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#183 Patientin 66

Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Freundin und Kollegin
Laura Wohlers, mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den dann mal ein, erörtern oder diskutieren die juristischen, psychologischen
oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Heute führe ich euch aber alleine durch diese Folge.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic-Oleaf, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Und bevor ich mit dem heutigen Fall starte, in dem es um eines der dunkelsten Kapitel der
US-amerikanischen Medizingeschichte geht, in dem ein Arzt wortwörtlich tiefe Einschnitte
im Leben seiner PatientInnen vornimmt, will ich noch einmal kurz für die, die es bisher
nicht mitbekommen haben oder für die, die hier neu sind, erklären, wieso ihr mich hier
heute alleine sprechen hört.
Laura, meine Podcast-Partnerin, ist erkrankt und weil es ihr momentan nicht möglich ist, im
selben Maße wie zuvor zu arbeiten, wird sie bis auf Weiteres nur jede zweite Woche hier
zu hören sein.
In den anderen Wochen bin ich entweder alleine oder habe mir ExpertInnen eingeladen, die etwas
zum jeweiligen Fall beitragen können.
Das hier ist also jetzt die erste Folge, die ich alleine mache und ich hoffe, dass wir uns
damit alle wohl fühlen und ja, okay, dann gehen wir es jetzt an.
Jetzt geht's los mit dem heutigen Fall, in dem es um eine Familie geht, in der Liebe und
Zuneigung an Erfolg geknüpft sind und um das Schattendasein, das jene führen müssen, die
diesen Erwartungen nicht entsprechen.
Die entsprechende Triggerwarnung für den Fall findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Unser Fall beginnt im November 1941 und zwar in einem sterilen Operationssaal in der George
Washington Klinik, in dem man gerade eine zarte, hohe Stimme singen hört und die stammt
von der Patientin, die dort auf dem OP-Tisch liegt, festgeschnallt und mit einer kreuzähnlichen
Markierung auf dem teilweise kahlrasierten Schädel.
Gott bless America, singt sie.
Ganz so, wie man es ihr aufgetragen hat.
Sie ist konzentriert auf den Text und merkt nicht, wie einer der anwesenden Ärzte schließlich
den Bohrer an ihrem betäubten Kopf positioniert und mit brummendem Geräusch ihre Schädeldecke
durchdringt.
Ein Weg Richtung Gehirn.
Ein vermeintlicher Weg Richtung Genesung.
Doch als die Patientin nur wenige Minuten später verstummt und die Stille zurück in
den OP-Seil kehrt, ist klar, dieser Eingriff hat nicht die versprochene Heilung herbeigeführt,
sondern eine Katastrophe für die Patientin.
Und dass diese Katastrophe wegen eines ausgetüftelten Vertuschungsplans nicht an die Öffentlichkeit
kommt, sorgt möglicherweise für etliche weitere Opfer.
Aber wir gehen erstmal zurück, nämlich um 23 Jahre.
Überfüllte Krankenhäuser, überlastetes Personal und PatientInnensterben gibt es zu der Zeit in
Dauerschleife.
Die spanische Grippe hat zu der Zeit, also 1918, die Welt nämlich fest im Griff.
Die Pandemie hatte in den vergangenen Monaten bereits 25 Millionen Menschen das Leben gekostet
und sorgt mittlerweile auch dafür, dass die Ärztinnen in den USA mit ihrer Arbeit kaum hinterherkommen.
Und das bekommt heute, am 13. September 1918, auch Rose am eigenen Leib zu spüren.
Die 28-Jährige ist gerade zu Hause in ihrem Bett im Schlafzimmer und wartet darauf, dass jeden
Moment ihr Arzt durch die Tür hereinschneit.
Der wollte nämlich eigentlich schon vor Stunden hier sein, doch von dem Mediziner fehlt immer
noch jede Spur.
Aber Rose will nicht mehr warten und sie kann auch bald nicht mehr warten, denn die 28-Jährige
liegt in den Wehen und sie merkt, dass es jetzt bald losgeht und ihr drittes Kind ganz offensichtlich
bereit ist, das Licht der Welt zu erblicken.
Nun macht ihr aber ihre überforderte Hebamme klar, dass das jetzt noch nicht in Frage kommt.
Die hat nämlich für die Hausgeburt die klare Anweisung, auf den Arzt zu warten und fordert
Rose deswegen auf, die Beine zusammenzudrücken und nicht zu pressen.
Aber Rose will natürlich pressen, genauso wie sie es bei ihren vorherigen Geburten, als ihre
zwei Söhne auf die Welt gekommen sind, auch gemacht hat.
Die 28-Jährige beißt also die Zähne zusammen, aber so sehr sie sich dabei auch anstrengt, gegen
diese bevorstehende Geburt kommt sie nicht an.
Und als dann das Köpfchen des Kindes herausragt, beginnt die Hebamme zu handeln.
Aber anstatt dem Baby nun auf die Welt zu helfen, macht sie genau das Gegenteil.
Sie greift nämlich zu und schiebt das Kind mit aller Kraft dorthin zurück, wo es hergekommen
ist, also in den Geburtskanal.
Und das nicht nur einmal.
Wieder und wieder drückt sie das Baby zurück in den Mutterleib.
Dieses Zurückdrücken in den Geburtskanal verursacht bei Rose unfassbare Schmerzen.
Zwei Stunden muss sie die aushalten, bis der Arzt endlich das Zimmer betritt, die Hebamme
beiseite drängt und das Baby auf die Welt holt.
Rose ist unendlich erleichtert.
Und das kleine rosige Wesen in ihren Armen lässt sie dann die schmerzvolle Tortur, die sie
durchstehen musste, auch schnell vergessen.
Und sie weiß in dem Moment, ihre Tochter hatte keinen einfachen Start ins Leben.
Dessen ist sie sich angesichts der letzten Stunden bewusst.
Doch Gott sei Dank ist alles nochmal gut gegangen.
Zumindest ist sie davon in diesem Moment noch überzeugt.
Rosemary lautet der Name des kleinen Mädchens.
Rosemary Kennedy.
Und das ist ein Nachname, der bereits 1918 für Erfolg und Wohlstand steht und der wenige Jahrzehnte
später ein Symbol für wirtschaftlichen und politischen Einfluss wird.
Rosemary ist die erste Tochter von Rose Fitzgerald und Joseph Patrick Kennedy Senior, einem versierten
Unternehmer und Investor.
Und als neuester Familienzuwachs macht die kleine Rosemary ihre Geschwister, den zweijährigen
Joseph Junior und den einjährigen John zu großen Brüdern.
Und genau, es ist der John, der im Juni 1963 bei einem Besuch in West-Berlin vor dem Schöneberger
Rathaus folgende berühmte Worte sagen wird.
Rosemary Kennedy ist nämlich die Schwester von John F. Kennedy, der später einmal 1961
zum 35.
Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt werden wird.
Hier geht es jetzt aber nicht um John, sondern um Rosemary, die jetzt 1918 das jüngste Kind der
Kennedy-Familie ist.
Vor allem Mutter Rose ist natürlich schockverliebt in ihr kleines pausbäckiges Mädchen, das ihren
Brüdern auch ziemlich ähnlich sieht.
Also Rosemary hat das gleiche dichte braune Haar, die gleichen hellen neugierigen Augen.
Also optisch ist die durch und durch eine Kennedy.
Und doch ist sie irgendwie anders als ihre Geschwister.
Denn das fällt den Eltern auf, in den ersten Lebenswochen weint Rosemary kaum.
Also sie ist ein sehr ruhiges, man will fast sagen, schweigsames Baby.
Und obwohl sie von Tag zu Tag größer wird und wächst, wird schnell klar, dass sich Rosemary
auch deutlich langsamer als ihre Brüder entwickelt.
Als sie beispielsweise zwei Jahre alt ist und damit natürlich längst kein Baby mehr, kann sie immer noch nicht laufen.
Mutter Rose schiebt sie nach wie vor im Kinderwagen vor sich her und nimmt sie auf den Arm, um sie von A nach B zu tragen.
Und mit dem Sprechen ist das auch ähnlich.
Also mehr als Brabbeln bringt Rosemary nicht über die Lippen.
Und auch aufrecht sitzen fällt ihr beispielsweise schwer, was die meisten Kinder vor ihrem ersten Geburtstag ja schon können.
Zunächst denken sich Rose und Joe Kennedy nicht viel bei diesen Schwierigkeiten.
Und meinen, vielleicht ist sie ja einfach nur eine Spätsünderin.
Doch als 1920 und 1921 Rosemarys jüngere Schwestern Kathleen und Eunice geboren werden
und entwicklungstechnisch schnell an Rosemary vorbeiziehen, beginnen sich die Eltern ernsthafte Sorgen zu machen.
Weil sie fragen sich, was stimmt denn mit ihrer älteren Tochter nicht?
Warum hängt sie bloß so hinterher?
Und das sind Fragen, mit denen sich Rose und Joe Kennedy an mehrere Kinderärztinnen wenden.
Das heißt, sie lassen ihre Tochter immer und immer wieder untersuchen und begutachten.
Und immer wieder bekommen sie zu hören, ursächlich für Rosemarys Entwicklungsverzögerung waren die Umstände ihrer Geburt.
Und hier einmal kurz zur Erklärung.
Wenn man die Geburt in die Länge zieht, dann kann das richtig problematisch werden, hat uns Experte Dr. Richard Krüger erklärt.
Krüger ist Arzt in Weiterbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe am Klinikum Bielefeld und sagt,
man versucht so eine Geburt eigentlich nicht medizinisch zu verlangsamen, sondern die zu unterstützen.
Und das hat mit der Sauerstoffversorgung zu tun, so der Experte.
Künstlich das Kind in dieser Situation zu halten, also wo das Köpfchen schon so tief getreten ist,
es dann wieder nicht mehr durchtreten zu lassen, hält das Kind in der problematischsten Phase.
Wenige Minuten darf eine Herzfrequenz des Kindes abfallen, darf eine Sauerstoffversorgung des Kindes auch mal pausieren.
Das ist kein Problem, das hält jedes gesunde Kind stressfrei aus.
Aber wenn es eben lange in dieser Situation bleibt, und das ist hier künstlich hervorgerufen worden,
durch das Zurückschieben des kindlichen Köpfchens,
dann wird eben eine Sauerstoffunterversorgung des Kindes im Geburtskanal provoziert.
Eben weil die Nabelschnur, durch die das Kind mit Sauerstoff versorgt wird,
bei der Geburt durch den engen Geburtskanal komprimiert wird.
Und diese längere Unterversorgung ist insofern problematisch,
weil dadurch im schlimmsten Fall eine Hirnschädigung hervorgerufen werden kann.
Einige Quellen sagen auch, dass Rosemary so eine hatte.
Und unser Experte Dr. Krüger ist sich sicher,
dass all ihre Entwicklungsschwierigkeiten auf den Sauerstoffmangel während der Geburt zurückzuführen sind.
Es ist so, dass wir natürlich nicht ausschließen können,
dass vielleicht nicht ohnehin dieses Kind mit einer Entwicklungsverzögerung auf die Welt gekommen wäre.
Aber der direkte Zusammenhang mit einer so traumatischen Geburt
und einer sehr hochwahrscheinlichen Sauerstoffunterversorgung des Kindes
zu dieser ja sehr verwundbaren Zeitpunkt des Lebens eines Menschen
ist sehr wahrscheinlich verantwortlich dafür.
Und falls ihr euch jetzt denkt, das muss doch damals schon bekannt gewesen sein.
