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#191 Sieben leben

Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner im Crime.
Hier geht's um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin
Laura Wohlass, mit der ich immer einen bedeutsamen wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen
oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht's um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf, das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch
mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Heute führe ich euch alleine durch die Folge und bevor ich mit dem heutigen Fall starte,
in dem der blanke Horror über die Mitarbeitenden eines Restaurants hereinbricht.
Will ich euch kurz fragen, kennt ihr diese Leute, die alles am liebsten auf Papier machen
und sich weigern, im digitalen Zeitalter anzukommen?
Ich bin auf jeden Fall so eine Person.
Ich habe auch noch bis 2023 einen richtigen Kalender gehabt, weil ich einfach dieses haptische
liebe.
Ist aber unpraktisch, vor allem weil ich damit natürlich nie mit Lauras Kalender synchronisieren
konnte und das ist doof, vor allem wenn es KollegInnen gibt, die darauf angewiesen sind, dass
sie dir Termine reinballern können.
Und seitdem Laura und ich einen gemeinsamen digitalen Kalender haben, auf den alle zugreifen
können, funktioniert alles auch gleich besser.
Manchmal braucht man ein bisschen Anlauf, um da hinzukommen.
So ging es auch einem Pflichtverteidiger, der das Landgericht Weiden um eine Erstattung
von mehr als 1800 Euro gebeten hat, weil er eine 7000 Seiten lange Akte gedruckt hat.
Also wir bekommen ja auch manchmal noch Urteile schriftlich zu und kriegen die Kosten dann
dafür als Rechnung.
Das sind aber immer so 20 Euro und da denke ich mir schon manchmal, was ist denn da los?
Aber das schießt ja nun wirklich den Vogel ab und das Landgericht hat sich erst geweigert,
das zu zahlen und dann, wie sollte es von einem Anwalt auch sein, hat er natürlich Rechtsmittel
eingelegt.
Daraufhin hat dann das Landgericht gesagt, okay, es gibt eine Dokumentenpauschale sozusagen, um
die Kosten zu deckeln, die lag, zieht es euch rein, bei 1300 Euro.
Also auch so völlig absurd hoch.
Die wurde dann aber auch anschließend zurückgezogen und das Verfahren ging ans Oberlandesgericht
in Nürnberg und das hat dann letztlich entschieden, dass der Mann kein Geld bekommt.
Gründe, er ist Anwalt, er hat einen Laptop zu haben und Notizen kann man digital machen.
Ab 2026 müssen neu angelegte Akten von der Justiz ohnehin verpflichtend elektronisch geführt
werden und das kann ich ehrlicherweise kaum abwarten, weil, wie gesagt, wir kriegen so
viel Papierkram immer mit der Post, manchmal müssen wir das danach auch nach Einsicht dann
wieder zurückschicken.
Absurd ist das alles.
So und jetzt geht es aber gleich los mit einem Fall, der Deutschland im Jahr 2007 erschüttert
hat.
Damals wurde eine der bis dato größten Mordkommissionen gebildet und wir haben im Vorfeld mit zwei Ermittlern
aus der Soko gesprochen.
Die hört ihr auch beide ab und zu mal im Interview und beide haben uns erzählt, dass man so einen
Fall wie diesen zum Glück nur einmal in seiner Laufbahn hat.
Einige Namen haben wir geändert.
Es ist der 4.
Februar 2007, ein Sonntag kurz vor 23 Uhr und der Schauplatz unseres Falls liegt auf halber
Strecke zwischen Bremen und Hamburg.
Es ist die Gemeinde Sittensen, ein kleiner Ort in Niedersachsen, 5000 EinwohnerInnen.
Zu später Stunde sind die Straßen leer und viele Fenster dunkel.
In einem dreistöckigen Neubau im Ortszentrum brennt dagegen noch immer Licht im mittleren
Stockwerk der ersten Etage.
Von draußen kann man durch die Fenster kleine Orangenbäume erkennen, die innen auf den Fensterbrettern
stehen.
Ein leuchtendes Schild an der Hausfassade weist darauf hin, was sich in der ersten Etage befindet.
Lin Yue China Restaurant steht darauf.
Der Schriftzug ist verschnörkelt und die Ecken des Schildes ziehen chinesische Schriftzeichen.
An der gläsernen Eingangstür, die in ein Treppenhaus führt, stehen die Öffnungszeiten.
Das Lokal hat seit 30 Minuten geschlossen.
Trotzdem herrscht hinter den Fenstern noch reges Treiben.
In der Küche wird von Angestellten geputzt, an der Kasse zählt eine Kellnerin die Einnahmen.
Gleich neben ihr sitzt eine zweite Kellnerin mit einem kleinen Mädchen auf dem Schoß.
Sie spielt mit ihm, während die Mutter der Kleinen, die 28-jährige Kelly, als einzige noch
im Gastraum an einem der gedeckten Tische steht und Servietten faltet.
Sie hat glattes, pechschwarzes Haar, das ihr bis zur zierlichen Taille fällt.
Kelly und ihr Mann Benny, der in der Küche beim Putzen hilft, sind die BesitzerInnen des Lin Yue.
Bennys Familie kommt ursprünglich aus Hongkong, ihre aus China.
Und sie haben das Restaurant hier in Sittensund vor über zehn Jahren eröffnet und sich damit
einen Namen gemacht.
An den Wochenenden sind alle Tische belegt.
Viele Stammgäste kommen immer wieder.
Kelly und Benni kennen sie alle mit Namen und begrüßen sie stets mit einem freundlichen
Handschlag.
Gastfreundschaft steht bei dem Betreiber Ehepaar an oberster Stelle.
Und gleich darauf folgt der Fleiß.
Kelly und Benni arbeiten von morgens bis spätabends im Lin Yue.
Sieben Tage die Woche.
Ihre kleine Tochter Mai verbringt währenddessen viel Zeit bei ihrer Großmutter, Kellys Mutter,
die nur einen Steinwurf entfernt lebt.
Erst abends, wenn dann nicht mehr ganz so viel los ist, bringt die Großmutter Mai zurück
zu Kelly und Benni ins Lokal, in den großen Gastraum.
Und der gleicht in Mais Augen sicherlich einem Abenteuerspielplatz.
Am Eingang stehen nämlich kunstvoll verzierte, riesige Vasen, die beinahe doppelt so groß
sind wie Mai.
Und durch das Restaurant verläuft ein künstlich angelegter Bach, in dem mehrere Koi-Karpfen
schwimmen.
Ein Stockwerk über dem Restaurant liegt die Wohnung von Kelly, Benni und Mai und von ihrem Familienhund.
einem kleinen Pekinesen mit kuscheligem, hellbraunem Fell, der oft im Restaurant herumwuselt.
Kelly will im Gastraum nur noch schnell alles für den morgigen Betrieb fertig machen, dann
bringt sie Mai ins Bett.
Vielleicht wird sie ihr gleich noch eines der chinesischen Kinderlieder vorspielen, die
sie so gern hört, damit Mai selig einschläft.
Doch dazu kommt es nicht mehr.
Um kurz nach 23 Uhr öffnet sich die Tür des Restaurants erneut.
Seltsam, denn um diese Uhrzeit ist die Straße vor dem Haus meist wie leer gefegt.
Und deshalb hört auch niemand draußen, wie kurz darauf drinnen beim Personal Panik ausbricht.
Und die angsterfüllten Schreie.
Der kleinen Mai.
Etwa zwei Stunden später, gegen kurz nach 1 Uhr nachts, klingelt einige Kilometer weiter
ein Festnetztelefon.
Es ist das Telefon von Andreas Schramm.
Der Polizist aus der Inspektion in Rothenburg nimmt verschlafen ab.
Was die KollegInnen, die gerade Dienst haben, von ihm wollen, hat er uns im Interview erzählt.
In der Nacht muss man sich vorstellen, Tiefschlaf.
Man wird wach.
Man wird vom Telefon aus dem Schlaf gerissen.
Und am anderen Ende ist dann halt der Kollege.
Und der informiert dann darüber, dass wir ein Tötungsdelikt hatten.
Und dass wir vier Getötete haben.
Vier erschossene Personen.
Da ist man wach.
Und dass man auf die Dienststelle kommen soll.
Die Telefonate sind natürlich immer sehr kurz, weil viele angerufen werden müssen.
Das sind keine großen Nachfragen.
Da fährt man.
Macht man sich fertig und fährt los.
Und weiß jetzt schon in diesem Moment, die nächsten 48 Stunden komme ich nicht nach Hause.
Andreas Schramm.
Ich nenne ihn jetzt übrigens Schrammi, weil ihn alle so nennen.
Und wir hier sonst nachher ein kleines Problem mit dem Namen bekommen.
Einer seiner Kollegen heißt nämlich auch Andreas.
Also Schrammi ist damals 40 Jahre alt, hat eine Halbglatze und drei Tage Bart.
Als er sich hinter das Steuer klemmt und Richtung Sittenson fährt, sind seine Augen noch ganz klein und verschlafen.
Aber im Kopf ist er hellwach.
Am Tatort wird er von Blaulicht, mehrerer Rettungswagen und von unzähligen KollegInnen empfangen.
Diejenigen, die in dieser Nacht Dienst hatten, waren früher am Tatort.
Schrammi lässt sich erstmal einen Überblick der aktuellen Ermittlungen geben.
Gegen 0.30 Uhr wurde das Team durch den Notruf eines Mannes verständigt, der seine Frau abholen wollte.
Sie ist eine der Kellnerinnen im China-Restaurant.
Er hat die vier erschossenen Personen gefunden.
Auch seine Frau war unter den Toten.
Er hat sie jeden Sonntagabend hier abgeholt.
In Malaysia, wo sie herkommen, haben die beiden zwei Kinder.
Sie werden ihre Mutter nun nie wiedersehen.
Der Mann ist völlig aufgelöst.
Schrammi kann von seiner Position aus sehen, wie der Zeuge vernommen wird.
Der psychiatrische Notdienst ist schon unterwegs.
Schrammi hat Mitleid mit dem Mann.
Und gleichzeitig will er helfen und bei den Ermittlungen mit anpacken.
Aber das tut er am besten von hier draußen, vor dem Haus, so lautet die Anweisung des Einsatzleiters.
