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Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Krazer und normalerweise sitzt hier mit mir meine Freundin und Kollegin
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Laura Wohlers, mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
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Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen
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oder gesellschaftlichen Aspekte und wir sprechen mit Menschen mit Expertise.
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Heute aber führe ich euch alleine durch die Folge.
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Hier geht es wie immer um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
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Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
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Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
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Das ist für uns so eine Art Comic Relief.
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Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
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Heute erzähle ich euch von einem Fall, der mit unvorstellbaren Abgründen im Internet beginnt
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und in einer sehr umstrittenen Abwägung zwischen Freiheit, Verantwortung, Recht und Gefahr mündet.
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Also wir haben hier nichts anderes als die ganz großen Themen heute auf dem Tisch.
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Vorher möchte ich euch aber noch Folgendes erzählen.
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Stellt euch mal vor, jemand steckt euch in ein Gefängnis.
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Dabei habt ihr gar nichts gemacht und ihr wollt dann natürlich raus.
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Und dann habt ihr die Gelegenheit, mit eurem Zellenpartner auszubrechen.
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Heißt, ihr seid jetzt auf der Flucht.
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Ihr verschafft euch Zugang zu einem Auto.
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Aber ihr wisst, man ist euch schon auf der Spur.
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Und ihr müsst jetzt natürlich irgendwie untertauchen.
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Und dazu braucht ihr Hilfe von fremden Leuten.
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Ihr braucht einen Schlafplatz, Essen, Geld, all sowas.
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Und wenn ihr fünf Tage durchgestanden habt, dann wisst ihr, habt ihr es geschafft.
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Wieso ich das erzähle, einer Freundin und sehr geschätzten Kollegin von mir geht es gerade genau so.
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Elena Gruschka und Lars Töns Feuerborn.
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Die haben gerade eine Folge vom Podcast Niemand muss ein Promi sein aufgenommen
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und wurden dann einfach so weggeschnappt ins Gefängnis gesteckt.
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Die beiden nehmen nämlich gerade an einem Format teil und das heißt Most Wanted.
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Da passiert genau das, was ich gerade beschrieben habe.
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Also die und andere Promis brechen aus einem Gefängnis aus und werden dann gejagt von Huntern.
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Und das sind Joey Kelly, der ehemalige Elite-Soldat Otto Bulletproof und Max Schradin.
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Und deren Ziel ist es, innerhalb von fünf Tagen alle Promis zu fangen.
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Und damit das zumindest im Fall von Elena und Lars nicht passiert,
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sind die auf eure Mithilfe angewiesen und zwar ab jetzt.
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Die sind nämlich ab heute, wir haben heute den 30. April, auf der Flucht
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und wenn alles gut geht bis zum 4. Mai, wenn die nicht vorher geschnappt werden.
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und alle können zu KomplizInnen von denen werden.
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Denn die haben natürlich nichts bei sich.
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Also die brauchen halt Schlafplätze, Essen, Geld, eine Mitfahrgelegenheit auch vielleicht.
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Also wenn ihr im Bereich Aachen und ein Radius von ungefähr 200 Kilometern nördlich, südlich und östlich seid,
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also da fangen jetzt Städte drunter wie Münster, Düsseldorf, Frankfurt, Saarbrücken, Bielefeld und Paderborn
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und dieser ganze Bereich dazwischen und ihr Leute mit orangenen Overalls seht,
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die von Kameras begleitet werden, dann sprecht die doch an
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und helft denen bei der Flucht.
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Ihr könnt natürlich auch den Huntern helfen, indem ihr die Telefonnummer wählt,
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die hinten auf deren Overalls gedruckt ist, aber das fände ich jetzt wirklich sehr, sehr unanständig.
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Wirklichkeit hat der Fall, mit dem wir uns heute beschäftigen, auch was mit dem Thema in Freiheit gelangen zu tun,
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aber natürlich auf eine ganz andere und ernste Art.
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Paulina, wir fliegen ja schon ganz bald mit unserer Redaktion nach Mallorca für ein Arbeitsbootcamp,
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aber ja auch für ein bisschen Spaß.
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Pool-Meisterschaft, sage ich da.
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Ja, unter anderem.
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Und ich habe mir gedacht, es wäre ja cool, eine Drohne mitzunehmen.
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Ich habe immer so ein bisschen Angst.
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Also ich würde die auf jeden Fall im Pool versenken.
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Hast du schon mal mit einer Drohne gedreht?
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Naja, nee, das waren ja immer nur die Kameramänner oder die Kamerafrauen, die das bedient haben.
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Aber ich fand es immer so cool und ich fand auch, es sah nicht so schwer aus.
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Ich habe früher auf jeden Fall gerne diese Elektroautos gehabt mit der Fernbedienung, weißt du?
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Aber das Ding ist bei Drohnen natürlich, anders als bei den Autos, die man fernsteuern kann,
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dass die schon eher teuer sind.
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Also zu teuer dafür, dass ich da auf Mallorca jetzt einmal zum Spaß ein Drohnenvideo von der Natur oder von uns machen will.
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Aber da ist mir unser heutiger Werbepartner eingefallen.
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Bei Grover kann ich ja einfach eine Drohne ausleihen.
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Ich hätte noch einen Wunsch.
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Wenn du eh eine Drohne ausleihst, kannst du dann einen Beamer ausleihen.
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Weil ich habe so ein paar Filme auf meiner Liste, die wir da abends zusammen gucken können.
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Das finde ich gut.
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Bei Grover kann man ja ganz viele verschiedene technische Geräte ausleihen.
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Also ob es jetzt Beamer, Drohne, Laptop, Kamera oder sonst was ist.
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Und zwar ganz ohne Anzahlung oder Kaution.
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Und zwar so lang, wie man die eben benötigt.
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Falls wir euch jetzt damit auf Ideen bringen und ihr ganz dringend, so wie wir, eine Kamera oder einen Beamer braucht,
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keine Panik. Grover liefert innerhalb von drei Werktagen direkt bis zu euch nach Hause.
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Und falls mir das Drohnenfliegen dann entgegen aller Erwartungen so richtig, richtig viel Spaß macht
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und ich das dann irgendwie zu Hause weiterführen möchte, dann kann ich die Drohne auch behalten.
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Denn wenn die Mietdauer vorbei ist, kann man die Sachen ganz einfach weitermieten,
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wenn man die nicht zurückschicken will oder gegen was Neues tauschen.
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Oder wenn man will, eben auch kaufen.
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Und ihr müsst euch keine Gedanken machen, wenn mal was kaputt geht, weil Grover Care ist da immer inklusive.
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Grover reduziert übrigens gerade seine Preise.
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Viele Produkte sind da aktuell mehr als 20 Prozent günstiger.
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Also falls ihr Grover jetzt auch mal testen wollt, schaut einfach mal rein auf grover.com.de-de-deals.
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Und mit dem Code Mordlust40, also M-O-R-D-L-U-S-T und dann 40, die 4 und die 0,
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spart ihr 40 Euro auf den ersten Mietmonat ab einer Mietdauer von mindestens sechs Monaten.
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Das ist gültig für alle Produkte.
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Und alle Infos findet ihr auch nochmal, wie immer, in unserer Folgenbeschreibung.
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Einige Namen haben wir geändert und die Trigger-Warnung zu der Folge findet ihr in der Folgenbeschreibung.
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Also das, was diese Geschichte heute so besonders macht, passiert im Jahr 2022.
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Aber um das alles zu verstehen, brauchen wir diesmal etwas Anlauf.
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Und deswegen gehen wir zurück in den August 2014.
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Da lädt eine Frau, die wir Tina nennen, auf der Plattform Quokka,
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das ist sowas wie Ebay-Kleinanzeigen, eine Anzeige hoch.
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Sie braucht dringend Geld.
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Warum, das wissen wir nicht.
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Was wir wissen ist, dass sie Mutter eines dreijährigen Sohnes und schwanger mit ihrem zweiten Kind ist.
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Ein kleiner Bruder für ihren ersten Sohn.
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Und dass ein zweites Kind unterwegs ist, macht ihre finanzielle Lage sicherlich nicht besser.
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Im Internet sucht sie jedenfalls verzweifelt nach einem Privatkredit.
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Also nach jemandem, der ihr Geld leiht, das sie dann irgendwann zurückzahlen kann.
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Und auf diese Anzeige meldet sich ein Mann namens Colin.
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Die beiden tauschen einige Nachrichten aus, in denen Tina auch ihren Sohn erwähnt.
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Colin bietet Tina 1000 Euro an, die sie nicht mal zurückzahlen müsse, wie er sagt.
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Dafür will er aber etwas.
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Und was, das ist enorm verstörend.
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Er will Bilder von ihrem Sohn.
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Nacktbilder in sexuell aufreizenden Posen, die sie ihm per E-Mail zukommen lassen soll.
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Und ich würde euch jetzt wirklich sehr gerne sagen, dass Tina den Chat einfach direkt löscht oder das Angebot wenigstens ablehnt.
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Aber das ist leider nicht der Fall.
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Tina schickt dem Fremden aus dem Internet mehr als 170 Bilder von ihrem Sohn.
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Auf manchen Fotos fasst sie den Dreijährigen auch an seinen Genitalien an.
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So hatte sich das der Fremde von ihr gewünscht.
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Weitere Einzelheiten von diesen Aufnahmen erspare ich euch jetzt.
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Nur Stunden, nachdem sie die Bilder geschickt hat, erhält Tina eine weitere E-Mail.
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Diesmal allerdings nicht von Collins' E-Mail-Adresse, sondern von infozentrale-service-at-gmx.de.
00:07:54
Der Absender gibt vor, ein Mitarbeiter von GMX zu sein und er schreibt, dass man dort aufgrund der hohen Datenmenge festgestellt habe,
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dass Tina Fotos von Missbrauchsdarstellungen verschickt habe.
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Und dann wird sehr abstrus.
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Der Absender droht ihr damit Anzeige bei der Polizei gegen sie zu erstatten,
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wenn sie nicht innerhalb eines Tages 30.000 Euro auf ein Konto überweist.
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Alternativ bietet man ihr an, eine Tätigkeit als Auftragsdiebin, Drogenschmugglerin oder Prostituierte aufzunehmen
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oder weiterhin Nacktbilder ihres Sohnes an den Adressaten, also an Colin, zu verschicken.
00:08:31
Dann werde keine Anzeige erstattet.
00:08:34
An der Stelle ist wohl spätestens klar, dass die Mail nicht von GMX kommt, sondern eben auch von Colin.
00:08:39
Das ergibt ja sonst alles gar keinen Sinn.
00:08:42
Tina wird also jetzt von dem Mann, der ihr gerade noch Geld geboten hat, erpresst.
00:08:46
Und Tina checkt das auch.
00:08:47
Und jetzt macht sie endlich das einzig Richtige, was sie noch tun kann.
00:08:50
Sie geht nämlich zur Polizei und erzählt die ganze Geschichte.
00:08:53
Damit stößt Tina gleich zwei Dinge an.
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Sie erstattet einerseits Anzeige gegen sich selbst,
00:08:59
weil sie sich mit dem Herstellen und Versenden der Nacktbilder ihres Kindes strafbar gemacht hat.
00:09:03
Und die Polizei leitet aufgrund ihrer Aussage Ermittlungen gegen den Unbekannten ein,
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der sie zu den Aufnahmen angestiftet und später damit erpresst hat.
00:09:12
Aber die BeamtInnen haben zu wenige Infos über den Mann, um herauszufinden, wer hinter den Mails steckt.
00:09:17
Und der Unbekannte meldet sich auch plötzlich nicht mehr bei Tina.
00:09:21
Tagelang wartet die Polizei auf weitere E-Mails oder neue Versuche, Tina zu erpressen.
00:09:26
Aber es kommt nichts mehr.
00:09:27
Und so verlaufen die Ermittlungen im Sand.
00:09:30
Colin bleibt ein Phantom im Internet.