Warum hatte die Hebamme denn überhaupt die Anweisung, die Geburt hinaus zu zögern?
So richtig verlässliche Quellen gibt es dafür nicht.
Aber in der Biografie von Rosemary Kennedy, geschrieben von Kate Clifford Larson, steht,
dass dem Arzt angeblich ein Honorar versprochen wurde,
wenn er das Kind auf die Welt holt und die Hebamme deswegen die Anweisung hatte, auf ihn zu warten.
Jedenfalls wächst die kleine Rosemary dennoch zu einem fröhlichen, liebenswerten Kind heran.
Sie liebt es zu singen, zu tanzen und zu malen.
Nur werden mit den Jahren Rosemarys Defizite immer offensichtlicher.
Im Alter von vier bis fünf wird ihr klar, dass sie neben der Entwicklungsverzögerung
auch motorische und kognitive Schwierigkeiten hat.
Und das merkt sie auch selbst, weil sie beim Spielen mit ihren Geschwistern oft nicht mithalten kann.
Also sie kann nicht so schnell laufen, sie kann nicht so hoch klettern und sie ist auch ungeschickt.
Und während zum Beispiel ganz viele Kinder im Winter immer wieder schneebedeckte Hügel hinuntersausen,
sitzt Rosemary ganz verunsichert auf ihrem Schlitten, weil sie ihn nicht lenken kann und auch das Gleichgewicht nicht halten kann.
Und dass sie so hinterherhinkt, das wird vor allem auch in der Schulzeit deutlich.
Also das Mädchen mit dem frechen Lachen und den Sommersprossen im Gesicht findet zwar schnell Anschluss und schließt Freundschaften
und tollt auf dem Schulhof herum, aber intellektuell wird sie in ihrer Klasse schnell zur Außenseiterin,
weil eben Rechenaufgaben, Lesen, Schreiben, alles macht ihr Kopfzerbrechen.
Und immer wieder müssen die LehrerInnen ihr beispielsweise erklären, dass man von links nach rechts schreibt und nicht andersrum.
Und Rosemary kann auch keine schweren, komplexen Sätze bilden.
Also bei Gesprächen, da kommt sie dann auch oft ins Stolpern.
Und deswegen, das ist ja sicherlich nicht verwunderlich, entpuppt sich die Schule für Rosemary schon bald als ein Ort der Frustration,
an dem sie tagtäglich mit ihren Schwächen konfrontiert wird.
Und dabei möchte Rosemary um jeden Preis mithalten, also dazugehören.
Und das nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch zu Hause.
In dem großen Wohnhaus in Brookline, in dem Staat, der so schwer auszusprechen ist,
aber ich versuch's, Massachusetts.
Also ihr wisst, welchen ich meine, ja.
Da, wo die Kennedys zu der Zeit wohnen, begegnen ihr ihre Geschwister mit Nachsicht.
Also die unterstützen Rosemary.
Aber so ist eben nicht jedes Familienmitglied zu ihr.
Ihr Vater Joe hat hohe Erwartungen an seine Kinder.
Und die dürfen deswegen auch nicht weniger als perfekt sein.
Mit Intellektglänzen, aber auch mit gutem Aussehen.
Jeden Samstag lässt er sie nacheinander auf die Waage steigen,
um zu kontrollieren, dass sie weder zu dick noch zu dünn sind.
Das muss man sich mal reinziehen.
Und alltägliche Familiensituationen wie gemeinsame Abendessen werden regelmäßig zu Unterrichtsstunden,
in denen er ausschweifende Monologe über die Geschichte Amerikas hält
und das Wissen seiner Töchter und Söhne abfragt.
Mutter Rose wird es später einmal in ihren Memoiren so formulieren.
Joe lehrt seine Kinder, GewinnerInnen zu sein.
Aber Fakt ist nun mal, Rosemary ist keine Gewinnerin.
Zumindest nicht gemessen an den Maßstäben ihres Vaters,
die für alle Kennedy-Kinder gleichermaßen gelten.
Joe ist davon überzeugt, dass seine Ansprüche motivieren.
Also, dass seine Strenge und seine hohe Erwartungshaltung seinen Kindern guttun.
Aber in Rosemarys Fall geht seine Gleichung halt nicht auf.
Die entwickelt gerade deswegen auch ein geringes Selbstvertrauen und eine permanente Angst, ihren Vater zu enttäuschen.
Regelmäßig muss sie dann in seine strengen Augen gucken, wenn sie mal wieder eine schlechte Note von der Schule mit nach Hause gebracht hat.
Und das ist sicherlich falsch, jetzt hier an der Stelle zu behaupten, dass Joe Kennedy seine Tochter nicht liebt.
Aber weil der Erfolg seiner Kinder so wichtig für ihn ist und der eben auch entscheidend für das Maß seiner Zuneigung ist,
steht Rosemary bei ihm nie besonders hoch im Kurs.
Aber sie wünscht sich das halt sehr. Sie wünscht sich sehr seine Anerkennung.
Und das liest man auch in Briefen, die sie ihm schreibt, wenn sie mal eine gewisse Zeit lang getrennt voneinander sind.
Die John F. Kennedy Presidential Library hat uns freundlicherweise zwei Exemplare zugeschickt.
Und da liest man total raus, dass sie ihm einfach gefallen will und ihm nah sein möchte.
In einem zum Beispiel, da erzählt sie ihm von einer Gewichtsabnahme und schreibt dann im nächsten Satz sowas wie,
na, da staunst du, oder?
Und das ist ja total traurig, dass sie das jetzt so herausstellt und auch von jedem noch so kleinen Fortschritt berichtet, den sie macht.
Doch weil diese kleinen Fortschritte nicht ausreichen, schleppen die Eltern Rosemary in den kommenden Jahren
regelmäßig in die Praxisräume von PsychologInnen und suchen renommierte ÄrztInnen aus den Fachbereichen Neurologie und Psychiatrie auf.
Aber die meisten von denen legen den Kennedys nahe, dass sie sich schlicht damit abfinden müssen, dass ihre Rosie eine Lernschwäche hat.
Einige sprechen auch von Geisteskrankheit oder einer leichten geistigen Behinderung.
Und jetzt könnt ihr euch vorstellen, für Rose, aber vor allem natürlich für Joe Kennedy, ist das ein Schock.
Und hat vor allem eine Konsequenz.
Von solchen Diagnosen soll die Außenwelt am besten nie etwas mitbekommen.
Fortan werden sie alles daran setzen, dass niemand außer der Familie erfährt, dass ihre Rosemary nicht einer vermeintlichen Norm entspricht.
Eine Entscheidung, die das Fundament für ein langjähriges Familiengeheimnis legt.
Wir merken, für Rosemarys Eltern, Rose und Joe Kennedy, hat ab sofort höchste Priorität, dass niemand merkt, dass ihre Tochter anders ist, als sie sich das vorstellen.
Und das hat unterschiedliche Gründe.
Also zum einen ist es Mitte des 20. Jahrhunderts ja noch ziemlich gängig, dass Menschen, die geistig beeinträchtigt sind, institutionalisiert werden.
Also sprich, in Nervenheilanstalten untergebracht werden.
Und das wollten die Kennedys damals auf gar keinen Fall, weil die Zustände in den Psychiatrien zu dieser Zeit wirklich dramatisch sind.
Also die sind komplett überfüllt.
Und weil es auch noch keine etablierten Behandlungsmethoden gibt, vegetieren diese PatientInnen dort wirklich die meiste Zeit eigentlich nur vor sich hin.
Also es waren wirklich grauenhafte Zustände damals.
Und zum anderen muss man jetzt an der Stelle wissen, dass wir uns in der Geschichte in einer Zeit befinden, nämlich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre, in der Rosemary's Vater, Joe Kennedy, beruflich immer weiter durchstartet.
Also mittlerweile ist der ein super erfolgreicher Investor an der Wall Street.
Der investiert in Immobilien und in die Filmindustrie und beginnt sich auch in der Politik zu engagieren, wodurch das Ansehen der Kennedy-Familie nochmal deutlich steigt.
Und diesen gesellschaftlichen Aufstieg sieht Joe Kennedy jetzt gefährdet, wenn der Zustand seiner Tochter öffentlich werden würde, weil sowohl Menschen mit Behinderung als auch psychisch Erkrankte damals total stigmatisiert wurden.
Warum? Das hat uns Medizinhistoriker Professor Heiner Fanggerau erklärt, der am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Uniklinik Düsseldorf tätig ist.
Das kann man zum Teil daraus erklären, dass der Wunsch nach Distanz einfach dazu führt, dass man sagt, ich möchte mit den Leuten nichts zu tun haben.
Das kann aber auch etwas damit zu tun haben, dass man Angst vor dem anderen hat.
Und wenn man einen Menschen mit einer psychischen Erkrankung in der Familie hat, ist sofort die Sorge da, ob dieses Stigma nicht vielleicht auf die ganze Familie ausstrahlt.
Und das Besondere bei psychischen Erkrankungen ist ja, dass sie über die Auffälligkeit das soziale Gefüge stören.
Psychische Erkrankungen sind sozial auffällig und eine einflussreiche Familie fühlt sich eben auch selber gestört durch die Person, die den eigenen Status bedroht durch die soziale Auffälligkeit.
Der Experte spricht jetzt hier konkret von psychischen Erkrankungen, sagt aber auch, dass man das ausweiten könne auf Behinderungen, Lernschwächen und ganz viele andere Diagnosen.
Also sprich, von dieser Stigmatisierung sind damals eigentlich alle Menschen betroffen, die in irgendeiner Form von der gesellschaftlichen Erwartung abwischen.
Das ist ja heute auch noch teilweise so. Aber in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war diese Stigmatisierung einfach noch viel, viel krasser, weil sie auch innerhalb der Gesellschaft richtig tief verankert war.
Und zwar wegen der sogenannten Eugenetik. Manche sagen auch Eugenik. Dazu haben wir hier im Podcast auch schon einige Male was gemacht, aber ich hole nochmal alle ins Boot.
Die Eugenetik war eine pseudowissenschaftliche Bewegung, die auf dem Sozialdarwinismus basierte und der propagierte das Überleben des Stärkeren, in Anführungszeichen, und unterteilte die Gesellschaft in starke und schwache Individuen.
Und die Eugenetik behauptete, es gäbe gute und schlechte Erbanlagen. Und als gut galten jene, denen intellektuelle und körperliche Fähigkeiten zugeschrieben wurden, also von gesunden und erfolgreichen Menschen.
Und schlechte Erbanlagen wurden Personen mit psychischen Erkrankungen, Behinderungen, körperlichen Krankheiten oder vermeintlich auch mangelnder Moral zugeschrieben.
Weil diese Lehre auch annahm, dass man beispielsweise kriminelles Verhalten auf schlechtes Erbgut zurückführen könnte.
Und obwohl diese Lehren heute natürlich widerlegt sind, waren sie damals weit verbreitet und führten dann auch zu wirklich gravierenden Konsequenzen für diejenigen, die als schwache Gesellschaftsmitglieder mit schlechtem Erbgut galten.
Bekanntestes Beispiel sind sicherlich die Verbrechen der Nationalsozialisten.
In Deutschland diente die Eugenetik als ideologisches Fundament der NSDAP.
Und hier wurde ja 1933 das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verabschiedet, das ja die Zwangssterilisation von Personen mit bestimmten Erkrankungen legitimierte.
Das führte dann damals zur Sterilisation zahlreicher Frauen mit Depressionen, Psychosen und Behinderung.