Denn drinnen im Gebäude sind schon genug Ermittlende zugange.
Und jeder, der den Tatort zusätzlich betritt, läuft Gefahr, die Spurenlage zu verunreinigen.
Und das möchte der Einsatzleiter vermeiden.
Denn der Tatort ist jetzt schon eine Herausforderung, sagen alle.
Er ist über drei Stockwerke verteilt und dynamisch.
Also heißt, beinahe überall, außer in den Räumen im Erdgeschoss, wo sich eine Fahrschule und ein Pizzalieferdienst befinden, muss Tatgeschehen stattgefunden haben.
Die Spuren, die gesichert werden müssen, sind vermutlich überall.
Schrammi will von den KollegInnen wissen, wie es drinnen aussieht.
Es ist ein Blutbad.
Zwei der Toten, der Restaurantchef Benni und der Koch, liegen im Blutlachen im Flur des Gebäudes noch vor dem Lokal.
Beide wurden von mehreren Kugeln, Benni von zwei und der Koch von sechs, in den Oberkörper getroffen.
Benni hat zudem Hämatome an den Oberarm und eine Wunde am Kopf.
Nicht weit von seiner Leiche liegt eine Holzlatte.
Eventuell sei er damit erschlagen worden.
Zudem fehlt Benni ein Schuh, der einige Meter weiter im Eingangsbereich des Restaurants liegt.
Im Lokal hinter dem Tresen liegen zwei weitere Tote, die zwei Kellnerinnen.
Ihre Körper finden die Ermittelnden sitzend vor.
Der Oberkörper ist nach vorne gekippt.
Über ihren Köpfen liegt je ein rosafarbenes Tischtuch, das von Blut durchtränkt ist und je ein Einschussloch aufweist.
Alles sieht also danach aus, als wären die beiden Frauen von hinten durch die Tischdecke erschossen worden.
Quasi eine Hinrichtung.
Ein grauenvoller Anblick.
Und offenbar wurden die Frauen vorher wehrlos gemacht.
Unter den Tischdecken schauen ihre gefesselten Hände nämlich hervor.
Die unbekannten TäterInnen haben Kabelbinder verwendet und nicht die Handgelenke gefesselt, so wie es die Ermittelnden von anderen Tatorten eigentlich sonst kennen, sondern die Finger.
Bei der einen Frau sind die beiden Daumen vor dem Körper zusammengezogen, bei der anderen sind es die Daumen und die Zeigefinger.
Und die Fesselung ist so fest, dass sich das Blut in den Fingern der Opfer gestaut hat.
Das hat keiner der Ermittelnden je zuvor gesehen.
Wer macht sowas?
Die Schmerzen vor dem Tod müssen qualvoll gewesen sein.
Aber Schrami hat uns im Interview erzählt, dass das nicht das Schlimmste für die Einsatzkräfte am Tatort war.
Denn plötzlich hat sich etwas unter einem der Tischtücher geregt.
Etwas, das zunächst noch von den Leichen verdeckt war.
Es ist die kleine Mai, die im Arm von einer der beiden getöteten Kellnerinnen liegt.
Sie ist ganz still und schaut die PolizistInnen nur an.
Ihr schwarzes Haar und ihre Klamotten sind voller Blut, sodass die Ermittelnden sich sicher sind, dass auch Mai schwer verletzt ist.
Sofort heben sie sie hoch, weg von den Leichen, weg von dem Blut und in Sicherheit.
Ein Beamter wiegt Mai in seinen eigenen Arm, bevor er sie herannahenden NotfallsanitäterInnen übergibt.
Keiner kann glauben, was hier gerade passiert ist.
Mai hat zwischen zwei Leichen überlebt.
Niemand weiß, wie lange sie dort gelegen hat.
Und wie durch ein Wunder ist sie vollkommen unverletzt.
Das Blut, das an ihrem Körper haftet, ist das der Kellnerin.
Nicht mal eine Schramme hat sie abbekommen.
Und das grenzt im Anblick der grauenvollen Tat an ein Wunder.
Hinter dem Tresen kauert außerdem der Hund von Kelly und Benni.
Der kleine Pekingese ist auch nicht verletzt, aber verängstigt.
Und einige Schritte weiter, in einem Lagerraum, finden die PolizistInnen noch einen weiteren Überlebenden.
Allerdings ist der um einiges schlimmer zugerichtet als die kleine Mai.
Er liegt regungslos und beuchlings auf dem Boden.
Über dem Kopf des Mannes, er ist ein Küchenhelfer, liegt ebenfalls ein Tischtuch aus dem Restaurant, das blutrot gefärbt ist.
Dem Mann wurde von hinten in den Kopf geschossen.
Seine Daumen sind ebenfalls auf dem Rücken zusammengebunden und auch seine großen Zehen an den Füßen sind fest von Kabelbinder umschlungen.
Der Mann ist bewusstlos, aber er hat noch einen Puls.
Deshalb befreien ihn die BeamtInnen so schnell sie können.
Der Überlebende muss ins Krankenhaus.
Vielleicht kann man ihn retten.
Vielleicht kann er sogar irgendwann aussagen, wer ihm und seinen KollegInnen das angetan hat.
Vielleicht finden die ErmittlerInnen das aber auch jeden Moment selbst heraus.
Denn aktuell besteht der Verdacht, dass die TäterInnen noch im Haus sein könnten.
Immerhin ist das Gebäude groß und unübersichtlich.
Bisher sind nur die ersten zwei Etagen gesichert.
Also bahnen sich die PolizistInnen mit schusssicheren Westen ausgestattet den Weg in den dritten Stock, wo mehrere Privatwohnungen liegen.
Was, wenn die TäterInnen sich tatsächlich dort verschanzt haben?
Die Polizei öffnet gewaltsam eine Wohnungstür nach der anderen und was dahinter zum Vorschein kommt, macht das Ausmaß des grauenvollen Verbrechens nur noch unfassbarer.
In der ersten Wohnung, in der die MitarbeiterInnen des Restaurants wohnen, liegt die Leiche eines weiteren Küchenhelfers.
Der Mann ist nur mit einem T-Shirt und Unterhose bekleidet.
Seine Hände sind auf dem Rücken gefesselt und die TäterInnen haben ein Hemd über seinen Kopf gelegt, bevor auch er mit einem Kopfschuss hingerichtet wurde.
Die BeamtInnen können nichts mehr für ihn tun.
Dann bringen sie in die nächste Wohnung vor, das Zuhause von Kelly, Benny und Mai.
Sie gehen einige wenige Schritte ins Wohnzimmer, wo sie der Schlag trifft.
Überall sind Klamotten, Boxen und Unterlagen verteilt.
Man sieht unter dem ganzen Kram kaum etwas vom Boden.
Das Zimmer sieht aus, als wäre es durchwühlt worden.
Dann fällt der Blick der Ermittelnden auf einen Körper, der inmitten der Unordnung liegt.
Es ist Kelly, Mais Mutter.
Auch sie ist aus einer hockenden Position zusammengesunken.
Ihre Daumen sind hinter ihrem Körper gefesselt und ihr langes, schwarzes Haar ist voller Blut.
Auch Kelly ist tot.
Sie wurde erschossen und offenbar vorher gewürgt.
Das legen jedenfalls mehrere Einblutungen in ihrem Gesicht nahe.
Damit steigt die Zahl der Opfer auf sechs.
Sechs Tote.
Ein Verletzter in Lebensgefahr.
Und von den TäterInnen keine Spur.
Sie sind nicht mehr im Gebäude.
Aber sie haben ein Massaker verursacht.
Man kann es nicht anders beschreiben.
Ein Massaker, das ein kleines Mädchen zum Waisenkind gemacht hat.
Wie viel hat sie gesehen?
Fragt sich Schrami.
Fest steht, dass Mai psychologisch betreut werden muss.
Außerdem wird ihre Großmutter informiert.
Auch sie hat ihre Tochter verloren.
Aber die ältere chinesische Dame muss jetzt stark sein für Mai.
Denn sie ist alles, was ihrer Enkeltochter bleibt.
Als am 5. Februar 2007 die Sonne über Sittensen aufgeht, hängen mit ihr viele Fragen in der Luft.
Wer geht so kaltblütig und brutal vor?
Was steckt hinter dieser furchtbaren Tat?
Warum mussten so viele Menschen sterben?
Um die Ermittlungsergebnisse zu bündeln, wird in den frühen Morgenstunden die Soko Lin Yue gegründet.
Mehr als 100 ErmittlerInnen aus verschiedenen Behörden kommen zusammen.
Neben der Polizeiinspektion Rothenburg, der Schrami angehört, sind auch das Landes- und das Bundeskriminalamt beteiligt.
Und während noch die verschiedenen Organisationseinheiten gebildet werden, erreicht die Soko die nächste erschütternde Nachricht.
Der Küchenhelfer, der das Verbrechen überlebt hat, ist jetzt, nur wenige Stunden später, im Krankenhaus verstorben.
Damit steigt die Opferzahl auf sieben Personen.
Das Betreiber-Ehepaar Kelly und Benny, die zwei Kellnerinnen, der Koch, der erste Hilfskoch, der oben in seiner Wohnung gefunden wurde,
und der zweite Hilfskoch aus dem Lagerraum.
Der einzige Mann, der vielleicht Hinweise auf die TäterInnen hätte geben können.
Warum er sterben musste, warum alle Mitarbeitenden des Lin Yue sterben mussten,
ist Schrami und all seinen KollegInnen zu diesem Zeitpunkt ein Rätsel, hat er uns erzählt.
Es gibt ja unterschiedlichste Motivlagen, gerade in diesem Bereich.
Es war ein Schienerestaurant.
Da denken viele sofort an asiatische organisierte Kriminalität, Triaden und Mafia.
Vor allem, weil sieben Personen hingerichtet wurden.
Das muss ja irgendeinen Grund haben.
Wir wissen auch, dass natürlich in diesem Bereich Schienerestaurants,
da gibt es zum Beispiel viel Glücksspiel.
Das kann in alle Richtungen gehen.
Bisher weiß man also überhaupt nicht, warum die sieben Personen sterben mussten.
Und das ist auch das, was die BürgerInnen von Sittensen erschreckt.
Die Nachricht vom Tod der geliebten Restaurantleute verbreitet sich am Morgen wie ein Lauffeuer.
