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#186 Das geheimnis im garten

Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge erzählen wir euch einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
ortenden den für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte.
Und wir sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch.
Selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Und der Fall, den wir euch heute erzählen, der hat vor genau acht Jahren in den Medien
für richtig große Aufmerksamkeit gesorgt.
Es ist nämlich so, dass es nicht nur um ein grauenvolles Tötungsdelikt geht,
sondern auch noch um ungewöhnliche Sexpraktiken,
eine Dreiecksbeziehung und mysteriöse Tagebuch-Einträge.
Vorher möchten wir aber noch kurz über ein ganz anderes, sehr wichtiges Thema sprechen.
Am 23. Februar ist die Bundestagswahl.
Und uns ist es ganz, ganz wichtig, dass möglichst viele Menschen an dem Sonntag wählen gehen
und damit die Parteien stärken, die unsere demokratischen Werte verteidigen.
Das ist in den aktuellen Zeiten ja nicht mehr überall selbstverständlich.
Und auch wenn das vielleicht nicht auf den ersten Blick so scheint, ist dieser Podcast ja schon auch politisch.
Hier geht es natürlich viel um Strafrecht, aber auch darum, wie man mit Menschen im Allgemeinen umgeht.
Also mit TäterInnen, mit Opfern und Hinterbliebenen.
Und auch wie man Gewaltprävention, Opferschutz und Resozialisierung gestaltet.
Und für uns ist es zum Beispiel wichtig, dass wir Parteien wählen, die die Themen ernst nehmen,
die hier im Podcast auch oft eine Rolle spielen.
Also zum Beispiel, dass man vulnerable Gruppen schützt, also das Gewaltschutzgesetz verschärft,
dass man Präventionsprogramme gegen Extremismus und Diskriminierung fördert
oder den Schutz für Opfer von Extremismus und Terrorismus verbessert.
Wie es eben einige Parteien planen und nicht, dass es in erster Linie um härtere Strafen geht,
um die Herabsetzung der Strafmündigkeit, präventive Haft oder die Kritik an Resozialisierungsprogrammen,
was sich halt andere Parteien auf die Fahne geschrieben haben.
Und jetzt mal unabhängig von konkreten Forderungen, was das Strafrecht betrifft,
sind uns Dinge wie Toleranz, Antidiskriminierung, soziale Gerechtigkeit oder Chancengleichheit wichtig,
weil es auch unsere Werte sind.
Und damit ihr jetzt eine fundierte Entscheidung treffen könnt, die auf euren Werten beruht,
bitte informiert euch über die verschiedenen Parteien, ihr Wahlprogramm
und auch über die Einzelpersonen und deren Aussagen und Einstellungen.
Und das ist natürlich manchmal etwas überfordernd,
gerade wenn man sich noch nicht so viel mit den Parteien oder halt deren Wahlprogramm auseinandergesetzt hat.
Aber ihr kennt bestimmt alle den Wahl-O-Mat.
Da kann man seine eigenen Standpunkte mit den Antworten der Parteien vergleichen.
Ja, und das ist echt gut.
Also ich bin auch ein Fan eigentlich davon, Wahlprogramme zu lesen,
aber das kostet natürlich Zeit und vor allem, wenn man das mit mehreren Parteien machen will.
Alternativ zum Wahl-O-Mat gibt es auch den Real-O-Mat.
Da geht es quasi nicht um Wahlversprechen, sondern darum, wie die Parteien in der Vergangenheit abgestimmt haben.
Ich habe jetzt beides gemacht.
Bei mir kam tatsächlich auch ein ähnliches Ergebnis raus.
Und dann hat Spotify einen Podcast-Content-Hub zur Bundestagswahl eingerichtet,
auf dem täglich aktualisierte Podcasts von vertrauenswürdigen Quellen angeboten werden,
über die man sich eben über die Parteien, über die Kandidatinnen und ihr Programm und generell aktuelle News informieren kann.
Und das findet ihr unter spotify.com slash btw2025.
Die Infolinks packen wir euch auch nochmal in die Folgenbeschreibung.
Aber jetzt geht es ja erstmal um unseren heutigen Fall, in dem eine Tatwaffe eine Rolle spielt,
die wir so bei Mordlust noch nie hatten.
Alle Namen sind geändert.
Es erinnert ein wenig an die Szene aus König der Löwen,
als Simba von seinem Vater Mufasa das Land gezeigt bekommt, das einmal sein Reich werden wird.
Wie Simba im Disney-Film liegt Selma ihr Reich zu Füßen.
Das natürlich wesentlich überschaubarer ist und auch nicht in der afrikanischen Savanne,
sondern in einer beschaulichen Wohnsiedlung im Münchner Speckgürtel zu finden ist.
Aber für die junge Frau mit den rotblonden welligen Haaren und den dünn gezupften Augenbrauen
verkörpert das kleine Einfamilienhaus aus den 60er Jahren einen neuen Lebensabschnitt.
Sie ist erwachsen, frei, kann tun und lassen, was sie will.
Jetzt, wo sie gerade volljährig geworden ist und bei ihren Eltern aus
und nicht in eine Wohnung, sondern gleich in ein ganzes Haus einzieht.
Gut, eigentlich gehört es ihrer Mutter und ihrer Tante,
die es wiederum von ihrer Mutter, Selmas Großmutter, geerbt haben.
Aber da die beiden den Wohnraum nicht brauchen, kann nun Selma, die keine Geschwister hat,
hier Ende des Jahres 2003 einziehen.
Und als wäre es nicht an sich schon mehr als cool, mit 18 in einem ganzen Haus zu wohnen,
hat Selma noch einen weiteren Grund zur Freude.
Sie wird darin nämlich nicht alleine leben, sondern gemeinsam mit ihrem Freund Erik.
Der große, kräftige Typ mit den kurzen Haaren und der schmalen Brille mit Metallrahmen
ist vier Jahre älter als Selma und ihre erste große Liebe.
Vor zwei Jahren haben sie sich beim Feiern kennengelernt und danach angefangen zu daten.
Erik, der zu dieser Zeit Zivildienst im Krankenhaus geleistet hat, hat sich viel Mühe gegeben,
hat Selma sogar, wie es heute eigentlich gar nicht mehr so üblich ist, Blumen geschickt.
Aber es waren nicht nur Eriks gute Manieren und sein souveränes Auftreten,
die Selma imponierten, die vorher noch nie einen festen Freund hatte.
Erik ist noch dazu humorvoll und sehr intelligent.
Mittlerweile studiert er Anglistik und Japanologie an der Uni.
Selma, die gerade die mittlere Reife in der Tasche hat, weiß noch nicht genau,
welchen Berufsweg sie einschlagen will.
Das möchte sie in der nächsten Zeit herausfinden.
Jetzt steht aber erstmal der Umzug in ihr neues Reich an.
Eine Kiste nach der anderen wandert dafür durch das hölzerne Gartentor,
das von zwei Säulen eingefasst ist.
Wer davor steht, blickt direkt auf das kleine Einfamilienhaus mit der hellen Fassade,
das im hinteren Teil des großen Gartens steht und wegen der hohen Hecken am Gartenzaun kaum zu sehen ist.
Wenn man durch die Eingangstür tritt, findet man im Erdgeschoss die Küche, das Bad und drei Zimmer.
Eines davon ist ein Durchgangszimmer, von dem eine schmale hölzerne Treppe in einen großen Raum unterm Dach führt.
Je mehr Klamotten, Bücher, Bilder und Kleinkram Selma auspackt und mehr oder weniger ordentlich einräumt,
desto mehr verleiht sie dem Haus eine persönliche Note.
Die lässt sich sogar mit verbundenen Augen wahrnehmen.
Es riecht würzig und süßlich nach Marihuana, das Selma und Erik regelmäßig rauchen.
Zudem hängt ein schwerer Patchouli-Duft von den Räucherstäbchen in der Luft, die Selma im Haus verteilt.
Doch trotz der vielen Sachen, die vor allem Selma angeschleppt hat,
ist ihr klar, dass sie und Erik eigentlich gar nicht so viel Platz brauchen.
Selma überlegt sich daher, mit Erik künftig nur das Dachgeschoss und das Durchgangszimmer als ihre Privaträume zu nutzen
und die anderen Zimmer unterzuvermieten.
Das Dachgeschoss ist zwar noch nicht ausgebaut, aber das können sie im Laufe der Zeit selbst in die Hand nehmen.
Als provisorisches Schlafzimmer ist es erstmal gut genug.
Auf das Geld von UntermieterInnen ist Selma zwar nicht angewiesen,
aber es schadet ja nicht, die Finanzen aufzubessern.
Noch dazu auf so einem einfachen Weg.
Also schaltet die 18-Jährige Anzeigen aller MitbewohnerInnen gesucht,
in denen sie das Haus als Villa-Kunterbund anpreist.
So wie Pippi Langstrumpf ihr Zuhause nennt.
Selma ist zwar nicht so extrovertiert wie das freche Mädchen aus dem Klassiker von Astrid Lindgren.
Im Gegenteil, sie ist eher ruhig und zurückhaltend.
Aber mit Pippi hat sie nicht nur die rötliche Haarfarbe gemein,
sondern auch ihre Liebe zum Draußensein.
