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#185 Engel und dämonen

Mordlust.
Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin Laura Wohlers,
mit der ich immer einen bedeutsamen wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte
und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic-Oleaf, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Und bevor wir mit dem Fall starten, der von Engeln und bösen Dämonen handelt,
die versuchen aus dem Jenseits in die Realität zu treten,
möchte ich die Person vorstellen, die heute mit mir statt Laura diesen Fall einordnen wird.
Bei uns ist heute Dr. Leon Winscheid.
Hi Leon.
Hi, moin.
Leon ist Psychologe, Autor und Podcaster.
Und unsere beruflichen Wege haben sich schon lange vor dem Podcast gekreuzt.
Weiß nicht, ob du dich daran noch erinnern kannst.
Ich erinnere mich, ich bin ein bisschen lachend, weil das so, glaube ich, für uns beide noch,
ich weiß gar nicht, wie neu du da noch in der Medienbranche warst,
aber ich war ja da reingestolpert, fast gefallen nach Wer wird Millionär damals,
wo ich eigentlich nie speziell ins Fernsehen wollte.
Ich wollte als Student eigentlich nur die Kohle haben, weil die bei der Kasse klamm war.
Und dann ist es ja diese absurde Millionen geworden.
Und dann haben wir uns, glaube ich, beim Sat.1-Frühstücksfernsehen-Drehs in Berlin getroffen.
Ja.
Am Ufer vom Fluss und beziehungsweise im Kanal.
Und ja, ich weiß gar nicht, wart ihr da beide dabei oder haben nur wir uns da getroffen?
Also nur wir haben uns getroffen.
Laura hat damals gerade ihr Volontariat gemacht.
Das heißt, ich war da aus der Ausbildung auf jeden Fall schon raus.
Aber ich weiß nicht mehr, weshalb wir gedreht haben zusammen.
Also ich wette, Sat.1-Frühstücksfernsehen, es war sowas wie, es ist Ende Juni
und man will jetzt wissen, wie man 10 Tipps für gute Sommerferien.
Und da habt ihr mich dann öfter mal angerufen oder irgendwer von eurem Team.
Und dann hat man irgendwie so kleine Sachen gemacht.
Und ich glaube, sowas wird das gewesen sein.
Ah ja, super.
Vermute ich jetzt einfach mal.
Könnte passen, ja.
Ich hatte damals schon eher so ein bisschen die dunkleren Themen oder die ernsthafteren Themen.
Aber würde ich nicht ausschließen, dass wir auch sowas gemacht haben.
Irgendwann wird es mal so eine Fernsehgala zu Mordlust geben.
und dann werden die das Rauskramen einspielen.
Das haben die schon gemacht.
Nein, wirklich?
Doch, als Laura und ich da immer zu Gast waren, haben die die fiesesten Momente von uns beiden
rausgesucht und best-off gemacht.
Und dann haben Laura und ich dich, Leon, natürlich dann gleich abgegriffen,
als wir den Podcast gestartet haben.
Und da warst du auch schon in einer der ersten Folgen mit dabei,
habe ich vorhin nochmal nachgeguckt.
Ja, aber ich war auch danach nochmal da.
Hatten wir nicht schon ein, zwei Folgen zusammen gemacht?
Ja, auf jeden Fall.
Kleine, ne?
Also es waren mehrere Folgen, wo ich am Anfang immer mal wieder bei euch sein durfte,
was mich sehr, sehr, sehr gefreut hat und vielleicht auch so ein bisschen selber in dieser Podcast-Welt gebracht hat.
Und dann wart ihr ja auch mal bei uns.
Ich bin ganz froh, dass ich dich hier auch erwischen konnte für die Folge, weil du ja auch gerade auf Tour bist.
Ja, viel los, aber als du geschrieben hast, habe ich natürlich sofort fünf Shows abgesagt.
Nein, morgen geht es weiter.
Wir fahren nach Ulm, nach Ingolstadt, nach Stuttgart, nach Aschaffenburg und jetzt sowieso in den nächsten Jahren in ganz, ganz viele Städte.
Was ich sehr, sehr genieße, weil mein Job ist ja eigentlich Wissenschaftskommunikation.
Ich bin kein True-Crimer, mag das aber sehr, sehr gerne, dass ihr diese psychologische Seite drin habt.
Und das ist natürlich dann für mich als Psychologe einfach auch heute bei der Folge das Ziel, Wissenschaft, Forschung rüberzubringen, für Leute verständlich zu machen.
Also die heißt alles perfekt, weil es um Perfektionismus und Druck geht und dieses zu viel unserer Zeit und all die Ansprüche, eine perfekte Mutter sein, gut aussehen auf der Yogamatte, 10.000 Schritte am Tag.
Und man einfach so merkt, dass es eigentlich zu viel ist und dass selbst die Perfekten ja nicht wirklich mithalten können.
Und dem versuche ich mit Wissenschaftskommunikation, mit meiner Wissenschaftspsychologie was entgegenzuhalten und genieße das sehr, sehr, sehr.
Das ist sehr schön und wir sind sehr froh, dass du uns hier heute mit deiner Expertise bereichern wirst.
Und ich würde sagen, wir starten mit einem Fall, bei dem die Psyche jemandem einen so grauenvollen Streich spielt, dass die Grenzen zwischen Einbildung und Wirklichkeit verschwimmen.
Fast alle Namen sind geändert und die Triggerwarnung findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
Unser Fall beginnt Anfang 2006 in einem kleinen 1600-Seelen-Dorf in Norddeutschland.
In einer der Wohnungen, die nur ca. 15 Kilometer von der Ostsee entfernt ist, herrscht mal wieder ein Meer.
Vater James und Mutter Liene kommen gar nicht richtig hinterher.
Ist auch kein Wunder, denn neben dem eineinhalbjährigen Joey, der ihnen gerade noch viel abverlangt, müssen sie sich noch um vier weitere Söhne kümmern.
Das ist einmal der siebenjährige Alex und der fünfjährige Robin.
Beide hat Liene aus einer vorherigen Beziehung mit in die Ehe gebracht.
Der dreijährige Tim und der vierjährige Caleb, der mittlere Junge, der in der Patchwork-Familie sowas wie das Sorgenkind ist.
Neben Joey, dem Jüngsten, braucht er am meisten Aufmerksamkeit, denn er wurde mit einem Herzfehler geboren, wegen dem er schon mehrmals operiert werden musste.
Außerdem hat der Kleine das Dee-George-Syndrom, ein Gendefekt, der zu Entwicklungsverzögerungen und Lernstörungen führen kann.
Und er hat Autismus.
Manchmal führt das dazu, dass Caleb seinen Kopf gegen die Polster seines Bettes schlägt.
Vor allem bei Reizüberflutung.
Und das passiert bei einer Handvoll Kindern im Haus häufiger.
Wenn Liene und James dann versuchen, ihn davon abzuhalten, fängt der Vierjährige an zu brüllen.
Es wird also regelmäßig lauter.
Noch vor sechs Jahren hat Vater James ein vollkommen anderes Leben geführt.
Ohne Kinder und in den USA, seinem Heimatland.
Liene hat er im Frühling 2000 über das Internet kennengelernt.
Die große Frau aus Schleswig-Holstein mit den rotbraunen Haaren und dem gütigen Lächeln hat es ihm sofort angetan.
Trotz großer Entfernung wuchs ihre Liebe schnell.
Und bereits im Sommer 2000, noch bevor sich die beiden das erste Mal gegenüberstanden, machte James Liene einen Heiratsantrag.
Kurz darauf reiste Liene nach Kansas City, um James zu treffen.
Als sie das erste Mal vor dem schlanken Mann mit Kinnbart und Brille stand, war klar, dass sie das jetzt durchziehen.
James war von Anfang an bereit, Ersatzpapa für ihre beiden Söhne zu sein.
Nur einen Monat später läuteten die Hochzeitsglocken.
Im November 2000 flog das frisch vermählte Ehepaar mit den beiden Kindern zurück nach Deutschland.
Kurz darauf zogen die vier in ihre erste gemeinsame Bleibe.
Und jetzt, fünf Jahre und drei gemeinsame Söhne später, lebt die siebenköpfige Familie in einer Wohnung nahe der Ostsee.
Und dort ist, wie du dir vorstellen kannst, Leon, immer was los.
Gerade jetzt, kurz nach Weihnachten, gleich die Wohnung mal wieder einem Schlachtfeld aus Spielzeugen.
Das klingt schon so. Wenn ich mir das vorstelle, zu siebt und fünf Kinder und dann auch vielleicht ein bisschen schwierige Bedingungen.
Oh Gott, erst mal ganz schön herausfordernd.
Und normalerweise rennt Liene da auch viel hinterher.
Aber jetzt ist es so, anstatt dass sie ihn hinterherräumt, hat Liene ihre Konzentration auf was ganz anderes gerichtet.
Nachdem nämlich zwischen den Jahren eine Freundin zu Besuch war, die sie an das Thema herangeführt hat,
interessiert sich Liene zunehmend für Esoterik.
Mit dem Jahreswechsel hat sich für sie eine Tür zu einer völlig neuen Welt geöffnet, die sie magisch in ihren Band zieht.
Ganz besonders interessiert sich Liene fürs Pendeln und Kartenlegen.
Leon, hast du mit sowas Erfahrung?
Ich habe an Silvester einen Glückskix aufgemacht und hatte das Sprüchlein, nimm dich nicht so ernst.
Das fand ich ganz schön. Aber das kommt ja nur bedingt an Kartenlegen ran.
Da geht es ja zumindest vermeintlich tiefer. Aber ich bin da blank.
Nicht mal auf der Kirmes oder sowas in so eine Bude rein, wo einem die Karten gelegt.
Nein, das habe ich alles noch nicht gemacht. Du?
Ja, ich habe sogar ein Kartenlege-Seminar mal belegt.
Aber es ist nicht so dramatisch, wie sich das jetzt anhört.
Das habe ich natürlich für Satt eines Frühstücksfernsehens gemacht.
Ich wollte gerade fragen.
Deswegen, theoretisch könnte ich das noch tun. Ich glaube tatsächlich nicht daran, dass die Karten die Zukunft voraussagen.
Dann hast du dich schon disqualifiziert, glaube ich.
Aber ich bin schon spirituell.
Das möchte ich auch nochmal wirklich sagen. Dieses gläubig sein, spirituell sein, sowas zu suchen, sich damit zu identifizieren, da habe ich überhaupt nichts gegen.
Finde ich, muss man auch den Unterschied machen zwischen Esoterik und Spiritualität.
Während es bei der Spiritualität ja viel ums Bewusstsein geht, darüber, dass man vielleicht auch mehr ist als Körper und Verstand.
Und es da aber viel um eine Auseinandersetzung mit dem Ich geht, die für jeden zugänglich ist, funktioniert Esoterik ja eher über andere Leute, die einem angebliches Wissen weiterreichen.
Ist sehr kommerzialisiert, also pendeln, Karten legen und so schiebt man eigentlich eher in die Esoterik-Ecke.
Und das ist eben das, womit sich Liene jetzt hier gerade in der Zeit beschäftigt.
Und sich wahnsinnig dafür interessiert.
Und sie nutzt auch in den kommenden Wochen jede freie Minute, um sich weiter darüber zu informieren und zu lernen, wie sie sich selbst mithilfe der Karten die Zukunft voraussagen kann.
Und sie ist begeistert, als sie merkt, dass das zu funktionieren scheint.
Immer wieder hat sie nämlich das Gefühl, Vorhersagen treffen zu können.
Auch deshalb kontaktiert sie jetzt immer häufiger Menschen über das Internet und Telefon, die sich selbst hellseherische Kräfte zuschreiben.
So steht das in den Quellen. Also für mich heißt das, sie ruft bei teuren Hotlines an und verprasst da ein bisschen Geld.
Bei neuen Live.
Liene ist so angefixt, dass sie gar nicht merkt, dass sie mittlerweile nicht nur vollends in die neue Welt eingetaucht, sondern auch abgetaucht ist.
Und zwar so, dass sie in der realen Welt ihren Verantwortung gar nicht mehr nachgeht.
Je mehr sich Liene mit ihrem neuen Hobby beschäftigt, desto weniger Zeit bleibt, sich um die fünf Jungs zu kümmern.
Oder um sich selbst.
Weil Liene nicht nur sich, sondern auch die Kinder vernachlässigt, muss Vater James nun fast alles allein stemmen.
Und obwohl das oft für Streit bei den beiden sorgt, schenkt der 33-jährige Liene nach ein paar Wochen ein Ouija-Board.
Das nennt man auch Hexenbrett. Da sind so Buchstaben drauf. Hast du bestimmt schon mal gesehen, oder?
Ja, ich erinnere mich sogar an eine Folge Drei-Frage-Zeichen, womit ich groß geworden bin, ein Riesen-Fan bin.
Da gab es, glaube ich, einmal so ein Hexenbrett, wo alle so dann so, da ist so eine Figur drauf und dann macht man so die Finger drauf und dann wird das so verschoben da drauf.
Und potenziell ist es eine Kraft von außen.
Genau, gibt auch manchmal Ja, Nein. Genau, da kann man dann angeblich mit dem Jenseits kommunizieren oder mit Geistern, Engeln oder Verstorbenen.
Aber statt wie gängig einen Marker eben über die Buchstaben gleiten zu lassen, nutzt Liene das Pendel, um Kontakt ins Jenseits herzustellen.
Sie meint, dass das Pendel weniger empfänglich für Beeinflussungen von unbewussten Bewegungen sei, die die Nachrichten an sie verfälschen können.
Liene ist davon überzeugt, dass es funktioniert und sie Nachrichten aus dem Jenseits bekommt.
Und schon bald braucht sie dafür nicht mal mehr das Board.