Beim Bäcker, beim Supermarkt oder in den Friseurläden gibt es heute kein anderes Thema.
Die Betroffenheit ist riesig.
Manche gehen persönlich zum Restaurant, um dort der Opfer zu gedenken.
Sie zünden rote Kerzen an und legen Briefe und Blumen nieder,
die bald schon von einer dünnen Schneeschicht bedeckt werden.
Aus dem Schnee ragt ein giftgrünes Schild hervor,
auf das jemand in großen Lettern das Wort Warum gedruckt hat.
Es ist die Frage, die sich alle stellen.
Und während Sittensen trauert, fährt 100 Kilometer entfernt ein blauer Polo mit zwei Insassen,
bepackt mit Umzugskartons, in eine kleine Stadt namens Wildeshausen hinein.
Zwischen den beiden Männern, vorne in der Mittelkonsole, liegt ein Zettel.
Auf dem ersten Blick könnte man meinen, es handelt sich um eine Einkaufsliste.
Aber tatsächlich sind die Notizen auf dem Blatt Papier viel wertvoller.
Sie sind ein entscheidender Hinweis, der den Ermittlenden in Sittensen helfen könnte, den Fall zu lösen.
Dort steckt die Soko Lin Yui am Tag nach der Tat die Köpfe zusammen.
Immer mehr BeamtInnen werden zu dem Fall hinzugezogen und finden sich nach und nach in der Polizeiinspektion Rotenburg ein,
wo die nächsten Schritte besprochen werden.
ZeugInnen aus der Nachbarschaft und Gäste, die am Sonntagabend im Lin Yui gesessen haben,
Die Ermittlungen sind bereits im vollen Gange, als sich am Nachmittag eine ganz andere Polizeidienststelle bei der Leitung der Mordkommission meldet.
In der Innenstadt von Wildeshausen bei Bremen, knapp 100 Kilometer von Sittensen entfernt,
wurde bei einer Verkehrskontrolle ein Auto angehalten.
Ein blauer Polo, berichten die KollegInnen.
Im Auto saßen zwei Vietnamesen, die sich nicht ausweisen konnten.
Sie hatten Koks und mehr als 4000 Euro Bargeld dabei.
Eigentlich nichts, was die Soko in Sittensen interessieren würde,
aber bei einer genaueren Untersuchung des Autos habe man einen Zettel in der Mittelkonsole gefunden
und darauf Notizen, die eine Verbindung zur Tat vermuten lassen.
Plötzlich wird es für die Soko spannend.
Auf dem Papier befindet sich eine wirre Kombination aus Zahlen und Buchstaben.
2C plus 2,5 und 10D.
Damit wissen die KollegInnen bisher nichts anzufangen.
Mit der Adresse, die ebenfalls auf dem Zettel vermerkt ist, aber schon.
Hamburger Straße 9, Sittensen.
Also Sittensen mit Z.
Die Adresse des Lin Yue ist zwar die Hamburger Straße 6, nicht die 9,
aber es steht noch etwas anderes drauf.
Und zwar eine Handynummer.
Und die kann einem Mann zugeordnet werden,
der ab und zu als Hilfskellner im China-Restaurant arbeitet.
Bingo, ein erster Anhaltspunkt.
Schrami hat uns im Interview erzählt, wie er und das Team sich damals gefreut haben.
Da war natürlich Aufregung.
Das werde ich auch nicht vergessen in dem großen Saal, wo wir alle oben zusammensaßen.
Dann war klar, die müssen irgendwie zu unserem Fall gehören.
Mit George meint der Ermittler die Polizei in Wildeshausen.
Da werden die beiden Männer beide um die 30 dickes, schwarzes Haar nämlich vorläufig
festgenommen und da auch von der Polizei befragt.
Weil sie nur schlecht Deutsch sprechen, steht ihnen bei der Vernehmung ein Dolmetscher zur Seite.
Aber der kriegt an dem Tag nicht viel Arbeit, denn die Männer sagen nicht viel.
Nur, dass sie mit der Tat in Sittensen nichts zu tun haben.
Das ist für die Polizei aber nicht sehr glaubhaft.
Erstens, weil sich auf ihren Klamotten Schmauchspuren nachweisen lassen.
Das sind Rückstände, die beim Abfeuern einer Schusswaffe entstehen.
Und zweitens, weil in der Kasse des Linjua etwa 5000 Euro Bargeld fehlen.
Die Männer hatten immerhin 4000 Euro dabei.
Und drittens ist die polizeiliche Akte des Polofahrers prall gefüllt.
Der Mann heißt Winn, ist 33 Jahre alt und lebt seit 1990 in Deutschland.
Er hat vier Kinder, hält aber kaum Kontakt.
Er jobbt regelmäßig in China-Restaurants im Raum Bremen, ist aber nirgends langfristig angestellt
und stattdessen immer wieder mit dem Gesetz aneinander geraten.
Versuchter Diebstahl, versuchte Nötigung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr.
Das sind nur einige der Straftaten, die er sich zu Schulden kommen hat lassen.
Er hat also keine weiße Weste, ganz im Gegenteil zu seinem 31 Jahre alten Beifahrer.
Sein Name ist Tan.
Und der hat nicht mal eine Vorstrafe.
Der Mann kam mit seiner Familie Ende der 80er Jahre aus Vietnam in die Bundesrepublik
und ist streng katholisch, zeitweise sogar im Hause eines Pastors aufgewachsen.
Wie Winn hat auch Tan in der Vergangenheit in China-Restaurants gejobbt.
Beide aber nie im Linjuae.
Tan hatte in letzter Zeit aber weder einen Job noch einen festen Wohnsitz.
Dafür trifft man ihn und seinen Kumpel Winn gerne in einer Spielhalle in der Nähe von Bremen an.
Das findet die Polizei schnell heraus.
Und weil die Tatverdächtigen ohnehin schweigen, fahren die Beamtinnen der Soko als nächstes dorthin,
um sich nach ihnen zu erkundigen.
Vor Ort, zwischen verdunkelten Fenstern und Spielautomaten, treffen sie auf eine Mitarbeiterin des Casinos,
die Winn und Tan gut kennt.
Sie sind oft hier, sagt die Frau.
Auch am Tatabend waren sie da.
Aber diesmal haben sie die Spielstube.
Das steht so im Urteil drin, dieses Wort.
Und wenn ich nicht viel zu viel Zeit in meinen Zwanzigern da verbracht hätte
und nicht ganz genau wüsste, wie das da aussieht,
dann hätte ich eine ganz falsche Vorstellung davon, was da passiert.
Naja, also sie haben die Spielstube, in Anführungszeichen, diesmal früher, etwa gegen 22 Uhr,
in Begleitung von zwei weiteren Männern verlassen.
Etwa zweieinhalb Stunden später, nach Mitternacht, seien die vier wieder zurückgekommen.
Und Winn habe einen schwarzen Tee bestellt.
Das habe die Mitarbeiterin gewundert, denn der Mann bestelle sonst nie Tee.
Interessant ist der Zeitraum, den die Zeuge nennt.
Denn zwischen 22 Uhr und halb eins gibt es keine Hinweise darauf, wo die Männer waren.
Und das ist der Zeitraum, in dem in Sittensen sieben Menschen getötet wurden.
Denn die letzten Gäste haben das China-Restaurant gegen 22.30 Uhr verlassen.
Und der Mann der getöteten Kellnerin hat die Leichen um 0.30 Uhr entdeckt.
Die Spielhalle ist etwa 70 Kilometer vom Tatort entfernt und eine Fahrt dauert etwa 40 Minuten.
Also wenn die Tatverdächtigen tatsächlich gegen 22 Uhr losgefahren sind,
wären sie kurz vor 23 Uhr in Sittensen angekommen.
Und damit hätten sie noch etwa eine Stunde für die Tat gehabt,
bevor sie zurück nach Bremen gefahren wären.
Theoretisch also genug Zeit, um sieben Morde zu begehen.
Aber die Theorie allein reicht natürlich nicht.
Die Soko muss beweisen, dass die Männer in Sittensen waren.
Und da kommen ihnen jetzt die Daten zur Hilfe,
die sie am Tag zuvor von Funkmasten in und um Sittensen gesichert haben.
Anhand derer können sie nämlich nachprüfen,
ob die Handys der Tatverdächtigen in der Zeit zwischen 23 und 0 Uhr im Umkreis eingeloggt waren.
Und tatsächlich, der Abgleich ist ein Treffer.
Die Männer waren in Sittensen.
Man kann anhand der Funkzellenabfrage sogar verfolgen,
wie sie über die Autobahn zurück Richtung Bremen zur Spielhalle gefahren sind.
Damit liegen genug Indizien gegen die Männer vor, um einen Haftbefehl zu erlassen.
Ein wahnsinniger Ermittlungserfolg und das schon in der ersten Woche nach der Tat.
Und trotzdem bleiben natürlich weitere Fragen offen.
Zum Beispiel, wer sind die anderen zwei, die die Mitarbeiterin der Spielhalle erwähnt hat?
Waren vielleicht noch mehr mit ihnen im Restaurant?
Wie stehen die Tatverdächtigen mit den Opfern überhaupt in Verbindung?
Die inzwischen hundertköpfige Soko braucht Antworten.
Und die Aufgabe, die zu finden, fällt knapp eine Woche nach dem Start der Ermittlung in Schrammis Hände.
Denn da wird er kurzerhand zum sogenannten Hauptsachbearbeiter,
also quasi zum Leiter der Ermittlungen ernannt.
Das ist eine Riesenverantwortung, wie er uns erzählt hat.
Vor allem, weil die Soko bis dahin eine der größten jemals Gegründeten in der Bundesrepublik war.
Schrammi hat uns erzählt, dass er die erste Nacht auch gar nicht schlafen konnte
und dafür dann das Ermittlungskonzept geschrieben hat, was er dem Soko-Leiter vorstellen muss.
Und hier kommt jetzt der zweite Andreas ins Spiel.
Andreas Tschirner vom Landeskriminalamt Niedersachsen, der die Soko leitet.
Mit ihm arbeitet Schrammi jetzt ganz eng zusammen.
Andreas Tschirner ist nicht wie Schrammi für die Umsetzung der einzelnen Ermittlungsschritte zuständig,
sondern legt in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft und dem BKA fest,
welche Schritte überhaupt unternommen werden.
