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#167 911: terror aus hamburg

Mordlust.
Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
ordnen den für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte.
Und wir sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
So, normalerweise gibt es bei Mordlust ja jede Woche ein neues Verbrechen.
Dieses Mal machen wir aber eine Ausnahme.
Und es wird wieder um die Terroranschläge vom 11. September 2001 gehen.
Die ähren sich nämlich heute genau zum 23. Mal.
Und falls ihr euch jetzt fragt, wieso wir jetzt schon wieder darüber reden wollen
und ob das nicht eigentlich alles schon letzte Woche gemacht wurde.
Nee, weil dieser Fall ist einfach so umfangreich.
Und wir haben uns für eine Zweiteilung entschieden,
um nochmal eine andere Geschichte von 9-11 erzählen zu können.
Genau, also letzte Woche, ihr erinnert euch dran, da ging es um die Opfer
und das Chaos, was dann in New York ausgebrochen ist.
Aber vor allem natürlich um das, was in den Flugzeugen passiert ist.
Da hatten wir uns nur auf die Flugzeuge fokussiert.
Und heute erzählen wir, wie es überhaupt zu diesem Jahrhundertverbrechen kommen konnte.
Also heißt, wir erzählen ausnahmsweise mal in einer ganzen Folge von den Menschen,
die dafür verantwortlich sind, was da passiert ist.
Und schauen uns an, wie aus teilweise ganz normalen Studenten
die Terroristen des 11. September wurden.
Hier geht es heute also um Terror, made unter anderem in Hamburg.
Laura, kannst du dich noch an den 11. September 2001 erinnern?
Also weißt du noch, was du damals gemacht hast, als du von den Anschlägen mitbekommen hast?
Ja, ich weiß das noch ganz genau.
Und zwar stand ich auf dem Tennisplatz.
Das war ja an einem Dienstagnachmittag und ich war ja erst 10.
Das heißt, ich hatte nicht so lange Schule.
Und relativ schnell nach der Schule wurde ich dann zum Tennisplatz gefahren.
Und da habe ich das dann zum ersten Mal gehört.
Und ich hatte ja vorher noch nie vom World Trade Center gehört.
Von daher habe ich mir das ja auch irgendwie vorgestellt, dieses Gebäude.
Und in meinem Kopf war das World Trade Center für mich einfach so ein Gebäude,
das nicht hoch ist, sondern wie so ein Center, wie man sich das vielleicht vorstellt.
So ein Einkaufszentrum.
Ja, sowas, genau.
Und weil Trade, das wusste ich dann schon, was es ungefähr heißt, also Handel.
Und deswegen habe ich mir was ganz anderes darunter vorgestellt, als was ich dann tatsächlich am Ende gesehen habe.
Genau, ich habe mich jetzt gerade gefragt, so ein Einkaufszentrum ist ja jetzt nicht so riesig.
Kam das in deinem Kopf zusammen, die Reaktion der Erwachsenen?
Weil daran wirst du dich ja sicherlich auch noch erinnern können, weil du selbst wirst es ja wahrscheinlich nicht eingeschätzt haben können,
was für ein Ausmaß das hat.
Und du wusstest ja wahrscheinlich nur, dass das eine große Sache ist, weil die Erwachsenen das dann so eingeordnet haben.
Total, also ich hatte schon direkt das Gefühl, das ist was Besonderes und was Wichtiges ist.
Aber weil ich vorher auch noch nie davon gehört hatte, war das für mich alles so ein bisschen okay.
Was bedeutet das jetzt eigentlich alles?
Aber die Tragweite oder so, die konnte ich natürlich noch gar nicht, überhaupt nicht mal ansatzweise begreifen.
Nur vom Hören sagen, dass da Flugzeuge ins World Trade Center geflogen sind.
Ich weiß noch, ich war mit meiner Schulfreundin Corinna bei mir zu Hause und damals hatte man ja Anrufbeantworter
und ich habe gesehen, dass jemand draufgesprochen hatte, habe also abgehört und die beste Freundin von meiner Mutter
klang halt super betroffen und sagte, ja, habt ihr das mitbekommen, was da gerade passiert ist in Amerika?
Und wenn nicht, macht mal den Fernseher an und das ist ja alles so schlimm.
Und ich dachte, was ist denn jetzt los?
Wir haben also Fernsehen angemacht und sehen halt diese rauchenden Türme da.
Und wir haben das natürlich gar nicht verstanden.
Also erst mal wusste ich auch gar nicht, was das World Trade Center ist.
Aber dieser Eindruck von den Bildern, der bleibt in dem Moment ja so doll hängen.
Und dann weiß man natürlich schon, wenn man das sieht, da ist jetzt was passiert, was Auswirkungen auf die Welt haben wird,
wenn es sogar bis zu uns übertragen wird.
Ja, und ich weiß auch noch genau, dass ich dann, als ich dann nach Hause kam und wir den Fernseher auch angeschaltet haben,
dass ich da wie so eine, ja so fasziniert einfach diesen Bildschirm angeglotzt habe.
Ich konnte, ich saß da gefühlt, dass ich da fünf Stunden dann einfach unten bei meinem Bruder im Zimmer auf dem Boden
und habe diesen Fernseher da angeguckt.
Und ich weiß es nicht mehr, aber ich glaube, dass ich da auch schon die Bilder gesehen habe,
wo Leute da rausgesprungen sind aus den Türmen.
Und ich glaube, wenn man sowas als Zehn- oder Elfjährige sieht, dass das einem auf jeden Fall krass schockiert irgendwie,
weil man auch was Ähnliches noch nie gesehen hat.
Nicht mal in einem Actionfilm oder sowas, weil man als Zehnjährige sowas auch noch nicht gesehen hat.
Ja, und was ich auch immer wieder erstaunlich finde, ist, dass, also eigentlich egal, mit wem du sprichst,
so Menschen ab unserem Alter aufwärts, die können dir eigentlich immer sagen, wie sie davon erfahren haben.
Und das liegt daran, dass unser Gedächtnis so funktioniert, dass wir uns an Situationen und Momente,
die uns sehr berührt haben, halt besonders gut erinnern können.
Also Emotionen sind ja Erinnerungskeeper und selbst Jahre oder Jahrzehnte später noch.
Und der amerikanische Psychologie-Professor William Hurst hat in Bezug auf Erinnerungen,
die wir an Katastrophen oder solche Verbrechen wie 9-11 haben, den Begriff Flash-Balb-Memory geprägt.
Auf Deutsch sagt man Blitzlichterinnerungen.
Und diese Blitzlichterinnerungen sind eigentlich weniger Erinnerungen an das, was genau passiert ist,
sondern viel mehr Erinnerungen an die Umstände. Also wie haben wir davon erfahren? Wo waren wir da?
Was haben wir da gerade gemacht? Und vor allem, wie haben wir uns dann dabei gefühlt?
Und solche Blitzlichterinnerungen lassen sich unter anderem in Bezug auf 9-11 beobachten,
aber auch nach anderen so Weltereignissen, für die wir jetzt ein bisschen zu jung sind.
Ja, so kennen die Ermordung oder die Challenger-Katastrophe, als dieses Space Shuttle damals nach dem Start explodiert ist.
Und ich meine, ich werde mich ja auch immer daran erinnern, wie ich erfahren habe, dass die Queen gestorben ist.
Das lag aber natürlich auch an der charmanten Rüberbringung deinerseits.
Ja, ich hatte Paulina da unterrichtet mit der Zusatzinfo, dass Megan jetzt deswegen nicht auf einer Veranstaltung auftritt, auf der ich war.
Und das fand ich traurig.
Und Paulina hat es so verstanden, als wäre das jetzt die größere Tragödie.
Für dich persönlich war es so.
Naja, ihr erinnert euch, in der letzten Folge haben wir an der Stelle aufgehört, als das FBI am 11. September 2001 am Flughafen in Boston etwas entdeckt,
was eine wichtige Rolle für die Ermittlungen und die Aufarbeitung der Terroranschläge spielen wird.
Und genau hier setzen wir jetzt auch wieder an.
Und noch ein kurzer Hinweis vorab, wir haben es heute mit vielen arabischen Namen zu tun.
Wir geben unser Bestes und haben auch recherchiert, wie man die alle ausspricht.
Wenn unsere Aussprache an der einen oder anderen Stelle aber trotzdem nicht perfekt ist, dann seht uns das bitte nach.
11. September 2001
Einige Stunden nach den Anschlägen
Dunkelblau, kompakt und schlicht.
Auf den ersten Blick wirkt die Reisetasche völlig unscheinbar und gewöhnlich.
Dass sich nun mehrere FBI-ErmittlerInnen hier am Flughafen in Boston um sie herum versammelt haben, hat jedoch einen guten Grund.
Es ist ein Gepäckstück, das am frühen Morgen bereits in Portland aufgegeben worden war
und nach seiner Ankunft nicht rechtzeitig an Bord des American Airline-Flugs 11 umgeladen wurde.
Dem Flugzeug, das heute Morgen in den Nordturm des World Trade Centers gesteuert wurde.
Die BeamtInnen werfen einen Blick hinein.
Nach und nach ziehen sie die wenigen Dinge heraus, die sich darin befinden.
Ein Klappmesser beispielsweise, ein Pfefferspray, aber auch zwei Briefe.
Briefe, die mit blauer Tinte geschrieben und auf Arabisch verfasst wurden.
Und auf denen der Name des Verfassers vermerkt ist.
Mohammed Atta.
Die ErmittlerInnen lassen die Dokumente übersetzen.
Und dabei zeigt sich, sie hat nicht nur das Testament eines strenggläubigen Mannes in den Händen,
sondern auch einen Leitfaden.
Ein Schreiben, das Anweisungen und Versprechungen beinhaltet.
Das ebenso vom Krieg wie vom ewigen Paradies spricht.
Und das ihnen klar macht, der Mann, dem die Tasche gehört, wusste ganz genau, welches Schicksal Flugelf ereilen würde.
Denn er hat es besiegelt.
Etwa neun Jahre zuvor.
An der Technischen Universität Hamburg-Harburg strömen pünktlich zum Semesterbeginn zahlreiche Studierende durch die Türen in den roten Backsteinbau mit den begrünten Dächern.
So auch Mohammed Atta.
Der junge Ägypter betritt an diesem Tag im Juli 1992 zum ersten Mal den Campus.
Doch das Gelände ist nicht das einzige Neuland für ihn.
Mohammed ist erst seit kurzer Zeit in Deutschland.
Vor wenigen Tagen hat er sich in ein Flugzeug gesetzt, um seine ägyptische Heimat vorübergehend hinter sich zu lassen und vom Nil an die Elbe zu wechseln.