Und später wurden dann ja im Rahmen der sogenannten Euthanasie-Programme psychisch Erkrankte und Menschen mit Behinderung massenhaft getötet.
Wir sind ja jetzt in den USA, aber auch dort gab es die eugenische Bewegung, um eben in Anführungszeichen die genetische Qualität der Bevölkerung zu verbessern.
Und deswegen wurden auch dort schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zwangssterilisationen durchgeführt.
1907 erließ zum Beispiel der Bundesstaat Indiana das erste Gesetz, das solche Maßnahmen legitimierte.
Und Schätzungen zufolge wurden bis in die 70er Jahre etwa 60.000 bis 70.000 Zwangssterilisationen in den USA durchgeführt.
Und ich sage das jetzt hier nur, weil das zeigt einfach ziemlich deutlich, welchen gesellschaftlichen Status Menschen wie Rosemary hatten, die nicht dem Ideal entsprachen.
Und deswegen kann man auch sagen, also die Kennedys, die entscheiden sich jetzt damals nicht nur wegen Rosemarys Wohl ihre, ich nenne es jetzt mal Defizite, weil man einfach bis heute nicht genau weiß, was sie hatte, für sich zu behalten, sondern auch weil die sich damals um ihr eigenes Wohl sorgen, weil diese Angst vor angeblich schlechten Erbanlagen allgegenwärtig war und man deswegen um das gesellschaftliche Ansehen der ganzen Familie fürchtet.
Denn wenn Rosemary schlechte Erbanlagen hat, dann liegt ja nahe, dass das Familie verbreitet ist.
Das Versteckspiel der Kennedys hat für Rosemary weitreichende Folgen.
Innerhalb ihrer Familie erlebt sie zwar weiterhin überwiegend Rückhalt und ist auch bei Ausflügen und Urlauben dabei, aber in der Öffentlichkeit ist sie schlicht außen vor.
Also wenn die Kennedys Einladungen zu gesellschaftlichen Events erhalten, dann kommt sie einfach nicht mit.
Ganz anders als ihre Geschwister, zu denen 1932 mittlerweile acht Brüder und Schwestern gehören.
Vor allem Rosemarys Bruder John ist für Vater Joe eine gern gewählte Begleitung.
Der nimmt ihn nämlich regelmäßig mit, um damit zu prahlen, dass sein Sohn später in Harvard studieren und danach in der Politik Karriere machen werde, was ja dann später auch stimmte.
Rosemary dagegen kommt nie in den Genuss solcher Schmeicheleien und fühlt sich oft einsam und isoliert.
1934, da ist sie gerade 16 Jahre alt, da schreibt sie einmal aus dem Internat in Rhode Island, das sie mittlerweile besucht, nach Hause.
Zu dem Zeitpunkt soll Rosemary berichten zufolge intellektuell da etwa auf dem Stand einer Fünfklässlerin sein und offenbar scheint sie in dem Moment zu begreifen, dass sie den Ansprüchen der Kennedys nach wie vor nicht gerecht werden kann.
Besonders deutlich machen das auch die handgeschriebenen Worte, die sie kurze Zeit später an ihren Vater richtet.
Da schreibt sie an ihn nämlich, ich hasse es, dich in irgendeiner Form zu enttäuschen.
Etwa vier Jahre später steht für die Familie Kennedy dann eine große Veränderung an.
Nachdem sich Joe Kennedy in den vergangenen Jahren immer mehr in der Politik engagiert und unter anderem den Wahlkampf von Präsident Franklin D. Roosevelt unterstützt hat, wird er nun 1938 zum US-Botschafter Großbritanniens ernannt.
Und das ist ein Amt, das ihm nicht nur weitere Anerkennung und Macht verleiht, sondern auch dazu führt, dass die ganze Familie, und zwar einschließlich Rosemary, die Koffer packt und nach London zieht.
Statt dem amerikanischen Brookline ist ab sofort Mayfair ihr neues Zuhause.
Und im Londoner Stadtteil der Reichen und Schönen finden die Kennedys schnell Anschluss und werden von der feinen Gesellschaft mit offenen Armen empfangen.
Heißt, ihr Kalender ist prall gefüllt mit Einladungen zu Feierlichkeiten, Premieren und Empfängen, zu denen sie eben auch die Kinder mitbringen sollen.
Auch Rosemary.
Die ist mittlerweile 19 und dann damals auch in einem Alter, in dem sich die Öffentlichkeit zunehmend für die älteste Kennedy-Tochter interessiert.
Und das stellt natürlich das bisherige Versteckspiel ihrer Eltern auf eine echte Probe.
Denn Joe und Rose ist klar, die können ihre Strategie Rosemary immer außen vor zu lassen, so jetzt nicht weiterführen,
weil die sonst zu viel Spielraum für Spekulationen und Gerüchte bieten.
Das wiederum bringt sie jetzt zu einem Umdenken, dass Rosemary gewissermaßen Tor und Tür in ein neues Lebenskapitel öffnet.
Im Mai 1938, nur zwei Wochen nach ihrer Ankunft in London, werden sie und ihre jüngere Schwester Kathleen
gemeinsam mit anderen jungen Frauen der gehobenen Gesellschaft als Debutantinnen in den Buckingham Palace eingeladen.
Für Rosemary ist das der erste öffentliche Auftritt in der neuen Heimat und dafür musste sie wochenlang auf Anweisungen ihrer Familie üben,
elegant zu laufen und halbwegs sicher zu tanzen, um bloß nicht aufzufallen.
Aber Rosemary fällt an diesem Tag auf. Und zwar positiv.
Die 19-Jährige ist an dem Tag in eine weiße Robe aus Tö mit silbernen Verzierungen geschlüpft
und trägt weiße, lange Handschuhe.
Und immer wieder bleiben die Blicke an ihr hängen.
Und sie ist an diesem Tag auch eine begehrte Tanzpartnerin.
Und abgelenkt von ihrer Anmut merkt nahezu niemand, dass ihr das Tanzen koordinativ nahezu alles abverlangt.
Verschiedene Zeitungen drücken dann am nächsten Tag Fotos von ihr und ihrer Schwester auf den Titelseiten
und bezeichnen sie als exquisit.
Nach diesem Auftritt im Buckingham Palace blüht Rosemary dann regelrecht auf.
Zwar unter den wachsamen Augen ihrer Geschwister,
aber immerhin kann sie ab jetzt an den Wochenenden zu Theaterpremieren und Opern gehen.
Und unter der Woche besucht die 19-Jährige in London eine katholische Mädchenschule,
die ganz anders ist als die Bildungseinrichtung, an denen sie vorher war.
Die Chesham School in Kensington, einem Stadtteil im Westen Londons,
folgt der sogenannten Montessori-Pädagogik.
Das ist ein Lernansatz, der die individuellen Stärken und Schwächen in den Mittelpunkt stellt
und die haben dann auch keine Noten oder andere Bewertungsschemata.
Und für Rosemary ist das super und die liebt auch die Schule,
weil sie das erste Mal in einem Lernumfeld ist, in dem man individuell auf sie eingeht
und sie auch so akzeptiert, wie sie ist.
Und deswegen macht sie dann dort auch Fortschritte beim Lesen und beim Schreiben
sogar so sehr, dass sie dann auch Kindern aus jüngeren Klassen aus Büchern vorlesen kann.
Und sie hilft bei der Zubereitung des Mittagessens.
Also es ist quasi das erste Mal in ihrem Leben,
dass sie nicht tagtäglich mit ihren Schwächen konfrontiert wird
und das Gefühl hat, nicht genug zu sein, um was schaffen zu können.
Also sie entwickelt daraufhin auch Selbstvertrauen
und fühlt sich gefördert, akzeptiert und gesehen.
Nur ahnt sie inmitten ihres größten Glücks nicht,
dass ihr Leben schon bald eine dramatische Wendung nehmen wird.
Und zwar eine Wendung, die ihren Höhenflug beenden
und das neu erlangte Glück für immer aus ihrem Leben verbanden wird.
Es ist das Jahr 1940, als Joe Kennedy nach gerade einmal zwei Jahren im Amt
als US-Botschafter zurücktritt.
Er hat sich nämlich in der Vergangenheit mehrmals
gegen eine Beteiligung der USA am Zweiten Weltkrieg ausgesprochen
und damit eine Haltung vertreten,
die der Position der amerikanischen Roosevelt-Regierung deutlich widerspricht.
Und die Kritik an seiner Person ist mittlerweile so groß,
dass Joe jetzt keine andere Möglichkeit sieht, als seinen Posten zu räumen.
Und mit dem Ende seiner diplomatischen Karriere
haben er und seine Familie dann auch keinen Grund mehr, in London zu bleiben.
Das ist für Rosemary ganz dramatisch.
Und diese geplante Rückkehr in die USA, die treibt sie auch an den Rand der Verzweiflung.
Sie fleht und bettelt, in Großbritannien bleiben zu dürfen
und weiterhin in der Stadt leben zu können, in der sie sich so wohl fühlt.
Aber ihr Vater lässt damit nicht mit sich reden und das auch angesichts der deutschen Luftangriffe und Nazi-Bombardierungen.
Die Rückkehr in die USA gleicht dann für Rosemary aber einer Katastrophe und stürzt sie in eine emotionale Krise.
Losgerissen von diesem Londoner Unterstützungssystem, muss sie jetzt zurück in dieses Umfeld,
was ihr ihr Leben lang ihre Schwächen vor Augen geführt hat,
indem sie immer eine Außenseiterin war und im Schatten ihrer Geschwister stand.
Die 21-Jährige ist unglücklich, sauer und frustriert.
Und das zeigt sie in der Zeit auch.
Rosemary ist nämlich nicht nur deprimiert und unausgeglichen,
sie ist auch furchtbar wütend und schlägt um sich.
Und dieses Verhalten belastet nicht nur ihre Familie, sondern auch ihre LehrerInnen.
Seit der Rückkehr in die USA besucht Rosemary nämlich ein katholisches Mädcheninternat in Washington,
in dem sie dann auch den Großteil ihrer Zeit verbringt oder besser gesagt verbringen sollte.
Denn immer wieder bricht Rosemary nachts aus dem Schulgebäude aus
und treibt sich dann auf den Straßen rum,
wo sie Lehrkräfte oft erst in den frühen Morgenstunden dann einsammeln können.
Und ihr könnt euch vorstellen, vor allem Rosemarys Vater ist über die nächtlichen Ausflüge von ihr entsetzt.
Also der fragt sich, was macht die denn da, wenn die nachts still und heimlich aus dem Schulgebäude schleicht?
Und hat auch im Kopf, ist die vielleicht mit Männern zusammen?
Und gerade das ist für Joe Kennedy ein unerträglicher Gedanke, weil er sich sorgt.
Und hier kann man sich ja auch die Frage stellen,
geht es ihm dabei wohl zuallererst um das Wohlergehen seiner Tochter oder um sein eigenes?
Denn Joe ist damals überzeugt, wenn Rosemary als junge, unverheiratete Frau
im Zuge eines nächtlichen Techtelmächtels schwanger werden würde,
dann wäre das nicht nur ein Skandal.
Es wäre der gesellschaftliche Todesstoß für die Kennedys.
Und ein berufliches Hindernis für seine Söhne Joseph Junior und John,
für die er große Pläne hat.
Als sich dann die nächtlichen Ausflüge von Rosemary häufen,
nehmen Joe und Rose Kennedy ihre Tochter dann von der Schule.
Rosemary verbringt ihre Zeit nun Tag ein, Tag aus in ihrem Elternhaus.