00:09:33
Ob es Konsequenzen für Tina gibt, also ob sie strafrechtlich wegen der Nacktbilder verfolgt wurde,
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das kann ich euch jetzt nicht sagen.
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Uns liegen nämlich leider nur die Akten im Verfahren gegen Colin vor.
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Wir können euch nur sagen, dass sich Tina hier wegen der Herstellung kinderpornografischer Inhalte,
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so nennt man ja Missbrauchsdarstellung von Kindern, strafbar gemacht hat.
00:09:52
Nach dem damaligen Strafrecht drohten dafür zwischen drei Monaten und bis zu fünf Jahren Haft.
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Heute ist der Strafrahmen sogar noch höher.
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Heute müsste Tina mit einer Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren rechnen.
00:10:04
In jedem Fall werden aber damals wie heute das Jugendamt und das Familiengericht eingeschaltet.
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Und die hätten Tina unter Umständen das Sorgerecht für ihren Sohn entziehen können.
00:10:13
Das ist hier aber offenbar nicht geschehen, also zumindest nicht langfristig.
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Wir machen jetzt nämlich einen Zeitsprung in den Oktober 2015, also ein Jahr und zwei Monate nach der Erpressung.
00:10:23
Und da lebt Tinas Sohn wieder oder weiterhin bei ihr.
00:10:27
Sie hat inzwischen auch ihren zweiten Sohn bekommen, der jetzt schon ein Jahr alt ist.
00:10:32
Und plötzlich, ganz unvermittelt, ploppt wieder eine Nachricht bei Tina auf.
00:10:36
Diesmal nicht per Mail, sondern auf Facebook.
00:10:39
Sie ist von einem Julian, aber Tina weiß sofort, um wen es sich dabei eigentlich handelt.
00:10:44
Denn der Mann fordert weitere Nacktbilder, diesmal beider Söhne.
00:10:50
Er will insgesamt 20 Fotos mit näher beschriebenen sexuellen Handlungen, die ich hier nicht erwähnen möchte.
00:10:55
Sonst werde er die Aufnahmen, die er vor einem Jahr bekommen und gespeichert hat, in Tinas Umfeld veröffentlichen.
00:11:01
Die Drohung ist nur der Anfang der Nachrichten, die Tina in den kommenden Tagen erreichen.
00:11:05
Ich zitiere mal einige Passagen.
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Und dann schreibt er noch, in deiner Haut will ich jetzt nicht stecken.
00:11:15
Was der Fremde nicht weiß, ist, dass Tina schon lang nicht mehr die Einzige ist, die seine Nachrichten liest.
00:11:39
Schon nach der ersten Kontaktaufnahme hat sie wieder die Polizei eingeschaltet.
00:11:43
Und seitdem kommuniziert einer der Ermittler mit Colin.
00:11:46
Oder wie auch immer sein richtiger Name sein mag.
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Und um die Identität des Mannes herauszufinden und ihn festzunehmen, wendet die Polizei einen Trick an.
00:11:54
Am frühen Morgen des 29. Oktober 2015 sendet der Ermittler ein präpariertes Bild an Colin.
00:12:02
Es zeigt einen Jungen in einer Windel, der mit einem Gartenschlauch ein Planschbecken befüllt.
00:12:06
Die Polizei setzt darauf, dass der Unbekannte das Foto öffnet, denn dann wird automatisch seine IP-Adresse an sie übermittelt.
00:12:14
Dann wollen sie zugreifen und ihn festnehmen.
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Und der Plan geht auf.
00:12:18
Schon kurz nach dem Versenden wird das Foto geöffnet und auf einen Computer heruntergeladen.
00:12:22
Die IP-Adresse des Geräts wird währenddessen an die Polizei übermittelt.
00:12:26
Der Computer steht in Berlin.
00:12:28
Die BeamtInnen, die hunderte Kilometer entfernt sitzen, geben den Einsatzkräften vor Ort Bescheid, die sich sofort auf den Weg machen.
00:12:36
Und was jetzt kommt, das gleicht ein bisschen der einen Szene von Don't Fuck With Cats, falls ihr euch daran erinnert.
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Denn ihr Ziel ist ein unscheinbarer Presseshop in Berlin-Charlottenburg, in dem der entsprechende Computer stehen muss.
00:12:47
Dort kommen die Einsatzkräfte gegen 11.15 Uhr an.
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Der Raum ist überschaubar.
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Auf der einen Seite kann man Zeitungen, Getränke und Kaugummis kaufen.
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Auf der anderen Seite stehen einige wenige Computer zur Nutzung für KundInnen bereit.
00:13:00
Und nur einer von ihnen ist besetzt, und zwar von einem Mann Ende 30.
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Er ist nicht besonders groß oder kräftig, hat Geheimratsecken im braunen kurzen Haar und trägt eine Brille.
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Das muss er also sein.
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Die BeamtInnen nähern sich ihm.
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Und als der Mann sie wahrnimmt, lässt er sich widerstandslos Handschellen anlegen und aus dem Shop führen.
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Zurück bleibt der Computer, auf dem die Polizei zwar keinen Suchverlauf oder andere Internetaktivitäten mehr nachvollziehen kann,
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dafür aber das Foto, das die KollegInnen ihm kurz vorher geschickt hatten.
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Es ist auf dem Desktop unter dem Titel Bild gespeichert.
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Auf dem Polizeirevier ist es ein leichtes für die BeamtInnen herauszufinden,
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dass der Mann, der vor ihnen sitzt, nicht Colin heißt, sondern Elias.
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Er ist bereits polizeibekannt und saß wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern schon 6,5 Jahre im Gefängnis.
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2010 wurde er entlassen, stand aber weiterhin unter Führungsaufsicht.
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Das heißt, er musste sich regelmäßig bei seiner Führungsaufsichtsstelle melden
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und durfte nicht in die Nähe von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen.
00:14:00
Die Akten zeigen allerdings, dass sich Elias herzlich wenig daran gehalten hat.
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Er hat in über 40 Fällen gegen die Auflagen verstoßen und kam deswegen schließlich wieder in Haft.
00:14:10
Dort saß er ein gutes Jahr lang, bis vor kurzem.
00:14:13
Denn jetzt, als man ihn in Berlin festgenommen hat, war Elias erst knapp vier Wochen wieder auf freiem Fuß.
00:14:19
Das erklärt auch, warum er sich jetzt wieder bei Tina gemeldet hat.
00:14:23
Der erste Kontakt zu Tina, als sie ihm die Nacktbilder von ihrem Sohn geschickt hat, war nämlich kurz bevor Elias wieder in Haft kam.
00:14:32
Der Tag, an dem sich Tina selbst angezeigt hat, ist zufällig genau derselbe Tag, an dem Elias damals wegen den Verstößen gegen seine Führungsaufsicht festgenommen wurde.
00:14:40
Und nicht mal zwei Wochen, nachdem er aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat er Tina dann auf Facebook angeschrieben, um sie wieder zu erpressen.
00:14:49
Und leider ist das noch nicht alles.
00:14:51
Als die Ermittelnden jetzt akribisch Elias' digitalen Fußabdruck untersuchen, finden sie noch weitere Mailverläufe.
00:14:57
Tina ist also nicht die einzige Mutter, der Elias' Geld für Nacktfotos ihrer Kinder geboten hat.
00:15:02
Und sie ist auch nicht die einzige Mutter, die das verstörende Angebot angenommen hat.
00:15:06
Zwei weitere Frauen sind darauf eingegangen.
00:15:09
In den Mails geht es um ein zweijähriges Mädchen und einen sieben Jahre alten Jungen.
00:15:13
Elias hat verschiedene Namen und E-Mail-Adressen genutzt, um mit den Frauen zu kommunizieren.
00:15:19
Doch damit ist jetzt Schluss.
00:15:20
Der Mann kommt erneut in Untersuchungshaft und sitzt ab Juni 2016 wieder auf der Anklagebank in einem Gerichtssaal.
00:15:27
Die Staatsanwaltschaft wirft ihm unter anderem die Anstiftung zum schweren sexuellen Missbrauch von Kindern vor,
00:15:33
weil er von den Müttern verlangt hat, dass sie ihre Söhne bzw. die eine Tochter im Genitalbereich berühren.
00:15:39
Weiter ist Elias wegen der Anstiftung zur Herstellung kinderpornografischer Schriften und versuchter Nötigung angeklagt.
00:15:47
Er hat Bestände, die der 40-Jährige weitgehend von sich weist.
00:15:50
Er behauptet, die Namen der Kinder, um die es vor Gericht geht, nicht zu kennen und nie mit ihren Müttern Kontakt gehabt zu haben.
00:15:55
Nur mit Tina habe er geschrieben, sagt Elias.
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Er gibt auch zu, sie erpresst zu haben, aber nur, weil es eine unbekannte Person in einem Chatroom von ihm verlangt habe.
00:16:06
Die Person kenne er aber selbst nicht und die Nachrichten, die er von ihr bekommen habe, habe er immer direkt löschen müssen.
00:16:12
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich stelle mir immer diese betretene Stille in Gerichtssalen vor,
00:16:17
wenn solche Geschichten da ernsthaft als Verteidigung verkauft werden.
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Elias kann natürlich nichts von dem, was er da sagt, beweisen und der Vorsitzende Richter glaubt ihm natürlich kein Wort.
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Mehr Glauben schenkt er einer weiteren Mutter namens Sheila, die vor Gericht als Zeugin aussagt.
00:16:33
Sheila ist hier, weil auch sie Elias Nacktfotos ihres Sohnes geschickt hat, aber bei ihr hat er eine andere Masche angewandt als sonst.
00:16:41
Sheila hat sich auf eine Anzeige im Internet gemeldet, in der Kindermodels im Kleinkindalter für die Bewerbung von Pflegeprodukten gesucht wurden.
00:16:49
Und sie hat ihren zweieinhalbjährigen Sohn als Model angeboten, weil der sich gerne fotografieren lasse, so erzählt sie es vor Gericht.
00:16:55
Man habe ihr daraufhin geschrieben, dass es wichtig sei, dass ihr Sohn reine Haut habe.
00:17:00
Deshalb sei sie aufgefordert worden, unbekleidete Ganzkörperfotos des Jungen zu schicken, was sie auch gemacht habe.
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Im weiteren Verlauf wären die Anforderungen der vermeintlichen Modelagentur an die Bilder immer genauer geworden.
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Die Haut ihres Sohnes sollte nicht nass oder übermäßig eingecremt sein.
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Sie habe ihn nackt stehend mit gespreizten Beinen von vorne, von der Seite und von hinten fotografieren sollen.
00:17:22
Offensichtliche Posen, bei denen der Penis und der Po des kleinen Jungen gut sichtbar waren.
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Sheila schickte die Fotos trotzdem.
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Sie habe ihren Sohn spielerisch dazu animiert, erklärt sie.
00:17:34
Zweimal hat sie für die Fotos Geld per Post erhalten.
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Misstrauisch sei sie erst geworden, als sie ihren Sohn für zwei Testtage nach Berlin bringen sollte,
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bei denen sie ihn ausdrücklich nicht hätte begleiten dürfen.
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Daraufhin hat sie den Kontakt abgebrochen, sagt Sheila im Prozess.
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Davor sei sie naiv gewesen und habe die sexuelle Absicht des Gegenübers nicht erkannt.
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Dem Sheila und den anderen Müttern die Nacktbilder ihrer Kinder an Ilias verschickt haben,
00:17:59
sagen im Prozess auch die Polizeibeamtinnen aus, die an den Ermittlungen gegen Ilias beteiligt waren.
00:18:05
Sie bezeugen, dass man die verschiedenen E-Mail-Adressen, von denen die Frauen kontaktiert wurden, zweifelsohne Ilias zuordnen konnte.
00:18:12
Die Accounts waren beispielsweise nur aktiv, wenn Ilias gerade auf freiem Fuß war.
