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#176 Gefangen im netz

Ganz herzlich willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier reden wir über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
ordnen den für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, das heißt aber auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch jetzt mal ein bisschen abschweifen
oder miteinander reden.
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Bevor wir mit dem heutigen Fall starten, in dem es um eine unterschätzte Gefahr geht,
die in ganz, ganz vielen Kinderzimmern lauert, wollen wir jetzt mal über ein Thema sprechen,
das unserer Meinung nach noch mehr Aufklärung braucht.
Und zwar geht es um die Änderung von § 184b im Strafgesetzbuch.
Da geht es um die Verbreitung, den Erwerb und Besitz von kinderpornografischen Inhalten.
Also so heißt dieses Gesetz.
Genau, also darunter würden beispielsweise Nacktbilder von Kindern fallen,
also von unter 14-Jährigen, die sie aber vielleicht auch selber gemacht haben,
aber auch Missbrauchsdarstellungen.
Und diesbezüglich haben wir ein paar wilde Sachen im Internet gehört, wie zum Beispiel in diesem Video, was ihr jetzt hört.
In der Strafe gesenkt.
Ist doch keine Straftat mehr, es ist nur im Vergehen, als würde ich jemanden schubsen.
Und ganz wichtig, Verteidigungsspielraum.
Sind denn geringfügige Fälle?
Wenn jemand also weniger Dateien besitzt, ist es okay, wird nicht bestraft.
Jetzt mal ohne Witz, das könnt ihr doch nicht ernst meinen.
Dieses Gesetz ist schon vor Monaten in Kraft getreten.
Warum?
Hört man nichts darüber.
Warum wurde darüber keine Welle gemacht?
Und hier denken wir, wurden bestimmte Sachen vermutlich missverstanden.
Aber zum Teil wollten bestimmte Leute das sicherlich auch missverstehen, was da passiert ist.
Beispielsweise für Klicks oder eben um über diese Gesetzesänderungen und damit auch vielleicht die Regierung herzuziehen.
Also einmal zum Hintergrund.
Schon 2021 gab es eine Gesetzesänderung.
Da wurde nämlich 184b im StGB im Rahmen der Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder verschärft.
Und damals wurde also beschlossen, dass der Besitz und die Verbreitung kinderpornografischen Materials in Anführungszeichen grundsätzlich als Verbrechen eingestuft wird.
Und es wurde die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr festgelegt.
Und damit wurden diese Taten von einem Vergehen zu einem Verbrechen.
Und das hört sich jetzt erstmal super an, hat aber ein paar Probleme mit sich gebracht.
Und zwar also beispielsweise Jugendliche ab 14 Jahren, die sich sowas hin und her geschickt haben.
Oder Menschen, die die Bilder bekommen haben, weil es irgendwie in einen Gruppenchat geschickt wurde.
Und die dann mehrere Tage darauf rumgedacht haben, was die jetzt damit machen sollen.
Oder Menschen, die das weitergeleitet haben und jemanden mit Rechtskenntnis gefragt haben, was mache ich jetzt damit.
Oder auch Mütter, die diese Bilder dann an Lehrkräfte geschickt haben oder einem Elternteil weitergeleitet haben mit dem Zusatz,
hey, guck mal bitte, was in der Klasse unserer Kinder hier rumgeschickt wird.
So einen Fall gab es übrigens auch tatsächlich nicht.
Und all diese Menschen, die hatten sich zwar auch schon vor der Gesetzesänderung strafbar gemacht.
Jetzt aber hatte man seit 2021 viel weniger Spielraum für diese Fälle,
weil man die quasi vor Gericht ziehen musste, obwohl die ja etwas ganz anderes sind,
als solche Inhalte mit pädokriminellem Hintergrund zu verschicken.
Genau. Und dieser Mutter aus dem Beispielfall, der drohten jetzt nach der Gesetzesverschärfung aus 2021 ein bis zehn Jahre Haft.
Also auch wenn man sagt, man möchte sie nicht hart bestrafen, hätte sie mindestens ein Jahr Haftstrafe bekommen
und auch einen Eintrag natürlich ins Führungszeugnis.
Und weil es damals von einem Vergehen zu einem Verbrechen geworden ist,
gab es also keine Möglichkeit, das Verfahren und sei es gegen die Zahlung einer Geldauflage einzustellen.
Und weil dann aber auch einige Gerichte gesagt haben, ey, so kann das nicht stimmen.
Das muss nochmal zum Bundesverfassungsgericht.
Und es eben in der Zeit auch ganz klar Leute getroffen hat, die das Gesetz eigentlich so nicht treffen sollte,
gab es jetzt eben diesen Sommer eine Gesetzesreform von 184b angetrieben von unserem,
ja, also jetzt, ja, damaligen Justizminister Marco Buschmann.
Und da ging es eben vor allem um die Herabsetzung der Mindeststrafe.
Also statt wie bisher mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe wird der Besitz solcher Inhalte nun mit sechs Monaten,
in manchen Fällen auch nur mit drei Monaten bestraft.
Eben um eine Verhältnismäßigkeit für diese sogenannten Wahnfälle oder Schulhofsfälle zu schaffen.
Also die, von denen wir jetzt gerade gesprochen haben, mit den Müttern oder Kindern, ja.
Und obwohl diese Gesetzesreform ja jetzt schon ein bisschen her ist, kamen jetzt erst kürzlich im Internet diese Videos hoch,
wo Leute sich eben darüber massiv aufgeregt haben und auch unterstellt haben, wieso erfährt man davon nichts.
Naja, also wenn man regelmäßig vielleicht mal ein Nachrichtenmagazin konsumieren würde,
dann hätte man da vielleicht schon von gehört.
Aber die tun ja jetzt so, als hätte die Ampel das irgendwie still und heimlich entschieden,
sodass das Ja keiner mitbekommen sollte.
Und ja, der Strafraum fängt jetzt weiter unten an und generell kann das auch bedeuten,
dass es zu einer geringeren Strafe kommt.
Das ist aber eben nicht zwingend.
Also man kann immer noch zu derselben Strafe für Menschen mit pädokriminellem Hintergrund kommen,
wie vor der Änderung jetzt.
Und diese Menschen, die sich da aufregen, ignorieren eben sehr oft,
dass es bei der Gesetzesänderung um diese Menschen,
die das zur eigenen Befriedigung oder finanziellen Bereicherung machen, nicht ging.
Sondern Sinn dahinter war, wirklich mehr Spielraum für die anderen Fälle zu schaffen.
Und das ist natürlich höchst gefährlich, das dann so verfälscht darzustellen,
weil viele Leute natürlich dann auf diesen Zug aufspringen,
die selber irgendwie kein Nachrichtenmagazin seit einem halben Jahr geschaut haben.
Ja, genau. Und sowas macht natürlich auch Stimmung.
Also mit solchen Themen generiert man halt eben auch immer viele Klicks,
weil es einfach ein emotional aufreibendes Thema ist.
Und sowas birgt natürlich total viel Gefahren für Desinformation
und manche Parteien benutzen das auch absichtlich,
um da irgendwie die Stimmung aufzuheizen.
Deswegen wollten wir jetzt nochmal darüber reden und da ein bisschen Klarheit reinbringen.
Das ist allerdings nicht der einzige Grund, weshalb wir darüber reden,
denn wir kommen heute im Laufe des Falls, um den es jetzt gleich geht,
auch nochmal auf diese Gesetzesänderung zurück.
Alle Namen haben wir geändert und die entsprechende Triggerwarnung zum Fall
findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
Sommer 2022. T-Shirts, Röcke, Kleider und Accessoires.
Das spricht man übrigens so aus. Das ist mir ganz wichtig, an der Stelle mal zu sagen.
Da gab es schon mindestens eine große Ehekrise zwischen Laura und Wir.
Ja, wenn ich jetzt diesen Absatz vorgelesen hätte, hätte ich es genau anders ausgesprochen.
Obwohl du es besser weißt, hättest du Accessoires gesagt.
Es hört sich aber komisch an.
Also ganz tolle Accessoires gab es da.
Oh Gott, ich hasse auch solche Leute.
Also ich hasse solche Leute wie mich,
die dann so darauf voll viel Wert legen,
aber so ganz viele andere Sachen dann so falsch machen.
Das Bekleidungsgeschäft, das Simone soeben betreten hat,
bietet ein umfangreiches modisches Angebot.
Etliche Textilien, die mal mehr, mal weniger ordentlich
auf verschiedenen Verkaufszischen liegen,
zahllose Kleidungsstücke auf den aneinandergereihten Kleiderbügeln
ziehen an ihr vorbei.
Dabei will die 53-Jährige mit der zierlichen Statur
und dem blonden Bob gar nicht ihre Garderobe erweitern,
sondern die ihres Kindes.
Gemeinsam mit ihrer 14-jährigen Tochter Lea
ist Simone ins Outlet-Center gefahren,
um ihr eine Freude zu machen.
Eine kleine Shoppingtour und gemeinsame Mutter-Tochter-Zeit.
Davon war Simone vor ihrem Aufbruch zu Hause überzeugt,
würden der Jugendlichen sicher gefallen.
Doch nun, inmitten des Klamottenladens,
muss Simone sich eingestehen,
dass sie sich offenbar getäuscht hat.
Denn begeistert wirkt Lea nicht.
Im Gegenteil.
Mit nachdenklichen Blick und hängenden Schultern
trottet sie hinter ihrer Mutter her.
Lea wirkt teilnahmslos nahezu gleichgültig.
Nicht einmal bleiben ihre großen braunen Augen
interessiert an etwas hängen.
Also besteht Simone,
größere Geschütze aufzufahren.
Lea darf sich etwas zum Anziehen aussuchen.
Egal was es ist, egal was es kostet,
Simone kauft es ihr.
Doch die 14-Jährige lehnt ab.
Sie hat kein Interesse.
Eine Reaktion,
die völlig untypisch für einen Teenager in ihrem Alter ist.
Doch wirklich überrascht ist Simone nicht.
Es passt zu Lea.
Oder besser gesagt,
zu der neuen Lea.
Ihre Tochter hat sich verändert.
Das ist Simone ganz deutlich aufgefallen.
Lea ist zwar schon immer ein ängstliches
und schüchterndes Mädchen,
das sich nicht einmal traut,
ohne Begleitung zum Döner im Biss zu gehen,
der nur wenige Straßen von ihrem Zuhause entfernt ist.
Aber seit einigen Monaten ist es anders.
Schlimmer.
Lea ist nun nicht mehr nur zurückhaltend,
sondern regelrecht verschlossen.
Nahezu jeden Tag beobachtet Simone,
wie Lea nach Schulschluss schnurstracks in ihr Zimmer geht,
die Tür schließt und dort den Rest ihres Tages bleibt.
Lea wirkt oft in sich gekehrt,
nachdenklich und nervös.
An anderen Tagen einfach nur traurig und niedergeschlagen.
Simone kann sich nicht erinnern,
wann sie ihre Tochter zum letzten Mal hat Lachen sehen.
Außerdem ist die 14-Jährige in letzter Zeit nur noch am Handy,
hat kaum Appetit
und stochert oft nur mit der Gabel in ihrem Essen herum.
Anfangs hatte Simone das Verhalten ihrer Tochter
noch auf die Pubertät geschoben.
Mittlerweile ist sie jedoch besorgt und überzeugt,
dass mit ihr etwas nicht stimmt.
Lea will jedoch nicht mit der Sprache rausrücken,
ob Liebeskummer, Ärger in der Schule
oder was ganz anderes die Ursache ihres Verhaltens ist.
Denn jedes Mal, wenn Simone das Gespräch mit ihrer Tochter sucht,
blockt sie ab.
Und das versetzt Simones Mutterherz einen Stich.
Schließlich haben sie und Lea
eigentlich ein gutes Verhältnis zueinander.
Der heutige Einkaufsbummel ist nicht
Simones erster Versuch,
ihre Tochter auf andere Gedanken zu bringen.
In den vergangenen Wochen haben sie und Ehemann Bernd
nichts unversucht gelassen,
um Lea aufzumuntern und aus ihrem Zimmer zu locken.
Erst letztens haben sie beispielsweise
mit ihr und ihrem elfjährigen Bruder Lasse
einen Ausflug zu einem nahegelegenen Badesee gemacht.
Doch Lea wollte nicht ins Wasser
und hatte trotz sommerlicher Temperaturen
darauf bestanden, ihre gesamte Kleidung anzubehalten.
Der Plan, wieder etwas Leichtigkeit in Leas Alltag zu bringen,
war damit gefloppt.
Genauso wie die Shoppingtour,
die Simone und Lea nun ohne gefüllte Einkaufstüten beenden.
Einige Wochen später startet Simone wieder einen Versuch.
Gemeinsam mit Tochter Lea und Sohn Lasse
möchte die 53-Jährige den Nachmittag des 21. Juli 2022 nutzen,
um Schuhe zu kaufen.
Dieses Mal geht es jedoch nicht um Spaß,
sondern um Pragmatismus.
Ihre Kinder brauchen dringend neue Träter.