Aber auch da spitzt sich die Situation nach einer Weile immer weiter zu,
weil Rosemarys Wutausbrüche nicht nur immer häufiger werden,
sondern auch immer intensiver.
Einmal ärgert sie sich so sehr über ihren Großvater,
dass sie gewaltsam auf ihn losgeht
und ihre Familie sie nur mit vollem Körpereinsatz zurückziehen kann.
Und dieser Zorn von Rosemary,
der wird irgendwann zu einer echten Belastungsprobe für die Kennedys,
aus der schließlich Vater Joe eine Konsequenz zieht.
So darf es nicht weitergehen.
Für den 52-Jährigen ist klar, dass er irgendetwas unternehmen muss,
bevor Rosemary mit ihrem Verhalten den Ruf der Familie aufs Spiel setzt.
Sein Interesse ist deswegen sofort geweckt,
als er 1941 von einem medizinischen Eingriff hört,
der nicht nur vielversprechend klingt,
sondern auch nach der perfekten Lösung für seine Probleme.
Joe Kennedy hört damals von der präfrontalen Lobotomie.
Das ist ein Verfahren, das in den 30ern
von dem portugiesischen Mediziner Antonio Agas Moniz erfunden wurde.
Hier in den USA wird das Verfahren aber
mit einem anderen Namen in Verbindung gebracht,
und zwar Dr. Walter Freeman.
Das ist ein Neurologe und Psychiater.
Er hat ausgeprägte Geheimratsecken,
einen dunklen Bart und dichte Augenbrauen.
Und der führt seit fünf Jahren gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. James Watts,
das ist ein angesehener Neurochirurg, das Verfahren durch.
Und das zählt darauf ab,
psychische Erkrankungen mittels einer Hirn-OP zu behandeln.
Vor allem Dr. Freeman sieht in der Lobotomie
einen medizinischen Game Changer
und redet öffentlich davon,
Depressionen, Psychosen, aber auch Schizophrenie
nicht nur lindern, sondern heilen zu können.
Und das ist zu der Zeit ein Versprechen,
das auch die Presse tagtäglich beschäftigt.
Also es gibt ganz viele Artikel in der Zeit
und die lesen sich fast wie reine Lobgesänge auf Freeman.
In einem heißt es,
viele der bis dato operierten Personen
hätten sich, Achtung Zitat,
von Problemen für ihre Familien
und Ärgernisse für sich selbst
in nützliche Mitglieder der Gesellschaft verwandelt.
Und eine Welt, die einst ein Ort des Elends,
der Grausamkeit und des Hasses zu sein schien,
erstrahle für sie, also die PatientInnen,
nun in Sonnenschein.
Das frage ich mich,
welche JournalistInnen das geschrieben haben.
Es sind auf jeden Fall Zeilen,
die damals sowohl Betroffene als auch Angehörige
wie Joe Kennedy in ihrer Verzweiflung aufhorchen lassen.
Weil das damals auch der erste vielversprechende Ansatz ist,
psychische Erkrankung effektiv zu behandeln.
Denn viel mehr Ansätze gibt es 1941,
also dem Jahr, in dem wir uns da jetzt gerade befinden,
gar nicht wirklich.
Also es gibt keine Psychopharmaka,
es gibt keine etablierten Therapieformen,
die auch wirklich was bringen.
Und deswegen sind damals viele Menschen Feuer und Flamme,
als Freeman dann mit diesem Heilsversprechen um die Ecke kommt.
Als Teil der sogenannten Psychochirurgie
beruht die Lobotomie,
fälschlicherweise muss man dazu sagen,
auf der Annahme,
dass psychische Erkrankungen ihre Ursache
einzig und allein im Hirn haben.
Genauer gesagt,
das defekte Nervenbahn.
Der Grund dafür sind,
dass Menschen psychisch erkranken.
Und ein Großteil der angeblich defekten Nervenbahn,
um die es da geht,
befindet sich im sogenannten präfrontalen Kortex.
Das ist ein Areal im Frontallappen des Gehirns,
der direkt hinter der Stirn sitzt.
Deswegen wird er auch Stirnhirn genannt.
Und der präfrontale Kortex,
der übernimmt im Gehirn eine ziemlich wichtige Aufgabe,
wie uns Professor Jürgen Schleier,
Neurochirurgischer Leiter des Universitätsklinikums Regensburg,
erklärt hat.
Der ist für alles zuständig.
Der integriert alles,
was wir aus unserer Umgebung aufnehmen,
sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken,
kommt da vorne an,
nachdem es in den primären Zentren aufgenommen worden ist.
Und alles, was aus unserem Inneren kommt,
Emotionen, Gedächtnis, Schmerz,
Alles wird da vorne verschachtelt, bewertet
und entschieden, was ist jetzt gerade relevant.
Muss ich jetzt gerade wissen,
ob mein Bein ausgestreckt ist oder nicht.
Oder ist das irrelevant?
Und ich konzentriere mich auf das Gespräch mit denen.
Alles wird in Millisekunden praktisch verarbeitet.
Der ist zuständig, um einen Plan zu machen,
mit denen jetzt zu sprechen,
mit dem Rechner einzuschalten,
zu gucken, ob der Plan funktioniert
und den zu adaptieren.
Also man kann sagen,
der präfrontale Kortex ist sowas wie der Regisseur,
der im Gehirn den Takt angibt.
Also das zeigt sich dann vor allem
in Bezug auf Emotionen ganz gut,
die der präfrontale Kortex
nicht nur koordiniert,
sondern auch kontrolliert,
indem er eine spontane Reaktion zurückhält
und durch eine soziale, adäquate ersetzt.
Wenn Sie mich jetzt wütend machen
und ich das Gefühl habe,
ich müsste Sie jetzt verhauen,
schaltet sich der präfrontale Kortex ein
und sagt,
nee, keine gute Idee,
macht keinen guten Eindruck.
Wird dann vielleicht mal
in der Öffentlichkeit berichtet,
hat juristische Konsequenzen
oder Sie sind doppelt so stark wie ich,
kauen Sie zurück.
Das wird alles innerhalb von wenigen
Bruchteilen von Sekunden bewertet
und dann wird mein Verhalten
danach ausgerichtet.
Also wir merken,
der präfrontale Kortex
spielt eine super zentrale Rolle dabei,
was uns als Mensch ausmacht.
Hey, da weiß man damals noch nicht
alles das darüber,
was wir heute wissen.
Und die Lobotomie sieht nun eben vor,
genau in diesem Hirnbereich
angeblich defekte Verbindungen
im Zuge dieser Operation zu zerstören,
damit sie sich,
das ist zumindest die Idee,
anschließend neu und gesund bilden können.
Man kann auch sagen,
das Gehirn soll quasi auf Werkeinstellungen
zurückgesetzt werden, ja.
Und die Fachwelt,
die begegnet der Lobotomie damals
erstmal noch mit Skepsis,
einfach, weil es keine Langzeitstudien gibt,
aber Waterfree Man ist bereits jetzt
von ihrem Mehrwert überzeugt.
Und viele Angehörige
und PatientInnen auch,
denn nach der Lobotomie
wirken viele wie ausgewechselt.
Wir sagen,
die haben keine hysterischen Anfälle mehr,
die sind nicht mehr je zornig,
nicht mehr verhaltensauffällig
und klagen dann auch nicht mehr
über depressive Gedanken.
Stattdessen wirken sie ruhig,
eben genauso wie Joe Kennedy
seine Rosemary gerne hätte.
Die neuartige Lobotomie
erweckt also Hoffnung in ihm.
Vielleicht sind Freeman und Watts
in der Lage,
Rosemary's Wutanfällen
operativ ein Ende zu bereiten.
Vielleicht können sie
mithilfe eines Skalpels
den Ruf seiner Familie retten.
Und so vereinbart Vater
Joe Kennedy für seine Tochter
einen OP-Termin.
Es ist der 6. November 1941.
Seite an Seite betreten
Rosemary und ihr Vater
an diesem Herbsttag
das Gebäude der
George Washington University
Klinik in Washington.
Es ist ein Termin,
der gewissermaßen
im Geheimen stattfindet,
denn Joe Kennedy
hat niemandem erzählt,
dass er Rosemary
heute einer Lobotomie
unterziehen will.
Weder ihrer Mutter Rose
noch ihren 8 Geschwistern
vermutlich nicht einmal
Rosemary selbst.
Es ist auch unklar,
ob sie irgendjemand
nach ihrer Einwilligung fragt.
Fest steht aber,
nur kurze Zeit später
liegt die 23-Jährige
festgeschnallt
auf einem OP-Tisch
inmitten eines sterilen Raums.
Ihr Schädel ist betäubt
und oberhalb der Stirn
und Schläfen rasiert.
Statt dichtem Haar
wird ihre nackte Kopfhaut
nun von einer aufgemalten
kreuzähnlichen Markierung
bedeckt.
Während Rosemary
vermutlich keine Ahnung hat,
was als nächstes
mit ihr passiert,
gehen Freeman und Watts
in Position.
So, wie sie es
bereits 65 Mal
zuvor getan haben.
Für Patientin Nummer 66
ist nun alles bereit.
Der Eingriff kann beginnen.
Zunächst setzt
Neurochirurg Watts
den Bohrer
in Höhe von
Rosemary's Schläfe an.
Mit brummendem Geräusch
bohrt er ein
zweieinhalb Zentimeter
großes Loch
und bahnt sich
einen Weg
durch die Schädeldecke
seiner Patientin.
Dann greift er
zum sogenannten
Leukotom.
Das ist ein
20 Zentimeter langer
Metallspatel,
den er jetzt
durch das gebohrte Loch
führt,
bis er in
Rosemary's Hirn
angekommen ist
und beginnt dann,
den schwingend
hin und her
zu bewegen.
Es wird jetzt
ein bisschen ekliger.
Also es ist
fast so,
als würde er
etwas umrühren
im Kopf.
Danach
nimmt er
erneut
den Bohrer
zur Hand,
um ihn
an der anderen
Kopfseite
anzusetzen
und den
Vorgang
zu wiederholen.
Einmal links,
einmal rechts.
So sieht es
die präfrontale
Lobotomie vor.
Dr. Walter Freeman
steht neben
seinem Kollegen
und gibt ihm
Anweisungen,
in welchem
Winkel
Watts
den Metallspatel
zu führen habe,
um die
richtigen
Nervenbahnen
zu treffen.
Freeman
gibt den Ton an,
Watts handelt.
So ist damals
die Arbeitsteilung
zwischen den beiden,
weil Freeman
ja zwar
Neurologe
und Psychiater
ist,
aber der hat
keine chirurgische
Ausbildung
und kann deswegen
nicht selber ran.
Dafür spricht er
aber in der Zeit
mit den PatientInnen,
wie halt eben
auch mit Rosemary
in der Zeit.
Und um sie
abzulenken
und natürlich,
weil man somit
auch ein bisschen
Kontrolle hat,
um zu sehen,
ob was schief
gehen könnte,
stellt er ihr
Aufgaben.
Rosemary soll
das Vaterunser
sprechen,
rückwärts zählen
und dann weist
er sie an,
God Bless America
zu singen,
also die
Nationalhymne.
Rosemary gehorcht.
Ihre zarte,
helle Stimme
ertönt nun
im Operationssaal
der Klinik.
Doch nur kurz
darauf herrscht
plötzlich Stille.
Rosemary
ist verstummt.
Sie hat das
Bewusstsein verloren.
So war der
Eingriff
nicht geplant.
Wenige Stunden
nach der Operation
kann Rosemary
nicht sprechen,
nicht laufen
und sich kaum
bewegen.