Denn dieser Fall, der ist und bleibt eine Herausforderung,
was vor allem am großen und komplexen Tatort und den vielen Opfern liegt,
von denen keines einen deutschen Pass hat.
Die Familien von Kelly und Benni kommen zum Beispiel ja aus Hongkong und China.
Beim Hilfskoch, der im Krankenhaus gestorben ist, handelt es sich um einen Vietnamesen.
Bei der Kellnerin, deren Mann die Polizei gerufen hat, um eine Malaysierin.
Und deshalb dauert es nicht lange, bis die Soko auch Anfragen der jeweiligen Botschaften erreichen,
weil die wollen nämlich alle ganz genau wissen, was deren StaatsbürgerInnen passiert ist.
Andreas Tschirner erinnert sich noch heute daran,
wie er vom einen auf den anderen Tag zu dem Fall hinzugezogen wurde
und dann einfach wochenlang nicht mehr nach Hause kam.
Ich erinnere mich noch sehr gut, dass dann irgendjemand ruckizucki im Hintergrund Unterkünfte für uns gebucht hat in der Umgebung.
Und ich bin dann irgendwann, hat mir jemand um 23 Uhr abends einen Zimmerschlüssel in die Hand gedrückt
und gesagt, wo ich hin soll.
Wir haben noch zu Hause unsere Lebensgefährtin, Frauen oder auch Männer, je nachdem, angerufen.
Und die haben dann so unsere Sachen zusammengepackt.
Und dann ist ein Kraftfahrer rumgefahren und hat zu Hause Wäsche eingesammelt.
Wir haben noch Zahnbürsten an den Tankstellen gekauft.
Das hat ein Kollege gemacht.
Und dann haben wir uns wirklich ad hoc eingerichtet, dort zu bleiben.
Und die Tage waren wirklich davon geprägt, von einer enormen Arbeitslast, die wir aber gar nicht als so belastend empfunden haben.
Zumindest ich persönlich, weil ich wusste, wir haben ein super Team.
Alle sind total motiviert.
Und die Arbeitszeiten waren so ungefähr 7 bis 23 Uhr, Mitternacht, 1 Uhr.
Also da arbeitet man, sage ich mal, bis man nicht mehr kann.
Ganz bald kam dann die Frage auf, wo die riesige Soko überhaupt weiterhin arbeiten soll.
Das sind ja, wie gesagt, mittlerweile mehr als 100 Ermittelnde.
Und die haben fast alle Büros der Polizeidirektion in Rotenburg schon im Beschlag genommen.
Und deswegen ist nach etwa einer Woche die Belegschaft dann in ein leerstehendes Schulgebäude zum Arbeiten gezogen.
Das wurde dann quasi umgebaut als Polizeidienststelle mit Sicherungstechnik und Überwachungstechnik, sodass es der Soko da an nichts fehlt.
Nur die Stühle mussten die nehmen.
Und das waren halt Mini-Kinderstühle, auf denen dann diese vielen Ermittelnden wochenlang in ehemaligen Klassenzimmern saßen, um ein Verbrechen zu lösen.
Das finde ich irgendwie ein absurdes Bild.
Und in jedem Klassenzimmer hing ein Bild von der kleinen Mai.
Ihr Anblick war für alle in der Soko die Motivation, jeden Tag weiterzumachen, hat uns Schrami erzählt.
Wir haben das für das Mädchen gemacht.
Dass das Mädchen aufwachsen kann und weiß, was da passiert ist und wer verantwortlich ist, das war uns ganz wichtig.
In einem dieser Klassenzimmer mit den viel zu kleinen Stühlen und dem Bild von Mai an der Wand stehen Schrami und Andreas Tschirner im Februar 2007.
Schrami ist da gerade zum Ermittlungsseiter ernannt worden.
Er hat über Nacht ein Konzept erarbeitet, das er Andreas Tschirner nun vorstellt.
Und das beinhaltet die bisher wichtigsten Erkenntnisse und die Schritte, die er jetzt vorschlägt.
Höchste Priorität hat der Kreis der Tatverdächtigen.
Also heißt, sie müssen mehr über Vin und Tan herausfinden.
Also die beiden Männer, die jetzt in Untersuchungshaft sitzen.
Die Identitäten der anderen beiden Männer, die am Tatabend mit ihnen die Spielothek verlassen haben, haben sie bereits ermitteln können.
Das waren nämlich ihre jeweiligen Brüder.
Aber ob die Brüder wirklich mit Vin und Tan nach Sittensen gefahren sind und auch was mit der Tat zu tun haben, das weiß die Soko noch nicht.
Um das herauszufinden, schlägt Schrami offene und verdeckte Ermittlungen vor.
Also in dem Fall Befragungen im Umfeld der Männer, Hausdurchsuchungen und Telefonüberwachungen.
Gleichzeitig müssen sie aber auch herausfinden, was die Zahlen und die Buchstaben auf dem Zettel bedeuten, der im Polo gefunden wurde.
Und vielleicht könnte auch ein Experte oder eine Expertin Einblicke ins Milieu rund um China-Restaurants geben, in dem sich ja sowohl die Tatverdächtigen als auch die Opfer bewegt haben.
Einen kleinen Einblick ins Leben von Kelly und Benny haben die Ermittlungen schon.
Die ZeugInnen haben nämlich angegeben, dass das Betreiber-Ehepaar in seiner Freizeit oft mit dem Glück gespielt hat.
Unter anderem nach Ladenschluss bei privaten Pokerrunden im Lin-Jue.
Auch das müsse man sich genauer ansehen.
Womöglich könnte sich daraus nämlich ein Motiv ergeben.
Überhaupt steht die Frage nach dem Motiv über allem.
Ging's um Spielschulden? Ging's um Eifersucht? War's ein Raubmord?
Offensichtlich ist auf den ersten Blick, dass alle Handys und Laptops der Opfer fehlen, so wie etwa 5000 Euro aus der Kasse.
Eigentlich keine kleine Beute für einen Raub, aber doch zu klein, um dafür sieben Menschenleben auszulöschen.
Also ein einfacher Raubmord passt eigentlich nicht zu diesen schrecklichen Verbrechen.
Wäre aber natürlich trotzdem möglich.
So oder so, die Antworten müssen Sie zügig herausfinden, denn die Zeit sitzt Ihnen im Nacken.
Den Grund dafür hat uns Schrammi im Interview genannt.
Wir hatten ja sehr früh eine Festnahme und in Deutschland ist es so, dass innerhalb von sechs Monaten die Hauptverhandlung der erste Tag terminiert sein muss.
Und das nach der ersten Festnahme.
Das sind Haftprüfungsfristen, die einzuhalten sind.
Von daher gesehen hat man vom ersten Tag an schon den Druck gehabt, wir müssen in sechs Monaten anklagereif sein.
Um jetzt möglichst schnell voranzukommen, holen Andreas Tschirner und Schrammi einen Experten für asiatische Kultur dazu.
Und dem kommt zum einen die Fesselungsmethode bekannt vor, die die Täter verwendet haben.
Es handelt sich nämlich dabei um eine Methode, für die das vietnamesische Militär bekannt ist, sagt der Experte.
Zum anderen hat er sich die Zahlen und Buchstaben auf dem Zettel angesehen und meint, dass das D in 10D für Dong stehen könnte.
Also die vietnamesische Währung.
Vielleicht hat der Verfasser des Zettels also mit einer Beute von 10.000 Euro gerechnet und die drei Nullen gekürzt, also in tausender Schritten gerechnet und statt dem Eurozeichen ein D für Dong hingeschrieben.
Beides, also sowohl diese Fesselungsmethode als auch eventuell die Währung, würde darauf hindeuten, dass es sich um Täter vietnamesischer Herkunft handelt.
Was den Tatverdacht gegen die beiden Vietnamesen in Untersuchungshaft nur erhärtet.
Andererseits ist sich die Polizei inzwischen sicher, dass die beiden Männer vor der Tat einen Hinweis aus dem Linjue bekommen haben.
Nämlich von dem Mann, dessen Handynummer auf dem Zettel notiert war.
Der Aushilfskellner.
Die Ermittlungen haben ergeben, dass der Mann noch am Abend vor der Tat im China-Restaurant gearbeitet hat.
Wahrscheinlich wusste er, dass die Einkünfte vom Wochenende erst am Montagmorgen zur Bank gebracht werden.
Vielleicht hat er den mutmaßlichen Tätern den Hinweis gegeben, dass in der Tatnacht etwa 10.000 Euro im Linjue zu holen seien.
Und wer sich nach Ladenschluss im Lokal aufhält.
So leitet sich die Soko jedenfalls diese Notiz 2C plus 2,5 auf dem Zettel her.
Die könnten nämlich für die erwarteten Menschen im Restaurant stehen.
2C für zwei Chefinnen, also Kelly und Benny.
Und 2,5 für ein zweieinhalbjähriges Kind.
Also so interpretiert ist jedenfalls die Soko.
Ich habe noch eine eigene Theorie einzubringen für die 2,5.
Nämlich, dass sich noch zweieinhalb Leute im Restaurant befinden.
Also quasi die zwei Kellnerin und ein, in Anführungszeichen, halber Mensch.
So wie bei Two and a Half Men.
Da wären jetzt der Koch und der Aushilfskellner natürlich nicht dabei.
Jedenfalls konfrontieren die Ermittlungen den Aushilfskellner damit.
Aber der leugnet von einem Überfall gewusst zu haben.
Er gibt aber zu, dass er sich mit den Tatverdächtigen über das Linjue unterhalten hat.
Nur habe das einen anderen Grund gehabt, sagt der Mann.
Er habe sich nämlich für eine Scheinehe anbieten wollen, um an Geld zu kommen.
Und sei deshalb kurz vor der Tat mit den Männern in Kontakt getreten.
In dem Zusammenhang hätten sie ihn über seinen Arbeitgeber ausgefragt.
Über seine Aufgaben im Restaurant und ob es gut besucht sei.
Er habe geantwortet, weil er dachte, dass die Informationen für die Scheinehe wichtig seien.
Aber die Polizei glaubt ihm kein Wort.
Es gibt nämlich ZeugInnen, die mindestens zwei Treffen
zwischen dem vorbestraften Tatverdächtigen Winn und dem Aushilfskellner kurz vor der Tat bezeugen können.