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Außerdem wurde immer aus Internet-Cafés in seiner Nachbarschaft darauf zugegriffen.
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Und als man Ilias festgenommen hat, hatte er zwei Zettel in der Tasche.
00:18:25
Auf dem einen stand der Name von Shilas Sohn und auf dem anderen war ihr Arbeitgeber notiert.
00:18:30
Am Schluss des Prozesses hat keiner im Gerichtssaal mehr einen Zweifel daran,
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dass Ilias die Taten, die ihm zur Last gelegt werden, begangen hat.
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Im September 2017 wird er deshalb zu acht Jahren Haft verurteilt.
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Und selbst danach wird er nicht direkt in die Freiheit zurückkehren.
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Denn das Gericht ordnet zusätzlich die Sicherungsverwahrung an.
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Ilias sei ein sogenannter Hangtäter, heißt es.
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Was das bedeutet, hat uns der forensische Psychologe Fabian Obermeier erklärt.
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Ein Hangtäter ist jemand, der eine tief verwurzelte Neigung zu Rechtsbrüchen hat
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und diese dann auch immer wieder begeht, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu bietet.
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Wichtig ist, dass man dann eine Gesamtwürdigung des Täters vornimmt.
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Das heißt, man schaut nicht nur, welche Straftaten hat er begangen und wie oft,
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sondern auch, wie sich seine Persönlichkeit ausgestaltet und im Verhalten niederschlägt.
00:19:24
Ob die Taten selbst dann aus einer bewussten Entscheidung, einer dissozialen Haltung oder
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Willensschwäche resultieren, ist allerdings unerheblich.
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Entscheidend ist bloß, dass der Täter aufgrund seines inneren Zustands entweder nicht in der
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Lage oder eben nicht willens ist, sein Verhalten zu kontrollieren und dann entsprechende Taten
00:19:44
Wenn alle juristischen Voraussetzungen erfüllt sind und auch die Gefährlichkeitsprognose
00:19:50
entsprechend negativ ist, das heißt, dass auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit
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erhebliche Taten zu erwarten sind, dann kann die Sicherungsverwahrung angeordnet werden.
00:20:00
Und Elias soll eben so ein Hangtäter sein.
00:20:04
Seine kriminelle Vergangenheit belege das deutlich.
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Damit gelte er als dauerhafte Gefahr für die Allgemeinheit und soll auch nach Verbüßung
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seiner Haft weiter hinter Gitter bleiben, in Sicherungsverwahrung, wo die Gefahr, die von
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Elias ausgeht, jedes Jahr überprüft werden wird.
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Damit wird die Verhandlung geschlossen.
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Prozess vorbei, Täter in Haft.
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Eigentlich könnten wir den Fall jetzt hier abschließen, machen wir aber nicht.
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Denn Jahre später wird Elias alles versuchen, um wieder in Freiheit zu gelangen und zwar mit
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einer Taktik, die ungewöhnlich und sehr umstritten ist.
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So umstritten, dass selbst Menschenrechtler in den Alarm schlagen.
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Und so umstritten, dass man sich fragt, wie weit sollte man gehen dürfen, um seine dunklen
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Seiten auszumerzen?
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Um der Frage auf den Grund zu gehen, machen wir jetzt noch einmal einen Zeitsprung, nämlich
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zu einem Sommertag im Jahr 2020.
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Elias sitzt da bereits seit fünf Jahren in der JVA in Tegel und die Akten seinesfalls liegen
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ausgebreitet in einem Büro in Berlin-Mitte.
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Nämlich im Büro von Professor Klaus M.
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Bayer, dem Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité.
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Er hat von der Berliner Ärztekammer den Auftrag bekommen, Elias Akten zu studieren.
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Darunter finden sich mehrere Gerichtsurteile und die Gutachten von vier psychiatrischen Sachverständigen,
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die über die Jahre erstellt wurden, die Elias allesamt eine Pädophilie mit homosexueller
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Neigung bescheinigen.
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Mehr zu dieser Störung der Sexualpräferenz erzählt uns eine Frau, die selbst in ähnlichen
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Fällen als Gutachterin fungiert, die Schweizer Psychologin Monika Egli-Alge, die seit knapp
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20 Jahren pädokriminelle Straftäter therapiert.
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Bis heute weiss man nicht aus wissenschaftlicher Sicht, wie eine Präferenzbesonderheit überhaupt
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Also was die Ursachen und die Gründe sind, warum jemand eine Pädophilie entwickelt.
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Eine sexuelle Ansprechbarkeit vom kindlichen Körperschema.
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Das ist im Grunde der exakte oder jetzt aktuell im Gebrauch sich befindende Ausdruck für
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dieses Phänomen.
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Und Sie hören schon an diesen Ausdrücken, worum es da geht.
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Nämlich um das Körperschema.
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Es gibt dann die sogenannte ausschliessliche Ansprechbarkeit auf diese Körperschemata.
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Früher sagte man dem Kern Pädophilie.
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Heute nennt man das ausschliesslich.
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Also das sind Menschen, die ausschliesslich sexuell durch das kindliche Körperschema sexuell
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Die früher Kernpädophilen.
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Elias wird in mehreren Gutachten eine Kernpädophilie, beziehungsweise, wie man heute sagen würde, eine
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ausschliessliche Ansprechbarkeit auf das kindliche Körperschema diagnostiziert.
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Er selbst hat bei einem seiner Gerichtsprozesse zwar angegeben, dass er im Jugendalter auch sexuelle
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Kontakte mit gleichaltrigen Mädchen und auch mal eine längere Beziehung zu einem gleichaltrigen
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Jugendlichen gehabt hat.
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Seit er 22 Jahre alt ist, hat er sich aber gar nicht mehr für andere Erwachsene interessiert,
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sondern sich komplett seiner Pädophilie hingegeben.
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So steht es in den Akten, die Professor Bayer, also der Professor an der Charité, studiert.
00:23:20
Ab 1999 sieht sich Elias' Online-Missbrauchsdarstellung von Jungen an und tauscht sich in Foren mit
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gleichgesinnten Männern aus.
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Sie reden darüber, wie man mit Kindern in Kontakt kommt und wie man sie selbst missbrauchen
00:23:33
Elias holt sich Tipps ein, die er bald in die Tat umsetzen will.
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Und jenseits des Computers fängt er gleichzeitig an, Sozialpädagogik zu studieren, um Kindern auch
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beruflich nahe zu sein.
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Schon vor seinem Abschluss an der Fachhochschule bietet er sich in der Zeitung als Kinderbetreuer
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Er sei pünktlich und zuverlässig, schreibt Elias, und passt fortan auf mehrere Jungen auf, an denen
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er sich vergeht.
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Darunter auch die vierjährigen Zwillinge einer ehemaligen Schulkameradin.
00:24:00
Mit ihnen reist er sogar für einige Tage alleine auf die Kanaren, wo er die Geschwister
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zwingt, ihn oral zu befriedigen.
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Wo er sie streichelt, auf ihre Körper masturbiert und Fotos davon macht.
00:24:11
Bilder macht er auch von einem vierjährigen Jungen im Kinderheim, den er während seines Anerkennungspraktikums
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nackt auszieht und berührt, und von Buben, die er gezielt auf der Straße anspricht.
00:24:22
Elias fährt dazu in andere Städte, um nicht aufzufliegen.
00:24:26
Dann sucht er sich Jungen aus und bietet ihnen zwei Euro dafür, dass sie mit ihm in offenstehende
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Mehrmals gelingt ihm diese Masche.
00:24:34
Die Akten schildern jedenfalls Fälle von vier Kindern zwischen vier und acht Jahren, die
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mit ihm mitgehen.
00:24:39
Zwei Jungen einzeln und einmal zwei Brüder.
00:24:41
Elias missbraucht sie zwischen Bretterverschlägen und Umzugskartons.
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Mindestens einem der Opfer sagt er, dass das Erlebte ihr Geheimnis sei.
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Der Junge soll niemandem davon erzählen.
00:24:51
Vor einem psychiatrischen Gutachter gibt er später an, dass er die Kinder nie gezwungen habe.
00:24:56
Er habe sie nie festgehalten oder geschlagen.
00:24:59
Sie hätten ja jederzeit gehen können, wenn sie das gewollt hätten.
00:25:02
Und das ist natürlich Quatsch, aber eine ganz typische Denkweise für Pädokriminelle, wie
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uns Monika Egli-Alger erzählt hat.
00:25:10
Es gibt eine Strategie, ein Grooming-Verhalten nennen wir das.
00:25:15
Also ja, eine Strategie, wie die Täter die Kinder dazu bringen, mit ihnen diese Sachen zu
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machen, die ist im Grunde sehr fies.
00:25:27
Weil sie so vorgehen, dass die Kinder gar nicht richtig merken, was eigentlich passiert.
00:25:33
Weil sie die Kinder und oft auch das ganze Umfeld der Kinder in eine Situation einweben, die völlig
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harmlos sich präsentiert.
00:25:45
Die Täter, die können dann danach oder auch während dem Missbrauch sich selbst einreden, ich habe die Kinder ja gar nicht gezwungen.
00:25:55
Die haben ja freiwillig mitgearbeitet.
00:26:00
Die wollten das auch.
00:26:02
Ich habe ihnen gar nicht wehgetan.
00:26:05
Im Grunde haben die Kinder sogar mich selbst verführt.
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Das ist das Fiese an dieser Täterstrategie.
00:26:13
Das Fiese für die Kinder.
00:26:15
Weil die Kinder möglicherweise, das weiß man aus der Arbeit mit Opfern, erst im Nachhinein merken, was wirklich passiert ist.
00:26:27
So und hierzu noch ergänzend, Kinder können so einem Akt nicht zustimmen, weil sie gar nicht wissen, was das ist und was richtig und was falsch ist.
00:26:34
Das wissen wir ja auch aus der Lüchtefolge.
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Die Kinder haben teilweise schon ein komisches Gefühl dabei, aber können das halt eben nicht so richtig einordnen, weil sie es ja nicht kennen.
00:26:43
Monika Egli-Alge hat uns weiterhin erzählt, dass die Folgen für die Opfer erst Jahre später auftreten können.
00:26:50
Oft äußert sich der Missbrauch im Kindesalter später darin, dass die Betroffenen ihrer eigenen Wahrnehmung oder ihren Gefühlen und Grenzen nicht mehr vertrauen, weil sie die Situation damals falsch eingeschätzt haben.
00:27:01
Bei Elias war das aber so, dass mindestens eines der Kinder, die er missbraucht hat, damals begriffen hat, dass das, was sein Betreuer da mit ihm macht, nicht okay ist.
00:27:10
Sein Name ist Gustav und er ist der erste Junge, von dem wir wissen, dass Elias ihn missbraucht hat.
00:27:16
Gustav ist da sechs Jahre alt. Elias hält seine Missbrauchstaten mit der Kamera fest.
00:27:21
Drei Jahre lang betreut Elias Gustav, zwei Jahre davon missbraucht er ihn, bis der Neunjährige sich einem Freund anvertraut und die Kinder gemeinsam zur Polizei gehen.
00:27:30
Das finde ich so herzzerreißend, ja. Also diese Vorstellung, dass da so zwei Knirpse auf die Wache gehen.
00:27:39
Ich hatte in der Schule auch eine Freundin, die einen gewalttätigen Stiefvater hatte.
00:27:43
Ihr gegenüber war der nicht gewalttätig, weil die da auch schon ausgezogen war, aber halt gegenüber ihren kleinen Geschwistern.
00:27:48
Und der eine ist auch irgendwann ganz alleine zur Polizei gegangen und hat gesagt, ich will meinen Stiefpapa anzeigen.
00:27:54
Auf jeden Fall wird nach Gustavs Anzeige Gustavs Mutter eingeschaltet und Elias Missbrauchsserie ein Ende gesetzt.