Die Lobotomie
hat Rosemary
nicht geholfen,
sondern ihr
offenbar schwer
geschadet.
Und dieser Tatsache
müssen jetzt Dr. Freeman
und Dr. Watts
ins Auge blicken.
Seit die 23-Jährige
in ihrem Krankenbett
erwacht ist,
wird immer deutlicher,
wie niederschmetternd
ihr Zustand ist.
Rosemary
ist nämlich kaum
wieder zu erkennen.
Sie ist offenbar
auf dem Entwicklungsstand
eines Kleinkindes.
Vieles,
was man ihr sagt,
kann sie gar nicht
begreifen
und ihre Augen,
die sonst so wach
und neugierig aussahen,
sind jetzt trostlos
und leer.
Und sie ist
halbseitig gelähmt
und inkontinent.
Rosemarys bisheriges
Leben war zwar geprägt
von einem
diagnostischen Wirrwarr,
vielleicht war sie
kognitiv beeinträchtigt,
vielleicht hatte sie
eine Lernschwäche,
aber nun,
nach der Lobotomie,
lässt sich
Rosemarys Zustand
eindeutig beschreiben.
Sie ist schwerbehindert,
sowohl körperlich
als auch geistig.
Und der Eingriff,
der ihr Heilung bringen sollte,
hat sich für sie
als Katastrophe entpuppt.
So,
und da fragt man sich,
woran hat sie liegen?
Unser neurologischer Experte,
Professor Jürgen Schleier,
gibt uns da eine Einordnung.
Das ist so 100% alles
auf die Lobotomie
zurückzuführen,
also diese halbseitige Lähmung,
die Blasenentlärmungsstörung,
diese erhebliche Minderung
im Intellekt.
Also die Halbseitenlähmung,
da ist es ja wahrscheinlich
zu weit nach hinten gekommen,
weil das sind die Faserbahnen,
die von der Hirnrinte,
die ein bisschen weiter hinten ist,
für unsere Bewegung zuständig sind.
Wenn die durchtrennt werden,
hat man auf der gegenseitigen
Körperhälfte eine Lämo.
Das ist wie bei einem Schlaganfall.
Und die plötzliche Inkontinenz
lässt sich laut Schleier
auch durch die Verletzungen
am präfrontalen Kortex erklären,
weil der auch eine gewisse Kontrolle
über Blase und Stuhl hat.
Schleiers Fazit lautet also,
dass Watts und Freeman
bei Rosemary's Lobotomie
schlichtweg mehr kaputt gemacht haben,
als sie eigentlich wollten.
Also sprich,
irgendwas ist schief gelaufen,
wenn man so will.
Aber Schleier sagt auch,
dass man aus heutiger Sicht
sagen muss,
dass diese Lobotomie
damals ohnehin
eine super problematische OP war,
weil sie alles,
wirklich alles andere
als präzise war.
Weil es in den 40ern
abgesehen vom Röntgen
nämlich gar keine
technischen Hilfsmittel
und bildgebende Verfahren gab,
mit denen man hätte kontrollieren können,
wie das jeweilige Gehirn
beschaffen ist
und wo man sich eigentlich
gerade befindet.
Und weil man damit aber ja auch
sowieso nur die Knochen
abbilden kann,
wäre jetzt Röntgen
eh sinnfrei für die Lobotomie gewesen.
Also wir sagen,
man hat eigentlich
blind darin rumgestochert
und gehofft,
dass die Nervenverbindungen
gekappt werden,
die dann angeblich
ausschlaggebend
für die psychischen
Krankheiten sind.
Aber
selbst wenn man
wirklich nur
die Nervenbahnen getroffen hätte,
die man kappen wollte,
dann hätte das für Rosemary
trotzdem höchstwahrscheinlich
negative Folgen gehabt.
Denn wenn man
den präfrontalen Kortex
zerstört,
dann leiden laut
unserem medizinischen Experten
Professor Schleier
nämlich vor allem zwei Dinge.
Und zwar einmal
die Planungsfähigkeit
und die Emotionsregulierung.
Man hat also
Schwierigkeiten vorhaben,
die eine gewisse Planung
erfordern,
in die Tat umzusetzen.
Also beispielsweise
jetzt die Überlegung,
was will ich essen?
Was brauche ich dafür
für Zutaten?
Wo bekomme ich die her?
Wie bereite ich das Essen zu?
Weil man vielleicht schon,
nachdem man überhaupt
die Zutaten aufgeschrieben hat,
vergisst,
weshalb man das überhaupt macht.
Und man hat seine Gefühle
überhaupt nicht unter Kontrolle.
Weil man entweder
völlig ungefiltert ist
und starke Emotionen
wie Wut
gar nicht mehr
kontrollieren kann.
oder je nachdem,
welche neuronalen Verbindungen
da zerstört werden,
kann auch das Gegenteil
der Fall sein.
Also sprich,
es kommen gar keine Emotionen
mehr an.
Es werden keine Gefühle gezeigt
oder die Betroffenen
wirken wie eine leere Hülle.
Und das wurde aber damals
als Erfolg verbucht,
weil bei einigen
ja dann auch tatsächlich
das Leid verschwand.
Also zum Beispiel
die heftigen
und kontrollierten
Gefühlsausbrüche.
Aber generell muss man sagen,
die Ergebnisse
der Lobotomie
die variierten stark.
Also manche PatientInnen
waren danach
wie Rosemary
auf dem Entwicklungsstand
eines Kleinkindes.
Manche haben teilweise
vergessen,
welche Probleme
sie überhaupt
vor dem Eingriff hatten
und lebten
ab da dann
so sehr im Moment,
aber jetzt nicht
auf eine gute Weise,
sondern auf eine Weise,
mit der man
sein Leben
nicht mehr geregelt bekommt.
Aber genau das
zeigt halt eben auch,
dass die Lobotomie
gar nicht das Wunderheilmittel
war,
für das es damals
verkauft wurde,
vor allem in der Presse,
sondern dass die Lobotomie
im Gegenteil
sehr viel Schaden
anrichten konnte.
Dass quasi diese
plötzliche Wesensveränderung,
die Freeman und Watts
auch als Heilung
interpretierten,
eigentlich nichts weiter
ist als eine
chirurgische
Ruhigstellung,
die auch mit dem
Verlust von ganz
wesentlichen Fähigkeiten
und der Persönlichkeit
einhergeht.
Nach der verpatzten
Lobotomie von Rosemary
ist ihr Zustand
vor allem für
Dr. Freeman
ein Schock.
Und das,
obwohl bei den
Lobotomien,
die er mit Dr.
Watts gemacht hat,
schon öfter was
schiefgelaufen ist.
Immer wieder erlebt Freeman,
wie es bei PatientInnen
zu schweren Komplikationen
wie Hirnblutung
und Infekten kommt
und sogar auch
wie Menschen
sterben.
Und es gab auch schon
diese Fälle,
bei denen Betroffene
danach schwerbehindert sind,
weil wichtige
Hirnareale
zerstört wurden.
Genau wie bei Rosemary.
Aber Dr. Walter Freeman
gibt halt eben nicht viel
auf diese Ereignisse,
weil das für ihn
nichts weiter sind
als traurige Ausnahme
einer angeblichen
starken Erfolgsserie.
Und er versucht dann,
diese Ausreißer
auch unter den Teppich
zu kehren.
Zum Beispiel,
indem er behauptet,
die Betroffenen seien
wahrscheinlich schon vorher
schwer krank gewesen
oder ihr Tod war jetzt
gar nicht eindeutig
auf die Lobotomie
zurückzuführen.
Denn Dr. Freeman
ist fest überzeugt
vom Nutzen der Lobotomie
und macht sich deswegen
auch nicht viel
aus den Todesfällen
und Komplikationen.
Jetzt bei Rosemary
ist das aber ein bisschen
anders, weil die 23-Jährige
ist ja eine Kennedy
und damit halt Mitglied
einer bekannten
angesehenen Familie.
Wenn jetzt öffentlich wird,
was die Lobotomie
bei ihr angerichtet hat,
dann könnte das
nicht nur das Ende
von der Karriere
von Freeman bedeuten,
sondern auch das Ende
der Lobotomie
an sich.
Und das,
da ist sich Dr. Freeman
sicher,
wäre die viel
größere Katastrophe,
weil die Lobotomie
seiner Meinung nach
wirklich die Lösung
bei psychischen Krankheiten
ist und er ist sich
auch sicher,
dass die in Zukunft
zum Standardverfahren
gehören wird
und aber auch das Potenzial
hat, ihn zum Superstar
in der Medizinwelt
zu machen.
Am Ende zeigt sich aber
Dr. Freemans Sorge
über ein vorzeitiges
Karriereaus,
das ist völlig unbegründet,
denn ihr könnt euch
vorstellen,
wer gar kein Interesse
daran hat,
dass die Öffentlichkeit
von Rosemarys Zustand
erfährt,
nämlich Joe Kennedy.
Und deswegen
möchte er die beiden
behandelnden Ärzte auch
überhaupt nicht
zur Verantwortung ziehen,
weil für ihn einfach
nur wichtig ist,
jetzt, wo Rosemary
weniger denn je
ins Bild
der perfekt
anmutenden
Kennedy-Familie
passt,
soll niemand
erfahren,
was mit ihr
passiert ist.
Und wieder einmal
stellt er das
Ansehen seiner
Familie
über alles andere.
Noch während
die 23-Jährige
im Krankenhaus
liegt,
besorgt er ihr
deswegen heimlich
einen Platz
in einer
psychiatrischen
Privatklinik
nördlich von
New York,
wo die Kennedy-Familie
mittlerweile auch
lebt.
Niemand soll
erfahren,
dass sie
infolge
einer Lobotomie
schwerbehindert
geworden ist
und jetzt
rund um die Uhr
auf Pflege
angewiesen ist.
Nicht einmal
die engste
Familie.
Und deswegen
tischt Joe
Kennedy
seinen Kindern
immer wieder
Lügen auf
und rechtfertigt
Rosemary's
plötzliche
Abwesenheit
mit
ausgedachten
Geschichten.
Er sagt
zum Beispiel
einmal,
dass Rosemary
in den
Mittleren Westen
gegangen sei,
um Lehrerin
zu werden
und selbst
seiner Frau
Rose
gegenüber
legt er die
Karten
erstmal
nicht auf
den Tisch
und verrät
lediglich,
dass ihre
Rosie jetzt
in einer
Klinik
sei,
wo sie
die
Unterstützung
bekomme,
die sie
brauche.
Ja.
Und in
dieser
Klinik
verbringt
Rosemary
dann die
kommenden
sechs
Jahre.
Obwohl sie
nach diesem
folgenschweren
Eingriff mehr
denn je
den Rückhalt
ihrer Familie
bräuchte,
sind jetzt die
einzigen Menschen,
auf die sie
zählen kann,
bezahlte
Pflegekräfte.
Rosemary
ist einsam
und allein.
Und da Vater
Joe Kennedy
ihren Aufenthaltsort
geheim hält
und die anderen
Kennedys nicht wissen,
was mit ihr
geschehen ist,
kommt sie halt
eben auch
niemand besuchen.
Nicht einmal
ihr Vater
selbst.
Statt seiner
Tochter
zur Seite
zu stehen,
nachdem er
ihr das
angetan
hat,
muss man
ja auch
mal
sagen,
wendet er
sich von
ihr ab
und
widmet sich
nun ganz
seinem
Sohn
John.