Nach seinem Abschluss in Ingenieurwesen an der American University in Kairo will Mohammed nun, mit einem Stipendium in der Tasche, in Hamburg seine akademische Laufbahn fortsetzen.
Dafür hat er in den vergangenen Monaten fleißig zu Hause Deutsch gelernt.
Und mittlerweile beherrscht er die Sprache so gut, dass er sich gleich ein ganzes Studium zutraut.
Der 23-Jährige mit dem dunklen Kurzhaarschnitt und den buschigen Augenbrauen kommt aus konservativen Verhältnissen.
Während seine Mutter die Rolle der Hausfrau erfüllt, arbeitet sein Vater als Anwalt.
Ihm beruflich nachzueifern, das kam für Mohammed jedoch nie in Frage.
Sein Herz schlägt nicht für Gesetze und Paragraphen, sondern für Architektur.
Genauer gesagt, für die islamische Architektur.
Seit Jahren beschäftigt Mohammed der Verfall von Altstadtvierteln in arabischen Großstädten wie Kairo.
Mohammed stimmt es traurig zu sehen, dass sich offenbar niemand um die heruntergekommenen orientalischen Häuser kümmert,
und sie immer maroder werden, bis sie schließlich tristen Hochhäusern westlicher Bauunternehmen weichen.
Für Mohammed sind diese Gebäude nicht nur hässlich, sie sind seelenlos.
Er ist der Meinung, dass es Wege der Sanierung geben muss, um die traditionellen Bauten zu erhalten.
Und wie das funktionieren kann, das hofft er nun hier in Hamburg zu erfahren,
indem er den Diplomstudiengang Stadtplanung und Städtebau belegt.
In den kommenden Jahren, so hat der 23-Jährige es sich vorgenommen,
wird er sich also voll und ganz auf sein Studium konzentrieren
und die Lehrbücher nur für eins beiseite legen, um zu beten.
Mohammed ist ein frommer Muslim.
Seit er denken kann, spielt der Islam eine zentrale Rolle in seinem Leben.
Fünfmal am Tag rollt Mohammed seinen kleinen Gebetsteppich aus,
um sich an seinen Gott, an Allah, zu richten.
Und auch der Koran, das heilige Buch des Islams, ist kein verstaubtes Requisit in einem Bücherregal,
sondern eine Lektüre, in der er oft liest.
Ein guter Muslim sein, das ist Mohammed wichtig.
Und daran soll sich auch hier, in seiner neuen westlichen Heimat auf Zeit, nichts ändern.
Nach einer ersten Eingewöhnungsphase findet Mohammed sich zügig an der Universität zurecht.
Bereits nach wenigen Tagen wird er nicht mehr orientierungslos durch die Gänge,
sondern geht zielstrebig elegant gekleidet in Hemd und Sakko zu den Vorlesungs- und Kursräumen.
So fällt Mohammed seinen DozentInnen auf.
Und auch, weil er sich regelmäßig einen Platz in der ersten Reihe sichert.
Auch in puncto Leistung ist er ganz weit vorne mit dabei.
Mohammed ist ein Vorzeigestudent.
Er ist fleißig, wissbegierig und ehrgeizig.
Jedes Mal, wenn ein Dozent oder eine Dozentin eine Frage stellt,
auf die er eine Antwort kennt, schnellt sein Arm nach oben.
Mohammeds Ehrgeiz gleicht schon fast Verbissenheit.
Er will der Beste sein. Und sein Notendurchschnitt zeigt, er ist auf dem richtigen Weg.
Allerdings macht ihn das auf dem Campus zum Einzelgänger.
Zu Mitstudierenden pflegt Mohammed nur sporadischen Kontakt.
Daran ändert sich auch in den kommenden vier Jahren seines Studiums nichts.
Stören tut das Mohammed nicht.
Sein soziales Leben spielt sich ohnehin woanders ab.
Nämlich dort, wo er auf Gleichgesinnte trifft.
Seit einiger Zeit besucht Mohammed die Al-Quds-Moschee im Hamburger Stadtteil St. Georg.
Gelegen zwischen Asier, Supermarkt und Fitnessstudio hat das schlichte Gebäude nichts mit den prunkvollen
Gotteshäusern gemeint, die er aus Kairo kennt.
Doch darüber kann Mohammed hinwegsehen.
Was für ihn zählt, ist einen Ort zu haben, an dem er seinen Glauben aktiv praktizieren kann.
Wo er sich Allah nahe fühlt und gemeinsam mit anderen Männern, die dem Islam angehören, beten kann.
Der 22-jährige Libanese ist für Mohammed mittlerweile vom Glaubensbruder auch zum Freund geworden.
Siad gehört zu den Menschen, die nicht nur Ja zu Gott sagen, sondern zum Leben generell.
Er ist eine Frohnatur und genau wie Mohammed nimmt er sein Studium der Flugzeugtechnik sehr ernst und hofft auf eine akademische Karriere.
Und dann wären da noch der 25-jährige Ramzi aus dem Jemen und der deutsch-marokkaner Saeed, die mittlerweile auch zum Freundeskreis gehören.
Häufig platzieren die vier Männer in der Moschee ihre Gebetsteppiche nebeneinander, bevor sie sich darauf setzen, um im Schneidersitz den Worten des Imams zu lauschen.
Worte, mit denen er zum gemeinsamen Gebet aufruft, aus dem Koran zitiert und über Allah und den Propheten Mohammed spricht.
Doch das eigentliche Lieblingsthema des Imams scheint ein anderes zu sein, nämlich die Menschen außerhalb der islamischen Glaubensgemeinde.
Oder wie er sie nennt, die Ungläubigen.
Immer wenn der Imam auf sie zu sprechen kommt, schlägt sein Tonfall um.
Laut wettert der Prediger dann gegen die westlichen Länder, ihre BewohnerInnen und Regierungen.
Sie alle seien eine Bedrohung für die islamische Welt, macht er klar.
Schließlich würden sie versuchen, Muslime zu unterdrücken, auszubeuten, gar auszurotten.
Seine Hastiraden richten sich daher an alle Andersgläubigen.
Menschen, die seiner Ansicht nach getötet werden sollten.
Zitat
Christen und Juden sollten die Kehlen aufgeschlitzt werden, brüllt er in die lauschende Menge.
Boah, nee, das ist so krass.
Dann zeichnet er ein weiteres Feindbild.
Solange in Amerika Muslime in Gefängnissen einsitzen, ruft er, müssen wir die Amerikaner bekämpfen.
Es sind Aussagen, die zu energischem Kopfnicken bei vielen der anwesenden Männer in der Moschee führen.
So auch bei Mohammed.
Für den jungen Ägypter sind solche Aussagen nicht neu.
Bereits in seiner Kindheit hat sein Vater als bekennender Nationalist immer wieder am Essenstisch gegen den Westen gepoltert.
Allen voran gegen die USA.
Regelmäßig wurde in der beschaulichen Wohnung in Kairo kritisiert, gehetzt und geschimpft.
Man könnte fast sagen, eine anti-westliche Haltung wurde Mohammed anerzogen.
Doch das hier geht noch viel weiter.
Die Worte des Imams holen Mohammed nochmal auf eine andere Weise ab.
Er fühlt sich irgendwie verstanden.
Denn auch wenn sein Studium soweit gut läuft, gibt es hier in Hamburg einige Dinge, die ihm übel aufstoßen.
Die freizügige Kleidung der Menschen zum Beispiel, allen voran von Frauen.
Aber auch ihre Gewohnheiten und Lebensmodelle.
So war Mohammed beispielsweise fassungslos, als er erfuhr, dass die Tochter des alten Ehepaares, bei dem er zur Untermiete ein Zimmer bewohnt, ein unehrliches Kind.
Und auch die Gerichte mit Schweinefleisch, die regelmäßig in der Kantine der Universität serviert werden, erwecken in ihm seit Beginn seines Studiums Unverständnis und Ekel.
Das Fleisch eines so unreinen Tieres hat auf dem Speiseplan nichts zu suchen.
Seinen Unmut darüber äußert er auch gegenüber den Angestellten der Kantine immer wieder.
Eines Tages, Mohammed tauscht sich gerade mit seinen Freunden Siad, Ramzi und Said in der Moschee über die Predigt aus, die sie gerade gehört haben, gesellt sich ein weiterer Mann zu ihnen.
Ein Mann mit großer, kräftiger Statur und einem dichten, schwarzen Bart.
Mohammed hat ihn schon öfter hier in der Moschee gesehen.
Mohammed Haider Samar, stellt sich der Mann vor.
Und Mohammed macht da weiter, wo der Imam soeben aufgehört hat.
Mit der Hetze gegen den Westen.
Wer hat die Atombombe erfunden, möchte er von den anderen wissen.
Die Amerikaner, antwortet er selbst.
Dann schiebt er hinterher, wer sind die größten Terroristen.
Richtig, die sogenannte zivilisierte Welt.
Dann drückt er Mohammed und den anderen eine Broschüre in die Hand.
Neugierig beginnt Mohammed die Zeilen zu lesen, die vor allem eins zum Thema haben.
Den Krieg gegen die Ungläubigen.
Den sogenannten Dschihad.
Mohammed erklärt, dass es die Pflicht eines jeden Muslims sei, sich diesem Krieg anzuschließen, um den Unterdrückern der islamischen Welt die Stirn zu bieten.
Nur wer diesen Krieg führe, macht er klar, sei ein guter Muslim.
Ein Satz, der Mohammed aufhorchen lässt.
Denn wenn er eines unbedingt will, dann ist es ein guter Muslim zu sein.
Diesen Krieg, den Dschihad, von dem der Mohammed da erzählt, auf den wollen wir im Aha kurz mal ein bisschen genauer eingehen.
Für alle, die das zwar mal gehört haben, aber nicht so wirklich wissen, was das ist.
Dafür müssen wir allerdings erstmal einen Schritt zurückgehen und uns mal klar machen, was für Kreise das sind, in denen Mohammed sich da jetzt bewegt.
Die Al-Quds-Moschee gilt damals, also Mitte der 90er, als Treffpunkt der islamistischen Szene in Hamburg.
So und wichtig dabei jetzt nicht islamische Szene, sondern der islamistischen Szene.
Islamismus und Islam, das sind unterschiedliche Dinge.
Das Wort Islam meint nämlich die Religion und zwar nur die Religion.
Und Islamismus ist eine extremistische Ideologie.
Und zwar die, in der Muslime den Islam instrumentalisieren, um politische Ziele zu verfolgen.
IslamistInnen sind nämlich der Ansicht, dass die Regeln des Islams, also das, was im Koran steht, die Basis einer Gesellschaft und verpflichtend für alle Menschen gelten sollte.
Also bedeutet, der Islamismus will genau das, was das deutsche Grundgesetz ja verbietet, nämlich Religion und Politik miteinander zu vermischen.