Simone ist gerade dabei,
sämtliche Autotüren aufzureißen,
um das Fahrzeug angesichts der heißen Temperaturen zu lüften,
als Lea leger gekleidet in schwarzer Leggings,
grauem Trägertop und weißen Sneakern
aus der Haustür tritt und auf sie zukommt.
Die 14-Jährige sagt,
sie wolle noch kurz bei einem Klassenkameraden vorbeischauen,
der nur ein paar Straßen weiter wohnt.
Ihm seinen beigen Kapuzenpullover vorbeibringen,
den er in der Schule vergessen habe
und den sie für ihn mitgenommen hat.
Danach können sie los.
Simone ist irritiert.
Dass ihre Tochter alleine irgendwo hin will,
ist untypisch für sie.
Sie will doch sonst überall hin begleitet werden.
Außerdem wirkt Lea wieder einmal
völlig neben der Spur und unsicher.
fast so, als wisse sie mal wieder selbst nicht,
ob sie sich das, was sie vorhat, wirklich zutraut.
Lea wendet sich Simone an die 14-Jährige.
Du schaffst das.
Und es scheint,
als würde dieser kleine Satz etwas bewirkt haben.
Kurz darauf läuft Lea los.
Doch wenn Simone wüsste,
was ihre Tochter wirklich vorhat,
dann hätte sie sie in diesem Moment
niemals gehen lassen.
Etwa eine halbe Stunde später
tippt Simone ungeduldig,
Lea, wo bist du, in ihr Telefon.
Die 53-Jährige findet es seltsam,
dass Lea noch nicht zurück ist.
Schließlich wohnt der Klassenkamerad,
dem sie seinen Pulli bringen wollte,
nur ein paar Gehminuten entfernt.
Und so langsam wollen sie wirklich los.
Simone beschließt daher,
ihre Tochter bei ihrem Schulfreund einzusammeln.
Doch als sie dort ankommt und klingelt,
stellt sich heraus,
Lea ist gar nicht hier gewesen.
Simone ist verdutzt.
Das kann nicht sein.
Ihre Tochter hat ihr doch klar gesagt,
wo sie hin will.
Und wenn sie nicht hier ist,
wo ist sie dann?
In Simones Magen
braut sich ein unangenehmes Gefühl zusammen,
doch sie beschließt,
Ruhe zu bewahren
und mit Sohn Lasse erst einmal
wieder nach Hause zu fahren.
Lea wird schon gleich wieder auftauchen
und alles aufklären.
Da ist sich Simone sicher.
Und kurz vor 18 Uhr,
Lea ist seit etwa anderthalb Stunden weg,
zeigt Simones Handy
den Eingang einer neuen Nachricht an.
Lea hat ihr geschrieben.
Gott sei Dank.
Doch als sie die Nachricht öffnet,
ist die Erleichterung schnell wieder verflogen.
Denn Lea hat ihr nur ein einziges Wort geschickt.
Mama.
Simone ist verwirrt.
Was möchte Lea ihr damit sagen?
Warum schreibt sie nicht einfach,
wo sie ist
und wann sie endlich zurück ist?
Simone versucht,
ihre Tochter telefonisch zu erreichen,
doch die nimmt nicht ab.
Darüber werden sie sprechen müssen,
wenn die 14-Jährige wieder zu Hause ist.
Doch Lea kommt nicht wieder nach Hause.
Nicht in den nächsten Minuten,
nicht in den nächsten Stunden.
Je weiter der Zeiger
an diesem Donnerstag auf der Uhr voranrückt,
desto größer wird Simones Sorge.
Aus einem anfänglichen unguten Gefühl
ist mittlerweile echte Angst geworden.
Wo ist ihre Tochter nur?
Gemeinsam mit Leas Vater Bernd
klappert Simone den Freundeskreis von Lea ab,
ruft KlassenkameradInnen an,
in der Hoffnung,
dass Lea sich dort aufhält
oder eines der Kinder ihre Tochter
in den vergangenen Stunden
zumindest gesehen hat.
Währenddessen wählt Lasse
immer wieder die Nummer seiner Schwester.
Ohne Erfolg.
Gegen 22 Uhr,
Lea ist seit mittlerweile
fünfeinhalb Stunden verschwunden,
treffen Simone und Bernd eine Entscheidung.
Sie schalten die Polizei ein.
Für die BeamtInnen
sind mehrere Szenarien denkbar.
Womöglich ist Lea
einfach zu Hause ausgebüxt.
Vielleicht ist sie bei einer Freundin
oder einem Freund,
den ihre Eltern nicht kennen.
Da die PolizistInnen jedoch auch
ein Verbrechen nicht ausschließen können,
nehmen sie die Sorge
von Simone und Bernd ernst
und leiten erste Schritte ein.
Die Suche nach Lea beginnt.
Während Streifenwagen
durch den kleinen Ort
in Südbaden fahren
und PolizistInnen
mit wachsamen Augen
Ausschau nach dem Teenager halten,
sind Simone und Bernd
ebenfalls unterwegs.
Für die besorgten Eltern
kommt es nicht in Frage,
dass sie Tatenlust
zu Hause auf dem Sofa verharren
und darauf warten,
dass womöglich
jeden Augenblick
der Schlüssel ins Schloss gesteckt wird
und Lea durch die Eingangstür kommt.
Nein, sie müssen selbst etwas tun.
Unterstützt von FreundInnen,
Menschen aus der Nachbarschaft
und Bekannten
laufen sie selbst
die mittlerweile dunklen Straßen
und Wege des kleinen Orts ab,
rufen Leas Namen in die Ferne,
in der Hoffnung,
die 14-Jährige gesund und munter zu finden.
Doch der 21. Juli 2022
birgt kein Happy End
für die Suchenden.
Lea bleibt verschwunden.
Am nächsten Tag
startet die Polizei
eine groß angelegte Suchaktion.
Mehr als 100 PolizistInnen
setzen nun von morgens bis abends
alles daran, Lea zu finden.
Akribisch nehmen sie
nahezu jeden Quadratmeter
von Leas Wohnort
und die nahegelegene Umgebung
unter die Lupe.
Auch Spürhunde
und Polizeihubschrauber
kommen zum Einsatz.
Simone und ihre Familie
beteiligen sich weiterhin
an der Suche.
Sie haben Plakate entworfen,
mit denen sie nun
auf Leas Verschwinden
aufmerksam machen
und um Mithilfe bitten.
Vermisst steht eingerahmt
von mehreren Ausrufezeichen
in großen roten Buchstaben
auf den Zetteln,
die Simone und die anderen
mit Tesafim
an Bushaltestellen,
Werbesäulen
und Schaufenstern befestigen.
Für die vermissten Anzeige
haben sie zwei Fotos
von der ziellichen
14-Jährigen ausgewählt.
Auf einem hält sie
ihr Handy in den Händen
und schaut verträumt
in die Ferne,
während ihre langen, dunklen Haare
ihr leicht
ins Gesicht fallen.
Auf dem anderen fokussiert sie
mit ihren sanften
braunen Augen
die Kamera,
die Lippen
zu einem zaghaften
Lächeln geformt.
Simones Herz ist schwer.
Ob sie ihre Tochter
jemals wieder
so lächeln sehen wird?
In den kommenden Tagen
bleibt Lea weiterhin verschwunden.
Und das,
obwohl die Sonderkommission,
die die Polizei mittlerweile
ins Leben gerufen hat,
nichts unversucht lässt,
um die 14-Jährige zu finden.
Die Suche nach Lea
beschränkt sich dabei
nicht nur auf analoge Mittel.
Auch digital begeben sich
die Beamtinnen
auf Spurensuche,
in der Hoffnung,
Simones Tochter aufzuspüren.
Gleich zu Beginn
hatte die Polizei
etwa versucht,
ihr Handy zu orten.
Mit einem richterlichen Beschluss
hatten die Beamtinnen
sich dafür
an die Netzbetreiber gewandt,
Leas Handynummer durchgegeben
und um Standortdaten gebeten.
Jedoch ohne Erfolg.
Leas Handy war
und ist offenbar ausgeschaltet
und eine Ortung
somit nicht möglich.
Doch nun,
einige Tage später,
können die Provider
den Ermittelnden
doch etwas an die Hand geben,
was sich für die Suche
nach Lea
als hilfreich erweisen könnte.
Den Netzbetreibern
ist es nachträglich gelungen,
drei Standorte zu bestimmen,
an denen sich Lea
am Abend des 21. Juli,
dem Tag ihres Verschwindens,
aufgehalten hat.
Es sind Daten,
die den Beamtinnen
klar machen,
hier im Süden
Baden-Württembergs,
in der Nähe ihres Heimatortes,
werden sie Lea nicht finden.
Denn die letzten beiden Standorte,
an denen sich Lea
offenbar aufgehalten hat,
liegen in Hessen,
mehrere hundert Kilometer
von ihrem Elternhaus entfernt.
Das versetzt die PolizistInnen
in Alarmbereitschaft.
Für sie ist es nahezu ausgeschlossen,
dass Lea,
die von ihren Eltern
als schüchtern
und ängstlich beschrieben wurde,
alleine in ein anderes
Bundesland gefahren ist.
Sie muss in Begleitung
einer anderen Person
unterwegs gewesen sein.
Eine Person,
die sie gezwungen hat,
mit ihr mitzukommen,
sie verschleppt hat
und die ihr vielleicht
sogar etwas angetan hat,
so die Annahme
der BeamtInnen.
Und um herauszufinden,
wer diese Person
sein könnte,
setzt die Polizei
nun auf eine besondere
Ermittlungsmethode,
die Funkzellenanalyse.
Ein Verfahren,
das seit Anfang der 2000er
immer wieder
bei Ermittlungen
zum Einsatz kommt
und das nun
im vermissten Fall von Lea
den erhofften
Durchbruch bringen soll.
Ja,
und was genau
eine Funkzellenanalyse ist
und wie sowas abläuft,
das erklären wir euch
jetzt in unserem Aha.
Genau, also zunächst mal
ist wichtig zu wissen,
dass unser Mobilfunknetz
in verschiedene
geografische Bereiche
eingeteilt ist
und die nennt man eben
Funkzellen.
Und jedes Mal,
wenn wir telefonieren,
Nachricht verschicken
oder beispielsweise
mobile Daten nutzen,
dann verbindet sich
unser Handy
automatisch mit einem
Sendemast,
der eben eine
Funkzelle abdeckt.
Und das hat den Grund,
dass unsere Handys
so konzipiert sind,
dass sie möglichst
immer Empfang haben sollen
und die nächstgelegene
Funkzelle in der Regel
eben das stärkste Signal
bietet.
Deswegen kann man
anhand der Funkzelle,
in der sich ein Handy befindet,
auch Rückschlüsse
auf den Aufenthaltsbereich
einer Person ziehen.
Wobei man sagen muss,
dass das mal mehr,
mal weniger genau geht,
weil entscheidend dafür
ist unter anderem
die Funkzellendichte.
In jetzt so städtischen Gebieten
mit gut ausgebauter
Mobilfunkversorgung
gibt es meistens
so viele kleine Funkzellen,
sogenannte Small Cells,
die teilweise weniger
als 100 Meter abdecken.
und wenn man weiß,
dass ein Handy
da eingeloggt ist
oder war,
dann kann man
den Aufenthaltsort
der betreffenden Person
ziemlich genau bestimmen.
Aber jetzt beispielsweise
in ländlichen Gebieten,
wo eine Funkzelle
dann schon mal
einen bis zu 35 Kilometer
großen Radius abdeckt,
da wird es dann schon schwieriger
mit einer genauen
Standortbestimmung.
Ja, so oder so.
Für Ermittlungsbehörden
kann es eben
total hilfreich sein,
über Verbindungsdaten
Rückschlüsse
auf den Aufenthaltsort
einer Person ziehen zu können.
Und wenn Polizei
und Staatsanwaltschaft
das machen,
dann spricht man eben
von einer Funkzellenanalyse.
Ein kleines Beispiel.
Angenommen,
bei einem Juwelier
gibt es einen bewaffneten
Raubüberfall
und die Tatzeit ist bekannt.
Dann kann sich die Polizei
mit einem richterlichen Beschluss
an den Netzbetreiber
der betreffenden Funkzelle wenden
und den auffordern,
die Verbindungsdaten
zur Tatzeit herauszugeben.
Die werden nämlich
zumindest eine Weile
protokolliert und gespeichert.
Das kann man sich dann
so vorstellen,
dass die Ermittlungen
dann so eine tabellarische
Übersicht von Handynummern kriegen,
die zum Tatzeitpunkt
in der Funkzelle
des Tatorts eingeloggt waren.
Ist natürlich erstmal
ein ziemlich schwaches Indiz,
weil man natürlich
davon ausgehen kann,
dass mehrere Nummern
auf der Liste stehen
und das auch erst einmal
nur bedeutet,
dass sich diese Personen
in Tatortnähe
zu dieser Zeit befunden haben.
Wenn man allerdings
schon eine verdächtige Person hat,
dann kann das ja auf jeden Fall
hilfreich sein,
um zum Beispiel ein Alibi
zu überprüfen.