Genauer
gesagt
natürlich
der
Ambition
dessen
politische
Karriere
in Gang
zu bringen.
Ein
Vorhaben,
das dann
auch
Erfolg
hat
und
Joe
Kennedy
zugleich
vor
Augen
führt,
dass
seine
Tochter
Rosemary
jetzt
anonym
untergebracht
in einer
psychiatrischen
Klinik
noch mehr
als zuvor
eine Gefahr
darstellt
für die Pläne,
Sitz im
US-Repräsentantenhaus
erhält
und damit
sein
erstes
großes
politisches
Amt
bekleidet,
lässt
Joe
Rosemary
aus New York
in eine
Einrichtung
in Wisconsin
verlegen.
Noch
weiter weg
also von
ihrer
Familie,
also den
Menschen,
die einmal
alles für
sie waren.
Joe
Kennedy
will so viel
Distanz
wie möglich
schaffen
zwischen
seiner
schwerbehinderten
Tochter
und dem
aufkeimenden
Erfolg
seines
Sohnes,
der nun
beruflich
viel
in der
US-amerikanischen
Hauptstadt
zu tun
hat,
weshalb
die
Kennedys
mehr
ins
Licht
der
Öffentlichkeit
rücken
als je
zuvor.
Aber
gerade
deshalb
bleibt
Rosemarys
Verschwinden
eben auch
nicht
unbemerkt.
Also
natürlich
erkundigen
sich
Verwandte
und
Bekannte,
aber auch
Journalistinnen
nach ihr.
Joe
und
Rose
behelfen
sich
dann mit
verschiedenen
Ausreden
und die
verkünden
wirklich immer
sei
oder
behaupten,
die würde
sich weit weg
um arme
Menschen
kümmern.
Manchmal
sagen sie
auch einfach,
die Tochter
wollte nicht
mehr in die
Öffentlichkeit.
Kurzer Einwand
dazu,
weil ich
habe mich
natürlich
gefragt,
wieso
erzählt die
Mutter
das,
wenn sie
eigentlich
gar nicht
wirklich
weiß,
was aus
ihrer
Tochter
geworden
ist.
Also
es
ist
wohl
so,
dass
Joe
Kennedy
ihr
das mit
der
Lobotomie
irgendwann
erzählt
hat
und sie
soll
ihm
dann
wohl
auch
verziehen
haben.
getan
und
dementsprechend
es anzunehmen,
dass sie
auch hier
natürlich
unterstützt
hat.
In den
kommenden
Jahren
werden die
Nachfragen
zu
Rosemary
dann aber
immer
seltener.
Jetzt,
wo ihr
Bruder
John
als
Politiker
durchstartet,
interessiert
sich
niemand
mehr
für sie
und
hinterfragt,
warum sie
seit Jahren
nicht mehr
gesehen
wurde,
also
zumindest
öffentlich.
Und so
wird aus
Rosemary
der
verstoßenen
und verratenen
Tochter
schließlich
auch eine
Vergessene.
Während
die
Lobotomie
Rosemarys
Leben
zweifelsfrei
zerstört
hat,
ist derjenige,
der das zu
verantworten
hat,
nach wie
vor
überzeugt,
dass sie
die
Methode
ist,
um
psychische
Krankheiten
zu
behandeln.
Dr.
Walter
Freeman
will sie
weiterhin
zum
medizinischen
Standard
machen.
Und
Mitte
der
40er
sind
es
dann
die
historischen
Gegebenheiten,
die
ihm
dabei
auch
noch
in
die
Karten
spielen.
Denn
nach
Ende
des
Weltkriegs
sind
psychische
Krankheiten,
posttraumatische
Belastungsstörungen
unter anderem
natürlich auch
so weit verbreitet
wie nie zuvor,
als etliche
traumatisierte
US-Soldaten
zurück in
ihre Heimat
kehren.
Und das
alles sind
Menschen,
denen
Walter
Freeman
jetzt mit
der
Lobotomie
einen
Ausweg
aus
ihrer
Misere
präsentiert.
Und
um
gleich
möglichst
viele
von
denen
behandeln
zu
können,
entwickelt
Dr.
Freeman
eine
Methode,
mit der
er das
ganze
zeitlich
auch
noch
optimieren
kann.
1946
präsentiert
er die
sogenannte
transorbitale
Lobotomie,
auch bekannt
als
Eispickel-Variante.
Und dieser
schroffe Name
ist auch
Programm,
weil
statt Löcher
durch die
Schädeldecke
zu bohren,
konzentriert
sich Freeman
nun auf
einen
anderen Weg
ins
Gehirn,
nämlich
durch die
Augenhöhle.
Das nennt man
auch
Orbiter.
Und dieser
neue
Eingriff,
der läuft
dann folgendermaßen
ab,
also seitlich
des
Augapfels
wird ein
eispickel-ähnliches
Werkzeug
in das
Augenlid
eingeführt.
Dann kommt
ein kleiner
Hammer zum
Einsatz.
Und da
braucht man
nur ein,
zwei
beherzte
Schläge,
weil diese
Knochenwante
dem Auge
relativ
dünn ist.
Da braucht
man also
dann nicht
viel,
um mit
dem
Werkzeug
im
Hirn
zu
landen.
Und
dann
folgt
das
bekannte
Hin- und
Herr
rühren,
genauso
wie
bei
der
klassischen
Lobotomie.
Und
Dr.
Freeman
ist
massiv
stolz
auf
seine
neue
Methode
und
stellt
sie dann
auch
auf
Medizinkongressen
vor und
demonstriert
sie auch
in Hörsälen
vor
Studierenden
und DozentInnen
an echten
PatientInnen.
Und das Ding
ist,
er legt halt
jetzt auch
wortwörtlich
selbst Hand
an,
weil
diese
transorbitale
Lobotomie,
so erklärt
das Freeman,
so einfach
ist,
dass überhaupt
keine chirurgische
Ausbildung
dazu nötig
ist,
um sie
durchzuführen.
Allerdings
bleiben der
erwartete
Zuspruch
und die
Begeisterung
größtenteils
aus.
Die meisten
KollegInnen
sind eher
entsetzt
über das
brutale
Verfahren.
Und man
muss sich das
vor Augen
führen,
der schlägt
da live
PatientInnen
einen
Eispickel
ins Hirn.
Und das
sorgt
natürlich
bei vielen
Anwesenden
für eine
Schockreaktion.
Immer
wieder
werden
Anwesende
Leichen
blass,
wenn Freeman
zum Schlag
in den
Augenhöhlen
ansetzt.
Und oft
kommt es
bei seinen
Vorträgen
zu
laut
und
boshaften
Zwischenrufen,
in denen
von
mittelalterlicher
Folter und
medizinischer
Barbarei
die Rede
ist.
Also
die
Fachwelt,
die geht
damals
ganz
zeitnah
auf
Distanz
zu Freeman.
Aber
die Kritik,
die
findet
eigentlich nur
innerhalb
geschlossener
Räume statt
und
schafft es
nicht an
die breite
Öffentlichkeit.
Also
Freeman
wird nicht
beim
Washington
State
Medical
Board
angeschwärzt.
Also
das ist
sowas wie
heute hier
die
Ärztekammer
oder so.
Und es
gibt
halt auch
sonst
kaum
öffentliche
Kritik.
die
eine
Krähe
hackt
der
anderen
kein
Auge
aus.
Der
einzige
der
Konsequenzen
in der
Zeit
zieht,
das ist
sein
Wegbegleiter
Dr.
James
Watts,
weil
nachdem
Freeman
sagt,
ich gehe
hier
durch die
Augenhülle,
möchte der
Neurochirurg
dann auch
nicht mehr
mit
ihm
zusammen
arbeiten.
Das
kümmert
Freeman
aber
nicht,
weil
der
braucht
den
Watts
ja
jetzt
nicht
mehr.
Der
ist
selbst
der
Operateur
und der
Macher
und das
alleinige
amerikanische
Gesicht
der
Lobotomie.
In den
kommenden
Jahren
reist
Freeman
dann mit
einem
Wohnmobil
durchs
Land,
um in
zahlreichen
US-amerikanischen
Kliniken
seine
Eispickel-Methode
zu promoten
und durchzuführen.
Und die
Nachfrage
ist
tatsächlich
groß,
weil sich
immer wieder
verzweifelte
Menschen oder
deren
Angehörige
bei ihm
vorstellen,
die ihn
um
Heilung
bitten.
Also
im
medizinischen
Fachkreis
mag die
Kritik
an der
Methode
allgegenwärtig
sein,
aber in
der
breiten
Öffentlichkeit
werden diese
Stimmen
übertönt
und zwar
auch
von der
Presse,
denn
Walter Freeman
ist ein
echtes
PR-Genie.
Der lädt
nämlich immer
wieder
JournalistInnen
ein,
bei seinen
Lobotomien
dabei zu
sein und
operiert
dann auf
von laufenden
Fernsehkameras
und er
positioniert
dann
Eispickel
und
Hammer,
beschreibt
jeden
Schritt
und erklärt
wie
einfach
und
vielversprechend
das sei
und das
klingt
dann zum
Beispiel
so.
Das hier war
jetzt ein
Tonausschnitt
aus einem
Beitrag
der Sendung
Blue Ridge,
die damals
ausgestrahlt
wurde.
Und in dem
Beitrag
sieht man
Freeman
diese
transorbitale
Lobotomie
an einer
jungen
blonden
Frau
durchführen
und er
sagt halt,
wie wenig
Vorbereitungszeit
man für den
Eingriff
benötigt
und dass
sie
wahrscheinlich
morgen
schon wieder
nach Hause
gehen kann.
Also es
wirkt
immer so
ein bisschen
so,
als wolle
er klar
machen,
dass der
Nutzen
der
Lobotomie
riesig
ist,
aber der
Eingriff
ganz,
ganz klein,
also wirklich
keine große
Sache.
Und Freeman
erklärt dann auch
in dem Beitrag,
wie er seine
PatientInnen in der
Regel vor der
Lobotomie
betäubt.
Also Freeman
sagt,
dass er meist
Elektroschocks
für die
Anästhesie
anwendet,
Ball ist
die
PatientInnen
in ein
postkonsultives
Koma
versetzt,
also in
einen
Zustand
sehr
tiefer
Bewusstlosigkeit.
Heißt,
bevor er
den mit
einem
Eispickel
am Auge
vorbeigeht,
verpasst
er den
noch mal
Elektroschocks.
Und gemeint
ist hier
nicht die
Elektro-Krampf-Therapie,
also die
diese
therapeutischen
Krampfanfälle
auslöst,
die ja auch
heute noch
eingesetzt wird
zur Behandlung
von schweren
Depressionen,
sondern halt
eben solche,
die zur
Bewusstlosigkeit
geführt haben.
Aber Freeman
macht auch
nicht nur
Werbung
im Fernsehen
für sich,
sondern schaltet
auch richtig
Anzeigen.
Und da steht
dann sowas
drin wie,
sind Sie
depressiv?
Leiden Sie
an Angstzuständen
oder Migräne?
Dann brauchen
Sie vielleicht
eine
Lobotomie.
Und dann sind
da in so
Stichpunkten
all die
Krankheiten
und Beschwerden
aufgelistet,
bei denen
eine Lobotomie
Abhilfe
schaffen könnte,
also Schizophrenie,
Zwangsstörung,
Panikattacken,
aber auch
chronische
Schmerzen.
Und mein
persönlicher
Favorit ist
die
Unmanageable
Loved
Ones,
also Angehörige,
die nicht mehr
handelbar sind.