Selma geht gerne wandern oder auf Reisen.
Und sie macht sich die Welt ebenfalls, wie sie ihr gefällt.
Zumindest in ihren eigenen vier Wänden, in denen sie genauso chaotisch sein kann wie Pippi.
Außerdem teilen die beiden auch die Liebe für Haustiere.
Selma hält zwar kein Äffchen und auch kein Pferd,
dafür streift bei ihr eine Katze umher
und im Garten ihrer Villa-Kunterbund sind auch bald Hasen und Fühner untergebracht.
Selmas Zimmer-Annonce und die Tatsache,
dass es von dem Haus aus mit den Öffis nur 45 Minuten bis zur Uni in München sind,
scheinen viele Wohnungssuchende anzusprechen.
Und so dauert es nicht lang, bis zwei MitbewohnerInnen
in die zwei kleineren Zimmer im Erdgeschoss einziehen
und das Einfamilienhaus zu einer Vierer-WG machen.
Doch ein eigenes Reich zu besitzen bedeutet auch,
dass man Verantwortung übernehmen und sich darum kümmern muss.
Staubsaugen, abspülen, aufräumen, Klo putzen.
Der Haushalt macht sich nicht von allein
und ein eigener Garten bedeutet mit Rasenmähen,
Heckenstutzen und Unkrautjäten ebenfalls allerhand Arbeit.
Darauf legt allerdings niemand in der Wohngemeinschaft besonders viel Wert.
Sowohl Selma als auch die anderen sind nicht gerade die ordentlichsten.
Außerdem gibt es ja nicht nur die menschlichen MitbewohnerInnen,
sondern auch die tierischen, die Dreck machen.
Der muffige Kleintiergeruch vermischt sich mit dem von Zigaretten,
Cannabis und Selmas geliebten Räucherstäbchen.
Weil es aber auch niemanden großartig zu stören scheint,
verlottert das Haus und im Garten wuchert das Unkraut.
Dann, gut ein halbes Jahr nach dem Einzug,
schafft Selma, deren Habseligkeiten schon überall herumliegen,
noch mehr Zeug heran.
Hefte und Bücher, über den sie jetzt immer öfter brütet,
denn sie hat sich an der Fachoberschule angemeldet.
Obwohl sie eine leichte Form von Legasthenie hat,
lässt es sich von der Lese- und Rechtschreibschwäche nicht abhalten,
wieder zu büffeln.
Ihr Ziel ist es, das Abitur nachzuholen und dann Sozialwissenschaften zu studieren.
Doch während sich Selma in den nächsten Jahren auf ihre berufliche Zukunft konzentriert
und deshalb auch nicht mehr so häufig zu Cannabis greift,
konsumiert Erik mit der Zeit immer mehr.
Er lebt in den Tag hinein, lässt sein Studium schleifen und Vorlesungen und Kurse ausfallen.
Stattdessen hockt er stundenlang vor dem PC, zockt viel und kifft noch mehr.
Immer wieder versucht Selma, ihn vorsichtig darauf anzusprechen.
Weil er so oft zugedröhnt ist, muss sie dafür allerdings den richtigen Zeitpunkt abpassen.
Dabei wird es für Selma immer schwieriger, herauszufinden, wann die Gelegenheit gut ist,
denn Eriks Stimmung schwankt extrem.
Im einen Moment ist er noch ruhig, im anderen dann plötzlich aufbrausen und laut.
Und nicht nur das.
Erik, inzwischen Mitte 20, hat kaum noch Lust, etwas mit Selma zu unternehmen.
Selma interessiert sich für Kunst und sie liebt es zu wandern,
aber Erik will weder ins Museum noch in die Berge.
Auch ins Kino, in eine Bar oder mal zum Sport gehen.
Alles, was Pärchen eigentlich so machen, dehnt er ab.
Stattdessen will er irgendwann nur noch zu Hause sein.
Daheim eingeigelt fühlt er sich am wohlsten.
Als Grund dafür nennt er Selma schließlich, dass man ihm draußen ja nachspionieren könnte.
Wer weiß, was dort vor sich gehe.
Selma irritiert die Aussage.
Warum spricht Erik so, als würde unmittelbar vor der Haustür das Böse lauern?
Wie kommt er auf sowas?
Und weshalb sollte man ihn nachspionieren?
Aber Erik beharrt darauf.
Als sie doch einmal zusammen im Restaurant sitzen, ist er davon überzeugt, dass die Leute am Nebentisch ihn beobachten.
Ab da will er nur noch zu Hause bleiben und kiffen.
Und langsam glaubt Selma, dass das Marihuana Eriks Sinne vernebelt und die Drogen in seinem Gehirn diese seltsamen Gedanken auslösen könnten.
Weil Selma nicht will, dass sich Erik noch mehr in seinem Schneckenhaus verschanzt, lädt sie Freundinnen zu sich und Erik nach Hause ein.
Einmal sitzen sie in einer netten Runde zusammen, unterhalten sich und lachen gemeinsam.
Nur einer lacht nicht mit.
Erik.
Als die anderen das merken, verstummt das Gelächter.
Die Stimmung kippt.
Selma versteht nicht wieso.
Was ist denn los?
Erik versucht erst gar nicht, seinen Ärger zu verheimlichen.
Er ist sich sicher, dass die Leute in der Runde nicht einfach so gelacht haben.
Sie haben ihn ausgelacht.
Das sei doch gar nicht wahr, erklären ihm die anderen.
Wieso auch?
Erik lässt sich jedoch nicht beruhigen.
Im Gegenteil.
Er steigert sich immer weiter in seine Wut und beendet den Abend schließlich damit, dass er die Gäste aus dem Haus wirft.
Als Selma ihn zur Rede stellt, regt er sich nur noch mehr auf.
Sie sei kein Deut besser als die anderen.
Sie stecke mit ihnen unter einer Decke, denn sie habe doch auch gelacht.
Selma versucht Erik zu beschwichtigen und wiederholt mit Engelszungen, dass ihm niemand ausgelacht habe.
Sie nicht und auch die anderen nicht.
Aber ihre Worte scheinen gar nicht zu Erik durchzudringen.
Er redet sich in Rage, beschimpft und beleidigt Selma.
Selma wird klar, dass sie ihm nichts entgegensetzen kann.
Also zieht sie sich wieder zurück und wartet ab, bis sich Erik wieder beruhigt.
Damit sich eine solche Szene nicht wiederholt, versucht Selma in der Zeit danach, Erik so viel wie möglich recht zu machen.
Nach dem Vorfall mit den Freundinnen kappt Erik so gut wie alle seine sozialen Verbindungen außerhalb des Hauses und fordert Selma auf, es ihm gleich zu tun.
Er will nicht, dass sie zu viel Zeit draußen verbringt.
Damit er nicht wieder ausflippt, hat auch Selma daher weniger Kontakt zu ihren Freundinnen.
Sie tut das für Erik.
Sie weiß, dass sein schreckliches Verhalten von den Drogen kommt und hinter dieser aggressiven Fassade immer noch das Herz des aufmerksamen Mannes schlägt, in den sie sich verliebt hat.
Also kümmert sie sich geduldig um ihn, fasst ihn nur mit Samthandschuhen an und achtet wie eine Mutter darauf, dass er regelmäßig Essen zu sich nimmt, wenn er auf Drogen isst.
Doch obwohl Selma versucht, alles richtig zu machen, bricht Erik immer wieder Streit vom Zaun und handelt dann unberechenbar.
Selma lässt alles über sich ergehen.
Sie will nur, dass so schnell wie möglich wieder Harmonie einkehrt.
Selma weiß, dass sich Erik eigentlich dringend professionelle Hilfe holen müsste.
Nur mit einem Entzug oder einer Therapie kann er seinen Drogenkonsum und das, was die Substanzen aus ihm machen, in den Griff kriegen.
Aber als sie ihm das vorschlägt, lehnt er ab.
Er will nicht in Behandlung.
Also ist Aushalten für Selma die einzige Lösung.
Denn anders weiß sie sich nicht zu helfen.
Und es ist ja auch nicht immer schlimm.
Es sind nur Phasen, redet sie sich gut zu.
Und wenn die MitbewohnerInnen sie auf die Ausraster von Erik ansprechen, wiegelt sie ab und verteidigt ihren Freund.
Alles gut, halb so schlimm.
Aber wenn Selma ehrlich zu sich ist, dann weiß sie, dass Eriks Verhalten alles andere als okay ist.
Er benimmt sich nicht mehr wie ein Partner auf Augenhöhe, sondern wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt.
Allerdings ist das ja nicht wirklich er selbst, sondern die Drogen, die ihn so verändern, sagt sie sich.
Deshalb ist Selma nachsichtig und lässt so vieles mit sich machen.
Denn Erik ist doch ihre große Liebe.
Liebe ist in ihrer Beziehung aber nicht mehr wirklich zu spüren.
Zumindest nicht mehr so wie früher.
Auch nicht im Bett.
Am Anfang ihrer Beziehung verschmolzen beim Sex nicht nur ihre Körper, sondern auch ihr Geist.
Aber je mehr sich Erik in seinen Verfolgungswahn und sein Misstrauen gegenüber anderen hineinsteigert,
desto mehr verändert sich auch ihr Sexleben.
