauer über den Rücken laufen.
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Dass sie und ihre Töchter von diesem Mann nur ein Stockwerk trennt, macht ihr zu schaffen.
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Sie wird unruhig und fühlt sich zu Hause nicht mehr wohl.
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Erst recht nicht, als Thomas immer wieder mal zu Besuch vorbeikommt.
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Als Großvater will er doch seine Enkelinnen sehen, gerade jetzt, in dieser schwierigen Zeit,
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Doch Karin nimmt ihrem Stiefvater den trauernden Opa nicht ab.
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Sie weiß, dass Thomas die meiste Zeit bei seiner geliebten Marianne ist.
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So schlimm kann der Verlust seiner Ehefrau für ihn offenbar nicht sein.
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Als Helgas Asche einen Monat nach der Tat beigesetzt wird, zieht Marianne noch am selben
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Tag bei Thomas in die Goethe-Straße ein.
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In die Wohnung unter Karins, in der bis vor kurzem noch ihre Mutter lebte, die wegen
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genau dieser Frau nachts in ihre Kissen geschluchzt hat.
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Karin ist erschüttert über so wenig Feingefühl.
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Doch Thomas weiß noch einen draufzusetzen.
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Ein paar Tage später laden Thomas und Marianne zu einer Gartenparty ein.
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Sie haben doch Helga gerade erst beerdigt.
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Wie kann man da ans Feiern denken?
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Doch das scheint Thomas und Marianne nicht zu stören.
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Es wird gegessen, getrunken und gefeiert.
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Die Musik dröhnt bis spät in die Nacht derart, dass sich NachbarInnen beschweren.
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Karin zieht sich die Decke über den Kopf, aber ihr Herz hört sie trotzdem hämmern wie verrückt.
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Sie schämt sich für ihren Stiefvater.
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Hat dieser Mann keinen Funken Anstand?
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Das würde ihm Karin am liebsten entgegenschreien.
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Aber sie hat keine Kraft für eine Konfrontation.
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Sie muss ihren Alltag bewältigen und für ihre kleinen Töchter da sein.
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Außerdem lässt sie der Gedanke nicht los, dass Thomas vielleicht doch was mit dem Tod ihrer Mutter zu tun haben könnte, hat sie uns erzählt.
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In der Zwischenzeit überlegt man die ganze Zeit, was ist jetzt eigentlich Sache?
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Wie war das denn jetzt?
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Kann tatsächlich der Stiefvater was damit zu tun haben?
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Kann er beteiligt gewesen sein?
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Der, der lange Jahre mit ihr gelebt hat und trotzdem spricht so vieles dafür.
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Also das ist so schlimm, dann beide Seiten zu haben.
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Auf der einen Seite die Mutter und dann ist es auch noch kein Fremder, der die Tat begangen hat.
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Und dann muss man sich damit auseinandersetzen, trotz der Trauer und man kann gar nicht damit abschließen.
00:39:43
Thomas tut währenddessen alles dafür, die Menschen in seinem Umfeld von seiner Unschuld zu überzeugen und woanders hin zu lenken.
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Egal wo er ist, spekuliert er über den seltsamen Tod seiner Frau.
00:39:54
Er gibt sich nach wie vor überzeugt, dass Helga Opfer von EinbrecherInnen wurde.
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Er meint sogar gesehen zu haben, wie am Tattag eine fremde Person zu ihnen in den Garten gestiegen sei.
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Inzwischen ist er sich sicher, die, Zitat, Rumänen-Mafia sei involviert.
00:40:09
Karin hält Thomas' Theorien für Blödsinn.
00:40:11
Denn obwohl die Schranktüren und Schubladen offen standen, fehlte nichts.
00:40:15
Doch Thomas' Spekulationen hören nicht auf.
00:40:18
Eines Tages erfährt Karin dann, dass Thomas sogar in den Raum stellt, dass sie etwas mit dem Tod ihrer Mutter zu tun haben könnte.
00:40:27
Karin traut ihren Ohren kaum.
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Thomas faselt offenbar davon, dass Helga die Trennung von Karin und ihrem Mann nicht gut geheißen habe und deswegen kreuzunglücklich gewesen sei.
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Da könnte es ja durchaus sein, dass Karin sie aus dem Weg geräumt habe.
00:40:41
So wird es an Karin herangetragen.
00:40:44
Obwohl diese These allen so absurd erscheint, dass ihr niemand Glauben schenkt, sind die Anschuldigungen unerträglich für Karin.
00:40:51
Ich meine, das kann man ja auch verstehen, ne?
00:40:53
Ihr Stiefvater verdächtigt sie des Mordes an ihrer eigenen Mutter.
00:40:57
Was ist das für ein Albtraum?
00:41:00
Für Karin ist inzwischen klar, dass kein anderer als Thomas selbst der Täter sein kann.
00:41:04
Warum sonst sollte er mit derart schlechten Geschichten von sich abzulenken versuchen?