Liene meint immer häufiger, geflüstert zu hören, auch wenn niemand mit ihr im Raum ist.
Sie hat das Gefühl, dass jemand zu ihr spricht.
Ganz leise zuerst und dann immer deutlicher.
Liene ist so damit beschäftigt, den Stimmen zu lauschen, dass sich weiterhin die Spielzeug- und Wäscheberge in der Wohnung stapeln und stapeln.
Und je lauter die Stimmen zu ihr sprechen, desto weniger ist Liene für ihre Familie ansprechbar.
Sie wirkt regelrecht abwesend auf die anderen.
Als James sie darauf anspricht, erklärt sie, dass sie offenbar ein Medium sei und Verstorbene mit ihr kommunizieren.
Jetzt muss man mal sagen, also wenn mein Partner zu mir sagen würde, ich spreche mit Geistern, würde ich ja sagen, wir sprechen mit jemandem, der dir medizinische Hilfe geben kann.
Aber in dem Fall ist James dem Thema gegenüber halt auch sehr aufgeschlossen.
Also der hat ja auch dieses Ouija-Bord geschenkt und hört Liene auch immer ganz offen zu, wenn sie von ihren hellseherischen Fähigkeiten erzählt.
Ja, und das ist vielleicht mal ein ganz spannender Punkt, um sich klar zu machen.
Du sagst jetzt direkt, wenn mein Partner dann sagen würde, ich höre ja welche Stimmen, ab zum Doc und gucken, was los ist, weil du ihn vielleicht auch dann einschätzen würdest, kennen würdest und so weiter.
Aber das gilt ja nicht pauschal.
Und vielleicht ist hier mal ganz interessant zu fragen, was heißt das eigentlich, wenn man Stimmen hört?
Und da ist mir wichtig, auch direkt mal vorweg zu schieben, das bedeutet nicht sofort, dass man psychisch krank ist.
Es gibt Menschen, die hören welche, gehen nie in Behandlung und kommen damit ganz gut zurecht.
Und da haben wir jetzt noch was zum Thema spirituell beziehungsweise kulturelle Kontexte, wo man zum Teil auch sagen würde, Stimmen hören ist nichts, wo du zum Arzt musst, sondern das ist sogar angenehm oder vielleicht eine Gabe.
Was ja hier bei Liene jetzt erstmal auch so wirkt.
Sie hat den Eindruck, das ist was Tolles und ihr Partner scheint auch erstmal, wie du sagst, offen dafür.
Vielleicht findet er das auch ganz positiv.
Was ich spannend finde, ist, dass es eine Studie gibt, wo Forschende mal untersucht haben, was so die Unterschiede sind zwischen Leuten, die unter diesem Stimmen hören, leiden und denen das dann nicht gut tut, die vielleicht eine Behandlung brauchen und denen, die da eben nicht drunter leiden und vielleicht auch gar keine Therapie oder zum Arzt müssen, wie du es jetzt vorgeschlagen hattest.
So, wenn wir uns das mal in Unterschieden angucken, dann sieht man die typischen Merkmale für nicht behandlungsbedürftig, wäre sowas wie, dass die Stimmen einen neutralen, vielleicht auch angenehmen Inhalt haben, dass man eine große Kontrolle über diese Stimmen hat, dass die wenig belasten, dass die eher selten da sind und von kurzer Dauer, dass die eigentlich keine Macht über einen haben, dass die einen hohen Bezug zum Beispiel zu Stressoren haben.
Das wäre dann sowas wie, ja, mein Kind ist gerade total krank und dann kommt halt etwas, was ich darauf beziehen würde und dass es einen frühen Beginn gibt, so plus minus zwölf Jahre.
Jetzt Merkmale, wo es dann eher Richtung, ey, da müssen wir was tun, da müssen wir behandeln, da müssen wir vielleicht zum Arzt oder zur Therapeutin, dass wir sowas wie negativer und unangenehmer Inhalt, ne?
Und dass ich vielleicht eben keine wirkliche Kontrolle oder kaum Kontrolle habe, dass die Stimmen mich belasten, dass sie eher häufig und von langer Dauer da sind, dass sie Macht haben, im Prinzip das alles umgedreht und das ist in späterer Beginn ist, so eher ab 20, 21 Jahren.
Das fand ich ganz interessant, so, ne? Vor allem, weil es in der Wissenschaft dann jetzt nicht einfach nur diese beiden Schubladen gibt, sondern manche auch von einem Kontinuum sprechen, also von bis und dann gäbe es halt eben so, dass man manchmal vielleicht was hat, wo man sich so ganz lebendig was vorstellt und vielleicht so auch so Bilder in deinem Kopf entstehen.
Das kennt ja, glaube ich, jeder von uns, ne? Und vielleicht kennst du das auch manchmal, dass man so mal sowas hat wie, weiß ich nicht, ich gehe manchmal in meinem Kopf so Streitgespräche durch, die ich mich nicht traue, in Wirklichkeit zu führen.
Ja, auf jeden Fall, aber das würde ich tatsächlich jetzt noch nicht mit Stimmenhören in Verbindung bringen, ne?
Genau, aber dass so Stimmen im Kopf sind, dass man sagt, was würde ich dann sagen und was würde sie dann sagen und dann geht man das so, das ist erstmal etwas, deswegen Kontinuum, was vielleicht im Bereich von ganz normal ist.
Und jetzt muss man sich fragen, wo wird es dann mehr und wo wird es dann vielleicht eben auch etwas, wo man genauer hingucken muss.
Und da kommen wir jetzt zu diesem Stimmenhören dann, dass man sich mal was einbildet, was nicht da ist, so halluzinationsähnliche Erfahrungen macht.
Das kennt man vielleicht, wenn du denkst, das Handy hat vibriert, aber du hast es gar nicht in der Hosentasche.
Also so sich was einzubilden, Halluzinationen, das ist nicht einfach eine Schwarz-Weiß-Kategorie, sondern es gibt da eben verschiedene Abstufungen von sehr plastisch, ich kann mir da was vorstellen, habe das schon ziemlich konkret im Kopf, bis dann irgendwann zu irgendwelchen aufdringlichen Stimmen, die ich tatsächlich höre und die mich vielleicht auch belasten.
Ich habe das jetzt auch so ein bisschen lapidar dahergesagt, würde natürlich auch nicht jeden sofort zum Arzt oder zur Ärztin schicken, auch weil ich vor einem Jahr solche Erfahrungen schon mal gemacht habe, aber tatsächlich auch die der unangenehmen Art.
In welchem Moment?
Ja, das war vor allem nachts und in der Zeit hatte ich auch häufiger so Schlafparalysen.
Ganz gruselig war aber diese eine Situation, ich habe so eine Treppe, die zu meinem Schlafzimmer führt und wenn man da an dem Geländer mit der Hand entlang geht, dann macht das natürlich so ein Geräusch.
Und davon bin ich wach geworden, also von diesem Geräusch und dann danach hörte ich, also beziehungsweise ich meine gehört zu haben, dass jemand nach oben ruft, are you up there?
Und da bin ich natürlich dann auch nicht zu meiner Ärztin, sondern habe mir das dann erstmal eine Weile angeguckt.
Ja, aber das ist vielleicht genau der Punkt, hier haben wir jetzt was sehr Konkretes, es ist sogar auf Englisch, du hast es so gerade auch so ein bisschen intoniert, man hat es so konkret vor Augen, es ist aber kurz, es ist jetzt nicht wirklich ein unangenehmer, aggressiver Inhalt, es scheint sich zwar belastet zu haben in der Zeit, aber es bleibt eben nicht über längere Dauer und ist dann einfach wieder weg.
Und da wird man ja jetzt nicht sagen, Mensch Paulina, ganz dringend hier sofort in die Klinik oder was auch immer sonst, sondern das sind dann Erfahrungen, die Menschen machen können.
Das ist glaube ich einfach ganz wichtig, dass wir das am Anfang mal klar haben, bevor jetzt alle direkt die Alarmglocken rausholen, weil jemand Stimmen hört.
Wobei es ja hier noch weiter geht.
Bei Liene ist es nämlich so, dass sie nicht nur die Stimmen hört, sondern sie beginnt auch selbst Gespräche mit den Stimmen zu suchen, also sie fragt dann, wer redet da mit mir und meint dann auch Antworten zu bekommen.
Und so offenbaren die vermeintlichen GesprächspartnerInnen, dass sie Engel seien, also Verstorbene, die aus dem Jenseits heraus versuchen zu helfen.
Eine von ihnen kennt Liene sogar.
Yvette ist nämlich eine verstorbene Freundin ihrer Familie und die meint, Liene therapeutisch unter die Arme greifen zu wollen.
Bei einem Gespräch behauptet Yvette, dass Liene als Kind vergewaltigt worden wäre.
Liene hatte das vorher zwar nicht in Erwägung gezogen, aber je mehr sie darüber nachdenkt, desto schlüssiger erscheint ihr das.
Ihr wird jetzt einiges klar. Sie meint nun, Dinge aus der Vergangenheit besser einordnen zu können und dass eine Vergewaltigung im Kindesalter deswegen auch auf der Hand läge.
Dazu muss ich kurz sagen, also Lienes Leben ist nicht sonderlich gradlinig verlaufen.
Sie hat zwei Ausbildungen abgebrochen, hat dann später eine Schulausbildung zur Kinderpflegerin gemacht, in dem Beruf aber nie weiter gearbeitet, weil sie dazu dann keine Neigung hatte.
Dann hatte sie eine relativ schwierige Beziehung zu dem Mann, mit dem sie die ersten zwei Kinder hat, also Alex und Robin.
Die beiden Kinder waren eigentlich auch nicht geplant und mit James hat sie sich ja dann auch innerhalb kürzester Zeit verlobt, ohne ihn gesehen zu haben.
Caleb war eigentlich auch nicht geplant.
Also es spricht so ein bisschen für eine Sprunghaftigkeit in ihrem Leben und manche Sachen lesen sich auch so, als ob sie sich vielleicht nicht so gut um sich selbst kümmern kann.
Heißt ja jetzt aber auch noch nicht, dass zwingenderweise etwas in der Vergangenheit passiert sein muss, geschweige denn, dass einem eine Engelsstimme als Therapiefreundin das zuflüstern muss.
Nee, genau.
Aber es ist ihre Wahrnehmung.
So, das muss man jetzt ja erstmal annehmen.
Für Liene ist es in dem Moment auf jeden Fall schlüssig, dass sowas in der Vergangenheit passiert sein könnte.
Liene tut der Kontakt, den sie meint, ins Jenseits zu haben und die Gespräche mit den Engeln gut.
Manchmal hat sie auch das Gefühl, ihre Gesichter vor sich zu sehen und ab und an, dass ihr jemand tröstend über die Haut streichelt.
Doch zu den lieben Stimmen mischen sich schon bald auch jene, die es nicht gut mit Liene meinen.
Es ist ein Sommerabend im Juni 2006.
Gegen 21.45 Uhr kommt James nach Hause.
Liene war den ganzen Abend allein mit den Kindern.
Doch als er die Tür zur Wohnung öffnet, findet er nur seine schlafenden Kinder vor.
Von Liene keine Spur.
Wo ist seine Ehefrau?
Gemeinsam mit einer Bekannten macht James sich auf die Suche nach ihr.
Die findet Liene schließlich etwa 150 Meter von der Wohnung entfernt auf einer Koppel im Schneidersitz sitzen.
Es sieht aus, als würde sie in der Dämmerung meditieren.
James ist fassungslos über das Verhalten seiner Ehefrau.
Wie kann sie fünf kleine Kinder einfach so allein zu Hause zurücklassen?
Liene erklärt, sie habe quasi keine andere Wahl gehabt.
Eine Stimme habe ihr befohlen, aufs Feld zu gehen und dort zu beten.
Zunächst habe sie sich dagegen gesträubt, aber die Stimme habe ihr Angst gemacht.
Und mit Einbruch der Dunkelheit sei ihr Widerstand gebrochen.
Tatsächlich ist es nicht das erste Mal, dass Liene sich vor einer Stimme fürchtet.
In letzter Zeit hatte sie immer wieder das Gefühl, dass sich auch böse Dämonen unter die helfenden Engel mischen.
Ganz schlimm ist es, wenn Nathalie zu Liene spricht.
Nathalie ist fordernd, pisagt Liene, beschimpft sie und erteilt der 30-Jährigen sogar Befehle, die Liene nicht befolgen will.
Liene meint, Nathalie sei so mächtig, dass sie ihren Gesichtsausdruck beeinflussen könne.
Nathalie könne Liene beispielsweise dazu bringen, Fratzen zu schneiden, obwohl sie das gar nicht will.
Könne sie teilweise kontrollieren und dafür sorgen, dass Liene ganz unverhofft ihren Arm in die Luft reißt.
Bisher hatte Liene eigentlich nur Gutes über die Stimmen erzählt, doch die neuen Entwicklungen bereiten James Sorge.
Liene kümmert sich seit Wochen immer weniger um die Jungs und den Haushalt.
Sie schafft es nicht, ihren Alltag zu organisieren.
Mittlerweile schläft sie auch nachts kaum noch.
Und jetzt lässt sie die Kinder sogar einfach so alleine im Haus zurück, weil eine Stimme ihr befohlen haben will, draußen zu beten.
James möchte, dass die beiden zusammen eine Klinik aufsuchen.
Mitte Juni machen sich die beiden auf, um in einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vorstellig zu werden.
Dort erzählt Liene einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Dr. Weimann, von ihren Schlafstörungen und den Stimmen, mit denen sie immer weniger zurechtkommt.
Also sie berichtet von ihren Symptomen.
Leon, du hast dir das jetzt alles angehört.
Für was könnte das deiner Einschätzung nach sprechen?