So weckt er Selma immer wieder mitten in der Nacht unsanft auf und fordert sie auf, mit ihm Sex zu haben.
Jetzt sofort, denn er will es so.
Aber einfach mit Selma zu schlafen ist ihm mittlerweile nicht mehr genug.
Wenn die beiden intim werden, steht Erik immer öfter in hochhackigen Stiefeln und Strapsen vor ihr.
Selma soll ihn dann mit Tüchern, Ketten und Seilen am Bett fesseln.
Selma selbst gibt das Fesseln nichts, aber sie macht mit Erik zuliebe.
Dann, wenn er sowohl seine Arme als auch seine Beine nicht mehr bewegen kann, befiehlt er Selma, ihn zu schlagen.
So, dass es wehtut.
Aber was Erik Lust bereitet, lässt Selma erschaudern.
Weil er allerdings immer wieder darauf beharrt, probiert sie es schließlich.
Aber sie bringt es nicht übers Herz, richtig zuzuschlagen, auch wenn Erik betont, dass er genau das möchte.
Selma kann ihm einfach nicht wehtun.
Und auch das, was er sonst noch von ihr verlangt, liegt so dermaßen weit außerhalb ihrer Komfortzone,
dass sie es nicht schafft, Eriks Bedürfnisse zu erfüllen.
Sie kann ihm nicht, wie er verlangt, in den Mund urinieren oder ihn ankoten.
Das will sie einfach nicht.
Das hat für sie nichts mehr mit Sex oder Zärtlichkeiten zu tun.
Das ist für sie einfach nur eklig.
Also, das kann man ja auch verstehen.
Ja, total.
Und wenn die da nicht übereinkommen, dann ist das eben so, ja.
Ja, aber Selmas Grenzen scheinen Erik egal zu sein.
Wenn sie nicht tut, was er will, hört sie nur sein hämisches Lachen an ihren Ohren.
Er beleidigt und verhöhnt sie.
Selma sei zu schwach und eine Versagerin.
Wow.
Diese Worte aus dem Mund ihrer großen Liebe stechen wie spitze Nadeln in Selmas Herz.
Weil Selma auf seine Forderungen nicht so reagiert, wie Erik sich das vorstellt,
reicht sie ihm im Bett irgendwann nicht mehr.
Obwohl sie keine offene Beziehung führen, schläft er deshalb immer öfter mit anderen Frauen.
Eine davon ist sogar eine Mitbewohnerin.
Er muss also nicht einmal das Haus verlassen, um zu kriegen, was er will.
Dass Erik nicht nur mit ihr, sondern auch mit anderen Frauen Sex hat,
findet Selma nicht zufällig heraus.
Im Gegenteil.
Erik gibt sich gar keine Mühe, seine Affären zu verheimlichen,
sondern lebt sie offen vor Selma aus.
Selma ist wie vor den Kopf gestoßen.
Wie kann der Mann, den sie liebt, ihr so etwas antun?
Doch neben der bitteren Enttäuschung spürt sie tief in ihrem Inneren noch etwas anderes.
Es ist ein Gefühl, das seltsam anmutet, aber Selma fühlt Erleichterung.
Sie ist froh darüber, dass Erik andere Gelegenheiten hat, seine speziellen sexuellen Vorlieben auszuleben.
Denn das bedeutet, dass sie sich nicht mehr dazu verpflichtet fühlen muss, diese Wünsche und Forderungen zu erfüllen.
Die Affären werden zu einem Ventil für den Druck, der schwer auf Selmas Schultern lastet.
Deshalb nimmt es Selma schließlich ohne Widerworte hin, dass sie Erik, zumindest körperlich, nicht mehr nur für sich allein hat.
Als Erik dann aber etwa drei Jahre nach dem Einzug noch einen sehr expliziten Wunsch äußert, sagt Selma nein.
Erik will ihre Beziehung für eine dritte Person, eine weitere Frau, öffnen und so aus ihrer Paar eine Dreiecksbeziehung machen.
Aber Selma will das nicht.
Sie will nur Erik und nicht noch jemanden.
Erik liegt ihr damit allerdings immer wieder in den Ohren.
So lange, bis Selma schließlich einknickt.
Und von da an ist für die nächsten zwei Jahre häufig eine weitere Frau in der WG zu Gast.
Kathi, die sechs Jahre jünger ist als Erik.
Ab da sind es nicht nur Selma und Erik, sondern Selma, Erik und Kathi, die eine Beziehung führen.
Selma allerdings tut das nur Erik zuliebe.
Sie selbst hat kein Bedürfnis, danach auch mit Kathi intim zu werden, macht es dann aber trotzdem für Erik, damit er zufrieden ist.
Und je mehr die 21-jährige Kathi Teil ihres Alltags wird, desto mehr schrumpft Selmas anfänglicher Unwille.
Denn Kathi scheint eine beruhigende Wirkung auf Erik zu haben.
Immer, wenn sie zu Besuch ist, ist er viel ausgeglichener als sonst.
Wie schon zuvor bei seinen Affären ist es auch jetzt so, dass er nicht mehr nur auf Selma fixiert ist.
Mit Kathi hat Erik einen zweiten Kessel, über den er Dampf ablassen kann.
In den zwei Jahren, in denen die drei zusammen sind, lässt sich Kathi jedoch nicht alles gefallen, was Erik treibt.
Auf Sex mit Fesseln oder Hardcore-Pornos, die er mit ihr schauen will, steht Kathi genauso wenig wie Selma.
Doch anders als Selma sagt die 21-jährige klipp und klar nein und lässt sich auch nicht weichklopfen.
Allzu viel Widerstand ist aber nicht nötig, denn Erik verhält sich gegenüber Kathi anders als gegenüber Selma.
Kathis Grenzen akzeptiert er viel eher und ihr gegenüber reißt er sich offenbar auch mehr am Riemen.
Aber je länger die Dreiecksbeziehung andauert, desto weniger kann Erik vor Kathi seine Stimmungsschwankungen und Wutanfälle verbergen.
Wenn ihm etwas nicht passt, führt er sich auf, wie die Axt im Wald, brüllt und tobt.
Einmal schnappt er sich Selmas Personalausweis, zerschneidet ihn und versteckt die Schnipsel im Haus.
Auch vor Haushaltsgegenständen oder Selmas Klamotten macht er nicht Halt.
Die meisten seiner Wutausbrüche, Schimpftiraden und Beleidigungen bekommen zwar Selma ab,
aber auch Kathi merkt, dass die Beziehung sie mehr und mehr belastet.
Nach knapp zwei Jahren hat Kathi dann genug von Eriks zerstörerischem Verhalten.
So lässt sie nicht weiter mit sich umspringen, so behandelt man doch niemanden, den man angeblich liebt
und mit dem man zusammen sein will.
Kathi beendet die Dreiecksbeziehung und kehrt der WG im Osten von München den Rücken.
Selma bleibt im Haus zurück, mit Erik.
Auch sie denkt immer wieder darüber nach, wie Kathi einen Schlussstrich zu ziehen.
Aber es gibt einen Grund, weshalb sie es nicht tut.
Weshalb sie seit mehr als vier Jahren seine Stimmungsschwankungen aushält,
ihre sozialen Kontakte reduziert und Erik vor anderen immer wieder verteidigt.
Weshalb sie sich auf Sexpraktiken einlässt, die sie eigentlich nicht möchte,
seine Affären in Kauf nimmt und sich sogar zu einer Dreiecksbeziehung hat überreden lassen.
Der Grund ist simpel, aber ungeheuer stark.
Selma liebt Erik immer noch.
Trotzdem ist ein knappes halbes Jahr nach dem Ende der Dreiecksbeziehung in der WG die Stimmung eine andere.
Ordentlicher sieht es zwar nicht aus und es riecht auch nicht besser, aber der Umgangston ist freundlicher geworden.
Denn Erik lebt nicht mehr hier.
Nach einem heftigen Streit hat Selma den mittlerweile 27-Jährigen schließlich doch rausgeworfen und aus ihrem Leben verbannt.
Nach sieben Jahren hat sie es geschafft, das Kapitel der Beziehung, die schon lange nicht mehr auf Augenhöhe war, zu schließen.
Obwohl es unschön ausging, kommt Selma über das Ende ihrer ersten großen Liebe schnell hinweg, denn dieses Ende ist für sie auch ein Neuanfang.
Schon wenige Wochen nach dem Beziehungsaus mit Erik hat die inzwischen 23-Jährige einen neuen Freund, Jan.
Der kräftige Mann mit Glatze und dichtem Bart ist zwei Jahre älter als Selma und gelernter Tierpfleger.
Die beiden schwimmen auf der gleichen Wellenlänge und anders als Erik offenbart Jan auch im Laufe der Zeit keine zweite Seite von sich, mit der Selma nicht klarkommt.
Für Selma steht fest, mit Jan hat sie diesmal das Große losgezogen.
Erik mag ihre erste Liebe gewesen sein, aber Jan ist der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen will.
Je länger die beiden zusammen sind, desto stärker wird dieser Gedanke.
Selma und Jan gehören zusammen.
Dessen ist sich Selma mit jedem Jahr ihrer Beziehung, das vergeht, noch sicherer.