00:41:09
Dass sie mit diesem Mann immer noch in einem Haus leben muss, lässt das Unbehagen, dass sie Thomas gegenüber seit Helgas Tod verspürt, zu echter Angst heranwachsen.
00:41:17
Vor allem um ihre kleinen Töchter.
00:41:20
Wer weiß, wozu Thomas noch fähig ist.
00:41:22
Und wie sich das damals für sie angefühlt hat, hat sie uns erzählt.
00:41:26
Ich erinnere mich an eine Situation, in der ich mit den Mädels zu Hause war und es hat geklopft.
00:41:33
Er stand vor der Tür und hat gefragt, na, sind die Kinder da?
00:41:38
Und ich bin dann ins Wohnzimmer gegangen und habe mich in den Sessel gesetzt und habe mir die Hände zwischen die Beine geklemmt, weil ich so gezittert habe und auf gar keinen Fall wollte, dass er sieht, wie ich zitter, weil es war ja überhaupt nicht klar, wozu ist der Mensch fähig und was hat er alles noch vor.
00:41:56
Ein paar Wochen nach Helgas Tod erzählt Thomas Karin, dass bei ihm Leukämie diagnostiziert worden sei und er zur Behandlung in die Schweiz fahren müsse.
00:42:06
Anfang August, kurz nach seiner Abreise, meldet sich die Polizei bei Karin.
00:42:10
Thomas' Krebsgeschichte ist gelogen.
00:42:13
Er ist gar nicht in der Schweiz in Behandlung, sondern mit Marianne im Urlaub auf der Nordseeinsel Büsum.
00:42:18
Beziehungsweise war er dort, denn an der Nordsee klickten die Handschellen.
00:42:22
Und inzwischen ist Thomas zurück in Hessen und sitzt in Untersuchungshaft.
00:42:26
Karin erfährt auch, dass die Polizei in den vergangenen zweieinhalb Monaten weitere Ermittlungen angestellt hat, denn die Staatsanwaltschaft ist alles andere als von Thomas' Unschuld überzeugt.
00:42:36
Zehn Monate später, im Juni 1996, beginnt vor dem Landgericht Darmstadt der Prozess gegen Thomas.
00:42:43
Der inzwischen 44-Jährige ist wegen Totschlags angeklagt.
00:42:47
Als er mit selbstsicherem Blick neben seiner Verteidigerin Platz nimmt, mustert Karin ihren Stiefvater von der gegenüberliegenden Seite des Gerichtssaals mit einer Mischung aus Wut, Enttäuschung und Ekel.
00:42:57
Sie hat die Nebenklage angetreten und sich geschworen, jeden Tag in diesem Raum auszuharren, bis der Mann, der für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist, verurteilt ist.
00:43:06
Das ist sie ihrer Mutter schuldig.
00:43:09
Es ist das Einzige, was sie noch für sie tun kann.
00:43:12
Karin fällt es noch immer schwer zu glauben, dass ihr eigener Stiefvater seine Ehefrau in ihrer Küche so brutal zugerichtet hat.
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Was ist das für eine scheußliche Ironie des Schicksals, dass ihre ängstliche Mutter, die sich schon vor dem Autofahren fürchtete, an dem Ort getötet wurde, an dem sie sich absolut sicher fühlte, in ihrem eigenen Zuhause, durch die Hand des Mannes, den sie über alles liebte.
00:43:35
Doch so furchtbar es klingt, Karin weiß, dass alles für Thomas als Täter spricht.
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Ihr Nebenklageanwalt hat ihr alles genau erklärt, um sie gut auf den Prozess vorzubereiten und sie vor bösen Überraschungen zu schützen.
00:43:47
Über ihren Anwalt hat Karin erfahren, dass Helga an besagtem Mittwoch, dem 24. Mai 1995, anders als gewöhnlich nicht erst um 8 Uhr, sondern deutlich früher aufstand, weil sie Marianne im Laden vertreten musste.
00:44:00
Die Informationen, die sie von ihrem Anwalt bekommen hat, setzen sich in Karins Kopf zu einem Film zusammen.
00:44:05
Sie sieht ihre Mutter in der Küche stehen und Frühstück zubereiten.
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Dann betritt Thomas die Küche.
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Helga konfrontiert ihn mit ihren Sorgen.
00:44:13
Wie soll es jetzt weitergehen, wo sie die Gaststättenerlaubnis wohl wieder nicht bekommen?
00:44:18
Aber Thomas kann es nicht mehr hören und will nicht reden.
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Vor ihrem inneren Auge sieht Karin einen Werkzeugstiel in seiner Hand.
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Er holt aus und schlägt damit auf Helga ein.
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Sie versucht noch, sich zu wehren, aber sie hat keine Chance.
00:44:30
Ihre Oberarme brechen, ihren Kopf trifft er mindestens fünfmal.
00:44:34
Sie schafft es nur, Thomas im Gesicht zu kratzen, bevor sie blutend und bewusstlos zu Boden geht.
00:44:40
Weil Thomas erkennt, dass seine Frau noch atmet, schnappt er sich eine Nylonstrumpfhose,
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schlingt sie um ihren Hals und verschnürt die Strumpfhose wie Geschenkband um ein Paket.
