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#187 Der fall gisèle pelicot

Mordlust.
Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin Laura Wohlers,
mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren.
Die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Schön, dass ihr dabei seid. Heute bespreche ich wieder alleine einen Fall.
Neulich haben wir eine Umfrage auf unserer Instagram-Seite Mordlust, der Podcast gemacht.
Schaut da gerne mal vorbei.
Und wir haben gefragt, welchen Fall wir unbedingt mal besprechen sollten.
Und der, den ihr hier heute hören werdet, der war auf Platz zwei.
Den haben sich also ganz, ganz viele Menschen gewünscht.
Und zwar geht es um Giselle Pelicot.
Das ist auch der Fall, der uns im letzten Jahr am meisten vorgeschlagen wurde.
Und dass wir den jetzt erst erzählen, hat einen Grund.
Und das wollte ich einmal kurz erklären an dieser Stelle, weil wir immer wieder Fälle vorgeschlagen bekommen, die noch nicht abgeschlossen sind.
Also wir arbeiten hier in den allermeisten Fällen mit Urteilen und auch nur mit denen, die schon rechtskräftig sind.
Für uns ist das wichtig, weil diese Informationen als gesichert gelten und uns das quasi eine gewissenhafte Arbeit ermöglicht.
Also ihr müsst euch das so vorstellen, das fängt bei so Sachen an, ob jemand um eine bestimmte Uhrzeit irgendwo langgelaufen ist oder halt nicht.
Und hört bei Bezeichnungen auf, ob jemand ein Mörder ist oder nicht.
Und weil unsere Art, die Fälle zu erzählen, ja darauf angelegt ist, eine Geschichte zu erzählen, wie sie war.
Also wir sagen quasi, er ging um neun Uhr zum Bäcker und nicht Manuel F. gibt vor Gericht an, um neun Uhr beim Bäcker gewesen zu sein.
Und deswegen brauchen wir eben in der Regel ein rechtskräftiges Urteil in der Hand.
Was haben wir jetzt?
Und was uns außerdem noch wichtig war, war ein Buch.
Und zwar das ist der Tochter von Giselle Pelicot.
Und ich werde dich nie wieder Papa nennen.
Das ist im Januar im Kiwi-Verlag erschienen.
Wir haben das dankenswerterweise vorab zur Recherche bekommen.
Vorher gab es das nur auf Französisch.
Und weil wir uns nicht auf andere Medienberichte über das Buch verlassen wollten, haben wir auf die Übersetzung gewartet.
Und ein letzter Punkt.
Wir wollten in der Erzählung gerne sehr nah dran sein an Giselle.
Und weil wir das von unseren Schreibtischen in Deutschland natürlich nicht machen können, haben wir mit Britta Sandberg gesprochen.
Britta ist Frankreich-Korrespondentin des Spiegel und hat den Prozess in Avignon begleitet.
Und dankenswerterweise hat sie sich Zeit für uns genommen.
Das heißt, ihr werdet Britta vereinzelt auch immer mal wieder in Tönen hören.
Also die ganzen Sachen haben wir jetzt zusammen.
Und ich glaube, so wird diese Folge auch für Menschen interessant sein, die den Prozess damals schon sehr nah verfolgt haben.
So viel dazu.
Und jetzt geht's gleich los mit unserem heutigen Fall, in dem es um eine Frau geht, die ein perfektes Leben zu führen scheint, wären da nicht diese unerklärlichen Symptome, die sie immer wieder plagen.
Und als rauskommt, was der Ursprung all dessen ist, wird das einen der größten Strafprozesse der französischen Geschichte nach sich ziehen.
Die Trigger-Warnung zu dem Fall findet ihr in der Folgenbeschreibung.
An einem Abend im Sommer 2019 sitzt die Frau mit dem kupferfarbenen Pagenschnitt auf ihrer schattigen Terrasse in der malerischen Provence, während ihre Familie irgendwo im Haus zu Gange ist.
Die 65-jährige Rentnerin und ihr Mann haben gerade Besuch von Tochter Caroline und Enkel Tom.
Es sind Sommerferien, deswegen sind die beiden im kleinen Dorf Manson zu Besuch.
Während sich ihr Mann Dominique um den Grill kümmert und die gemeinsame französische Bulldogge vermutlich, wie so oft, Abkühlung auf den Fliesen sucht,
hat Giselle freien Blick auf den Garten.
Auf die Schaukel, auf der ihr Enkel so gern sitzt.
Auf das Lavendelbeet, um das sie sich tagsüber fürsorglich kümmert.
Auf den kleinen Olivenbaum, den ihre Tochter Caroline vor ein paar Jahren gepflanzt hat.
Und auf den Swimmingpool, den Giselle sich hart erarbeitet hat.
Genauso hat sich Giselle, die früher leitende Angestellte eines Energiekonzerns war, ihren Ruhestand vorgestellt,
als sie 2013 dem beengten Paris den Rücken kehrte, um hier in Manson, einem verträumten Dorf nahe Avignon, den Lebensabend mit ihrem Mann Dominique zu genießen.
Seither liebt sie Abende wie diesen.
Doch sie sind seltener geworden.
Seitdem es Giselle gesundheitlich nicht mehr so gut geht wie früher, verbringt sie nicht mehr so viel Zeit draußen.
Eigentlich liebt sie es, in den Bergen der Provence wandern zu gehen,
vormittags durch die kleinen Läden und Gemüsegärten zu flanieren oder im Chor zu singen.
Aber seit einigen Jahren leidet sie unter starken Symptomen, die all diese Dinge immer schwerer machen.
Erinnerungslücken, Unterleibsschmerzen, Müdigkeitsattacken.
Ihr Haar wird immer dünner, genau wie sie selbst.
Manchmal wird sie sogar plötzlich ohnmächtig.
Vor einem Jahr zum Beispiel war ihr Sohn Florian zu Besuch.
Es sollte ein schöner Abend werden, doch dann wurde ihr plötzlich schwarz vor den Augen.
Sie sei einfach zusammengebrochen, erzählte Ehemann Dominique später.
Die Sorge darüber, was Giselle immer wieder in Ohnmacht fallen lässt, beherrscht die Familie seit langer Zeit.
Ist es Alzheimer oder ein Hirntumor?
Dominique fuhr mit Giselle von einem Facharzt zum nächsten.
Hinweise auf eine schwerwiegende Erkrankung konnte zum Glück niemand finden.
Manche NeurologInnen attestierten Giselle eine vorübergehende Amnesie, andere eine Angststörung.
Aber Giselle konnte sich darauf keinen Reim machen.
Auch wenn ihre Erkrankung an solchen Abenden eigentlich keine Rolle spielen sollte,
spürt Giselle oft die besorgten Blicke von Tochter Caroline auf ihrem hageren Körper.
Caroline macht, wie früher sie selbst, in Paris' Karriere als leitende Angestellte.
Ansonsten hat ihre Tochter wenig von ihr.
Charakterlich sind sie grundverschieden.
Während Giselle eher besonnen, ruhig und überlegt handelt,
hat Caroline ein temperamentvolles Gemüt und ist oft impulsiv.
Sie kommt mehr nach ihrem Vater.
Kein Wunder also, dass sie eher ein Papakind ist.
Giselles Mann Dominique war immer ein toller Vater gewesen
und jetzt geht er in der Rolle des sechsfachen Opas auf.
So, wie er früher Tochter Caroline das Schwimmen beigebracht hat,
planscht er nun wachsam in Auges mit dem fünfjährigen Tom im Pool, wenn er zu Besuch ist.
Aber Dominique ist nicht nur ein guter Vater und Opa, sondern für Giselle auch der beste Ehemann.
In zwei Jahren werden sie ihre goldene Hochzeit feiern.
Seit 50 Jahren verbringen sie ihr Leben gemeinsam.
Giselle hat Dominique kennengelernt, da war sie gerade einmal 19 Jahre alt.
Drei Kinder haben sie großgezogen, sie sind durch Höhen und Tiefen gegangen,
aber nichts konnte ihrer Liebe etwas anhaben.
Und gerade jetzt braucht Giselle ihren Mann mehr denn je.
Denn in letzter Zeit verliert sie immer mehr an Autonomie.
Die Frau, der es immer so wichtig war, unabhängig zu sein, kann nicht mal mehr Auto fahren.
Viel zu gefährlich angesichts der plötzlichen Aussetzer.
Um alles kümmert sich mittlerweile Dominique.
Er begleitet sie zu jedem ihrer Arztbesuche, erledigt Einkäufe, Rechnungen, wichtige Telefonate.
Was hast du für ein Glück mit deinem Dominique?
Hört Giselle immer wieder von Freundinnen und Bekannten.
Ja, was hat sie nur für ein Glück?
Zumindest denkt sie das.
Noch jetzt.
Etwas mehr als ein Jahr später.
Giselle ist gerade von einem Besuch aus Paris zurück nach Mazon gekehrt, wo sie auf ihren Enkel aufgepasst hat.
Als sie das Haus betritt, bemerkt sie, dass etwas nicht stimmt.
Dominique sitzt am Küchentisch mit finsterer Miene.
Sie solle sich setzen, er müsse ihr etwas erzählen.
Giselle bekommt es mit der Angst zu tun.
Sie weiß, dass Dominique an Herz- und Atemproblemen leidet.
Außerdem wiegt er mittlerweile über 100 Kilo.
In Erwartung, dass er ihr eine tödliche Krankheit berichtet, ist sie auf alles gefasst, denkt sie.
Doch auf das, was jetzt kommt, ist sie nicht vorbereitet.
Ich habe eine Riesendummheit begangen, beichte Dominique unter Tränen.
Während Giselle in Paris war, wurde Dominique nämlich im Supermarkt dabei erwischt,
wie er drei Frauen mit dem Handy unter den Rock fotografiert hat.
Die Frauen haben Anzeige wegen sexueller Belästigung erstattet.
Die Polizei hat sein Handy beschlagnahmt.
Und das muss Dominique Giselle jetzt irgendwie beichten.
Er könne sich nicht erklären, was ihn geritten habe.
Er schwöre, dass es das erste Mal gewesen sei.
Er werde sich psychologische Hilfe suchen.
Offensichtlich habe er ein Problem.
Es werde nie wieder vorkommen, ganz sicher.
Giselle weiß nicht, wohin mit ihren Gefühlen.
Ja, die Beichte ist höchst verstörend, gar widerlich.
Aber Dominique ist nicht todkrank, wie sie erst befürchtet hatte.
Und das ist die Hauptsache.
Sie hatte zwar immer das Gefühl, ein erfülltes Sexleben mit Dominique zu führen.
Aber sie weiß auch, dass Dominique schon länger unerfüllte Bedürfnisse hat.
Vor knapp zehn Jahren schon hatte er ihr davon erzählt, wie gerne er dabei zusehen würde, wie sie Sex mit anderen Männern hat.
Damals hatte er sie gedrängt, in einen Swingerclub zu gehen.
Giselle fühlte sich in dem Swingerclub sofort unwohl, bat Dominique zu gehen und forderte ihn danach auf, sie nie wieder um so etwas zu bitten.
Jetzt sitzt Dominique wie ein Häufchen Elend vor ihr.
Giselle ist verletzt.
Nachdem sie ihn aber auffordert, sich bei den Frauen zu entschuldigen und darauf besteht, dass er therapeutische Hilfe sucht, verzeiht sie ihm.
Knapp vier Wochen später beginnt der Tag für Giselle wie jeden Morgen.