Und deshalb heiratet sie ihn auch sechs Jahre nach ihrem Kennenlernen.
Die Trauung ist zwar nicht offiziell gültig, sie findet nach buddhistischem Ritual statt, aber für Selma zählt das genauso.
Jan ist jetzt ihr Mann und sie seine Frau.
Und nicht nur privat ist Selma glücklich, sondern auch beruflich.
Sie schließt ihren sozialwissenschaftlichen Bachelor erfolgreich ab und schreibt sich für den Master in Waldorfpädagogik ein.
Im Dezember 2015, sieben Jahre nach dem Beziehungsaus von Selma und Erik, meldet sich dann eine Frau bei der Polizei.
Sie berichtet den Beamtinnen von einer merkwürdigen Geschichte, die sie wiederum von einem Bekannten gehört habe.
Der Mann habe zwei Jahre lang in einer WG in der Nähe von München gewohnt.
Nach seinem Auszug habe er ihr erzählt, dass in der Wohngemeinschaft seltsame Dinge vor sich gegangen seien.
Ein Mitbewohner habe davon gesprochen, dass auf dem Haus ein dunkles Geheimnis liege.
Einmal habe der Mitbewohner sogar wörtlich zu ihrem Bekannten gesagt, wir sind Mörder, und ihm im Garten eine Stelle gezeigt, wo angeblich eine Leiche liege.
Die Frau berichtet weiter, dass sie die Worte ihres Bekannten stutzig gemacht hätten.
Um mehr darüber zu erfahren, habe sie deshalb eine andere Bewohnerin der WG darauf angesprochen, die zufällig mit ihr studiert.
Sie habe sie gerade rausgefragt, ob das Schauermärchen ihres Bekannten wahr sei.
Liegt im Garten der WG wirklich eine Leiche?
Ja, sagte ihre Kommilitonin.
Ein paar Tage später.
Der Schnee liegt wie eine weiche, weiße Decke über der beschaulichen Wohnsiedlung im Münchner Speckgürtel,
als die Scheinwerfer mehrerer Polizeiwagen die Dunkelheit des frühen Januar morgens durchbrechen.
Nachdem sie vor dem kleinen Haus mit dem großen Garten zum Stehen gekommen sind,
klettern die Einsatzkräfte nach draußen in die klirrende Kälte.
Es sind keine gewöhnlichen Polizistinnen, sondern Mitglieder eines Spezialteams des BKA.
Uniformiert und bewaffnet.
Niemand von ihnen weiß, was sie erwartet, wer sie in dem unscheinbaren Häuschen erwartet.
Deshalb sind sie auf alles vorbereitet.
Aber kurz nachdem sie geklingelt haben, öffnet sich auch schon die Haustür
und der Kontrast zwischen der Spezialeinheit in voller Montur und der Person im Haus könnte nicht größer sein.
Vor ihnen steht eine untersetzte junge Frau mit rotblonden Haaren, unbewaffnet, unauffällig und überrascht von dem Großaufgebot.
Ihr Name ist Selma.
Als die Einsatzkräfte sie damit konfrontieren, dass sie irgendwo auf dem Grundstück eine Leiche vermuten,
leugnet die Frau nicht, sondern deutet mit den Worten
draußen beim Kompost in den verwilderten Garten, in dem auch der Schnee nicht kaschieren kann,
dass sich hier nur selten jemand um Sträucher und andere Gewächse kümmert.
Neben dem Kompost bohren die Ermittelnden kurz darauf scharfe Spatenklingen in den gefrorenen Erdboden
und legen nach und nach einen Leichnam frei, dessen Anblick absurd ist.
Der menschliche Körper ist stark skelettiert.
Aber anders als normalerweise blicken die ErmittlerInnen beim Anblick des blanken Schädels nicht in tiefe, leere Augenhöhlen.
Denn auf diesem sitzt etwas, das bei weitem nicht so schnell verwest wie menschliches Gewebe.
Eine grün-gelbe Schwimmbrille, deren Gläser mit schwarzem Klebeband abgeklebt sind.
Die menschlichen Überreste samt Schwimmbrille kommen umgehend in die Rechtsmedizin.
Weil die Leiche so stark verwest ist, kann sie nur anhand ihres Zahnschemas identifiziert werden.
Und dieses bestätigt, dass es sich bei dem Leichnam um Erik Kögler handelt,
den Ex-Freund der Hausherrin, der offenbar brutal getötet wurde.
Denn wie die Obduktion offenbart, sind Eriks Oberschenkelknochen verletzt und die Schlüsselbeine durchtrennt.
Die auffälligste Verletzung stellen die RechtsmedizinerInnen jedoch an seinem Hals fest.
Seine Wirbelsäule ist zwischen dem siebten Halswirbel und dem ersten Brustwirbel fast vollständig durchtrennt.
Die Schnittflächen wirken wie gesägt.
Das passt zu dem, was Selma auf der Wache angibt.
Als sie dort nach der Tatwaffe gefragt wird, macht sie mit der Hand eine kreisende Bewegung und sagt zwei Worte.
Eine Kreissäge.
Eine solche wird zwar bei der Hausdurchsuchung nicht sichergestellt,
in der dazugehörigen Garage, wenn er sich das Gerümpel nur so stapelt,
machen die Ermittelnden aber eine andere interessante Entdeckung.
In einem blauen Müllsack liegen vier Tagebücher, die offensichtlich Selma gehören.
Die schwer zu entziffernden handschriftlichen Notizen berichten von furchtbaren Gedanken.
Gepaart mit den bruchstückhaften Informationen zu der Leiche,
die Selma bei ihrer Vernehmung preisgibt, ist den PolizistInnen klar,
Hier geht es nicht nur um ein brutales Tötungsdelikt mit einer Kreissäge,
sondern auch um Verfolgungswahn und ungewöhnliche Sexfantasien.
Und dafür muss nicht nur Selma in U-Haft, sondern auch ihr Partner Jan und noch ein weiterer Mann.
In den Boulevardzeitungen wird die Tat schnell als Kreissägenmord bezeichnet
und erregt so nicht nur in München und dem Umland große Aufmerksamkeit.
Eine so außergewöhnlich brutale Tatwaffe und dazu als mutmaßliche Täterin eine junge Frau,
die Waldorfpädagogik studiert und ganz und gar harmlos wirkt.
Wie passt das zusammen?
Das fragt sich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern natürlich auch die Justiz.
Antworten darauf soll der Prozess vor dem Landgericht München 1 geben,
der mehr als ein Jahr auf sich warten lässt.
In diesem wird Selma allein auf der Anklagebank sitzen,
angeklagt wegen heimtückischen Mordes an ihrem damaligen Freund Erik.
Als das Verfahren an einem kalten Februarmorgen 2017 beginnt,
sind zahlreiche Kameralinsen auf die grüne Tür gerichtet,
durch die die mittlerweile 32-jährige Selma in Begleitung von zwei Polizisten
hinter ihrer Verteidigerin den Gerichtssaal betritt.
Unter einer gefütterten braunen Wildlederjacke trägt sie ein graues Jackett mit weißer Bluse,
strohige rötliche Haare umrahmen ihr Gesicht,
das sie hinter einem weißen Blatt Papier verbirgt.
Nachdem sie auf der Anklagebank, genauer gesagt,
dem gepolsterten Stuhl mit orangefarbenem Bezug Platz genommen hat,
beginnt die Beweisaufnahme.
Mithilfe der Aussagen, die Selma der Polizei gegenüber getätigt hat
und dem Inhalt der vier Tagebücher aus der Garage,
entsteht ein Bild von Eriks letzten Stunden
und damit die Geschichte eines Kriminalfalls,
die die Münchner Justiz so noch nicht gehört hat.
Im Dezember 2008 ist die 23-jährige Selma bereits seit langem nicht mehr glücklich.
Anders als vor fünf Jahren beim Einzug in ihr Haus ist die Beziehung mit Erik nicht mehr schön,
sondern einfach nur noch schrecklich.
Eriks Verfolgungswahn und sein Misstrauen gegenüber allem und jedem setzen Selma mittlerweile stark zu.
Genauso wie die Tatsache, dass er regelmäßig wegen nichts und wieder nichts ausflippt.
Wenn Selma seine Forderung beim Sex nach Fesseln, Schlägen und manchmal sogar Urin oder Kot ablehnt,
macht ihr Widerstand den 27-Jährigen nur noch aggressiver.
Selma fällt es zunehmend schwer, mit Eriks Verhalten umzugehen,
bis die Situation im Winter 2008 schließlich eskaliert.
Den Polizeibeamtinnen hatte Selma in ihrer Vernehmung berichtet,
dass Erik an diesem Tag von ihr verlangt,
sie soll ihm ein Mädchen bringen, das er im Keller einsperren
und an dem er sich sexuell vergehen wolle.
Boah, Selma glaubt, sie hört nicht richtig.
Was will Erik?
Er erklärt ihr, dass er in den Medien von der Entführung eines Kindes gehört habe
und etwas Ähnliches tun wolle.
Okay, jetzt reicht es.
Selma hat die Schnauze voll.
Lange genug hat sie sich Eriks Wahnvorstellung angehört,
Dinge nur ihm zuliebe getan und ihm immer nur Verständnis entgegengebracht.