00:44:49
Die Schleife bindet er so fest, dass Helga keine Luft mehr bekommt
00:44:53
und ihr Herz auf ihrem Küchenboden schließlich zum letzten Mal schlägt.
00:44:57
So rekonstruiert auch der Staatsanwalt den Tod ihrer Mutter.
00:45:00
Thomas dagegen lässt über seine Verteidigerin erklären,
00:45:03
dass er nichts mit dem Tode von Helga zu tun habe.
00:45:06
Karin starrt Thomas an.
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Mehr hat er zu der ganzen Sache nicht zu sagen.
00:45:11
Und Karin merkt damals im Gerichtssaal,
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dass sie eigentlich gar nicht unbedingt wütend auf Thomas ist,
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sondern eher enttäuscht von ihm.
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Wieso, haben wir sie gefragt.
00:45:20
Zweimal hat er irgendwie mein Leben zerstört,
00:45:23
als er in die Familie kam, als ich 13 war
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und in dem Alter wirklich gedacht habe,
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ich habe eine ganz normale, kleine, schöne Familie.
00:45:32
Und dann ist er da ins Leben getreten, in unsere Familie
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und hat irgendwie die ganze Familie zerstört.
00:45:39
Und dann, so viele Jahre später, tötet er meine Mutter
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und zerstört einfach nochmal meine bis dann wieder ein bisschen zurechtgerückte Welt.
00:45:47
war dann genau nochmal zerstört.
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Und das kann man gar nicht nachvollziehen, wie das ist,
00:45:52
wenn das durch die gleiche Person zweimal so ein einschneidendes,
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zerstörerisches Ereignis auf einen einwirkt.
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Warum hat er das getan?
00:46:01
Licht ins Dunkel sollen die Menschen bringen, die nacheinander in den Zeugenstand treten.
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In dem Indizienprozess sind ihre Aussagen besonders wertvoll,
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denn Thomas schweigt und es gibt keine unmittelbaren Tatzeuginnen.
00:46:13
Helgas Freundinnen hegen keinen Zweifel, dass der Richtige auf der Anklagebank sitzt.
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Sie sagen aus, Helga schon lange vor Thomas gewarnt zu haben,
00:46:20
er spiele mit ihr und ihrem Geld und er sei ihr nicht treu.
00:46:23
Aber ihre Worte seien ungehört verhallt.
00:46:26
Helga habe das nicht wahrhaben wollen,
00:46:28
habe ihren Thomas trotz dem Schuldenberg, den er angehäuft hat,
00:46:31
und trotz seiner Affäre geliebt.
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Und zum Dank habe er ihr das Leben genommen.
00:46:35
Die Affäre dagegen schildert die Situation etwas anders.
00:46:39
Marianne erklärt, dass Thomas ihr versichert habe,
00:46:41
dass Helga nur das Geschäft im Kopf habe
00:46:44
und sie jeden Abend ihr Geld zählen würde.
00:46:46
Thomas habe Marianne immer wieder gesagt,
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er wolle sich von Helga trennen,
00:46:50
um mit ihr eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.
00:46:52
Nach Mariannes Befragung unterbricht der vorsitzende Richter die Verhandlung
00:46:57
und verlässt den Saal.
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Karin wird unruhig.
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Was hat das zu bedeuten?
00:47:01
Nach ein paar Minuten kehrt der Mann in seiner schwarzen Robe wieder zurück und verkündet,
00:47:06
das Gericht möchte darauf hinweisen,
00:47:08
dass trotz der Anklage wegen Totschlags auch eine Verurteilung wegen Mordes erfolgen kann.
00:47:12
Eine Begründung dafür gibt es nicht,
00:47:14
doch für Karin hören sich diese Worte wie eine Genugtuung an.
00:47:17
Für Mord gibt es, anders als für Totschlag, lebenslang.
00:47:21
Und sie hofft so sehr, dass Thomas so lange wie möglich ins Gefängnis geht.
00:47:26
So, und hier müssen wir jetzt einmal ganz kurz drüber sprechen, weil wir uns gefragt haben,
00:47:29
wie geht das denn so einfach?
00:47:30
Weil die Anklage lautet ja Totschlag.
00:47:32
Und Mord ist ja nun ein Delikt, wo es unter Umständen eine deutlich schwerere Strafe für geben könnte.
00:47:39
Und wie das geht, darum geht es jetzt in unserem Aha und dazu muss man erstmal wissen,
00:47:43
dass eine Anklage unter anderem den Zweck hat, den Prozess auf ein ganz bestimmtes Geschehen,
00:47:49
aber auch auf einen ganz bestimmten Vorwurf zu begrenzen.
00:47:52
Also quasi, es geht hier um Vorwurf XY und nicht um AB.
00:47:56
Und das ist wichtig, weil man sich dann im Verfahren, also zum einen personell,
00:48:01
aber auch sachlich darauf einstellt, also auf das, was verhandelt wird.