Als sie gegen sieben Uhr morgens aufwacht, steigt ihr bereits der Duft von Kaffee in die Nase.
Der Frühstückstisch ist gedeckt.
Aber es ist kein normaler Morgen.
Gleich müssen sie nämlich auf die Polizeistation nach Kaupontra, der nächstgrößeren Stadt.
Die Pelikos sind wegen des Vorfalls im Supermarkt geladen.
Nicht nur Dominique, auch Giselle soll erscheinen.
Als die beiden das Haus verlassen, ist Giselle unzufrieden mit Dominiques Kleiderwahl für diesen wichtigen Termin.
Du hättest dir ruhig etwas Eleganteres anziehen können.
Um neun Uhr treffen die beiden auf der Polizeistation ein.
Sofort trennen Polizeibeamte Giselle von ihrem Mann, was Giselle seltsam findet.
Erst soll sie mitkommen und dann muss er doch allein in die Vernehmung?
Giselle wird in einen kleinen Raum geführt.
Sie geht davon aus, hier warten zu müssen, bis der Polizist plötzlich beginnt, ihr Fragen zu stellen.
Madame Pelikos, wie würden Sie Ihren Mann beschreiben?
Er ist ein wunderbarer Kerl, ein guter Mann, antwortet Giselle bestimmt.
Dann beginnen die Fragen seltsam zu werden.
Gehen Sie regelmäßig auf Swingerpartys oder neben Andrea Beziehung teil?
Nein, nur ein einziger Mann darf mich anfassen.
Mein Mann.
Ich würde keine anderen Hände auf meinem Körper ertragen.
Wieso fragen Sie mich all das?
Giselle fühlt sich immer mehr beengt in dem kleinen, sterilen Raum.
Langsam versteht sie, wo sie sich gerade befindet.
In einer Vernehmung.
Glauben Sie, dass Sie Ihren Ehemann so gut kennen, dass er nichts vor Ihnen verstecken kann?
Ja, ich denke, das ist so, antwortet sie.
Sie müssen wissen, fährt der Polizist unbeirrt fort.
Ich werde Sie nun mit Fotos und Videos konfrontieren, die Sie schockieren werden.
Langsam bekommt es Giselle mit der Angst zu tun.
Was passiert hier nur?
Dann öffnet der Beamte eine dicke Akte.
Er entnimmt ein Foto.
Darauf zu sehen ist eine Frau in Reizwäsche, die regungslos mit geschlossenen Augen auf dem Bett liegt.
Giselle versteht nicht, was gerade passiert.
Dann legt der Beamte ihr ein zweites Foto vor.
Auf dem ist ein fremder Mann zu sehen, wie er sich über die diesmal nackte, regungslose Frau beugt.
Es ist ihr Schlafzimmer.
Der Beamte zeigt ihr ein drittes Foto, auf dem ein anderer Mann sexuelle Handlungen an der Frau durchführt.
Dann ein viertes, ein fünftes.
Giselle kann nicht richtig verarbeiten, was sie da gerade zu sehen bekommt.
Eine Frau, völlig schlaff, aus deren Körper jedes Leben gewichen scheint.
Die Frau, die von etlichen Männern auf den Bildern missbraucht wird, sieht wie tot aus.
Die Frau ist Giselle selbst.
Wie kann das sein?
Sie erinnert sich an nichts.
In ihrem Kopf beginnt sich alles zu drehen.
Der Polizist will ihr weitere Fotos vorlegen, als Giselle ihn unterbricht.
Stopp.
Alles bricht zusammen.
Alles, was ich in 50 Jahren aufgebaut habe, denkt sie.
Aber der Beamte fährt fort.
Wir verdächtigen ihren Ehemann, ihnen bei mehreren Gelegenheiten ein Medikament verabreicht zu haben,
mit dem Ziel, sie zu betäuben und mit einem oder mehreren Individuen Geschlechtsverkehr, ohne ihr Wissen zu haben, in ihrem Haus.
Jeder Satz des Polizeibeamten bohrt sich wie ein Messerstich in Gisels Herz.
Mehr als 50 Männer habe man bereits identifizieren können.
Man gehe aber von mindestens 70 Tätern aus, so der Beamte.
20.000 Foto- und Videoaufnahmen würden der Polizei vorliegen.
Nach dem Vorfall im Supermarkt hatte die Polizei auf Dominiques Handy belastendes Material gefunden,
daraufhin Ermittlungen aufgenommen und eine Hausdurchsuchung angeordnet.
Dabei hatten sie seinen Computer, eine Festplatte und eine Kamera beschlagnahmt.
Und aus den Aufnahmen, die sie darauf fanden, geht auch hervor,
dass Dominique nicht nur Giselle betäubt und missbraucht hat,
sondern auch die Ehefrau eines seiner Mittäter.
Im Austausch für die Vergewaltigung an Giselle
hatte einer der Täter seine eigene Ehefrau Dominique zur Misshandlung angeboten.
Viermal hat Dominique diese Frau vergewaltigt.
Giselle wird kreidebleich.
Dann bricht sie in Tränen aus.
Sie will nur noch von dieser Welt verschwinden.
Der Beamte bittet Giselle, sich eines dieser Videos anzuschauen,
aber sie kann einfach nicht.
Die Fotos sind bereits unerträglich genug.
Giselle will einfach nur weg.
Entschuldigen Sie, Madame, was Ihr Mann da getan hat, ist monströs,
schließt der Beamte seine Vernehmung.
Giselle steht unter Schock.
Verloren steht sie vor der Polizeistation
und wartet darauf, von einer Freundin nach Hause gebracht zu werden.
Dominique hingegen bleibt in Haft.
Es wird womöglich sein letzter Tag in Freiheit gewesen sein.
Giselle hat in dem Moment nur einen Wunsch.
Sie will raus aus diesem Albtraum.
Sie würde am liebsten das Auto nehmen und ihrem Leben ein Ende setzen.
Es würde nur Sekunden dauern, da ist sie sich sicher.
Doch sofort schießen ihr Bilder ihrer Kinder, ihrer Enkel in den Kopf.
Nein, das kann sie ihnen nicht antun.
Daheim angekommen, schießen Giselle entsetzliche Bilder in den Kopf.
Sie geht durch den Flur, vorbei an Familienfotos und Bildern, die Dominique gemalt hat.
Auf einem ist eine nackte Frau abgebildet.
Der Ort, der für Giselle Heimat war, an dem sie so viele schöne Erinnerungen gesammelt hat,
ist nun nichts weiter als ein unerträglich kalter Tatort.
Nicht nur, dass sie offenbar über Jahre ohne ihres Wissens missbraucht wurde.
Der Ursprung all der schlimmen Symptome liegt nicht an einer unerkannten Krankheit,
sondern an Dominiques Medikamenten-Cocktail, den er ihr regelmäßig verabreicht hat.
Kein CT oder MRT dieser Welt hätten den wahren Grund ihrer Symptome ans Licht bringen können.
Aber wer hätte ahnen können, dass eine toxikologische Analyse notwendig gewesen wäre.
Dominique hatte sich all die Jahre so rührend um sie gekümmert,
fuhr sie zu jedem Besuch bei Arzt oder Ärztin.
Allerdings, immer dann, wenn sie nicht im Mazon war,
wenn sie Caroline zum Beispiel in Paris besucht hatte,
wie vor wenigen Wochen erst, ging es Giselle immer besser.
Die Erklärung dafür ist unerträglich.
Fast 50 Jahre ihres Lebens eine einzige Lüge.
Schlimmer noch, ein Betrug der schlimmsten Art.
Giselle ist 67 Jahre alt und steht vor dem Trümmerhaufen ihres Lebens.
Es ist mittlerweile fast abends.
Giselle hatte noch immer nicht die Kraft,
ihre drei Kinder David, Florian und Caroline anzurufen.
Wie soll man auch erklären, dass das ganze Familienleben nichts als eine Lüge war?
Wie soll sie ihnen erklären, dass ihr Vater ein Sexualstraftäter ist?
Als sie Caroline abends endlich ans Telefon kriegt,
will Giselle mit zittriger Stimme wissen, ob ihre Tochter zu Hause ist,
ob jemand Pierre bei ihr ist und ob sie sitze.
Maman, was ist denn los?
will Caroline wissen.
Caro, dein Vater wurde heute Morgen bei der Polizei in Gewahrsam genommen,
sagt Giselle mit brüchiger Stimme.
Er wird auch nicht wieder freikommen.
Dein Vater hat mich mit Schlafmitteln und Angstlösern betäubt.
Aber Maman, was soll das?
Warum erzählst du mir das?
Caroline kann offenbar nicht glauben, was sie hört.
Dann erzählt Giselle ihrer Tochter, was sie auf den Bildern gesehen hat.
Dass ihr Vater etliche Männer ins Haus gelassen
und sie bewusstlos vergewaltigen lassen hat.
Caroline beginnt zu schreien, in Tränen auszubrechen, ihren Vater zu verfluchen.
Ich werde alles kurz und klein schlagen, brüllt Caroline in den Hörer.
Ihre Tochter hat gerade ihren Vater verloren und Giselle ihren Ehemann.
Die beiden weinen über das Telefon gemeinsam.
Am nächsten Tag steht Giselle vor dem Polizeikommissariat in Carpentras, als ihre Kinder aus dem Taxi steigen.
Giselle trägt eine fliederfarbene Daunenjacke, die weiße Maske wirkt unverhältnismäßig groß und verdeckt ihr trauerdurchzogenes Gesicht.
Giselle fällt in sich zusammen, als ihre Kinder sie umarmen.
Schweigend verharren sie für eine gefühlte Ewigkeit in dieser Position.
Giselle begleitet heute ihre Kinder.
Auch sie müssen vernommen werden.
Sie wartet währenddessen.
Nach einem Befragungsmarathon wird Caroline am frühen Abend erneut auf die Wache bestellt.
Als sie und ihr Bruder Florian davon wieder heimkehren, eröffnen sie Giselle, womit man sie auf der Wache konfrontiert hat.
Auch von Caroline gibt es Fotos.
Die Ermittelnden haben zwei gefunden, die offenbar bereits vor einigen Jahren aufgenommen wurden.
Sie zeigen Caroline in Unterwäsche, die sie normalerweise nicht trägt, in einer Position, in der sie nicht schlafen würde.
Caroline ist überzeugt, dass Dominique auch sie betäubt hat.
Giselle schüttelt den Kopf.
Bist du ganz sicher, dass du das bist auf den Fotos?
Ja, es gibt keine Zweifel, hackt Carolines Bruder ein.
Giselle kann, nein, sie will nicht glauben, dass auch ihre Tochter Opfer ihres eigenen Vaters wurde.
Die Fotos seien eindeutig, beharrt Caroline.
In so einer Position schlafe sie sonst nie.
Außerdem habe sie einen seichten Schlaf.
Giselle will das nicht wahrhaben.
Und Caroline ist sichtlich verletzt und vor den Kopf gestoßen davon,
dass ihre Mutter nicht akzeptieren will, dass ihr eigener Vater auch vor ihr nicht Halt gemacht hat, seine Perversion auszuleben.
Währenddessen schalten Giselles Söhne in Organisationsmodus.
Sie telefonieren mit einer Anwältin.
Florian erklärt Giselle, sie müsse sich jetzt dringend auf sexuell übertragbare Krankheiten testen lassen.
Das geht mir alles zu schnell, murmelt Giselle abwesend.
Es wird mindestens drei Jahre bis Prozessbeginn dauern.