Und nun darf man sich das
aber nicht so vorstellen,
dass PolizistInnen tagtäglich
irgendwelche Handys
orten und Funkzellendaten
von den Netzbetreibern bekommen,
weil die Funkzellenanalyse
nämlich nur unter ganz
bestimmten Voraussetzungen
als Ermittlungsmethode
angewandt werden darf.
Welche das sind,
findet sich in der Strafprozessordnung.
Da sagt der Paragraf 100g
unter anderem,
dass die Erhebung
von sogenannten Verkehrsdaten
nur dann zulässig ist,
wenn es um Straftaten
von erheblicher Bedeutung geht.
Da runterfallen
so Kapitaldelikte
wie Mord, Totschlag
oder schwere Körperverletzungen,
bewaffnete Raubüberfälle,
bla bla bla bla bla.
Und natürlich auch
schwere Sexualdelikte
wie Vergewaltigung
und sexuelle Nötigung.
Und bei Lea,
die ja mittlerweile
schon ein paar Tage
verschwunden ist,
geht die Polizei
halt mittlerweile
auch davon aus,
dass ihr was Schlimmes
passiert ist
und sie Opfer
einer schweren Straftat wurde,
welcher auch immer.
Und deswegen ist
die Funkzellenanalyse
in dem Fall auch legitim,
wobei die hier jetzt
ein bisschen anders läuft
als bei dem Beispiel
mit dem Juwelier.
Was die Polizei jetzt
nämlich macht,
ist,
den drei Standortdaten,
die sie von Lea haben,
Funkzellen zuzuordnen
und zu schauen,
ob es eventuell
ein Mobiltelefon gibt,
das am Tag
von Leas Verschwinden
zeitgleich mit ihr
in diesen drei
Funkzellen eingeloggt war.
Und tatsächlich
gibt es da einen Treffer.
Es gibt nur ein Telefon,
das sich nach Leas Verschwinden
zeitgleich
in denselben Funkzellen
befunden hat
wie das Handy
der 14-Jährigen.
Sowohl in Leas Wohnort
als auch in Hessen.
Bingo.
Was die PolizistInnen
nun haben,
bezeichnet man als
Kreuztreffer.
Es ist die erste
vielversprechende Spur,
seit sie nach Lea suchen.
Die Spur,
die sie zu einer Person führt,
die offenbar
nach Leas Verschwinden
mit ihr zusammen gewesen
sein muss.
Nachdem die Beamte
innen wenig später
den Anschlussinhaber
der Nummer ermittelt haben,
geben sie seinen Namen
in das polizeiliche
Auskunftssystem ein.
Sie wollen prüfen,
ob der Mann,
der offensichtlich
am 21. Juli
mit Lea nach Hessen
gefahren ist,
polizeilich bekannt ist.
Und als ihnen der Computer
nach wenigen Klicks
seinen kriminellen
Lebenslauf offenlegt,
schrillen bei den
Ermittelnden
die Alarmglocken.
denn die Vorgeschichte
des Mannes
lässt sie befürchten,
dass Lea etwas
Furchtbares passiert ist.
Der nächste Tag,
der Freitag,
hat gerade erst begonnen,
als das SEK
im Morgengrauen
des 29. Julis
in einer südhessischen
Gemeinde
eine Wohnung stürmt.
Es sind die vier Wände
von Kai Gerlach.
Nach den Ergebnissen
der Funkzellenanalyse
ist die Polizei überzeugt,
dass er etwas
mit Leas Verschwinden
vor acht Tagen
zu tun hat
und sie hier
in seiner Wohnung
vielleicht sogar festhält.
Die Beamtinnen
des Sondereinsatzkommandos
sind daher voller Hoffnung,
als sie sich Zutritt verschaffen.
Doch die Wohnung
ist verlassen.
Kai ist nicht da
und auch Lea
finden sie nicht.
Die Beamtinnen
schauen sich genauer um.
Schnell entdecken sie hier
inmitten des unordentlichen
Zimmers,
in dem sie nun stehen,
einige Gegenstände,
die ihre Aufmerksamkeit
erregen.
Weiße Darmensneaker
und ein graues Tanktop.
Aber auch
einen beigen
Kapuzenpulli,
eine Schülerfahrkarte
und ein ausgeschaltetes Handy.
Es sind Leas Sachen,
die sie am Tag
ihres Verschwindens getragen
und bei sich gehabt haben soll.
So hat es ihre Familie
auf den selbstentworfenen
Plakaten beschrieben.
Für die PolizistInnen
ist damit eine Sache klar.
Sie sind
auf der richtigen Spur.
Erschimpft,
erpöbelt
und beleidigt.
Die PolizistInnen
müssen sich einiges anhören,
als sie Kai
gegen halb zehn Uhr morgens,
nur wenige Stunden
nach der Wohnungsdurchsuchung,
auf dem Gelände
einer Frankfurter
Sicherheitsfirma
Handschellen anlegen.
Nachdem die Ermittlenden
seinen Arbeitsplatz
ausfindig gemacht haben,
sind sie hierher gefahren,
um den 29-Jährigen,
der soeben seine Nachtschicht
als Security-Mitarbeiter
beendet hat,
festzunehmen.
Die PolizistInnen
bringen Kai
auf eine nahegelegene
Polizeiwache,
wo sie ihm die Fragen stellen,
die sie umtreiben.
Wo ist Lea?
Was hat er mit ihr gemacht?
Da es seit über einer Woche
kein Lebenszeichen mehr
von der 14-Jährigen gibt,
geht die Polizei
mittlerweile vom Schlimmsten aus.
Hat der Mann,
den sie soeben verhaftet haben,
Lea etwa getötet?
Kai,
ein unscheinbarer Kerl
mit kräftiger Statur
und dunkelblonder
Kurzhaarfrisur,
liefert ihnen darauf
keine Antworten.
Zumindest keine,
die ihnen weiterhelfen.
Teilnahmslos,
nahezu desinteressiert,
macht er klar,
dass er nichts getan habe,
er eine Lea
noch nicht einmal kenne.
Während die VernehmungsbeamtInnen
versuchen,
Kai Informationen zu entlocken,
werden parallel
seine Mobiltelefone untersucht.
Gleich zwei Handys
haben die PolizistInnen
in seinem Auto
sicherstellen können.
Und als sie beginnen,
die Geräte auszuwerten,
stoßen sie schnell auf etwas,
das ihre Aufmerksamkeit erregt.
Die Geodaten auf Kais Handys
belegen,
dass er sich in der Nacht
nach Leas Verschwinden
länger an einem See
in Mittelhessen aufgehalten hat.
Eine Erkenntnis,
die Bewegung in die Ermittlungen bringt.
Und die nun dazu führt,
dass sich ein polizeiliches
Großaufgebot
auf den Weg dorthin macht.
Wenige Stunden später.
Das Naturschutzgebiet Teufelsee
ist ein abgelegenes Fleckchen Erde.
Da das Gewässer zum Baden
ungeeignet und von dichtem
Gestrüpp umgeben ist,
verirren sich selbst
in den Sommermonaten
nur wenige Menschen hierher.
Doch nun,
nachdem ein Polizeihubschrauber
eine Entdeckung gemacht hat,
haben sich zahlreiche Mitglieder
der Polizei hier versammelt,
die nun ZeugInnen
eines schockierenden Anblicks werden.
Auf der Wasseroberfläche
treibt Beuchlings
ein lebloser Körper,
dessen lange dunklen Haare
sich in einem Geäst verfangen haben.
Nur mit Mühe
gelingt es den Einsatzkräften
am steilen Ufer
den Leichnam zu bergen.
Ein Leichnam,
bei dem es sich
um eine weibliche Person handelt,
wie schnell klar ist.
Doch ob es wirklich Lea ist,
die sie soeben
tot aus dem See gezogen haben,
das können die BeamtInnen
nicht sagen.
Zu unkenntlich ist der Körper,
der offensichtlich mehrere Tage
im Wassertrieb.
Noch am späten Abend
soll die Rechtsmedizin
mithilfe eines DNA- und Zahnabgleis
die Frage nach der Identität klären.
Mit dem Ergebnis am nächsten Morgen
ist schließlich klar,
es ist Lea.
Neun Tage,
nachdem sie das Haus verlassen hat
und nicht wiedergekommen ist,
gibt es keine Hoffnung mehr,
sie Leben zu finden.
Sie ist tot.
Und den Ermittlenden
steht nun die schwerste Aufgabe
bevor,
die ihr Beruf mit sich bringt.
Sie müssen es den Eltern sagen.
Wie soll man als Mutter
so etwas verkraften?
Eine Frage,
auf die Simone
keine Antwort findet.
Nachdem die Polizei
ihr und Mann Bernd
mitgeteilt hat,
dass Lea tot ist,
sind die 53-Jährige
und ihr Partner
am Boden zerstört.
Das,
was der größte Albtraum
aller Eltern ist,
ist nun ihre schmerzliche Realität.
Simone kann nicht fassen,
dass ihre Tochter
nie wieder nach Hause kommen wird,
dass Simone
nie wieder ihre Stimme hören
oder sie in die Arme schließen wird.
In der dunkelsten Stunde
ihres Lebens
versuchen viele Menschen
aus ihrem kleinen Ort
Simone und Bernd
etwas Licht zu schenken.
Nahezu stündlich
wächst das Meer
aus Grablichtern,
Blumen und Stofftieren
vor der terracottafarbenen
Fassade des Rathauses.
Gesten,
die Simone und ihr Mann
zu schätzen wissen.
Offenbar gibt es hier
in dem kleinen südbadischen Dorf
viele Menschen,
die sich auf stille Weise
mit ihnen verbunden fühlen,
die Schmerz
und Fassungslosigkeit
mit ihnen teilen.
Doch selbst
die große Anteilnahme
kann Simone und Bernd
nicht von der Frage ablenken,
die sie nun Tag
und Nacht beschäftigt.
Was um Himmels Willen
ist mit ihrer Lea geschehen?
Das will nun auch
die Polizei herausfinden.
Und zwar
mithilfe jenes Mannes,
den sie ohnehin
im Visier haben.
Kai.
Nach dem Fund
von Leas Leiche
dank Standortdaten
auf seinem Handy
steht er nun
unter dringendem
Tatverdacht,
Lea getötet zu haben.
Doch weiterhelfen
will der 29-Jährige
selbst immer noch nicht.
Nachdem er bei seiner Verhaftung
noch betont hatte,
nichts getan zu haben,
sagt er jetzt
schlichtweg
gar nichts mehr.
Doch auch ohne
seine Kooperation
gelingt es der Polizei
wenig später,
einen Fortschritt
bei den Ermittlungen
zu erzielen.
Denn die Auswertung
seiner Handys,
die nach wie vor
andauert, bringt eine wichtige
Erkenntnis
ans Licht.
Kai und Lea
kannten sich.
In den vergangenen Monaten
hatten sie täglich
miteinander Kontakt
und haben sie über
verschiedene Kanäle
tausende Nachrichten
geschrieben.
Stück für Stück
analysieren die
ErmittlerInnen nun
die Chats zwischen
dem Teenager
und dem doppelt so alten
Mann.
Und dabei wird klar,
die Gefahr,
in der sich Lea in den
letzten Monaten
ihres Lebens
befunden hat,
war groß.
Und sie wuchs nicht nur
mit jedem weiteren Tag,
sondern auch mit jeder Nachricht.
Etwa drei Monate zuvor.
Die sozialen Medien
sind ein fester Bestandteil
in Leas Leben.
Nahezu täglich
ist die 14-Jährige
auf TikTok,
Snapchat
und anderen Plattformen
unterwegs,
lag Videos und Bilder
und chattet mit ihren
FreundInnen.
Menschen, die sie aus der
Schule oder dem
Fußballverein kennt,
in dem sie kickt.
Aber auch solche,
die sie persönlich
noch nie getroffen hat
und denen sie sich
dennoch nahe fühlt.
Dass Lea Personen,
die sie nur aus den
sozialen Medien
und Online-Spielen
kennt,
als ihre FreundInnen
bezeichnet,
hat zu Hause schon öfter
zu Diskussionen geführt.
Vor allem ihre Mutter
Simone kann nicht verstehen,
dass sie dieses Wort
für Leute nutzt,
mit denen sie bisher
nur Nachrichten
ausgetauscht hat.
Doch Lea ist das egal.
Freundschaften gibt es
für die 14-Jährige
nicht nur in der analogen,
sondern auch
in der digitalen Welt.
Und sie ist immer offen
dafür, neue zu schließen.
Im April 2022
erhält Lea eine Nachricht
von einem unbekannten Mann.
Eine Nachricht
von Kai.
Wo genau der erste Kontakt
zwischen den beiden
zustande kommt,
lässt sich nicht rekonstruieren.
Aber Fakt ist,
ab dem 25. April
kommunizieren sie vorrangig
über WhatsApp und Snapchat.
Obwohl Lea weiß,
dass Kai doppelt so alt ist
wie sie,
vertraut sie sich ihm an.