00:28:00
Im darauffolgenden Prozess gesteht da insgesamt 18 Vorfälle des schweren sexuellen Missbrauchs.
00:28:04
Bleibt ihm aber auch nichts anderes übrig, denn die Bilder, die er von seinen Taten gemacht hat, sind ja relativ eindeutig.
00:28:11
Wenigstens erspart er durch sein Geständnis den Kindern, dass sie vor Gericht aussagen müssen.
00:28:16
Elias kommt daraufhin zum ersten Mal in Haft für sechseinhalb Jahre.
00:28:19
Das kann Klaus M. Bayer von der Berliner Charité 16 Jahre später, also im Sommer 2020, den Akten entnehmen, die vor ihm liegen.
00:28:26
Auch, dass Elias nach seiner Entlassung im Jahr 2010 rückfällig geworden ist.
00:28:32
Er hat wieder Kinderbetreuung angeboten und im Rahmen dessen einen Dreijährigen missbraucht.
00:28:37
Anschließend hat er Tina und die anderen Mütter dazu angestiftet, ihm Nacktfotos ihrer Kinder zu schicken, bis er deshalb im Jahr 2015 dann erneut festgenommen wurde.
00:28:46
Was Klaus M. Bayer also erkennen kann, ist, dass sich Elias in dieser Zeit kein Deut gebessert hat.
00:28:52
Und ähnlich sehen das auch die psychiatrischen Sachverständigen, die Elias über all die Jahre hinweg begutachtet haben.
00:28:58
Neben der Pädophilie bescheinigen die ihm narzisstische und antisoziale Persönlichkeitseigenschaften und manipulative Züge, die man an seinen Taten gut erkennen kann.
00:29:07
Also er hat gelogen und betrogen, um Zugang zu Kindern zu bekommen und seine Straftaten zu verwirklichen.
00:29:13
Aus dem psychiatrischen Gutachten in der Akte geht aber auch hervor, dass die Persönlichkeitszüge unterhalb einer krankhaften Persönlichkeitsstörung liegen
00:29:21
und dass Elias trotz seiner ausgeprägten Pädophilie bei allen Taten, die er begangen hat, Herr seiner Sinne war.
00:29:27
Er hat seine Übergriffe geplant und zielgerichtet durchgeführt.
00:29:30
Seine Steuerungsfähigkeit war also nie eingeschränkt.
00:29:34
Er wurde in jedem Gerichtsprozess für voll schuldfähig anerkannt.
00:29:37
Und um sich zu ändern, um seine manipulativen Züge zu behandeln und sich mit seiner Pädophilie auseinanderzusetzen,
00:29:44
wurde ihm immer wieder eine Therapie nahegelegt.
00:29:48
Denn es gibt Wege, wie man mit so einer Störung der Sexualpräferenz leben kann.
00:29:53
Aber die lehnt Elias allesamt ab.
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Er sei so pädophil, dass eine Therapie bei ihm nichts bringen würde, sagt er.
00:30:01
Und wenn doch, dann nur mit zeitlicher Begrenzung.
00:30:04
Wenn er irgendwann freikommen sollte, dann würde er eh wieder rückfällig werden.
00:30:08
Da ist sich Elias sicher.
00:30:09
So hat er es an die Ärztekammer in Berlin geschrieben.
00:30:12
Ob es untherapierbar bei Pädokriminellen überhaupt gibt, das haben wir Experte Monika Egli-Alge gefragt.
00:30:19
Das sind Täter oder Täterinnen, die ein hohes Niveau an kognitiver Verzerrung haben.
00:30:27
Kognitive Verzerrungen sind zum Beispiel die Täter, die sagen, das schadet den Kindern nicht, was ich mit ihnen mache.
00:30:36
Es ist sogar gut für die Kinder, wenn ich sie in die Sexualität einführe.
00:30:41
Das ist eine konkrete kognitive Verzerrung.
00:30:45
Diese kognitiven Verzerrungen, die sind manchmal so heftig und so fixiert in der Persönlichkeitsstruktur verankert,
00:30:54
dass man die nicht verändern kann.
00:30:57
Wenn die Täter das wirklich so krass glauben, dass das eigentlich gut ist und den Kindern gut tut
00:31:04
und die Kinder das auch selbst wollen, wir können die da nicht umpolen.
00:31:09
Das ist wie eine Ideologie.
00:31:11
Und da hilft eine herkömmliche Gesprächs- und verhaltensorientierte Therapie eigentlich nicht.
00:31:21
Der Grund, warum Professor Klaus M. Bayer in der Charité in Berlin die ganzen Akten studiert,
00:31:27
ist, dass Elias einen anderen Weg in Betracht zieht, um sich seiner abnormen sexuellen Präferenz zu entledigen.
00:31:34
Und zwar eine Operation, die seinen Körper für immer verändern wird, nämlich eine Kastration.
00:31:41
Klaus M. Bayer soll auf Anfrage der Ärztekammer in Berlin anhand der Akten ein sogenanntes medizinisches Obergutachten schreiben.
00:31:48
In anderen Worten, er soll sich eine Meinung darüber bilden, ob für Elias eine Kastration in Frage kommt,
00:31:54
also ob ihm die OP helfen würde, um sein sexuelles Verlangen nach Kindern zu unterbinden
00:31:59
und womöglich irgendwann wieder ein normales Leben, vielleicht sogar in Freiheit leben zu können.
00:32:04
Aber eine Antwort auf diese Frage zu finden, das ist alles andere als einfach.
00:32:09
Und deshalb würde ich in meinem Aha zur Kastration einmal erklären, was dieser Eingriff konkret bedeutet.
00:32:14
Zuallererst muss man zwischen einer chemischen und einer chirurgischen Kastration unterscheiden.
00:32:19
Bei der chemischen Kastration werden dem Mann Medikamente, sogenannte Anti-Androgene oder GNRH-Analoga verabreicht,
00:32:27
die die Produktion oder die Wirkung von Testosteron unterdrücken.
00:32:30
Dadurch werden die Libido und allgemein die Sexualität deutlich reduziert, solange man die Medikamente einnimmt.
00:32:37
Wenn man damit aufhört, dann normalisiert sich der Hormonspiegel mit der Zeit auch wieder.
00:32:41
Im Falle der chemischen Kastration kommt die Libido dann in der Regel wieder zurück.
00:32:45
Bei der operativen Kastration ist das anders.
00:32:48
Da werden die Keimdrüsen in den Hoden entfernt und der Patient kann danach kein Testosteron und keine Spermien mehr produzieren.
00:32:54
In beiden Fällen jedenfalls wirkt sich die Kastration nicht nur auf den Körper, sondern auch auf die Libido aus,
00:33:01
hat uns Monika Egli-Eiger erklärt.
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Bei Männern, die sich kastrieren lassen, senkt sich das Niveau der Libido etwas ab.
00:33:11
Es ist auch so, dass die körperlichen sexuellen Funktionen zurückgehen.
00:33:17
Ich beschreibe Ihnen das am besten an einem Beispiel.
00:33:21
Bei uns war ein Mann in Behandlung mit einer leichten kognitiven Beeinträchtigung.
00:33:29
Der hat ganz gut formuliert, was passiert unter chemischer Kastration.
00:33:36
Der hat gesagt, wissen Sie, ich nehme jetzt Pillen.
00:33:40
Diese Pillen wirken, und dann hat er auf seinen Schritt gezeigt, die wirken hier.
00:33:46
Also mein Penis wird nicht mehr hart.
00:33:49
Aber diese Pillen wirken nicht hier.
00:33:52
Und dann hat er auf seinen Kopf gezeigt, ich habe immer noch Fantasien mit Kindern.
00:33:58
Ich glaube, das beschreibt sehr gut, was im Körper und in der Psyche passiert.
00:34:06
Die Funktionsfähigkeit der Sexualität, der Organe geht zurück.
00:34:14
Und die Fantasien auch ein bisschen, gemäss wissenschaftlichen Erkenntnissen.
00:34:19
Das ist aber sehr unterschiedlich, wie fixiert jemand auch auf diese Fantasien ist,
00:34:25
wie sehr er immer noch hängt an diesen Fantasien.
00:34:29
Und im Alltag, wenn sich diese Person bewegt, in der Öffentlichkeit Kinder sieht, getriggert wird,
00:34:36
Das bleibt eben.
00:34:37
Die sexuelle Ansprechbarkeit auf das kindliche Körperschema, die geht nicht weg.
00:34:45
Weder unter chemischer noch unter chirurgischer Kastration.
00:34:49
Die Appetenz, der Appetit auf Erregung, auf Sexualität, das senkt sich.
00:34:57
Also nochmal zusammengefasst, laut unserer Expertin ist das Resultat von der chemischen und der chirurgischen Kastration im Prinzip dasselbe.
00:35:04
Die Betroffenen haben weniger Lust auf Sex, aber die pädophile Neigung bleibt.
00:35:08
Der Unterschied zwischen den Eingriffen ist, dass die chemische Variante den Körper nicht dauerhaft verändert.
00:35:14
Die Operation dagegen schon.
00:35:16
Der Eingriff ist also schwerer und die Operation kann noch weitere körperliche Folgen mit sich bringen.
00:35:21
Männer, die sich kastrieren lassen, haben ein erhöhtes Risiko für Osteoporose und leiden häufiger unter einer Gewichtszunahme, hat uns die Expertin erklärt.
00:35:29
Die Operation ist also nicht ohne und man kann sie nicht rückgängig machen.
00:35:33
Deshalb ist sie in Deutschland nur unter strengen Voraussetzungen erlaubt, die gesetzlich festgelegt sind.
00:35:39
Voraussetzung ist zum Beispiel, dass der Betroffene über 25 Jahre alt ist, versteht, was bei einer Kastration passiert und welche Konsequenzen der Eingriff für seinen Körper hat.
00:35:48
Außerdem muss er einwilligungsfähig sein und sich freiwillig für die Kastration entscheiden.
00:35:53
Es darf also keinerlei Druck von außen geben.
00:35:55
Sonst wären wir schnell beim Thema Zwangskastration und die sind natürlich strafbar.
00:36:00
Und auch freiwillige Kastrationen werden in Deutschland nur selten bewilligt, nämlich nur um schwere Fälle von Prostatakrebs zu behandeln oder um seelische Störungen und Leiden, die mit einem abnormen Geschlechtstrieb wie der Pädophilie zusammenhängen, zu verhüten, zu heilen oder zu lindern.
00:36:17
So steht es im sogenannten Kastrationsgesetz, das in Deutschland im Jahr 1969 in Kraft trat.
00:36:23
Das bedeutet jetzt aber nicht, dass sich jeder Pädophile, salopp gesagt, unter das Messer legen kann und dann geheilt ist.
00:36:29
Unsere Expertin erklärt, dass es nur ein ganz kleiner Teil an Straftätern ist, für die die Operation in Betracht kommt.
00:36:36
Aktuell ist die Praxis so, dass man die Kastration, auch die Medikamente, die Antiandrogene therapeutisch dann einsetzt, wenn die sexuelle Präferenz ganz besonders ausgeprägt ist, wenn die Menschen leiden in ihrem Alltag, wenn das Rückfallrisiko als sehr hoch geschätzt wird.
00:37:01
Monika Egli-Alge arbeitet, wie gesagt, seit knapp 20 Jahren mit pädophilen Menschen und sie hatte nur zweimal den Fall, dass sich jemand chemisch kastrieren lassen wollte.
00:37:09
Und nur einmal stand die operative Kastration im Raum.
00:37:13
Und ähnlich sind auch die Zahlen in Deutschland.
00:37:15
Zwischen dem Jahr 2000 und 2013 gab es nur 29 Anträge von Männern, die chirurgisch kastriert werden wollten.
00:37:21
Also wir sprechen hier von etwa zwei Anträgen im Jahr.
00:37:24
Und von den 29 wurden auch wiederum nur elf Anträge bewilligt.