Das lässt die Anwältin ausrichten.
Dieser Satz von David bleibt bei Giselle hängen.
Drei Jahre.
Wie soll sie das nur überleben?
Über eine Sache ist sich Giselle schnell im Klaren.
Hier, in diesem Haus, kann sie nicht weiterleben.
Zu schmerzhaft sind die schönen Erinnerungen.
Wenige Tage später steht sie am Bahnhof mit ihrem Hund und zwei Koffern.
Das ist also übrig geblieben aus fast 50 Jahren Ehe.
Zunächst kommt sie bei Caroline, dann bei David unter.
In den kommenden Wochen leidet Giselle weiterhin enorm unter den gesundheitlichen Folgen.
Schlafstörungen, Depressionen, Gedächtnisverlust, Unterleibsschmerzen.
Und es stellt sich heraus, sie hat sich mit vier sexuell übertragbaren Erkrankungen angesteckt.
Immerhin nicht mit dem HIV-Virus, obwohl einer der Vergewaltiger positiv war.
Die Krankheiten könnten ihre Entzündungen im Gebärmutterhals erklären, die Giselle schon lange plagt.
Bei den Untersuchungen der letzten Jahre war man bei einer 70-jährigen Rentnerin offenbar nicht davon ausgegangen,
dass der Ursprung in einer sexuell übertragbaren Krankheit liegen könnte.
Zu all dem Schmerz kommt die Heimatlosigkeit.
Dominique war ein halbes Jahrhundert lang ihr Zuhause.
Von einem auf den anderen Tag ist er aus ihrem Leben geschieden, ohne dass sie von ihm eine Erklärung für all das bekommen hat.
Seitdem hat sie keinen Kontakt mehr zu ihm.
Doch dann, drei Wochen nach dem Tag auf der Wache, erfährt sie, dass Dominique einen Brief an ein gefreundetes Paar geschickt hat.
Es ist das erste Mal, dass sie von ihm hört.
Darin schreibt er unter anderem,
Abgesehen von der Angst, der Beklemmung, der Leere, der Einsamkeit ist es furchtbar hier.
Ich weiß, dass ich hier bin, um dafür zu bezahlen, was ich der Liebe meines Lebens angetan habe.
Meiner Familie, meinen Freunden.
Aber es ist zu spät.
Ich weiß nicht, wohin ich gehe und wie es enden wird.
Im Namen unserer ehemaligen Freundschaft wende ich mich an euch, damit ihr mir Sachen holt und am Gefängniseingang für mich abgebt.
Dominique bittet dann um spezielle Kleidung und einen Gürtel, denn ihm rutschen beide Hosen, weil er ein Gewicht verloren hat.
Weiter schreibt er,
Das Jahresende wird für mich wohl sehr traurig werden.
Ich hoffe, meine Liebe erholt sich davon.
Das wünsche ich mir.
Sie wird meine ewige Liebe bleiben.
Sie ist eine Heilige, die ich nicht halten konnte.
Und wenn ihr mir die Adressen von Caroline, David und Florian schicken könntet, ich habe sie nicht im Kopf.
Diese Vorstellung, von der Welt abgeschnitten zu sein, macht mich verrückt.
Und auch ihre Telefonnummer für später.
Besitzt Dominique tatsächlich die Dreistigkeit nach all den schrecklichen Dingen, die er seiner Familie angetan hat,
noch um Gefallen zu bitten?
Der Brief trieft nur so vor Selbstmitleid.
Das befreundete Paar, an das der Brief adressiert war, will nichts von ihm wissen.
Schließlich ist es Giselle, die die Sachen einpackt und an der Gefängnispforte abgibt.
Caroline erzählt sie von dem Brief zunächst nichts.
Doch als sie davon erfährt, ist sie bitter enttäuscht.
Sie wirft Giselle vor, naiv zu sein und unter einer Art Stockholmsyndrom zu leiden.
Sie hält sie für eine Marionette ihres Vaters, der noch aus dem Gefängnis heraus die Strippen in der Hand hält.
Deinem Vater geht es dort, wo er gerade ist, nicht gut.
Er leidet, weißt du, sagt Giselle.
Aus Caroline platzt es heraus.
Ob Giselle denn nicht begreife, dass ihr Vater sie manipuliere?
Und hier an der Stelle muss ich jetzt einmal dazu sagen, also dass Giselle ihrem Mann gegenüber jetzt nicht nur Wut empfinden kann, das verärgert Caroline sehr.
Sie, das schreibt sie so in ihrem Buch, hatte nämlich nicht das Gefühl von Giselle, sonderlich unterstützt zu werden, als das mit diesen Fotos rauskam.
Und dann hat Giselle sie auch nicht begleitet, als Caroline in eine psychiatrische Klinik ging.
Und jetzt hat Giselle hier auch noch sowas wie Mitleid mit Dominique.
Und ich glaube, an sich kann man das erstmal verstehen, dieses Umdenken von, das ist der tollste Mann der Welt, mit dem war ich 50 Jahre zusammen.
Ich habe eine tolle Familie mit dem, ich habe ein tolles Leben mit ihm.
Der hat monströse Taten begangen, hat mich zum Opfer grausamer Sexualdelikte gemacht.
Und das alles kommt auf einmal raus.
Das ist ziemlich viel, um das zu verarbeiten und sofort umswitchen zu können.
Und dann noch anderen Menschen eine Stütze zu sein, wie jetzt ihrer Tochter.
Aber auf der anderen Seite gibt es dann ja auch noch Caroline, die der Überzeugung ist, von ihrem Vater betäubt und fotografiert worden zu sein.
Und sie ist sich auch sicher, dass ihr Vater sie vergewaltigt haben muss.
Dafür hat sie jetzt keine Belege, aber für Caroline ist das die logische Konsequenz.
Und das lehnt Giselle aber entschieden ab.
Sie meint, Dominique würde so etwas nicht tun.
Jetzt kann man sich natürlich fragen, der hat ja genug grausame Dinge getan.
Warum ist sie sich jetzt da so sicher, dass er das nicht macht?
Und das fragt sich auch Caroline und dass Giselle ihr da zum einen nicht beisteht und dann auch noch diesen Mann unterstützt.
So kommt es zumindest Caroline vor, der nicht nur ihre Mutter, sondern auch sie offenbar missbraucht hat.
Das kann Caroline in dieser Situation absolut nicht nachvollziehen.
Aber Giselle geht eben anders damit um.
Ich bin eine eigenständige Person und kann selbstständig Entscheidungen treffen, erwidert Giselle auf Carolines Vorwürfe.
Danach herrscht zwischen den Frauen erstmal Funkstille.
Tatsächlich findet Giselle gerade in dieser Zeit ihre Selbstständigkeit zurück.
All die Jahre hatte sie immer mehr an Autonomie verloren.
Durch ihre Symptome war es ihr lange nicht möglich, ihre Freundschaften intensiv zu pflegen oder ihren Alltag allein zu bewältigen.
Alles, selbst das Autofahren, hat Dominique ihr abgenommen.
Giselle muss sich komplett neu im Leben zurechtfinden.
Sich aus dem Sumpf der Tristesse befreien.
Sie beginnt Tagebuch zu schreiben, um die fragmentierte Vergangenheit zu rekonstruieren.
Immer wieder bricht sie dabei zusammen, wenn sie daran denken muss, dass sie all die Jahre nichts bemerkt hat
und ihr wird klar, in welchen Momenten sie von Dominique und völlig Fremden missbraucht worden sein muss.
Manchmal, wenn sie in der abgeschiedenen Natur spazieren geht, beschimpft sie Dominique laut.
Sie zieht an einen unbekannten Ort, weit weg von Mazon.
In ihrer neuen Heimat kennt sie niemanden.
Sie muss sich neue Freundinnen suchen und neue Hobbys.
Mit 68 Jahren beginnt sie ein neues Leben.
Ohne Dominique.
Sie will die Scheidung einreichen und diesen Mann nie wiedersehen.
Doch sie wird es müssen.
Bei dem Prozess, der entscheiden soll, wie schwer Dominiques Schuld wiegt.
Mittlerweile gibt es einen Termin für den Prozessauftakt.
Am 2. September 2024 soll er in Avignon beginnen.
Giselle fiebert dem Datum einerseits entgegen, andererseits hat sie riesige Angst.
Woher soll sie nur die Kraft nehmen?
Denn dort wird sie nicht nur Dominique, sondern allen ihren Peinigern gegenüber sitzen, die sie auf widerwärtigste Atmos braucht haben.
Bisher hat Giselle keine der Videoaufnahmen gesehen, die ihre Vergewaltigung zeigen.
Nun, ein paar Monate vor Prozessbeginn, findet sie den Mut, nachdem ihre Anwälte ihr klargemacht haben, dass sie die Videos vorher sehen müsse.
Irgendwannfalls würde sie sicher bei der Verhandlung darüber zusammenbrechen.
Im Beisein ihrer Anwälte schaut sie sich die Videos an, die ihren Missbrauch zeigen.
Auf dem Material ist nicht nur visuell zu sehen, wie sie von Dominique und den anderen Männern missbraucht wird.
Das Hörbare ist fast genauso schrecklich.
Immer wieder feuert Dominique die Vergewaltiger an, erniedrigt die bewusstlose Giselle mit schlimmen Wörtern.
Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie die Männer ihre Penisse in sämtliche Körperöffnung stecken und schließlich in Giselle ejakulieren.
Manchmal sind sie zu zweit oder zu dritt.
Nachdem Giselle den ganzen Horror angesehen hat, trifft sie eine überraschende Entscheidung.
Die Welt muss sehen, was ihr zugestoßen ist.
Das glaubt mir doch sonst keiner, sagt sie ihren Anwälten.
Die Welt muss von den Abgründen erfahren.
Außerdem will sie anderen Opfern sexualisierter Gewalt Mut machen
und die Gesellschaft soll sich der Realität von Vergewaltigungen in der Partnerschaft stellen.
Es ist der Moment, der alles verändert.
Giselle will einen öffentlichen Prozess.
Ich habe mich entschieden, mich nicht zu schämen.
Ich habe nichts falsch gemacht, sagt sie.
Doch der Richter lehnt einen öffentlichen Prozess zunächst ab, zum Schutz von Madame Pelicot, wie er argumentiert.
Denn eine öffentliche Verhandlung würde bedeuten, dass auch die Videos der Vergewaltigung während der Verhandlung öffentlich gezeigt würden
und andere intimste Details aus der Ehe an die Öffentlichkeit geraten.
Dessen bin ich mir bewusst, insistiert Giselle.
Caroline unterstützt die Entscheidung ihrer Mutter.
Die Täter sollen sich nicht verstecken dürfen.
Giselle setzt sich schließlich durch.
Ihre Botschaft?
Die Scham muss die Seiten wechseln.
Dieser Slogan aus der französischen Frauenbewegung der 70er Jahre wird von Giselle aufgegriffen und mit neuem Leben gefüllt.
Und mit diesem Satz geht die unfassbare Geschichte Giselle Pelicots 2024 um die Welt.
Und die Medien überschlagen sich.
Giselle Pelicot ist der neue Symbol der Kampf gegen die Frauen gemacht.
Als am 2. September 2024 der Mammutprozess gegen Dominique Pelicot und die anderen Angeklagten beginnt,
sind 69 Verhandlungstage angesetzt.
Der Prozess wird sich über vier Monate erstrecken.
Es ist einer der größten Strafprozesse der Geschichte Frankreichs.