Damit ist jetzt Schluss.
Es ist aus.
Und das sagt die 23-Jährige nicht nur zu sich selbst,
sondern auch zu Erik, als er sich auf den Weg macht,
um selbst nach einem Mädchen zu suchen.
Selma ist sich sicher, jetzt spinnt er komplett.
Als er das Haus verlässt, schließt sie die Tür hinter ihm ab,
mit dem Vorsatz, diesmal stark zu bleiben und ihn nicht wieder reinzulassen.
Allerdings steht Erik einige Zeit später wieder vor ihr.
Wie er hereingekommen ist, weiß Selma nicht.
Eine der beiden Mitbewohnerinnen hat ihm auf jeden Fall nicht die Tür geöffnet.
Die zwei Frauen sind nicht da.
Selma und Erik sind die einzigen in der WG.
In ihrem kargen Schlafzimmer unterm Dach, das nach fünf Jahren immer noch nicht fertig ausgebaut ist
und in dem nach wie vor Werkzeug herumliegt, entscheidet sich Selma dazu, ihren Freund nun doch noch zur Rede zu stellen.
Was sollte diese Forderung nach dem Mädchen?
Auf welche absurden Gedanken kommt er?
Aber Erik hat keinen Bock zu reden.
Statt sich zu erklären oder sich gar zu entschuldigen, wird er, wie so oft, wütend und gemein.
Aber Selma erträgt die Schimpftiraden nicht.
Sie will nicht streiten.
So kitschig es klingt, sie sehnt sich nach Friede, Freude, Eierkuchen.
Um die angespannte Stimmung in Harmonie zu verwandeln, gibt sie deshalb klein bei.
So wie sie es seit Jahren bei jedem kleineren und größeren Konflikt mit Erik macht.
Sie kann einfach nicht anders.
Und so willigt sie auch ein, als Erik dann wenig später Sex möchte.
Also sieht sie zu, wie Erik aus seinen Klamotten schlüpft und sich nackt vor ihr aufs Bett legt.
Das, was er als nächstes tut, mutet skurril an, aber Erik gibt es beim Sex den besonderen Kick.
Er setzt seine schmale Brille ab und tauscht sie mit einer grün-gelben Schwimmbrille,
deren Gläser sowohl außen als auch innen mit schwarzem Tape abgeklebt sind.
Doppelt hält besser.
Weil Erik so nichts mehr sehen kann, hilft Selma ihrem Freund bei seinen weiteren Vorbereitungen auf den Geschlechtsverkehr
und fesselt seine beiden Hände mit Lederriemen und Nylonseilen ans Bettgestell.
Wie Erik sich ihr jetzt präsentiert, wirkt er, der vorher noch so aufbrausend und cholerisch war,
gar nicht mehr so furchteinflößend.
Nackt und verletzlich liegt er vor Selma.
Seine helle Haut hebt sich von dem schwarzen Bettlacken deutlich ab.
Die Beine hat er von sich gestreckt, seine Arme sind über seinem Kopf fixiert,
am Bett angebunden wie ein Hund mit der Leine vor dem Supermarkt.
Und wie der Hund darauf wartet, dass sein Herrchen vom Einkaufen zurückkommt,
wartet Erik mit verbundenen Augen darauf, dass Selma ihm gleich Befriedigung verschafft.
Aber Selma hat keinen Sex mehr im Sinn.
So wie Erik davor ihr liegt, wehrlos und ihr völlig ausgeliefert,
ist ihr klar, dass das der Moment ist, in dem sie sich ein für alle Mal von ihm befreien kann.
Das endgültige Beziehungsaus ist möglich.
Selmas Blick fällt auf ein Werkzeug neben dem Bett,
das sich Selma für den Dachbodenausbau von ihrem Vater geliehen hat.
Eine Handkreissäge mit rotem Hersteller-Logo,
scharfkantigem Sägeblatt und ohne Sicherungsbügel.
Mit der Handkreissäge hat Erik erst kürzlich hölzerne Bretter zersägt
und die Maschine danach nicht wieder weggeräumt.
Nicht einmal den Stecker hat er gezogen.
Jetzt greift Selma, die auf Eriks Kopfhöhe neben dem Bett steht
und ihren Freund quer vor sich liegen sieht, nach der Kreissäge.
Sie legt den Schalter um, das Sägeblatt beginnt zu rotieren
und schon drückt die 23-Jährige das Werkzeug mit beiden Händen seitlich gegen Eriks Hals.
Erst einmal, dann ein zweites Mal.
Das scharfe Blatt durchtrennt nicht nur Haut und Wirbel, sondern auch Blutgefäße.
Es spritzt durch den Raum.
In Sekundenschnelle befleckt die rote Flüssigkeit das Bettlaken
und noch schneller hört Eriks Herz auf zu schlagen.
Vor Selma liegt jetzt ihr toter Freund.
Blut überströmt, die Arme ans Bett gefesselt, die abgeklebte Schwimmbrille auf der Nase.
Selma verlässt das Schlafzimmer, steigt die Treppe hinunter ins Erdgeschoss
und geht vom Durchgangszimmer ins Bad, wo sie sich Eriks Blut abwäscht.
Dann kehrt sie zurück und sperrt die Tür ab, die sie vom Durchgangszimmer zur Treppe ins Dachgeschoss führt.
Das, was sie gerade getan hat, will sie hinter sich lassen.
Im wahrsten Sinne des Wortes.
Deshalb ist das Dachgeschoss für sie fortans Sperrgebiet, das sie nicht mehr betritt.
Stattdessen lebt sie im Durchgangszimmer.
Weil das, genau wie das Dachgeschoss, Teil ihrer Privaträume ist,
muss sie nicht befürchten, dass eine ihrer Mitbewohnerinnen sich zufällig in diesem Teil des Hauses aufhält.
Und so lebt Selma ihr Leben weiter.
Allein und ohne Erik.
Nach dem Motto, aus den Augen, aus dem Sinn.
Denen, die nach ihm fragen, erzählt sie, dass sie sich getrennt hätten und Erik mit einer neuen Flamme abgehauen sei.
Dabei liegt seine Leiche in Wirklichkeit nur eine Etage über ihr.
Aber mit der Zeit beginnt sich der Verwesungsgeruch im Haus auszubreiten.
Daher steigt Selma doch noch einmal hoch ins Dachgeschoss.
Sie schaltet die Kreissäge ein weiteres Mal ein und versucht, Eriks toten Körper zu zerteilen.
Aber es gelingt ihr nicht.
Die kleine Maschine kommt schnell an ihre Grenzen und deshalb bleibt Eriks Leiche auf dem Bett liegen wie bisher.
Um den Gestank zu übertünchen, versucht Selma mit intensiven Düften wie Patchouli und Moschus entgegenzusteuern.
Das kennen wir ja auch schon von Fakko Fritz Honka, der immer diese Dufthandbäume überall verteilt hat.
Zu Gute kommt Selma, dass es in der verlauterten WG nie besonders gut gerochen hat und die zusätzliche Komponente so nicht weiter auffällt.
So geht das WG-Leben wie gewohnt weiter.
Nur ist es jetzt ohne Erik deutlich ruhiger und friedlicher.
Und Selma bleibt nicht lang allein.
Nach der Tat lernt sie ihren neuen Freund Jan kennen.
Als Selma dann wenige Wochen später im Frühsommer 2009 in den Urlaub fährt,
bittet sie Jan, sich in der WG um ihre Katze zu kümmern.
Als sie zurückkommt, freut sie sich, ihren Freund wieder in die Arme zu schließen.
Doch auf das, was Jan ihr zu sagen hat, ist sie nicht vorbereitet.
Jan erzählt ihr, dass er wisse, was sie getan habe.
Er sei im Dachgeschoss gewesen und habe die blutdurchdrängte Matratze mit der verwesenen Leiche des Mannes darauf gesehen.
Er könne eins und eins zusammenzählen.
Der Mann muss Erik sein, Selmas früherer Freund.
Als die 23-Jährige damit konfrontiert wird, bricht sie in Tränen aus.
Jetzt kommt alles ans Licht.
Jetzt muss sie für ihre Tat ins Gefängnis.
Aber Jan sagt, er sei bisher nicht zur Polizei gegangen.
Erst wolle er hören, was Selma dazu zu sagen hat.
Also berichtet sie schluchzend und schniefend das Offensichtliche,
dass sie und Erik sich nicht vor einem halben Jahr getrennt haben,
sondern dass seine Leiche seitdem im Dachgeschoss liegt.
Selma ist ein Häufchen elend, als sie Jan gesteht, Erik mit einer Handkreissäge getötet zu haben,
weil sie den, Zitat, ganzen Horror nicht mehr ertragen habe.
Recht viel mehr muss sie nicht erklären.
Sie hat Jan schon früher berichtet, dass die Beziehung zu Erik schwierig war
und dass sie große Angst vor ihrem Exfreund hatte.
Jan scheint das zu genügen, um einen Entschluss zu fassen.
Er macht deutlich, dass er Selma liebe und auch jetzt nicht verraten werde,
obwohl sie ihm gerade gestanden hat, dass sie seinen Vorgänger getötet hat.