00:37:28
Womit wir beim nächsten Punkt sind, den das Kastrationsgesetz in Deutschland vorschreibt.
00:37:32
Der Eingriff muss aus ärztlicher Sicht vertretbar sein.
00:37:35
Also die seelischen Leiden des Mannes oder die Rückfallgefahr müssen so stark bzw. hoch sein, dass sie die Nachteile, die der Patient von der Operation davon trägt,
00:37:45
also den Verlust der Libido und gesundheitliche Risiken, überwiegen.
00:37:49
Und ich meine, auch wenn das bei Pädokriminellen schwer zu ertragen ist, aber auch bei denen ist der Verlust der Sexualität ja ein doller Einschnitt.
00:37:57
Vor allem, wenn der dauerhaft sein soll.
00:38:00
Und dazu noch eine Sache.
00:38:01
Ich hatte ja vorhin erwähnt, dass man die Operation, der sich auch Elias unterziehen will, nicht rückgängig machen kann.
00:38:07
Und das stimmt auch.
00:38:08
Die Operation nicht, die Wirkung aber zum Teil schon.
00:38:11
Und zwar mit Hormonbehandlung bzw. Testosteronspritzen.
00:38:15
Und es gibt Fälle, in denen kastrierte Männer danach wieder sexuelle Fantasien hatten und sogar wieder sexuell aktiv werden konnten.
00:38:22
Und es gibt auch Fälle, in denen kastrierte Straftäter danach wieder straffällig geworden sind.
00:38:28
Einen davon kennt ihr vielleicht auch.
00:38:31
Den haben wir ganz am Anfang von Mordlust mal behandelt, nämlich in Folge 8.
00:38:35
Da ging es um Klaus Grabowski, der 1975 wegen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde.
00:38:43
Noch in Haft hat sich Grabowski operativ kastrieren lassen.
00:38:47
Zwei Jahre nach seiner Entlassung hat er sich aber einer Hormonbehandlung unterzogen.
00:38:51
Inwieweit jetzt seine Sexualität genau zurückkam, das wissen wir nicht.
00:38:56
Fest steht aber, dass er nochmal zwei Jahre später ein siebenjähriges Mädchen namens Anna entführt, festgehalten und ermordet hat.
00:39:03
Grabowski wurde daraufhin erneut festgenommen und vor Gericht gestellt, wo er höchstwahrscheinlich verurteilt worden wäre, wenn nicht Annas Mutter dazwischen gegrätscht hätte.
00:39:13
Am dritten Verhandlungstag hat die Frau namens Marianne Bachmeier den Angeklagten mit acht Schüssen hingerichtet und deshalb ist der Selbstjustizfall auch deutschlandweit bekannt geworden.
00:39:23
Für die Details hört euch gerne nochmal Folge 8 an, auch wenn unser Erzählstil damals noch sehr anders war.
00:39:29
Aber der Fall zeigt auf jeden Fall, dass Kastration nicht gleich heißt, dass jemand danach ungefährlich ist.
00:39:35
Und das alles weiß Klaus M. Bayer an der Charité in Berlin im Jahr 2020 natürlich, als er darüber entscheiden soll, ob eine Kastration im Fall von Elias sinnvoll wäre.
00:39:45
Als er mit den Bergen an Akten durch ist, besucht er Elias in der Strafvollzugsanstalt, wo sich die beiden Männer in einem kargen Raum der JVA erstmals gegenüber sitzen.
00:39:55
Elias erzählt, dass er aktuell in der Bibliothek arbeite. Die Tätigkeit halte ihn am Leben, denn wenn er nichts zu tun hätte, dann würde er schwer depressiv werden und nur in seinem Bett liegen, sagt er.
00:40:06
Elias will so nicht weiterleben. Er will nach seiner Haftstrafe nicht in die anschließend angeordnete Sicherungsverwahrung. Das macht er ganz klar.
00:40:14
Die Lösung seiner Probleme sieht er in der chirurgischen Kastration.
00:40:18
Die chemische Variante lehnt er ab, weil man die Medikamente einfach wieder absetzen kann und die Kastration damit nicht endgültig ist.
00:40:24
Als Professor Bayer ihm daraufhin erklärt, dass mit dem Verabreichen von Testosteron auch der operative Eingriff nicht endgültig ist, reagiert Elias überrascht.
00:40:34
Das wusste er nicht, sagt er. Aber es sei nicht seine Absicht, sich danach mit spritzender Hormonbehandlung zu unterziehen.
00:40:40
Er strebe eine dauerhafte Desexualisierung an.
00:40:43
Er will seine Sexualität so weit eindämmen, dass er künftig ein straffreies Leben führen kann, sagt er.
00:40:50
Und erklärt sich auch zu unangemeldeten Testosteronkontrollen bereit, um die Rückfallgefahr zu überwachen.
00:40:55
Elias ist sich sicher, wenn sein sexuelles Verlangen, seine Libido auf ein Minimum reduziert wird, dann ist er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit.
00:41:03
Und folglich besteht dann auch kein Grund mehr, wieso er nach seiner Haftstrafe in die Sicherungsverwahrung müsste.
00:41:09
Das kann Professor Bayer aber nicht garantieren oder gar in Aussicht stellen.
00:41:14
Er kann höchstens der freiwilligen Kastration zustimmen.
00:41:17
Über die Sicherungsverwahrung entscheidet auch gar nicht er, sondern ein neues aktuelles Gutachten, das am Ende von Elias Zeit in Haft eingeholt wird.
00:41:25
Dabei prüft dann ein forensischer Psychiater oder eine Psychiaterin, wie sich Elias während der Haft entwickelt hat.
00:41:32
Die Kastration, die kann zwar ins Gutachten einfließen, aber auch andere Dinge spielen da eine Rolle.
00:41:36
Zum Beispiel, ob der Inhaftierte an einer Therapie teilgenommen hat oder soziale Kontakte pflegt.
00:41:42
Elias kann nichts dergleichen vorweisen.
00:41:45
Trotzdem hält er am Wunsch der operativen Kastration fest.
00:41:49
Und als Professor Bayer die Strafvollzugsanstalt an dem Tag verlässt, kann er nichts feststellen, was gegen den Eingriff sprechen würde.
00:41:56
Elias hat die OP selbst beantragt, obwohl er weiß, dass die Kastration nicht zwingend zu seiner Entlassung aus der Haft führen wird.
00:42:03
Seine Rückfallprognose ist derzeit so hoch, dass die gesundheitlichen Risiken, die durch die OP entstehen, erstmal zweitrangig sind.
00:42:09
Und Professor Bayer hat Elias über die OP aufgeklärt und Elias hat eingewilligt.
00:42:14
Dabei war seine Einwilligungsfähigkeit nicht getrübt, er ist also nicht kognitiv beeinträchtigt oder ähnliches.
00:42:20
In seinem Gutachten, das er im November 2020 schließlich an die Ärztekammer weiterreicht,
00:42:26
spricht sich der Sexualmediziner Bayer deshalb klar für die chirurgische Kastration aus.
00:42:31
Er hält zunächst eine chemische Kastration, die das Testosteron im Körper innerhalb von drei Monaten auf minimale Werte absenkt für sinnvoll.
00:42:39
Laut dem Experten sollte das schon zu erheblichen Dämpfungen der sexuellen Reaktionen und Impulse führen.
00:42:44
Zusätzlich könne dann die chirurgische Kastration vorgenommen werden, heißt es im Gutachten weiter.
00:42:49
Dann verweist Bayer auf Forschungsergebnisse, die zeigen, dass die Operation dabei hilft, neue Straftaten zu verhindern.
00:42:56
Als erstes nennt er da eine Studie aus dem Jahr 1997, an der er selbst mitgearbeitet hat.
00:43:02
Dafür wurden etwas über 100 kastrierte Sexualstraftäter über längere Zeit beobachtet
00:43:07
und mit einer kleineren Gruppe von 53 Tätern verglichen, die nicht kastriert worden waren.
00:43:12
Das Ergebnis, die kastrierten Männer wurden deutlich seltener rückfällig, nämlich nur in drei Prozent der Fälle.
00:43:18
Bei den nicht kastrierten Straftätern lag die Rückfallquote dagegen bei 46 Prozent.
00:43:24
Eine weitere Analyse aus dem Jahr 2005 hat außerdem gezeigt, dass die Kastration im Vergleich zu psychotherapeutischen Behandlungsmethoden einen größeren Effekt hat.
00:43:33
Aufgrund der Empfehlung des Professors stimmt die Berliner Ärztekammer dem Eingriff schließlich zu.
00:43:39
Elias zeigt sich daraufhin optimistisch.
00:43:41
Er erklärt sich jetzt sogar erstmalig zu einer Psychotherapie bereit, aber nur bei einem externen Therapeuten, also jemand, der nicht bei der JVA angestellt ist.
00:43:50
Auch der Wunsch wird ihm schließlich bewilligt.
00:43:54
Für eine Zeit lang sieht es also so aus, als würde sich etwas tun im Leben eines Mannes, der seit Jahren als enorm rückfallgefährdet gilt.
00:44:01
Es ist ein gutes Jahr später, der 7. Januar 2022, als zwei Justizvollzugsbeamte frühmorgens Elias Zelle öffnen und ihn abholen.
00:44:11
Er hat sich mittlerweile chemisch kastrieren lassen, also die entsprechenden Medikamente geschluckt.
00:44:15
Aber heute ist der Tag gekommen, an dem der 44-Jährige auf eigenen Wunschen auch chirurgisch kastriert wird.
00:44:22
Als die Beamten seine Zelle öffnen, ist er bereits angezogen und hat schon eine geraucht, obwohl er vor der OP eigentlich nicht rauchen darf.
00:44:30
Gemeinsam treten sie nach draußen, wo es noch dunkel ist.
00:44:33
Die Fahrt von der JVA bis ins Humboldt-Klinikum in Berlin-Reinigendorf dauert nur 10 Minuten.
00:44:38
Dort angekommen, wird Elias in ein Zimmer im Erdgeschoss geführt.
00:44:42
Er zieht seine Haftklamotten aus und die OP-Kleidung an.
00:44:45
Einer der Justizbeamten bleibt immer an seiner Seite.
00:44:48
Denn es besteht Fluchtgefahr.
00:44:50
Der Mann ist auch dabei, als Elias in den OP geschoben wird.
00:44:53
Als seine Augen von der Narkose ganz schwer werden.
00:44:56
Als ihm ein Arzt die Hoden aufschneidet und seine Keimdrüsen entfernt.
00:45:00
Nur 20 Minuten später liegt Elias schon im Aufwachraum des Krankenhauses.
00:45:05
Die Frage ist nur, ob der Mann, der bald erwacht, wirklich ein anderer ist.
00:45:09
Hat die Operation neben seinen Keimdrüsen auch die Gefahr weggenommen, wie jahrelang von ihm ausging?
00:45:15
Oder liegt dort im Krankenhaus noch derselbe manipulative Straftäter?
00:45:19
Nach seiner chirurgischen Kastration kommt Elias zunächst wieder zurück in Haft.
00:45:26
Er hat inzwischen sieben Jahre von seiner achtjährigen Freiheitsstrafe abgesessen.
00:45:30
Und er hat sich nichts zu Schulden kommen lassen.
00:45:32
Deshalb sichert man ihm schließlich eine frühzeitige Entlassung für August 2022 zu.
00:45:37
Also in einem guten halben Jahr.
00:45:39
Elias hofft weiterhin, dass er dann aus der JVA raus darf und nicht in die Sicherungsverwahrung muss.
00:45:45
Schließlich ist er jetzt kastriert.
00:45:46
Aber wie Professor Bayer schon prophezeit hat, so einfach ist das nicht.
00:45:51
Nur durch die Operation hat sich nicht automatisch etwas an der Gefahr, die von Elias ausgeht, geändert.
00:45:57
Und das befindet auch der Gutachter, der Elias am Ende seiner Haftstrafe mit Blick auf die anstehende Sicherungsverwahrung untersucht.