Fast vier Jahre nach diesem verhängnisvollen Tag, dem 2. November 2020,
beginnt der Kampf für Gerechtigkeit für die mittlerweile 72-jährige Giselle.
Auch sie sitzt nicht allein.
Neben ihr hat Tochter Caroline die Nebenklage angetreten.
Sie erhofft sich von dem Prozess eine Antwort auf die quälende Frage.
Hat ihr Erzeuger Dominique, wie sie ihren Vater nur noch nennt, sie ebenfalls betäubt und vergewaltigt?
Und auch die beiden Frauen von Florian und David treten als Nebenklägerinnen auf.
Wie sich herausstellte, blieben auch sie nicht von Dominique verschont.
Auch sie wurden über Jahre hinweg bei Familienzusammenkünften fotografiert und gefilmt.
Dominique hatte heimlich Kameras im Bade- oder Schlafzimmer aufgestellt und das Material später ins Internet gestellt.
Mit dem einen Schock um Giselles Vergewaltigung war es nicht getan.
Nach und nach kamen immer mehr ans Licht, weil Dominique immer nur das zugab, was man ihm nachweisen konnte.
Schon bei der Supermarktsache hatte er Giselle zunächst nur eine sehr abgeschwächte Version gebeichtet.
Als Giselle vor dem Justizpalast in Avignon eintrifft, haben sich bereits einige Menschen davor versammelt,
vor allem Frauen, die Giselle Mut machen wollen.
Vereinzelt sind Transparente zu sehen mit dem Slogan, die Schar muss die Seiten wechseln.
Als Giselle an ihnen vorbeiläuft, jubeln die Menschen auf.
Unter Blitzlichtgewitter betritt sie das Gebäude, flankiert von ihren Anwälten und ihren drei Kindern.
Giselle trägt eine runde Sonnenbrille.
Ihr kupferroter Pagenschnitt verleiht ihr trotz der tiefen Falten im Gesicht ein jugendliches Antlitz.
Durch die Sonnenbrille sind ihre Augen nicht zu sehen, aber sie strahlt sowas wie Zuversicht aus.
Sie macht einen würdevollen, aber unnahbaren Eindruck, schreiben die Medien.
Die ganze Welt blickt an diesem Tag nach Avignon.
Der Gerichtssaal ist viel zu klein für die MedienvertreterInnen.
Die meisten JournalistInnen verfolgen den Prozess in einem Nebensaal durch eine Übertragung.
Nur wenige JournalistInnen dürfen den Prozess live aus dem Gerichtssaal verfolgen.
Und eine von ihnen ist Britta Sandberg.
Die Journalistin arbeitet als Frankreich-Korrespondentin für den Spiegel
und hat viele der über 60 Verhandlungstage in Avignon im Gerichtssaal verfolgt.
Sandberg ist die erste deutsche Journalistin, die kurz vor dem Urteil ausführlich mit den beiden Anwälten
von Giselle Pellicot über den Prozess gesprochen hat.
Sie hat auch die Anwältin von Dominique Pellicot mehrmals getroffen und mit der Tochter Caroline D'Aurion gesprochen.
Kaum eine Medienvertreterin ist also so nah an dem Fall.
Und mit uns hat sie über den Prozess gesprochen, den sie nur wenige Meter entfernt von Giselle begleitet hat.
Sie hat uns erzählt, wie die Pellicots an dem Tag aufgetreten sind.
Giselle Pellicot kam zusammen mit ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter ins Gericht.
Und sie waren ständig ganz nah beieinander.
Also sie haben sich auch ständig angefasst.
Also auch als sie im Gerichtssaal dann saßen, die Familie saß vorne rechts.
Und sie haben ständig sich an den Händen gehalten, eine Hand auf den Arm gelegt.
Alle Kinder waren sehr um ihre Mutter bemüht, sehr aufmerksam.
Also in den ersten Tagen sah man eine sehr geeinte Familie vor Gericht sitzen.
Und das hatte das durchaus Anrührendes.
Aber es war auch gleichzeitig eine Demonstration der Stärke.
Das erste Mal seit vier Jahren sitzt Giselle Dominique gegenüber, knapp 15 Meter entfernt.
Mittlerweile ist sie von ihm geschieden.
Sie scheut sich nicht davor, ihren Ex-Mann anzusehen.
Er sitzt in einem Glaskasten, bewacht von drei Polizisten.
Der einst kräftige und stattliche Mann hat mittlerweile 30 Kilo abgenommen, geht mit einem Krückstock.
Unter den anderen Angeklagten sind Feuerwehrleute, Gärtner, Krankenpfleger, IT-Spezialisten, Justizvollzugsbeamte, Lkw-Fahrer und ein Journalist.
Sie waren zum Tatzeitpunkt zwischen 22 und 68 Jahre alt.
Insgesamt soll es 83 Täter gegeben haben.
Einige konnten aber nicht ermittelt werden.
50 von ihnen stehen heute auch vor Gericht.
Jene, denen besonders schwere Taten vorgeworfen werden, sitzen ebenfalls in einem Glaskasten.
Die anderen, hat Britta Sandberg uns erzählt, saßen nur wenige Reihen vor Giselle.
Dieser Prozess fand auf sehr engem Raum statt.
Und was mir von Anfang an auch nicht klar war, war, dass man ja auch direkt neben den Angeklagten saß.
Das heißt, es gab ja 33 Angeklagte, die noch auf reihem Fuß waren.
Also man musste teilweise aufpassen, in den Verhandlungspausen nicht mit den Angeklagten zusammenzustoßen.
Man begegnete denen auch vor dem Kaffeeautomaten im Foyer.
Und diese physische Nähe, mit diesen Männern so auf engem Raum beisammen zu sitzen, hatte am Anfang etwas, was man wirklich nur schwer ertragen und an das man sich auch nur schwer gewöhnen konnte.
Ich stelle mir das absolut absurd vor.
Also da sitzen 50 Männer, die mit Giselle intim geworden sind, ohne dass sie etwas davon wusste.
Und diese Männer sieht sie jetzt vor Gericht zum ersten Mal.
Als die Anklage der Staatsanwältin verlesen wird, ist eine angespannte Stimmung im Saal zu spüren.
Sie umfasst mehr als 350 Seiten.
Kein Wunder, die vermuteten 200 bis 300 Taten sollen sich über einen Zeitraum von fast 10 Jahren zwischen 2011 und 2020 erstreckt haben.
Die letzte, nur wenige Wochen vor der Festnahme Dominiks.
Den Angeklagten werden zahlreiche Vergehen zur Last gelegt.
Schwere Vergewaltigung, versuchte Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung in der Gruppe und Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Giselle Pellicot.
Über drei Stunden dauert die Verlesung der Anklage, in denen die Anwesenden erfahren, wie sich Dominique über Jahre ein perfides System des Missbrauchs seiner Frau aufbauen konnte.
Alles beginnt im Jahr 2010, dem Jahr, als Dominique Giselle in den Swinger-Club drängt.
Sie leben da noch in Paris. Dominique verbringt viel Zeit vor dem PC.
Giselle beobachtet ihren Mann oft, wie er in seinem Arbeitszimmer tief im Sessel hängt, in den Bildschirm startet und eine E-Zigarette nach der anderen raucht.
Sie denkt, er spiele eines seiner Computerspiele und ahnt nicht, dass er da gerade ihren Missbrauch plant.
Dominique treibt sich in dubiosen Foren rum und tauscht sich mit anderen über seine Fantasie aus, Giselle im wehrlosem Zustand zu vergewaltigen.
Im selben Jahr trifft Dominique in einem Chatforum auf einen Krankenpfleger.
Dieser empfiehlt ihm, seine Frau mit angstflößenden Medikamenten zu betäuben.
Er soll ihr das Zeug einfach in den Kartoffelbrei kippen, sie wird es nicht merken und sei kurze Zeit später völlig wehrlos,
rät ihm die Internetbekanntschaft.
Der erste dokumentierte Missbrauch seiner Frau beginnt dann in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 2011.
Dominique mischt das Medikament, das er sich vom Arzt verschreiben lässt, in Giselles Getränk.
Giselle schläft kurz darauf ein.
Dominique nutzt die Wehrlosigkeit seiner Frau aus und vergewaltigt sie.
Er filmt die Tat, speichert die Aufnahme auf seinem Rechner und legt einen Ordner mit dem Namen Missbrauch an.
2013 beginnt Dominique im Internet nach Mittätern Ausschau zu halten.
In einem Forum lernt er einen Mann namens Richard kennen und bietet ihm seine Frau an.
Geld wird er keines annehmen, weder von Richard noch von späteren Tätern.
Doch eine Sache ist ihm wichtig, er will den Missbrauch filmen.
Die Datei nennt er später meine von Richard gefingerte Schlampe.
Im Jahr 2015 stößt Dominique auf die Webseite KUKU.
Ein Chatforum frei von jeglicher Moderation, auf dem sich Menschenhändler,
Pädophile und Kriminelle aller Art über ihre Fantasien austauschen.
Dominique eröffnet einen Thread mit dem Namen Ohne ihr Wissen.
Viele Männer melden sich darauf.
Einer von ihnen ist der zum Tatzeitpunkt erst 22-Jährige Jean K.
Jean hat eine gewaltvolle Kindheit hinter sich.
Mit 18 lernt er eine junge Frau kennen.
Sie heiraten, sie wird schwanger.
Doch seine perversen sexuellen Bedürfnisse kann sie ihm nicht erfüllen.
Jean treibt sich in einschlägigen Foren herum.
Auf KUKU stößt er auf Dominiques Anzeige und meldet sich bei ihm.
Dominique schickt ihm daraufhin Fotos seiner Frau,
die er während einer Vergewaltigung angelegt hat.
Eines von ihrem Gesicht, eines von ihrem Intimbereich.
Jean sagt einem Treffen zu.
Kurze Zeit später verabreden sie sich am 19. November 2019
zum gemeinsamen Missbrauch an Giselle.
Weil Jean keinen Führerschein hat,
holt ihn Dominique an einem verabredeten Treffpunkt ab.
Ob er sich auch an seine Regeln gehalten habe,
will Dominique von Jean wissen.
Jean bejaht.
Dominique stellt für den Missbrauch seiner Frau strenge Regeln auf.
Sie zeigen, wie systematisch und planvoll er bei den Vergewaltigungen vorgeht,
sodass Giselle ja nichts bemerkt.
Das Tragen vom Parfum ist strengstens untersagt,
genauso wie zu lange Fingernägel.
Auch dürfen seine Komplizen nicht am Haus parken,
so gefährlich wegen der Nachbarin.
Im Haus angekommen muss sich Jean wie alle anderen in der Küche entkleiden,
damit später bloß keine Klamotten vergessen werden.
Dann muss er sich die Hände am Ofen wärmen,
damit Giselle von den kalten Händen nicht aufwacht.
Als sie das Schlafzimmer betreten, fällt Jean das Schnarchen der völlig reglosen Giselle auf.
Dominique schaltet das Handy ein, mit dem er die Tat dokumentiert.
Giselle ist bereits präpariert für den Missbrauch.
Dominique hat sie mit Gleitgel eingeschmiert.
Jean beugt sich über den stillen Körper.
Um eine Erektion zu bekommen, steckt er seinen Penis in Giselles Mund.
Nachdem er erigiert ist, fordert ihn Dominique, auf sie zu penetrieren.
Nach 20 Minuten flüstert Jean, dass er gleich kommen wird,
aber Dominique fordert Jean, auf seinen Orgasmus rauszuzögern.