Wir haben ja eben gesagt, dass Stimmenhören nicht per se krankhaft ist.
Jetzt hören wir aber genau das, was wir eben beschrieben haben bei dem, wo es vielleicht doch besser wäre, eine Behandlung aufzusuchen.
Sie fürchtet sich vor den Stimmen, hat Sorge, dass sie ihr schaden wollen, hat irgendwie keine Kontrolle mehr darüber.
Das heißt, hier spricht jetzt erstmal viel dafür, dass es sich um Stimmen handelt, wo man sagt, da brauchen wir eine Behandlung.
Und diese Stimmen nennen wir in der Psychologie akustische Halluzinationen.
Und Halluzinationen, vielleicht mal kurz was ein bisschen einzusortieren, nach der American Psychological Association, das ist so ein großer Verband, der viele Definitionen rausgibt,
sind Erfahrungen, die wahrnehmungsähnlich sind, aber ohne entsprechende externe Reizquelle auftreten.
Und das ist ein bisschen das, was du eben beschrieben hast mit dieser Metallstange bei dir oder dann auch die Stimme, die du hörst.
Es fühlt sich total echt an, wahrnehmungsähnlich, also wie eine echte Stimme, die ich höre oder wie ein echtes Geräusch, was ich höre.
Aber es fehlt eigentlich diese externe Reizquelle, bei dir ist ja keiner mit der Hand über diese Metallstange.
Und dann fand ich ganz interessant, dass es eine Meta-Analyse dazu gab von 2016, die konnte zeigen, dass beim Stimmenhören manchmal sogar Gehirnareale aktiv sind, die sonst Sprache verarbeiten.
Also, dass in deinem Kopf tatsächlich das passiert oder zumindest sehr ähnlich passiert von der Aktivierung her, was sonst auch passieren würde, wenn die echten Reize von außen da sind.
Also kein Wunder, dass sich das für die Betroffenen total real anfühlt.
Und was Liene da wahrnimmt, klingt deswegen für mich erstmal nach Halluzinationen.
Solche Halluzinationen, und das ist jetzt der Punkt, wo du fragst, was könnte das dann sein, kommen bei psychotischen Störungen vor.
Es gibt da verschiedene Diagnosen, die dann von Profis gestellt werden.
Das wäre dann zum Beispiel ein psychologischer Psychotherapeut, eine Psychiaterin oder jetzt gehen sie ja hier in die Klinik, dann entsprechend dort die Leute, die dafür ausgebildet sind.
Und um jetzt so eine genaue Diagnose zu nennen, müsste man erstmal wissen, wie lange Liene schon diese Halluzinationen genau hat, was da noch für weitere Aspekte eine Rolle spielen.
Und wenn es dann schon länger der Fall ist, dann könnte es eine Schizophrenie sein.
Und das sagt der Arzt auch, dass er einen Verdacht auf eine schizophrene Psychose hier hat bei ihr.
Da wollte ich jetzt nochmal sagen, weil viele Menschen verwechseln ja die Schizophrenie mit der dissoziativen Identitätsstörung.
Kannst du das nochmal abgrenzen für uns?
Ich glaube, das zweite haben viel weniger Leute schon mal gehört, oder?
Ja.
Also Schizophrenie kennt jeder irgendwie gefühlt, zumindest vom Begriff.
Und dissoziative Identitätsstörung eigentlich kaum jemand.
Schizophrenie, das kommt aus dem Griechischen, bin ich mit der Aussprache nicht ganz sicher, aber Schizein, Spalten und Frehen, der Geist, das Gemüt.
Und im Sprachgebrauch sagen wir ja auch ganz oft, boah, das ist irgendwie voll schizophren, wenn wir meinen, dass irgendwas widersprüchlich gespalten ist.
Darum geht es aber eigentlich nicht bei der Schizophrenie, sondern eher bei der dissoziativen Identitätsstörung, wo sich eine Persönlichkeit quasi in verschiedene Anteile, in verschiedene Rollen aufteilt.
Ich habe zum Beispiel mal eine Frau bei uns, bei Betreutes Fühlen im Podcast zu Gast gehabt, Kay, die das sehr, sehr eindrücklich beschrieben hat, dass es dann wirklich so verschiedene Anteile in dir gibt und die haben dann zum Teil unterschiedliche Stimmen.
Die können nach vorne treten und dann ist einer dieser Charaktere in dir drin, in deiner Identität, die dann plötzlich aus vielen Identitäten zu bestehen scheint, ist dann kindlich, während ein anderer Anteil erwachsen ist.
Das wäre diese dissoziative Identitätsstörung. Bei der Schizophrenie geht es aber eigentlich um was anderes und ich will gar nicht so genau diese Kriterien jetzt durchgehen, damit dann nicht da jemand sitzt mit seiner Checkliste und sagt, ah, das bin ja ich, das hast du ganz, ganz oft, sondern dass wir es mal so grob umreißen, ist glaube ich auch besser.
Halluzinationen, das ist was, was da auftritt, das haben wir eben schon besprochen. Ich habe das Gefühl, dass eine Stimme da ist, obwohl dafür eigentlich kein externer Reiz da ist, die Stimme ist in Wirklichkeit nicht da.
Wahn. Das ist ein zweiter Punkt, den haben viele nicht auf dem Radar. Das wäre so ein bisschen die Überzeugung, dass hier irgendwas gerade passiert, was aber eigentlich nicht der Fall ist.
Desorganisierte Sprechweise wäre noch sowas wie, dass man häufig entgleist oder so eine Zerfahrenheit hat beim Reden. Grob desorganisiertes Verhalten, das wäre dann so eine Unruhe stark ausgeprägt, irgendwelche Stereotypen, Bewegungen, dass man so Grimassen vielleicht zieht, dass man unpassende körperliche Stellungen einnimmt bis hin zu so einem vollständigen Fehlen von verbalen oder motorischen Reaktionen, was man eigentlich erwarten würde.
Wenn wir uns jetzt unterhalten, nickst du mal zwischendurch oder ich bewege meine Hand, wenn ich ein bisschen energischer rede. Das würde dann wegfallen.
Und da gibt es eben noch die sogenannten Negativsymptome. Wahn und Halluzination wären sogenannte Positivsymptome, weil die quasi dazukommen. Die hat man sonst nicht.
Bei den Negativsymptomen sagt man, da fällt was weg, was man sonst eigentlich hätte. Das wäre sowas wie Willenskraft oder was wir gerade besprochen haben, emotionaler Ausdruck, wenn man spricht oder auch sowas wie Lebensfreude.
Und wichtig ist jetzt, dass die dann schon seit mindestens sechs Monaten bestehen. Erst dann könnte die Diagnose Schizophrenie vergeben werden.
Ich sage aber nochmal, bitte, bitte Leute, falls irgendwer jetzt wittert, das könnte was mit mir zu tun haben oder mit jemandem aus meinem Umfeld, zu Profis gehen und abchecken lassen.
Das, was wir jetzt hier gerade beschreiben, ist, um einen Eindruck davon zu geben, worum handelt es sich hier.
Der Arzt Dr. Weimann in der Klinik hält es auf jeden Fall auch für sinnvoll, Liene weiter beobachten zu lassen, weshalb er eine stationäre Behandlung vorschlägt.
Das kommt für Liene aber nicht in Frage. Sie will unbedingt zurück nach Hause und bei ihrer Familie sein.
Dr. Weimann versteht das und weil Liene sozial eingebunden ist und zu Hause Unterstützung bekommt, einigen sie sich dann auf eine ambulante Therapie und das Medikament Risperdal.
Ein Neuroleptikum, das zur Behandlung von Schizophrenien und bipolaren Störungen angewendet wird.
In den kommenden zwei Monaten geht Liene nun regelmäßig zur ambulanten Therapie und zu Dr. Weimann.
Und schon bald bessert sich Lienes Zustand. Die Stimmen verschwinden zwar nicht ganz, aber Liene kommt wieder besser mit ihnen zurecht.
Liene glaubt, dass ihre lieben Verwandten aus dem Jenseits wieder die Kontrolle haben und das nimmt ihr die Angst vor den dunklen Mächten, von denen sie glaubt, dass sie Besitz von ihr ergreifen wollten.
Nachdem Liene nun also keine Angst mehr vor den Dämonen hat, läuft es zu Hause auch wieder besser.
Sie schmeißt wieder gemeinsam mit James den Haushalt, organisiert Termine und begleitet ihre Söhne dahin.
Liene plant sogar ein Buch über das Jenseits und ihre paranormalen Erfahrungen zu schreiben.
Und nachdem alles eine Zeit lang stabil erscheint, bricht sie die Therapie ab.
Allerdings mit schweren Folgen.
Denn bereits Ende September, zwei Monate später, sieht James sich gezwungen, Dr. Weimann zu kontaktieren.
Liene ist stark überlastet, driftet wieder in ihre Parallelwelt ab.
James hat große Sorge, dass sie sich bald wieder kontrolliert fühlen könnte.
Wer weiß, was sie und die Kinder dann wieder erwartet.
Er wünscht sich eine Zwangseinweisung von Liene.
So könne es nicht weitergehen.
Dieses in seinem sozialen Umfeld bleiben können und grundsätzlich funktionieren dann auch erstmal wieder Sachen.
Das ist eine riesige Ressource für Menschen mit psychischen Problemen.
Das ist immer eine Abwägung, die getroffen werden muss.
Klar gibt es Fälle, wo es total angebracht ist und auch gut ist und sich auch richtig entlastend anfühlen kann, in eine Klinik zu gehen.
Und mal so aus diesem ganzen Alltag leben, wo man ist, rauszukommen.
Aber es ist eben immer die Abwägung, dass irgendwann die Leute ja auch wieder in ihrem normalen Leben klarkommen sollen und eben nicht die ganze Zeit in der Klinik sein werden.
Und das ist eben etwas, was mit entschieden werden muss.
Jetzt haben wir hier noch einen zweiten Schritt.
Der Partner wünscht sich diese Zwangseinweisung und da muss uns auch klar sein, das ist nicht mal eben so gemacht.
Aus guten Gründen, weil natürlich auch die Betroffenen da ja geschützt werden sollen.
Man kann eine Person mit einer psychischen Erkrankung gegen ihren Willen einweisen lassen, wenn sie eine akute Eigengefährdung hat.
Also wenn die Person sich selbst erheblichen Schaden zufügen könnte, zum Beispiel durch Suizidversuche.
Oder es eben eine akute Fremdgefährdung gibt, wenn die Person gewalttätig ist oder droht, anderen Schaden zuzufügen.
Dann muss aber auch innerhalb von 24 Stunden ein Facharzt die Person begutachten.
Und falls die Gefährdung fortbesteht, muss ein Richter verfügen, dass die Person in der Klinik bleiben muss.
Und wenn das nicht in den 24 Stunden passiert, muss die Person wieder entlassen werden.
Und das ist halt, weiß ich, von einem Freund von mir, der als Richter arbeitet, der dann auch so 24 Stunden Dienste macht.
Etwas, was auch nicht leichtfertig gemacht wird.
Der kommt dann in so eine Klinik, hört sich das an, spricht darüber.
Natürlich wird dann oft dem ärztlichen Rat gefolgt, aber eben nicht einfach so.
Ja, genau.
Und der Arzt sieht das auch bei Liene nicht.
Also der sagt jetzt, er hat dafür gar keine rechtliche Handhabe und meint, alles, was er anbieten kann, ist ein weiteres Gespräch gemeinsam mit Liene.
Und das nehmen James und Liene aber in den kommenden Wochen nicht wahr.
Und so übertönen die bösen Stimmen in Lienes Kopf bald schon wieder die guten.
Und je länger Liene ihnen zuhört, desto belastender wird die Situation für sie.
Nathalie spricht nun immer häufiger zu ihr.
Gemeinsam mit ihrem verstorbenen Stiefgroßvater befiehlt sie Liene, dass sie Joey, Tim, Caleb, Robin und Alex segnen soll, indem sie ihnen die Hand auf die Stirn legt.
Gut und böse, beten und segnen.
Liene verhält sich wie in einer radikalen religiösen Sekte, in der sie das einzige Mitglied ist.
Mittlerweile fällt es Liene auch zunehmend schwerer, die lauten Stimmen von Engeln und Dämonen in ihrem Kopf auseinanderzuhalten.
Und zu ihnen gesellt sich auch noch die Mahnende ihres Ehemannes, der sie auf das Chaos und ihre Untätigkeit zu Hause hinweist.
Liene versucht es James zu erklären.
Wenn sie beide Hände voll zu tun hat, die Kinder zu segnen, bleibt keine mehr frei, um damit den Haushalt zu schmeißen.
Nathalie sah ein Dämon in Menschengestalt und wenn sie sich ihr widersetze, würde sie großes Unheil über die Familie bringen.
Ihr bliebe gar nichts anderes übrig, als ihr Folge zu leisten.
James hat die letzten Monate viel einstecken müssen, hatte versucht, seine Frau zu unterstützen, sich nebenbei teilweise fast allein um die fünf Kinder gekümmert.
Nun ist er am Ende seiner Kräfte angelangt.
Dass er und Liene fast nur noch streiten, sorgt schließlich dafür, dass sie ihre Beziehung zunächst auf Eis legen.
Zwar wollen sie weiterhin der Kinder wegen zusammen wohnen bleiben, aber für eine richtige Ehe fehlt ihnen mittlerweile einfach die Nähe zueinander.
Als sich an einem Tag Mitte August 2007 die Lage so sehr zuspitzt und der überforderte James nicht mehr weiß, wie er der Situation Herr werden kann,
wendet er sich an den sozialpsychiatrischen Dienst, kurz SPD.
Beim SPD bekommen Menschen mit psychischen Problemen und deren Angehörige Hilfe bei der Bewältigung von Krisen.