00:48:05
Und man will damit unter anderem bewirken, dass der Prozess nicht ausufert.
00:48:08
Also zum Beispiel, A ist wegen versuchten Totschlags an ihrem Ehemann B angeklagt.
00:48:13
B überlebt aber und tritt im Prozess als Zeuge auf.
00:48:16
Und dann packt er dort aus alles, was in der Ehe so schiefgelaufen ist
00:48:21
und darunter dann halt auch strafrechtlich relevante Sachen,
00:48:24
wie zum Beispiel Bedrohung, Beleidigung, Körperverletzung, Nachstellung, was auch immer.
00:48:28
Und, und, und, und, und.
00:48:29
Auch A erzählt aber eine ähnliche Geschichte über B vor Gericht,
00:48:35
sodass dessen Rolle als Zeuge plötzlich unklar ist.
00:48:39
Und wenn wir uns jetzt vorstellen, dass der Sachverhalt und auch die angeklagte Person
00:48:43
vorher nicht durch eine Anklage definiert wird,
00:48:47
dann könnte das Gericht oder die Staatsanwaltschaft,
00:48:50
das als Verpflichtung ansehen,
00:48:51
dass alle diese Vorwürfe, die da im Prozess vorgebracht werden,
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dann auch dort zu verhandeln sind.
00:48:57
Und dann säße man ja bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag da
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und käme zu keinem Ergebnis.
00:49:02
So hat es uns Anwalt Benedikt Müller von der Kanzlei Abel und Kollegen erklärt.
00:49:08
Aber wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat und der Prozess läuft
00:49:12
und sich dann herausstellt, dass der Vorwurf oder der Sachverhalt doch anders ist als gedacht,
00:49:18
dann ist die Frage, ob und wie das Gericht diese Veränderung noch berücksichtigen kann.
00:49:23
Und solche Fälle sind in der Strafprozessordnung mit den Paragraphen 265 und 66 geregelt.
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In 266, da geht es um die sogenannte Nachtragsklage,
00:49:32
beziehungsweise einen nicht mehr im Kontext der Anklage stehenden Sachverhalt,
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den man in die Verhandlung einbeziehen kann, wenn die angeklagte Person dem zustimmt.
00:49:43
Also ein Beispiel, ja, ich komme vor Gericht, weil ich aus Lauras Garage den Hufflepuff-Pullover gestohlen habe.
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Und dann kommt aber erst im Prozess heraus, dass ich bei dem Diebstahl auch noch Sachbeschädigung begangen habe,
00:49:54
weil ich Tage vorher schon mal Lauras Schloss kaputt gemacht habe, um dann halt in die Garage zu kommen.
00:50:00
In der Laura ihr wertvolles Stück aufbewahrt, weil es ihr so, so wichtig ist.
00:50:05
Dann darf das Gericht jetzt nicht in dem einen Prozess sowohl den Diebstahl als auch die Sachbeschädigung verhandeln,
00:50:12
solange ich dem nicht ausdrücklich zugestimmt habe.
00:50:15
Und wenn ich meine Zustimmung verweigere, dann muss wegen der Sachbeschädigung ein zweiter Prozess eröffnet werden.
00:50:21
Also in dem Fall geht es dann quasi um was Zusätzliches.
00:50:24
Im Fall von Helgas Tötung geht es aber nicht um weitere Straftaten oder eine Erweiterung des in der Anklage abgegrenzten Sachverhalts,
00:50:33
sondern, da greift der Paragraf 265 der Strafprozessordnung,
00:50:38
die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts oder der Sachlage.
00:50:42
Denn das, was in Thomas' Anklage steht, also wie die Tat abgelaufen ist, das bleibt ja im Wesentlichen gleich.
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Er ist angeklagt, Helga getötet zu haben.
00:50:51
Aber die Informationen, die Marianne dem Gericht geliefert hat, nämlich, dass sich Thomas für Marianne von Helga trennen wollte,
00:50:56
führen jetzt dazu, dass der Richter nicht mehr nur Totschlag, sondern Mord in Betracht zieht.
00:51:01
Denn laut eines Urteils des Bundesgerichtshofs von 1952 gilt die, Zitat,
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Tötung der Ehefrau als Hindernis eines Liebesverhältnisses, als niedriger Beweggrund.
00:51:11
Und niedrige Beweggründe sind, wie wir wissen, ein Mordmenkmal.
00:51:14
Und da genügt es jetzt, wenn das Gericht in der Verhandlung dann darauf hinweist,
00:51:18
dass die Tat entgegen der Anklage auch als Mord gewertet werden kann.
00:51:21
So hat es der Richter ja auch gemacht.
00:51:22
Und in so einem Fall muss der Angeklagte hier, also Thomas, dann auch nicht zustimmen,
00:51:27
weil hier die Begrenzungsfunktion der Anklage eingehalten wurde.
00:51:30
Ob es letztendlich aber wirklich als Mord bewertet wird, bleibt bis zum Tag der Urteilsverkündung offen.