Erst als der Medikamentencocktail langsam nicht mehr zu wirken scheint
und Giselle unruhig wird, gibt ihm Dominique die Anweisung, es zu Ende zu bringen.
Zwei weitere Male folgt Jean der Einladung Dominiques zum gemeinsamen Missbrauch an Giselle.
Beim letzten Mal ist es ausgerechnet der Tag, an dem Jeans Frau das gemeinsame Kind gebärt.
Über die Jahre perfektioniert Dominique sein Vorgehen.
Nicht nur hat er raus, wie hoch er das angstlösende Medikament dosieren muss,
er führt auch eine feinsäuberliche Ordnerstruktur, um den Überblick über seine Missbrauchstaten zu behalten.
Mark leckt und fickt, nennt er eine Datei.
Pussy voll mit Guillaume, eine andere.
Den Überordner mit dem Namen Missbrauch speichert er auf einem externen USB-Stick,
der an seinem Rechner hängt.
Mehrere tausend Videos und Fotos wird er bis zur Festnahme darauf ablegen.
Dieser kleine USB-Stick wird zum wichtigsten Beweismittel beim Prozess.
Durch ihn kamen die Ermittlerinnen auch auf Üge.
Der zum Tatzeitpunkt 39-jährige Fliesenleger Üge folgt der Einladung Dominiques.
Üge ist begeisterter Motorradfahrer, seit drei Jahren hat er eine Freundin.
Was sie nicht weiß, in seiner Freizeit treibt er sich in dubiosen Foren herum und stößt auf Dominiques Annonce.
Die beiden verabreden sich, wie Jean befolgt auch Üge die von Dominique aufgestellten Regeln.
Nachdem er sich in der Küche entkleidet, betritt er das Schlafzimmer.
Giselle liegt mit dem Rücken zu ihm in Seitenlage.
Sie trägt weiße Strümpfe, ansonsten ist sie nackt.
Ihr Gesicht wird von der dämmerigen Nachttischlampe beleuchtet.
Üge fragt Dominique, ob er ein Kondom benutzen solle.
Nein, antwortet Dominique. Wir sind clean.
Stört es dich, wenn ich Fotos mache? Will Dominique von Üge wissen?
Nein, antwortet er.
Wenn du Lust hast, kannst du anfangen.
Dominique tritt zur Seite.
Üge berührt Giselles Oberschenkel und reibt sich an ihr.
Aber Üge ist nervös. Er bekommt keine Erektion.
Genervt legt Dominique die Kamera zur Seite und fordert Üge auf, Platz zu machen.
Dann penetriert Dominique den reglosen Körper seiner Frau.
Danach steckt er seinen Penis in ihren starren Mund.
Immer wieder fällt der Kopf zur Seite.
Dominique muss ihn festhalten.
Während der ganzen Vergewaltigung ist Giselles Schnarchen zu hören.
Üge fühlt sich unwohl. Er will gehen.
Aber Dominique sagt, er solle bleiben.
Üge beobachtet Dominique, bis er ejakuliert.
Dann verlassen sie den Raum.
Alles von der Tat hat Dominique mit seiner Kamera aufgenommen.
Giselle hat sich die Aufzeichnung vorab mit ihren Anwälten angesehen.
Die JournalistInnen sehen sie zum ersten Mal.
Ich habe Britta Sandberg gefragt, wie das für sie war, diese grausamen Taten im Gericht mit anzusehen.
Man kann nicht anders sagen, als dass es einfach sehr brutal ist, diese Videos sich anzuschauen.
Es sind Bilder, die ich glaube, ich nie vergessen werde.
Manche weniger, manche mehr.
Also das Absurde ist, es gab drei Monitore in einem Gerichtssaal, auf denen die dann gezeigt wurden.
Dann kommt erst so eine Art Testbild.
Das war immer so eine vollkommen absurde grüne Berglandschaft, ganz idyllisch.
Und dann war man auf einmal mitten im Schlafzimmer der Pelikose in diesem kleinen Haus in Mason.
Und dann sah man diese Männer.
Und alles war immer ganz leise auf diesen Videos, weil die tuschelten.
Dominique Peliquot gab auch sehr leise seine Anweisungen an die Männer, wenn er Anweisungen gab.
Die versuchten immer keinen Lärm zu machen.
Also man hört oft im Hintergrund so ein Radio irgendwie laufen.
Und dann hört man Anweisungen von Dominique Peliquot und teilweise Reaktionen der Männer.
Das fing damit an, dass diese Männer Giselle Peliquot behandelt haben wie so ein Möbelstück.
Mach dies, mach das, mach doch mal so.
Jetzt nehmen sie doch mal von der Seite.
Ich drehe sie um.
Das hatte überhaupt nichts mehr, nichts Menschliches mehr.
Die Videos lassen keinen Interpretationsspielraum darüber, was die Männer mit Giselle gemacht haben.
Dominique weiß, dass er mit dem Rücken zur Wand steht.
Als er beim Prozess befragt wird, gibt er an.
Ja, ich bin ein Vergewaltiger.
Fügt aber hinzu, wie alle hier im Raum.
Der vorsitzende Richter will wissen, was ihn zu seinen Taten angetrieben hat.
Ich habe obsessive Fantasien, gibt Dominique zu.
Es sei ihm darum gegangen, diese noch auszuleben, bevor ihre beiden Körper dazu endgültig zu alt seien.
Er habe in dieser Hinsicht einen gewissen Zeitdruck verspürt, aufgrund des fortschreitenden Alters.
Es sei zur Sucht geworden, sagt Dominique.
Erschreckend sachlich beschreibt er bei seiner Vernehmung, wie er seinen Medikamentencocktail zusammenrührte, ihn in Giselles geliebtes Sorbet mischte oder in ihr Getränk.
So habe er mindestens fünf Stunden Zeit gehabt, seine Frau zu präparieren, ihr andere Unterwäsche anzuziehen, zu vergewaltigen oder vergewaltigen zu lassen und danach wieder in Ordnung zu bringen, wie er es ausdrückt.
Und dieses alles wieder in Ordnung bringen ist ein wichtiger Punkt.
Als hier nämlich der Fall publik wurde und bekannt wurde, wie oft und über welchen Zeitraum Dominique Pelicot seine Frau vergewaltigen hat lassen,
haben sich viele gefragt, wie kann das denn sein, dass eine Frau das nicht merkt?
Auch Britta hat sich das lange gefragt und mittlerweile hat sie darauf folgende Antwort gefunden.
Also zum einen liegt es daran, dass diese hohe Gabe von Medikamenten dazu geführt haben, dass es gar keine Körperspannung mehr gab in dem Körper von Giselle Pelicot.
Das wiederum hat dazu geführt, dass auch die Verletzungsgefahr reduziert wurde.
Was jetzt so Risse im Gewebe oder andere Geschichten betrifft.
Und dann hat Dominique Pelicot das wirklich sehr genau vorbereitet und durchgeführt.
Das heißt, er hat sie, bevor die Männer kamen, präpariert und ihr entsprechend Cremes und Gleitmittel verabreicht.
Und er hat sie nach den Vergewaltigungen auch gereinigt.
Vor Gericht hat Giselle Pelicot irgendwann mal gesagt, sie habe manchmal morgens das Gefühl gehabt, es sei, als ob sie Wasser verlieren würde.
Was darauf hindeutet, dass der vielleicht auch Spülungen durchgeführt hat.
Und sie hat auch immer wieder gesagt, ich bin in meinem Pyjama eingeschlafen und ich bin in meinem Pyjama aufgewacht.
So konnte Dominique Giselle unentdeckt über Jahre missbrauchen lassen.
Wie kann jemand zu so etwas fähig sein, will das Gericht von ihm wissen.
Dominique schildert traumatische Erlebnisse in seiner Kindheit.
Als Neunjähriger sei er in einem Krankenhaus von einem Pfleger missbraucht worden.
Ich habe seinen Schnurrbart auf meinem Penis gespürt, sagt er aus.
Danach habe der Pfleger ihn anal missbraucht.
Auch zu Hause sei er misshandelt worden.
Sein Vater habe ihn früh geschlagen, ihn außerdem gezwungen, bereits im Kindesalter zu arbeiten.
Höhere Schulbildung blieb ein unerreichbarer Traum.
Dominique machte eine Ausbildung zum Elektriker.
Dort habe er im Alter von 14 Jahren auf einer Baustelle mit ansehen müssen, wie ein Mädchen von mehreren Männern vergewaltigt worden sei.
Man habe sein Gesicht danach in ihren nackten Schoß gedrückt und ihm gesagt, amüsier dich gut mit der kleinen Schlampe.
Dominique hält inne.
Man kommt nicht pervers auf die Welt, man wird es erst, versucht er seine Gräueltaten zu rechtfertigen.
Britta Sandberg hat mir erzählt, dass er auf sie wirkte, als sei er ein Mann, der ständig um die eigenen Befindlichkeiten kreift.
Dominique sagt, erst die Begegnung mit Giselle habe ihn aus seiner traumatischen Kindheit gerettet.
Giselle habe ihn zu einem anderen Mann werden lassen.
Seine dunkle Seite habe er über Jahre kontrollieren und im Zaum halten können, aber irgendwann habe sie die Oberhand gewonnen.
Warum habe er nicht aufgehört mit seinen Taten, nachdem sich der Gesundheitszustand von Giselle rapide verschlechterte, will der Richter wissen.
Meine Sucht war zu stark, antwortet Dominique.
Schnell versucht er den Fokus von sich auf die Mittäter zu richten.
Ich kam zu meinen Taten durch Menschen, die bereitwillig akzeptierten, was ich vorschlug.
Ob er die anderen Mittäter in eine Falle gelockt habe, will der Richter wissen.
Nein, sie wussten genau, was sie taten.
Aber genau das verneinen die meisten der 50 Mitangeklagten.
Keiner von ihnen bestreitet, Sex mit Giselle Pelicot gehabt zu haben.
Wie auch, alle Taten sind durch Foto- oder Videoaufnahmen dokumentiert.
Aber was fast alle Mitangeklagten vereint, sie bestreiten Giselle wissentlich Missbrauch zu haben.
Manche geben an, sie wären von einem Rollenspiel ausgegangen.
Andere behaupten, sie hätten nicht gemerkt, dass Giselle bewusstlos sei.
Auch Jean, der jüngste Angeklagte, das war der, dessen Frau gerade das Kind bekam, als er Giselle zum letzten Mal misbrauchte, versucht sich rauszureden.
Haben sie sich keine Fragen gestellt, als sie gemerkt haben, dass Madame Pelicot schnarcht, will der vorsitzende Richter wissen.
Doch, sagt Jean.
Haben sie sich nicht gefragt, ob Madame Pelicot einverstanden war?
Nein, nicht währenddessen.
Wenn sie aufgewacht wäre und ihnen Fragen gestellt hätte, was wäre dann passiert?
Ich hätte sie gefragt, ob sie einverstanden ist, sonst wäre ich gegangen.
War sie in der Lage, ihr Einverständnis zu geben?
Nein.
Fanden sie das normal?
Ich wusste damals noch nicht, was das genau bedeutet, Einverständnis.
Nicht wirklich auf jeden Fall.
Monsieur Pelicot hat doch sein Einverständnis gegeben, sagt Jean.
Kann der Ehemann darüber entscheiden, ob eine Frau einverstanden ist?
Nein, kann er nicht.
Gibt Jean zu.
Hier zeigt sich also ein Frauenbild, das viele der Angeklagten teilen.