James telefoniert eine halbe Stunde mit der Leiterin des Dienstes und erzählt von Lienes religiösen Fantasien.
Kurz darauf schaut die Leiterin bei ihm zu Hause vorbei.
Sie erkennt, dass Liene offenbar Anzeichen einer schizophrenen Psychose aufweist.
Allerdings stellt die Leiterin bei der Begutachtung fest, dass Liene steuerungsfähig ist.
Sie argumentiert sauber und verhält sich relativ normal.
Und auch auf Dr. Weimann, den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, den Liene in dieser Zeit wieder aufsucht, wirkt sie recht geordnet.
Weil für sie weiterhin eine stationäre Aufnahme nicht in Frage kommt, vereinbaren die beiden einen Folgetermin für Mitte September,
um zu schauen, wie sich Lienes Zustand entwickelt.
Bis dahin steht bei der Familie allerdings einiges an.
Denn Liene und James wollen dem kleinen Ort nahe der Ostsee den Rücken zukehren.
Nur etwa 30 Kilometer weiter haben sie ein freistehendes Haus mit Garten gefunden, dessen Fassade aus hellen Klinkersteinen besteht.
Eingebettet in eine grüne Landschaft wird das neue Zuhause den Kindern genug Möglichkeiten bieten, sich draußen austoben.
Mittlerweile sind die Kinder drei, fünf, sechs, sieben und neun Jahre alt, gehen in die Schule und in den Kindergarten.
Anfang September stehen eine Mitarbeiterin des Allgemeinen Sozialen Dienstes und eine Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes vor der Tür des Neuen Hauses im gerade einmal 450 Seelendorf.
Die zwei Mitarbeiterinnen wollen sich nach den Kindern erkundigen.
Im Kindergarten sei aufgefallen, dass Tim und Caleb verwahrlost aussehen.
Der Leiter hatte daraufhin den Allgemeinen Sozialen Dienst kontaktiert, auch ASD genannt.
Das ist eine Anlaufstelle, unter anderem für Familien, die Unterstützung brauchen.
Liene und James werden von den beiden Frauen mit dem Vorwurf konfrontiert, die Lage zu Hause nicht im Griff zu haben.
Liene gesteht, dass sie aktuell in einer schwierigen Phase stecke, sich aber in Therapie befinde.
Sie habe das Gefühl, bereits aus dem Schlimmsten raus zu sein.
Doch das ist nichts weiter als Wunschdenken.
Nur wenige Tage nach dem Besuch der beiden Mitarbeiterinnen geht es Liene wieder so schlecht,
dass sich abwechselnd der Kindergarten und James bei dem ASD melden, um mitzuteilen, dass James und Liene mit der Situation überfordert sind.
Anfang Oktober stellt die dort zuständige Mitarbeiterin das Ehepaar dann vor die Wahl.
Entweder die beiden stellen einen Antrag auf Bewilligung einer Haushaltshilfe oder sie sehe sich gezwungen, das Familiengericht einzuschalten.
Das wollen Liene und James natürlich auf jeden Fall vermeiden.
Bereits eine Woche später steht fest, dass Liene und James Unterstützung bekommen werden.
Bis Ende November soll eine Mitarbeiterin 15 Stunden lang helfen und dabei ermitteln, wie man den beiden langfristig unter die Arme greifen kann.
Nach Ablauf der Zeit empfiehlt die Expertin tägliche Haushaltshilfe und Eheberatung.
In der Zeit kommen der ASD und der SPD immer mal wieder vorbei, um zu schauen, wie die Familie im Alltag zurechtkommt.
Die Unterstützung scheint wieder etwas mehr Ordnung in das Leben der Sieben zu bringen.
Bei einem Hausbesuch will Liene sich gerade ans Kochen machen, nebenbei hört man die Trommel der Waschmaschine.
Sechs Tage später kommt Liene gut gelaunt nach Hause.
Zwar hat schon morgens der Kindergärtner angerufen, weil Caleb krank ist und die Grundschule, weil Robin seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Aber das alles scheint ihre Laune nicht zu trüben.
Ihre Heiterkeit an diesem 4. Dezember hat einen bestimmten Grund.
Liene macht ihrem Ehemann ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk.
Sie pflegt James vor, dass er sich nach dem ganzen Trubel der letzten Monate eine Auszeit nehmen und verreisen soll.
Ihre gesundheitlichen Ups und Downs und die ganzen Streits wegen des Haushalts haben extrem an seinen Nerven gezerrt.
Bevor der ganze Weihnachtsstress beginnt, soll James ein paar Tage raus und den Kopf freikriegen.
Deshalb schenkt Liene ihrem Ehemann einen Kurztrip nach Berlin.
James aber hat Bedenken.
Liene war quasi die letzten zwei Jahre total überfordert.
Sich ein paar Tage komplett allein um die Kinder zu kümmern, traut er ihr einfach nicht zu.
Doch seine Bedenken weist Liene zurück.
Zwei Freundinnen würden sie für die Zeit unterstützen.
Außerdem sei auch schon alles organisiert.
Eine Freundin in Berlin erwarte ihn heute Abend.
James stimmt dem Vorschlag seiner Frau schließlich zu.
Zwei Tage vor Nikolaus packt er seine Sachen, verabschiedet sich von den Jungs und seiner Ehefrau und fährt zum nahegelegenen Bahnhof, von dessen Gleisen um kurz nach 18 Uhr der Zug losrollt.
Und während James ein paar entspannten Tagen in Berlin entgegenfährt, befolgt Liene zu Hause Anweisungen.
Aber nicht etwa die ihrer Freundinnen, die ihr angeblich mit der Betreuung der Kinder helfen sollen, sondern die von Nathalie.
Einen Tag später, am Vormittag des 5. Dezember 2007.
In einer psychiatrischen Klinik direkt an der Ostsee herrscht der normale Betrieb an einem Mittwoch, als eine Frau durch die beiden Glasschiebetüren tritt und sich zur Untersuchung anmeldet.
Sie hat Stichwunden an den Armen, die aussehen, als hätte sie sie sich selbst zugefügt.
Kratzer im Gesicht und wirkt verwirrt.
Nachdem ihre Wunden versorgt wurden, soll sich der zuständige Aufnahmearzt um sie kümmern.
Die verzweifelte Frau erklärt dem Arzt, wie ihre Verletzungen zustande gekommen sind.
Wenig später greift er zum Hörer und verständigt die Polizei.
Die alarmierten Beamtinnen machen sich sofort auf den Weg zu der Adresse der Frau.
In ihrem Wohnort, dem kleinen Dorf an der Ostsee, herrscht bereits Vorweihnachtsstimmung.
Die Polizei hält bei einem hellgeklinkerten ein Familienhaus, neben dessen Eingang ein Damenfahrrad im Strauch liegt und ein Weihnachtskranz die verglaste Haustür schmückt.
Hier wohnt die Frau, gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren fünf Kindern.
Vor dem Haus treffen sie auf eine Mitarbeiterin vom Allgemeinen Sozialen Dienst,
die gerade nach dem Rechten sehen wollte.
Der Kindergarten hätte bei ihnen Bescheid gesagt.
Die Eltern, die hier wohnen, hätten gestern eines der Kinder mit Windpocken in den Kindergarten geschickt.
Das Einsatzteam verschafft sich gewaltsam Zugang zum Haus.
Die Beamtinnen durchkämmen die Räume im Erd- und Obergeschoss.
Im Keller machen sie dann eine grausame Entdeckung.
Alle fünf Kinder der Frau liegen beieinander, die Köpfe unter Decken versteckt.
Sie sind tot.
Kurze Zeit später wird das kleine Dorf in Blaulicht getunkt, das neugierige Nachbar innen an die Fensterläden treibt.
Es ist ein absurdes Bild.
Das kleine Haus macht von außen einen ganz unscheinbaren Eindruck.
Auf den Treppen zum Eingang stehen bepflanzte Blumentöpfe und eine Keramikgans.
Niemand würde glauben, welch abscheuliche Tat sich wenige Stunden zuvor hinter der Eingangstür zugetragen hat,
wenn man nicht mit eigenen Augen mit ansehen könnte,
wie nach und nach die kleinen toten Körper eingepackt in Leichensäcke aus dem Haus getragen werden.
Ein Leichenwagen fährt sie in die Rechtsmedizin, die über die Umstände aufklären soll.
Denn viel konnte die Mutter zum Tod ihrer Kinder nicht sagen.
Sie ist noch immer nicht vernehmungsfähig und wird in eine Fachklinik eingewiesen.
Die Verletzungen an ihren Armen lassen vermuten, dass sie Suizid begehen wollte.
Offenbar war es ihr Plan, nicht nur den Kindern das Leben zu nehmen, sondern auch ihr eigenes zu beenden.
Ich muss gerade mal wirklich schlucken.
Also ich beobachte das immer wieder bei all den Geschichten, die ich auch in den vielen Jahren,
ich das jetzt mache und auch bei den Extremköpfen, wo ich ja wirklich Leute getroffen habe,
die einfach das Heftigste erzählen und ein Schicksal mitbringen, dass man nicht abstimmt,
dass einen das berührt, dass einen das betroffen macht, dass wenn ich das jetzt hier so höre,
man einfach auch immer wieder denkt bei aller Faszination für die Psyche, dass es auch diese Seiten dann gibt.
Ja.
Innerhalb weniger Stunden hat sich James' Leben in einen tiefen Abgrund verwandelt.
Das Leben, wie James es kannte, existiert nicht mehr.
Es war sein Zuhause, weil seine Kinder es mit Leben gefüllt haben.
Seine Ehefrau hat ihm das Liebste der Welt genommen.
Nur kurz nachdem die Nachricht von dem grausamen Kindermord im Ort die Runde gemacht hat,
treffen erste MedienvertreterInnen im Dorf ein.
ReporterInnen vom Stern sprechen mit einer älteren Dame, die mit Tränen in den Augen unweit vom Haus steht.
Ihre große Hoffnung ist, dass die fünf Kinder nicht leiden mussten.
Ein Vater eines Mitschülers von Robin sagt dem Stern,
das gibt es doch nur in den USA und nicht bei uns.
Aber das gibt es sehr wohl, selbst in den idyllischsten, friedlichsten und unscheinbarsten Orten Deutschlands.
Am nächsten Tag fällt der Unterricht in der Grundschule, in die Robin und Alex ging, aus.
Geistliche und PsychologInnen kümmern sich um die Kinder,
die von ihren weinenden Eltern in das Gebäude begleitet werden.
Die Tat sorgt für große mediale Aufmerksamkeit.
Erst recht, als sich die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu entschließt,
für ein Statement der Presse gegenüber zu treten.
Denn am selben Tag, an dem Linus und James fünf tote Kinder im Keller gefunden wurden,
wird noch ein zweiter grausamer Fall publik.
In Plauen wurden bei einer 29-jährigen Mutter in einem Blumenkübel,
in einem Koffer, im Keller und in einer Tiefkühltruhe drei tote Säuglinge entdeckt.
Angela Merkel verlangt gegenüber der Presse eine Kultur des Hinsehens in der Gesellschaft.
Natürlich seien die Verantwortlichen im Bund, Ländern und Kommunen gefordert,
um Kinder in Not besser zu unterstützen.
Das allein genüge aber nicht.
Kinder in Not geht uns alle an, so Merkel.
James hätte alles dafür getan, seine Kinder zu retten, wenn er gewusst hätte, in welcher Not sie stecken.
Aber er wurde von Liene getäuscht.
Er wollte sie nicht mit den Kindern alleine lassen.
Allerdings schien Liene auf den 34-Jährigen so stabil und zuversichtlich.
Ihm gegenüber hatte sie außerdem die letzte Zeit nichts mehr von bedrohlichen Stimmen erzählt,
Sonst wäre er gar nicht gefahren.
Schon Wochen vorher hatte sie ihn überreden wollen, die Reise nach Berlin zu machen.
Und das, obwohl sie finanziell gerade gar nicht gut aufgestellt waren.
James ist sich sicher, dass Liene das alles von langer Hand geplant haben muss.
Sie hat ihn weggeschickt, um die Kinder zu töten.
Und dafür soll seine Ehefrau hart bestraft werden.
James wünscht sich, dass sie für lange Zeit ins Gefängnis kommt.
Nur der Gedanke daran kann ihm in diesen Tagen Trost spenden.
Doch dann erfährt er, dass die Staatsanwaltschaft für Liene die dauerhafte Unterbringung
in einer psychiatrischen Einrichtung angeordnet hat.
Sie erhebt keine Anklage wegen Mordes oder Totschlags.
Denn laut Staatsanwaltschaft sei Liene zur Tatzeit wegen einer paranoiden Schizophrenie schuldunfähig gewesen.
Ja, das ist jetzt ja wahrscheinlich der Moment, wo man dann nochmal schluckt,
weil man sich jetzt natürlich diese Gerechtigkeit wünscht, sich die Strafe wünscht,
diese unfassbare Tat irgendwie gesühnt wissen möchte.
Vielleicht macht es da mal Sinn, in unser Strafgesetzbuch zu gucken, Paragraf 20, wo dann beschrieben wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung,
wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung
oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
So, das sind jetzt ja eine Reihe von Möglichkeiten, die dazu führen, dass man sagt, dieser Mensch ist nicht schuldfähig.
Ganz wichtig, es reicht nicht aus, dass einer dieser Punkte einfach nur vorliegt.
Jemand mit Schizophrenie ist also nicht per se schuldunfähig, sondern ein Gutachter, eine Gutachterin muss nachweisen,
dass die Schizophrenie bei der speziellen Tat das Unrechtsbewusstsein oder eben die Steuerungsfähigkeit der Person vermindert hat.