Mit Kai
redet sie fortan
über die typischen Themen
eines Teenagers,
über die Schule
und Hobbys,
aber auch über die strengen
Regeln ihres Vaters,
die sie nerven.
Kai geht darauf ein,
er mimt den verständnisvollen
Erwachsenen
und gibt Lea das Gefühl,
dass er sich für sie
interessiert
und sie versteht.
Doch nur kurze Zeit später
lenkt er ein zunächst
harmlos anmutendes Gespräch
in eine ganz andere Richtung.
In einer Nachricht
fragt Kai Lea,
ob sie seine
Zitat
Sugar-Tochter
sein wolle.
Kai behauptet,
ein wohlhabender
Personenschützer zu sein,
der bereits für die Sicherheit
von einigen
bekannten Leuten
gesorgt habe.
Als ihr Sugar-Daddy
könnte er ihr Geld
zur Verfügung stellen.
Alles,
was sie im Gegenzug
dafür tun müsse,
sei ihm Fotos zu schicken.
Aber nicht irgendwelche Fotos,
sondern Nacktfotos.
Es ist unklar,
warum die schüchterne Lea
die darauf folgende
Entscheidung trifft.
Vielleicht will sie
Grenzen ausloten.
Womöglich ist es Neugierde,
vielleicht aber auch
jugendlicher Leichtsinn.
Auf jeden Fall
kommt sie Kais bitte nach
und schickt ihm die Bilder.
Wenn,
auch ohne ihr Gesicht zu zeigen.
Doch Kai gibt sich
damit nicht zufrieden.
Er will mehr.
mehr Fotos,
mehr Infos,
mehr von Lea.
Kai bombardiert Lea
nun regelrecht
mit Text- und Sprachnachrichten.
Einmal schickt er ihr
an einem Tag
etwa 800 Mitteilungen
und sorgt so
für eine echte
Dauerbeschallung.
Außerdem sendet Kai
ihr nun einen Katalog
mit Regeln.
Regeln,
die er Lea
als ihr Sugar-Daddy
auferlegt
und die sie zu befolgen habe.
Du gelobst mir
in jeder Hinsicht
vollständigen
und unabdingbaren
Gehorsam.
Das klingt nach
einer Sekte.
Ja,
ich habe auch gedacht,
irgendwas Religiöses
hat das irgendwie an sich.
Aber jetzt geht es schon
ein bisschen in eine andere Richtung.
Die nächste Regel ist,
du stellst mir deinen Körper
jederzeit
und an jedem Ort
zur Verfügung.
Du wirst mir immer zeigen,
dass du deine Rolle,
mein Eigentum zu sein,
mir zu dienen
und mir zu gehorchen,
akzeptierst.
Du wirst mir jede gestellte Frage
ehrlich und direkt beantworten.
Du wirst mir jederzeit
Auskunft über deinen
körperlichen und seelischen
Zustand geben.
Du wirst mich nie
ignorieren
und auch keine Widerworte
geben.
Und wenn ich Tochter
schreibe,
musst du mit
Ja,
Daddy
Herz-Emoji
reagieren
und ich akzeptiere
kein Nein.
Also das ist auch so widerlich,
weil ich habe mich schon gefragt,
normalerweise heißt das ja
Sugar Daddy
und Sugar Babe.
Ja.
Und Babe ist schon auch
nochmal was anderes
als Tochter.
Also dieser Mensch hat
offenbar auch irgendwie
ein Faible dafür,
das in dieses Rollenspiel
zu bringen,
was ich absolut
widerlich finde.
Ja.
Weißt du,
woran mich das erinnert?
Ich habe mich mal
für so eine Reportage
für so ein Kriminalmagazin,
das hieß
Fahndung Deutschland
damals,
für mich ja in so ein
Pro-Anorexie-Forum
eingeloggt.
Und da ging es quasi
zum einen Teil darum,
wie animieren sich
junge Mädchen
gegenseitig dazu,
sich runterzuhungern.
Der andere Teil
ging aber darum,
dass sich eben
explizit in diese
Foren,
wo viele junge Mädchen
sich rumtreiben,
die sowohl
eingesteuertes Selbstbild
haben,
als auch oft
keinen hohen Selbstwert,
sich dann absichtlich
Männer einschleusen,
um Kontakt zu diesen
meist Mädchen
halt eben aufzunehmen.
Und ich hatte dann
Kontakt mit so einem Mann
und das Ziel war halt,
dass wir uns mit dem
treffen und den
dann exposen.
Ich musste also,
damit so ein Treffen
zustande kam,
über mehrere Wochen
Kontakt mit dem
haben.
Und das war so
widerlich,
weil eigentlich,
ich habe mir das
dann so vorgestellt,
ich bin selbst
jetzt eine andere
Person,
ich bin irgendein
Avatar,
also um das
nicht so an mich
ranzulassen.
Das hat trotzdem
nicht so richtig
geklappt.
Ich wusste ja,
er schreibt jetzt
mit, keine Ahnung,
Tiffi oder wie auch
immer ich mich da
genannt habe.
und trotzdem
hat es mich
genervt,
weil der so
fordernd war
und so
bestimmend
und so
die Fäden
in der Hand
haben wollte.
Und das Ding ist,
er hatte das ja
auf eine Art
tatsächlich,
weil ich ja
diesen Dreh
wollte und
deswegen wollte ich,
dass dieses
Treffen
zustande kommt.
Aber das hat mich
wirklich so irre
gemacht,
weil es meinen
Alltag bestimmt hat,
weil auch er
diese Regeln
aufgestellt hat.
Er hat mir
zehn Regeln
geschickt,
die ich zu
befolgen hatte.
Und das hat
natürlich funktioniert,
weil dieser Typ
ein Druckmittel
in der Hand
hatte.
In seiner Welt
wollte er mir
für das Treffen,
wo es auch zum
Austausch von
Küssen und
Zärtlichkeiten
kommen sollte,
dann halt auch
Geld geben.
Also so locken
die die auch oft.
Und wenn es mich
schon in dieser
Zeit psychisch so
belastet hat,
die ja eigentlich
nicht wirklich was
von sich preisgegeben hat,
sondern über eine
erfundene Identität
mit ihm gesprochen hat,
dann kann ich mir
halt vorstellen,
wie schlimm das
für Mädchen ist,
die nicht schon
gefestigt und die
eben auch noch
durch sowas
Intimes unter Druck
gesetzt werden,
wie halt eben
Nacktbilder,
wo man ja wirklich
Angst hat,
dass das
öffentlich wird.
Und das ist ja
wirklich schlimm
im Gegensatz zu
einem Dreh,
der jetzt platzen würde.
Ja, und ich kann
mir aber auch
vorstellen,
dass Lea,
die hat ja auch
viel mit ihm
geredet,
also viel geschrieben,
sich dem auch
anvertraut,
und so
und man möchte
ja auch,
und das ist ja
einfach so,
das kennt ja jeder
eigentlich,
der früher irgendwie
gechattet hat,
auch mit Leuten,
die man nicht kannte,
man kreiert in seinem
Kopf ja auch ein Bild
von dieser Person,
ein Bild,
was man gut findet,
was oft gar nicht
zu der Person passt,
aber man hat dieses Bild,
man möchte sich auch
gar nicht vorstellen,
dass die Person
einem was Böses will
oder so,
und vor allem,
wenn man so jung ist
und noch sich so viele
Erfahrungen gemacht hat,
dann sehe ich das,
wie man da dann immer
tiefer reinrutscht,
ohne das richtig zu bemerken,
dass das total falsch ist,
was da passiert.
Genau,
und gerade junge Leute
sind oft ja noch nicht
in der Lage zu differenzieren,
was projiziere ich jetzt
auf eine Person,
die ich nur
über das Chatten kenne,
und was ist diese Person
eigentlich wirklich
und gerade wenn sie sich
vielleicht auch in der echten Welt
ein bisschen einsam fühlen,
ist das echt gefährlich,
weil es auch oft
diese Spirale gibt,
es wird immer mehr gefordert,
es werden immer mehr Details
gewollt,
mit denen die TäterInnen,
die jungen Menschen
dann unter Druck setzen
und genauso passiert das
halt damals auch mit Lea.
Kai schickt ihr nämlich
auch noch einen Fragebogen
zu sexuellen Vorlieben,
die sie als unerfahrenes
junges Mädchen,
das sie ist,
gar nicht beantworten kann
und schließlich macht er klar,
dass ihm der digitale Kontakt
zu Lea nicht mehr reicht.
Er will sich mit ihr treffen,
mit ihr Sex haben.
Lea möchte das auf keinen Fall.
Das macht sie ihm mehrfach klar
und versucht ihn zugleich
mit zeitverzögerten
und einsilbigen Antworten
auf Abstand zu halten.
Die 14-Jährige
fühlt sich mit dem Kontakt
zu Kai ohnehin
längst nicht mehr wohl.
Sie schreibt ihm,
dass sie das alles nicht mehr will,
dass ihr das zu viel ist.
Unter anderen Umständen
hätte sie den Kontakt
zu ihrem Chatpartner
vermutlich längst abgebrochen,
seine Nummer gelöscht,
ihn blockiert
oder einfach nur geghostet.
Doch jedes Mal,
wenn Lea versucht,
sich dem 29-Jährigen
zu entziehen,
ihm nicht antwortet
oder seine Forderung
nach neuen Bildern
nicht erfüllt,
droht er ihr.
Zunächst redet Kai
lediglich davon,
sich zu suizidieren,
wenn sie ihm nicht mehr schreibt.
Lea solle ihm
ihren Nachnamen nennen,
damit er sie
in seinem Testament
berücksichtigen könne
und er ist ein Kind.
Dann spricht er schließlich
auch davon,
Lea selbst etwas anzutun
oder ihrem Vater
die Nacktbilder zu zeigen,
der sie dann mit Sicherheit
in ein Kinderheim
abschieben würde.
In der Kommunikation
mit der 14-Jährigen
setzt Kai nun
auf ein perfides Zusammenspiel
aus Einschüchterung,
Drohung und Manipulation.
Lea wird zu Kais
digitaler Marionette.
Und um die Fäden
weiterhin fest in der Hand
zu halten,
ist dem 29-Jährigen
jedes Mittel recht.
Als Lea beispielsweise
einmal ein paar Tage
nur sporadisch schreibt
und Kai vor allem
mit Ignoranz begegnet,
meldet er sich
unter einer anderen
Handynummer bei ihr
und gibt sich als Henker aus,
der von Kai beauftragt worden sei,
ihre Familie zu töten.
Lea könne das jedoch verhindern,
indem sie wieder
Tochter des Sugar Daddys werde.
Die 14-Jährige
steht mit dem Rücken
zur Wand.
Sie weiß nicht,
was sie tun soll,
wie sie sich verhalten soll.
Aus Angst vor Konsequenzen
führt sie den Kontakt
zu Kai fort.
Am liebsten würde Lea
ihm nie wieder antworten,
ihm nie wieder auch
nur eine Nachricht schicken.
Sie wünscht sich,
dass Kai aus ihrem Leben
verschwindet.
Doch wie die Ermitteln
denn heute wissen,
ist das nicht passiert.
Ja, und ich habe ja eben
schon gesagt,
dass es halt ja oft
der Fall ist,
dass jetzt Menschen
wie Kai,
die halt falsche
Hintergedanken haben
bei so einem Kontakt,
dass die natürlich
erst mal
total nett sind
und irgendwie
ein offenes Ohr
haben
und sich so
irgendwie das Vertrauen
erschleichen,
bevor sie dann
sozusagen
zuschnappen
und ihr wahres
Ich zeigen.
Und dieses Vorgehen,
das nennt man
Cybergrooming.
Also,
wenn Kinder im Internet
angeschrieben werden
mit dem Ziel,
sie in der analogen
oder virtuellen Welt
sexuell zu belästigen
oder zu missbrauchen.
Und Cybergrooming
ist gerade am Anfang
oft gar nicht so einfach
zu erkennen.
Unser heutiger Experte,
Cyberkriminologe
Professor Thomas Gabriel-Rüdiger
hat uns nämlich erklärt,
dass TäterInnen
zu Beginn
meistens gar nicht klar sagen,
dass sie auf sexuelle Sachen
aus sind.
Unser Experte
hat uns da mal
ein klassisches Beispiel
genannt,
wie sowas aussehen kann.
Wenn ein Täter
oder eine Täterin
zum Beispiel
mit einem Kind
zusammen
ein Online-Spiel spielt
oder in sozialen Medien
auf ein Bild reagiert
und es einschreibt,
er oder sie
macht das nur,
weil sie die Vorstellung haben,
dadurch,
dass ich mit dem Kind
zusammenspielen kann,
dadurch,
dass ich das Kind
darauf anspreche,
kriege ich vielleicht
die Möglichkeit,
eine Handynummer zu bekommen
und mit der Handynummer
kann ich zum Beispiel
über WhatsApp dann agieren.
Das bedeutet,
Cybergrooming fängt
nicht erst an dem Punkt an,
in dem das Gespräch
in eine sexuelle Richtung
gelenkt wird.