Laut Verfassungsschutz gehen IslamistInnen sogar so weit, dass sie, Zitat, die teilweise oder sogar vollständige Abschaffung der demokratischen Grundordnung wollen.
Also sprich, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, Gleichberechtigung, das alles soll abgeschafft werden, wenn es nach den IslamistInnen geht.
Und das ist nicht nur verfassungsrechtlich ein echtes Problem, sondern auch problematisch fürs gesellschaftliche Miteinander.
Weil das natürlich auch was mit dem Image der muslimischen Gemeinschaft generell macht.
Also dass dann Vorurteile entstehen und auch Muslimfeindlichkeit geschürt wird.
Voll. Und ein weiteres Ziel von IslamistInnen ist übrigens, islamische Staaten von nicht-muslimischer Einflussnahme zu befreien.
Also sowohl von jetzt liberalen Regierungen, die Religionen aus ihren politischen Entscheidungen außen vor lassen,
als auch von westlichen Staaten, die in islamischen Ländern mitmischen.
Und wie jetzt genau diese Befreiung aussehen soll, da ist man sich im Islamismus aber uneinig.
Also die einen setzen da auf friedliche Mittel, wie zum Beispiel jetzt Demonstrationen,
aber andere rufen ganz eindeutig zu Gewalt auf.
Also beziehungsweise zu diesem bewaffneten Glaubenskrieg, dem sogenannten Dschihad,
der ja auch in der Broschüre beworben wird, die Mohammed und seine Freunde da jetzt überreicht bekommen.
Dschihadismus nennen WissenschaftlerInnen diese extremistische Bewegung innerhalb des Islamismus.
So auch Dr. Guido Steinberg, der Experte unserer heutigen Folge.
Steinberg ist Islamwissenschaftler und forscht an der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik
zu den Themen Islamismus und islamistischer Terrorismus.
Steinberg hat uns erklärt, dass das Wort Dschihad an ganz unterschiedlichen Stellen im Koran vorkommt
und zunächst einmal nur bedeutet, dass sich eine Person bemüht, ein, Zitat, gottgefälliges Leben zu führen.
Wörtlich heißt Dschihad eigentlich das Bemühen oder die Anstrengung, ein bestimmtes Ziel zu erreichen,
wie zum Beispiel eine gute Muslima oder ein guter Muslim zu sein, was Mohammed ja beispielsweise auch will.
Wie dieses gottgefällige Leben, also der Dschihad, konkret auszusehen hat.
Da gibt es allerdings unterschiedliche Interpretationen.
Für die einen ist es das Ziel, sich persönlich weiterzuentwickeln und sich jeden Tag aufs Neue im Alltag anzustrengen.
Und für andere dagegen, die sogenannten DschihadistInnen, ist es der bewaffnete Glaubenskrieg.
Guido Steinberg erklärt das so.
Dschihadisten sind Personen, die den Dschihad als bewaffneten Kampf in den Mittelpunkt ihrer Interpretation des muslimischen Glaubens stellen.
Sie sind sogar der Meinung, dass der Dschihad eine vergessene Glaubenspflicht ist,
die von ähnlich großer Bedeutung, vielleicht sogar von größerer Bedeutung ist als andere Glaubenspflichten, die wir kennen,
wie beispielsweise das Gebet, das Fasten im Ramadan und so weiter.
Dschihadisten sind also Personen, die den Dschihad für so wichtig halten,
dass sie dann auch bereit sind, möglicherweise ihre Freiheit oder ihr Leben zu opfern,
um den bewaffneten Kampf gegen die Feinde des Glaubens zu führen.
Und von diesen GlaubensfeindInnen gibt es viele, also Andersgläubige wie ChristInnen und JüdInnen zum Beispiel,
aber eben auch die Bevölkerung und Regierung nicht-islamischer Länder,
sprich laut dschihadistischer Logik eigentlich der gesamte Westen.
Und eine besonders prominente Rolle nehmen dabei die USA ein, weil die nicht nur westlich sind,
sondern dazu auch noch eine Weltmacht mit viel Einfluss.
Das zeigt sich auch bei den Hasspredigten in der Al-Quds-Moschee, die Mohammed besucht.
Ein Feind, für den nun auch Mohammed immer mehr Hass empfindet.
Die Al-Quds-Moschee wird in den kommenden Monaten so etwas wie sein zweites Zuhause.
Gemeinsam mit seinen Freunden Siad, Said und Ramzi verbringt er mittlerweile 27-Jährige immer häufiger Zeit in dem Gotteshaus am Hamburger Steindamm.
Der Hass auf den Westen und auf Ungläubige wird zum Fundament ihrer Freundschaft, zum Klebstoff, der sie zusammenhält.
Und auch wenn die vier regelmäßig wettern und schimpfen, so erfüllt der Hass Mohammed zugleich.
Schon so lange ärgert er sich über die Ungerechtigkeiten im Nahen Osten, ist überzeugt, dass arabische Länder wie seine Heimat Ägypten vom Westen unterdrückt und klein gehalten werden.
Und hier, in der Moschee, bestätigt man ihn in seiner Meinung.
Und weil nahezu alle Glaubensbrüder am Steindamm das genauso sehen, stellt sich ein Gefühl von Zugehörigkeit ein.
Die hasserfüllten Worte des Imams, denen Mohammed nun beinahe täglich lauscht, und die Gespräche mit Mohammed Samar hinterlassen ihre Spuren.
Also wir merken, Mohammed macht, seit er die Al-Quds-Moschee besucht, einen sehr starken Wandel durch.
Welche Rollenmoscheen bei Radikalisierungsprozessen spielen, das ist sehr umstritten.
Aber grundsätzlich muss man auch sagen, dass solche Prozesse komplex und vielschichtig sind und man das jetzt nicht pauschalisieren kann.
Welche Dinge da jetzt ausschlaggebend sind.
Allerdings gibt es so ein paar Faktoren, die laut Sicherheitsbehörden besonders häufig relevant sind.
Dazu gehören das familiäre oder freundschaftliche Umfeld, das Internet, Haftanstalten, aber eben auch Moscheen.
Das zeigt auch eine Erhebung des Bundeskriminalamts, die 2016 veröffentlicht wurde.
Da wurden insgesamt 572 Menschen, die zwischen 2012 und 2016 aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Länder wie Syrien oder Irak gereist sind,
zu ihren Radikalisierungshintergründen befragt.
Und 48 Prozent, also gut die Hälfte, die gaben an, vorher in einschlägigen Moscheen aktiv gewesen zu sein.
Also in Moscheen, in denen zu Gewalt aufgerufen wurde, in denen Hasspredigten gehalten wurden und die verfassungsfeindliche Inhalte propagierten.
Sprich also genau das, was auch Mohammed in der Moschee am Steindamm alles mitkriegt.
Und dieses Konkretisieren von Feindbildern und diese Schuldzuweisungen, die dann da stattfinden, also auf die USA, auf den Ungläubigen Westen,
die schweißen die Leute, die sich da regelmäßig treffen, dann halt eben zusammen.
Und das sorgt dann auch für so ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft.
Jetzt muss man aber sagen, dass jetzt Moscheen wie die Al-Quds-Moschee in Hamburg, die übrigens seit 2010 geschlossen ist,
dass die eine Ausnahme bilden und man natürlich nicht alle Moscheen über einen Kamm scheren darf.
Das ist ja sowieso klar.
Das wäre dann auch quasi so, als würde man den Islam und Islamismus gleichsetzen.
Viele der rund 2500 Moscheen in Deutschland setzen sich aktiv für Integration und einen religionsübergreifenden Diskurs ein.
Die positionieren sich gegen Islamismus und versuchen auch aktiv, Radikalisierungsprozessen vorzubeugen.
Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk 2016 hat der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland deutlich gemacht,
dass Moscheen nicht Teil des Problems, sondern der Lösung seien.
Und gesagt, dass sich viele Moscheen große Mühe geben würden, vor allem Jugendlichen mit auf den Weg zu geben,
dass ein richtig verstandener Islam Demokratie nicht ablehne, sondern mit einbeziehe.
Aber in der Moschee, in die Mohammed geht, da ist das eben nicht so.
Und so machen ihn all die westlichen Geflogenheiten, die ihm zu Beginn seines Studiums zunächst erstmal nur befremdlich erschienen, nun sauer.
Mohammed hat das Gefühl, hier in Hamburg umgeben von lauter Ungläubigen zu sein.
Menschen, die die Werte seiner Religion mit Füßen treten.
Jedes Mal, wenn er die Moschee verlässt, nimmt er etwa einen großen Umweg nach Hause in Kauf,
um nicht durch das Rotlichtviertel gehen zu müssen, das er nicht nur architektonisch als sündhaft empfindet.
Und auch den Fernseher verbannt er aus seinem Zimmer.
Mit den schmutzigen Inhalten, die die Gedanken der Menschen verunreinigen, will er nichts zu tun haben.
Der Glaube, der schon immer eine wichtige Rolle in Mohammeds Alltag gespielt hat, ist nun der Mittelpunkt seines Lebens.
Selbst bei kurzen Bus- und Bahnfahrten verbringt er die Zeit, damit zu beten und Koranverse vor sich hin zu murmeln.
Seine Verhaltensveränderung spiegelt sich auch in seinem Äußeren wieder.
Jeans und T-Shirt weichen nun regelmäßig Pluderhosen und traditionellen Gewändern, sogenannten Kaftanen.
Außerdem bedeckt nun ein dichter schwarzer Bart die einst glatt rasierte Kinnpartie.
Ein guter Muslim hat in den Dschihad zu ziehen.
Nach diesem Leitbild lebt Mohammed.
Kurz, wir sagen jetzt Dschihad und meinen damit aber immer den bewaffneten Dschihad.
Für Mohammed steht fest, früher oder später wird auch er den Heiligen Glaubenskrieg kämpfen.
Denn um gegen die Ungläubigen vorzugehen, ist Mohammed bereit, zur Waffe zu greifen.
Zu töten.
Ja, sogar sein eigenes Leben zu lassen.
Furcht empfindet er bei dieser Vorstellung nicht.
Denn als gläubiger Muslim ist er davon überzeugt, dass für diese vermeintlich gute Tat nach dem Tod das Paradies auf ihn wartet.
Kurze Zeit später haben Mohammeds radikale Ansichten das erste Mal negative Konsequenzen für ihn.
Das pensionierte Ehepaar, bei dem er seit seiner Ankunft in Deutschland zur Untermiete lebt,
kommt mit seinem veränderten Wesen nicht zurecht.
Mohammeds abwertende Blicke haben sich mittlerweile zu beleidigenden Worten gesteigert.
Mehrmals hat er seine Verachtung für die Tochter seiner VermieterInnen ausgesprochen, die unverheiratet ein Kind hat.