Der Mann hat hier sein Einverständnis gegeben, also seien sie davon ausgegangen, dass es in Ordnung sei.
Und das Beste daran finde ich, dass Dominiques Annonce auf Coco ohne ihr Wissen heißt.
Aber das hat wohl keiner der Angeklagten näher mit einbezogen in die Überlegung.
Auch die Aussagen zweier Männer namens Jérôme und Cyril sprechen dagegen, dass man nicht habe wissen können, dass es sich um Missbrauch handelte.
Auch sie geben an, zunächst von einem Rollenspiel ausgegangen zu sein.
Doch als ihn Dominique am Telefon Einzelheiten genannt hatte, zum Beispiel, dass er seine Frau mit Medikamenten betäube, seien sie misstrauisch geworden.
Monsieur, was sie mir anbieten, ist eine Vergewaltigung, soll der Lastwagenfahrer Jérôme Dominique konfrontiert haben.
Ich werde nicht kommen, habe er Dominique gesagt und den Hörer aufgelegt.
Auch Cyril lehnt Dominiques Angebot ab.
Eine schlafende Frau kann ihre Zustimmung nicht geben, soll er Dominique am Telefon gesagt haben.
Einigen Männern war also offenbar sehr wohl klar, was Dominique da mit seiner Frau trieb.
Aber warum sind gerade die dann nicht zur Polizei gegangen, will der Richter von ihnen wissen.
Schließlich hätten sie, Giselles Leiden, ein Ende setzen können.
Sie hätten ja nicht mit eigenen Augen gesehen, was da tatsächlich vor sich geht.
Sie wollten niemanden denunzieren, sagen sie aus.
Außerdem, und das ist womöglich hier der entscheidende Grund, beide sind verheiratet.
Sie wollten sich unangenehme Gespräche mit ihren Partnerinnen ersparen.
Sie gehen davon aus, dass wir alle von Anfang an Bescheid wussten.
Sie sagen, es sei offensichtlich, aber für mich war es nicht offensichtlich, sagt Uge, der Motorradfahrer.
Auch er sei zunächst von einem Rollenspiel ausgegangen und sei erst misstrauisch geworden,
als Dominique sie penetrierte und Giselle nicht reagierte.
Ich hatte nie die Absicht zu vergewaltigen und als ich sah, dass sie nicht aufwachte, bin ich gegangen.
Haben sie nicht daran gedacht, die Polizei zu alarmieren?
Will der Richter wissen?
Ich habe über diese Frage nachgedacht.
Aber als ich das Haus verließ, dachte ich, sie hatte vielleicht einfach zu viel getrunken.
Was ich auch eine absurde Aussage finde, denn wenn jemand zu viel getrunken hat und bewusstlos ist, ist das ebenfalls eine Vergewaltigung.
Aber naja.
Uge sagt also, er wurde von Dominique in eine Falle gelockt.
Und dennoch, kaum ein Wort des Bedauerns oder eine Entschuldigung, hört Giselle von den Angeklagten.
Stattdessen Ausreden und Lügen.
Sie macht keinen Hehl daraus, was sie davon hält.
Ab und an verdreht sie die Augen und plustert die Wangen auf, erzählt uns Britta Sandberg.
Ich glaube, das war mit das Schlimmste für sie zu sehen, dass die Banalität, die Banalität dieser Angeklagten, die Unbedarftheit und dieses Beharren darauf, aber ich wollte doch nicht, aber ich wusste doch nicht, aber hätte ich gewusst, dann wäre ich.
Also auch die Tatsache, dass die alle oder die wenigsten bereit waren, bis zum Schluss Verantwortung zu übernehmen für das, was sie getan haben.
Also für sie war es, glaube ich, schwer zu ertragen, wenn die Angeklagten so arm in ihren Entschuldigungen und Erklärungen waren.
Eine Erklärung ist Britta und offenbar auch Giselle ganz besonders in Erinnerung geblieben.
Und Achtung, bei all der Grausamkeit gibt es auch hier ein Komikoliv.
Und dann gab es einen Angeklagten, der uns bei allem Drama dieses Prozesses zum Lachen gebracht hat, weil der war erkennbar aufgeregt und nervös, als er ausgesagt hat.
Und dann wurde er zum wiederholten Male von dem Vorsitzenden Richter gefragt, aber warum haben sie denn dann weitergemacht, wenn sie doch gemerkt haben, und das hat er ja vorher gesagt, dass irgendwas hier merkwürdig ist.
Und dann hat er angeklagt und gesagt, wissen Sie, Herr Richter, ich glaube, es war einfach so, mein Penis hat irgendwann die Steuerung übernommen, mein Penis hat irgendwie das Gehirn ersetzt.
Ich kann es mir nicht anders erklären, ich glaube, genauso war es, ja, mein Penis hat das Gehirn ersetzt.
Das war ein Moment, wo selbst Giselle Pelicot nicht lachen, aber schmunzeln musste.
In der Presse war immer davon zu hören, dass auf der Anklagebank ein Querschnitt der Gesellschaft sitzt.
Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich diese Aussagen höre, diese unbedarften Erklärungen, dann frage ich mich, ob das wirklich der Wahrheit entspricht.
Oder ob manche von der Presse vielleicht damit nur verdeutlichen wollten, jeder kann Täter sein, was ja auch stimmt.
Auch darüber habe ich mit Britta gesprochen.
Das war am Anfang immer die Erzählung, also so ein Querschnitt, ein Blick in die Mitte der Gesellschaft Frankreichs.
Je länger ich mir aber dann die Aussagen vor Gericht angehört habe, fand ich doch, dass das Niveau bei vielen nicht unbedingt einem Querschnitt der Gesellschaft entsprach.
Viele hatten nicht unbedingt akademische Ausbildungen und waren erkennbar überfordert mit dieser Situation, sich da jetzt erklären zu müssen.
Und die haben teilweise noch nicht mal die Nachfragen verstanden.
Und vielleicht ist das ja eine Erklärung, wieso die Ausflüchte von manchen von ihm so einfältig sind.
Ein Angeklagter sagt aus, er müsse von Dominique unter Drogen gesetzt worden sein.
Es sei gar nicht mit seiner Moral in Einklang zu bringen, jemanden zu vergewaltigen.
Auf dem Video sieht man ihm nach dem Ejakulieren einen Daumen hoch zeigen.
Druffi sieht er dabei nicht aus.
Ein anderer Angeklagter sagt, wenn eine Frau feucht ist, dann heißt es doch, sie ist einverstanden.
Fast jeden einzelnen Verhandlungstag ist Giselle anwesend, hört sich neben den Ausreden der Angeklagten auch die verzweifelten Versuche, deren VerteidigerInnen an, die Schuld von ihnen zu lenken.
Als sie am 19. November 2024 in den Zeugenstand tritt, hat Giselle bereits 55 Verhandlungstage hinter sich gebracht.
Sie wirkt selbstbewusster als noch zu Beginn, erzählt Britta Sandberg.
In diesem Gerichtssaal gab es wirklich viele, viele, viele trübe Momente.
Trübe Momente, wenn man die vielen Aussagen der Angeklagten sich angehört hat.
Trübe Momente, wenn man mehr zu deren Kindheit und Jugend erfahren hat.
Und dann kamen die Aussagen von Giselle Pellicot und die Gerichtszeichnerin, die ich interviewt habe im Laufe dieses Prozesses, hat dazu den schönen Satz gesagt.
Ich hatte das Gefühl, als Giselle Pellicot zum ersten Mal ausgesagt hat, jetzt ging irgendwie hier ein Licht im Saal an.
Und das war auch so. Diese Frau, obwohl sie das Opfer ist, hat diesem Prozess sowas Zuversichtliches gegeben, weil sie eben da immer noch stand und dagegen gehalten hat.
Sie hat gegen gehalten, wenn die Verteidigung versucht hatte, ihr eine Mitschuld zu geben.
Wenn sie gefragt wurde, ob sie das alles nicht doch vielleicht wollte, war sie nicht eventuell doch Alkoholikerin? Eine Nudistin? Sei sie nicht immer schon unterwürfig gewesen?
Jetzt, die Hände auf dem Rednerpult gefaltet, der Saal ganz still, sagt Giselle.
Ich verstehe nun, warum sich so wenige Opfer von Vergewaltigungen trauen, Anzeige zu erstatten.
Es ist mir schwer gefallen, führt sie fort, in den vergangenen Wochen all die Banalitäten anzuhören, all die Fragen.
Wann, als sie in das Zimmer kamen, haben sie die Zustimmung von mir erhalten?
Wann genau haben sie gemerkt, dass es eine bewusstlose Frau ist, die sie vergewaltigen?
Ich habe alles Mögliche als Entschuldigung gehört, Giselle richtet sich direkt an die Angeklagten.
Warum sind sie nicht sofort gegangen, um es der Polizei zu melden?
Der Saal bleibt stumm.
Sie haben vergewaltigt. Vergewaltigung ist Vergewaltigung, ruft Giselle mit bestimmter Stimme.
Es sei nun an der Zeit, die machohafte patriarchale Gesellschaft zu hinterfragen, die Vergewaltigung für Harmlose.
Giselle schließt ihre Rede mit den Worten, dies war ein Prozess der Feigheit.
Spätestens jetzt ist Giselle Pellicot zu einer weltweiten Ikone geworden.
In ganz Frankreich tauchen Graffiti auf den Hausfassaden auf mit dem Slogan, die Scham muss die Seiten wechseln.
In über 30 französischen Städten kommt es zu Solidaritätsprotesten.
Allein in Paris gehen 3500 Menschen auf die Straße.
Die Demonstrierenden rufen, wir alle sind Giselle und tragen Banner mit ihrem Konterfeil.
Auch in ihrem alten Heimatdorf Mazon kommt es zu einem Schweigemarsch mit hunderten Teilnehmenden.
Feministische AktivistInnen verfassen offene Briefe an Giselle, die in Zeitungen gedruckt und im Radio verlesen werden.
Eine Woche nach Giselles Aussage im Gericht meldet sich am 25. November Brigitte Macron zu Wort, die Frau des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Es ist der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.
Dieser Prozess ist unverzichtbar.
Es muss ausgesprochen werden und das wird es jetzt auch.
Der Präsident und ich stehen fest an der Seite dieser Frauen.
Wir werden sie so gut wie möglich unterstützen.
Giselle muss sich plötzlich daran gewöhnen, eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, hat uns Britta erzählt.
Sie ist ja jemand, der gar nicht von sich aus das Licht der Öffentlichkeit so sucht.
Und sie ist ja auch nicht jemand, der jetzt, da konnte ja auch niemand mit rechnen, dass sie zu einer solchen Ikone wurde während dieses Prozesses.
Sie hat ja bis heute kein einziges Interview gegeben und es gab hunderte Anfragen.
Im Gegensatz zu ihrer Tochter, Caroline.
Für sie ist es womöglich nicht leicht zu akzeptieren, dass es nicht ihr Prozess ist, sondern allein der ihrer Mutter.
Antworten auf ihre Fragen, ob auch sie misshandelt wurde, hat sie bislang keine erhalten.
Immer wieder wird Dominique mit den Aufnahmen seiner Tochter konfrontiert.
Vom Richter, der Staatsanwaltschaft, sogar von seiner eigenen Verteidigung.
Er könne sich nicht erklären, wie die Fotos auf seinen Rechner gelangt sein könnten, beteuert er immer wieder.