Und dafür wird dann ein ganz umfangreicher Prozess durchgeführt.
Und da kann ich sehr direkt von erzählen, weil ich Professor Dr. Dieter Seifert mehrfach getroffen habe,
ihn auch bei seiner Arbeit in der Forensik, also einer Einrichtung mit zwar Gefängnismauern und hohen Zäunen
und Kontrolle an der Tür und Wachposten und so begleiten durfte.
Das ist aber eben ein Ort, wo Menschen untergebracht werden, die schuldunfähig sind
und dann auch nicht, um sie zu bestrafen, sondern um ihnen zu helfen, um sie zu therapieren.
Und warum erzähle ich das?
Weil Professor Seifert mir eben beschrieben hat, wie dann so ein Gutachtensprozess durchgeführt wird.
Da werden umfangreiche Gespräche geführt.
Du versuchst, diese Person wirklich kennenzulernen.
Der meinte dann, es reicht jetzt zum Beispiel nicht, dass du dann, nehmen wir nochmal Schizophrenie,
vielleicht eine Schizophrenie hast, sondern es muss dann auch eben, wie wir es gerade eben gehört haben,
klar sein, dass das in dem Moment dieser Tat eine Rolle gespielt hat.
Es reicht auch nicht, dass da du jetzt seit drei Monaten irgendwie ein psychisches Problem hast
und man dann sagt, ja, aber das hat doch eigentlich mit der Tat selber dann gar nichts zu tun,
weil Millionen Menschen haben psychische Probleme.
Und das war sehr schön, das mal so ein bisschen dargestellt zu bekommen von dem Profi,
der das in der Praxis seit Jahrzehnten macht, was dahinter steht, bis man sagt, jemand ist schuldunfähig.
Das wird nicht leichtfertig gemacht.
Das ist nicht einfach pauschal für alle Menschen mit psychischen Störungen so.
Trotzdem ist das etwas, was ein tierisches Aufregerthema ist.
Also als ich zu dieser Forensik, die ist ein bisschen außerhalb von Münster,
Gefahren, musst du dir vorstellen, dass überall schon so Heuballen standen mit so Bannern dran.
Ausgang für Mörder, aber nicht für unsere Kinder.
So ungefähr, erinnere ich mich, stand da als Slogan drauf von Menschen, die dann um so eine Forensik herumwohnen,
die dann Angst haben, dass dort Menschen, die etwas Schlimmes getan haben,
offiziell zwar als schuldunfähig gelten, aber eben ja trotzdem diese Tat begangen haben,
dass denen dann irgendwie geholfen wird und man sich um die kümmert,
aber keiner mehr daran denkt, was ist mit unseren Kindern drumherum.
Es ist also ein Thema mit Sprengkraft.
Und trotzdem möchte ich das nochmal ganz, ganz klar sagen.
In Deutschland sind jedes Jahr rund 27,8 Prozent der Erwachsenenbevölkerung
von einer psychischen Störung betroffen.
Das entspricht 17,8 Millionen Menschen.
So, das ist quasi ganz NRW.
Und wenn man jetzt sagen würde, alle diese Menschen sind irgendwie wegen ihrer psychischen Störung schuld,
und vielleicht da würde schon klar, dass das absurd wäre.
Es wird da sehr differenziert gearbeitet.
Ja, und trotzdem kann man auch nachvollziehen, wenn sich Angehörige der Opfer dann erstmal gegen so eine Information sträuben.
Ich habe mal von einer Angehörigen gehört, dass es einfacher zu verarbeiten ist,
wenn die Person schuld und auch steuerungsfähig war, weil es dann eben eine schuldige Person gibt,
als zu akzeptieren, dass jetzt so eine Ungerechtigkeit quasi unter sowas wie Unfall, sage ich jetzt mal, fällt.
Also etwas, wofür am Ende dann niemand was kann, im Sinne von niemand trägt die Schuld daran.
Ja, total. Es gibt ja auch diese Idee vom gerechte Weltglauben, dass wir Menschen unbedingt wollen,
dass diese Welt gerecht ist, für uns verstehbar ist, vorhersehbar ist.
Das hat man zum Beispiel oft bei Vergewaltigungsfällen, dass wir dann nachher unbedingt wollen,
dass sich das Opfer irgendwie falsch verhalten hat, damit wir dann in unserem Kopf zurechtbiegen können.
Ja, es ist ja dann auch klar, dass ihr sowas passiert, weil diese Welt ist ja grundsätzlich gerecht.
Also muss sie ja irgendwie eine Teilschuld haben, weil sie sich falsch angezogen hat,
weil sie sich all diese Vergewaltigungsmüden, die ich hier gar nicht replizieren möchte.
Warum spielt das auch eine Rolle? Ja, weil, wie du gerade beschreibst, wir uns dann wünschen,
dass es irgendwie jetzt eine einfache Antwort gibt, dass man jemanden irgendwie am besten brachial bestrafen kann,
damit dieses heftige Ungerechtigkeitsgefühl, was erstmal entsteht, da sind ja Kinder umgebracht worden,
damit das wieder in die Fugen kommt, in die Bahnen kommt.
Es ist erstmal eine menschliche Reaktion, die ich, ja, ich hätte es fast gesagt, nachvollziehen kann.
Natürlich muss man sich dagegen wehren, aber es ist halt so etwas, was erstmal als Reaktion kommt.
Ja, für James ist halt hier jetzt vor allem sein Problem, dass er das nicht übereinbringt damit,
dass sie die Tat halt offenbar präzise geplant hat und zwar auch schon Wochen vorher.
Damit hat er enorme Probleme, dass dann trotzdem gesagt wird, dass sie schuldunfähig war zu der Zeit.
Weil es so berechnend wirkt und gar nicht nach Affekt.
Genau, ja, James würde sie am liebsten nicht nur hinter Gittern sehen,
er wünscht sich, dass Liene anstelle der Kinder wäre.
Es wird also keinen Strafprozess geben.
Die Staatsanwaltschaft hat ein Sicherungsverfahren beantragt.
Ganz kurz dazu, der Strafprozess dient ja dazu, anhand der Schuld des Täters oder der Täterin
eine angemessene Strafe für die begangene Tat zu verhängen.
Und wenn der oder die TäterIn aber schuldunfähig oder verhandlungsunfähig ist,
dann kann die Staatsanwaltschaft ein Sicherungsverfahren beantragen.
Damit die Tat aber trotzdem wenigstens teilweise juristisch aufgearbeitet werden kann
und die Öffentlichkeit auch vor potenziell gefährlichen TäterInnen geschützt werden kann,
gibt es eben das Sicherungsverfahren.
Damit ist dann auch bezweckt, den zum Teil schwer kranken Betroffenen eben die Möglichkeit,
auf eine Besserung oder Heilung zu geben.
Um ein Sicherungsverfahren durchführen zu können, muss die Schuld oder die Verhandlungsunfähigkeit
nachgewiesen werden und zusätzlich muss eine rechtswidrige Straftat vorliegen.
Und am Ende des Prozesses wird dann halt eben auch keine Strafe verhängt.
Stattdessen wird entweder die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet
oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.
Die kommt aber nur in Frage, wenn der oder die Angeklagte aufgrund psychischer Erkrankung
schuldunfähig oder nur vermindert schuldfähig ist.
So und so ist das eben jetzt auch bei Liene.
Am 27. Juni 2008, fast sieben Monate nach der Tat,
beginnt ihr Sicherungsverfahren am Landgericht Kiel.
Das Anlassdelikt, also so bezeichnet man die Straftat,
die den rechtlichen Anlass für den Prozess bildet, lautet in Lienes Fall Totschlag.
Nach vier anberaumten Prozestagen soll eine Entscheidung über Art und Dauer ihrer Unterbringung getroffen werden.
James hat die Nebenklage angetreten.
Der mittlerweile 35-Jährige will vor Gericht alles persönlich verfolgen,
um die unvorstellbare Tat irgendwie verarbeiten zu können.
Als das Verfahren eröffnet und Liene in den Saal geführt wird,
hat James bereits Platz genommen.
Ihren 32. Geburtstag hat die große Frau mit dem Fallen Tarn
ohne Mann und Kinder in der psychiatrischen Klinik gefeiert.
Früher hat James jeden Tag mit ihr verbracht,
doch seitdem sie ihn vor einem halben Jahr auf Reisen geschickt hat,
hat er sie nie wieder gesehen.
Er sucht Blickkontakt, doch dem weicht sie ohne Anzeichen von Emotionen aus.
Vor James auf dem Tisch liegt ein Gegenstand.
Es ist ein Schlüsselanhänger mit einem Bild der fünf Jungs.
James hält den Anhänger fest in seiner Hand,
als der Staatsanwalt schildert,
wie es zu dieser grausamen Tat im Dezember 2007 gekommen ist.
Wann Lienes Krankheitsgeschichte ihren Anfang nahm,
lässt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen.
Im Jahr 2000 hatte sie das erste Mal Visionen und Vorahnungen.
Sichtbar wurde ihre Erkrankung für ihre Familie gegen Ende 2005, Anfang 2006,
also zu dem Zeitpunkt, als Liene dann anfing mit diesem Taukartenlegen und Pendeln.
Nach der kurzen ambulanten Therapie im Sommer 2006 ging es ihr zwar besser,
die akustischen Halluzinationen kamen aber schon bald zurück.
Nachdem Liene die Therapie bei Dr. Weimann abgebrochen hatte,
nahm sie auch die Medikamente nicht mehr wie vereinbart ein.
Als sie den Arzt Mitte August 2007 aufsuchte,
das war der Zeitpunkt, wo James dann auch bei den Behörden nach Hilfe gefragt hat,
muss sie ihm einige ihrer Symptome verschwiegen haben.
Sie erzählte ihm beispielsweise nicht,
dass die Stimmen, die sie glaubte zu hören, ihr Befehle erteilen.
Und weil sie ihm nicht von allen Symptomen berichtete,
ging Dr. Weimann auch nicht davon aus,
dass sie für sich selbst oder für andere eine Gefahr darstellen könnte.
Und das ist natürlich bei einer schizophrenen Psychose auch nicht immer der Fall.
Also nicht jede Person, die darunter leidet, ist auch gefährlich für andere.
Wir haben Kriminalpsychologin Dr. Helga Ihm gefragt,
die in Fällen von Risiko- und Bedrohungsanalysen berät,
wann sich Situationen ergeben, in denen Betroffene gefährlich werden können.
Betroffene agieren aus der Haltung einer Verteidigung heraus.
Und wenn ich natürlich innerhalb der Familie bin
und anfange meine Familie in dieses Bedrohungsszenario,
mit einzubauen, dann sind natürlich die Angehörigen sehr gefährdet.
Aber es ist jetzt kein Automatismus,
nur weil man an einem Wahn erkrankt ist,
dass man deswegen automatisch
dann gemeingefährlich wird.
Sondern es muss schon
sozusagen in dieses
Paranoide mit eingebaut werden.
Das Gefühl verfolgt zu werden,
das Gefühl bedroht zu werden,
das Gefühl in die Enge getrieben zu werden.
So in die Enge getrieben zu werden,
dass man vermeintlich sich verteidigen muss.
Und Liene fühlte sich von den Stimmen in die Enge getrieben.
Erst wurden sie immer mehr, dann wurden sie immer lauter
und schließlich wurden sie böse.
Im September 2007,
knapp drei Monate vor der Tat,
braute sich ein Weltuntergangsszenario
bei Liene zusammen.
Vor ihrem inneren Auge sah sie Bilder,
die das Ende aller Tage vorhersagten.
Liene war sich sicher,
dass es genau so geschehen würde
und bekam große existenzielle Ängste
um ihre Familie und sich.
Ängste,
die sie nicht mehr schlafen ließen.
Zu dieser Zeit
wurde sie apathisch und müde.
Hilfe von PsychiaterInnen
kam für sie nicht in Frage.
Sie hatte die,
muss man ja sagen,
gerechtfertigte Befürchtung,
dass man sie für Schizophrenen halten würde.
Aber für sie war klar,
dass das, was sie sah oder hörte,
der Realität entsprach.
Und Leon,
jetzt würde ich gerne nochmal wissen,
warum können denn einige Betroffene
gar nicht unterscheiden,
was der Realität entspricht
und was nicht?
Wenn wir nochmal gucken,
was die Krankheitseinsicht
bei Schizophrenie angeht,
dann kommen wir, glaube ich,
zu den wirklichen Problemen.
Einmal,
die Stimmen fühlen sich einfach für dich total echter.
Deswegen ist das da nichts,
wo du denkst,
da ist doch nichts,
sondern irgendwann bist du da wirklich drin
und es gibt da ein Review von 2010,
also eine Übersichtsarbeit,
die sich die Forschungslage anguckt.
Aktuellere Daten gibt es da leider nicht zu.
Da wird beschrieben,
dass etwa 30 bis 50 Prozent der Betroffenen
nicht oder nicht vollständig einsehen,
dass sie krank sind.
Also schon sehr, sehr viele.
In der Fachsprache nennt man
diese mangelnde Krankeneinsicht
dann Anosognosie
und das ist nicht ganz klar,
warum das so ist.
Es gibt verschiedene Theorien,
das fand ich ganz interessant,
zum Beispiel bei diesen Positivsymptomen,
wir erinnern uns,
Wahn oder Halluzinationen,
die quasi plus dazukommen zu dem,
was man so im normalen Leben eigentlich erwarten würde.
Da könnte man sich dann vorstellen,
dass es so eine Art Gesundheitswahn,
vielleicht ist bei dem die Betroffene,
die Krankheit,
trotz offensichtlicher Beeinträchtigung,
wo wir ja viele von gehört haben,
Haushalt läuft nicht mehr,
Stress mit dem Partner,
es kommt da permanenten Sozialdienst nach Hause,
dass das geleugnet wird,
so nach dem Motto,
ich will und muss
ja aber gesund sein.