Und auch seine Zurückgezogenheit und religiöse Engstirnigkeit machen ihn zu einem unbehaglichen Mitbewohner.
Als das Paar Mohammed bittet, sich eine neue Bleibe zu suchen, verlässt er das Haus und kommt zunächst in einem Studierendenwohnheim unter.
Dann, im Jahr 1998, beschließt der 29-Jährige jedoch, mit den Menschen zusammenzuziehen, die ihm ohnehin am nächsten sind und die den Glauben mit ihm teilen.
Zusammen mit dem 26-jährigen Ramzi und dem 21-jährigen Said, seinen Freunden aus der Moschee,
bezieht Mohammed nach mittlerweile sechs Jahren in Hamburg eine Drei-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Harburg.
Und die kleine, unscheinbare Immobilie wird für die Männer nicht nur zum Zuhause, sie entwickelt sich auch zu einem Treffpunkt.
Regelmäßig empfangen Mohammed und seine Mitbewohner Besuch von anderen Freunden aus der Moschee.
Freunde visiert, aber auch der 20-jährige Marwan, den Mohammed kürzlich an der Uni kennengelernt und in seinen Freundeskreis integriert hat.
Hier, in den beschaulichen Räumlichkeiten, hinter einer blau lackierten Eingangstür, beten die Männer miteinander,
singen bis tief in die Nacht islamische Lieder und sie geben sich ein Versprechen.
Der Dschihad wird keinesfalls etwas bleiben, über das sie nur reden, sondern etwas, das sie wortwörtlich in Angriff nehmen werden.
Herbst 1999. Mohammed hat es geschafft.
Nach sieben Jahren Pauken, Lernen und Prüfungen hat er seinen Diplomstudiengang Stadtplanung und Städtebau an der Universität Hamburg-Harburg offiziell mit einem Durchschnitt von 1,7 beendet.
Mit dem Diplom in der Tasche fliegt Mohammed im Oktober 1999 zu seiner Familie nach Ägypten, um seinen Studienabschluss zu feiern.
Dass Mohammed sich verändert hat, fällt seinen Eltern nicht großartig auf.
Für sie wirkt er bis auf den Bad, den er mittlerweile hat, eigentlich so wie damals, als er mit gepackten Taschen zur Tür hinausgegangen ist, um nach Deutschland aufzubrechen.
Doch Mohammeds Eltern beschäftigt ohnehin etwas anderes, nämlich die Zukunft ihres Sohnes.
Nun, wo er seine akademische Laufbahn beendet hat, wollen sie eine Braut für ihn suchen.
Eine Frau, mit der er eine Familie gründen kann.
Mohammed ist einverstanden.
Doch zunächst, so sagt er es seiner Familie, möchte er noch in Hamburg promovieren und seinen Doktor machen.
Ein Vorhaben, das seine Eltern abnicken.
Doch was sie nicht wissen, es ist eine Lücke.
Denn eigentlich hat Mohammed ganz andere Pläne.
Pläne, mit denen er vor allem sich selbst beweisen will, dass er das ist, was für ihn ein guter Muslim ist.
Und so führt ihn das Flugzeug, in das er nach seinem Heimatbesuch in Kairo steigt, keinesfalls zurück nach Deutschland,
sondern in ein Land, in dem sein Radikalisierungsprozess eine neue, gefährlichere Stufe erreichen wird.
Es ist eine Szene, die aus einem Propagandafilm stammen könnte.
Inmitten einer Wüstenlandschaft, in der nur wenige Bäume aus der dürren Erde ragen,
sitzen zahlreiche Männer im Schneidersitz auf dem Boden.
Während die klobigen Gewehre neben ihnen liegen, richten sie alle ihre Aufmerksamkeit auf den Mann, der vor ihnen steht.
Osama Bin Laden.
Ein saudi-arabischer Islamist und Dschihadist par excellence.
Gemeinsam mit seinen Glaubensbrüdern Siad, Ramzi und Marwan ist Mohammed nach Afghanistan gereist,
um sich hier, in einem Ausbildungslager Bin Ladens, auf den Dschihad, den Glaubenskrieg vorzubereiten
und Fähigkeiten zu erlernen, die ihm im Kampf gegen die Ungläubigen nützlich sein sollen.
Osama Bin Laden, der Mann, dem sie nun gebannt lauschen, ist in der dschihadistischen Szene ein Star und genießt großes Ansehen.
Bereits in den 80er Jahren hat der millionenschwere Erbe eines Bauunternehmers in Afghanistan gegen sowjetische Truppen gekämpft,
die das Land im Kalten Krieg besetzten, um ihr Einflussgebiet zu erweitern.
Bin Laden kämpfte damals an der Seite verschiedener Widerstandsgruppen, der sogenannten Mujahedin.
Zudem ruft er seit einigen Jahren öffentlich zum bewaffneten Dschihad auf und dazu, AmerikanerInnen im großen Stil zu töten.
Genau, und das nennt man Fadwa. Und solche hat er mehrmals ausgesprochen, auch gemeinsam mit anderen führenden islamistischen Extremisten.
Und die bekannteste von ihm ist die von 1998, die sich nennt Erklärung des Krieges gegen die Amerikaner, die die heiligen Städten besetzen.
Und um das klar zu machen, da geht es jetzt nicht nur gegen Militärangehörige oder so, sondern auch gegen ZivilistInnen.
Und mit solchen Fadwas schafft er natürlich ein ideologisches Fundament für jene, die sich dann nachher so einen Sprengstoffgürtel umschnallen.
Wobei, und das muss man hier auch ganz deutlich sagen, die Fadwa da von 98, die wurde auch weltweit stark kritisiert von islamischen Gelehrten und abgelehnt,
weil die halt natürlich auch gegen die traditionellen Prinzipien des islamischen Rechts verstößt, unter anderem gegen das Verbot, unschuldige Zivilisten zu töten.
Ja, also wir sehen, Bin Laden hatte damals schon ganz schön was auf dem Kerbholz.
Der war damals auch der Drahtzieher für die Bombenanschläge auf US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998.
Die wurden halt verübt von Männern, die Bin Laden die Treue geschworen hatten.
Mitglieder seiner islamistischen Terrororganisation, also Mitglieder von Al-Qaida.
Eine Organisation, die den Westen und vor allem die USA zum Feindbild erklärt hat.
Und damit genau das verkörpert, was Mohammeds tiefste Überzeugungen sind.
Kurzes Aha dazu, warum Osama Bin Laden Al-Qaida ins Leben gerufen hat.
Wir haben ja eben schon erzählt, dass Bin Laden während der Besatzung Afghanistans gegen die Sowjetunion gekämpft hat.
Und als die Sowjets Ende der 80er aus Afghanistan abgezogen sind, dachten sich die meisten Widerstandskämpfer so,
Hey, super, wir haben gewonnen und haben das dann als Sieg gefeiert.
Für Bin Laden war das aber nur der Anfang.
Dem reichte das damals nicht, dass sich die vermeintlich Ungläubigen aus Afghanistan zurückziehen.
Sondern er wollte, dass Ungläubige auch außerhalb von Afghanistan bekämpft werden.
Und dafür hat er dann 1988 Al-Qaida gegründet.
Und dieser Kampf gegen die Ungläubigen, das ist für Al-Qaida nicht nur sowas wie eine Glaubenspflicht,
sondern dient einem ganz konkreten Ziel.
Weil Bin Laden und seine Anhänger, die wollen ein globales Kalifat, also einen islamischen Gottesstaat etablieren.
Also sprich, alle muslimischen Länder sollen am besten unter einer islamischen Herrschaft vereint werden,
die, Überraschung natürlich, von Al-Qaida ausgeführt wird.
Deswegen will Al-Qaida am besten die Regierung aller arabischen Länder stürzen,
die ihrer Ansicht nach ohnehin unislamisch sind.
Und so wollen die dann den Weg freimachen für eine Machtübernahme.
Also sprich, der Fokus von Al-Qaida, genau wie von anderen Organisationen,
liegt zur Anfangszeit gar nicht so auf westliche Staaten, sondern auf den Regierungen arabischer Länder.
Aber nun war es so, acht, neun Jahre nach ihrer Gründung durch Bin Laden,
also so 96, 97 rum, hat die Organisation dann ein bisschen ihre Strategie verändert.
Das hat uns unser Experte Guido Steinberg erklärt.
Die haben an irgendeinem Punkt gemerkt, dass eine Ursache der Stärke ihrer Regierungen ist,
dass diese von den USA unterstützt wird.
Und einige Organisationen haben deswegen die Konsequenz gezogen, in erster Linie die USA zu bekämpfen.
Eine wichtige Ursache ist ganz einfach die Präsenz der USA in der arabischen und in der islamischen Welt.
Und deswegen entscheiden sich dann Organisationen wie Al-Qaida gewaltsam gegen die USA vorzugehen,
halt in Form von Anschlägen und Attentaten, um die halt so zu dem Rückzug aus arabischen Ländern zu bewegen,
damit dann eine Machtübernahme einfacher wäre und man dann den globalen islamischen Gottesstaat ausrufen kann.
Das will Al-Qaida unbedingt, ja.
Genauso übrigens wie später der sogenannte IS.
Jetzt könnte man ja meinen, naja, die haben dasselbe Ziel mit dem Gottesstaat
und die wollen dieselben Länder darunter vereinen.
Kann man sich ja zusammentun, aber ist nicht so.
Al-Qaida und der IS, die konkurrieren miteinander um Einfluss
und stehen sich mittlerweile eher feindlich gegenüber,
obwohl der IS eigentlich mal aus einem Ableger von Al-Qaida entstanden ist.
Also die sind damals Al-Qaida im Irak.
Und die, also Al-Qaida im Irak und Al-Qaida, die haben damals noch eng zusammengearbeitet
und wurden dann halt aber später zu Rivalen.
So und dieses Ziel, dass sie die globale Macht wollen,
das unterscheidet die beiden übrigens auch von anderen Organisationen wie den Taliban in Afghanistan,
die da ja schon mal bis 2001 in der Macht waren und jetzt das seit 2021 wieder sind.
Und die wiederum verstehen sich gut mit Al-Qaida damals
und lassen Bin Laden ab 96 in Afghanistan dann auch Schutz suchen,
weil der war ja natürlich schon gesucht wegen verschiedener Anschläge,
wie die in Kenia und Tansania.
Die haben ihm da also auch geholfen, Al-Qaida weiter auszubauen
und ließen ihn da diese Trainingscamps abhalten.
Und in einem davon befinden sich jetzt, wie gesagt, auch Mohammed und seine Freunde.
In den kommenden Wochen erhalten Mohammed und die anderen in der Wüste Afghanistans ein umfassendes Training.