Der Richter sagt, Dominique hätte die Möglichkeit, seine Tochter von der quälenden Ungewissheit zu befreien, was mit ihr passiert sei.
Dass er seine Schwiegertöchter nackt in der Dusche gefilmt habe, gibt er zu.
Schließlich überführen ihn die Beweise.
Aber bei seiner Tochter Caroline winkt er vehement ab.
Caroline rennt daraufhin auf den Glaskasten zu, in dem er sitzt, bricht in Tränen aus und brüllt ihren Vater an.
Du wirst in Lügen sterben, ich werde dich nie wieder besuchen.
Du wirst allein wie ein Hund enden.
Der Frage, ob Dominique auch sie missbraucht hat, wird vor Gericht schließlich nicht weiter nachgegangen.
Es fehlt an Anhaltspunkten.
Und genau das ist übrigens auch der Grund, wieso Giselle die Wut ihrer Tochter nicht teilen kann.
Und darunter leidet die Beziehung der beiden, auch sichtlich.
Ihr erinnert euch, anfangs sitzen Caroline und Giselle eng beieinander, die Hände ineinander verschränkt.
Aber mit fortschreitenden Prozess ist eine Cage zwischen den beiden zu spüren.
Irgendwann sitzen sie sogar nicht mal mehr nebeneinander, hat uns Britta erzählt.
Ich glaube, die Tatsache, dass es ihrer Mutter so schwerfällt, Caroline auch als Opfer anzuerkennen und anzuerkennen oder den Glauben mit ihr zu teilen, dass auch sie missbraucht wurde.
Caroline ist ja der festen Überzeugung, dass auch sie von ihrem Vater vergewaltigt wurde, weil sie sagt, warum seid ihr mich sonst betäuben sollen?
Das ist ja unlogisch.
Sie hat ja auch so Sätze im Prozess gesagt wie, das Einzige, was Giselle und mich unterscheidet, ist, dass sie diese vielen Beweise hat und ich nicht.
Und ich glaube, Giselle Pellicot ist ein viel Vernunft bestimmterer Mensch als ihre Tochter, die an die Dinge glaubt, die schwarz auf weiß vor ihr liegen und die dann für sich eine Art findet, damit umzugehen.
Und solange sie nicht die Gewissheit hat, dass ihr Mann ihre Tochter vergewaltigt hat, und ich glaube, das ist für jede Mutter schwer, sich das vorzustellen, hat sie da ein Fragezeichen dran.
Und dass sie ihren Schmerz mit ihrer Mutter nicht teilen kann, weil es ihrer Mutter schwerfällt, zuzugeben, dass es womöglich in dieser Familie Inzest gab, das ist, glaube ich, zu einem großen Hindernis zwischen beiden geworden.
Dazu kommt, dass Giselle sich entschieden hat, nicht alle guten Erinnerungen an ihren Ex-Mann auszulöschen.
Sie hatte die meiste Zeit ihres Lebens ein glückliches Familienleben mit drei wundervollen Kindern.
Sie will das alte Leben nicht auslöschen und ihren Mann zumindest, bis alles ans Licht kam, so in Erinnerung behalten, wie er zu ihr war.
Ein liebender Ehemann.
Und man muss sagen, Dominique war auch das.
Also er hatte zwei Seiten.
Er hatte ein perfides Doppelleben geführt, sagen die Gutachter.
Zwei Psychiater und zwei Psychologen haben sich intensiv mit Dominiques Persönlichkeitsstruktur befasst, so Britta.
Die Gutachter haben alle zunächst aber festgestellt, dass sie nur sehr selten eine Persönlichkeit gesehen haben, die so gespalten ist.
Also die zwei so gegensätzliche Seiten vereint.
Sie haben dann auch ausgesagt, dass er es wirklich ernst meinte, wenn er sagt, ich liebe meine Frau aufrichtig und sie ist die Liebe meines Lebens.
Genauso wie er es ernst gemeint hat, wenn er seinen Kindern sehr liebevoll und den Enkelkindern liebevoll umgegangen ist.
Dominique zeige zudem keine Anzeichen von Gedächtnisstörungen.
Sein Intelligenzniveau sei innerhalb der Norm, sind sich die Gutachter einig.
Er habe allerdings zahlreiche Paraphilien.
So viele, wie sie nur ziemlich selten bei einem Menschen vorkommen.
Somnophilie, also Sex mit schlafenden Personen.
Nekrophilie, Sex mit toten Personen.
Dazu kommt Fetischismus, Voyeurismus und Hang zum Sadismus.
Dominique habe auf der einen Seite seine Frau sein ganzes Leben lang idealisiert.
Auf der anderen Seite sei da das tiefe Bedürfnis, sie zu unterwerfen.
Einer der Gutachter sagt, das Erstaunliche ist der Hass in ihm.
Den bringt der Gutachter mit seiner gewalttätigen Kindheit in Verbindung.
Dominique Pellicot sei ein pathologischer Lügner und nicht fähig, Empathie zu zeigen.
Einer der Gutachter gibt an, wie wütend sich Dominique in Gesprächen mit ihm über seine Tochter Caroline zeigte,
weil sie Familiendetails an die Öffentlichkeit gegeben hat.
Das ist ekelhaft, warum muss sie die Familie beschmutzen?
Soll er ihm geantwortet haben.
What the actual fuck?
Das muss man sich mal reinziehen.
Ich kann wirklich nicht mehr.
Wie kann man so unreflektiert sein, dass man das überhaupt ausspricht?
Dass ihn das ärgert?
Okay, ja.
Aber dass er sagt, Caroline würde die Familienehre beschmutzen.
Wie absurd ist dieser Mann?
Aber Dominique sei sich der Absurdität seiner Aussage nicht bewusst.
Auf die Frage, ob es ihm nicht leid getan habe, seine Frau so leidend zu sehen, antwortet er.
Aber deshalb habe ich sie zum Neurologen gebracht.
Ob Dominique gefährlich sei, will der vorsitzende Richter von einem der Gutachter schließlich wissen.
Ich glaube nicht an die Wirksamkeit einer psychotherapeutischen Behandlung, schließt der Gutachter seine Aussage ab.
19. Dezember 2024, der Tag, auf den Giselle Pelicot vier Jahre warten musste.
Heute soll das Urteil gefällt werden.
Die Menschenmenge vor dem Gericht ist auf mehrere hundert Menschen angewachsen.
Giselle wird mit tosendem Applaus begrüßt.
Manche halten Schilder in die Luft, auf denen steht Giselle, unsere Ikone und Symbol für Würde und Mut.
Manche wollen ihr Blumen reichen.
Giselle trägt ihren kupferroten Pagenschnitt, dazu ein blau-weiß gestreiftes Hemd.
Die Sonnenbrille setzt sie schon lange nicht mehr auf.
Es ist 10.18 Uhr, als der vorsitzende Richter das Urteil verkündet.
Dominique Pelicot.
Sie werden in allen Anklagepunkten für schuldig befunden und zur Höchststrafe von 20 Jahren Haft verurteilt.
Neben den Vergewaltigungen von Giselle wird er auch der versuchten und vollendeten schweren Vergewaltigung
an der betäubten Ehefrau seines Mittäters für schuldig befunden.
Ein Rauen geht durch den Saal.
Dann folgen die Urteile für die 50 Mitangeklagten.
Der jüngste Angeklagte Jean K. wird zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt.
Üge M. wird zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt.
Und der Mann, der Giselle trotz seiner HIV-Erkrankung, die laut Gutachten hätte ansteckend sein können,
ohne Schutz Vergewaltigte, wird zu 15 Jahren verurteilt.
Die höchste Strafe unter den Mitangeklagten.
Alle 51 Angeklagten werden verurteilt.
47 wegen schwerer Vergewaltigung,
zwei Angeklagte wegen versuchter schwerer Vergewaltigung
und zwei wegen sogenannter sexueller Gewalt.
Das Strafmaß für die Mitangeklagten liegt zwischen 3 und 15 Jahren,
also deutlich unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten 10 bis 18 Jahren.
17 der Verurteilten wollen in Revision gehen.
Giselle verweilt noch eine Zeit lang im Gerichtssaal.
Danach verlässt sie ihn und tritt draußen im Foyer vor die Presse und verkündet.
Giselle sagt, sie sei es eine schwere Prüfung gewesen
und dass sie in diesem Moment an ihre drei Kinder und Enkelkinder denke.
Auch für sie habe sie diesen Kampf geführt.
Sie danke allen, die sie unterstützt haben
und denke an die Familien, die von der Tragödie betroffen sind
und an alle Opfer, die noch nicht erkannt wurden und deren Geschichten im Schatten bleiben.
Mit diesen Worten endet einer der aufsehenerregendsten Prozesse
der französischen Rechtsgeschichte.
Giselle hat genau das bekommen, was sie wollte, hat uns Britta erzählt.
Sie hat immer betont, dass dieser Prozess von ihr geführt wird,
um diejenigen, die ihr das angetan haben, zur Verantwortung zu ziehen.
Dass es aber für sie kein Prozess war gegen eine irgendwie geartete toxische Männlichkeit
oder gegen Männer an sich.
Im Gegenteil, sie wollte mit diesem Prozess ja auch Aufmerksamkeit
für dieses Phänomen der Betäubung, der chemischen Unterwerfung,
wie man es hier nennt, gewinnen.
Und von der sind ja sowohl Männer, also homosexuelle Männer meistens,
betroffen wie Frauen.
Also sie sagt, sie kämpft genauso für männliche Opfer wie für weibliche Opfer.
Giselles Kampf für Gerechtigkeit ist nun ausgefochten.
Carolin hingegen wird wohl für immer mit der Ungewissheit leben müssen.
Sie schreibt ein Buch mit dem Titel
»Und ich werde dich nie wieder Papa nennen«,
das im Januar 2025 auf Deutsch erschien,
in dem sie das Erlebte verarbeitet.
In ihrem Buch richtet sich Carolin an einer Stelle direkt an ihren Vater.
Sie erinnert sich da an einen dieser scheinbar friedlichen Grillabende,
die sie so gerne auf der schönen Terrasse im Mazon verbracht haben.
Sie schreibt »Eine Terrasse, ein Sommer, eine Familie.
Ich hasse dich.
Warst du immer schon so krank in deinem Hirn?
Und wir haben nichts gesehen?«
»Kann man sich in seinem Vater so gründlich täuschen?
Aber wer bist du eigentlich?«
Für Carolin war der Prozess äußerst unzufriedenstellend,
hat sie Britta Sandberg persönlich erzählt.
Die beiden treffen sich wenige Wochen nach Urteilsverkündung
für ein Interview in Paris.
Ja, sie fühlt sich als das vergessene Opfer in diesem Prozess.
Als das Opfer, für das es in diesem Prozess nicht genügend Raum gab.
Sie hat auch beklagt, dass sie nicht mehr Zeit für ihre eigenen Aussagen hatte.
Das kann man noch alles verstehen.
Ich kann das verstehen, weil natürlich die Konsequenz dahinter,
die ist, das ist ja jetzt die letzte, erstmal vorläufig letzte Gelegenheit gewesen,
dieses Rätsel aufzuklären, was es denn mit diesen Fotos auf sich hat.
Und sie weiß, wenn jetzt dieser Prozess darauf keine Antwort liefern konnte,
dann wird sie womöglich nie eine bekommen.
Auch wenn sie ihren eigenen Kampf vielleicht verloren hat,
sie hat daraus jetzt einen Kampf für andere gemacht, erzählt uns Britta.