Bei den Negativsymptomen,
wir erinnern uns,
das war so dieses
sich zurückziehen,
dicht machen,
es wird weniger Freude,
weniger Teilhabe gelebt,
dass das vielleicht so etwas ist,
wie ich ziehe mich zurück
und höre dann auf,
mich überhaupt noch irgendwie
kritisch zu reflektieren.
Das kann auch ein Punkt sein.
vielleicht noch etwas,
was wir in der Psychologie
Metakognition nennen,
das ist so im Prinzip die Idee,
dass ich versuche zu verstehen,
was da an Kognition
in meinem Kopf abgeht
und da gibt es eben Studien,
die zeigen,
dass Patientinnen und Patienten
ihre Krankheit oft besser verstehen können,
wenn sie ihre Symptome
aus einer anderen Perspektive betrachten
anstatt aus der eigenen.
Wenn ich das nicht mehr kann,
dann kann das dazu führen,
dass ich eben gar nicht mehr wahrnehme,
was hier nicht stimmt.
Und noch ein weiterer Gedanke
ist psychologische Abwehr.
Die Betroffenen
leugnen vielleicht einfach die Krankheit,
damit sie sich nicht
mit den Belastungen
auseinandersetzen müssen.
Und dann wäre das im Prinzip
so eine Art Bewältigungsstrategie.
Und das haben wir ja gerade
auch so ein bisschen bei Liene gehört,
dass sie sagt,
sie verschweigt dort Sachen
oder will dort nicht hingehen,
weil sie schon befürchtet,
dann könnte ihr
eine Schizophrenie diagnostiziert werden,
was man vielleicht erst mal
nicht möchte.
Und dann kann ich das
in meinem Kopf wegschieben,
versuchen zu verdrängen,
mich da weiter reinsteigern.
Bewältige in dem Moment
ja erst mal für mich
dieses Unangenehme,
dass ich das nicht will,
aber dass mir das langfristig
nicht hilft,
da bin ich vielleicht schon gar nicht
mehr in der Lage,
drüber nachzudenken.
Und Liene hatte natürlich auch
großen Druck familiär.
Also ich meine,
du hast fünf Kinder da
und selbst wenn der Ehemann
seine ganze Aufmerksamkeit
diesen Kindern gibt,
dann ist das trotzdem bei fünf
und zwei davon haben dann auch noch
irgendwie spezielle Bedürfnisse
aufgrund des Alters oder Erkrankungen,
ist das einfach wahnsinnig viel.
Und sich da gerade
in eine stationäre Behandlung
geben zu lassen,
was der Arzt ihr ja nahegelegt hatte,
kann natürlich dann auch dazu führen,
dass man dann das Gefühl hat,
man lässt seine Kinder da im Stich.
Vielleicht aber auch das
nochmal ein wichtiger Punkt.
Es gibt ja viele Menschen
mit Kindern,
mit schwierigen Situationen,
mit herausfordernden Momenten
und auch viele,
die dann eine psychische Störung haben.
Das geht sogar oft ein eher.
Die Belastungen des Lebens
sind ein Risikofaktor
für psychische Störung,
vor allem,
wenn die sich häufen
und eben viele sind.
Und nicht mal ein kleiner Bruchteil,
sondern nahezu niemand
käme ja dann aber auf die Idee
oder würde so eine Tat begehen.
Nee.
Bei Liene kam es leider anders.
Wir erinnern uns,
Liene wollte auf keinen Fall
weitere Hilfe,
weil sie Sorge hatte,
dass man ihr nicht glauben würde,
dass das, was sie wahrnahm,
der Realität entspricht.
Nur führte das dazu,
dass die Stimmen
immer bedrohlicher wurden.
Und kurz darauf
drohten die bösen Stimmen
dann auch den Kindern
pädophile Straftäter
auf den Hals zu hetzen
oder dass sie einen schweren
Unfall verursachen würden.
Liene werde sie nicht schützen können,
sagten sie ihr immer wieder.
Nathalie werde dafür sorgen,
dass sie alle leiden werden.
Liene hatte daraufhin
permanent Angst,
aber sie behielt alles für sich.
Ihrem Ehemann erzählte sie
nichts von den schlimmen Drohungen.
Weil Nathalie immer wieder ankündigte,
Joey, Tim, Caleb, Robin und Alex
etwas anzutun,
war Liene irgendwann der Überzeugung,
dass sie nur im Jenseits
vor ihr sicher sein könnten.
Und deswegen fasste sie den Entschluss,
erst die Kinder
und danach sich selbst zu töten.
Also besorgte sie eine große Menge
Schlafmittel in verschiedenen Apotheken,
um damit ihre Söhne
ruhig zu stellen.
Eigentlich war James Reise
erst ein paar Tage später geplant,
aber als dann am 4. Dezember
sowohl die Erzieherin
aus dem Kindergarten anrief,
weil Caleb krank war
und abgeholt werden musste,
als auch Robin berichtete,
dass er in der Schule Ärger bekam,
weil er die Hausaufgaben
nicht gemacht hatte,
tauchte Nathalie auf.
Gerade dann,
als die Belastung für Liene
wieder sehr hoch war.
Das Jugendamt werde Liene
die Kinder wegnehmen
und dann könne Liene
sie gar nicht mehr beschützen,
spottete Nathalie,
die böse Stimme in ihrem Kopf.
Liene geriet in Panik
und war sich nun sicher,
dass sie mit ihrem Plan
nicht weiter warten konnte.
Nachdem James noch am selben Abend
nach Berlin gefahren war
und sie sich telefonisch versichert hatte,
dass ihr Ehemann
nicht zurückkehren würde,
legte Liene für die Kinder
eine DVD ein
und gab Tim,
Caleb,
Robin,
Alex und Joey
Milchreis,
der mit Schlafmittel versetzt war.
Danach kuschelte sie sich zu ihnen.
Nach und nach
gab sie den Jungs,
die langsam wegschlummerten,
immer mehr Schlafmittel.
Liene wollte die Kinder
mit Medikamenten töten
und rührte dafür
einen Cocktail an Tabletten zusammen,
den sie den Jungs
mit einem Schlauch
rektal einführen wollte.
Doch als sie damit beginnen wollte,
wachte Caleb davon auf
und auch die anderen Kinder
schliefen nicht so fest,
wie Liene erst annahm.
Liene verwirrte das
und sie wollte ihren Plan
schon verwerfen
und die Jungs später
einfach weiterschlafen lassen,
als Caleb und Joey
plötzlich anfingen zu schreien.
Beide ließen sich nicht beruhigen
und wirkten orientierungslos.
Irgendwann begann
Calebs Körper
wie wild zu zucken.
In Liene
stieg Panik auf.
Sie lief weinend
auf und ab,
während alle Jungs
anfingen zu schreien.
Und dann
sprach wieder Natalie zu ihr.
Liene würde aus der Sache
nicht mehr herauskommen
und ins Gefängnis wandern
und wenn Liene
erst hinter Gittern sitzt,
würde Natalie
sich die Kinder vornehmen.
Daraufhin
schnappte sich Liene
Caleb und eine Plastiktüte,
ging mit ihm in den Keller
und erstickte ihn.
Zwei bis drei Minuten
dauerte sein Todeskampf.
Danach wiederholte sie das,
was sie mit ihrem mittleren Sohn tat,
noch vier weitere Male.
Alex,
den sie als letztes tötete,
wehrte sich so doll
gegen seine Mutter,
als der Todeskampf der Jungs vor Gericht
beschrieben wird,
bricht James zusammen.
Der 35-Jährige kann nicht mehr.
Einige Male ist er,
während der Staatsanwalt
verlas,
wie sich der Abend zugetragen hatte,
aufgestanden
und hat den Raum verlassen.
Er schluchzt
und weint laut.
Seine Kinder wollten leben,
aber Liene
hat ihr grausames Schicksal
zu dem Zeitpunkt schon besiegelt.
Den Schlüsselanhänger
mit dem Foto der Jungen
hält er fest
und streichelt darüber,
während der Staatsanwalt
ausführt,
dass Liene nach der Tötung
der Kinder versucht hatte,
sich selbst das Leben zu nehmen.
Sie wollte ihren Kindern
ins Jenseits folgen,
weil sie noch immer
in der Annahme war,
dass sie dort ein sicheres Leben
vor Nathalie führen können.
Doch ihr Suizidversuch scheiterte.
Sie setzte sich in ein Taxi
und fuhr zur Klinik.
Für den Staatsanwalt ist klar,
dass Liene vom Gefühl
der Aussichtslosigkeit
und Hilflosigkeit
übermannt wurde.
Liene hatte keinen anderen
Ausweg mehr gesehen,
als sich und die Kinder zu töten.
Weil sie unter einer
krankhaften seelischen Störung litt,
konnte sie ihr Unrecht
nicht einsehen,
so der Staatsanwalt.
Eine Ansicht,
die der geladene
psychiatrische Sachverständige teilt.
Er hat im Vorfeld
mit Liene Gespräche geführt,
bei denen sie ihm fast monoton
und regungslos
von ihrem Werdegang berichtete.
Jetzt liest er über zwei Stunden
aus dem 150-seitigen Gutachten.
Laut dem Psychiater
hat Liene eine Störung
des Denkens,
der Wahrnehmung
und des Affekts.
Sie hat sich ab 2006
in einem immer bedrohlicher
werdenden Netz
von religiösen
Wahnvorstellungen verfangen.
Mittlerweile
sei die Krankheit chronisch
und das Warnsystem komplex
und geschlossen.
Für ihre psychotischen Symptome
hatte sie eine für sich
logische,
religiöse Erklärung gefunden.
Der Gutachter betont,
dass kaum Korrektur von außen
habe stattfinden können.
Und deswegen wäre es wichtig gewesen,
beispielsweise weiterhin
zur Therapie zu gehen
oder mit anderen Menschen
im Umfeld darüber zu reden,
weil das Umfeld
auch als Warnsystem funktioniert.
Liene hat zwar anfangs
mit James über ihre Visionen
gesprochen,
aber der hielt die teilweise
sogar für real.
James erzählte im Gericht,
dass er wirklich begeistert
von ihren Vorsehungen war.
Ein Jahr vor dem 11. September
beispielsweise
habe Liene ihm verraten,
dass eine Elvira
ihr von zwei brennenden Türmen,
Flugzeugen und tausend Toten
erzählt habe.
Auch den Hurricane Katrina
habe sie vorhergesagt.
Wie kann man sich das erklären?
fragte das Gericht.
Eine Antwort darauf
hat für ihn niemand parat.
James habe erst im Sommer 2006,
als Liene von bösen Stimmen
berichtete, gemerkt,
dass die Lage ernst war.
Gerade in der Zeit
hatte Liene dann für sich behalten,
dass die Stimmen immer lauter
und boshafter wurden.
Irgendwann habe sie
zwischen ihren eigenen Gedanken
und den Stimmen
kaum noch unterscheiden können,
so der Gutachter.
Trotzdem war es Liene möglich,
ihre Symptome vor ihrem Umfeld
weitestgehend zu verbergen.
Dieses Phänomen ist in der Psychiatrie
als doppelte Buchführung bekannt,
so der Sachverständige.
Insgesamt sei Linens Warnsystem
perfektioniert,
in sich schlüssig
und für keinerlei
Rationalität mehr zugänglich.
Er widerspricht James' Annahme,
dass Linens Planungsfähigkeit
für eine Schuldfähigkeit spreche.
Im Gegenteil.
Die durchdachten Vorbereitungen
für den Übergang
in zehn Seiten
seien aufgrund von Linens Erkrankung
nur konsequent
und notwendig gewesen,
um die Kinder
aus ihrer Sicht zu retten.
Er sagt,
Das Tragische daran ist,
dass die Tat aus Liebe
und Fürsorge geschah.
Linie habe aus zutiefst
altruistischen Motiven gehandelt.
So wahnsinnig das auch klinge.
Also eine Gewalttat
aus einem
selbstlosen
Motiv heraus.
Vielleicht,
weil wir langsam Richtung Ende kommen,
ist mir eine Sache
bei diesem großen Wort
Schizophrenie
bei einer Störung,
die mir immer noch
total stigmatisiert ist,
die jetzt hier
in so einem Fall
wie dem,
den wir besprechen,
natürlich auch im Kopf bleiben wird.
Damit in Verbindung
eine Sache,
ganz, ganz wichtig.
Es gibt eine Meta-Analyse.
Hier hat man also viele Datensätze
aus 24 Studien
zusammengefasst von 2022
und die haben gefunden,
weniger als jede zwanzigste Frau
und weniger als jeder vierte Mann
mit Schizophrenie
wird überhaupt gewalttätig.
Da sind wir noch lange nicht bei,
dass man mehrere Kinder umbringt,
sondern erstmal nur
in Anführungsstrichen gewalttätig.
Es gibt also schon
einen signifikanten Zusammenhang,
aber die Autorinnen und Autoren
dieser Studie schreiben auch,
dass das noch keine Kausalität bedeutet.
Also es ist nicht sicher,
dass Schizophrenie Gewalt verursacht.
plausibel wäre ja zum Beispiel auch,
dass es da zum Beispiel
gemeinsame Risikofaktoren gibt,
die dann sowohl zu Gewalt
als auch zu Schizophrenie führen.
Zum Beispiel traumatische Erlebnisse
in der Kindheit
oder Aufwachsen in Armut
oder Männlichkeit,
wie man in den Zahlen ja schon sieht.
Und das ist, glaube ich,
ganz, ganz wichtig,
dass die allermeisten
mit Schizophrenie
eben nicht gewalttätig werden.
Ja gut, dass du das nochmal sagst.