00:46:04
Die Justiz hält nämlich zunächst an der Verwahrung fest.
00:46:08
Im August 2022 darf Elias die Haftanstalt in Tegel verlassen.
00:46:12
Aber sein Weg führt ihn nur einige hundert Meter weiter in einen weißen Neubau,
00:46:17
in dem sich auf vier Stockwerke verteilt sechs Wohneinheiten mit Einzelzimmern befinden.
00:46:21
Hier hat er erstmals sein eigenes Badezimmer und kann sich in einer der Gemeinschaftsküchen selbst Essen zubereiten.
00:46:27
Draußen im Garten gibt es außerdem ein kleines Wasserspiel und Liegestühle und einen Sportplatz und Tischtennisplatten.
00:46:33
Aber der Blick in die Ferne ist weiterhin getrübt von den grauen Betonmauern, die die JVA-Tegel umschließen.
00:46:40
Elias wird hier nicht lange bleiben, erzählt er jedem.
00:46:43
Denn in ihm hat sich inzwischen etwas verändert, sagt er.
00:46:46
Die Kastration habe dafür gesorgt, dass er keine Erektion mehr bekommen könne.
00:46:50
Was aber viel wichtiger sei, seine pädophilen Gedanken, die ihn früher täglich begleitet hätten, seien plötzlich weg.
00:46:56
Wenn er jetzt an Kinder denke, dann nerven sie ihn eher.
00:47:00
Ihr Geschrei zum Beispiel.
00:47:01
An die Stelle der sexuellen Fantasien, die ihn jahrelang begleitet haben, sei jetzt eine beruhigende Gleichgültigkeit eingetreten.
00:47:09
Eine Lehre, die sich in seinem Kopf ausgebreitet habe und die er schön finde.
00:47:13
So, sagt Elias, empfindet er das.
00:47:15
Woher ich das weiß?
00:47:17
Dieses Thema ist ja sehr speziell und schwierig.
00:47:20
Und es ist natürlich auch absurd, sich in jemanden wie Elias reinversetzen zu wollen.
00:47:24
Und deswegen haben wir was gemacht, was wir bei Mordlust noch nie gemacht haben.
00:47:28
Wir haben mit dem Täter gesprochen.
00:47:29
Das war auch nötig, weil wir mehr Recherchematerial benötigt haben.
00:47:32
Aber wir wollten das diesmal eben auch, weil wir verstehen wollten, was sich in jemandem nach einer Kastration verändert.
00:47:38
Ich will dazu aber sagen, Elias ist ein verurteilter Sexualstraftäter, der, wie ja auch von einem Gericht schon festgestellt wurde, manipulative Züge hat.
00:47:48
Und deswegen hier nochmal der Hinweis, dass das natürlich mit Vorsicht zu genießen ist, was er sagt.
00:47:53
Und deswegen erinnert euch auch nochmal an das Beispiel, das die Expertin gebracht hat mit dem Mann, der auf seinen Penis gezeigt hat und meinte, da ändert sich was.
00:48:01
Und dann auf seinen Kopf gezeigt hat und meinte, hier drin aber nicht.
00:48:04
Er habe noch immer Fantasien mit Kindern.
00:48:07
Wie erfolgsversprechend so ein Eingriff ist, kann sich im Zweifel auch erst im Alltag zeigen.
00:48:11
Jedenfalls sagt Elias, dass er das erste Mal nach Jahrzehnten innehalten könne.
00:48:16
Früher habe er sich ständig irgendwie beschäftigen müssen, um nicht an Jungen zu denken.
00:48:21
Und die Pädophilie habe ihn im Griff gehabt.
00:48:24
Und heute sei das anders, sagt er.
00:48:26
Heute könne er auf dem Bett liegen und da sei eine Ruhe in ihm.
00:48:29
Eine Ruhe, die ihn hier rausbringen wird.
00:48:32
Darauf hofft Elias jetzt noch immer.
00:48:33
Er beantragt sogar eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellter beginnen zu dürfen.
00:48:38
Weil seitdem er sich so viel mit der Justiz beschäftigt hatte, faszinieren ihn Gesetzestexte und die Rechtsprechung.
00:48:44
Er kann sich auch vorstellen, irgendwann in dem Bereich zu arbeiten.
00:48:47
Aber erst mal wird im September 2022, ein Monat nachdem er in Sicherungsverwahrung gekommen ist, eine neue Behandlungsuntersuchung durchgeführt.
00:48:56
Also eine Einschätzung von PsychiaterInnen der Sicherungsverwahrung, die anhand von Gesprächen und standardisierten Testverfahren die Gefährlichkeit der Verwahrten bewerten.
00:49:06
Bei Elias wird das jetzt gemacht, um abzuschätzen, wo er zu Beginn der Verwahrung steht.
00:49:11
Also wo man zum Beispiel bei einer Therapie ansetzen kann oder ob Lockerungen in Betracht kämen.
00:49:16
Und für Elias werden die aber nicht angedacht, denn man hält es weiterhin für sehr wahrscheinlich, dass er in Freiheit rückfällig werden würde.
00:49:24
Dass er zum Beispiel bei unbegleiteten Ausgängen aus der Verwahrung wieder in die Nähe von Kindern gehen würde oder sich wieder Darstellungen von sexuellem Missbrauch an Kindern beschaffen würde.
00:49:35
Und das ist natürlich ein herber Rückschlag für Elias.
00:49:37
Und das ist nicht der einzige, denn in dieser neuen Einschätzung ist jetzt auch zum ersten Mal die Rede von einer schweren Persönlichkeitsstörung, die Elias zusätzlich zu einer Pädophilie haben soll.
00:49:48
Nämlich von einer interpersonellen Dysfunktion und einer Persönlichkeitsdysfunktion.
00:49:53
Das bedeutet stark vereinfacht gesagt, dass er wenig Interesse daran habe, Beziehungen mit anderen einzugehen und dass er sich schlecht in andere hineinversetzen könne.
00:50:01
Das zeige sich daran, dass er vor allem negative Emotionen empfinde, sich zum Beispiel schnell ärgere oder ungerecht behandelt fühle.
00:50:09
Und dass er soziale Kontakte vermeide, es ihm an Empathie fehle und er impulsiv und rücksichtslos agiere und wenig bis keine Verantwortung für seine Taten übernehme.
00:50:18
Auch eine manipulativ-betrügerische Komponente wird festgestellt.
00:50:22
Dazu hat ein Gutachter in einem früheren Verfahren ausgeführt, dass Elias sich psychologisches Vokabular aneigne, um vordergründig einsichtig zu wirken.
00:50:31
Und wenn man sich aber näher mit ihm auseinandersetzt, dann falle auf, dass er höchstens Bedauern über seine Taten zeige.
00:50:38
Ernsthafte Schuldgefühle könne man bei Elias weiterhin nicht feststellen.
00:50:42
Und auch keine tiefgehende Auseinandersetzung oder Reflexion in Bezug auf seine Taten.
00:50:48
Das ist nämlich, was man mit einer Therapie erarbeitet und warum die so wichtig ist, hat uns Monika Egli-Alge im Interview erklärt.
00:50:55
Die therapeutische Behandlung ist wirklich unerlässlich.
00:50:59
Es ist für die Betroffenen eminent wichtig, dass die einen Ort finden, eben diese Therapiegruppe oder dieses Institut, wo sie sich behandeln lassen,
00:51:12
wo sie offen und wertfrei auch über ihre Situation sprechen können.
00:51:19
Weil das bedeutet Reflexion.
00:51:22
Wenn die das einfach mit sich selbst rumtragen, vor sich selbst verleugnen, mit niemandem darüber reden können,
00:51:29
dann dreht sich da so ein Karussell, was tendenziell eher risikoverschärfend ist.
00:51:37
Die brauchen auch einen Ort, wo sie über alles reden können.
00:51:41
Das ist das Statement der Betroffenen, das wir am häufigsten hören.
00:51:45
Wir sind so froh, können wir hier über alles reden.
00:51:50
Das kann ich nirgends sonst.
00:51:52
Und das ist wichtig.
00:51:54
Das fördert die Reflexion.
00:51:56
Das fördert dann auch den therapeutischen Zugang, mit diesen Betroffenen an der Verhaltenskontrolle arbeiten zu können.
00:52:04
Die müssen akzeptieren, dass sie eine sexuelle Präferenz haben, die sie nie ausleben können.
00:52:11
Das ist ein Schicksalsschlag.
00:52:15
Igli Alge sagt, dass man die Pädophilie ja nicht wegtherapieren kann.
00:52:18
Aber selbst bei den Menschen, die felsenfest davon überzeugt sind, dass sie den Kindern mit ihrem Missbrauch nichts Böses tun,
00:52:24
dass sie das sogar wollen, selbst da kann man durch eine Therapie die Verhaltenskontrolle so sehr stärken,
00:52:30
dass sie mit der Pädophilie leben können, ohne die Störung auszuleben.
00:52:35
In der Untersuchung, die Elias jetzt eine Persönlichkeitsstörung zuschreibt, heißt es zum Schluss,
00:52:39
zusammenfassend ist die Behandlungsprognose derzeit als unsicher zu werten.
00:52:44
Es wird maßgeblich darauf ankommen, inwieweit der Verwahrte bereit ist, sich in der Therapie zu öffnen,
00:52:49
sowie auf die Behandlung der Persönlichkeitsstörung einzulassen und dabei auf Intransparenz und Unehrlichkeit zu verzichten.
00:52:56
Von Seiten der Sicherungsverwahrung will man also, dass Elias sich weiterhin therapeutisch behandeln lässt.
00:53:02
Die Verantwortlichen da haben nämlich aktuell nicht das Gefühl, dass sie Elias einschätzen können
00:53:08
und unter der Voraussetzung wollen sie ihm auch keine Lockerungen wie unbeaufsichtigte Ausgänge oder Urlaub aus der Sicherungsverwahrung zugestehen.
00:53:15
Elias bleibt also entgegen seiner Erwartung weiterhin verwahrt und statt jetzt an sich zu arbeiten und zur Therapie zu gehen,
00:53:22
macht er das Gegenteil. Er zieht sich wieder komplett zurück, schlägt jedes therapeutische Angebot aus.
00:53:29
Denn Elias kann nicht verstehen, wie kommt man jetzt plötzlich darauf, dass er eine schwere Persönlichkeitsstörung haben soll.
00:53:35
Seit seiner ersten Verhaftung, die mittlerweile fast 20 Jahre zurückliegt, haben mehrere Sachverständige ihn begutachtet
00:53:42
und niemand hat ihm jemals eine solche Störung bescheinigt. Auch der renommierte Professor Bayer von der Charité nicht.
00:53:50
Alle kamen zum Schluss, dass Elias straffällig geworden ist, um seine Pädophilie auszuleben.
00:53:54
Sie sei der eigentliche Motor für die Missbrauchshandlung, hatte Professor Bayer damals geschrieben.
00:54:00
Seine narzisstischen und dissozialen Charakterzüge hätten die Taten nur begünstigt.
00:54:05
Und jetzt, wo er den Motor ausgeschaltet hat, soll er an seiner Persönlichkeitsstörung arbeiten?
00:54:12
Elias hält die neue Diagnose für, Zitat, einen perfiden Zug der Gegner, die ihn auf unbestimmte Zeit festhalten wollen.
00:54:19
So hat er es der Journalistin Lisa Frieder-Kossham vom Stern Crime erzählt, die erstmals über den Fall berichtet hat.
00:54:26
Und durch diesen Artikel sind wir auch auf den Fall aufmerksam geworden.
00:54:29
Den verlinke ich euch auch in der Folgenbeschreibung.
00:54:31
Ist sehr lesenswert.
00:54:32
Als wir mit Elias telefoniert haben, hat er das noch weiter ausgeführt.