00:51:36
Karin fährt am 10. Juli zum fünften und letzten Mal zum Landgericht nach Darmstadt,
00:51:40
in der Hoffnung, dass ihr Stiefvater die höchste Strafe erhält, die das deutsche Recht kennt.
00:51:45
Mit Hochspannung schaut sie den Vorsitzenden Richter an, als der verkündet,
00:51:49
dass Thomas nicht wegen Totschlags, sondern tatsächlich wegen des Mordes an Helga verurteilt wird.
00:51:53
Zu lebenslanger Haft.
00:51:56
Als Mordmerkmal nennt er sonstige niedrige Beweggründe.
00:51:59
Die vergangenen vier Verhandlungstage hätten gezeigt,
00:52:02
dass Thomas schlicht kein Interesse mehr an seiner Ehefrau hatte
00:52:05
und viel lieber mit seiner geliebten Marianne zusammen sein wollte.
00:52:08
Allerdings war eine Scheidung für ihn keine Option,
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da Thomas in diesem Fall seinen Wohlstand verloren hätte und leer ausgegangen wäre.
00:52:15
Denn in all den Jahren war Helga diejenige,
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die das Wohnhaus, den Laden, den Weiher und seinen Mercedes überhaupt finanzieren konnte.
00:52:23
Daher fasste Thomas den Entschluss, Helga zu töten, um endlich frei für seine Geliebte zu sein,
00:52:28
aber ohne, dass sich seine Lebensumstände verschlechtern würden.
00:52:31
Vor allem, da Thomas sich als großer Geschäftsmann inszenierte, hält es das Gericht für ausgeschlossen,
00:52:37
dass er freiwillig auf alles, was er bisher hatte, verzichtet hätte.
00:52:41
Daher sah Thomas nur eine Lösung.
00:52:43
Er musste Helga töten, um sich eine sorgenfreie Zukunft mit Marianne aufbauen zu können.
00:52:48
Diesen Wunsch stellt das Gericht als das alleinige Motiv für den Mord fest.
00:52:52
Als Karin den Gerichtssaal verlässt, ist sie erleichtert.
00:52:55
Ihre Mutter wird nicht wieder lebendig, aber zumindest hat ihr Mörder seine gerechte Strafe bekommen.
00:53:00
Thomas geht zwar in Revision und das Verfahren geht bis vor den Bundesgerichtshof,
00:53:04
doch letztlich hat Thomas keinen Erfolg.
00:53:07
Aber auch nachdem der Prozess abgeschlossen ist, ist der Kampf um ein normales Leben für Karin noch lange nicht zu Ende.
00:53:12
Manchmal weiß sie gar nicht, wo ihr der Kopf steht.
00:53:15
Sie muss ihren Alltag bewältigen, sich um ihre Mädchen kümmern, die immer öfter Fragen stellen.
00:53:20
Dass die Oma im Himmel ist, wissen sie inzwischen, aber sie fragen auch nach dem Opa.
00:53:25
Also beziehungsweise hier angeheirateten Opa, aber halt den, mit dem sie ja auch in einem Haus gewohnt haben.
00:53:31
Wie erklärt man sowas kindgerecht?
00:53:33
Karin versucht es behutsam, aber ehrlich.
00:53:37
Ich erinnere mich noch ganz genau an einen Abend, als ich meine Töchter ins Bett gebracht habe.
00:53:41
Eine davon war ja erst fünf, die andere war sieben.
00:53:45
Und die Fünfjährige sagt abends, fragt sie mich, Mama, wo ist denn eigentlich der Opa?
00:53:50
Und dann sage ich zu dem Kind, ja, der Opa ist im Gefängnis.
00:53:55
Dann sagt die Fünfjährige, was man sich echt erst mal vorstellen muss,
00:53:59
besuchen wir denn den Opa mal im Gefängnis?
00:54:02
Und ich sage zu ihr, ich glaube nicht.
00:54:07
Der Opa ist im Gefängnis, weil er was damit zu tun hat, dass die Oma gestorben ist.
00:54:12
Daraufhin sagt meine Tochter, Mama, wenn der Opa aus dem Gefängnis kommt, tötet er uns dann auch.
00:54:19
Und das ist unfassbar, welche Gedanken ein fünfjähriges Kind sich macht, wenn es so eine Geschichte erlebt.
00:54:27
Das will man sich auch gar nicht vorstellen.
00:54:31
Karin hofft inständig, dass die Seelen ihrer Kinder keine tiefen Wunden davon tragen.
00:54:35
Einen merkt sie dagegen, wenn sie sich gut ablenken, denn die Arbeit geht ihr quasi nie aus.
00:54:42
Vormittags kümmert sie sich als Sprechstundenhilfe in der Arztpraxis um die PatientInnen.
00:54:46
Am Nachmittag, wenn ihre Töchter von der Schule und dem Kindergartenheim kommen, unterstützt sie bei den Hausaufgaben und tollt mit ihnen über den Spielplatz.