Also auch ein total banaler
oder harmlos wirkender Chat
ist bereits Cybergrooming,
wenn die TäterInnen
damit eben das Ziel verfolgen,
auf das Kind einzuwirken,
um dann eine geplante
sexuelle Belästigung
oder halt sogar
einen Missbrauch
vorzubereiten.
Die Strafbarkeit
ergibt sich vor allem
aus dem Paragrafen
176b
des Strafgesetzbuchs,
der erst 2021
neu geschaffen wurde
und die Vorbereitung
von sexuellem Kindesmissbrauch
unter Strafe stellt.
Und sobald
die TäterInnen
dann in eine sexuelle Richtung
lenken,
indem sie Kindern
irgendwelche sexuellen
Nachrichten schicken
oder sie dazu bringen,
ihnen Nacktfotos zu schicken
oder irgendwelche
intimen Aufnahmen
und Videos,
dann greift außerdem
der Paragraf 176a
der sexuellen Kindesmissbrauch
ohne Körperkontakt
definiert.
Allerdings gilt das nur,
wenn die Opfer
wirklich Kinder sind,
also maximal 13 Jahre alt,
weil darüber hinaus
ist man Jugendlicher
oder Jugendliche.
Das heißt,
das, was Kai damit leer macht,
ist menschlich
und moralisch
unterste Schublade,
aber weil Lea
zu dem Zeitpunkt
bereits 14 ist,
fällt es aber zumindest
nicht unter Cyber-Grooming.
Und Cyber-Grooming
betrifft sehr viele
Minderjährige,
zeigt übrigens
unter anderem
eine Umfrage
der Landesanstalt
für Medien NRW
aus dem Juli 2024.
Da wurden etwa
2000 Kinder
und Jugendliche
zwischen 8 und 17 Jahren
zum Thema Cyber-Grooming
befragt
und raus kam,
dass etwa 25 Prozent,
also jeder
und jede Vierte
von ihnen
schon einmal
davon betroffen war.
Etwa 16 Prozent
gaben außerdem an,
schon einmal
von einer erwachsenen Person
nach einem Treffen
gefragt worden zu sein
und 10 Prozent
wurden sogar online
um freizügige Bilder
von sich gebeten.
Offiziell erfasst
wurden laut der
bundesweiten
polizeilichen
Kriminalstatistik
im letzten Jahr
übrigens etwa
2580 Fälle
von Cyber-Grooming.
Wobei,
das muss man hierzu sagen,
da zählen jetzt
natürlich nur
die juristisch relevanten
Fälle dazu.
also die
von Kindern
unter 14 Jahren
und
ist natürlich auch
sehr
zu hinterfragen,
wie aussagekräftig
diese Zahlen sind,
weil man kann sich ja
zum einen vorstellen,
dass vielen Kindern
vielleicht auch erstmal
nicht klar ist,
dass das gar nicht
okay ist,
was sie da online
im Chat erleben
und dann selbst
wenn man es checkt
als Kind
trauen sich halt viele
auch nicht,
das dann den Eltern
zu erzählen,
weil das natürlich
auch schambehaftet ist.
Ja,
zum Beispiel
im Fall von Lea
ja auch,
die sicherlich
nicht wollte,
dass ihre Eltern
erfahren,
dass sie eben
halt auch schon
diese Nacktfotos
geschickt hat.
ja genau
und ich meine
als Jugendliche
du testest dich
ja auch aus,
ne,
also wir beide
haben ja hier
auch schon mal
erzählt,
dass wir
auch als
Minderjährige,
also ich weiß nicht,
war zwölf oder
dreizehn,
habe ich mit meiner
Freundin mit
irgendwelchen
älteren Typen
gechattet,
weil ich dachte
irgendwie ist lustig
und das war auch
sexuell angehaut.
Ja klar,
war doch immer
wie groß ist der BH
und was weiß ich
wurde da gefragt.
Das war ja schon
die zweite Frage,
also irgendwie
dieses M oder W
und dann quasi
wenn man gesagt hat
W,
war da schon die Frage
nach der BH-Größe,
wo man dann
zu Mamas Schrank
gerannt ist,
weil man überhaupt
nicht wusste,
welche Größen
es da überhaupt gibt.
Vor allem so Mann,
weiß nicht,
also das habe ich
nicht gemacht.
Okay,
meine Freundin,
ich habe geschrieben
sehr, sehr groß
und was ich auch
immer geschrieben habe,
war,
denn immer so
Haarfarbe wurde
auch oft gefragt
und ich immer so
braun mit
blonden Foliensträhnchen.
Naja,
wir lachen jetzt
hier natürlich
auch ein bisschen
beschämt einfach,
wollen aber damit sagen,
also gerade als wir
das Internet
das erste Mal
für uns entdeckt haben,
weil das gab es ja
vorher auch einfach
noch gar nicht.
Da war ja gar nichts
mit Medienkompetenz
und uns hat das ja
niemand erzählt,
was da teilweise
für Menschen
auf der anderen Seite
des Bildschirms sitzen
und das ist ja was,
was viele heute auch noch
im Unterricht vermissen
oder was vielleicht auch
manche Eltern den Kindern
nicht vermitteln können
und wie gesagt,
ich glaube,
der Wunsch danach
irgendwie was auszuprobieren
ist erstmal normal.
Man muss halt nur
sehr genau gesagt bekommen,
was auf keinen Fall
gemacht werden darf
und wenn man das erste Mal
so eine Erfahrung macht,
weiß man dann vielleicht auch nicht,
dass ganz, ganz viele Menschen
mit dieser Masche versuchen,
an solche Bilder zu kommen
und das aber auch zeitgleich
ja noch mit ganz vielen anderen machen,
weil du das System dahinter
einfach noch nicht so richtig verstehst.
Naja, und dieses System
sorgt halt teilweise auch dafür,
dass tatsächlich,
das kam auch bei dieser Umfrage raus,
jedes vierte Kind
auch dann den Kontakt
zum Chatpartner
oder zur Chatpartnerin
aufrecht erhält,
wenn sich herausstellt,
dass die Person älter ist,
als sie zuerst angegeben hat
oder als zumindest angenommen wurde.
Und genannt wurden da
von den minderjährigen Gründe
wie Wertschätzung,
Komplimente,
Neugierde,
aber auch die Freude darüber,
dass sich eine ältere Person
für sie interessiert.
Boah Mann,
das macht mich so traurig,
das finde ich ja so schrecklich,
oder?
Ja.
Weißt du,
das sind so unschuldig,
diese Kinder da,
weil sie sowas
noch nicht erlebt haben,
dass man sie einfach
von vorne bis hinten verarscht
und nur ausnutzt
und einfach erstmal
auch immer
so vom Positiven ausgehen
und dann müssen die
solche Erfahrungen machen
und natürlich sind das nicht,
das ist ja dann nicht
in der Regel so,
wie das jetzt bei Lea ausgeht,
aber das ist für diese Kinder
so prägend,
das nehmen die noch
so lange mit,
dass jemand,
dem sie vertraut haben,
sie von vorne bis hinten
verarscht hat
und die in ihrem Urvertrauen
erschüttert hat
und diese Sache
mit dem Alter,
also ich meine,
in unserer Gesellschaft
wird uns das ja quasi
so anerzogen in der Schule
und auch sonst,
dass man auf ältere Leute
hören soll
und dass ältere Leute
Autoritätspersonen
für uns sind,
ja und in der Schule
war es doch auch so,
die Älteren waren immer
die coolen
und wenn die dir
irgendwie Aufmerksamkeit
geschenkt haben
und so,
dann war das irgendwie toll
und hier denkt man jetzt so,
ey cool,
diese Person interessiert
sich jetzt für mich,
da fühle ich mich
besonders mit
und da fühle ich mich
gesehen mit
und dann ist das an sich
erst mal noch kein Warnsignal
für die.
Nee.
Und was das für Menschen sind,
die halt dann diese,
ja,
die Kinder sozusagen ausnutzen,
das haben wir unseren Experten
Professor Thomas Gabel-Rüdiger
gefragt
und bei seiner Antwort
hat er unter anderem betont,
dass Klischees
da nur bedingt zutreffen.
Also es gibt keinen
klassischen Täter.
Früher hatte man ja
diese Vorstellung,
da sitzen die alten,
ganz ehrlich,
perversen Männer
am Computer
oder am Smartphone,
die auf die Kinder einwirken
und die gibt es.
Also gar keine Frage,
die gibt es.
Man muss aber halt so wissen,
Cybergrooming ist
juristisch gesehen
aus meiner Sicht
ein absolutes
Massenphänomen
und genauso wie das
ein Massenphänomen ist,
genauso vielseitig
sind auch die Täter
und Täterinnen.
Trotzdem kann man,
wenn man es ganz grob
machen will,
herausarbeiten,
sind Männer,
etwa 90% der Tatverdächtigen,
10% sind aber auch weiblich.
Also es gibt auch Frauen,
die deswegen in Erscheinung treten.
Und in den polizeilichen
Kriminalstatistiken zumindest
haben wir eine klare Fokussierung
auf junge Täter.
Also etwa die Hälfte,
sogar ein Hauch mehr,
sind unter 21
und die absolute Mehrheit
ist unter 30 Jahren alt
bei Cybergrooming.
Das heißt,
wir haben jetzt eine Generation
an Tätern und Täterinnen,
die selber mit dem digitalen Raum
aufgewachsen sind,
die das vielleicht selber
auch erlebt haben,
als Normalität empfunden haben,
mit creepy Typen im Netz zu schreiben
und die jetzt selber
in Erscheinung treten.
Ja,
und wenn man eben weiß,
wie häufig das passiert,
ich habe da auch einen Fall
in meinem Bekanntenkreis,
wo ein junges Mädchen
dann Nacktbilder verschickt hatte
und das irgendwie
ein großes Problem war,
die hatte sich aber dann
glücklicherweise
auch ihrer Mutter anvertraut.
Gott sei Dank.
Also das ist so wichtig,
dass man das nicht
für sich behält.
Ja,
dann fragt man sich ja schon,
wie kann man die Kinder
sozusagen vor sich selber schützen?
Du hast ja eben schon gesagt,
man sollte denen das
auf jeden Fall sozusagen,
die darauf aufmerksam machen,
was es für Gefahren gibt.
Aber die Frage ist ja auch,
ab wann soll man überhaupt
einem Kind oder einem Teenager
ein Handy geben
und sollte man dann
die Benutzung einschränken
oder kontrollieren?
Was meinst du?
Wie alt?
Ja,
also genau,
in welchem Alter
sollte ein Kind ein Handy kriegen?
Also da muss ich sagen,
wenn es jetzt nur
ums Handy an sich geht,
um auch zu telefonieren
und so,
ne?
Nee,
um Social Media Nutzung.
Ja,
das ist die Frage,
also weil ich finde
WhatsApp zum Beispiel
was anderes
als Social Media Nutzung,
ne?
Ja.
Ja,
ich meine jetzt wirklich
Social Media,
dass man halt sozusagen
mit ganz fremden
Menschen in Kontakt
kommen kann.
45.
Ey,
ganz ehrlich,
es ist einfach,
es macht einfach so viel Schlechtes,
ne?
Ja,
ich würde sagen 16.
Ja,
ich finde 14 auch noch
wirklich sehr jung
und vor allem,
ja,
also gerade auch in Bezug
auf Mobbing
und was da in sozialen Medien
stattfindet
und damit meine ich jetzt
vor allem halt
Mobbing von Leuten,
mit denen man in einer Klasse ist.
Ja.
Denke ich,
dass da 16 das Beste wäre.
Das Problem ist natürlich,
dass,
wenn du am Ende
die einzige Person bist
ohne Social Media,
ist das halt auch gemein.
Ja,
aber ich glaube,
da muss man,
man war ja auch,
ich weiß nicht,
wie bei dir,
aber man hatte ja oft schon irgendwas,
was man nicht durfte
und andere durften das.
Also,
ich durfte immer eigentlich alles,
aber,
aber diejenigen,
die das nicht durften,
weißt du,
die waren jetzt nicht die Loser
oder so,
weißt du,
was ich meine
und die hatten da nicht
irgendwelche großen Nachteile,
wenn man jetzt auf ihre Entwicklung guckt
oder so, ne?
Ne,
also wenn man das jetzt so rückblickend betrachtet,
dann natürlich nicht, ne?
Aber die Weitsicht hat man ja als Teenie noch gar nicht
und wenn du nicht dazu gehörst, ne?
Ich meine,
dann gehörst du nicht dazu
und Kinder können echt richtig gemein sein, ja?
Und die schließen ja auch andere schnell aus.
Ja,
ich weiß voll,
was du meinst
und ich meine,
ich kann ja auch nicht so viel dazu sagen,
weil ich immer alles durfte und klar,
aber ich habe jetzt schon öfters von jungen Menschen
oder jungen Erwachsenen gehört,
die ihren Eltern jetzt so natürlich rückblickend
total dankbar sind,
dass sie den Social Media
bis 18 Jahren irgendwie verboten haben oder so, ne?