Als Selma das hört, fällt ihr ein Felsbrocken vom Herzen.
Und Jan sagt noch mehr.
Er werde sich darum kümmern, Eriks Leiche zu entsorgen.
Wie Selma ein halbes Jahr zuvor versucht Jan nun, den toten Körper zu zerteilen.
Aber auch ihm gelingt es nicht.
Denn er muss sich immer wieder übergeben.
Also wird ein neuer Plan geschmiedet.
Die Leiche soll im Ganzen im Garten vergraben werden.
Weil Jan sie alleine aber nicht tragen kann, weilt er seinen Kumpel Carsten ein,
der passenderweise als Landschaftsgärtner arbeitet.
Auch der fühlt sich nicht dazu verpflichtet, die Polizei zu rufen,
sondern willigt ein, eine fremde Leiche verschwinden zu lassen
und so ein Tötungsdelikt zu vertuschen.
Also was sind das für Leute, fragt man sich so ein bisschen.
Alle sind so, ja, ja, kein Problem, mach ich.
Selma ist guter Dinge.
Zu dritt werden sie es schaffen, den Mantel des Schweigens,
den Selma einst ausgebreitet hat, nicht zu lüften,
sondern ihr dunkles Geheimnis noch fester darin einzuhöhlen.
Die Aufgaben des Trios sind klar verteilt.
Während Selma im hinteren Teil des Gartens in der Nähe des Komposts
ein Grab für Erik schaufelt,
bereiten sich Jan und Carsten auf ihren Part vor.
Um sich aufzuputschen, rauchen sie Joints und nehmen Kokain.
Das ist immer eine super Idee,
bevor man eine Leiche verschwinden lässt, Mann o Mann.
Dann ziehen sie sich in Teebaumöl getränkte Schutzmasken
über Nase und Mund, um dem Verwesungsgeruch zu trotzen.
Sie wickeln Eriks Leichnam in Folie,
tragen ihn die Treppe hinunter durch das Haus in den Garten,
legen ihn in das Loch, das Selma ausgehoben hat,
und vergraben ihn.
Danach überstreicht Jan im Dachgeschoss die Blutspritzer
mit Farbe und die Matratze,
die vor Blut und anderen Körperflüssigkeiten nur so trieft,
verbaut er als Dämmung hinter der Wandverkleidung.
Eriks Habseligkeiten landen im Müll.
Auch die Kreissäge schmeißt Selma in die Abfalltonne.
Und als bis auf das Grab im Garten
nichts mehr an Eriks Existenz
und ihr schreckliches Ende erinnert,
müssen Selma, Jan und Carsten nur noch daran arbeiten,
all das aus ihren Gedanken zu verbannen.
Jan schenkt Selma dafür Notizbücher,
damit sie alles, was passiert ist, niederschreiben und dadurch besser verarbeiten kann.
Mit der Zeit geht in der WG dann alles wieder zur gewohnten Tagesordnung über.
Doch Jan kann das Geschehen wohl nicht so gut mit sich allein ausmachen.
Im Rausch plaudert er das Geheimnis irgendwann
gegenüber einem neuen Mitbewohner aus,
der es letztendlich einer Freundin erzählt,
die es wiederum der Polizei berichtet.
Und deshalb sitzt Selma jetzt über acht Jahre nach der Tat vor Gericht.
In der Verhandlung leugnet Selma nicht, was ihr vorgeworfen wird,
obwohl sie selbst keine Bilder mehr vor Augen haben will,
wenn sie an die Tat denkt.
Auch der Ablauf sei nicht linear.
In meiner Erinnerung ist es eher Kaugummi-artig, sagt sie vor Gericht.
Trotzdem versucht sie zu erklären, wieso sie tat, was sie tat.
Ihre Stimme ist dabei leise, sie redet undeutlich und eher wie ein Kind,
als wie eine erwachsene Frau.
Erik nennt sie dabei nicht beim Vornamen, sondern beim Nachnamen
und spricht über ihn förmlich als Herr Kögler.
Der sei, Zitat, zwei Menschen gewesen.
Der eine Mensch sei wahnsinnig intelligent, sehr humorvoll, gut erzogen.
Über den zweiten sagt Selma nicht viel,
jedoch berichtet sie von einer medizinischen Diagnose,
die Erik ihr einst anvertraut habe.
Laut Selma lädt der 27-Jährige an einer Borderline-Störung,
die sein cholerisches Auftreten, das Misstrauen gegenüber Dritten
und den Verfolgungswahn erklären könnte.
Zwar bestätigen ehemalige MitbewohnerInnen der beiden Eriks
wahnhaftes Verhalten,
sowie seine verbalen Übergriffe und Beleidigungen Selma gegenüber.
Kathi, die Frau, mit der Erik und Selma eine Dreiecksbeziehung hatten,
berichtet auch davon, dass Erik ab und an Selmas Sachen demolierte
und etwa ihren Ausweis zerschnitten hatte.
Die Borderline-Störung, die Erik laut Selma gehabt haben soll,
lässt sich allerdings nicht belegen.
Genauso wenig ergaben die Ermittlungen,
dass Erik tatsächlich ein Mädchen oder ein Kind entführen und missbrauchen wollte.
Weder in Eriks Pornosammlung noch anderswo wurden Anhaltspunkte festgestellt,
die für eine pädophile Neigung sprechen würden.
Auf die Frage, warum Selma ihren Freund getötet hat,
antwortet sie zunächst so, wie sie es auch in ihrer polizeilichen Vernehmung
und zuvor schon in ihren Tagebüchern getan hat.
Sie habe extrem unter der Beziehung gelitten
und keinen anderen Ausweg mehr gesehen.
Einfach Schluss machen sei nicht möglich gewesen,
denn Erik habe sogar gedroht, alle, die Selma kenne
oder bei denen sie sich Hilfe suchen würde, umzubringen.
Auch vor Selma selbst hätte er womöglich nicht Halt gemacht,
denn einmal notierte sie, Zitat,
er legte sich einfach hin und befahl mir, es ihm richtig geil zu besorgen.
Ich wusste, wenn nicht, kann ich gleich auf die Schienen laufen.
Selma schrieb in ihren Aufzeichnungen,
dass sie große Angst vor Erik hatte
und aufgrund seiner jahrelangen Demütigung und Übergriffe
letztlich vor einer, Zitat,
Ich-oder-Er-Situation gestanden habe.
Die Beziehung zu beenden hätte nichts gebracht.
Daher sei die Tötung die sicherste Lösung des Problems gewesen,
damit Erik, Zitat,
nicht den Spieß umdrehe.
So hielt Selma es in ihrem Tagebuch fest.
Daher griff sie zur Kreissäge.
Im Laufe des Prozesses scheint sich die 32-Jährige
aber noch einmal Gedanken über den tatsächlichen Grund
ihres Handelns gemacht zu haben,
eventuell, um mit einer milderen Strafe davon zu kommen.
Daher führt sie mittendrin ein weiteres Motiv an,
das im kompletten Gegensatz zu ihrem Ersten steht.
Selma erklärt, sie habe Erik eigentlich gar nicht töten wollen.
Stattdessen sei es sein eigener Wunsch gewesen,
getötet zu werden.
Kennt man, also, dass man den Wunsch verspürt,
sich eine Brille aufzusetzen,
nackt zu sein
und dass man dann mit einer Kreissäge bearbeitet wird.
Also, es ist gängig.
Und Selma sagt eben,
so habe sich Erik ihr gegenüber geäußert.
Ist Selmas Tat ein Akt der Nächstenliebe?
Das bestätigt zumindest Jan.
Als er in den Zeug in den Stand tritt,
bekräftigt er Eriks Todeswunsch.
Selma habe ihm davon berichtet.
Erik habe gesagt, Zitat,
sein eigener Wahnsinn habe es sich gewünscht.
Tötung auf Verlangen per Kreissäge?
Prozessbeobachtende zweifeln seltsamerweise an dieser Geschichte.
Wie glaubhaft ist die Aussage eines Mannes,
der Selma beim Verscharren der Leiche geholfen hat
und weiterhin zu ihr steht.
Viel wahrscheinlicher wirkt es,
dass Selma mit der Geschichte von Eriks angeblichem Wunsch zu sterben
nur versucht, ihre eigene Haut noch so gut es geht zu retten.
Um derlei Spekulationen in Klarheit zu verwandeln,
ist man umso gespannter darauf,
was der psychiatrische Gutachter über Selma zu sagen hat.
Als der Experte vor der Richterinnenbank Platz nimmt,
erläutert er, dass Selma überdurchschnittlich intelligent sei.
Ihre Persönlichkeit sei jedoch akzentuiert
durch eine depressive Grundstruktur und geringes Selbstvertrauen,
das sich in Fatalismus, sprich also der Einstellung,
dass das Schicksal unausweichlich ist
und einer ausgeprägten Abhängigkeit widerspiegle.
Vor allem in intensiven Partnerschaften,
wie der mit Erik,
erlebe sich Selma fremdbestimmt und wenig autonom.
Ein möglicher Grund dafür,
dass Selma es nie geschafft hat,
sich von Erik zu trennen,
obwohl ihre Beziehung schon lange nicht mehr so war,
wie sie es sich wünschte.