Deshalb klicken auch um die Handgelenke des Aushilfskellners die Handschellen.
Damit sind nun drei Männer in Haft.
Aber die Soko hat ja noch zwei weitere Männer im Auge.
Die beiden Brüder der bereits inhaftierten Polofahrer.
Vins Bruder, der heißt Min, und Hans Bruder namens Kao.
Denn die beiden hatten ja in der Tat nach die Spielothek mit ihnen verlassen.
Zudem offenbart ein Blick in die Polizeiakten, dass Min, der jüngere Bruder vom vorbestraften Winn,
ebenfalls kein Problem damit hat, Gewalt anzuwenden.
Vor zwei Jahren nämlich wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls verurteilt.
ZeugInnen aus seinem Umfeld haben den ErmittlerInnen außerdem erzählt,
dass Min im Besitz einer Pistole sei.
Er habe sie mehrfach herumgezeigt.
Ob er sie in der Tatnacht auch eingesetzt hat, fragen sich die PolizistInnen.
Fest steht jedenfalls, dass Min und Winn allein anhand ihrer Polizeiakten das kriminellere Brüderpaar sind.
Ihre Vorstrafen sprechen für sich.
Die Brüder Tan und Kao haben dagegen keine Vorstrafen.
Der 40 Jahre alte Kao, der wie der Waffenbesitzer Min noch auf freiem Fuß ist,
arbeitet sogar in einer Schneiderei in einem Bremer Einkaufszentrum.
Er hat als einziger der vier einen festen Job.
Alle haben sie allerdings eines gemeinsam.
Beide Brüderpaare führen ein entgleistes Leben.
Obwohl sie seit mehr als zehn Jahren in Deutschland zu Hause sind,
hat keiner von ihnen eine Ausbildung absolviert oder war lang irgendwo angestellt.
Sie leben von Gelegenheitsjobs, teils ohne festen Wohnsitz,
schlafen bei Bekannten, trinken viel und treffen sich abends, um Geld zu verzocken, das sie nicht haben.
Alle vier haben Schulden.
Und genau darin könnte auch ihr Motiv liegen, mutmaßen Schrami und seine KollegInnen.
Im Mai 2007, drei Monate nach der Tat, ist sich das Team sicher, dass sie die richtigen Tatverdächtigen im Visier haben.
Bei einer Wohnungsdurchsuchung von Winn, dem Polofahrer, der ja schon in Haft ist, werden Kabelbinder gefunden.
Und es sind genau die, die im Restaurant zur Fesselung der Opfer verwendet wurden.
Und als mehrere BeamtInnen aus der Soko die Wohnung von Wins Bruder Min durchsuchen, das ist der Waffenbesitzer,
finden sie noch weitere Hinweise auf eine Täterschaft.
Nämlich Fasern, die von WissenschaftlerInnen mit denen am Tatort abgeglichen werden.
Kein leichtes Unterfangen, hat uns Andreas Tschöner erzählt.
Es ist nämlich schwierig festzustellen, welche von den tausenden Fasern, die am Tatort gesichert wurden, wichtig für die Ermittlungen sind und welche nicht.
Die können im Endeffekt dann nur im Abgleich mit der Täterkleidung eine Aussagekraft gewinnen.
Also es bringt jetzt gar nichts, insbesondere wenn es ein Restaurant ist, was viel begangen ist, wo sich oft Menschen bewegen.
Es bringt jetzt gar nichts an den Stühlen, Großfasern zu nehmen.
Wenn natürlich ein Stuhl zur Seite gerückt ist und man sieht, okay, hier passt was nicht, da war wohl Tatgeschehen, wird dieser Stuhl interessant.
Und wenn ich dann die Fasern zum Beispiel auf dem Stuhl sichere und finde dann Fasern von einer, genau die gleiche Faser in einer Wohnung eines Tatverdächtigen,
dann kriegt das natürlich eine Riesenbeweiskraft.
Und das, was Andreas Tschöner hier beschreibt, versuchen die Ermittlungen der Soko Lin Yue jetzt.
Also Fasern vom Tatort mit denen aus der Wohnung des Tatverdächtigen Min zu vergleichen.
Dabei fällt ihnen ein knallrotes T-Shirt in die Hände.
Die Farbe kommt ihnen bekannt vor, denn rote Fasern aus Polyester wurden auch auf zwei der Leichen festgestellt.
Kann es also sein, dass die Fasern von diesem T-Shirt stammen?
KriminaltechnikerInnen vergleichen daraufhin das Stoffgewebe des T-Shirts mit den Fasern am Tatort und das Ergebnis ist eindeutig.
Es ist eine Übereinstimmung.
Sogar ein Hundehaar vom Pekinesen, der Kelly und Benny gehörte und der am Tatort war, kann auf dem Oberteil nachgewiesen werden.
Damit steht also fest, Min muss am Tatort gewesen sein und dieses T-Shirt getragen haben.
Es lassen sich nämlich auch Schmauchspuren darauf dokumentieren.
Und er muss unmittelbaren Kontakt mit den Opfern gehabt haben.
Sonst wären die Fasern des T-Shirts nicht auf den Toten gelandet.
Deswegen wird der 29-Jährige im Mai 2007, drei Monate nach der Tat, schließlich festgenommen.
Und etwa zur gleichen Zeit, als Min in Untersuchungshaft kommt, erreicht die Justizvollzugsanstalt etwas, was den Fall nochmal voranbringt.
Und zwar ein Brief, der an Tan adressiert ist.
Also einer der beiden Männer, die mit dem blauen Polo unterwegs waren.
Es war der ohne Vorstrafen.
Der sitzt ja bereits seit drei Monaten hinter Gittern und leugnet seine Tatbeteiligung seitdem.
Doch die Zeilen, die ihn jetzt erreichen, scheinen etwas in dem 31-Jährigen zu bewegen.
Sie stammen aus der Feder eines Mannes, der ihm einmal sehr nahe stand.
Nämlich ein Mitarbeiter des Pastors, in dessen Haus der strenggläubige Tan als Jugendlicher gelebt hat.
Der Mann hat damals immer mit Tan die Hausaufgaben gemacht.
Er schreibt, dass Tans Eltern aufgrund seiner Inhaftierung sehr traurig seien.
Sowohl sie als auch der Pastor wünschen sich, dass Tan mit der Polizei kooperiert, wenn er etwas über die Tat weiß.
Dann würde er milder bestraft werden, heißt es im Brief.
Und zum Schluss appelliert der Absender noch an Tans Glauben.
Schließlich wird die Ehrlichkeit im Christentum als eine der wichtigsten Tugenden betrachtet.
Also soll auch Tan die Wahrheit sagen, heißt es in dem Brief, den der Gefangene aufmerksam liest.
Die Worte scheinen etwas in ihm auszulösen.
Sie regen ihn zum Nachdenken an.
Und dann passiert etwas, das die Ermittelnden in dem Fall einen entscheidenden Schritt voranbringt.
Tan, der Gefangene, der zeitweise im Haus des Pastors aufgewachsen ist, hält jetzt also den Brief in den Händen,
der an seinen Glauben appelliert.
Er soll die Wahrheit sagen, heißt es darin.
Und die Worte zeigen bei Tan Wirkung, denn kurz darauf meldet er sich bei den Ermittlenden und sagt,
dass er sich zu den Tatvorwürfen äußern will.
Und zwar jetzt sofort.
Beinahe so, als hätte er auf ein Zeichen gewartet.
Ein Zeichen, dass der Soko ganz gelegen kommt.
Schrami schickt sofort ein Ermittlungsteam in die JVA.
Und ein Dolmetscher übersetzt dann, was Tan vor der Polizei angibt.
Er sagt, dass er die Spielhalle in der Tatnacht mit seinen Kumpels Min und Win verlassen hat.
Also nur zu dritt, nicht wie die Polizei bisher vermutet hat, zu viert mit seinem Bruder Kao.
Er sei davon ausgegangen, dass die anderen beiden Brüder, also die vorbestraften Min und Win, ihn nach Hause fahren würden, sagt Tan weiter.
Auf der Fahrt sei er dann eingeschlafen.
Und als er aufgewacht sei, seien sie plötzlich in Sittensen vor dem Lin Yui gestanden.
Min habe eine Pistole gezogen und einen Schalldämpfer aufgeschraubt.
Da habe er, Tan, begriffen, dass ein Raub geplant sei.
Er habe nicht mitmachen wollen, habe sich aber aus Angst vor dem gewaltbereiten und bewaffneten Min dann doch dazu breitschlagen lassen.
Win habe ihm versichert, dass keine Menschen getötet werden.
Tan sollte das Geld einsammeln.
Daraufhin seien sie maskiert ins Restaurant gestürmt.
Die Brüder Min und Win hätten die Angestellten im Gastraum bedroht und gefesselt.
Dann seien plötzlich drei Männer aus der Küche gekommen.
Daraufhin habe Min drei Warnschüsse abgegeben.
Er selbst, Tan, sei auf Vins Anweisung nach oben in die Wohnung des Betreiber-Ehepaars gegangen, um das Geld zu holen.
Und als er wieder nach unten gekommen sei, habe er zwei tote Männer im Flur liegen sehen.
Chef Benni und der Koch, wie sich dann später herausstellte.
Er sei dann aus dem Gebäude ins Auto geflüchtet und völlig erschrocken gewesen, sagt er.
Und er macht ganz klar, er habe weder vom Raubüberfall gewusst, noch auf irgendwen geschossen.
Dafür seien allein die gewaltbereiten Brüder Min und Win verantwortlich.
Eine Schutzbehauptung oder zumindest eine Beschönigung, da sind sich die Ermittlerinnen sicher.
Sie gehen nämlich fest davon aus, dass Bruder Kao sehr wohl mit am Tatort war und er nur von Tan geschützt wird.
Dennoch ist Hans' Aussage für die Ermittlungen ein Durchbruch.
Schrami hat uns im Interview erzählt, wieso.
Durch diese Aussage haben wir natürlich ein Gesamtbild bekommen, was dann korrespondierte mit allem, was wir bis jetzt immer so dargelegt haben.
So fühlt man sich dann auch, wenn man die ganzen Spuren zusammenlegt und dann die Berichte schreibt.