Aber klar,
man weiß ja auch nicht,
was man für ein Elternteil wäre
oder sein wird oder so
und ich kann mir schon vorstellen,
dass da ein krasser sozialer Druck
auch aufgebaut werden kann
und dann will man irgendwie seinem Kind
das dann doch schon mit 14 erlauben.
Dann kann man aber ja vielleicht sagen,
okay,
dann kontrolliere ich aber jetzt alle Apps
und irgendwie die Nutzungszeiten,
dass das gar nicht erst dazu kommen kann,
dass die Kinder sich da
im Netz so verlieren und man selber
dann gar keinen Einfluss mehr darauf hat.
Ich würde das auch vollkommen verstehen,
also weil mit 14 ist man in Deutschland ja auch schon strafmündig, ne?
Und ich will halt glauben,
dass viele in dem Alter auch eigenständige Personen sind
mit Verantwortungsgefühl,
die natürlich auch ein starkes Bedürfnis
nach Unabhängigkeit, ne?
Und wenn meine Eltern damals meine Korrespondenzen,
nenne ich es jetzt mal,
mit 14 gelesen hätten,
da wäre aber richtig was los gewesen.
Ja, total.
Und ich glaube aber auch auf der anderen Seite,
dass das für Eltern irgendwie sich mies anfühlt,
da mitzulesen, ne?
Und das wollte Mutter Simone halt auch auf keinen Fall bei Lea machen.
Also sie hat es ja schon mitbekommen,
dass Lea immer viel am Handy gewesen ist
und deswegen hatten die auch so eine Vereinbarung,
dass Lea ihr Handy jeden Abend um 22 Uhr abgibt
und es erst am nächsten Morgen wiederbekommt.
Aber kontrolliert hat Simone das Smartphone der 14-Jährigen nie.
Leas Privatsphäre zu respektieren,
ist Simone immer wichtig gewesen.
Nicht einmal hat sie heimlich das Herrn ihrer Tochter in die Hand genommen,
um zu lesen, was und mit wem sie schreibt.
Doch nun, in Anwesenheit von Polizei und Staatsanwaltschaft,
erhalten Simone und ihr Mann Bernd das erste Mal
einen Einblick in Leas digitales Postfach
und erfahren von den Chats zwischen ihr und Kai,
dem mutmaßlichen Mörder ihres Kindes.
Sachlich und zugleich feinfühlig
legen die Beamtinnen den Eltern nach und nach die Nachrichten vor.
Nachrichten, in denen Kai ihrer Tochter droht und sie einschüchtert
und die sich vermutlich für immer in ihrem Gedächtnis einbrennen werden.
Simone ist schockiert.
Sie versteht jetzt,
warum sich Lea in den vergangenen Wochen und Monaten
so merkwürdig verhalten hat,
warum sie immer nur niedergeschlagen traurig und nervös wirkte.
Ihre arme Tochter,
Lea muss unfassbare Angst gehabt haben,
muss unendlich verzweifelt gewesen sein
und die Vorstellung,
dass ihre Tochter in dieser emotionalen Ausnahmesituation
ganz auf sich allein gestellt war,
droht Simone's Mutterherz zu zerreißen.
Wir diskutieren nicht, ob sie verantwortlich sind.
Es geht um das Wie und Warum.
Mit diesen strengen Worten richtet sich die Vernehmungsbeamtin an Kai
und macht deutlich, dass Leugnen keinen Sinn mehr ergibt.
Die Polizei ist überzeugt, dass der 29-jährige Lea getötet hat.
Die Funkzellendaten haben belegt,
dass er in Leas Wohnort war und anschließend mit ihr nach Hessen gefahren ist.
Und dann wären da noch die persönlichen Gegenstände der 14-Jährigen,
die in seiner Wohnung gefunden wurden
und die Nachrichten,
die Kai und Lea in den vergangenen Monaten ausgetauscht haben.
Die Indizien sprechen klar gegen ihn.
Nach fünf Wochen in Gewahrsam
versuchen die Ermittelnden nun erneut,
Kai ein Geständnis zu entlocken.
Und anders als in den Vernehmungen zuvor,
in denen seine Lippen versiegelt waren
und er teilnahmslos zu Boden geblickt hat,
bricht Kai heute sein Schweigen
und beginnt zu reden.
Kai erzählt, dass er am 21. Juli 2022,
dem Tag von Leas Verschwinden,
mit ihr verabredet gewesen sei.
Lea habe ihm zuvor gesagt,
dass sie viel lieber bei ihm als bei ihren Eltern leben wolle.
Deshalb habe er sie in ihrem Heimatdorf abgeholt
und sei mit ihr gemeinsam nach Hessen
in Richtung seiner Heimatstadt gefahren.
Während der Autofahrt behauptet,
Kai habe Lea seine Nähe gesucht,
sich an seinen Arm gekuschelt
und erneut den Wunsch nach einem gemeinsamen Leben bekräftigt.
Dann, es sei bereits spät am Abend gewesen,
habe Lea während einer Pause Pferde auf einer Weide entdeckt.
Sie habe unbedingt reiten wollen
und sei auf eines der Pferde gestiegen.
Dann sei sie jedoch gestürzt.
Kai habe keinen Puls mehr fühlen können
und da es, Zitat,
scheiße rüberkommt,
wenn ein 29-Jähriger für eine 14-Jährige Rettung meldet,
habe er nicht den Notruf gewählt,
sondern ihre Leiche daraufhin
in einem nahegelegenen See versenkt.
Die PolizistInnen sind überzeugt,
Kai, der nun endlich begonnen hat zu reden,
erzählt ihnen wortwörtlich etwas vom Pferd.
Sie glauben ihm nicht, was sie ihm auch deutlich machen.
Also setzt Kai erneut an.
Dieses Mal, um eine andere Version zu erzählen.
Ja, er habe Lea getötet.
Während der Fahrt sei es zu einem Streit im Auto gekommen.
Lea habe ihn provoziert und beleidigt.
Deswegen habe er sie bei einer Pause auf einer Parkbank erwürgt.
Wie das ausgesehen habe,
demonstriert er an der Getränkedose, die vor ihm steht.
So, nuschelt er, während seine Finger das Plastik eindrücken.
Anschließend, behauptet Kai,
habe er Leas Leiche im See entsorgt.
Obwohl das, was sie da hören, furchtbar ist,
sind die Ermittlungen erleichtert,
dass Kai es ausspricht.
Da ist es, ihr Geständnis.
Und Kai zeigt sich plötzlich nicht nur redselig,
sondern auch kooperativ.
Kurz nach seiner Vernehmung führt er die Polizei zum Tatort.
Der 29-Jährige zeigt ihnen die Bank,
auf der er Lea erwürgt haben will.
Dann führt er die PolizistInnen zu einem Feldweg,
wo sie weitere Kleidungsstücke von Lea finden.
Ihr BH, dessen Träger abgeschnitten sind.
Ihr Slip, der ebenfalls zerfetzt ist.
Es sind Spuren, die den Ermittlungen klar machen,
Kai hat zwar sein Schweigen heute gebrochen,
aber die ganze Wahrheit hat er ihnen nicht erzählt.
13. Juni 2023.
Etwa ein Jahr nach Leas Tod
beginnt am Landgericht Gießen der Prozess gegen Kai.
Etliche JournalistInnen haben sich an diesem Morgen
in dem Spurgerichtssaal versammelt,
um ihre Kameras auf den Mann zu richten,
der einem Teenager das Leben genommen haben soll.
Doch Kai, der an diesem Dienstag
an der Seite von zwei Justizbeamten
in den Handschellen den Raum betritt,
weiß sich vor dem Blitzlichtgewitter zu schützen.
Mit einem Aktenordner, den er vor sich hält,
schirmt er sein Gesicht ab.
Sein struppiger brauner Haaransatz
und das rote T-Shirt,
das sackartig an ihm herunterhängt,
sind daher alles,
was die Presse vor die Linse kriegt.
Kai hat Lea monatelang online unter Druck gesetzt,
die sie am 21. Juli 2022
zu einem Treffen genötigt und getötet.
Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt.
Mord, lautet der Vorwurf,
den sie dem mittlerweile 30-Jährigen machen.
Aber auch versuchte Vergewaltigung.
Die Staatsanwaltschaft ist sich sicher,
dass Kais tatsexuell motiviert war.
Da die Obduktion von Leas Leiche
jedoch keine Vergewaltigung bestätigen konnte,
beschränkt sich die Anklage
lediglich auf den Versuch.
Leas Eltern haben sich dazu entschieden,
im Prozess die Nebenklage anzutreten.
Simone und Bernd wollen darauf aufmerksam machen,
welche Gefahren online auf Kinder und Jugendliche lauern.
Vielleicht, so der tröstliche Gedanke,
an dem sie sich in ihrer Trauer festhalten,
können so andere Kinder vor dem bewahrt werden,
was ihrer Tochter zugestoßen ist.
Beim Prozessauftakt sind sie jedoch nicht anwesend.
Vor allem Simone muss zunächst Kraft sammeln,
bevor sie in wenigen Tagen ihre Aussage machen
und jenen Raum betreten kann,
in dem der Tod ihres Kindes rekonstruiert wird.
Kai, der auf der Anklagebank zwischen seinen beiden Anwälten
Platz genommen hat,
ist unterdessen zu alten Verhaltensmustern zurückgekehrt
und hört sich wieder in Schweigen.
Über ein schriftliches Statement,
das er einen seiner Verteidiger vorlesen lässt,
schildert er seine Version des Geschehens.
Die Streitgeschichte,
die er bereits bei der polizeilichen Vernehmung erzählt hat.
Und die, die die Staatsanwaltschaft
für erstunken und erlogen hält.
Denn nun, wo insgesamt 10 Millionen Datensätze
auf Kais und Leas Handys ausgewertet wurden
und sämtliche Chatnachrichten rekonstruiert sind,
ist die Anklage überzeugt,
dass sie sich stattdessen wie folgt zugetragen hat.
Rückblick.
Es ist etwa 11 Uhr morgens,
als Kai am 21. Juli 2022 seine Wohnung in Hessen verlässt,
um nach Baden-Württemberg zu fahren.
Sein Ziel ist ein kleiner Ort im Süden des Bundeslandes,
der Wohnort von Lea,
dem die 14-Jährige ihn zwar nie persönlich verraten hat,
den Kai aber dank der sogenannten Snap-Map kennt,
einer Standortfunktion der App Snapchat,
die die Lokalisierung von Freunden ermöglicht.
Bereits seit Monaten ist Kai mit Lea in Kontakt
und immer häufiger will er sie auch in echt treffen.
Oft hatte er es ihr schon vorgeschlagen,
aber sie hatte immer abgeblockt.
Heute will er das nicht weiterhin nehmen.
Während der Autofahrt schickt er ihr eine Nachricht,
in der er ihr schreibt,
dass sie sich nach dem Schulschluss bei ihm melden soll.
Lea gehorcht,
so wie sie es aus Angst immer tut.
Kai teilt ihr mit,
dass er auf dem Weg zu ihr sei
und fordert sie auf,
sich am späten Nachmittag mit ihm zu treffen.
Lea reagiert daraufhin verängstigt
und fühlt sich offensichtlich in die Enge getrieben.
Die 14-Jährige bittet, das Ganze zu verschieben,
auf einen anderen Tag zu verlegen.
Und überhaupt wird ihr das alles langsam zu viel.
Doch Kai lässt Lea keine Wahl.
In scharfem Ton fordert er sie auf, zu kommen.
Der digitale Kontakt zwischen Kai und Lea
erstreckt sich an diesem Tag über mehrere Stunden.
Immer wieder versucht Lea,
sich bittend und bettelnd der Situation zu entziehen.
Etwa, indem sie sagt,
dass es ihr nicht gut gehen würde.
Meine Mutter geht mit mir in 20 Minuten zum Arzt,
behauptet sie.
Doch Kai kontert mit Einschüchterungen und Drohungen.
Ganz so,
wie er es in den letzten Monaten getan hat.
Komm jetzt,
befiehlt er Lea.
Er würde in Höhe des Dönerladens auf sie warten.
Ich will nicht,
antwortet die 14-Jährige.
Dann schreibt Kai,
der im Besitz von Nacktfotos ist,
die Lea ihm geschickt hat.
Soll ich deine Eltern informieren?
Deinem Vater alles sagen?
Nein, okay,
antwortet der Teenager keine Minute später.
Ich komm.
Lea sieht nun offensichtlich keine andere Möglichkeit mehr,
als zu der Verabredung zu erscheinen.
Also erfindet sie einen Vorwand,
um sich mit ihm treffen zu können.
Gegen 16.30 Uhr sagt sie ihrer Mutter,
die eigentlich in wenigen Minuten mit ihr und ihrem Bruder Lasse losfahren will,
um Schuhe zu kaufen,
dass sie einem Klassenkameraden noch schnell
einen vergessenen Pulli vorbeibringen will.
Doch statt an der Tür eines Gleichaltrigen zu klingeln,
sitzt sie kurze Zeit später in Kais Auto.