Halt so
wie Rosemary,
die kurz vor
ihrer Lobotomie
für ihre Eltern
unkontrollierbar
war.
Bislang
galt die
Lobotomie
als eine
vielversprechende
Behandlungsform
bei psychischen
Krankheiten,
aber Freeman
inszeniert sie
nun Ende der
40er als ein
Allheilmittel
für nahezu
jedes Problem.
Also
Stimmungsschwankungen,
Alkoholismus,
Arbeitsunwilligkeit,
also mir hätte
der auf jeden Fall
auch einen Flock
durch die Augen
geschoben.
Und irgendwann
kommen dann auch
überforderte Eltern
zu Freeman,
die sich eine
Lobotomie für
ihre aufmüpfigen
ungehorsamen
Kinder wünschen
und dass diese
dann ruhig
gestellt werden.
Einmal
nimmt er dann
auch den Fall
eines Zwölfjährigen
an, dessen
Stiefmutter
ihn schwierig
findet.
Die
transorbitale
Lobotomie
erlebt in dieser
Zeit einen
echten Boom
und Freeman
lobotomiert
nun wirklich
regelrecht
im Akkord.
Bis zu 25
Lobotomien
führt er täglich
durch.
Und das
muss man sagen,
teilweise unter
sehr fragwürdigen
Bedingungen,
denn für
hygienische
Standards,
da interessiert
sich der gute
Mann nicht so
richtig.
Also meist
trägt er
lediglich einen
ärmellosen
Kittel
weder eine
Maske noch
Handschuhe
und wäscht sich
auch nicht mal
die Hände.
Stattdessen
kaut er
schmatzend
Kaugummi,
während er da
in den
Hirn herum
stochert.
Und wenn man
sich die
Aufnahmen
von früher
anguckt,
dann wirkt das
auch so,
als würde der
mit der Zeit
eine gewisse
Überheblichkeit
entwickeln,
wenn nicht
sogar in
Größenwahn.
Einmal
führt er
JournalistInnen
beispielsweise
vor,
wie er zwei
Eispickel
gleichzeitig
in die Augen
eines
Lobotomie-Patienten
einführt.
Und das
sieht dann aus,
als wäre das
kein medizinischer
Eingriff,
sondern irgendeine
Zirkusnummer.
Und ein anderes
Mal,
während einer
Lobotomie,
ist er so
konzentriert
auf die Kamera
des Reporters,
dass er mit dem
Werkzeug
abrutscht und
den Eispickel
so tief
ins Gehirn
der Person
vor ihm
rammt,
dass sie
unter seinen
fahrigen
Händen
stirbt.
Aber
auch dieser
Vorfall
führt nicht
dazu,
dass Freeman
seine Methode
überdenkt.
Und jetzt
muss man
sagen,
der Dr.
Freeman,
der ist
trotz seiner
Art
damals wirklich
überzeugt,
davon Gutes
zu tun,
also auch
einen Dienst
an der
Menschheit
zu vollbringen.
Und er
wird in
dieser
Annahme
auch
bestärkt,
weil viele
Angehörige
sind ihm
ja dankbar,
weil sie
erst mal
nur sehen,
meine Person
hier,
um die
ich mich
gesorgt
habe,
die ist
jetzt
plötzlich
wie
ausgewechselt.
Und man
hat in dem
Dasein
als leere
Hüllen,
sag ich jetzt mal,
damals halt was
Positives gesehen und völlig
außer Acht gelassen,
dass diese Menschen
für den Eingriff dann aber auch
einen hohen Preis
zahlen, nämlich teilweise
essenzielle Fähigkeiten
und einen Teil
ihrer Persönlichkeit.
Dieser
Zwölfjährige, den
Freeman damals
lobotomiert hat,
der heißt Howard
Dully und
der sagt
heute,
dass er nach dem
Eingriff kaum noch
Emotionen empfunden hat
und sich auch
abgestumpft
gefühlt hat,
so als hätte die
Lobotomie ihm
einen Teil seiner
Identität genommen.
Sehr
bewegende
Geschichte,
die und Bilder
und Ausschnitte
von einem
Interview mit ihm
könnt ihr die Tage
auch auf unserer
Instagram-Seite
Mordlust der Podcast
sehen.
Dully sagt
heute auch,
dass er damals
keine Ahnung hatte,
was mit ihm
gemacht wurde
und aus Aufzeichnung
geht auch hervor,
dass Howard's Eltern
von Freeman
auch klare Anweisungen
erhalten haben,
dass die ihm nichts
über diese bevorstehende
Lobotomie erzählen
und damit war er,
da geht man heute von aus,
auch keine Ausnahme.
Also Freeman
führte offenbar
regelmäßig Lobotomien
durch, ohne die
PatientInnen ordnungsgemäß
aufzuklären oder
deren Zustimmung
einzuholen.
Also das waren
im Grunde genommen
sowas wie
Zwangsbehandlung.
Bei Rosemary Kennedy
geht man ja auch davon aus,
dass sie absolut
keine Ahnung hatte
und ihr Vater
sie unter
irgendeinem Vorwand
ins Krankenhaus
geschleppt hat.
Heute wäre sowas
angesichts von
PatientInnenrechten
undenkbar
und wäre auch
eine Straftat
beispielsweise
Körperverletzung
und daneben
stellt das natürlich
auch eine Verletzung
der ärztlichen
Aufklärungspflicht dar.
Mitte des 20.
Jahrhunderts
war das allerdings
ein bisschen anders,
wie uns
Medizinhistoriker
Heiner Fanggerau
erklärt hat.
Ein Knackpunkt
ist, dass bei
vielen psychischen
Erkrankungen
der Gedanke
vorher herrschte
und auch heute
noch da ist,
dass diese Menschen
nicht einwilligungsfähig
sind,
weil ihnen zum Beispiel
die Möglichkeit
fehlt,
die Situation
zu erkennen
oder die Folgen
einer Entscheidung
zu erkennen.
Das heißt,
sie könnten zum Beispiel
auch einen psychisch
Kranken in der
vergangenen Zeit
überredet haben,
diese Operation
zu machen
und die Person
hat gar nicht
verstanden,
worum es geht.
Und auch das
würde man ja sagen,
trotz fehlender
Einwilligung
und Ersetzung
der Einwilligung,
wenn die Person
dann aber sagt,
ich will es machen,
aber hat nicht
verstanden,
worum es geht,
das ist nicht
der Wille
der Person
gewesen.
Fanggerau meint,
dass man davon ausgeht,
dass Freeman
zum Teil
sogar ausdrücklich
gegen den Willen
von Patientinnen
Lobotomie
durchgeführt hat
und das könnte man
heute juristisch gesehen
also jetzt neben
gefährlicher
oder schwerer
Körperverletzung
auch als Nötigung
oder gegebenenfalls
auch als fahrlässige
Tötung oder
Misshandlung
schutzbefohlene
einstufen.
Vor allem bei Menschen,
die in Nervenheilanstalten
untergebracht waren,
sei das vermutlich
oft vorgekommen.
Und das,
obwohl das schon damals
als absolutes
No-Go galt,
also zumindest
in der Theorie,
in der Praxis,
sagt Heiner Fanggerau,
wurde vor allem
in solchen Institutionen
vielen Menschen
oft abgesprochen,
dass sie in der Lage sind,
einen eigenen Willen
zu bilden.
Das heißt,
die Operation
wurde einfach gemacht.
Eine Debatte darum,
dass es für eine Therapie
eine Einwilligung
eines Menschen braucht
und wenn der Mensch
selbst nicht einwilligen kann
eines Stellvertreters,
einer Stellvertreterin,
der war auch in der Zeit
schon vorhanden
und wurde diskutiert.
Also eine Therapie
soll nur mit Einwilligung
des Patienten
durchgeführt werden.
Das war eigentlich
der ethische Standard,
der praktische Standard
war ein anderer,
weil der Wille
der Menschen
entweder nicht akzeptiert
oder übergangen wurde.
Aber Dr. Freeman
lässt sich damals
von nichts
und niemandem stoppen.
Etwa 3000
transorbitale Lobotomien
nimmt er im Laufe
seiner Karriere
im medizinischen
Alleingang vor.
Bis das Jahr 1954
diesbezüglich
einen Wendepunkt markiert.
Und zwar,
als Chlorpromazin
auf den Markt kommt.
Das ist ein Medikament,
das bestimmte
Neurotransmitter
im Gehirn blockiert
und so dann hilft,
Symptome wie
Halluzinationen
und Wahnvorstellungen
zu lindern.
Unter anderem
wird das bei
Schizophrenie
oder Psychosen
eingesetzt.
Und es ist damals
dann quasi
die Geburtsstunde
der Psychopharmakam.
Und die Tatsache,
dass sich Symptome
einer psychischen
Erkrankung
nun medikamentös
behandeln lassen,
verschafft
Freemans Erfolgskurs
jetzt natürlich
einen Dämpfer,
weil sich natürlich
weniger Menschen
lobotomieren lassen
möchten und lieber
eine Pille schlucken
oder eine Spritze
nehmen, weil das
viel attraktiver ist,
als sich ein Eispickel
ins Hirn rammen zu lassen.
Und in der Zeit
trauen sich dann auch
immer mehr Ärzte
eine Freemans-Methode
auch öffentlich
außerhalb von Hörsälen
und Besprechungszimmern
zu kritisieren.
Und in der Zeit
werden auch immer mehr
Langzeitschäden der
Lobotomie offensichtlich
und Fälle bekannt,
in denen Menschen
infolge eines
Eingriffs gestorben sind
oder anschließend
schwerbehindert waren.
Also von dem einzigen Glanz
der Methode
und der Hoffnung,
die jahrelang mitschwangen,
ist schon bald
nichts mehr übrig.
Und was bleibt,
ist die ernüchternde
Erkenntnis,
dass Freeman
als amerikanisches
Gesicht der Lobotomie
für mehr Leid
als Linderung
gesorgt hat.
Auch wenn er das
selbst wirklich
ganz anders sieht.
Denn Freeman
weigert sich,
die negativen Auswirkungen
seines Schaffens
anzuerkennen.
Das endet dann darin,
dass er auch irgendwann
wütend während
eines Medizinkongresses,
bei dem er
mit Kritik konfrontiert wird,
eine Kiste
mit Postkarten
hervorholt
und behauptet,
das seien alles
Danksagungen
von PatientInnen
und Angehörigen.
Doch 1967
sieht er sich dann
irgendwann gezwungen,
Eispickel und Hammer
für immer
aus der Hand zu legen,
als eine Frau
an der mittlerweile
dritten
Lobotomie von Freeman
an einer Hirnblutung
stirbt
und ihm die Approbation
entzogen wird.
Das ist das Ende
seiner medizinischen
Laufbahn.
Doch loslassen
kann er trotzdem nicht.
In den kommenden Jahren
setzt er sich dann wieder
in sein Wohnmobil
und fährt quer durch die USA,
um ehemalige PatientInnen
aufzusuchen,
weil er positive
Erfahrungsberichte
sammeln will,
damit er der Welt
wieder zeigen kann,
hier,
das sind sie,
die habe ich alle gerettet.
Heute ist nicht viel
darüber bekannt,
ob ihm überhaupt
jemand die Tür aufmacht,
welche Begegnungen er hat
und welche Geschichten
er da hört.
Aber 1972
stirbt Walter Freeman
dann an Darmkrebs
und mit ihm
endet dann auch
eines der dunkelsten
Kapitel der
US-amerikanischen
Medizingeschichte.
Eine Geschichte,
die ein trauriges
Nachwort hat.