Dann fügt sich alles so zusammen, dann gibt es ein Gesamtbild.
Zum Gesamtbild passt zum Beispiel, dass Min derjenige war, der die Pistole hatte und geschossen hat.
Oder auch, dass sich einige der Opfer, zum Beispiel Restaurantchef Benny und der Koch, zunächst in der Küche versteckt haben und dann losgerannt sind.
Womöglich wollten sie fliehen und wurden dann dabei erschossen, mutmaßen die Ermittlerinnen.
Das würde auch erklären, warum Benny und der Koch nicht gefesselt waren.
Tans Redebereitschaft bringt die Ermittelnden aber auch noch an einer anderen Front voran.
Denn der inhaftierte Tan bittet die Polizei zusätzlich, eine Nachricht an seinen Bruder Kao, den Schneider, zu überbringen.
Tan lässt Kao ausrichten, dass er die Wahrheit sagen soll.
Keiner weiß, was das genau bedeuten soll, aber es klingt, als würde ihre Vermutung stimmen, dass der Schneider Kao doch mehr zur Tat beitragen kann, als sein Bruder Tan momentan zugeben mag.
Um das zu klären, verlieren die Ermittelnden keine Zeit und konfrontieren Kao und der gibt rasch zu, er war ebenfalls dabei.
Sie waren zu viert.
Und warum sein Bruder Tan seine Teilhabe nicht erwähnt hat, weiß Kao nicht.
Vielleicht wollte er ihn schützen.
Jedenfalls sind sie zu viert von der Spielhalle aufgebrochen.
Kao behauptet aber, wie sein Bruder Tan nichts von der geplanten Tat gewusst zu haben.
Win und Min seien die treibenden Kräfte des Überfalls gewesen und hätten alles vorbereitet.
Sie hätten Insider-Informationen von einem Angestellten eingeholt, das Restaurant ausgekundschaftet und Kabelbinder besorgt.
Über die Tat könne er nicht viel sagen, gibt Kao an.
Er habe Schmerzen im Bein gehabt und sei daraufhin unten im Auto geblieben, während sein Bruder Tan mit den Brüdern Min und Win nach oben gegangen sei.
Nach etwa 20 Minuten seien sie zurückgekommen und Min habe ihn aufgefordert, trotz seiner Beinschmerzen zurückzufahren.
Was er, Kao, dann auch gemacht habe.
Er habe dann erst später in der Spielhalle von seinem Bruder erfahren, dass Min mehrere Menschen getötet habe.
Sein Bruder Tan sei kreidebleich gewesen und habe Blut an der Hose gehabt.
Sie hätten dann zu zweit irgendwann gehen wollen, aber Win und Min hätten sie nicht alleine gelassen.
Sie hätten darauf bestanden, dass man nach der Spielothek gemeinsam zur Wohnung eines Freundes fahre und dort übernachte.
Man habe dann nicht mehr über die Tat gesprochen und am nächsten Tag, als Kao aufgewacht sei, seien sein Bruder Tan und Win schon weg gewesen.
Wohin, das wusste Kao nicht.
Und wenige Stunden später habe er dann aus den Nachrichten erfahren, dass die beiden im Polo festgenommen worden seien.
So Kao.
Er habe daraufhin zur Polizei gehen wollen, aber Min habe ihn unter Druck gesetzt, es nicht zu tun.
Und um sicherzustellen, dass er das auch in den darauffolgenden Tagen nicht macht, sei Min in den Tagen danach nicht mehr von Kaos Seite gewichen.
Mit seiner Aussage belastet Kao aber nicht nur das kriminellere Brüderpaar Min und Win, sondern auch seinen Bruder.
Und vor allem sich selbst schwer.
Immerhin hat er die anderen laut eigenen Angaben nicht vom Raub abgehalten.
Er ist das Fluchtfahrzeug gefahren und er hat geholfen, die Tatwaffe zu verstecken.
Deshalb wird nun auch Kao, der fünfte Tatverdächtige von der Soko, verhaftet.
Ob seine Aussage der Wahrheit entspricht, müssen die BeamtInnen aber erst noch prüfen.
Zumindest was die Tatwaffe angeht, kann schnell Klarheit geschaffen werden.
Ein Team der Soko findet die Pistole tatsächlich an der besagten Stelle.
In ihre Einzelteile zerlegt und in Zeitungspapier gehüllt.
Die Munition, die am Tatort gefunden wurde, passt zu der Waffe.
Die Waffe, mit der die Eltern der kleinen Mai kaltblütig hingerichtet wurden.
Weder Andreas Tschirner noch Schrami wissen, wo sich Mai jetzt aufhält.
Sie und ihre Großmutter wurden direkt nach der Tat in ein Zeuginnenschutzprogramm aufgenommen,
damit Mai abseits des furchtbaren Geschehens aufwachsen kann.
Ihre Kindheit soll so normal wie möglich weitergehen.
Irgendwo, wo sie nicht das Mädchen ist, dessen Eltern hingerichtet wurden.
Aber könnten sie mit Mai sprechen, dann würden sie ihr jetzt im Juni 2007 sagen, dass sie es geschafft haben.
Sie haben die fünf Tatverdächtigen festgenommen und sie haben genug Indizien gesammelt,
dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Männer erheben kann.
Die Handydaten, die Kabelbinder, die Fasern am Tatort, verschiedene Zeuginnen-Aussagen
und die Einlassungen von den Brüdern Tan und Kau, zwei Tatverdächtigen selbst,
sind nur einige Hinweise, die auf ihre Täterschaft hindeuten.
Die Männer werden vor Gericht kommen, für das, was sie getan haben.
So viel steht fest.
Schrami und Andreas Tschirner werden beim Prozess nicht mit dabei sein.
Die beiden haben die Ermittlungen zwar geleitet, für die Beweisführung vor Gericht sind aber eher ihre KollegInnen interessant,
also die, die Befragungen von ZeugInnen oder den Tatverdächtigen durchgeführt haben zum Beispiel.
Schrami und Andreas Tschirner haben die Verhandlungen stattdessen aus der Presse verfolgt,
haben sie uns im Gespräch gesagt, denn der Ausgang des Verfahrens war ihnen natürlich enorm wichtig.
Es ist der 9. Januar 2008, als es schließlich am Landgericht Stade zur Verhandlung kommt.
Wieder ist es kalt, so wie in der Nacht, in der sieben Menschen im Linjue getötet wurden.
Jetzt sitzen ihre Familienmitglieder hier im holzvertefelten Gerichtssaal.
13 von ihnen haben sich der Anklager als NebenklägerInnen angeschlossen.
Ihnen gegenüber sitzen die fünf Angeklagten, von denen jeder zwei Rechtsbeistände an seiner Seite hat.
Drei der Angeklagten gelten für die Staatsanwaltschaft als Haupttäter.
Winn, der laut Anklageschrift für die Planung verantwortlich war,
sein Bruder Min, der die Pistole hatte,
und Tan, der ebenfalls im Restaurant war, nach eigener Aussage um das Geld einzusammeln.
Seine Rolle ist der Staatsanwaltschaft noch nicht so ganz klar,
aber dass er nichts vom anstehenden Raub wusste, glauben ihm die ErmittlerInnen nicht.
Deshalb ist auch er, wie die beiden Köpfe, die vorbestraften Brüder Min und Winn,
wegen siebenfachen Mordes und schweren Raubes angeklagt.
Die Tatbeteiligung der anderen beiden Männer auf der Anklagebank
schätzt die Staatsanwaltschaft geringer ein.
Dem Schneider Kau beispielsweise glaubt die Staatsanwaltschaft,
dass er nicht im Restaurant gewesen ist.
Das war ja der, dessen Bein vorher dann wehtat.
Laut Anklageschrift soll er zwar vom Raub gewusst haben und auch das Fluchtfahrzeug gefahren haben,
allerdings soll er nichts von den Tötungen gewusst haben und auch nicht dazu beigetragen haben.
Deswegen wird ihm nicht Mord, sondern nur der schwere Raub vorgeworfen.
Der fünfte Mann, der Aushilfskellner im Lin Yui, soll Insiderwissen an Winn weitergegeben
und damit die anderen zur Begehung des Raubes bestimmt haben.
Deshalb hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Anstiftung zum Raub gegen ihn erhoben.
Die Klarheit darüber, was genau in der Tatnacht im Restaurant in Sittensen passiert ist,
erhofft man sich während des Prozesses zu bekommen.
Die angeklagten Brüder Tan und Kau bleiben bei ihren Aussagen.
Sie wussten auf der Fahrt nach Sittensen nichts vom geplanten Raub.
Tan, der der auch im Restaurant war, nach eigener Aussage um das Geld einzusammeln,
habe sich erst vor Ort breitschlagen lassen mitzumachen.
Aber nur im Glauben, dass keine Menschen getötet werden sollten.
Kau habe das Restaurant nie betreten, sagen sie.
Für die sieben Morde seien daher ausschließlich die anderen Brüder Winn und Min verantwortlich.
Kau, der Schneider, fügt bei seiner Einlassung vor Gericht jetzt allerdings hinzu,
dass Min zu der Zeit, als Winn und Tan schon in Haft saßen,
ihm anvertraut habe, was im Restaurant passiert sei.
Und das will er dem Gericht jetzt erzählen.
Glaubt mir jetzt an der Stelle kurz, wenn ihr einen Knoten im Kopf habt von den Namen und den Brüdern.
Ich bin total bei euch.
Mir geht es ganz genauso.
Wir stellen auch noch spätestens morgen eine Art Connection-Baum zur Stütze auf Instagram.
Aber ich führe euch jetzt auch ohne dadurch.
Wir schaffen das.
Min ist ja einer der gewaltbereiteren Brüder.
Der hatte die Waffe.
Und der soll Kau, dem Schneider, der nicht im Restaurant war, der Beinschmerzen hatte,
erzählt haben, dass deren beiden Brüder, das waren ja die beiden im Polo, schon in Haft waren,
dass eigentlich niemand getötet werden sollte.
Also Kau sagt ja, er wusste sowieso gar nicht, was da vor sich ging
und hat eben angeblich von Min schon länger nach der Tat, als die anderen beiden im Gefängnis saßen,
erfahren, was im Restaurant passiert sein soll.