Lea,
ein Mädchen,
das ohne seine Eltern nahezu nirgendwo hingeht,
fährt nun mit einem Mann,
der doppelt so alt ist wie Lea,
ins Ungewisse.
Was genau in den Stunden,
in denen sie gemeinsam im Auto sitzen,
passiert,
ist unklar.
Doch Lea verschickt noch am Abend
mehrere Nachrichten an ihre Familie.
Mama,
mach dir keine Sorgen,
schreibt sie etwa Simone.
Ich bin morgen früh wieder da.
Bruder Lasse schreibt sie zudem,
bin morgen früh wieder da,
hab dich lieb.
Es sind Nachrichten,
mit denen Lea ihre Liebsten offenbar beruhigen will.
Doch bis auf das Wort Mama,
das ihre Mutter am frühen Abend erreicht,
werden sie nicht zugestellt.
Lea hat kein Guthaben mehr auf dem Handy.
Zudem scheint die 14-Jährige zumindest zu ahnen,
dass sie in Gefahr ist.
Mehrmals versucht sie Kais Kennzeichen zu fotografieren.
Das zeigen die verschwommenen Aufnahmen auf ihrem Handy.
Nach etwa 300 Kilometern
macht Kai schließlich Halt an einem Waldstück,
fordert Lea auf auszusteigen
und fällt auf einer Parkbank über sie her.
Während Kai Lea vergewaltigt
oder es zumindest versucht,
wirkt er sie,
bis das Leben aus ihr gewichen ist.
Nur wenige Stunden,
nachdem er ihre Leiche
im nahegelegenen Teufelsee entsorgt hat,
wendet er sich online dem nächsten Mädchen zu.
Eine 17-Jährige,
mit der er schon eine Weile chattet
und der er nun mehrere Penisbilder
und ein Masturbationsvideo schickt.
Dass Lea nicht das einzige Mädchen war,
das Kai online sexuell belästigt hat,
wird im Prozess nur allzu deutlich.
Im Zuge der datenforensischen Untersuchung
war es der Polizei gelungen,
etwa 100 weibliche Personen ausfindig zu machen,
die Kai in der Vergangenheit online kontaktierte.
Darunter als jüngste Emma,
ein 13-jähriges Mädchen.
Emma tritt im Prozess
nicht nur als Zeugin auf,
sondern auch als Geschädigte.
Neben der Tötung und versuchten Vergewaltigung von Lea
sitzt Kai nämlich außerdem auf der Anklagebank,
weil er die 13-Jährige online dazu gebracht haben soll,
ihm Nacktbilder von sich zu schicken
und dadurch Nacktfotos von Minderjährigen
in seinen Besitz gebracht haben soll.
Wie ihm das gelungen ist,
das berichtet Emma selbst,
wenn auch außerhalb des Gerichtsaals.
Ein Video,
das am 10. Verhandlungstag abgespielt wird,
zeigt das Gespräch
zwischen zwei Ermittelnden und der Schülerin.
Beschämt und schüchtern berichtet sie darin,
wie Kai sie im Sommer 2022 angeschrieben hat.
Ihr sagt, er wolle, Zitat,
versaut snappen.
Emma lässt sich darauf ein.
Sie weiß nicht,
dass Kai mehr als doppelt so alt ist wie sie,
sondern vermutet einen etwa gleichaltrigen Jungen
hinter seinem Usernamen.
Nach einem kurzen Chat
tauschen die beiden ihre Handynummern aus.
Dann wird es, wie sie es nennt, merkwürdig.
Kai schickt ihr einen Fragebogen zu.
Eine Bewerbung als Sugar-Tochter.
Er will merkwürdige Dinge von ihr wissen,
ihre Körbchengröße und ihre sexuellen Vorlieben.
Außerdem, ob sie rasiert ist und Sexspielzeug benutze.
Obwohl ihr das alles komisch vorkommt,
führt Emma den Kontakt fort.
Ich wollte mich gut fühlen,
gibt sie beschämt zu.
Komplimente bekommen und so.
Als Kai Emma um Nacktfotos bittet,
schickt sie ihm daher welche zu.
Doch als der damals 29-Jährige,
die 13-Jährige schließlich drängt,
sich mit ihm zu treffen,
um mit ihm Sex zu haben,
zieht sie einen Schlussstrich
und blockiert seine Nummer.
Seine Drohung, er werde sich umbringen,
wenn sie ihm nicht mehr schreibe, er hält sie nicht mehr.
Als das Video von Emmas Vernehmung endet,
herrscht im Gerichtssaal Fassungslosigkeit.
Die Anwesenden sind schockiert
über Kais perfides Vorgehen
und seine ausgeklügelte Masche,
die er wie eine Schablone immer wieder neu ansetzte,
wenn er online Jagd auf junge Mädchen machte.
Doch es ist nicht nur sein Verhalten,
das für Entsetzen sorgt,
sondern auch die Tatsache,
dass es überhaupt so weit kommen konnte.
Kais Kindheit zeichnet sich
durch Vernachlässigung und Gleichgültigkeit aus.
Als siebtes von insgesamt zehn Kindern
wird der heute 30-Jährige unter desolaten Zuständen groß.
Seine alleinerziehende Mutter
ist mit der Erziehung von ihm und seinen Geschwistern
sowohl emotional als auch intellektuell überfordert.
Und Kais alkoholkranker Vater
ist nur eine blasse Erinnerung in seinem Leben.
Er verließ die Familie,
als Kai gerade einmal drei Jahre alt war.
Statt in Liebe und Fürsorge aufzuwachsen,
ist Kai schon früh auf sich selbst gestellt.
Im Kindergarten fällt er wegen Mangel
der Körperhygiene und fehlenden Pausenboten auf.
In der Förderschule, die er anschließend
wegen Konzentrationsschwierigkeiten
und sprachlicher Defizite besucht,
erscheint er regelmäßig zu spät,
wenn er überhaupt hingeht.
Statt zu lernen und sich in die Klassengemeinschaft zu integrieren,
seilt sich Kai immer weiter ab
und streunert in nahegelegenen Kaufhäusern herum,
in denen er etwas mitgehen lässt.
Mal sind es Kaugummis, mal Kondome.
An Tagen, an denen er tatsächlich zum Unterricht erscheint,
stört und provoziert er.
Als Kai acht Jahre alt ist, wird bekannt,
dass einer seiner älteren Brüder
von einem Bekannten der Mutter sexuell missbraucht wurde.
Mehrere Stunden muss Kai deshalb
bei einem Kinderpsychologen Rede und Antwort stehen.
Ob auch er Opfer solcher Übergriffe wurde,
kann nicht final geklärt werden.
Klar ist dagegen,
etwa sechs Jahre später wird Kai selbst zum Täter.
Im Mai 2007, im Alter von gerade einmal 14 Jahren,
trifft er dann auf dem Weg ins Schwimmbad
auf eine Elfjährige.
Unter einem Vorwand lockt er sie hinter das Gebäude der Schwimmhalle.
Dann beginnt er sie von hinten mit einem Gummiband zu würgen,
während er sie versucht zu vergewaltigen.
Nur ein zufällig vorbeikommender Erwachsener
kann das Schlimmste gerade noch verhindern.
Für Kai hat seine Tatfolgen.
Ein halbes Jahr später steht er deswegen vor Gericht.
Und nachdem ein Gutachter ihn aufgrund seines niedrigen IQs
von 77 für vermindert schuldfähig hält,
ordnet das Gericht statt Gefängnis den Maßregelvollzug an,
in der Erwartung, dort könne man mittels Therapie
eine Rückfallgefahr vermindern.
Seine gesamte Jugend verbringt Kai nicht nur in einer,
sondern in mehreren psychiatrischen Einrichtungen.
Mehrmals muss er wegen Grenzüberschreitungen
und Fehlverhaltens die Klinik wechseln.
Er bedrängt Patientinnen, umarmt sie ungefragt von hinten,
klaut Unterwäsche und beobachtet sie heimlich beim Duschen.
Außerdem onaniert er immer wieder in Gemeinschaftsräumen
und weist, wenn er erwischt wird,
daraufhin, dass das, was er da mache, nur menschlich sei.
Als Kai volljährig wird, muss er ein Medikament einnehmen,
das den Testosteronspiegel im Körper senkt
und das zur Hemmung des Sexualtriebs verabreicht wird.
2015, nach acht Jahren im Maßregelvollzug,
nimmt Kai sich einen Anwalt.
Er will raus aus der Psychiatrie,
weg aus der Klinik, in der man, so behauptet er,
ihm gar nicht richtig helfe.
Klinikpersonal und Staatsanwaltschaft schlagen Alarm.
Auf gar keinen Fall dürfe man dem zustimmen.
Sie sprechen von kaum sichtbaren Therapiefortschritten,
von schlechten Kriminalprognosen und Wiederholungsgefahr.
Doch ein neues psychiatrisches Gutachten,
das ihm nun einen IQ von 88 bescheinigt
und die zuvor angenommene Minderbegabung damit verneint,
bringt schließlich den verheerenden Stein ins Rollen.
Kai wird aus der Psychiatrie entlassen.
Nach zehn Jahren Klinikaufenthalt darf er gehen.
Seine neu gewonnene Freiheit ist aber an Bedingungen geknüpft.
Der mittlerweile 24-Jährige wird unter Führungsaufsicht gestellt,
eine Maßregel, mit der er auch fernab der Psychiatrie weiterhin überwacht wird.
Unter anderem muss Kai an einem Programm für rückfallgefährdete SexualstraftäterInnen teilnehmen,
das eine engmaschige Betreuung vorsieht.
Außerdem muss er sich weiterhin psychiatrisch behandeln lassen.
Doch schnell stellt sich heraus, Kai hat nicht vor, sich an Regeln zu halten.
Regelmäßig verpasst er Termine mit BewährungshelferInnen
und ist ihnen gegenüber aufmüpfig und impulsiv.
Zudem verfällt er nur kurz nach seiner Entlassung wieder in alte Muster.
Ende 2017 liegen insgesamt neun Anzeigen wegen sexueller Belästigung gegen ihn vor.
Zum Prozess kommt es jedoch nie.
Obwohl Kai sich einen juristischen Fehltritt nach dem anderen leistet,
hat sein Verhalten keine Konsequenzen.
2018 darf er wegen angeblicher Nebenwirkungen und dem Wunsch,
er wolle wieder eine sexuelle Beziehung führen,
das triebhemmende Medikament absetzen.
Anfang 2022, nach fünf Jahren, endet Kais' Führungsaufsicht.
Nur ein halbes Jahr später ist Lea tot.
Simone kriegt all diese Infos nur indirekt von ihrer Anwältin mit,
die sie und ihr Mann Bernd bei der Nebenklage vertritt.
Nur einmal geht Simone selbst in den Gerichtssaal, um ihre Aussage zu machen.
Konzentriert und mit brüchiger Stimme erzählt sie den Anwesenden von ihrer Tochter.
Beschreibt, was Lea für ein ruhiges, schüchterndes Mädchen war
und berichtet zugleich von den Veränderungen,
die ihr in den Monaten vor der Tat aufgefallen waren.
Monate, in denen die 54-Jährige keine Ahnung hatte,
dass ihre Tochter online mit einem verurteilten Sexualstraftäter verkehrt,
der sich schließlich nicht nur im Internet als ihr schlimmster Albtraum entpuppen würde.
Dass Kai überhaupt die Möglichkeit hatte, wieder straffällig zu werden,
macht Simone unfassbar sauer.
Sie kann nicht verstehen, dass man ihn trotz aller Warnzeichen aus der Psychiatrie entlassen hatte,
dass einem gefährlichen Mann wie ihm die Freiheit gewährt wurde.
Alles, was die 54-Jährige nun noch tun kann, ist zu hoffen.
Darauf, dass Kai mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft wird und dass er nie wieder auf freien Fuß kommt.
Ob der mittlerweile 30-Jährige tatsächlich den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wird,
ist eine Frage, bei der das Gericht auf die Unterstützung eines psychiatrischen Gutachters setzt.
Der Sachverständige hat Kai in den vergangenen drei Monaten an jedem Verhandlungstag beobachtet
und zweimal abseits des Gerichtsgebäudes ausführlich mit ihm gesprochen.
Seine Aufgabe ist es nun, einen Einblick in Kai's Seelenleben zu liefern und damit festzustellen,
inwieweit er überhaupt als schuldfähig zu erachten ist.
Und die Bestandsaufnahme, die er dabei vornimmt, ist niederschmetternd, egozentrisch und empathielos.
So lauten die Eigenschaften, die der Psychiater dem 30-Jährigen zuschreibt.
Der Sachverständige ist überzeugt, dass andere Menschen für Kai nur leblose Hüllen ohne Bedeutung sind,
für dessen Gefühle und Bedürfnisse er sich schlichtweg nicht interessiere.
Entsprechend sei bei ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen zu erkennen,
die sich auch in seinem Sexualverhalten widerspiegeln.