Von morgens bis abends sind sie damit beschäftigt, den Umgang mit Waffen zu lernen,
trainieren Ausdauer und Kraft und lernen, wie man sich im Nahkampf beweist.
Mohammed, Siad, Ramzi und Marwan sind nur einige von zahlreichen Dschihadisten,
die hierher gekommen sind, um sich Al-Qaida anzuschließen und sich bestmöglich auf den Dschihad vorzubereiten.
Und dennoch, die vier stechen aus der Menge heraus.
Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Männern im Camp sind die Studenten aus Hamburg gebildet und intellektuell.
Für die Terrororganisationen kommen Mohammed, Siad, Ramzi und Marwan wie gerufen.
Denn mit ihnen, davon sind Bin Laden und andere hochrangige Al-Qaida-Mitglieder überzeugt,
könnte sich endlich ein ganz besonderer Plan in die Tat umsetzen lassen.
Ein Plan, der nur gelingen kann, wenn man die richtigen Leute damit beauftragt.
Die Operation Flugzeug
Bereits vor einigen Jahren hat der Islamist Khaled Sheikh Mohammed,
das ist so eine Art terroristischer Freelancer aus Pakistan,
und Samar Bin Laden seine Idee geschildert,
mithilfe von Al-Qaida-Mitgliedern Anschläge in den USA auszuüben,
indem man Flugzeuge entführt und sie in symbolträchtige Gebäude lenkt.
Bin Laden hatte diese Idee von fliegenden Selbstmordattentaten damals gefallen.
Doch er hatte abgewunken.
Viel zu aufwendig, viel zu voraussetzungsvoll.
Nun, mit dem dschihadistischen Nachwuchs aus Hamburg,
der sich in der westlichen Welt zu bewegen weiß,
scheint der Plan auf einmal doch umsetzbar.
Mohammed, Siad, Ramzi und Mahwan bringen ideale Voraussetzungen mit.
Sie alle sind angesichts ihrer Studiengänge technisch versiert,
sprechen sowohl Deutsch als auch Englisch,
und sie sind mit westlichen Ansichten und Lebensweisen vertraut.
Nach einigen Wochen in Afghanistan erhalten Mohammed und die anderen dann eine besondere Einladung.
Sie dürfen Osama Bin Laden anlässlich des Ramadanfestes in seinem Haus besuchen.
Die Sonne ist bereits untergegangen, als die vier an einem gedeckten Tisch Platz nehmen,
an dem auch Khaled Sheikh Mohammed sitzt.
Dann erfahren sie den Grund für ihre Anwesenheit.
Bin Laden verkündet Mohammed und seinen Freunden,
dass sie die Auserwählten einer großen Mission seien,
die die USA dazu bringen soll, sich endlich aus der islamischen Welt zurückzuziehen.
Bin Laden spricht von Märtyrertum, vom Paradies und davon als Helden in die Geschichte einzugehen.
Dann erläutert Khaled Sheikh Mohammed als sogenannter Chefplaner die Details der Operation Flugzeug.
Mohammed fühlt sich geschmeichelt.
Den mittlerweile 31-Jährigen erfüllt es mit Stolz, dass er Teil eines so großen Vorhabens werden darf.
Auch Siad, Ramzi und Marwan sind dabei.
Der Plan steht.
Mohammed wird dafür sorgen, dass mehrere Passagierflugzeuge in verschiedene Gebäude fliegen.
Er wird Angst und Schrecken in Amerika, dem Land der Ungläubigen, verbreiten.
Und er selbst wird im Cockpit sitzen, wenn eine der Maschinen in einem riesigen Feuerball zerschellt
und damit zahlreiche Menschen und sich selbst in den Tod reißen wird.
Endlich kann er in den Glaubenskrieg ziehen.
Und dafür ist er bereit, alles zu tun.
Sogar sein Leben zu lassen.
Und wir haben unseren Experten Guido Steinberg gefragt,
wieso Menschen wie Mohammed sich bei solchen Attentaten in den Tod stürzen wollen.
Und das ist seine Antwort.
Wir können das bei allen möglichen ideologischen Organisationen beobachten,
dass Mitglieder bereit sind, ihre Freiheit zu opfern und auch ihr Leben zu opfern.
Es gibt auch nicht-religiöse Organisationen,
die stark mit Selbstmordattentaten arbeiten oder gearbeitet haben.
Und deswegen darf uns das auch nicht überraschen,
dass, wenn wir diese terroristische Taktik mit einem tief empfundenen religiösen Glauben verbinden,
die Leute vielleicht sogar freudig in den Tod gehen,
weil sie im Anschluss an die Tat das Paradies erwarten.
Erwartung, religiöse Überzeugung und Aussicht auf Heldentum.
Das sind also im Wesentlichen die Gründe,
warum sich Menschen zu Selbstmordattentaten bereit erklären.
Und sowas bietet natürlich auch eine krasse Wirkung Richtung Westen,
weil die zeigen, hallo, wir sind zu allem bereit.
Es gibt danach auch keine Gefangenen, mit denen ihr Druck ausüben könntet.
Und wir sind fest entschlossen, euer System für unsere Überzeugung zu zerstören.
Ja, und das übrigens, obwohl der Suizid im Islam eigentlich eine Sünde und laut Koran verboten ist.
Gide Steinberg hat uns dazu erklärt, dass islamistische Terrororganisationen wie Al-Qaida das so lösen,
dass sie dann den Begriff Suizid vermeiden und stattdessen von Märtyrer-Operationen und Missionen sprechen.
Wobei, ehrlicherweise, Märtyrer eben keine Selbstmordattentäter sind.
Es gibt dazu, kurze Empfehlung, eine tolle Folge von SWR 2 Wissen,
die heißt Märtyrer im Islam, warum der Tod verherrlicht wird.
Da geht es aber um schiitische Märtyrer.
Was ich mich ja auch gefragt hatte zunächst, ist,
also wenn der Osama so ein geiler Bock ist,
Wieso hat der sich dann nicht schon längst selbst bei so einem Attentat aus dem Weg geräumt, ne?
Also, denkt man ja.
Aber der ist natürlich ja sowas wie der Puppenspieler, ne?
Und 9-11 hätte der niemals mit sich selbst planen können,
weil der damals schon so doll auf dem Schirm von amerikanischen Geheimdiensten und Behörden war,
weil der ja diese Attentate in Kenia und in Tansania schon verübt hatte
oder da Drahtzieher war.
Und dann muss man auch dazu sagen,
dass Al-Qaida mit einem Tod von Bin Laden natürlich super geschwächt worden wäre.
Ja.
Weiter im Text.
Juni 2000.
Mohammed hat seinen Lebensmittelpunkt erneut verlagert.
Er lebt nun nicht mehr in Hamburg, sondern in Florida.
Genauer gesagt in Venice.
Nach seinem dreimonatigen Aufenthalt im afghanischen Al-Qaida-Camp
ist er im Februar 2000 zunächst nach Norddeutschland zurückgekehrt.
Nun, vier Monate später, bewohnt er ein kleines Apartment in dem Land,
gegen das er in den vergangenen Jahren so viel Hass entwickelt hat.
Mohammed ist hier, um seine göttliche Mission zu erfüllen.
Dem Planen die Tat umzusetzen,
für den Osama Bin Laden und Pralit Sheikh Mohammed
ihn und seine Freunde auserwählt haben.
Neben Mohammed sind auch Siad und Marwan in die Vereinigten Staaten gereist.
Bei den Behörden in Deutschland hatten die drei zuvor getrennt
voneinander angegeben, ihre Reisepässe verloren zu haben.
Ein strategischer Schachzug, denn ihnen war klar,
mit einem afghanischen Stempel im Pass könnte sich die Einreise in die USA schwierig gestalten.
Letztendlich erhielten Mohammed, Siad und Marwan problemlos neue Dokumente
und wenig später wurden auch ihre Touristenvisa bestätigt.
Ramzi und Said, die anderen Männer aus der Clique, sind unterdessen in Hamburg geblieben.
In der Hansestadt halten sie die Stellung, unterstreuen in ihrem Umfeld Falschinformationen
über den Verbleib der drei anderen Männer.
Sie sprechen von Urlauben, Reisen nach Mekka.
Manchmal auch davon, dass Mohammed, Siad und Marwan nun im Ausland studieren würden.
Ramzi und Said machen das, was für das Gelingen der Operation Flugzeug von elementarer Bedeutung ist.
Sie warnen Mohammed, Siads und Marwans Tarnung als unbescholtene Bürger im Westen.
Auch die Männer in den USA halten daran fest.
Kurz vor ihrer Einreise in die USA haben Mohammed, Siad und Marwan ihre Bärte abrasiert.
Statt orientalischer Gewänder tragen sie hier in Florida Jeans und T-Shirt
und mimen die liberalen Muslime, die sie in Wahrheit nicht sind.
Nicht auffallen und in der anonymen Masse untergehen, das ist das Ziel des Trios.
Denn nur so können sie sich bestmöglich auf das vorbereiten, was ihnen bald bevorsteht.
Mohammed und seine beiden Freunde werden bei der Operation Flugzeug eine entscheidende Rolle spielen.
Die drei werden jeweils eines der entführten Flugzeuge fliegen.
Sie werden die Piloten sein, die Kurs auf symbolträchtige Gebäude nehmen werden.
Das World Trade Center in New York, das Pentagon in Washington und das Capitol,
Herzstück der US-amerikanischen Demokratie.
Doch dafür bedarf es intensiver Vorbereitung.
Mohammed, Siad und Marwan müssen lernen, wie man ein Flugzeug fliegt.
Bei der Huffman Aviation, einer privaten Flugschule in Venice,
beginnen Mohammed, Siad und Marwan, Flugstunden zu nehmen.
Vor allem Mohammed fällt den Betreibern der Flugschule schnell negativ auf.
Als er das erste Mal auf einem der roten Ledersitze des kleinen Schulungsflugzeugs Platz nimmt
und an der Seite eines Fluglehrers abhebt,
zeigt er schnell, dass das hier für ihn kein Hobby ist.
Mohammed ist verbissen, behandelt andere FlugschülerInnen, die mit ihm in der Maschine sitzen, wie Luft.
Und er ist ungeduldig.
Der 31-Jährige möchte alles können und das am besten so schnell wie möglich.
Jedes Mal, wenn er während einer Flugstunde den Steuerknüppel in der Hand hält,
blickt er starr geradeaus, ohne einen Anflug von Freude in seinem Gesicht.
Außerdem möchte Mohammed das Kurvenfliegen üben.
Wieder und wieder bittet er seinen Fluglehrer darum, dieses Manöver zu proben.
Start und Landung dagegen interessieren ihn, Siad und Marwan kaum.