00:54:54
Dazwischen wird gekocht, geputzt, gewaschen und Karins Dackeltrixi darf auch nicht zu kurz kommen.
00:54:58
Erst am Abend, wenn sie ihre Mädchen mit einem Gute-Nacht-Kuss ins Bett verabschiedet hat, kann Karin durchatmen.
00:55:04
Dann legt sie sich auf die Couch und kuschelt mit Trixi und muss dabei unweigerlich an ihre Mutter denken.
00:55:09
Auch Helga hatte die Dackeldame mit den kurzen Beinen sofort ins Herz geschlossen,
00:55:13
als Karin sie vor einigen Jahren aus dem Tierheim geholt und sich damit einen Kinderwunsch erfüllt hat.
00:55:19
Damals, als ihre Welt noch in Ordnung war, weil ihre Mutter noch am Leben und ihr Stiefvater noch kein Mörder war.
00:55:24
Doch jetzt ist alles anders und Karin merkt, dass sie diesen Schmerz trotz der Unterstützung von FreundInnen und ArbeitskollegInnen alleine nicht tragen kann.
00:55:33
Sie sucht sich Hilfe bei einer Therapeutin und bemüht sich um eine Opferentschädigung.
00:55:37
Dabei ist die finanzielle Entschädigung für sie Nebensache.
00:55:41
Karin ist froh, endlich als Opfer anerkannt zu werden.
00:55:44
Schließlich hat der Mord an ihrer Mutter und noch dazu die Tatsache, dass ihr eigener Stiefvater der Mörder war, ihr Leben komplett aus seinen Angeln gehoben.
00:55:51
Allerdings könnte sie Geld gut gebrauchen, denn durch Helgas Tod erbt sie eine Million Mark Schulden.
00:55:57
Karin ist entsetzt, dass der Schuldenberg so hoch ist.
00:56:00
Es stellt sich heraus, dass die Bank das Haus in der Goethe-Straße weit über seinen Wert hinaus belastet hat.
00:56:06
Der Laden in der Garage, den Thomas damals wieder schließen musste, den größeren Laden, den Helga für ihn angemietet hatte, den Weiher, den sie gekauft hatte, das ersteigerte Gebäude, das sie bezahlt hatte und der gelieste Mercedes, haben eine gewaltige Schuldensumme hinterlassen, die eine immense Belastung für die Alleinerziehende ist.
00:56:22
Aber das Erbe auszuschlagen ist keine Option.
00:56:25
Dann würde sie das tun, käme alles, was von ihrer Mutter noch übrig ist, unter den Hammer.
00:56:30
Dann dürfte sie keinen Schmuck und keine Erinnerungsstücke von ihr behalten.
00:56:33
Und noch schlimmer, dann könnte Karin nicht mit ihren Töchtern in der Goethe-Straße wohnen bleiben.
00:56:38
Trotz allem möchte sie ihren Mädchen einen Tapetenwechsel nicht zumuten.
00:56:44
Karin bemüht sich trotz allem wieder in einen ganz normalen Alltag zurückzufinden.
00:56:48
Mit der Zeit gelingt ihr das immer besser.
00:56:50
Doch mit jedem Jahr, das vergeht, weiß sie, dass der Tag näher rückt, an dem Thomas seine Strafe abgesessen hat.
00:56:57
Eines Abends, im Jahr 2010, ist Karin auf ihrer täglichen Gassi-Runde.
00:57:01
Dackeldame Trixi ist inzwischen gestorben.
00:57:04
Dafür laufen jetzt Amy und Bobby bei Karin an der Leine.
00:57:08
Als sie mit den beiden Hunden wieder in die Goethe-Straße einbiegt, erkennt Karin auf dem Gehweg den Mann,
00:57:13
dem sie zuletzt vor 14 Jahren im Gerichtsaal gegenüber saß.
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Karins Nackenhaare stellen sich auf.
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Ihr Körper schaltet auf Autopilot.
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In Sekundenschnelle stürmt sie mit den Hunden in die nächste Einfahrt und versteckt sich hinter parkenden Autos.
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Aus sicherer Entfernung beobachtet sie, wie Thomas an dem Haus vorbeigeht,
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in dem er ihre Mutter getötet hat und in dem Karin noch immer wohnt.
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Dann verschwindet er in der Dämmerung.
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Karin ist fix und fertig.
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Es dauert, bis sie sich sicher ist, dass Thomas nicht mehr zurückkommen wird
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und sie sich traut, nach Hause zurückzukehren.
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Es ist das letzte Mal, dass Karin in irgendeiner Form Kontakt zu ihrem Stiefvater hat.
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Zwei Jahre später schließt Karin mit dem Kapitel Goethe-Straße buchstäblich ab.
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Sie verkauft das Haus, in dem ihre Mutter zu Tode kam, und verlässt die Stadt.
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Sie kann es nicht mehr ertragen, ständig als die Frau erkannt zu werden,
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deren Stiefvater ihre Mutter umgebracht hat.
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Und so flüchtet sie in die Anonymität.