Auf Kais Schuldfähigkeit habe das jedoch keine Auswirkungen, genauso wenig wie sein niedriger IQ,
den der gerichtliche Gutachter bei 76 sieht.
Zwar liege der 30-Jährige mit diesem Wert unter dem Durchschnitt,
es sei dabei jedoch lediglich von einer Lernbehinderung auszugehen.
In den zehn Jahren Psychiatrie habe Kai sich nicht zum Positiven verändert,
sondern seine Verhaltensweisen vielmehr verfestigt und gezeigt,
dass er weder leid noch lenkbar ist.
Zitat
Er entzieht sich allen, die sich mit ihm beschäftigen, formuliert es der Experte
und macht klar, die Wahrscheinlichkeit, dass Kai erneut straffällig werden würde
und online weiterhin Kontakt zu Mädchen und jungen Frauen suchen würde, ist hoch.
Eine Einschätzung, die Konsequenzen hat.
Am 29. September 2023 fällt das Landgericht Gießen nach rund drei Monaten sein Urteil.
Kai wird wegen Mordes an Lea in Tateinheit mit Versuch der Vergewaltigung schuldig gesprochen.
Die Kammer hält es für erwiesen, dass Kai die 14-Jährige am 21. Juli 2022 dazu brachte,
in sein Auto zu steigen und sie dann in einem Waldstück tötete.
Eine durchgeführte Vergewaltigung konnte ihm zwar nicht nachgewiesen werden,
zumindest aber an dem Versuch gibt es jedoch keine Zweifel.
Für das Gericht kommen zwei mögliche Szenarien in Frage.
Entweder erwürgte Kai Lea während des Versuchs, sie zu vergewaltigen,
oder im Anschluss an den Versuch, damit sie ihn nicht verraten konnte.
Das Mordmerkmal, das er erfüllt habe, sei also entweder die Befriedigung des Geschlechtstriebs oder die Verdeckungsabsicht.
Und an dieser Stelle kurze Erklärung.
Normalerweise ist es ja so, dass Angeklagte nur dann verurteilt werden können,
wenn man ihnen eine Straftat klar nachweisen kann.
Und dazu gehört eben auch, dass man sagen kann, wie das Ganze abgelaufen ist.
Aber wenn nachgewiesen ist, dass jemand eine Tat, die ihm vorgeworfen wird, auf jeden Fall begangen hat
und man quasi nur nicht genau weiß, ob es jetzt so oder so abgelaufen ist,
dann ist es den Gerichten mit der sogenannten Wahlfeststellung möglich,
trotzdem eine Verurteilung und einen Schuldspruch zu rechtfertigen.
Wesentliche Voraussetzung ist, dass man in der Regel zwei mögliche Szenarien hat,
bei denen man sich sicher ist, dass eins davon zutrifft.
Bei Kai ist man sich da auf jeden Fall sicher.
Der 30-Jährige erhält die höchste Strafe, die das deutsche Rechtssystem kennt.
Neben einer lebenslangen Haftstrafe wird bei dem 30-Jährigen die besondere Schwere der Schuld festgestellt,
die das Gericht unter anderem mit seinem besonders perfiden Vorgehen begründet
und der Tatsache, dass er mehrere Straftaten begangen hat.
Denn neben dem Mord und der versuchten Vergewaltigung von Lea spricht die Kammer ihn auch schuldig
wegen der Besitzverschaffung missbräuchlicher Darstellungen von Kindern.
Die kommenden Jahrzehnte wird Kai in Haft verbringen.
Doch dass er die Zeit im Gefängnis nutzen wird, um seine Taten zu hinterfragen, ist nahezu ausgeschlossen.
Schließlich hat er dem psychiatrischen Gutachter bereits verraten, wie er sich das Leben hinter Gittern vorstellt.
Ruhig und entspannt.
Und mit jeder Menge Zeit, um in Ruhe Serien schauen zu können.
Simone hat nun Klarheit.
Nun, wo der Mörder ihrer Tochter überführt und zur Rechenschaft gezogen wurde,
muss sie sich keine Gedanken mehr darüber machen, wer Lea getötet hat.
Sich nicht mehr damit beschäftigen, wer ihr den schmerzvollsten Verlust ihres Lebens beschert hat.
Doch selbst jetzt, nach dem dreimonatigen Prozess, gibt es Dinge, die für Simone nach wie vor unbegreiflich sind
und die ihr emotional zusetzen.
Ein Klick wäre nicht nötig gewesen, um Kai zum Schweigen zu bringen.
Ihre Tochter Lea hätte den Kontakt zu ihrem Peiniger abbrechen können,
seine Nummer und Social-Media-Profile blockieren und ihn so aus ihrem Leben streichen können.
Dass Lea das nicht getan hat, macht Simone deutlich, wie hilflos sie sich gefühlt haben muss,
wie ausgeliefert und vor allem wie allein.
Dabei war Lea das nie.
Sie hätte mit Simone reden können, sich ihrer Mutter anvertrauen können.
Denn dann hätte Simone dem Albtraum ihrer Tochter ein Ende bereitet und das getan,
was für jede Mutter an allererster Stelle steht.
Sie hätte ihr Kind beschützt.
Und das ist, ich habe das ja vorhin schon gesagt,
es ist dieses Anvertrauen, das fühlt sich in dem Moment für ein Kind wahnsinnig groß an
und wahnsinnig schlimm, sich dann zu öffnen.
Auf lange Sicht gesehen wird das eine schwierige Zeit im Leben gewesen sein,
aber irgendwann ist es auch vorbei.
Und das muss so schlimm sein für die Mutter, zu wissen, dass ihre Tochter sich wegen Scham hat unter Druck setzen lassen
und dass sie als Eltern das natürlich alles hätten regeln können.
Sie hätte es ja stoppen können, wenn sie es gewusst hätte.
Ja, und ich kann mir schon gut vorstellen, dass Simone sich in irgendeiner Form Vorwürfe gemacht hat oder macht,
obwohl das natürlich total irrational ist, weil sie ist ja nicht Schulter dran oder so und auch nicht das Kind,
sondern dieser perfide Mensch, der Lea eingeredet hat, dass ihr Vater sie ins Heim schicken wird,
wenn der von den Nacktfotos erfahren würde.
Und wenn du sowas von jemandem hörst, mit dem du halt jeden Tag Kontakt hast und dem du ja auch irgendwie vertraut hast und so,
dann glaubt man das dann im Zweifel, wenn man eben 14 Jahre alt ist.
Aber Simone hat sich das wahrscheinlich gar nicht vorstellen können, was da gerade für eine Kommunikation auf dem Handy ihrer Tochter abgeht.
Ja, natürlich nicht.
Ja, und man hofft ja auch, dass das Kind in solchen Situationen immer zu einem kommen würde.
Man vermittelt dem Kind das ja auch, aber für die ist natürlich, sich mit sowas an die Eltern zu wenden, super unangenehm.
Und auch bei einem Lehrer oder einer Lehrerin zum Beispiel, es bräuchte eigentlich Anlaufstellen, wo man das melden könnte, die neutral sind.
Ja, und das hat auch Professor Thomas Gabriel Rüdiger ja im Hintergrundgespräch erzählt,
dass er der Meinung ist, dass Kinder halt viel zu wenig geschützt werden im Netz.
Also jetzt mal abgesehen von dem, was Eltern da leisten können.
Aber er hatte halt auch gesagt, Jugendliche hätten gar keine Möglichkeit, online halt in irgendeiner Form an die Polizei heranzutreten
oder zu sagen, so guck mal, was hier passiert, da habe ich jetzt gerade ein ungutes Gefühl bei.
Also beispielsweise könnte man ja daran denken, die Social-Media-Kanäle der Polizei könnten da irgendwie hilfreich sein oder so.
Aber die meisten sagen halt ganz klar, dass sie keine Nachrichten lesen und auch nicht dafür da sind, Anzeigen entgegenzunehmen, was man ja auch verstehen kann.
Und der hatte da eben eingebracht, dass er eine Online-Wache gut finden würde, über die Kinder per Knopfdruck digital mit der Polizei beispielsweise per Videochat dann kommunizieren könnten.
Er wünscht sich sogar in Deutschland eine zentrale Kinder-Online-Wache, also eine von allen Ländern und dem Bund betriebene Stelle, wo Kinder dann auch rund um die Uhr Hilfe finden können.
Das ist natürlich klar, also wir haben hier in unserem normalen Lebensraum, haben wir eine Polizei, die für Recht und Ordnung sorgt.
Und wir bewegen uns aber alle im Netz und das ist einfach wie ein anderes Gebiet, in dem es wirklich nur wenige Regeln gibt und die sind dann auch immer von den Plattformen festgesetzt.
Und bis man etwas aus der digitalen Welt in der realen Welt zur Anzeige gebracht hat und so, ja, das dauert einfach ewig.
Ja, und auch diese Sache mit dem Anvertrauen und mit dieser Scham, die da oft in diesen Sachen halt mitschwingt, kann ich mir halt vorstellen, dass es halt für Kinder wirklich viel einfacher wäre, wenn sie irgendwie einen direkten Zugang zur Polizei hat, dass man da nicht die Eltern irgendwie erstmal reinziehen muss oder sowas und sich denen anvertrauen muss,
sondern irgendwie mithilfe eines Chats oder so der Polizei anvertrauen, die dann nur dafür da ist, bei solchen Sachen zu helfen.
Genau, also was auch immer gemacht wird, es muss einfach noch sehr, sehr viel passieren, damit das Netz irgendwie ein besserer Raum wird, ja.
Also ich meine, wir erleben das ja nur im Kleinen, was uns manchmal Leute schreiben oder was es da für Kommentare gibt oder so, ne.
Aber da passiert auch einfach so viel Schlimmes, weswegen wir uns ja auch irgendwie mit der Zeit immer mehr so zurückgezogen haben gefühlt, ne.
Ja.
Also so private Sachen, Alltag begleiten und so, sowas machen wir ja gar nicht.
Nee.
Ich weiß nicht, also ich meine, das hat sich natürlich auch geändert mit der Zeit, aber man will irgendwie so viel wie möglich für sich behalten, damit du nichts rausgibst, was andere Menschen dann nehmen und gegen dich benutzen, ne.
Also ich meine, das ist jetzt auch nur ein Grund, aber.
Ja, total. Und es ist ja oft so, ne, wenn irgendwie neue, was weiß ich, wenn es neue Wege gibt, wie man kommunizieren kann, neue Plattformen, neue Apps und so weiter,
dass man am Anfang sich gar nicht vorstellen kann, was für krasse, kranke Sachen da eigentlich abgehen können, weil die nicht dafür erfunden wurden, dass zum Beispiel Cybergrooming oder sowas da stattfindet.
Aber ich denke mir, wir sind in 2024. Jetzt mittlerweile gibt es schon sehr lange Social Media und man hat trotzdem nicht das Gefühl, dass es ein sicherer Ort ist, ja.
Ja, und um jetzt nochmal ganz kurz zu unserem Anfang zurückzukommen. Kai ist nämlich noch nicht ganz durch mit dieser Sache. Nach dem Urteil ist der nämlich in Revision gegangen.
Der BGH hat die zwar größtenteils verworfen und die Verurteilung wegen Mordes und die lebenslange Freiheitsstrafe und so hat er stehen lassen.
Aber in einer Sache gibt es da nochmal Prüfungsbedarf und zwar in der Verurteilung wegen der Besitzverschaffung von dem Fotomaterial halt von dieser 13-jährigen Emma, die die Nacktfotos geschickt hat.
Da will der BGH, dass wegen dieser Gesetzesänderung, über die wir ganz am Anfang gesprochen haben, der Strafrahmen nochmal überprüft wird.
Also sprich, das Landgericht soll nochmal neu entscheiden, welche Strafe dafür jetzt angebracht ist.
Und die Gesetzesänderung könnte, Betonung auf könnte, tatsächlich für Kai bedeuten, dass jetzt, wo die Mindeststrafe für Erwerb, Besitz und Verbreitung von sogenannter Kinderpornografie herabgesenkt wurde,
er jetzt diesbezüglich mit einer geringeren Strafe für diese Delikte rechnen könnte.
Also geringer als die zwei Jahre und drei Monate, die das Gericht dafür verhängt hat.
Aber, nochmal und deswegen Rückbezug zum Anfang, das muss es aber nicht bedeuten.
Es muss aber auf jeden Fall nochmal neu geprüft werden.
Das ist in seinem Fall aber tatsächlich am Ende egal, weil es nur eine Formalie ist und das ändert gar nichts an der lebenslangen Haftstrafe,
zu der er ja sowieso wegen Mordes verurteilt wurde.
Und es ist auch sehr unwahrscheinlich, dass er nochmal aus dem Gefängnis rauskommen wird,
vor allem da ja auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde.
Genau. Und in der nächsten Folge, da geht es um eine ganz bestimmte Berufsgruppe,
die Menschen besonders gut verschwinden lassen kann.
Es geht um Zauberei.
Nein, tut es nicht. Nein. Mehr dazu nächste Woche.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Wohlers.
Redaktion Jennifer Fahrenholz und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.