Schließlich sieht die Operation Flugzeug nicht vor,
dass sie die Maschinen, die sie steuern, auch starten werden.
Und sicher zu Boden bringen wollen sie sie sowieso nicht.
Im August 2000 bestehen die drei ihre Prüfungen und dürfen sich Privatpiloten nennen.
Vier Monate später, im Dezember, halten sie schließlich die Dokumente ihrer Berufspiloten-Lizenzen in den Händen.
Nur mal ganz kurz, diese Lizenz, die sie da haben,
die berechtigt sie zwar ein und auch mehr motorige Flugzeuge zu fliegen,
aber halt nur solche, die maximal 12,5 Tonnen wiegen.
Und als Richtgröße so eine vollgetankte und beladene Passagiermaschine,
die wiegt schnell mal bis zu 575 Tonnen.
Und um sowas klingen zu dürfen, also sprich Airline-Pilot oder Pilotin zu werden,
da braucht man eine sogenannte Verkehrspilot-Lizenz.
Und die haben sie ja nicht.
Aber die Anschlagspläne sind ja ausgelegt auf große Passagiermaschinen.
Und damit sie für die auch eine Art Training bekommen,
üben die jetzt an Flugsimulatoren.
Anfang 2001 suchen Mohamed und die anderen mehrmals einen nahegelegenen Flughafen auf,
um am dortigen Flugsimulator zu trainieren.
In der kleinen, abgeschlossenen Kapsel, die dem Cockpit einer Boeing nachempfunden ist,
üben sie das, was sie bereits in ihren Flugstunden immer geprobt haben.
Enge Kurven fliegen.
Sie wissen, nur wenn sie dieses Manöver beherrschen, werden sie in der Lage sein,
in den Maschinen, die sie schon bald entführen werden,
einen Kurswechsel vorzunehmen, um ihre Anschlagspläne zu verwirklichen.
Pläne, für die Mohamed im regelmäßigen Kontakt mit Al-Qaida steht.
Immer wieder lässt er telefonisch von sich hören, um die Fortschritte mitzuteilen,
die die Gruppe macht.
Dass Mohamed mit Al-Qaida kommuniziert und nicht die anderen, hat einen Grund.
Mohameds Rolle ist deutlich größer als die von Marwan und Seat.
Er ist nicht nur einer der Terrorpiloten, sondern der logistische Kopf der Anschlagspläne.
Flüge raussuchen, Tickets buchen.
All diese Dinge zählen zu seinen Aufgaben.
Im Sommer 2001 steht schließlich der Tag fest, an dem es passieren soll.
Der 11. September.
Und nach einer kurzen Recherche findet Mohamed auch vier geeignete Verbindungen für die Terroranschläge.
Flüge der American Airlines und United Airlines,
die am 11. September nur wenige Minuten nacheinander abheben.
Diese Kombination der Flüge eignet sich für Mohamed deswegen so gut,
weil ihre Routen nah an New York und Washington vorbeiführen.
Städte mit symbolträchtigen Wahrzeichen.
Insgesamt 19 Tickets bucht er im August für die vier Verbindungen.
Denn 19 Männer werden es sein, die gemeinsam die Operation Flugzeug durchführen.
Männer, die Al-Qaida dafür rekrutiert hat und die vor allem aus Saudi-Arabien und den Arabischen Emiraten stammen.
Jeder hasst und fürchtet den Tod, aber nur die Gläubigen, die wissen, dass es ein Leben nach dem Tod und eine Belohnung nach dem Tod gibt, werden ihn suchen.
Diese Worte richtet Mohamed im September 2001, wenige Tage vor den Anschlägen, in einem Brief an die anderen Attentäter.
In den vergangenen Wochen sind sie alle nach und nach in die USA gereist.
Und auch wenn Mohamed überzeugt ist, dass sie alle bereit sind, Teil dieses Glaubenskriegs zu werden,
der sich bald in den Wolken abspielen wird,
so kann er nicht ausschließen, dass einige von ihnen doch noch kalte Füße kriegen.
Auf mehreren Seiten des Briefs, von dem er nachher Kopien anfertigt, spricht Mohamed ihnen daher gut zu.
Ihr werdet in das glücklichste Leben eintreten, schreibt er.
Ihr müsst überzeugt davon sein, dass diese euch verbleibenden Stunden nur noch wenige sind.
Dann werdet ihr ein glückliches Leben im grenzenlosen Paradies leben.
Aber Mohameds Brief beinhaltet nicht nur motivierende Worte, sondern auch klare Anweisungen.
Unterteilt in mehrere Kapitel, schreibt er den Männern vor, wie sie sich auf den 11. September vorbereiten sollen
und wie sie sich an dem Tag verhalten sollen.
Zitat
Überprüft alle eure Sachen.
Eure Tasche, eure Kleidung, Messer, eure Testamente, eure Ausweise, eure Pässe, alle eure Papiere.
Stellt sicher, dass euch niemand folgt.
Dann, nach fünf handgeschriebenen Seiten, beendet er den Brief mit folgendem Satz.
Wir kommen von Gott und zu Gott kehren wir nun zurück.
11. September 2001
Flughafen Portland
Für den 33-jährigen Mohamed Atta ist heute der Tag gekommen, auf den er sich seit fast zwei Jahren vorbereitet.
Heute werden er und seine 18 Glaubensbrüder die Operation Flugzeug durchführen.
In wenigen Stunden werden sie, aufgeteilt in Teams, vier verschiedene Passagiermaschinen kapern.
Doch noch hat Mohameds wortwörtlich letzte Reise nicht begonnen.
Zunächst muss er nach Boston fliegen.
Erst dort wird er gemeinsam mit vier weiteren Attentätern an Bord des American Airlines Flug 11 gehen.
Eine Verbindung, die ihr anvisiertes Ziel nie erreichen wird.
So, der Plan.
An einem der Check-in-Schalter gibt Mohamed das Gepäck auf.
Eine schlichte, dunkelblaue Reisetasche, in der sich unter anderem sein Testament befindet
und der Originalbrief mit den Anweisungen, den er an die anderen Attentäter verfasst hat.
Gegen 6 Uhr hebt Mohameds erster Flug ab.
Diese Maschine erreicht wenig später sicher den Boden.
Die nächste wird dies nicht tun.
Dafür will Mohamed sorgen.
7.59 Uhr
Der American Airlines Flug 11 startet an diesem Morgen mit einer Verspätung von 14 Minuten in Boston Richtung Los Angeles.
Insgesamt 92 PassagierInnen sind an Bord der Boeing und haben sich auf den gepolsterten Sitzen niedergelassen.
Mohamed und die vier anderen Attentäter haben Plätze im vorderen Teil der Maschine.
Zwei von ihnen sitzen in der ersten Klasse in direkter Nähe zum Cockpit.
Er selbst hat auf Sitz 8D Platz genommen und befindet sich gemeinsam mit zwei weiteren Männern aus der Terrorgruppe in der Business Class.
Wenn sich die meisten PassagierInnen bereits entspannt zurückgelehnt haben, ist Mohamed hoch konzentriert.
Gleich geht es los.
Gleich steht ihm die wichtigste Aufgabe seines Lebens bevor.
Um 8.16 Uhr, das Flugzeug ist gerade einmal seit einer guten Viertelstunde in der Luft,
erheben sich nahezu zeitgleich die vier Komplizen von Mohamed und zücken ihre Taschenmesser.
Mit den Waffen in ihren Händen bedrohen sie im vorderen Teil des Flugzeugs PassagierInnen und Crew,
versprühen Tränen Gas und stechen zwei FlugbegleiterInnen namens Amy und Barbara nieder.
Ein mutiger Fluggast, der sich von seinem Platz 9B in der Business Class erhebt und einem Angreifer die Stirn bieten will,
wird einige Sekunden später von einem anderen Terroristen von hinten in den Hals gestochen.
Ein Angriff, der sein Todesurteil ist.
Die Operation Flugzeug hat begonnen.
Nur wenige Minuten später, nachdem Mohameds Kollegen angefangen haben anzugreifen,
steht auch er von seinem Platz auf, um sein Ziel anzusteuern.
Das Cockpit.
Nachdem die anderen Attentäter die Kabinenbesatzung überfallen
und Pilot sowie Co-Pilot gewaltsam von ihren Plätzen entfernt haben,
setzt sich Mohamed schließlich vor all die Knöpfe und Hebel,
die er in den vergangenen Monaten in Flugsimulatoren studiert hat.
Mit dem Steuerknüppel in der Hand hat er nun die Kontrolle über das Flugzeug.
Darüber will er auch die PassagierInnen informieren.
Doch Mohamed drückt einen falschen Knopf.
Und so hören nicht die Fluggäste, sondern die MitarbeiterInnen der Flugsicherung das, was er nun sagt.
Mohamed macht klar, dass sie einige Flugzeuge haben.
Man solle sich ruhig verhalten, dann werde alles gut.
Er würde das Flugzeug jetzt zurück zum Flughafen fliegen.
Und dann fügt er hinzu
Everything will be okay.
Alles wird gut.
Ein Versprechen, das er brechen wird.
Nachdem er den sogenannten Transponder ausgeschaltet hat,
wodurch es der Flugsicherung nicht mehr möglich ist, die Maschine zu verfolgen,
fliegt er eine scharfe Kurve.
Ganz so, wie er es in all den Flugstunden immer wieder geübt hat.
Mohamed wechselt nun den Kurs.
Entlang des Hudson Rivers, an dem er sich orientiert, nähert er sich seinem Ziel.
New York.
Während der Großteil der Menschen in der Kabine von der Entführung offenbar nichts mitbekommt,
weil eine gewissenhafte Flugbegleiterin namens Betty
versucht, sie von dem großen Drama, was sich in der ersten Klasse abgespielt hat, abzuschirmen
und dabei per Telefon alle Informationen, die sie hat, an eine Mitarbeiterin der Airline weitergibt,
blickt Mohamed durch die große Frontscheibe vor ihm.
Und schließlich, nach einigen Minuten, sieht er es vor sich.
Das World Trade Center.
Mohameds Finale seiner großen Märtyrer-Mission ist nun gekommen.
Und so steuert er auf den Nordturm des Gebäudekomplexes zu, in den er schließlich um 8.46 Uhr mit 750 Stundenkilometern hineinfliegt.
Und während das Flugzeug in einem riesigen, leuchtenden Feuerball aufgeht,
wird die Welt von Mohamed und all den anderen Menschen an Bord der Maschine schwarz.
Und zwar für immer.
Nur 17 Minuten später macht sein Freund Marwan es ihm gleich und lenkt United Airlines Flug 175 in den Südturm.
Um 9.37 Uhr sorgt Al-Qaida-Mitglied Hani Hanjur dafür, dass der Terror auch in Washington zuschlägt
und steuert Flug 77 ins Pentagon, dem Sitz des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums.