00:54:36
Er sagt, dass die Verantwortlichen in der Sicherungsverwahrung die neue Diagnose erfunden haben, um ihn weiter dort zu behalten.
00:54:45
Und er unterstellt der Sicherungsverwahrung dabei auch ein System, denn angeblich sei er nicht der Einzige, bei dem das der Fall war.
00:54:52
Einmal zur Transparenz, das können wir nicht nachprüfen.
00:54:55
Elias glaubt, dass die Führungsebene der Verwahrung entscheidet, wer drin bleiben muss und wer raus darf.
00:55:02
Und je nachdem werden die Gutachten erstellt, sagt er.
00:55:05
Und genau deshalb will er auch keine Therapie in der Sicherungsverwahrung machen.
00:55:09
Denn er könne sich letztendlich nie sicher sein, ob der Therapeut oder die Therapeutin eigentlich nur eine Agenda habe, die von der Führungsebene vorgegeben wurde.
00:55:19
Also Elias vertraut der Verwahrung nicht und deswegen könne er sich die Therapie gleich sparen, sagt er.
00:55:25
Für mich klingt es jetzt erstmal so ein bisschen bockig und auch so, als würde Elias denken, alle hätten sich gegen ihn verschworen.
00:55:34
Ich kann zumindest nachvollziehen, warum man in der Sicherungsverwahrung auf eine Therapie pocht.
00:55:39
Wie uns die Expertin ja auch schon erklärt hat, ist es unfassbar wichtig, dass er sich mit dem auseinandersetzt, was er getan hat und auch mit sich selbst.
00:55:48
Einem Gutachter hat Elias vor Jahren nämlich mal erzählt, dass er als Kind selbst von einem Nachbarn missbraucht wurde und dass er eine Wut auf die Kinder, die er missbraucht hat, empfunden hat, weil die ihn an seinen eigenen Missbrauch erinnert haben.
00:56:01
Diesbezüglich hat er sich aber nie weiter eingelassen, weshalb bis heute niemand weiß, ob die Aussage glaubhaft war oder nicht.
00:56:07
Und das müsste therapeutisch natürlich aufgearbeitet werden, wenn das so war.
00:56:11
Gleichzeitig hatte er ja in Haft Vertrauen zu einem Therapeuten aufgebaut, den durfte er in der Sicherungsverwahrung aber nicht weiter sehen.
00:56:19
Stattdessen soll er sich jemandem neu öffnen, den Elias ablehnt.
00:56:23
Da frage ich mich schon, ist das jetzt wirklich sinnvoll?
00:56:26
Also er will sich niemandem öffnen, der neu ist und vielleicht könnte die Sicherungsverwahrung ja auch mit seinem ehemaligen Therapeuten zusammenarbeiten, wenn der gewisse Kriterien erfüllt oder so.
00:56:37
Warum das nicht geht?
00:56:39
Wir hätten darüber gerne mit der Leitung der Sicherungsverwahrung gesprochen, aber da war man leider nicht zu einem Interview bereit.
00:56:44
Das Ding ist, die Sicherungsverwahrung soll keine Strafe mehr sein, sondern nur eine präventive Maßnahme, um die Allgemeinheit zu schützen.
00:56:52
Also man kann Menschen, die verwahrt werden, nicht dazu zwingen, Buße zu tun oder an sich zu arbeiten.
00:56:58
Aber, und das ist das Dilemma, um das es hier geht, ohne Therapie werden Elias von der JVA wahrscheinlich nie Lockerungen zugestanden.
00:57:06
Er hat auch keinen sozialen Empfangsraum mehr, der ihn draußen erwartet, also keine Freundinnen oder einen Beruf, dem er nachgehen könnte.
00:57:14
Selbst die Ausbildung zum juristischen Pfarrerangestellten hat er jetzt wieder über Bord geworfen.
00:57:19
Aber ohne Lockerungen, beziehungsweise eine langsame Eingliederung in die Gesellschaft, wird er auch nie entlassen werden.
00:57:27
Damit mag sich Elias aber nicht abfinden.
00:57:29
Er verfolgt stattdessen einen anderen Weg, um gegen die Sicherungsverwahrung vorzugehen.
00:57:33
In seiner Freizeit brütet er nun über Gesetzestexten.
00:57:37
Auf dem Bücherregal in seinem Zimmer stehen mehrere Aktenordner, in denen seine eigenen Urteile abgeheftet sind.
00:57:43
Auch die Strafprozessordnung und das Strafgesetzbuch.
00:57:46
Er will sich den Weg aus der Sicherungsverwahrung nun freiklagen.
00:57:49
Mehr als 20 Zivilklagen sind gerade offen.
00:57:52
Und da geht es unter anderem darum, dass er damals vor der Kastration ja einen Genehmigungsvorgang durchlaufen ist.
00:57:58
Also wir erinnern uns an das Gutachten von Dr. Bayer aus der Charité in Berlin.
00:58:02
Und Teil dessen war auch, ob Elias einwilligungsfähig ist, hat uns seine Strafverteidigerin Diana Blum aus Berlin erklärt.
00:58:10
Das war bei dem Mandanten ausweislich des Gutachtens eines renommierten Sachverständigen der Fall.
00:58:17
Nun ist der weitere Verlauf nach der Kastration so gewesen, dass JVA bei dem Mandanten in einer Stellungnahme,
00:58:27
die für ihn wichtig war, für sein Fortkommen geschrieben hat, es läge eine Persönlichkeitsstörung vor.
00:58:32
Das ist jetzt ein bisschen komplex.
00:58:34
Also die Momente, die jetzt zu der Diagnose führen, dass eine Persönlichkeitsstörung vorliegen, lagen schon vorher vor.
00:58:41
Ja, das ist zum Beispiel Narzissmus.
00:58:44
Der wurde nur von dem Gutachten, der das Kastrationsgutachten gemacht hat, nach einer alten Klassifikation, nämlich dem ICD-10 gemacht.
00:58:53
Aktuell, state of the art, ist der ICD-11.
00:58:58
Was Frau Blum hier meint, ist das internationale Klassifizierungssystem ICD-10, in dem alle Krankheiten und psychischen Störungen erfasst werden.
00:59:07
Das heißt, sie bekommen einen bestimmten Code, der international gültig ist und so die Kommunikation über Ländergrenzen hinaus vereinfacht.
00:59:14
Die Pädophilie hat beispielsweise den Code F65.4.
00:59:19
Bis Januar 2022 wurde mit der Klassifizierung nach ICD-10 gearbeitet, also der zehnten Version dieses Systems.
00:59:27
Danach kam aber eine überarbeitete Version raus, die ICD-11.
00:59:32
Und die beinhaltet neue Diagnosen und wurde generell neu strukturiert und an die aktuelle Forschung angepasst.
00:59:37
Da hat sich so einiges geändert.
00:59:39
Und Elias wurde in der Diagnostik, in der diese Persönlichkeitsstörung festgestellt wurde, erstmals danach beurteilt.
00:59:46
Und aufgrund dieser neuen Kriterien fallen die Persönlichkeitsmerkmale, die unter anderem auch der Charité-Prof bei ihm 2020 festgestellt hat,
00:59:55
narzisstische und dissoziative Züge zum Beispiel, jetzt im September 2022 unter die Kategorie der schweren Persönlichkeitsstörungen.
01:00:03
Und das ist für Elias jetzt ein Ding, denn er sagt, hä, wenn ich eine Persönlichkeitsstörung habe,
01:00:11
dann hätte der Professor aus der Charité das erkennen müssen und dann hätte man mich gar nicht kastrieren dürfen.
01:00:17
Elias argumentiert nämlich, dass er mit einer Persönlichkeitsstörung ja psychisch krank sei
01:00:22
und deshalb nicht einwilligungsfähig für die Kastration war.
01:00:25
Also so, als könnte er mit einer schweren Persönlichkeitsstörung nicht selbst entscheiden, ob er kastriert werden will.
01:00:31
Das ist so aber gar nicht.
01:00:33
Und darum geht es bei dieser Einwilligungsfähigkeit auch nicht.
01:00:36
Im Kastrationsgesetz steht, kurz zusammengefasst, dass eine Person einwilligungsfähig ist,
01:00:41
wenn sie umfassend informiert wurde und wenn sie versteht, was die Kastration bedeutet und was sie bewirkt.
01:00:47
Das betrifft dann vor allem Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung.
01:00:50
Denen muss eine Kastration natürlich dann in einfacherer Sprache erklärt werden
01:00:55
und unter Umständen muss ein Betreuer oder eine Betreuerin konsultiert werden.
01:00:58
Elias ist aber nicht kognitiv eingeschränkt, sondern durchschnittlich intelligent.
01:01:02
Daran ändert jetzt auch diese neu diagnostizierte Persönlichkeitsstörung nichts.
01:01:07
Er ist ja trotzdem in der Lage zu verstehen, was die Kastration für ihn bedeutet.
01:01:12
Elias sieht das aber anders. Er sagt, er hätte nie kastriert werden dürfen.
01:01:15
Allerdings ist selbst seine Anwältin Diana Blum da mit ihm nicht einer Meinung.
01:01:20
Auch das ist ein Irrglaube meines Mandanten, weil genau diese Persönlichkeitsprobleme, die er hat,
01:01:27
hat der Sachverständige in seinem Gutachten auch benannt.
01:01:31
Und auch das führt aber nicht dazu, dass die Entscheidungsfähigkeit des Mandanten
01:01:36
im Hinblick auf seine Kastration in irgendeiner Form getrübt war.
01:01:39
Deshalb sehe ich überhaupt keine Erfolgsaussichten für dieses Klageverfahren.
01:01:43
Ich denke, dass der Mandant letztendlich versucht, eine Situation zu schaffen,
01:01:49
weiß ich nicht, wo es irgendwie um eine Fehleinweisung geht oder eine Fehleinschätzung
01:01:53
und die dann irgendwie die Chance bieten, auf juristischem Wege aus der Sicherungsverwahrung herauszukommen.
01:01:59
Aber auch das wird nicht funktionieren.
01:02:00
Also aussichtslos, sagt seine Anwältin.
01:02:03
Wir haben uns übrigens viel damit beschäftigt, ob das überhaupt sein kann.
01:02:06
Also ob jemand, der nach der alten Klassifizierung keine Persönlichkeitsstörung hatte,
01:02:10
jetzt mit der ICD-11 wirklich in eine schwere Persönlichkeitsstörung reinrutschen kann.
01:02:15
Letztendlich haben wir mit dem Psychologen Dr. Christian Stiglmeier von der Arbeitsgemeinschaft
01:02:20
für wissenschaftliche Psychotherapie in Berlin gesprochen, der unter anderem Fortbildung zu dem neuen ICD-11 gibt.
01:02:27
Und er hat uns gesagt, dass das generell Ermessenssache der jeweiligen GutachterInnen ist,
01:02:31
aber dass das prinzipiell tatsächlich möglich ist.
01:02:35
Unter anderem auch deshalb, weil unter der ICD-10, also nach dem alten System,
01:02:40
nur eine Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde,
01:02:43
wenn die Merkmale dafür schon im Kindes- und Jugendalter erkennbar waren.
01:02:47
Das war quasi eine Voraussetzung für die Diagnose.
01:02:51
Und das war bei Elias ja nicht so. Er hatte eine eher unauffällige Jugend.
01:02:55
Und im neuen ICD-11 gibt es diese Vorgabe mit der Kindheit und Jugend jetzt aber so nicht mehr.
01:03:02
Da heißt es zwar noch, dass die Merkmale der Störung langfristig,
01:03:06
mindestens zwei Jahre lang erkennbar sein müssen, aber eben nicht zwingend schon so früh im Leben.
01:03:11
Und das könnte ein Grund sein, warum Elias eben tatsächlich nach dieser neuen Klassifizierung
01:03:16
in eine schwere Persönlichkeitsstörung gerutscht ist.
01:03:19
Sicher wissen wir das aber nach wie vor nicht.