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In einer kleineren Stadt, in der niemand von ihrem Schicksal weiß,
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kauft sie ein über 100 Jahre altes Häuschen im Grünen.
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Ihr neuer Mann und sie renovieren es in Eigenregie und schaffen so,
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zwischen Bauernhöfen und Feldern, ein neues Zuhause für sich und die Dackel.
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Es ist ein Ort ohne die dunklen Erinnerungen und auch einer, dessen Türen ihren inzwischen erwachsenen Töchtern immer offen stehen.
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Denn anders als ihre eigene Mutter legt Karin größten Wert darauf, dass ihre Mädchen immer an erster Stelle stehen, egal was passiert.
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Heute ist Karin 60 Jahre alt.
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Vier Jahre älter als ihre Mutter, als sie damals starb.
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Die furchtbaren Bilder, die sich vor 30 Jahren in ihr Gedächtnis gebrannt haben, sind mit der Zeit blasser geworden.
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Karin grübelt nicht mehr darüber, was gewesen wäre, wenn.
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Von ihrer Therapeutin hat sie gelernt, dass es leider nicht auf jede Frage eine Antwort gibt
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und dass es keinen Sinn ergibt, im Konjunktiv herumzustochern, wie sie uns verraten hat.
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Es bleibt zu sagen, dass man daraus feststellt, man kann keinem Menschen in den Kopf schauen.
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Man sieht immer nur vor die Stirn und nicht dahinter.
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Und egal, was man erlebt hat, man ist nie von nichts sicher.
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Und wenn man noch so gut ist für die Welt, so wie meine Mutter, die wirklich niemandem was Böses wollte,
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die immer nur an andere gedacht hat und ganz selten an sich ausgerechnet, so ein Tod für sie ist schrecklich.
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Und auch für mich ist es bis heute noch unfassbar und immer wieder aufs Neue schrecklich,
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dass sowas einem geliebten Menschen passiert, den man danach nie wieder sieht und den man auf so eine schreckliche Weise verliert.
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Sie konzentriert sich darauf, nicht mehr in der Vergangenheit, sondern im Hier und Jetzt zu leben
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und auf das, was sie aktiv beeinflussen kann, wie die Beziehung zu ihren Töchtern und ihren mittlerweile drei Enkelinnen.
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An den Mörder, ihren Stiefvater, will Karin keinen Gedanken mehr verschwenden.
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Trotzdem verdrängt sie ihre Familiengeschichte nicht.
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Karin hat akzeptiert, dass sie zu ihr gehört.
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Heute ist sie stolz auf ihr zweites Leben, das nach dem Mord an ihrer Mutter begann
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und das sie aus eigener Kraft für sich und ihre Töchter bewältigt hat.
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Und in diesem Leben hat auch ihre Mutter noch immer einen Platz.
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Immer, wenn Karin in den Spiegel sieht, erkennt sie in ihrem eigenen Gesicht die Augen, die Nase und die Mundpartie ihrer Mutter.
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Und auch charakterlich hat Karin über die Jahre immer mehr Züge ihrer Mutter an sich entdeckt.
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Nicht nur ihre Gutmütigkeit hat sie von Helga geerbt.
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Früher hat Karin gelacht, wenn ihre Mutter mal wieder ohne Punkt und Komma erzählt hat.
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Wenn Karin heute von ihren Töchtern ermahnt wird, noch endlich mal zum Punkt zu kommen, muss sie schmunzeln.
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Ich bin wie meine Mutter, denkt sie dann.
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Und ab und zu, wenn ihr Helga sehr fehlt, holt Karin eine 30 Jahre alte Schachtel hervor.
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Darin bewahrt sie die Schals ihrer Mutter auf.
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Wenn Karin den Deckel hebt, strömt ihr der Duft entgegen, von dem sie nie genau wissen wird, wie er sich zusammensetzt,
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aber von dem sie ganz genau weiß, dass er den Namen Mama trägt.
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Thomas hat Helga das Leben genommen, aber er kann ihr die Mutter niemals ganz aus dem Leben reißen.
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Also ich finde, was dieser Fall auch wieder zeigt, ist, wie so kleine Entscheidungen im Leben
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das ganze Leben in andere Richtungen bringen kann.
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Ich meine, Helga war Mutter, Ehefrau, die haben zusammen gelebt, die hatten ein ganz normales Leben geführt
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und dann kommt dieser Mann, ist plötzlich da, steht vor ihr und alles verändert sich.
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Ihre Tochter wohnt nicht mehr bei ihr, aber alles für diesen Mann und sie war ja auch offenbar so verliebt in ihn,
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dass sie das alles auf sich genommen hat und ihr Leben so verändert hat für ihn.
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Und dann kann ihre Tochter von außen nur mit ansehen, wie das immer mehr in die falsche Richtung läuft,
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aber kann ihr auch nicht helfen, weil sie so doll in diesen Mann verliebt ist, der ihr so viel nimmt.
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Ja, und das finde ich eigentlich auch das Fiese daran ist, dass er ihr ja am Anfang zumindest aus ihrer Sicht sehr, sehr viel gegeben hat.