Das große Finale der Operation Flugzeug jedoch bleibt aus.
SIA, der den entführten United Airlines Flug 93 entschlossen in Richtung des Kapitols steuert,
stößt im Flugzeug auf Gegenwehr von Todd Beamer und anderen Passagieren.
Und um 10.03 Uhr stürzt die Maschine schließlich auf einem Feld in Pennsylvania ab,
bevor sie Washington erreicht.
Es war ein logistisches Mammutprojekt.
Monatelang hatte sich Mohamed auf die Mission vorbereitet, für die er sein Leben ließ.
Wer die Mission ausführte, ist den FBI-BeamtInnen bereits nach wenigen Stunden klar.
Denn sie finden am Flughafen in Boston seine dunkelblaue Reisetasche,
die nicht rechtzeitig in das entführte Flugzeug umgeladen worden war.
Und damit auch den Brief, in dem er sich an die anderen Attentäter richtet.
Ein Brief, den er mit seinem Namen unterschrieben hat
und von dem man später drei Kopien in den Trümmern finden wird.
Und mal kurz dazu, das ergibt gar keinen Sinn, oder?
Dass die Aufgabe Gepäck hatten.
Ich finde das immer so geil, wie du das immer so durchdenkst.
Aber klar, warum haben die Aufgabe Gepäck dabei?
Ja, vor allem, also das ist ja nicht mitgekommen in den zweiten Flug.
Also das ist eh zu spät angekommen, aber selbst wenn es umgeleitet worden wäre, bringt denen das ja nichts und sie kommen ja auch nirgendwo an, wo sie das dann gebrauchen könnten.
Und selbst wenn sie es auf dem Zwischenstopp rausgeholt hätten, weil sie noch was davon brauchten, dann hätten sie danach aber eh nochmal durch die Security gemusst.
Also so richtig schlüssig finde ich das irgendwie nicht.
Nee, gar nicht.
Außer sie wollten, dass das herauskommt.
Aber sie denken ja auch nicht, dass es nicht mitkommt.
Also Atta hat ja sicherlich nicht gedacht, darauf spekuliert, dass der nicht mitkommt.
Das ist ja wirklich, nee.
Das ergibt nicht so viel Sinn.
Naja, ihm hat's nichts gebracht, aber den Ermittelnden schon.
Die haben so immerhin schnell herausgefunden, wer dafür verantwortlich war.
Doch Mohammed ist nicht der einzige Terrorist, dessen Identität schnell ans Licht kommt.
Am 13. September, zwei Tage nach den Anschlägen, gibt das FBI eine Liste mit 19 Namen an die Öffentlichkeit.
Anhand der PassagierInnen-Listen der vier entführten Flugzeuge, Geheimdienstinformationen und dem Anruf einer Flugbegeiterin namens Betty Ong aus der ersten entführten Maschine,
ist es den BeamtInnen schnell gelungen, die Identitäten der anderen Männer zu klären, die die Maschinen kaperten und zu fliegenden Waffen machten.
Obwohl die Schuld für den Tod von tausenden Menschen folglich auf mehreren Schultern lastet,
nimmt Mohammeds Person in der Berichterstattung eine besonders prominente Rolle ein.
Immer wieder zielt sein Führerscheinfoto Mitte September 2001 die Titelseiten von Zeitungen auf der ganzen Welt.
The Face of Hate Das Gesicht des Hasses, titelt etwa eine britische Zeitung am 14. September.
Immer wieder versammeln sich JournalistInnen aus zahlreichen Ländern an unterschiedlichen Schauplätzen aus Mohammeds Leben.
An der Universität in Hamburg-Harburg zum Beispiel, aber auch vor seinem Elternhaus in Kairo,
wo Mohammeds Vater Gern Stellung zu dem bezieht, was seinem Sohn vorgeworfen wird.
Mohammed habe mit den Terroranschlägen nichts zu tun, macht er immer wieder wütend klar.
Sein Sohn sei nie politisch gewesen und habe sich in Deutschland voll und ganz auf sein Studium konzentriert.
Der Vorwurf, er sei ein Terrorist und Massenmörder, sei eine boshafte Falschanschuldigung der USA,
die lediglich auf Vorurteilen gegenüber Muslimen und arabischstämmigen Menschen beruhe.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 ziehen große politische Konsequenzen nach sich.
Denn die US-Regierung interpretiert die Attentate nicht nur als Verbrechen an der Bevölkerung.
Sie sieht es als einen Angriff auf die Nation.
Und damit als eine Kriegserklärung.
Am 20. September 2001 tritt der amtierende US-Präsident George W. Bush vor den Kongress, um den Krieg auszurufen.
Nämlich den gegen den Terrorismus.
Neben zahlreichen Terror- und Sicherheitsexperten ist auch die Regierung davon überzeugt,
dass hinter der Anschlagsserie eine Organisation steckt, die Mittel und Ressourcen hat,
die Entführung von vier Flugzeugen zu planen und durchzuführen.
Und nachdem man im Umfeld von Mohammed und den anderen Attentätern ermittelt hat,
ist schnell klar, dass die verantwortliche Organisation Al-Qaida heißt.
Unter dem Schlagwort War on Terror unternimmt die USA in den kommenden Jahren verschiedene Maßnahmen und Schritte,
um die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu gewährleisten und dafür zu sorgen,
dass sich so etwas wie am 11. September 2001 nicht noch einmal wiederholt.
So verabschiedet der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen etwa zwei Wochen nach den Anschlägen die Antiterrorresolution,
die unter anderem vorsieht, dass kein Mitgliedstaat zukünftig mehr TerroristInnen und UnterstützerInnen Unterstupf gewähren darf
und der zugleich an das Recht auf Selbstverteidigung erinnert.
Ein Recht, das die USA im Oktober 2001 zum Anlass nehmen, um in Afghanistan einzumarschieren.
Let's roll, gibt Präsident Bush den SoldatInnen in einer Rede zuvor mit auf den Weg
und entfremdet damit den Satz von Todd Beamer, der ihn an Bord von Flug 93 aussprach,
bevor er sich mit den anderen Passagieren gegen die Entführer zur Wehr setzte.
Unter dem Namen Operation Enduring Freedom beginnt eine militärische Großoperation,
der USA im Rahmen des War on Terror.
Bis einschließlich 2014 beteiligen sich zeitweise bis zu 70 Nationen an dem Einsatz,
der vorsieht, TerroristInnen in Afghanistan, aber auch in Ländern wie den Philippinen, Somalia und dem Jemen zu bekämpfen,
gefangen zu nehmen und ihre Infrastrukturen zu zerstören.
Doch es gibt noch einen anderen Grund für die Präsenz der USA in Afghanistan.
Sie sind auf der Suche nach Al-Qaida-Anführer Osama Bin Laden,
dem Mann, der Mohammed und die anderen mit den Anschlägen vom 11. September beauftragt hat.
Nach den Terroranschlägen gilt Bin Laden als US-amerikanischer Staatsfeind Nummer 1.
umfangreich durch Chem-CIA-Suchttrupps ab Herbst 2001 die afghanischen Berge und abgelegene Orte nach ihm.
Doch Bin Laden ist untergetaucht und lässt lediglich über Videobotschaften von sich hören,
in denen er sich unter anderem mit den Anschlägen vom 11. September brüstet,
einen Rückzug aus Afghanistan verlangt und dem Westen weiterhin droht.
Worte, die vor allem bei den Menschen in den USA für Unbehagen sorgen
und die ihre Wirkung erst wieder verlieren,
als ein US-Spezialkommando Bin Laden im Mai 2011
fast zehn Jahre nach den Anschlägen in seinem Versteck in Pakistan aufspürt und tötet.
Einen Gerichtssaal wird er für die Verbrechen, die er begangen hat, nie sehen.
Genauso wenig wie Mohammed, Siad, Marwan und die anderen Attentäter,
die ihr Leben für das Gelingen der Operation Flugzeug gelassen haben.
Die Terroranschläge vom 11. September haben dennoch ein juristisches Nachspiel.
Denn es gibt durchaus Täter und Strippenzieher,
bei denen im Laufe der Zeit die Handschein klicken.
Im Februar 2003 beginnt am Oberlandesgericht Hamburg der weltweit erste
und das heute tatsächlich auch einzige Prozess,
bei dem ein Hintermann auf der Anklagebank sitzt.
Dem 28-jährigen Munir El-Motta Satek.
Ein Mann, der mit Mohammed und den anderen aus der Hamburger Clique viel zu tun hatte,
wird vorgeworfen, von Anschlagsplänen gewusst zu haben
und die Reise von Mohammed, Siad und Marwan nach Afghanistan verschleiert zu haben.
Nach mehreren Neu- und Revisionsverhandlungen wird er 2007 schließlich wegen Beihilfe zum Mord
in 246 Fällen, das sind die getöteten PassagierInnen und Besatzungsmitglieder der vier entführten Flugzeuge,
und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen und zu 15 Jahren Haft verurteilt.
2018 wird er aus der JVA Hamburg-Furzbüttel entlassen und in sein Geburtsland Marokko abgeschoben.
Und während der heute 50-Jährige seine Strafe bereits abgesessen hat,
gibt es für andere Mittäter noch immer kein rechtskräftiges Urteil.
Mittäter wie 9-11-Chefplaner Khalid Cheikh Mohammed, der 2003 von pakistanischen Sicherheitskräften festgenommen wird.
Oder Mohammeds Freund Ramzi, der ihn und die anderen Terrorpiloten während ihrer Zeit in den USA aus Hamburg heraus deckte
und 2002 ebenfalls in Pakistan aufgespürt wurde.
Sowohl Ramzi als auch Khalid Cheikh Mohammed finden sich seit mittlerweile über 15 Jahren
in Haft des US-Gefangenenlagers Guantanamo.
Ihnen und drei weiteren mutmaßlichen Komplizen droht die Todesstrafe.
Doch die vorgerichtlichen Untersuchungen dauern nach wie vor an.
Und eine Hauptverhandlung ist auch nun, 23 Jahre nach den Anschlägen, nicht in Sicht.
Das finde ich irgendwie unbegreiflich.
Anfang August dieses Jahres ist die Rede von einem Justizdeal,
der den Angeklagten die Todesstrafe erlassen würde,
wenn sie sich völlig bekennen.
Doch nachdem es international Kritik kagelt,
widerrufen die USA das juristische Tauschgeschäft.
Der 11. September 2001.
Er wird für immer ein schwarzer Tag in der Geschichte der Vereinigten Staaten bleiben.
Etwa 3000 Menschen aus 90 Nationen ließen an diesem Dienstag ihr Leben.
Menschen, die einfach nur eine Flugreise antreten wollten,
die im World Trade Center und im Pentagon ihrer Arbeit nachgingen.