Das ist uns ja auch immer wichtig,
dass wir betonen,
dass das, worüber wir hier berichten,
kein Querschnitt der Welt
oder der Gesellschaft ist.
Wir bilden hier immer
nur die Fälle ab,
die in Straftaten münden,
weil wir halt eben
Crime-Podcast sind.
So wie das jetzt halt eben
bei Liene auch der Fall war,
die sieben Monate nach der Tat
noch immer
religiöse Wahnvorstellungen hat.
Sie glaubt noch immer daran,
dass es ihren Totensöhnen,
da, wo sie jetzt sind,
gut geht,
zeichnet Spielpläne für sie.
Sie meint auch,
mit ihnen sprechen zu können.
Durch eine verstorbene Großmutter
will sie erfahren haben,
dass ihr ältester Sohn
ihr bereits verziehen habe,
hatte Liene dem Gutachter gesagt.
Nach seiner Einschätzung
braucht jemand wie Liene
professionelle Hilfe.
Sie habe eine paranoide Schizophrenie
und müsse behandelt werden.
Eine Haftstrafe
wäre daher nicht sinnvoll.
Zunächst wollte James
noch genau das,
aber mittlerweile sieht auch er ein,
dass seine Frau psychisch
sehr krank ist
und das Gefängnis
der falsche Ort für sie wäre.
Als er von seiner Ehe mit Liene
und dem Alltag
mit den fünf Kindern erzählt,
muss er mit den Tränen kämpfen.
James hatte die Beziehung zu Liene
von Anfang an infrage gestellt.
Bereits vor Caleb's Geburt
hatte er so starke Zweifel,
ob er mit Liene an seiner Seite
die richtige Entscheidung getroffen hat,
dass er sich sogar einmal
heimlich nach Kansas abgesetzt hatte.
Nach nur einer Woche
kam er wieder zurück nach Deutschland.
Kurz darauf, als er gerade
auf einer Geschäftsreise
in den USA war,
überlegte James dann ein zweites Mal
einfach in den Staaten zu bleiben
und nicht zurück zu Liene
und ihren beiden Söhnen zu kehren.
Als das Paar erfuhr,
dass Liene schwanger war,
kam er dann aber schnell
wieder zurück und blieb bei ihr.
Dass das alles einmal so enden wird,
hätte er sich trotz offensichtlicher Probleme
niemals vorstellen können.
Während er erzählt,
suchte er immer wieder
den Blickkontakt zu Liene,
die auf den Boden starrt.
Die ganze Verhandlung über
hatte sie permanent
mit dem rechten Bein
auf- und abgewippt.
Nur jetzt, wo James
von dem gemeinsamen Leben
zu sieben berichtet,
sitzt sie ganz still da.
James erzählt,
dass er phasenweise sehr verzweifelt war.
Gerade weil sie in Gegenwart
von anderen Leuten
den Schalter umlegen konnte
und völlig normal wirkte,
hatte James Bedenken,
dass niemand wirklich verstand,
wie schlimm es um Liene stand.
Deshalb hatte er im August
heimlich mit einem Diktiergerät
eine Tonaufnahme gemacht.
Darauf sagt Liene,
dass die Kinder
von Dämonen besessen seien.
Das Diktiergerät gab er
beim sozialpsychiatrischen Dienst ab
mit der Bitte,
es an Dr. Weimann,
Lienes Psychiater,
aus der Klinik weiterzuleiten.
Das geschah auch so,
allerdings hörten sich
weder der SPD
noch Dr. Weimann
die Tonaufnahmen an.
Angeblich,
weil sie keine geeigneten
Wiedergabegeräte
für das Tonband hatten.
James hält das für Quatsch.
Man habe lediglich
einen Knopf
beim Diktiergerät
betätigen müssen.
Der Psychiater
hat Liene das Gerät
inklusive Tonband
sogar einfach zurückgegeben,
anstatt sich die Aufnahmen
anzuhören
und entsprechend zu handeln.
James kann seine
Fassungslosigkeit
darüber nicht verbergen.
Wie kann man jemandem
mit einer schizophrenen Psychose
so eine Aufzeichnung
in die Hand drücken?
Mindestens dreimal
hat Liene eine stationäre Aufnahme
in der Klinik verweigert.
Im Juni 2006,
knapp eineinhalb Jahre
vor der Tat,
hat sie die ambulante Therapie
nach nur zwei Monaten
abgebrochen.
Das Medikament
Risperdal
nahm sie gar nicht
erst ein.
Wieso hatte sich
Dr. Wallmann
eher auf die Einschätzung
einer Erkrankten
verlassen als auf James?
Nach der Tat
kritisieren mehrere
Fachleute in den Medien,
dass man Liene
zumindest mal
mit ihren Fantasien
hätte konfrontieren müssen,
um das Ausmaß
der Gefahr
einschätzen zu können.
Und da frage ich mich,
Leon,
das macht man so,
ja?
Also man konfrontiert
die Betroffenen damit?
Ja, es gibt ja
immer wieder so diese Idee,
auch bei verschiedenen
psychischen Störungen
kann ich das überhaupt
ansprechen,
wird es da nicht
schlimmer.
Zum Beispiel auch bei
Suizidgedanken,
dass manche denken,
wenn ich das jetzt einmal
nenne, dann wird es
alles nur noch viel
katastrophaler.
Das hat sich sehr lange
sehr hartnäckig gehalten.
Genauso die Idee,
dass Betroffene irgendwie
für eine rationale
Behandlung gar nicht
zugänglich sind,
weil die ja da in ihrem
Wahn sind,
in ihren Halluzinationen.
Das hat lange dafür
gesorgt, dass Betroffene
psychotherapeutisch sehr
schlecht versorgt wurden.
Inzwischen ist aber nachgewiesen,
Stand der Forschung
zumindest,
dass kognitive
Verhaltenstherapie
bei Psychosen
gut helfen kann.
Wichtig ist dann
natürlich aber auch
zu verstehen,
warum sind diese
Wahnüberzeugungen
entstanden und dann
braucht es eine
gewisse Motivation,
bei der Patientin
diese Wahnüberzeugung
überhaupt in Frage
zu stellen.
Dafür
schreibt man dann,
das wäre so eine
Übung zum Beispiel,
auf,
welche Folgen
könnte es haben,
wenn der Patient
die Überzeugungen
aufgeben würde.
Also als Beispiel,
wenn ich nicht mehr glaube,
dass man mich
vergiften will,
dann könnte ich mal
wieder einen Burger
essen gehen.
Jetzt machen wir es
wieder auf unseren Fall.
Wenn ich jetzt nicht
mehr glauben würde,
dass meine Kinder
ins Jenseits müssen,
weil da irgendwelche
Täter auf die
geschickt werden könnten,
dann könnte ich
vielleicht wieder
meinem Alltag
nachgehen,
diesen Kindern
anders,
liebevoller,
mich zuwenden.
Da merkt man aber
auch schon,
wie schwierig das ist
und dass das ein
riesiger Prozess
sein wird.
bei jemandem,
der das so stark
im Kopf hat,
wo sich das so,
wie die Realität
anfühlt und wie
das was eben abgeht.
James würde sich
heute wünschen,
dass jemand
sowas beispielsweise
mit Liene gemacht
hätte und kritisiert,
dass das nicht
geschehen ist.
Aber Dr. Weimann
sagt vor Gericht,
dass es Liene im
Vorjahr mit den
Maßnahmen auch schnell
wieder besser ging
und er hatte darauf
vertraut, dass es
diesmal wieder
funktionieren würde.
Tat es aber nicht
und dass das nicht
auffiel,
macht James aber
nicht allein Dr.
Weimann zum
Vorwurf.
Auch dem SPD
und dem ASD.
Mehrere Male
waren die Behörden
zu Besuch.
Die Leiterin des SPD
hat sogar Anzeichen
für eine schizophrene
Psychose festgestellt,
aber keine Maßnahmen
eingeleitet.
James hat die Behörden
mehrmals angerufen,
wollte sogar einmal,
dass sie unangekündigt
auftauchen,
damit Liene sich nicht
auf den Besuch
vorbereiten kann.
Nie sind drastische
Maßnahmen ergriffen
worden.
James ist wütend
darüber.
Die Warnsignale waren
doch da.
Seine Anwältin sagt,
was wirklich an James
nagt, ist die Frage,
ob durch engagiertes,
aktiveres Eingreifen der
Behörden die Tat hätte
verhindert werden können.
Der SPD sagt,
dass die Mitarbeiterin
bei den Hausbesuchen
zwar von bösen
Stimmen und Dämonen
erfahren hatte,
von einer akuten
Gefährdung sei sie
aber nicht ausgegangen.
Für er sei Liene
steuerungsfähig gewesen.
Wir haben
Kriminalpsychologin
Helga ihm noch
gefragt,
inwieweit man sich
bei solchen
Hausbesuchen
denn überhaupt
ein realistisches
Bild von einer
Erkrankung
machen kann.
Ausschnitte
sind immer
herausfordernd.
Wenn der Betroffene
sagt, mir geht es gut,
ich habe das mit den
Kindern im Griff,
ich konnte sie heute
morgen alle zur Schule
schicken, ich habe ihnen
Mittagessen gekocht,
jetzt sind die Kinder
beim Spielen,
es geht mir gut,
dann ist es äußerst
schwierig, hier jetzt
eine Selbst- oder
eine Fremdgefahr
zu erkennen.
Also es ist
wahnsinnig schwierig,
innerhalb von einem
Viertelstund
Hausbesuch zu
entscheiden,
ob jemand
tatsächlich
gefährdet ist,
instabil zu werden
und zwar so,
dass Menschen
verletzt werden
dabei.
Dr.
Ihm hat uns gesagt,
dass bei solchen
Terminen die
Gesprächsführung
extrem wichtig ist
und nur durch die
richtige Beobachtung
und Herangehensweise
es überhaupt möglich ist,
Informationen von den
Betroffenen zu bekommen,
die er oder sie
vielleicht gar nicht
preisgeben möchte.
Und wir wissen
jetzt natürlich nicht,
wie genau diese
Gespräche zwischen
Liene und den
Behörden abgelaufen
sind, weil
aber viele die
Arbeit bzw.
das nicht
der Ämter
genau wie
James im
Nachgang
stark kritisiert
haben,
will auch das
Landgericht Kiel
nochmal die
Sozialarbeiterin
anhören,
die die
Familie in den
Monaten vor
der Tat
betreute.
Als die in den
Zeugenstand
gerufen wird,
bestätigt sie
zwar, dass
James das
Amt mehrmals
besorgt
kontaktiert
hat,
sagt aber,
dass er in
den persönlichen
Gesprächen
wiederum immer
alles heruntergespielt
hätte.
James'
Anwältin fragt
die Frau,
ob sie im
Nachgang
nochmal angerufen
und gefragt
habe,
warum er denn
auf einmal
alles so
verharmlost
habe.
Das habe sie
nicht getan,
gibt die
Zeugin zu.
Sie habe aber eben
keine akute
Krisensituation
feststellen können,
wie beispielsweise
eine Zwangseinweisung
hätte rechtfertigen
können.
Und das bestätigt auch
der Gutachter vor
Gericht.
Dafür habe es
keine rechtliche
Handhabe
gegeben.
Und so fristrierend
das auch für
James sein mag,
das Kieler Landgericht
urteilt nicht über
die Schuld der Ämter,
sondern über
Liners Zukunft.
Die Entscheidung
darüber fällt
am 14.
August 2008.
Auch James
kommt zur Verkündung.
Er will wissen,
wie es mit Liene
weitergeht.
Der vorsitzende
Richter schildert
erneut,
wie die Tat
abgelaufen ist
und schließt
sich dabei
den Feststellungen
der Staatsanwaltschaft
an.
Als es darum geht,
wie Liene die
Kinder getötet hat,
hält James sich
die Ohren zu
und stürmt
aus dem Saal.
Er kann nicht
noch einmal mit
anhören,
wie sich seine
Kinder gegen den
gewaltsamen Tod
gewehrt haben.
Die eigentliche
Tragik bei der Tat
sei das Motiv,
so der
vorsitzende
Richter.
Denn Liene
habe mit dem
Wunsch gehandelt,
ihren Kindern
mit der Tötung
etwas Gutes
zu tun.
Sie wollte sie
vor den Dämonen
und Nathalie retten.
Liene war nicht
mehr in der Lage
zu unterscheiden,
was real und was
Wahn ist,
was Recht
und was Unrecht.
Der psychiatrische
Gutachter hat empfohlen,
Linus Wahnverstellungen
mit Medikamenten
abzubauen.
Allerdings ist
ungewiss,
wie lange es dauert,
bis die Medikamente
anschlagen.
Das hängt auch davon ab,
wie lange die Person
schon von der
psychischen Störung
betroffen ist.
Laut Gutachter
gibt es sogar Menschen,
die nie wieder
aus ihrem
Wahnsystem herauskommen.
Und wenn doch,
dann ist es wahrscheinlich,
dass im Anschluss
eine schwere Depression
oder sogar
akute Suizidgefahr
auftreten.
Erst wenn diese Phase
überstanden ist,
kann mit diversen
Therapien
versucht werden,
die Betroffenen
auf eine Rückkehr
in die Gesellschaft
vorzubereiten.
Davon,
so der vorsitzende Richter,
ist die 32-jährige Liene
aber noch sehr weit
entfernt.
Ihr komplexes
Wahnsystem
ist immer noch
intakt und stabil.
Tatsächlich
bietet es ihr sogar
Schutz,
um so den Tod
ihrer Kinder
zu legitimieren.
Sollte ein Therapieerfolg
eintreten
und die Mutter
erkennen,
was sie ihren Kindern,
den Vätern
und sich selbst
angetan hat,
es ist ihr zu wünschen,
dass sie unter
dieser Erkenntnis
nicht zerbricht.