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Also sie war ja offenbar vorher nicht zufrieden mit ihrem Leben oder wusste vielleicht auch gar nicht,
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dass sie nicht so zufrieden war und hat dann diesen Mann getroffen und auf einmal war für sie alles klar,
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okay, ich muss alles hier in meinem Leben ändern, der ermöglicht mir hier mit einer Leidenschaft zu leben und der macht mein Leben aufregend.
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Und dann am Ende nimmt er ihr das Leben, dass sie durch ihn eigentlich so viel mehr gemocht hat als ohne ihn.
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Ja, und vor allem auch für Karin, die als junges Mädchen, als Kind das mit ansehen musste, wie ihre Mutter sich sozusagen für ein anderes Leben entschieden hat.
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Dann haben sie wieder Kontakt aufgenommen, gerade so, ne, und haben wieder zueinander gefunden.
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Und da wird ihr ihre Mutter ein zweites Mal weggenommen und zwar für immer.
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Und dann, ja, das ist ja so oft so, wenn wir darüber reden, über Opferschutz, Täterschutz und wie generell das System funktioniert.
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Und sie hat das jetzt am eigenen Leib auch wieder erfahren müssen.
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Ja, wie schwierig das ist auch für Angehörige, diesen ganzen Prozess durchzustehen,
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diesem Menschen gegenüber zu sitzen, der für so viel Leid verantwortlich ist.
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Und dann noch darum kämpfen zu müssen, irgendwie vom Staat auch als Opfer anerkannt zu werden.
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Denn es war so, das hat uns Karin auch erzählt, dass sie sich nach dem Prozess um Opferentschädigungen bemüht hat,
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weil sie auch so schlecht ging danach.
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Und dann war es aber so, dass das Sozialgericht ihren Schockschaden nicht anerkannt hat.
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Und zwar haben sie dann als Begründung genannt, weil sie ja im ersten Moment gedacht hat,
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ihre Mutter hätte sich suizidiert und wäre nicht umgebracht worden.
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Und das war dann die Begründung, dass sie deswegen ja keinen Schock erlitten hätte.
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Also das hat sie uns so erzählt.
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Also gab es auch nach dem Prozess quasi noch einen Kampf darum, überhaupt als Opfer wahrgenommen zu werden.
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Genau, das hören wir hier ja immer wieder.
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Also das passiert so vielen Opfern, dass sie sich danach nochmal durch Behörden ein zweites Mal zum Opfer gemacht fühlen.
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Und Karin hatte dann auch noch erzählt, dass es da Schwierigkeiten gab, dass ihr das Trauma, was sie erlitten hat, auch als solches anerkannt wird.
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Und da habe man Karin, so hat sie uns das gesagt, die können nicht feststellen, ob sie wirklich ein Trauma erlitten hat,
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weil die passenden Antworten zu einer Traumadiagnose, die hätte sie ja leicht im Internet rausfinden können.
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Ja, wo man sich auch noch so denkt, also diese Person hat ihre Mutter verloren durch ein Tötungsdelikt und dann hört es sich irgendwie so an
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oder man kriegt das Gefühl, sie will hier versuchen, irgendwie jemanden, um Geld zu betrügen, weißt du, was ich meine?
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Also um irgendwie Geld zu bekommen, sich jetzt hier als Opfer darzustellen oder sowas.
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Und vor allem von dem Geld, was man da durch Opferentschädigungen und so bekommt, da kann man sich kaum eine Therapie von leisten, also davon mal abgesehen.
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Ja, und das ist ja auch ein Grund, warum uns Karin den Fall gerne erzählen wollte, weil sie halt auch zeigen wollte, welche Schicksalsschläge Menschen erleiden können,
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welche Päckchen sie deswegen mit sich rumtragen müssen und auch, was nach so einer Tat alles passiert und was für Steine einem da in den Weg gelegt werden.
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Und sie hat uns auch erzählt, dass sie sich mehr Sensibilität wünscht im Umgang mit anderen Menschen, weil man nie weiß, was das Gegenüber vielleicht alles schon durchmachen musste, ja.
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Ja, eine von Helgas Enkelinnen hat sich bei uns gemeldet, also eine Tochter von Karin und dafür wollen wir uns auch nochmal bedanken für das viele Vertrauen, das uns da entgegengebracht wurde.
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Ja, da fühlen wir natürlich auch eine ganz große Verantwortung dann und sind sehr dankbar, dass uns immer wieder Menschen so tief in ihre Familiengeschichten reingucken lassen,
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auch wenn die, wie in diesem Fall, ganz schlimme Ereignisse mit sich gebracht haben.
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So, für die nächste Folge schließe ich eine Wette ab, dass das Verbrechen, was wir da behandeln, da habt ihr alle schon mal von gehört,
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aber vermutlich kennen sehr viele, sehr viele Details nicht davon, mit denen wir uns nächstes Mal beschäftigen.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Rohlers.
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Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
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Schnitt Pauline Korb.
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Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.