So, und das sagt Kau jetzt dem Gericht.
Und zwar soll Min gesagt haben, er habe nur mit der Waffe auf die Person im Restaurant gezählt,
um sie einzuschüchtern, so lange, bis sie gefesselt waren.
Dann habe er, also Min, die Restaurantbesitzerin Kelly mit vorgehaltener Waffe nach oben in ihre Wohnung geführt
um noch mehr Geld von ihr zu erpressen.
Win und Tan seien unten geblieben und hätten auf die restlichen Geiseln aufgepasst.
Und dann sei die Situation eskaliert.
Der Restaurantbesitzer Benny habe sich nämlich losgerissen und sei auf Win und Tan losgegangen.
Daraufhin habe Win mit einem Holzbrett auf Benny eingeschlagen und Min von oben zurückgerufen.
Der war ja mit seiner Waffe und Kelly oben.
Und als Min dann zurückkam, habe er dann Benny erschossen.
Und dabei sei ihm sein Pullover, mit dem er sich maskiert hatte, im Flur vom Gesicht gerutscht.
Deshalb, so erzählt er es angeblich Kau, habe er anschließend die gefesselten Personen im Restaurant hingerichtet
und danach die beiden Menschen im obersten Stockwerk, darunter auch Kelly.
Auf dem Weg nach oben sei ihm noch ein Mann entgegengekommen, der sich bis dahin versteckt hatte, der Koch.
Und auch ihn habe er erschossen.
So also würden sich dann auch die Leichen von Benny und dem Koch im Flur erklären lassen.
Nur das Kind habe er am Leben gelassen, weil es, nachdem die anderen tot waren, nicht geweint habe und zu klein gewesen sei, um sie, die Täter, zu verraten.
Kann das wirklich so gewesen sein?
Denn wenn Min die Maskierung im Flur vom Gesicht gerutscht ist, warum hat er dann neben Benny und dem Koch auch noch die Menschen im Restaurant hingerichtet?
Und warum Kelly im zweiten Stock, statt sein Gesicht einfach wieder mit dem Pullover zu verdecken?
Kelly hat ihn ja gar nicht gesehen.
Würde Cao die Wahrheit sagen, dann wären die sieben Menschen im Lin Yui tatsächlich einem grausamen Verdeckungsmord zum Opfer gefallen.
Kann das stimmen?
Nein, sagt Min.
Also der, der das angeblich so Cao erzählt haben soll.
Er sagt, das, was Cao über ihn erzählte, stimme nicht.
Er habe nie geschossen, es sei alles ganz anders gewesen.
Die nicht vorbestraften Brüder Cao und Tan hätten sehr wohl vom Raubüberfall gewusst.
Er selbst hingegen habe nur Schmiere stehen sollen.
Nicht er habe die Waffe mitgebracht, sondern Cao.
Aber kurz vor dem geplanten Überfall habe Cao gejammert, dass er nicht laufen könne.
Nur deshalb sei er, also Min, dann eingesprungen, um beim Fesseln der Opfer zu helfen.
Die Waffe habe Cao seinem Bruder Tan gegeben, der die Geiseln bedroht habe.
Min habe wie vereinbart beim Fesseln geholfen.
Dabei habe ihm ein Opfer einen Schlag gegen die Schläfe verpasst.
Er, Min, sei daraufhin so benommen gewesen, dass er das Restaurant verlassen habe.
Er könne deshalb gar nicht sagen, wer geschossen habe.
Als er das Lin-Juer verlassen habe, seien noch alle am Leben gewesen.
Damit steht im Gerichtssaal Stade Aussage gegen Aussage.
Von zwei Männern, die einmal Kumpels waren und sich nun die Schuld gegenseitig in die Schuhe schieben.
Die Tat passt allerdings, so wie Min, sie erzählt, nicht zu den Ermittlungsergebnissen.
Es wurden keine Spuren von Cao am Tatort gefunden.
Deswegen glaubt die Staatsanwaltschaft ihm ja auch, dass er draußen gewartet hat und das Fluchtfahrzeug einfach nur gefahren hat.
Und er besitzt keine Waffe.
Min dagegen schon.
Das bestätigen Zeug in und vor Gericht.
Und seine Waffe passt auch zu der Munition, die am Tatort gefunden wurde.
Damit wirkt also seine Einlassung wenig glaubhaft.
Und er kann auch keine Beweise dafür vorbringen, was Cao gesagt hat.
Dass der Raub eskaliert ist und Min und Win die Drahtzieher waren, lässt sich hingegen mit den Ermittlungsergebnissen der Soko sehr wohl vereinbaren.
Dafür spricht der dynamische Tatort.
Denn wenn die Tat so geplant gewesen wäre, wären die Toten sicherlich nicht im ganzen Haus verteilt gewesen.
Das wäre zu unübersichtlich und zu gefährlich für die Täter gewesen.
Und auch die Verletzungen an Bennys Körper, die ihm, wie Cao gesagt hat, mit einem Holzbrett zugefügt wurden.
Und die Auffindesituation der Opfer am Tatort stützen Chaos-Tatversion.
Außerdem gab es ja auch noch die Schmauchspuren auf Vins, Minz und Hans Klamotten.
Die Kabelbinder in Vins Wohnung, die roten Fasern von Vins T-Shirt und die Aussage des fünften Angeklagten, des Aushilfskenners,
der bestätigt, Informationen über das Linjuer an Vin weitergegeben zu haben.
Das Gericht kann anhand von ZeugInnen-Aussagen und Telefonaten nachvollziehen,
dass sich der Aushilfskellner und die anderen vier Angeklagten zur Tatzeit noch gar nicht lange kannten.
Ein gemeinsamer Bekannter, der vor Gericht ebenfalls aussagt, hat Vin, einen der kriminelleren Brüder,
und den Aushilfskellner des Linjuer, also den späteren Tippgeber,
erst am Tag vor der Tat in einem anderen China-Restaurant vorgestellt.
Also die kannten sich einfach erst seit einem Tag.
Vin und der Aushilfskellner sind ins Gespräch gekommen und haben festgestellt,
dass die beiden Geldsorgen haben.
Daraufhin haben sie das Restaurant verlassen und sich draußen weiter unterhalten.
Um was es da ging, weiß das Gericht natürlich nicht,
aber für die Kammer liegt nahe, dass Vin offenbart hat, dass er für Geld auch einen Raub begehen würde.
Und dass der Aushilfskellner dann das Linjuer als Tatobjekt vorgeschlagen hat,
weil er halt als Angestellter Insider-Informationen liefern konnte
und sich so einen Teil der Tatbeute erhofft hat.
Die Infos zum Beispiel, wie viele Menschen sich an einem Abend im Linjuer aufhalten,
wie viele Einnahmen zu erwarten sind und wo die Betreiber Kelly und Benny das Geld aufbewahren,
bis sie es am Montag bei der Bank einzahlen.
Das könnte der Aushilfskellner noch an Ort und Stelle an Vin verraten haben,
der dann lose auf einem Zettel mitgeschrieben hat.
Und dieser Zettel wurde ja später bei ihm im Auto gefunden.
Außerdem, und jetzt wird's interessant, sagen vor Gericht ZeugInnen aus Sittensen aus,
die die fünf Angeklagten am Nachmittag des Sonntags, also nur Stunden vor der Tat, in Sittensen gesehen haben.
Der Aushilfskellner des Linjuers soll sich unweit vom Restaurant mit Vin und Tan unterhalten haben,
während der Waffenbesitzer Min und der Schneider Kao sich einige Meter entfernt an einer Dönerbude aufgehalten haben.
Das ist jetzt einerseits ein Anzeichen dafür, dass die Brüder Tan und Kao entgegen ihrer Aussagen
sehr wohl in den geplanten Raub eingeweiht waren und eben nicht erst abends zufällig mit nach Sittensen gefahren sind.
Und andererseits ist die Kammer nun überzeugt davon, dass die Angeklagten das Linjue am Mittag ausgekundschaftet haben.
Wieso sonst sollten sie zweimal am Tag 40 Minuten von Bremen nach Sittensen fahren?
Allerdings leugnen das vier der Männer, und zwar die Brüder Tan und Kao,
der Aushilfskellner und der Waffenbesitzer Min.
Und Vin, der sich hier jetzt immer mehr als Planer der Tat entpuppt, der schweigt komplett.
Damit er und die anderen vor Gericht übrigens jedes Wort verstehen können,
hat die Kammer extra mehrere DolmetscherInnen organisiert,
die den Prozess für die Angeklagten auf vietnamesisch übersetzen.
Und das ist ein Riesenaufwand, der zwar sehr wichtig ist, den Prozess aber auch stark in die Länge zieht.
Und dazu kommt noch eine Vielzahl an ZeugInnen, die vor Gericht gehört werden.
Darunter Restaurantgäste aus dem Linjuehl, der Bekannte der Angeklagten aus der Spielothek,
zahlreiche KriminalbeamtInnen aus dieser hundertköpfigen Soko.
Und diese Befragung, die nehmen einiges an Zeit in Anspruch, was den Prozess schließlich zu einem Mammutprozess macht.
Mehr als 100 Verhandlungstage braucht es, bis das Gericht ein Urteil verkünden will.
Es ist ein Tag im Jahr 2009, mehr als zweieinhalb Jahre nach der Tat,
als sich alle Prozessbeteiligten zum letzten Mal vor dem Landgericht in Stade treffen
und der vorsitzende Richter verkündet, wie sich die grausame Tat nach Ansicht der Kammer zugetragen haben muss.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass die fünf Angeklagten dringend an Geld kommen wollten
und den Restaurantüberfall deswegen zusammen geplant haben.
Vom Aushilfskellner des Linjuehl wussten sie,
wie, dass die Einnahmen vom Wochenende frühestens am Montag zur Bank gebracht werden würden,
also haben sie noch am Sonntagnacht zugeschlagen.
Kao, der Schneider, ist draußen beim Auto geblieben,
während Winn, Min und Tan kurz nach 23 Uhr maskiert und mit erhobener Waffe ins Restaurant gestürmt sind.
Dann haben sie den Mitarbeitenden befohlen, sich hinzulegen
und einer der Männer hat alle an den Daumen gefesselt.
Wer, das konnte das Gericht nicht feststellen.
Nur Benni, der Restaurantinhaber, wurde nicht gefesselt.