Das Gericht
geht davon aus,
dass bei Liene
auch künftig
mit erheblichen
rechtswidrigen Taten
zu rechnen ist.
Deswegen wird für die
32-Jährige die Unterbringung
in einer psychiatrischen
Fachklinik angeordnet.
Das Kieler Landgericht
folgt damit den Anträgen
der Anklage,
Verteidigung
und Nebenklage.
Lienes Behandlung
und Fortschritte
sollen regelmäßig
überprüft werden.
Der Aufenthalt
ist nicht zeitlich begrenzt.
Wie lange
Liene dort bleiben muss,
geschweige denn,
ob sie je wieder
nach Hause kann,
steht also in den Stern.
Dem Zuhause
hatte James
kurz nach der Tat
den Rücken zugekehrt.
Er zog nach Berlin,
ließ dort seine drei
eigenen Söhne beerdigen.
Doch schon bald
fühlte sich das
nicht mehr richtig an.
Dass sie nicht
bei ihren älteren Brüdern
sind und nicht an dem Ort,
wo sie so glücklich waren.
Also ließ James
sie exhumieren
und die drei kleinen Särge
zurück an die Ostsee bringen,
damit sie alle zusammen sind.
So wie zu Lebzeiten.
Wenige Monate
nach dem Prozess
zieht auch James hinterher.
Für ihn geht es zurück
in das Haus,
das ihn an seine schönste,
aber auch an seine
schlimmste Zeit erinnert.
James hat das Gefühl,
dass er nur hier
seinen Kindern
richtig nah sein kann.
Manchmal
setzt sich der 35-Jährige
in die leeren Zimmer
der Jungs,
in denen sie früher
gespielt haben
und drückt eines
der Stofftiere an sich
oder hält einen
der Plastikbecher,
aus denen seine Söhne
immer getrunken haben,
fest in der Hand.
Lienem hat ihren
fünf Kindern
das Leben genommen,
doch sein eigenes
ist auch vorbei.
Nach Verfahrensende
sagt James zur Presse,
ich stehe auf,
ich funktioniere irgendwie,
aber ich habe schon
lange aufgehört
zu leben.
Wieder dieses Gefühl,
was jetzt man
wahrscheinlich auch
alle fühlen,
wenn wir das hören,
dass man unglaublich
bedrückt ist
und irgendwie auch
diesen Eindruck hat,
man fühlt mit,
wenn ich das höre.
Zumindest geht es mir so.
Und wenn
dann jemand sagt,
ich habe aufgehört
zu leben,
dann wirkt das ja
erstmal wie
die zwingende
Konsequenz.
Also das,
so sehr man da mitfühlt,
sich vorzustellen,
dass die fünf
Kinder umgebracht werden,
die dir so am Herzen liegen
und das kann man
nicht fassen,
finde ich.
Also mein Kopf
kann sich das
nicht wirklich vorstellen,
da kann man sich nicht
hineinversetzen.
Und deswegen,
das, was ich jetzt sage,
mit aller Vorsicht
und mit allem,
dass man da nicht
für jemand anders
sprechen kann,
habe ich trotzdem
immer wieder Menschen
erlebt,
die furchtbarste Sachen
durchgemacht haben,
wie Mord von jemandem,
den sie lieben,
wie Konzentrationslager,
wie Entführung,
Geiselnahme
oder, oder, oder.
und war immer wieder
fasziniert davon,
dass diese Menschen
es zum Teil
eben doch
wieder für sich
geschafft haben
zu leben.
Und das ist dann
so ein bisschen das,
weshalb ich jetzt sage,
ich kann niemals
da dem James
das jetzt so hinhalten
und sagen,
ja, bitte orientiere
dich dort daran
oder das als Appell
formulieren,
das meine ich gar nicht,
sondern im Gegenteil
für alle,
die hier zuhören,
dass man sagt,
aber es gibt vielleicht
trotzdem Hoffnung
und das ist das,
was ich mir jetzt
natürlich total wünsche,
auch wenn das in dem
ersten,
jetzt, wenn man das
jetzt, wie ich jetzt
zum ersten Mal alles hört
und wie gesagt,
das so aufgerissen wird
und man ja gefühlt
Lichtjahre davon entfernt ist,
diese Erfahrung
selber zu machen
und unvorstellbar wirkt.
Ich kann mir zumindest
irgendwie vorstellen,
wie schlimm das halt
sein muss,
dass das auch,
weißt du,
aus dem eigenen Kreis
passiert.
Ja, total, total.
Die Frau, die du liebst,
das kommt ja noch dazu,
für die du dich
so eingesetzt hast.
Ist das denn aber auch
was, was ihr
in all den Fällen
die ihr schon
bearbeitet habt
und ja auch immer wieder
auch mit den Betroffenen
und mit den Menschen
ja auch in Kontakt kommt,
auch erlebt habt,
dieses,
dass dann doch irgendwann
wieder Leben entsteht,
nachdem man erst mal
das Gefühl hat,
es kann ja gar nicht
weitergehen.
Ja, also ich bin immer wieder
überrascht und
also gerade von Eltern,
die ihre Kinder
auf so eine Art verloren haben,
dass es viele geschafft haben,
da weiterzumachen
und ehrlicherweise,
mir ist vor allem im Kopf,
das kann,
das gilt jetzt auch wirklich
nicht für alle,
aber wenn mehrere Kinder
da sind
und eins verstirbt
oder kommt zu Tode
durch eine Straftat,
habe ich das oft gehört,
dass denen geholfen hat,
dass sie sich um was kümmern müssen,
dass sie funktionieren müssen
für die anderen Kinder,
weil sie keine Wahl hatten sozusagen
und dass ihnen das
so im Nachgang betrachtet
geholfen hat.
Ja, total.
Ja, sehr, sehr bewegend.
Vielleicht ganz zum Schluss
noch eine Sache,
die mir sehr, sehr am Herzen liegt,
wenn wir dieses große Überthema
ja auch immer mit hatten
in der Folge
mit den psychischen Störungen.
Ich weiß nicht,
wie du das beobachtest,
aber ich habe das Gefühl,
bei vielen psychischen Störungen
bricht dieses Stigma,
bricht dieses Schambesetzte auf.
Du hast Promis,
die reden jetzt offen
über ihre Depressionen,
ADHS im Erwachsenenalter,
da gibt es TikTok-Videos,
die haben Millionen Aufrufe,
wo du schon fast das Gefühl hast,
dass es Leute gibt,
die sich das gerne
als Diagnose
irgendwie ans Hemd hängen,
wobei das natürlich
auch ein Störungsbild ist,
was viele total belastet.
Aber was ich halt meine ist,
wir haben einerseits
Störungsbilder,
wo man sagt,
okay,
die sind auf so eine Art
salonfähiger geworden,
es wird drüber geredet,
gut so,
und dann andere Bereiche
wie Schizophrenie,
wo es eben noch gar nicht drum geht.
Und ich habe aber so ein bisschen
mittlerweile fast schon die Sorge,
hey, könnte uns jetzt
im nächsten Schritt
dann irgendwann passieren,
dass wir plötzlich bei den psychischen Störungen
zu lax werden.
Also,
dass dann plötzlich
alles ein Trigger ist,
alles ein Trauma,
alles ist toxisch.
Jeder hat dann plötzlich ADHS im Erwachsenenalter,
weil er mal ein TikTok-Reel gesehen hat,
wo einer in 15 Sekunden
die fünf Hauptsymptome erklärt,
dann mache ich meine drei Häkchen
und sage,
oh ja,
das bin ja ich.
Ja,
also da passen wir im Podcast auch auf,
ich sage nicht,
dass wir das immer fehlerfrei machen,
aber wir passen auch schon darauf,
dass wir nicht sagen,
da und davon haben wir ein Trauma,
weil wir haben kein Trauma.
Also,
und da sozusagen nicht Menschen,
die das wirklich betrifft,
dass wir das abwerten,
dadurch,
dass irgendwie jede Lappalie
jetzt als Trauma bezeichnet wird.
Ja,
man nennt das Konzept-Creep
in der Psychologie,
dass so diese Begrifflichkeiten
also überall reinkriechen
in jeden Lebensbereich.
Dann ist plötzlich jeder irgendwie
deprie- und traumatisiert
und das ist ein Trigger
und das ist toxisch
und da denke ich halt auch oft,
was bleibt denn dann übrig
für Menschen,
die sowas erlebt haben,
wie die Kinder werden umgebracht
oder ein Krieg
oder ein Konzentrationslager,
wo man früher gesagt hätte,
das ist eben das Trauma
und nicht,
dass sich deine Freundin getrennt hat
oder die letzte Klausur
so unglaublich schwierig war,
während jetzt also
bei bestimmten Störungen
das sich zum Glück wandelt,
wie wir damit umgehen
und als Gesellschaft drauf gucken,
gibt es aber eben auch noch
andere Störungsbilder,
wo das überhaupt nicht der Fall ist.
Du hast kaum jemanden,
der sich jetzt in die Öffentlichkeit stellt
und sagt,
ja, hier guckt mal,
meine Alkoholsucht,
da rede ich jetzt mal öffentlich drüber
und das vielleicht noch eher,
aber sowas wie Schizophrenie,
bipolare Störungen,
pädophile Störungen,
das sind alles Themen,
die sind immer noch total weg
aus unserer Wahrnehmung,
obwohl sie da sind
und obwohl sie auch verdammt
viele Menschen betreffen
und obwohl auch eigentlich da,
finde ich,
das Recht doch sein müsste,
das aufgeklärt wird,
dass wir verstehen,
was dahinter steckt.
Ja, danke Leon,
dass du dir jetzt
in deiner stressigen Tourzeit
die Zeit genommen hast,
hier mit uns lange aufzunehmen,
das ist ja auch immer
ein ganz schöner Brocken.
Danke dir,
es hat, wie gesagt,
mich sehr bewegt,
aber ich fand es auch total interessant.
Vielen, vielen Dank
für die Einladung.
Wann darf ich eingeladen werden?
Meine noch nicht Einladung annehmen.
Also in unserem Podcast
laden wir dich natürlich jederzeit
gerne wieder ein,
nachdem die letzte Folge
echt, echt cool war.
Bei der Tour
bist du auch herzlich eingeladen.
Ich bin am...
6. April.
6. April bin ich in Berlin.
Ich weiß,
das ist mein Geburtstag.
Wirklich?
Deswegen konnte ich mir das merken
und deswegen habe ich gedacht,
komme ich vielleicht
wann anders vorbei,
weil ich da wahrscheinlich
nicht in Berlin bin.
Ich bin in eigentlich
allen großen Städten,
München, Hamburg,
Frankfurt, Köln und Co.
Ich bin aber auch
in vielen, vielen kleineren Städten
und habe jetzt wirklich
eine Reihe von Shows vor mir.
Ich muss da direkt dazu sagen,
dass wir in vielen Städten
schon ausverkauft sind,
deswegen müsstest du mir
bald mal schreiben,
aber ich würde für dich
noch einen Platz
auf der Gästeliste organisieren
und für alle,
die sich jetzt vielleicht fragen,
was ist das eigentlich,
weil Psychologe auf der Bühne
und was passiert dann da?
Das Ganze heißt ja,
alles perfekt
und dann quasi noch
so ein kleiner Bindestrich,
Psychologie live
und das ist auch tatsächlich
meine Idee.
Also ich bin so ein bisschen
losgezogen.
Du kennst vielleicht auch
dieses Gefühl,
wir haben uns ja glaube ich
schon mal darüber unterhalten,
so dieses,
dass man so Hochstapler-Gefühl hat
und ich kann das eigentlich nicht
und man gesteht sich das nicht zu,
dass da so Selbstzweifel sind
und gleichzeitig diese Welt
mit so vielen Ansprüchen
und Perfektionismus-Vorstellungen
auf uns einprasselt
und man vielleicht sich
so ein bisschen zerrissen fühlt aus,
ich will doch vorwärtskommen,
ich will was erreichen im Leben,
aber ich will mich auch
nicht kaputt machen
und wie kann ich
in einer Welt,
wo man das Gefühl hat,
es dreht so viel durch gerade
und es ist so viel übertrieben
und die Kontraste sind zu krass
und es ist zu viel,
was auf uns einprasselt,
wie kann man da die Ruhe bewahren
und habe dann eben
ganz, ganz viel
Psychologie und Wissenschaft
zusammengetragen
und da siehst du
oder hörst vielleicht
das Strahlen jetzt schon
in meinem Gesicht,
das ist das, was ich liebe,
ich möchte nicht,
dass das irgendwie
eine Vorlesung ist,
sondern es ist eine fette Show,
dass man viel, viel auch lacht
an dem Abend,
wir machen Live-Experimente
in der Halle
und vor allem aber
nimmt man, glaube ich,
Impulse für seinen Alltag
mit aus meiner Wissenschaft,
nicht irgendwelche Coaching-Bla
oder Tschakka-Sprüche,
sondern wirklich was Fundiertes,
wo man vielleicht nachher
ein bisschen anders
mit sich umgeht.
Und ich glaube,
das können viele
heutzutage gut gebrauchen, Leon.
Vielen Dank.
Ich danke dir.
Dann wünsche ich dir
jetzt noch eine gute Zeit
bis zu deinem Geburtstag
und dann sehen wir uns
irgendwann danach.
Nächste Woche
ist Laura wieder hier
und da reden wir
über einen absurden Fall,
der nahezu Stoff
für einen Film bieten würde.
Bis dahin.
Das war ein Podcast
der Partner in Crime.
Hosts und Produktion
Paulina Kraser
und Laura Wohlers.
Redaktion
Marisa Morell
und wir.
Schnitt
Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme
und Beratung
Abel und Kollegen.