01:03:22
Dafür hätten wir mit den Verantwortlichen in der Sicherungsverwahrung sprechen müssen,
01:03:25
die ja leider nicht zu einem Interview bereit waren.
01:03:28
Jedenfalls hat uns Frau Blum auch erzählt, dass ihr Mandant bereits versucht hatte,
01:03:32
wegen der neu festgestellten Persönlichkeitsstörung jetzt von der Sicherungsverwahrung
01:03:37
in eine forensische Klinik zu kommen.
01:03:39
Auch damit ist er gescheitert, seiner Anwälte nach auch zu Recht,
01:03:42
weil er keinen so hohen Krankheitswert hat, der quasi die Behandlung
01:03:46
in einem psychiatrischen Krankenhaus erfordert.
01:03:48
Elias möchte trotzdem weiter gegen die neu diagnostizierte Persönlichkeitsstörung,
01:03:53
die bei ihm festgestellt wurde, vorgehen.
01:03:55
In seinen Augen ist diese neue Klassifizierung nämlich nur ein vorgeschobener Grund
01:03:59
der Sicherungsverwahrung dafür, dass er nicht raus darf.
01:04:02
Aber er will sich die Diskrepanz zwischen der alten Diagnose und der neuen jetzt zunutze machen,
01:04:07
indem er die Ärztekammer Berlin verklagt, weil sie seiner Kastration zugestimmt hatte.
01:04:12
Er klagt nicht, weil er mit dem Eingriff unzufrieden sei.
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Er sei nach wie vor, Zitat, Fan der Kastration, hat er uns am Telefon gesagt.
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Aber mit der Klage will er ein neues psychiatrisches Gutachten von einem oder einer externen Sachverständigen erwirken.
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Dann könnte er nämlich gegen die neue Diagnose der Sicherungsverwahrung vorgehen, sagt Elias.
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Bisher war er mit seinen Klagen aber wenig erfolgreich.
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Mit einem Beschluss vom Landgericht Berlin aus dem Jahr 2023 wurden einige Anträge von Elias jedenfalls erst mal zurückgewiesen.
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Dort wurde befunden, dass die Kastration zwar ein wichtiger Schritt war, um seine Rückfallgefahr zu senken,
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man schätze sie aber trotzdem weiterhin als sehr hoch ein.
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2023 wurde also vom Landgericht Berlin entschieden, dass Elias weiterhin in der Sicherungsverwahrung bleibt, auf unbestimmte Zeit.
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Einige seiner Klagen sind aber noch offen, auch die gegen die Ärztekammer.
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Einer Therapie in der Sicherungsverwahrung verweigert er sich weiterhin.
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Dafür sei er zu stolz, hat er uns gesagt.
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Er sei aber offen für eine externe Therapie, denn da ist viel, über das er reden möchte.
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Der heute 47-Jährige hat uns gesagt, dass er sich durch die Kastration komplett verändert hat.
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Er fühlt sich heute so frei, wie nie zuvor, sagt er.
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Nicht körperlich natürlich, er lebt ja weiterhin hinter den Mauern der JVA, aber im Kopf.
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Er sei frei von den Gedanken an Jungs, die früher seinen Alltag bestimmt hätten.
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Wenn man Elias so reden hört, dann fällt einem schnell auf, dass er viel über sich selbst spricht.
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Und wir haben dann gefragt, ob er die Taten auch bereut.
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Das bejaht er, er sei damals vor nichts zurückgeschreckt und wie im Rausch gewesen, sagt er.
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Ihm täten auch die Eltern leid, deren Kinder er betreut habe und die sich jetzt immer fragen werden, ob er sich auch an ihren Söhnen vergangen habe.
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Wovon er aber nicht spricht, sind die Kinder selbst, also die Jungen, die er missbraucht hat.
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Die Zwillinge, die er im Urlaub zum Oralsex gezwungen hat.
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Die Kinder, die Elias auf der Straße angesprochen und in dunklen Kellern ausgezogen hat.
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Der Neunjährige, der schließlich den Mut gefasst und jemandem erzählt hat, dass sich sein Kinderbetreuer zwei Jahre lang an ihm vergangen hat.
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Und Tinas Sohn, der von der eigenen Mutter missbraucht wurde, weil Elias es so wollte.
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Elias sagt, er sei jetzt frei im Kopf.
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Eine Operation habe ihm dabei geholfen, die Gedanken an Jungen loszuwerden.
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Für die Kinder, denen er sexualisierte Gewalt angetan hat, gibt es keine Operation.
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Die können nicht einfach vergessen, was damals passiert ist.
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Und das, obwohl sie sicher viel dafür geben würden, im Kopf endlich frei zu sein.
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Also dieses Thema ist so komplex.
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Wenn ich manchmal die Menschen höre, die am liebsten immer härtere Strafen hätten und auch am liebsten keine rechtsstaatlichen Prinzipien hätten.
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Das sind so Leute, die auch immer sagen, StraftäterInnen hätten ihr Recht auf XY, Freiheit, Bildung, was auch immer, verwirkt.
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Würde man denen sagen, Kastration für Sexualstraftäter, wie sieht es aus, dann würden, glaube ich, Jubelschreie ausbrechen.
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Aber wenn man denen dann sagen würde, ja, aber das würde vielleicht auch dazu führen, dass sie frei kommen.
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Ich glaube, dann würde das weniger gut ankommen, weil sich viele Kastrationen so als Strafe vorstellen.
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Und ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich froh bin, dass wir das in Deutschland nicht haben.
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Aber ich habe auch mit der freiwilligen Kastration meine Probleme.
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Also ich habe ja vorhin gesagt, dass in den Jahren 2000 bis 2013 nur noch elf Anträge zur Kastration in ganz Deutschland bewilligt wurden.
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Früher waren das übrigens deutlich mehr.
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Also zwischen 1970 und 1980 wurden über 400 Kastrationen von Sexualstraftätern vorgenommen.
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Und damals wurde auch noch sehr viel mehr geforscht.
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Aber heute ist Kastration medizinisch und ethisch sehr umstritten.
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Und tatsächlich sind Deutschland und die Schweiz die einzigen Länder in Europa, in denen die Kastration von Sexualstraftätern noch durchgeführt wird.
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Und das wird von Seiten des Anti-Folter-Komitees des Europarats seit 2014 auch sehr stark kritisiert.
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In einem Bericht des Komitees wurde die chirurgische Kastration als menschenunwürdige körperliche Verstümmelung bezeichnet.
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Und die Länder, die sie weiterhin durchführen, wurden aufgefordert, sie generell zu verbieten.
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Monika Egli-Alge hat uns gesagt, ob sie die Kritik nachvollziehen kann und wieso der Europarat so scharf urteilt.
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Ja, das kann ich nachvollziehen, dass der Europarat die chirurgische Kastration als Verstümmelung erachtet.
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Es gibt auch Situationen, wir hatten zu tun mit so einer Situation, wo ein Betroffener Pädophil mit mehrfachen sexuellen Handlungen mit Kindern,
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mehrfach verurteilt, auch in Haft, deswegen sich kastrieren lassen wollte und niemanden gefunden hat, der das durchgeführt hatte,
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weil die Chirurgen sich geweigert haben und das war dann die wirklich, echt, das war die Begründung,
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wir entfernen keinen Körperteil, der funktionstüchtig und gesund ist.
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Deswegen ist diese chirurgische Kastration wirklich eine Verstümmelung.
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So, und ich weiss nicht, wie ihr dazu steht, aber ich würde sagen, selbst wenn das Körperteil funktionsfähig ist,
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funktionsfähig heißt ja nicht immer was Gutes und da möchte ich in Bezug auf pädokriminelle verurteilte Straftäter,
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die selber darunter leiden, meinen, dann ist funktionstüchtig und gesund auch nicht viel wert,
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wenn das den Kopf und die Seele krank macht, nicht nur von einem selbst,
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sondern auch von den vielen möglichen Opfern, die es gab, beziehungsweise noch geben kann,
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wegen dieses funktionsfähigen Körperteils.
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und jetzt rein darauf bezogen, wenn ihr mich fragt, go, ja, aber da spielen natürlich auch noch andere Sachen mit rein,
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unter anderem auch die historische Belastung, also Kastrationen sind mit Euthanasie-Programmen
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und Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus natürlich auch stark verbunden,
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aber auch noch mit anderen Dingen und das finde ich jetzt bei dem Thema ist hier natürlich eigentlich die entscheidende Frage.
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Und zwar, wie freiwillig kann die Entscheidung zur OP sein, wenn sich Straftäter daraus Haftlockerungen versprechen?
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Die Hoffnung darauf hat ja immer Einfluss auf die Entscheidung und am Ende weiß man nicht, was überwiegt.
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Also der persönliche Wunsch, Leiden zu lindern oder das Denken der Gefahr, die von Straftätern ausgeht
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oder dann doch das Verlangen nach Freiheit der Straftäter.
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Und gerade was die Freiheit angeht, kann man da natürlich auch schnell bei einer Scheinfreiwilligkeit sein.
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Und man kann sich natürlich auch fragen, wenn es ja mit den Medikamenten geht
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und man könnte ja verpflichtende Kontrollen durchführen, wieso überhaupt eine OP zulassen?
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Also damit die Inhaftierten zeigen, dass sie es wirklich wollen, so als Art symbolische Maßnahme, auch irgendwie schwierig.
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Naja, all die Fragen, die stellt man sich in Europa.
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In Amerika hingegen scheint die Politik das nicht so eng zu sehen.
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Die Regulierungen sind zwar in jedem Bundesstaat anders.
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In Alabama ist es aber zum Beispiel so, dass Sexualstraftäter, deren Opfer unter 13 Jahre alt waren,
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sich chemisch kastrieren lassen müssen, um früher aus dem Gefängnis freizukommen.
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Da ist die Kastration also tatsächlich eine Bedingung für die frühzeitige Entlassung.
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Die Behandlung beginnt dann mindestens einen Monat vor der Entlassung
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und wird so lange fortgesetzt, bis ein Gericht entscheidet, dass es nicht mehr notwendig ist.
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Kosten trägt der Inhaftierte selbst.
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Und Louisiana ist der erste US-Bundesstaat, der die chirurgische Kastration sogar als mögliche Strafe für bestimmte Sexualverbrechen gegen Kinder eingeführt hat.
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Ein entsprechendes Gesetz wurde im August 2024 in Kraft gesetzt und erlaubt RichterInnen bei Verurteilungen wegen Vergewaltigung,
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Inzest oder sexuellem Missbrauch von Kindern unter 13 Jahren zusätzlich zur Haftstrafe eine chirurgische Kastration anzuordnen.
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Und das muss ich sagen, das finde ich nicht in Ordnung.
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Also das hat sehr wenig mit rechtsstaatlichen Prinzipien, die wir hier in Deutschland haben, zu tun.
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Und ich möchte natürlich genauso wenig wie jeder andere, dass irgendwelche Kinder da draußen in Gefahr sind.
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Aber dann denke ich, wenn man sich dann nicht sicher ist, dann muss man die halt sicherungsverwahrt lassen.
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Aber dass das als mögliche Strafe dort eingeführt wurde, das hat schon etwas sehr Mittelalterliches.
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Naja, also ich bin auf jeden Fall total gespannt auf eure Meinung zu diesem Thema.
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Es gibt da sicherlich auch kein Falsch und kein Richtig.
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Aber wenn ihr Lust habt, euch an der Diskussion zu beteiligen, wir bieten da natürlich auch Posts als Diskussionsplattform auf Instagram jetzt die Tage an.
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Also schaut da vorbei und wir hören uns nächste Woche gemeinsam mit Laura wieder.
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Und da besprechen wir einen Fall, bei dem es um eine sehr fragwürdige Mutter-Tochter-Beziehung geht.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Hohlers.
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Redaktion Isabel Mayer und wir.
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Schnitt Pauline Korb.
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Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.