Denn die Auswirkungen
von Freemans Lobotomien
sind auch nach seinem Tod
noch präsent,
nämlich durch die Menschen,
deren Leben er ruiniert hat.
Auch das von Rose Marie.
Die älteste Kennedy-Tochter
hat es immer schwer gehabt.
Die ganze Kindheit und Jugend
über gehörten Ablehnung,
Misserfolg und Selbstzweifel
zu ihrem Alltag.
Und die Lobotomie
hat ihr dann endgültig
einen Strich durch die Rechnung
gemacht,
irgendwann ein Leben zu führen,
in dem sie das Gefühl hat,
zu genügen.
Als ihr Bruder 1961
zum Präsidenten gewählt wird,
geben die Kennedys
erstmals öffentlich bekannt,
dass Rose Marie
in einer Einrichtung
untergebracht ist.
Ohne Details zu nennen,
sagen sie der Presse,
dass Rose Marie
eine Beeinträchtigung hat.
Dass sie sie aber
seit fast 20 Jahren
nicht gesehen haben
und auch nicht besucht haben,
das behalten sie dann noch für sich.
Das ist eine Ignoranz,
die offenbar von Joe Kennedy ausgeht,
weil er eben auch lange
den Aufenthaltsort
seiner Tochter geheim hält
und der Rest der Familie
wohl erst Jahre später erfährt,
wo Rose Marie ist
und was mit ihr passiert ist.
Als Joe Kennedy 1969 stirbt,
nimmt die Familie dann wieder Kontakt
zu der mittlerweile
51-jährigen Rose Marie auf.
Jene Kennedys,
die da noch da sind.
Denn neben John
sind auch drei weitere
Geschwister von Rose Marie
bereits verstorben.
28 Jahre nach ihrer Lobotomie
ist Rose Marie
das erste Mal wieder umgeben
von einigen ihrer Brüder
und Schwestern,
die sie fortan
regelmäßig besuchen,
wird ihr Ausflüge machen
und sie jetzt wieder
in das Familienleben einbeziehen.
Rose Marie ist es mittlerweile gelungen,
zumindest das Laufen
wieder etwas zu erlernen.
An guten Tagen
kann sie sich alleine
auf den Beinen halten
und hinten
da einige Meter gehen.
Richtig sprechen
kann sie dagegen nie wieder.
Und auch der einstige Glanz
in ihren Augen
ist nicht mehr da.
Rose Marie ist zwar anwesend
und nimmt Dinge wahr,
reagiert
und versucht zu kommunizieren,
aber es gibt eben auch
diese Momente,
in denen es wirkt,
als wäre sie ganz weit weg.
2005
nimmt sie im Alter
von 86 Jahren
an der Seite
ihrer drei noch lebenden
Geschwister
ihren letzten Atemzug.
Umgeben von denen,
mit denen ihr Vater
sie als Kind
regelmäßig verglichen hat
und mit denen sie
in seinen Augen
nie mithalten konnte.
Ja.
Also,
ich mache jetzt mal das,
was ich mit Laura
sonst immer mache.
Also,
mich fragt ja zwar niemand,
was meine Gedanken dazu sind,
aber
vielleicht können wir ja auch
irgendwann so einen Einspieler
von Laura bringen,
wo sie mich dann fragt,
was hältst du jetzt davon?
Und ich sage,
ach Laura,
toll,
dass du fragst.
Also,
ich habe mir lange
Gedanken um die Figur
Dr. Freeman gemacht
und welche Rolle
er in dieser ganzen Sache
gespielt hat
und welche Schuld
er damit auf sich geladen hat.
Und ich bin dann
auf ein Zitat
von Jack L. High gestoßen,
der das Buch
The Lobotomist
geschrieben hat
und wie sich seine Meinung
zu Freeman
im Laufe seiner Recherche
so verändert hat.
Und der sagt,
Zitat,
zunächst dachte ich,
dass er ein Monster
oder ein Verbrecher
gewesen sein muss.
Dann guck nur,
was er getan hat.
Aber ich sehe
Walter Freeman
inzwischen
als eine tragische Figur.
blind.
Nicht so sehr
für die Folgen
der Lobotomie,
sondern für die Folgen
seiner eigenen Fehler
und Versäumnisse.
Und
als seinen eigenen Fehler
sehe ich hier ganz klar,
das Nicht-in-Kenntnis-Setzen
der PatientInnen,
obwohl er das damals schon
hätte,
gar nicht machen dürfen.
Und auch das Nicht-Aufklären
über die möglichen Folgen.
Also ich meine,
der gibt damals
seine Erfolgsquote
mit 63 Prozent an,
was jetzt auch
nicht wahnsinnig viel ist.
Was dann Erfolg bedeutet,
das steht nochmal
auf einem anderen Blatt,
weil wenn
eine leere Hülle
der Erfolg ist,
okay.
Aber in den Werbungen
hört sich das halt an,
als wäre das wirklich
das Allheilmittel
gegen alles.
Und dass die Lobotomie
in den USA
so einen Erfolgskurs hatte,
hatte sicherlich
auch eine Menge
mit ihm zu tun.
Also der war halt,
wie man sagt,
eine charismatische Figur
und quasi auch
so eine Art Entertainer.
Also das sieht man
in diesen Beiträgen,
aber er ist ja offenbar
auch richtig gut
bei Leuten angekommen,
weswegen er auch
so viele von seiner
Methode überzeugen konnte.
Also Freeman soll
zwischen 3.500
und 4.000 Lobotomien
selbst durchgeführt haben.
Der war natürlich
in den USA
damals auch nicht alleine.
Und allein bei seinen
Lobotomien
sollen Schätzungen
zufolge etwa
200 bis 300 Menschen
gestorben sein
und natürlich Tausende
nachhaltig an schweren
Beeinträchtigungen
danach gelitten haben.
Tausende, Tausende
wie Rosemary
ein tragisches Schicksal
erleiden mussten.
Und da möchte ich
das mit dem Finger
nochmal auf eine andere
Person zeigen,
und zwar auf Joe Kennedy.
Rosemary hat ja
alles versucht,
um ihm zu gefallen
und er lässt
eine Operation
an ihr durchführen,
die er erst
65 Mal vorher
durchgeführt wurde.
Rosemary war die
66.
Patientin.
Diese OP war super riskant
und dann geht schief,
was nicht selten
zur damaligen Zeit
passiert ist.
Und dann besucht er
sie kein einziges Mal
und macht nicht mal
eine Welle
wegen dieser
verpatzten OP.
Und dass der,
wie übrigens auch
niemand anders,
also zumindest ist
darüber nichts bekannt,
nicht geklagt hat,
war für Dr. Freeman
ja auch ein absoluter
Glücksfall.
Denn wäre Joe
Kennedy
nicht so ein Typ
gewesen,
dem die öffentliche
Wahrnehmung seiner
Familie viel,
viel zu wichtig war,
ich meine,
das war auch eine
einflussreiche Familie.
Hätten die sich
damals öffentlich
gegen den ausgesprochen
und so,
dann hätte das
schon dem Ansehen
von Dr. Freeman
schaden können.
Und möglicherweise
hätte das
zumindest einige
Operationen
verhindern können.
Zumindest in den USA,
weil das sei auf jeden Fall
gesagt,
der war ja nicht der
Einzige.
Und die Schätzungen,
wie viele PatientInnen
es weltweit gegeben
haben soll,
die schwanken da stark.
Also zwischen 100.000
und einer Million.
Einige davon auch
in Deutschland,
wurde hier aber
seit den 70ern
natürlich auch nicht
mal durchgeführt.
Ich hatte es vorhin
ja auch schon mal
erwähnt,
Begründer der Lobotomie
war ja eigentlich
dieser portugiesischen
Neurologe
Antonio Egas Moniz,
der übrigens auch
gedacht hat,
dass man Homosexualität
damit heilen könnte.
Und der hat 1949
sogar den Nobelpreis
für Medizin
dafür bekommen,
was diesem Eingriff
natürlich auch noch mal
einen enormen
Popularitätsschub
gebracht hat
und natürlich
Vertrauen geschenkt hat.
Ich glaube,
und das war bei mir
am Anfang auch so,
dass bei manchen
jetzt der Reflex
naheliegen könnte,
dass man all das
komplett verurteilt
und aus heutiger Sicht
versteht man das ja auch,
aber damals
dachte man halt wirklich,
man würde den Menschen
damit helfen.
Also in vielen Fällen
waren das ja
wirklich Menschen,
die entweder
gewalttätig waren,
Stimmen gehört haben,
ganz schlimm
depressiv waren,
dass sie Suizid
begehen wollten
und und und.
Und man hat damals
händeringend
nach Möglichkeiten
gesucht,
diese Menschen
nicht wegzusperren
und unter
schlimmsten Bedingungen
da vor sich hin
vegetieren zu lassen.
Und nach der Lobotomie
waren diese Leiden
ja weg,
weg,
in Anführungsstrichen.
Ich fand da
einen Vergleich ganz gut
und zwar,
wenn man jetzt
ganz schlimme Schmerzen
am Bein hat,
die man unbedingt
nicht mehr haben will
und dann kommt jemand
und nimmt das Bein ab,
dann sind die Schmerzen
ja weg,
aber bei der Lobotomie
hat man nach außen
eben erst mal
nicht gesehen,
dass auch ein enormer
Teil fehlt.
Vor allem nicht,
wenn man erst mal
so euphorisiert davon ist,
dass sozusagen
die schlimmen Symptome
einer Erkrankung
nicht mehr da sind.
Erschreckend finde ich
eigentlich,
wenn ich mir das so ansehe,
wie lange das schon her ist,
also dass diese Idee davon,
die Gesellschaft
in starke und schwache
Individuen zu unterscheiden
begonnen hat
und was für Auswirkungen
das aber noch immer
auf unsere heutige Welt hat.
Also,
dass das noch immer
eine Heidenarbeit ist,
Zipanz für Unterschiede
in die Welt zu bringen,
denn unsere Gesellschaft
ist immer noch
viel zu ableistisch,
wir sind immer noch
viel zu ableistisch,
wir stigmatisieren
psychische Erkrankungen
noch viel zu sehr,
ich auch,
obwohl ich selbst
lange Zeit davon betroffen war,
weil ein Drittel der Bevölkerung
mindestens einmal im Leben
davon betroffen ist
und immerhin bemüht man sich
heute sehr um eine
Entstigmatisierung.
Einige geben sich da
mehr Mühe,
andere weniger.
I am looking at you,
Carsten Linnemann.
Stichwort Register
für psychisch erkrankte
GewalttäterInnen.
Aber ich denke,
es ist noch
ein weiter Weg
zu gehen.
Vielleicht hilft es ein bisschen,
dass wir immer wieder
den Blick zurückwerfen,
zu verstehen,
wo kam das her,
was hat sich seitdem geändert
und was kann ich heute tun.
So,
das war's.
Nächste Woche
halte ich zum Glück
keinen Monolog mehr.
Da ist Laura wieder dabei
und wir sprechen über
einen Fall,
der zunächst
den Anschein macht,
als wäre die schuldige Person
schnell gefunden.
doch dann sind sich
die ZeugInnen,
die zur Verurteilung
verhelfen sollen,
plötzlich alle
nicht mehr so sicher.
Bis dahin.
Das war ein Podcast
der Partner in Crime.
Hosts und Produktion
Paulina Kraser
und Laura Wohlers.
Redaktion
Jennifer Fahrenholz
und wir.
Schnitt
Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme
und Beratung
Abel und Kollegen.