Aber auch Einsatzkräfte, die beim Versuch, andere zu retten,
in den einstürzenden Trümmern begraben wurden.
Am sogenannten Ground Zero in Manhattan erinnert heute die Gedenkstätte an die Opfer der Terroranschläge.
Und auch wenn mittlerweile ein neuer Wolkenkratzer an der Stelle steht,
wo einst die Twin Towers in die Höhe ragten,
ist der Wiederaufbau nur zum Teil gelungen.
Denn die Schäden, die der Terror in den Herzen vieler Menschen hinterlassen hat,
sind irreparabel.
Ja, und damit haben die Attentäter letztendlich ja auch genau das geschafft, was sie erreichen wollten.
Also wir haben hier im Podcast schon öfter über Terrorismus gesprochen und darüber, was Terrorismus will.
Genau das, Angst und Schrecken verbreiten und uns das Gefühl geben,
dass wir eigentlich nirgendwo mehr sicher sind.
Und das war ja nach 9-11 auf jeden Fall so.
Und zwar auf der ganzen Welt.
Die Reifeisen- und Volksbankenversicherung hat eine Studie dazu gemacht.
Die haben nämlich seit den 90ern jährlich in Deutschland untersucht,
welche Ängste innerhalb der Bevölkerung am stärksten vertreten sind.
Und da hat sich dann auch gezeigt, dass nach 9-11 halt viel, viel mehr Menschen,
also etwa doppelt so viele Angst vor terroristischen Anschlägen hatten.
Ja, und das ist ja schon schlimm genug.
Aber was aus dieser Angst ja noch entstanden ist,
ist, dass seit diesen Anschlägen vom 11. September
der Hass und die Vorurteile gegenüber muslimischen Menschen so krass angestiegen ist.
Also, dass man dann ja plötzlich, das war ja wie so eine Kultur des Generalverdachts.
Und es gibt ganz viele Dokus und Artikel, die sich mit den Folgen von 9-11 auseinandersetzen,
in denen MuslimInnen berichten, dass sie nach den Anschlägen zum Beispiel regelmäßig,
wenn die jetzt im Supermarkt waren oder so, schief angeguckt wurden.
Ja, oder du erinnerst dich an unsere gemeinsame Freundin mit dem Mann,
der neben ihr im Flieger gebetet hat, offenbar kein Christ und Schweißausbrüche hatte.
Und sie dachte, der ist jetzt Teil eines Anschlagplans.
Dabei stellte sich dann später raus, dass er nur Flugangst hatte.
Und ich finde an dieser Geschichte, auch wenn ihr das heute sehr unangenehm ist,
sieht man ganz deutlich, was das auch mit Menschen gemacht hat,
die natürlich überhaupt nicht beabsichtigt haben, sowas zu denken.
Aber das ist ja genau das, was der Terrorismus verursacht.
Dass Leute Angst haben, sich entfernen voneinander und dass so eine Spaltung dann entsteht.
Ja, und es ist ja auch nicht nur so gewesen, dass nach den Anschlägen MuslimInnen im Supermarkt
oder eben im Flugzeug schief angeguckt wurden,
sondern dass sie auch ganz offen diskriminiert wurden
und den Eindruck hatten, dass man irgendwie von denen erwartet,
dass sie sich jetzt öffentlich positionieren und von den Anschlägen distanzieren.
Obwohl die da gar nichts damit zu tun haben.
Also es ist ja wirklich, ja eben, die hatten ja nicht nur den Eindruck,
sondern es wurde ja auch öffentlich von vielen Menschen gefordert.
absoluter Blödsinn ist, als ob ich meine Freundin Katja aus Uetersen, die Katholikin ist,
dazu auffordere, sich öffentlich gegen die katholische Kirche zu positionieren,
weil wieder ein Pfarrer irgendwie angefasst hat.
Also die Leute, die das fordern, bei denen ist ja schon total viel verloren,
weil sie zeigen ja, dass sie denken, das sind die und das sind wir.
Dabei hat dieser Anschlag ja auch MuslimInnen genauso wie ChristInnen, genauso wie AtheistInnen getroffen.
Ja, und deswegen ist eben diese Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus so wichtig.
Aber es haben eben nach den Anschlägen viele Leute nicht hingekriegt mit richtig schlimmen Folgen.
Denn Hassverbrechen in den USA gegen MuslimInnen haben nach 9-11 extrem zugenommen.
Im Jahr 2000, also davor, gab es 28 solcher sogenannte Hate Crimes.
Und im Jahr 2001 481.
Ja, und die meisten davon ja nach dem 11. September.
Also in den wenigen Monaten, die noch danach kamen.
Ja, und es ist natürlich ein Riesenproblem, wenn aus dem Hass von einigen wenigen,
und zwar diesen Dschihadisten wie Atta und so weiter,
also dem dann mit einem Hass gegen alle muslimischen Menschen zu begegnen,
das kann natürlich gefährlich werden.
Nicht nur, wie wir sehen, mit diesen Hate Crimes an diesen unschuldigen MuslimInnen,
sondern möglicherweise ja auch im Endeffekt für andere Menschen.
Weil wir kennen das auch aus Fällen von Rekrutierungen im Zusammenhang mit dem sogenannten IS,
dass eben Menschen, die ausgegrenzt werden, die sich alleine fühlen, die sich isoliert fühlen oder so,
dass die auch leichter Opfer von Radikalisierungsprozessen werden können,
vor allem wenn sie jung sind.
Und dass die so jung sind, das ist uns ja aufgefallen, als wir da im Memorial waren.
Und deswegen waren wir ja so schockiert, als wir die Bilder von den 19 Attentätern gesehen haben.
Und die sahen alle so wahnsinnig jung aus.
Ich meine, Atta war mit 33 Jahren der Älteste.
Da waren junge Männer dabei, die waren 20, 21 Jahre.
Und wir hatten uns gefragt, was hat die denn jetzt dazu gebracht, diese Anschläge zu begehen?
Und deswegen wollten wir ja diese Folge auch unbedingt machen.
Ja, und ich muss sagen, bevor wir die Recherche jetzt zu 9-11 angefangen haben,
hatte ich das Gefühl, ich kenne die Geschichte, aber es gibt ja einfach so viel zu dem Thema.
Auch die Frage zum Beispiel, hätte das alles nicht eigentlich verhindert werden können?
Also wenn man sich da mal sozusagen das Versagen der Geheimdienste anguckt,
ja nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland,
weil es war ja jetzt nicht so, dass es überhaupt keine Hinweise auf Terroranstiege mit Flugzeugen in den USA gab.
Und es war auch nicht so, dass man die Hamburger WG von Atta und Konsorten
Die Hamburger Zelle, genau, nicht auf dem Schirm hatte.
Ja, genau.
Ja, und auch die Al-Quds-Moschee, die wurde vom BKA und vom Verfassungsschutz überwacht.
Also es gab im Laufe der Zeit einfach mehrere Möglichkeiten, wo Behörden,
wenn die nur ein bisschen tiefer gegraben hätten,
wenn sie sich das einfach genauer angesehen hätten,
schon den auf die Schliche hätten kommen können und so ein Anschlag wahrscheinlich auch hätten vereiteln können.
Wenn alle Behörden zusammengearbeitet hätten und man den Spuren, die man hatte,
einfach noch mehr hinterhergegangen wäre.
Ich meine, am besten fand ich das, es gab noch diesen Mann aus Algerien,
der in Minneapolis auch Flugstunden genommen hat, alles in bar gezahlt hat,
gesagt hat, für Landung und Start interessiert er sich nicht, super auffällig war.
Und zu dem es auch schon eine Warnung vom französischen Geheimdienst gab,
der verhaftet wurde, dessen Computer beschlagnahmt wurde, aber halt nicht ausgewertet wurde.
Und der hatte ja auch Kontakt zu Atta und so.
Also wenn man sich ansieht, wie viel da einfach auch versäumt worden ist,
das ist halt auch super schmerzhaft, ja.
Genau, aber viele Dokus, Artikel, Bücher und so weiter
beschäftigen sich ja eher mit den Opfergeschichten.
Zu Recht, ja.
Ja, genau.
Und das haben wir ja auch in der ersten Folge gemacht und das war uns auch total wichtig.
Und bei beiden Malen bei mir in dem Memorial Museum, ich war ja dann mit dir zum zweiten Mal da,
und da war das genau wieder so bei mir, dass ich nach diesen Opfergeschichten,
ich konnte mir danach irgendwie nicht mehr diese Sektion angucken, wie kam es dazu
und mich mit den Menschen beschäftigen, die dieses Leid über die ganzen Opfer gebracht hat.
Irgendwie hat sich alles in mir dagegen gesträubt, da jetzt noch länger zu verweilen, ne.
Und deswegen fand ich das wirklich, das ist ja voll das Eigenlobe, aber egal.
Aber deswegen fand ich das jetzt irgendwie so wichtig und richtig von uns,
dass wir uns eine ganze Folge mal mit den Hintergründen beschäftigen,
um das auch zu verstehen, wie es dazu kam.
Ja.
Und es ist, obwohl heute auf den Tag genau der 11. September 2021, 23 Jahre her ist,
nach wie vor ein aktuelles Thema, was die Nachwirkungen angeht,
der Einmarsch sowohl in Afghanistan als auch in den Irak.
Das hat ja bis heute Konsequenzen, aber auch was die Überwachung in den USA angeht
und da auch dann die Einschränkung von Bürgerrechten, die da mit einhergeht und, und, und, und, und.
Ja.
Also vielen Dank, dass ihr diesen Weg mit uns gegangen seid.
Wir haben auf Instagram gesehen, dass euch die erste Folge sehr gut gefallen hat.
Darüber sind wir sehr, sehr glücklich, weil das für uns natürlich auch immer so ein kleines Risiko ist,
ein Verbrechen zu erzählen, was jeder Mensch eigentlich schon kennt.
Und deswegen hat es uns nochmal umso mehr gefreut, dass wir vielen auch von Schicksalen erzählt haben,
von denen sie bisher noch nichts wussten.
Und was es uns ja auch gezeigt hat, ist, dass man sich schon mal an solche großen Verbrechen auch heranwagen kann,
die eigentlich jeder kennt, wenn man einen anderen Ansatz findet.
Genau, das wollen wir jetzt öfters mal machen.
Und ein Verbrechen haben wir da auch schon im Kopf.
Da könnt ihr schon mal gespannt sein.
Nächste Woche geht es aber mit einer einzelnen Folge weiter, wie sonst auch bei Mordlust.
Und mit einem Verbrechen, das wirklich einen wahnsinnigen Hintergrund hat, wenn man mal drüber nachdenkt.
Bis nächste Woche.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Jennifer Fahrenholz und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.