Carolin hat nämlich einen Verein gegründet namens Mondeurpa,
was so viel heißen soll wie »Betäube mich nicht«.
Der Verein setzt sich für opfersexualisierter Gewalt ein
und eben vor allem für diejenigen,
die durch chemische Substanzen betäubt und missbraucht wurden.
Und für eine breite Aufklärung,
sowohl was die Symptome als auch den Nachweis der Medikamente betrifft.
Carolin hat mit ihrem Verein einen neuen Sinn in ihrem Leben gefunden.
Das Verhältnis zu ihrer Mutter bleibt jedoch weiterhin angespannt.
Das hat sie Britta so im Interview erzählt.
Es mache sie nach wie vor traurig,
dass ihre Mutter sie nicht als Opfer anerkennen könne.
Von einer Entfremdung zu sprechen,
so weit würde Carolin aber nicht gehen.
Britta hat uns noch gesagt,
dass der Kontakt zwischen Mutter und Tochter
seit dem Prozess sicherlich etwas getrübt ist.
Die Distanz geht aber vor allem von Carolin aus.
Und Giselle Pelicot vertrete den Standpunkt,
dass ihre Tochter nun machen sollte,
was ihr jetzt gut tut,
und sie werde sie dabei unterstützen.
Giselle lebt heute an einem unbekannten Ort,
weit weg von ihrer früheren Heimat Mazon.
Die heute 72-Jährige hat Gerechtigkeit für die schlimmen Taten erhalten,
sofern das überhaupt möglich ist.
Giselle versucht heute da anzuknüpfen,
wo sie vor dem Prozess aufgehört hat,
sich ein neues Leben aufzubauen.
Sie sagt aber auch,
Alles, was ich 50 Jahre lang aufgebaut habe,
ist zusammengebrochen.
Niemals wird sich diese Wunde schließen.
Britta sagt auch dazu,
Ich weiß über ihre Anwälte,
dass sie war sehr müde am Ende des Prozesses,
also Ende Dezember,
und sie hat sich seither erholt von dem Prozess.
Sie versucht, sich anderen Dingen zu widmen.
Sie geht viel Fahrrad fahren dort, wo sie jetzt wohnt.
Sie ist immer noch in engem Kontakt mit ihren Anwälten,
kommt ab und zu auch nach Paris,
hat auch kleine Reisen geplant,
und es geht ihr gut und ansonsten verhältnismäßig gut.
Ansonsten muss sie sich ja schon auch auf den nächsten Prozess vorbereiten,
der im Oktober beginnt.
Giselle möchte auch bei den Revisionsverfahren der 14 Männer dabei sein,
die das Urteil nicht hinnehmen wollen.
Erst waren es noch 17,
drei haben aber dann zurückgezogen.
Dominique hat keine Rechtsmittel eingelegt,
weswegen sein Urteil rechtskräftig ist.
Und sie wird ein Buch schreiben,
wahrscheinlich im Laufe des Jahres, so Britta,
ein Buch über ihren Fall und den Prozess.
Und das muss man so sagen,
es ist ein unglaublicher Fall,
den es zumindest nicht, dass man wüsste,
so irgendwie bisher gegeben hat.
Natürlich wurde auch deswegen so viel darüber berichtet,
sowohl national als auch international.
Ich glaube aber auch,
dass Giselle als Person viel dazu beigetragen hat,
dass das Medienecho so groß war.
In der Presse habe ich immer wieder gelesen,
sie sei eine Ikone.
Und ich muss sagen,
dass ich ein bisschen darüber gestolpert bin.
Also ich finde toll,
wie wohlwollend die Presse hier mal auf eine Betroffene blickt.
Ich habe mich aber gefragt,
ob in der öffentlichen Wahrnehmung ein Opfer
so im Idealfall auszusehen hat.
Also nicht öffentlich leidend,
nicht wütend werden,
sondern beherrscht sein,
Anfeindungen mit Fassung tragen,
nicht übermäßig das Licht der Öffentlichkeit suchen,
aber vor allem sich selbst aus dieser Opferrolle herausheben zu wollen.
So schreiben das ja einige Medien immer.
Und auch darüber habe ich mit Britta gesprochen.
Ich finde den Umgang von ihr auch bemerkenswert
und wie sie das alles trägt.
Ich bin nur skeptisch so einer Sache gegenüber
und die hat gar nichts damit zu tun,
was Giselle tut,
sondern eher wie die Medien und die Menschen teilweise auf sie blicken,
weil ich habe das Gefühl,
dass das auf so eine Art heroisiert wird,
wie ihr Umgang damit ist,
der ja sehr beeindruckend ist.
Aber ich habe so ein bisschen Angst,
dass dadurch man so ein Bild davon bekommt,
wie Opfer im besten Fall,
und das ist jetzt alles in Anführungszeichen,
zu sein haben oder sein sollten.
Ich habe da so ein bisschen mit Sorge irgendwie darauf geguckt,
ob das nachher dazu führt,
dass Opfer, die sich wie ein Opfer verhalten,
ob man das dann auf eine Art herabsetzt,
weil sie das dann nicht mit der Fassung tragen
oder weil sie nicht die Kraft haben,
da vor Gericht so auszusagen,
wie Giselle das getan hat.
Weißt du, was ich meine?
Dieser Fall ist so einzigartig ohnehin,
dass man das schlecht vergleichen kann.
Und natürlich ist dieser Begriff der Ikone überstrapaziert
und das braucht es auch letztendlich gar nicht.
Ich glaube, entscheidend bei diesem Prozess ist eher,
wird er in der Wahrnehmung
und im Umgang mit Opfern was verändern.
Bei Richtern, bei Polizisten,
die solche Fälle aufnehmen,
bei den Betroffenen selbst,
die sich dann vielleicht ein bisschen eher zutrauen,
das auch zur Anzeige zu bringen
oder vielleicht sogar auch einen öffentlichen Prozess
stattfinden zu lassen.
Und ich könnte mir vorstellen,
dass es im besten Fall ein bisschen was ändert.
Und ich glaube,
das, was Britta hier anspricht,
ist richtig.
Wir haben schon so oft hier Nachrichten bekommen,
in dem Fall jetzt meist von Frauen,
die hier von Missbrauchsfällen gehört haben
und danach den Mut hatten,
die Taten, die ihnen widerfahren sind,
anzuzeigen.
Und dass dieser Prozess so viele Menschen erreicht hat
und viele Giselle hier als Vorbild sehen,
das ist natürlich auch ihr eigener Verdienst
und liegt auch an der Entscheidung,
dass sie wollte,
dass die Welt sieht,
was ihr angetan wurde in ihrer Ehe,
dass sie in ihrer Ehe,
wo sie sich eigentlich so sicher fühlte,
vergewaltigt wurde.
Und das bringt mich zu einem weiteren Punkt.
Nur zwei Wochen nach Urteilsverkündung
sorgt eine Recherche von STRG-F für Aussehen.
Das Team hat über ein Jahr lang
Dutzende Chatgruppen auf Telegram durchleuchtet
und das waren Gruppen,
in denen sich teilweise zehntausende Männer
aus sämtlichen Winkeln dieser Erde
darüber ausgetauscht haben,
wie man Menschen für sexuelle Übergriffe
bis hin zu Vergewaltigungen
unbemerkt betäuben kann.
Und die haben sich da gegenseitig angestachelt
und haben auch ihre Partnerinnen
und anderen Nutzern zur Vergewaltigung angeboten.
Vergewaltigungen wurden dort auch angekündigt
und dann die Aufnahmen davon geteilt.
Ein Nutzer hat zum Beispiel über seine Partnerin geschrieben,
jetzt ist die Sturz besoffen
und auf ein paar Schlafmedikamenten.
Ich sollte hoffentlich bald ein bisschen Spaß haben.
Und es wurde dann gefeiert.
Wow, fantastisch.
Wie sieht sie aus?
Und dann gab es ein Foto von der Frau.
Also es macht hier so ein bisschen den Anschein,
als ob der Fall Pelikonu die Spitze des Eisbergs ist
und Missbrauch gerade in der Partnerschaft
offenbar weiter verbreitet ist,
als bisher angenommen.
Zahlen dazu gibt es aber gerade in Deutschland nicht.
Wir gehen die Tage nochmal genauer auf unserer Instagram-Seite darauf ein,
warum das so ist.
Schaut dazu gerne mal vorbei auf Mordlust, der Podcast.
Das war der Fall Giselle Pelikon, zumindest vorerst.
Wenn ihr noch mehr zu dem Fall erfahren wollt,
Britta hat eine tolle Podcast-Reihe für den Spiegel dazu gemacht.
Ein 8-Milliarden-Spezial, Avignon, der Prozess Pelikon.
Die Reihe verlinken wir euch auch nochmal in der Folgenbeschreibung.
Großes, großes Danke an Britta, dass sie uns hier so tatkräftig unterstützt hat
und uns auch weiterhin für Fragen zur Verfügung steht.
Denn, auch wenn es das mit dem Fall Giselle Pelikon vorerst war,
bei Dominique Pelikon gibt es noch weitere Entwicklungen.
Aktuell wird nämlich ermittelt, ob er nicht vielleicht auch in einen Mordfall involviert sein könnte.
1991 wurde nämlich eine junge Immobilienmaklerin in einer Wohnung gefunden.
Sie wurde mit Äther betäubt, vergewaltigt und mit ihrem Rockgürtel erdrosselt.
Fingerabdrücke sind nicht gefunden worden und die Ermittlungen kamen dann da jahrelang ins Stocken,
bis eine Untersuchungsrichterin eine Verbindung zu einem ähnlichen Fall herstellte.
1999, acht Jahre später, wird eine 19-jährige Immobilienmaklerin
bei einer vermeintlichen Wohnungsbesichtigung auf ähnliche Weise angegriffen.
Der angebliche Klient bedroht sie damals mit einem Cuttermesser,
versucht sie mit Äther zu betäuben, also ähnlich wie bei dem anderen Opfer.
Aber dieser jungen Frau gelingt damals die Flucht.
Der Täter hat jedoch Blutspuren hinterlassen.
Und zwei Jahrzehnte später kommt raus, es sind die Blutspuren von Dominique Pellicot.
Er gesteht die versuchte Vergewaltigung, aber die Ermittlerinnen gehen eben gerade der Frage nach,
ob die beiden Taten tatsächlich irgendwie zusammenhängen könnten.
Und wenn es da Neuigkeiten gibt, dann erfahrt ihr die natürlich hier.
Nächste Woche ist Laura wieder da und wir sprechen über eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.
Bis dahin eine große Bitte.
Es würde Laura und mir wirklich sehr viel bedeuten, wenn ihr wählen geht.
Wir wollen niemanden dafür verurteilen, der das bisher nicht gemacht hat.
Wir wollen nur sagen, dass wir in einer Demokratie leben, ist ganz, ganz viel wert
und heutzutage auch nicht mehr selbstverständlich, wenn wir auf andere Teile der Welt schauen.
Und ich würde jeden von euch bitten, das Werkzeug einer Demokratie, also wählen zu gehen, zu nutzen,
um dieses Land mitzugestalten.
Wir machen das so, dass wir die Parteien wählen, die unsere Werte vertreten.
Und auch wenn euch vielleicht andere Sachen wichtiger sind als uns,
bitte geht wählen, weil nichts schlimmer ist, als nicht wählen zu gehen und damit indirekt Parteien zu stärken,
deren Werte man grundlegend ablehnt.
Bis nächste Woche.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Simon Garschhammer und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.