Der Gutachter erklärt auch,
dass die Tatwaffe Kreissäge es zwar vermuten lasse,
bei Selma jedoch kein erhöhtes Aggressionspotenzial vorliege.
Alles in allem würden alle ihre Persönlichkeitszüge
Zitat
innerhalb der normalpsychologischen Bandbreite liegen.
Das Fazit des Sachverständigen lautet daher,
womöglich war Selma Erik in gewisser Weise hörig,
aber eine Psychose oder eine andere tiefgreifende Bewusstseinsstörung,
die ohne freie Willensentscheidung zu der Tat führte,
sei nicht festzustellen.
Dass die unscheinbare Pädagogikstudentin
trotzdem zu solch einer ungewöhnlichen Tatwaffe griff,
ist für viele im Gerichtssaal schwer zu begreifen,
obwohl sie inzwischen fast alle Verhandlungstage hinter sich gebracht haben
und kein Zweifel daran besteht,
dass sie die Tat begangen hat.
Ja, und darüber können wir mal kurz sprechen,
weil es ist schon so,
dass dieser Prozess auch für so viel Aufmerksamkeit gesorgt hat,
weil es halt diese Kreissäge war,
die sie benutzt hat.
Sowas Marzialisches
und dann noch eben in der Hand einer Frau.
Das war da eben für viele unbegreiflich,
weil es vielleicht eher eine Tatwaffe ist,
die man jetzt einem Mann zutrauen würde.
Und das liegt ja daran,
dass Männer viel öfter,
ich nenne es jetzt mal, mit den Händen töten.
Das sehen wir auch hier bei Mordlust ganz oft.
Also die erwürgen oder erdrosseln ihre Opfer
oder benutzen irgendwie Hilfsmittel wie Messer oder Schusswaffen.
Und Frauen dagegen greifen eben eher zu subtileren Mitteln
wie Gift oder einer Medikamentenüberdosis,
weil Frauen halt oft körperlich dann unterlegen sind.
Und deswegen halt so eine direkte Konfrontation vermeiden,
bei der der Gegner oder die Gegnerin,
sage ich jetzt mal,
sich sozusagen zu wehren wüsste.
Genau, und das wäre ja auch bei Selma der Fall gewesen,
wenn Erik jetzt nicht mit verbundenen Augen
und gefesselt vor ihr gelegen hätte
und dadurch nicht wehrlos gewesen wäre.
Und diese Wehrlosigkeit,
die spielt jetzt eine wichtige Rolle bei der Frage,
auf die das Gericht nach Abschluss der Beweisaufnahme
eine Antwort finden muss.
Nämlich, hat Selma Eriks Tötung tatsächlich heimtückisch begangen
und sich daher des Mordes schuldig gemacht,
so wie es die Staatsanwaltschaft angeklagt hat?
Oder ist das Mordmerkmal der Heimtücke nicht gegeben
und Selma deshalb nur wegen Totschlags zu verurteilen,
so wie das ihre Verteidigerin jetzt in ihrem Plädoyer betont?
Und je nachdem macht das natürlich einen großen Unterschied
für das Strafmaß.
Wir wissen ja, wenn man Mord bekommt,
dann wird man mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft.
In der Regel bedeutet das mindestens 15 Jahre Haft.
Und bei Totschlag wird man mit maximal 15 Jahren Haft bestraft.
Und was das richtige Strafmaß angeht,
steckt der Teufel eben im Detail.
Genau, und nur einmal kurz zur Erinnerung.
Also heimtückisch handelt,
wer die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers
bewusst zur Begehung der Tat ausnutzt.
Also das heißt, dass der Täter oder die Täterin das Opfer,
das keinen Eingriff erwartet, überrascht
und es ihm deshalb nicht möglich ist,
dem Eingriff was entgegenzusetzen.
Außerdem muss der Täter oder die Täterin
diese, jetzt ist Jurasprech,
auf der Arglosigkeit beruhende Wehrlosigkeit
bewusst mit dem Vorsatz der Tötung ausgenutzt haben.
In Selmas Fall muss jetzt zum einen geklärt werden,
ob sie Eriks Arg und Wehrlosigkeit bewusst zur Begehung der Tat ausgenutzt hat.
Zum anderen ist noch was anderes entscheidend,
nämlich wann sie beschlossen hatte, Erik zu töten.
Schon bevor bzw. während er sich die abgeklebte Schwimmbrille aufsetzte
und sich fesseln ließ oder hat sie den Tötungsentschluss erst dann gefasst,
als Erik schon gefesselt und mit verbundenen Augen vor ihr lag.
So und Selma hat ja die Entwicklung ihrer Beziehung in ihren Tagebüchern da festgehalten
und die Staatsanwaltschaft weiß ja auch, dass sie sich zu dem Zeitpunkt nicht anders zu helfen wusste.
Und deswegen ist sich die Staatsanwaltschaft jetzt halt sicher,
dass Selma den Tötungsentschluss schon hatte,
als er sich die Schwimmbrille aufsetzte und sich breitwillig von ihr fesseln ließ.
Selmas Verteidigerin hält aber dagegen und sagt,
ihre Mandantin sei, Zitat,
Überhaupt zweifelt die Juristin Eriks arg und wehrlose Situation grundsätzlich an,
obwohl Selma in ihren Tagebüchern darüber schreibt.
Doch laut Ansicht der Verteidigerin könnten ihre Aufzeichnungen auch eine Zitat
Vermengung aus Realität und Vorstellung sein,
um sich selbst zu rechtfertigen, um Gefühle aufzuarbeiten.
Auch, dass die Polizei Eriks Leiche mit der Schwimmbrille auf der Nase gefunden hat,
ist für sie kein Beweis für die Arg- und Wehrlosigkeit.
Man hätte sie ihm genauso gut erst nach der Tötung aufsetzen können.
Die Geschichte mit der Schwimmbrille liege genauso wie die Fesslung, Zitat,
alles im Bereich des Spekulativen, so Selmas Rechtsbestand.
Selma selbst kann bei der Beantwortung der Frage am Ende auch nicht weiterhelfen,
rückt sogar von ihrem zweiten Motiv, also Eriks angeblichen Todeswunsch, ab.
In ihren Augen stehen Tränen und ihre Stimme zittert,
als sie vor Urteilsverkündung ein Blatt Papier zur Hand nimmt und einen kurzen Text vorliest.
Zitat,
Nicht nur die Medien, sondern auch die Öffentlichkeit erwartet die Urteilsverkündung am 19. Mai 2017,
Achteinhalb Jahre nach der Tat mit Hochspannung.
Der vorsitzende Richter findet für das, was Selma getan hat, deutliche Worte.
Die Tötung ist skurril und bizarr und erfüllt die Voraussetzungen eines Horrorszenarios.
Wer einem anderen eine laufende Handkreissäge zweimal gegen den Hals drückt, handelt mit absolutem Vernichtungswillen.
Umso erstaunter reagieren die ProzessbesucherInnen auf das Urteil, das der Vorsitzende im Namen des Volkes spricht.
Selma wird nicht, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt.
Zu zwölfeinhalb Jahren Haft.
Das Gericht geht zugunsten von Selma davon aus, dass sie den Beschluss, Erik zu töten, erst nach der Fesselung gefasst hat.
An den elf vorangegangenen Verhandlungstagen sei nicht belegt worden, dass die Tötungsabsicht schon vor der Fesselung bestand.
Es liege auch keine heimtückische Tatbegehung vor, denn dafür müsste die Wehrlosigkeit des Opfers eine Folge seiner Arglosigkeit sein.
Gemessen daran handelte Selma nach Auffassung des Gerichts nicht heimtückisch, was der Vorsitzende folgendermaßen erklärt.
Erik war zwar aufgrund der Tatsache, dass er die abgeklebte Schwimmbrille trug und nichts sah, als Selma ihm die Kreissäge an den Hals drückte, arglos.
Für ihn bestand zu diesem Zeitpunkt nämlich kein Anlass für die Annahme, dass seine langjährige Freundin ihn in diesem Moment lebensgefährlich angreift,
weil Erik hat sich schon oft von Selma bei solchen Sexspielen fesseln lassen und auch schon mit verbundenen Augen.
Und Erik war auch wehrlos, weil er war mit den Händen ans Bett gefesselt.
Also mit den Beinen zu strampeln hätte da auch nicht viel gebracht und schreien war auch keine Option, weil außer Selma und ihm war ja niemand im Haus.
Erik war also sowohl arglos als auch wehrlos.
Das große Aber, das das Gericht feststellt, seine Wehrlosigkeit beruhte nicht auf seiner Arglosigkeit.
Denn wehrlos war Erik nicht, weil er vorher arglos war, sondern weil er sich schon vorher fesseln ließ.
Und wenn sich das Opfer selbst in diese Lage bringt, also selbst verteidigungsunfähig machen lässt,
bevor der Täter oder die Täterin, also Selma, den Tötungsentschluss fasst,
dann fehlt es an der Ursächlichkeit der Arglosigkeit für die Wehrlosigkeit.
Denn Wehrlosigkeit beruht ja eben nicht etwa auf einem überraschenden Angriff,
sondern wurde ja in diesem Fall gerade freiwillig vom Opfer und unabhängig davon herbeigeführt.