Wieso, weiß das Gericht nicht.
Fest steht aber für die Kammer, dass Min Kelly mit der Waffe ins oberste Stockwerk führte,
wo er sich noch mehr Beute erhoffte.
In ihrer Wohnung fesselte er Kelly an den Händen.
Wahrscheinlich, um Geld von ihr zu erpressen.
Dann hörte Min aber von unten Krach.
Im Restaurant war nämlich gleichzeitig ein Streit ausgebrochen.
Bei Restaurantchef Benny, der ja nicht gefesselt war, versuchte zu fliehen.
Deshalb war es zum Kampf zwischen ihm, Vin und Tan gekommen.
Vin, den das Gericht für den Anführer der Tat hält, prügelte im Zuge dessen mit einer Holzlatte auf Benni ein.
Und Vin rief nach seinem Bruder Min, dem einzigen mit einer Waffe.
Und der sollte dann von oben zurückkommen.
Min ließ die gefesselte Kelly also erstmal in der Wohnung zurück, kam mit der Waffe nach unten,
und traf im Flur auf den fliehenden Benni.
Dann forderte sein Bruder Vin ihn auf, auf Benni zu schießen.
Also zielte Min mit der Waffe auf Benni und rückte zweimal ab.
Benni war damit das erste Tatopfer.
Gleichzeitig muss der Koch, der sich bis dahin in der Küche versteckt hatte, versucht haben zu fliehen.
Und diesmal hat Min nicht auf das Kommando seines Bruders gewartet,
sondern direkt siebenmal auf den Koch geschossen und sechsmal getroffen.
Danach hat er das Magazin seiner Pistole gewechselt
und im Alleingang entschieden, auch alle anderen Geiseln zu töten.
Laut Gericht wollte er damit einerseits um jeden Preis mehr Raubbeute sicherstellen
und andererseits den Raub und die beiden vorangegangenen Tötungen verdecken.
Für den Fall, dass ihn jemand erkannt hat, weil er ja nicht mehr maskiert war.
Also kurzum, es durfte einfach keine ZeugInnen geben.
Deshalb hat Min kaltblütig alle hingerichtet bis auf die kleine Mai, die er verschonte,
weil sie ihn sowieso nicht hätte verraten können.
Laut der Kammer war es also tatsächlich ein Raubmord.
Und zwar einer, der nicht nur den Vorsitzenden Richter fassungslos zurücklässt.
Knapp 5000 Euro Beute für sieben Menschen leben.
Dafür spricht die Kammer die Höchststrafe aus.
Die Brüder Winn und Min müssen beide wegen Mordes aus Habgier und Verdeckungsabsicht lebenslang in Haft.
Aber es gibt einen bedeutenden Unterschied.
Winn, der die Tat geplant hat, wird nur wegen des Mordes an Restaurantchef Benny verurteilt,
weil er seinem Bruder befohlen hat, Benny zu töten.
Alle anderen Morde hat Min, der Schütze, im Alleingang begangen.
Deshalb wird er auch als einziger wegen siebenfachen Mordes verurteilt.
Und deshalb bejaht das Gericht bei ihm auch die besondere Schwere der Schuld.
Die Strafe für den dritten Hauptangeklagten Tan fällt geringer aus.
Das Gericht glaubt ihm also, dass er die Gewalttätigkeit der anderen beiden Brüder nicht hat kommen sehen
und den Tod der Geiseln auch nicht wollte.
Daher wird Tan nicht wegen Mordes, sondern wegen Raubes mit Todesfolge zu einer Gefängnisstrafe von 14 Jahren verurteilt.
Was den Schneider Kao angeht, ist die Kammer überzeugt, dass seine Einlassung vor Gericht zumindest zu großen Teilen glaubhaft ist.
Er war zwar in Sittensen dabei, aber er war nicht oben im Restaurant.
Dementsprechend kann Kao nicht zur Eskalation des Raubes beigetragen haben.
Er ist lediglich das Fluchtauto zurück zur Spielothek gefahren, ist also keiner der Haupttäter.
Außerdem hat er die ErmittlerInnen auch am Ende zur Tatwaffe geführt.
So muss Kao nur wegen Beihilfe zum schweren Raub für knapp fünf Jahre ins Gefängnis.
Genauso wie der Hilfskoch, der den Tätern Insiderwissen zum Restaurant gegeben hat
und deshalb wegen Anstiftung zum Raub verurteilt wird.
Nach dem Urteilsspruch geht eine Welle der Erleichterung durch den Gerichtssaal.
Und nicht nur dort, auch im LKA, in Hannover, wird die gute Neuigkeit schnell geteilt.
Andreas Tschirner hat uns im Interview erzählt, wie er das Urteil aufgenommen hat.
Ich habe mich natürlich zum einen das Urteil sehr begrüßt, weil das natürlich die unterschiedlichen
Tatbeiträge aus unserer Sicht sehr treffend und sehr genau auch berücksichtigt hat.
Und noch ein großer Erfolg war dann im Nachgang, dass die Revisionen, soweit ich mich erinnere,
vom BGH nicht mal angenommen wurden.
Und das ist eigentlich dann immer schon Indiz dafür, dass da nicht nur von der Polizei,
sondern auch im Gericht dann ein entsprechend guter Prozess geführt wurde, der wenig Angriffsbude bot.
Und Schrami ging es ähnlich.
Er hat uns erzählt, dass der Schütze Min auch heute, 17 Jahre später, noch in Haft ist.
Wie es um seinen Bruder Winn, den Kopf hinter der Tat, steht, weiß Schrami nicht.
Die anderen wurden frühzeitig entlassen.
Schrami denkt noch heute immer mal wieder an das kleine Mädchen, dessen Gesicht sie jeden Tag
bei den Ermittlungen vor Augen hatten, hat er uns erzählt.
Natürlich denkt man immer wieder dran.
Jetzt auch gerade wieder, als wir mit ihnen zusammenarbeiten durften, kommt das natürlich wieder hoch.
Und ich denke dann, Mensch, die muss doch jetzt schon ein gewisses Alter haben.
Sie war damals zwei, dann ist sie vielleicht jetzt 19.
Und natürlich stellt man sich immer wieder die Frage, was möglicherweise aus diesem Mädchen geworden ist.
Aber ich weiß es tatsächlich nicht.
Auch Andreas Tschirner muss noch heute manchmal an Mai denken.
Er und Schrami erinnern sich noch immer an einen Satz, den Mai nach der Tat gesagt hat.
Der Satz konnte der Polizei nicht viel helfen.
Und doch zeugte er davon, dass das Kleinkind mehr von dem Überfall mitbekommen hat, als anfangs erhofft.
Böse Menschen waren da, hat Mai gesagt.
Böse Menschen, die das Leben derer, in deren Mitte sie aufwuchs, für 5000 Euro ausgelöscht haben.
Und das muss ich hier jetzt echt sagen, nach dem Fall, ich kann es nicht fassen, dass diese Männer bereit waren, sieben Menschenleben auszulöschen, um ihre Spielschulden und was weiß ich zu begleichen.
Das Gericht hat ja am Ende festgestellt, dass die Täter erst einen Tag vorher vom Lin-Juer erfahren haben und auch quasi im selben Moment beschlossen haben, dass sie da reingehen und Gewalt anwenden werden, um an Geld zu kommen.
Und Gewalt anwenden ist ja noch untertrieben.
Das waren Hinrichtungen.
Also so kaltblütige und willkürliche Taten haben wir hier im Podcast bisher echt selten gesprochen.
Und ich habe mir noch gedacht, wäre dieses Auto nicht zufällig bei dieser Verkehrskontrolle rausgezogen worden,
Denn wäre es sicherlich auch echt schwierig geworden, die Täter zu finden.
Die hatten ja quasi, abgesehen von dem Tippgeber, gar keinen persönlichen Bezug.
Und nur dadurch haben diese Ermittlungen dann ja erst mal Fahrt aufgenommen.
Was ich da auch wirklich beeindruckend fand, ist, welche Ausmaße diese Ermittlungen angenommen haben.
Und ich fand es echt interessant, durch Schrami und Andreas Tschirner da mal so einen Einblick zu bekommen,
wie so eine Soku überhaupt aufgebaut wird, wie die hochgezogen wird.
Und dass es eben auch manchmal Fälle gibt, die die ermittelnden Wochen, teilweise Monate aus dem familiären Umfeld rausreißen können.
Und was für einen Impact das auch auf die Privatleben hat.
Da wurde ja echt innerhalb von Tagen diese komplette Dienststelle hochgezogen,
Telefone und Computer angeschlossen, Überwachungstechnik installiert.
Es gab jeden Morgen eine Versammlung mit allen 100 Beteiligten, wo alle Ergebnisse zusammengetragen wurden.
Dann gab es da Brainstorming, um zu gucken, was man jetzt macht.
Es wurden zwei eigene Pressesprecher für den Fall bereitgestellt.
Und irgendwann gab es sogar einen Wäsche- und Postservice.
Also jemanden, der dafür verantwortlich war.
Das sind ja alles Sachen, da machen wir uns jetzt im Podcast hier nicht großartig Gedanken drüber.
Finde ich aber trotzdem mal ganz nett, so einen Einblick zu bekommen.
Also tausend Dank nochmal an unsere Experten für diese Folge, Andreas Schramm und Andreas Tschirner,
die nicht nur dafür gesorgt haben, dass wir hier einen richtig guten Einblick in den Fall hatten,
sondern die damals eben auch alles dafür getan haben, dass die Täter schnellstmöglich ins Gefängnis kommen.
Wie gesagt, falls ihr Probleme mit den Namen hattet,
kurz nach Veröffentlichung dieser Folge posten wir eine Grafik für euch,
um die fünf Täter auseinanderhalten zu können, auf Instagram bei Mordlust, der Podcast.
So, nächste Woche besprechen wir einen ganz bewegenden Fall,
der jahrelang ein Cold Case blieb, bis ein wichtiger Hinweis bei der Polizei einging,
der zu einem Verdächtigen führte.
Und ob man den dann aber mehr als drei Jahrzehnte nach der Tat noch überführen kann,
das erfahrt ihr dann in der nächsten Folge.
Wieder mit Laura.
Bis dahin.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Wohlers.
Redaktion Isabel Mayer und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.