Das bloße Ausnutzen einer günstigen Gelegenheit zur Tötung eines verteidigungsunfähigen Menschen reicht nicht aus, um das Mordmerkmal zu bejahen.
Kurzer Einschub, es wurden ja einige Ausnahmefälle geschaffen, wie jetzt zum Beispiel, wenn man jemanden im Schlaf tötet.
Dass sich Erik hier aber in Arglosigkeit die Brille aufsetzte, kann damit nicht verglichen werden.
Und deswegen ist das Mordmerkmal der Heimtücke hier nicht erfüllt.
Der Kreissägenmord, von dem in den Medien auch während des Prozesses noch immer die Rede ist,
ist in Wahrheit also ein Kreissägentotschlag, für den Selma, trotz des milderen Urteils, jahrelang ins Gefängnis geht.
Aber nicht nur sie wird verurteilt.
Auch Jan und sein Kumpel Carsten werden vor Gericht gestellt.
Weil die beiden Eriks Leiche vergraben haben, müssen sie sich wegen Strafvereitelung verantworten.
Jan erklärt vor Gericht, dass er das aus Liebe getan habe.
Er habe zu große Angst gehabt, dass Selma die Haft nicht überstehe und ihr deshalb helfen wollen.
Jans Kumpel Carsten dagegen sagt, er habe Selma schlicht nett gefunden und weil sie so aufgelöst gewesen sei, habe er helfen wollen.
Den Tathergang selbst will er gar nicht gekannt haben.
Er habe auch gar nicht genauer darüber nachgedacht.
Inzwischen könne er nicht fassen, dass er der Bitte seines Kumpels damals nachgekommen sei und er bereue, was er getan hat.
Das Gericht verurteilt Jan schließlich zu zwei Jahren und acht Monaten.
Carsten muss für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis.
Dagegen gehen beide in Berufung.
Carsten zieht den Antrag dann aber wieder zurück.
Jan beharrt jedoch darauf.
Er sagt, Zitat,
Ich weiß, dass ich gegen das Gesetz gehandelt habe, aber ich habe es getan, um ihr zu helfen.
Er sei damals, Zitat,
sehr verzweifelt gewesen.
Ja, aber Zweck heiligt jetzt nicht immer alle Mittel.
Ja, und wie verzweifelt bist du, wenn es immer noch deine Freundin, die jemanden umgebracht hat.
Ja, ja.
Also genau, er selber war doch gar nicht jetzt in einer bedrohlichen Verzweiflungssituation.
Also, er kann mit der Situation sehr unzufrieden gewesen sein, aber jetzt so verzweifelt, dass man das Gesetz brechen muss.
So ein bisschen, naja.
Ja.
Aber auch sein Anwalt erklärt, dass Jan nur eine, Zitat, psychisch unerträgliche Situation auflösen wollte.
Das sei ein anderer Antrieb, als bewusst ein Verbrechen zu begehen.
Doch die Berufung wird abgelehnt.
Jan kommt genau wie Carsten und seine große Liebe Selma ins Gefängnis.
Anders als Löwenjunge Simba muss die 32-Jährige ihr Reich, in das sie damals voller Vorfreude auf ihr Leben als Erwachsene eingezogen ist,
eintauschen gegen einen kleinen, kargen Haftraum mit vergitterten Fenstern und einer Tür, die sich nur von außen öffnen lässt.
Das ist ihre Strafe dafür, dass sie ihren Freund getötet hat.
Auf diesem Weg hat sie die Beziehung beendet, die für Selma schon lange keine mehr war.
Denn Erik war nicht mehr der Mann, den sie als Jugendliche kennen und lieben gelernt hat.
Er hat ihre Beziehung vergiftet, sie nicht wie eine Partnerin auf Augenhöhe behandelt.
Doch anstatt sich von ihm zu trennen, hat sich Selma dafür entschieden, den Lebensweg des Mannes,
der für sie einmal ihr Ein und Alles war, mit einer Kreissäge zu beenden.
Und obwohl Selma nach Eriks Tötung mit Jan noch einmal einen neuen Partner gefunden hat,
der für sie sogar ohne mit der Wimper zu zucken ein Verbrechen versteierte,
kann sie auch mit ihm nicht zusammen sein.
Denn Selmas Tat hat sowohl sie als auch Jan hinter Gittern gebracht.
Ihre Entscheidung, einen Menschen zu töten, um sich selbst zu befreien,
hat letztlich dazu geführt, dass sie die nächsten Jahre wieder eingesperrt verbringen muss.
Diesmal nicht in einer selbstgewählten Beziehung, sondern hinter dicken Gefängnismauern.
Währenddessen steht Selmas einstiges Zuhause im Osten von München unbewohnt und verlassen da.
Der ohnehin ungepflegte Garten wuchert immer weiter.
Im Ort ist die Immobilie bis heute trotz allem als das Mordhaus bekannt.
Als das Haus, in dem eine junge Frau zur Kreissäge griff und ihr Freund so das Leben nahm.
Das dunkle Geheimnis, von dem einst die Rede war, ist inzwischen gelüftet.
Aber über dem kleinen Haus mit der hellen Fassade liegt es noch immer wie ein schwarzer Schatten.
Also es ist so, man fühlt die ganze Zeit im Fall so mit der Selma, finde ich.
Weil viele sicherlich auch wissen, wie das ist, weil man in Beziehungen unter Druck gesetzt wird,
vielleicht auch Sachen machen soll, die man gar nicht machen will.
Irgendwie bei ihr kommt jetzt auch noch diese sexuelle Komponente dazu.
Und dann, ich meine, da wissen wir nicht, ob das stimmt, aber diese Erzählung davon,
dass sie so Angst hatte, dass er dann auch noch eine schlimme Straftat begehen will,
so wie das mit diesem entführten Kinn, aber dann kippt das auf einmal so krass.
Ja.
Und dann steht die da neben dem mit einer Kreissäge in der Hand und will den Kopf abtrennen.
Also ich will wirklich sofort mein Mitleid, was ich mit der Frau hatte, zurück.
Also das ist, ja, das ist so ein krasses Bild.
Schon alleine diese Kreissäge und wie er da liegt mit dieser Schwimmbrille,
das kriegt man ja auch gar nicht aus seinem Kopf raus, wenn man sich das einmal vorgestellt hat.
Und das macht diese Geschichte, finde ich, generell ganz absurd
und hat teilweise ja sogar was Humoreskes,
weil dann wird erstmal irgendwie mit Patchouli und Moschus und so da alles irgendwie ausgehangen,
dass niemand das riecht.
Dann wird der Landschaftsgärtner dazu geholt, um die Leiche zu vergraben.
Ja, ich weiß, was du meinst.
Das wirkt so, aber gerade weil wir eben vom goldenen Handschuh geredet haben,
das war auch damals ja die Kritik bei Fatih Akin,
dass er diesen Kriminalfall irgendwie zu so einem Kunstsplatter-Kammerspiel gemacht hat
und dass er das so überzeichnet hat, dass er damit den Opfern und dem Täter die Würde genommen haben soll.
Und ich meine, das war, habe ich auch so empfunden,
dass man sich durch diese Darstellung ihnen auch gar nicht richtig nahe fühlen konnte,
obwohl auch das am Ende sehr, sehr traurige Lebensgeschichten waren
und sie vielleicht auch wie andere Menschen Familien hatten, die die verloren haben.
Ja, und was wir hier bei all diesen absurden Umständen nicht vergessen sollten,
ist, dass da offenbar ein junger Mann wahnhaft erkrankt war.
Wir will jetzt keine Diagnose hier stellen,
aber die Symptome haben ja auch für eine paranoide Erkrankung möglicherweise gesprochen.
Und dem Mann hat niemand geholfen.
Und offenbar hat auch nach seinem Tod niemand genug Druck bei der Polizei gemacht
oder die haben sich halt dagegen gestellt, da genügend nachzuforschen,
so dass es vielleicht auch schon vorher hätte aufgeklärt werden können.
Ja, total.
Und da muss man ja auch wirklich sagen, gut, dass irgendwie die drei oder zumindest ja Jan
das dann doch irgendwie nicht für sich behalten konnte
oder mit so etwas Schrecklichem nicht umgehen konnte
und das dann irgendwie ausgeplaudert hat.
Also wäre diese Frau nicht zur Polizei gegangen,
dann wäre das vielleicht alles gar nicht rausgekommen.
Und das macht für mich diesen Fall auch nochmal so unglaublich.
Das macht einem ja auch Angst, dass am Ende kommt es nur raus,
weil sich jemand verplappert.
Ja, das stimmt.
Wir hatten euch neulich auf Instagram gefragt,
welchen bekannten Fall wir hier bei Mordless noch besprechen sollen.
Und ein Fall, der da ganz oben auf der Wunschliste war,
ist bei uns schon an der Produktion.
Den wollten wir aber erst besprechen, wenn wir ein Urteil dazu in den Händen halten.
Und jetzt ist das endlich passiert und den Fall bespreche ich dann nächste Woche
mit einer Journalistin, die sehr nah dran war an den Beteiligten.
Super, super spannend.
Bis nächste Woche.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.
Untertitelung des ZDF für funk, 2017