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Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Hier geht's um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Krazer und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin
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Laura Wohlers, mit der ich immer einen bedeutsamen wahren Kriminalfall nacherzähle.
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Gemeinsam ordnen wir den ein, erörtern oder diskutieren.
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Die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte und sprechen mit Menschen mit Expertise.
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Heute aber führe ich euch alleine durch diese Folge.
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Hier geht's um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
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Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
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Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
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Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
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Bevor wir mit der heutigen Folge starten, in der wir uns mit der Frage beschäftigen,
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ob man für einen Mord verantwortlich sein kann, wenn man gar nicht am Tatort war, will ich folgendes erzählen.
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Bei uns melden sich regelmäßig Leute, die sagen, könnt ihr mal diesen Fall hier machen, in meiner Heimat ist das und das passiert.
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Manchmal sind es auch Bekannte der Opfer, manchmal Angehörige oder manchmal auch Opfer von Gewalt oder Betrugsdelikten selbst.
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Was wir allerdings noch nie hatten, ist, dass sich jemand bei uns gemeldet hat, der uns dabei helfen wollte, einen Mord aufzuklären.
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Genau das ist aber einem Kollegen von uns passiert.
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Matthias Beusinger vom Stern hatte da eine ziemlich absurde Begegnung, von der er uns jetzt erzählen will.
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Hallo Matthias, schön, dass du da bist.
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Was ist da passiert und wieso hast du diese Nachricht nicht sofort als Hirngespinst abgetan?
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Also ich schaue mir oft die Mails an, die mal reinkommen und prüfe so ein bisschen, kann da was dran sein oder nicht.
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Ich rufe oft auch mal Leute zurück und ich weiß noch ganz genau, damals hatte ich mit dem Mann, der sich da gemeldet hat, telefoniert
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und ich habe sofort diese raue Stimme gehört, diese gewisse, ja sag ich mal, Authentizität auch so und ich habe gedacht, ja da könnte vielleicht was dran sein,
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aber ich habe mich dann erstmal mit der Person persönlich getroffen und da hat sich der Eindruck dann verstärkt.
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Was war denn das für ein Typ?
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Das ist ein Mann, schon relativ alt, aber für sein Alter relativ sportlich, man muss sich so ein kleiner, stämmiger Mann mit einem Schnurrbart und Glatze
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und der kam da zum ersten Treffen mit so einem Käppi und ja, das war ein Typ auf jeden Fall.
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Und was wollte der jetzt von dir?
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Der Mann hatte sich bei mir gemeldet, weil er gesagt hat, er kann sachdienliche Hinweise in einem ungeklärten Mordfall geben.
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Diesen Mordfall, den kannte ich erstmal gar nicht. Ich musste irgendwie auch erstmal googeln und habe dann alte Artikel gefunden
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und habe dann gelesen von dem Mordfall Alexander Luchtehand.
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Und das ist ein Fall, der ist jetzt 20 Jahre her. Da ist ein Mann spurlos in Berlin verschwunden und die Polizei hat seit 20 Jahren da nach einer Leiche gesucht.
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Die waren sich sicher, dass er getötet wurde. Es gab auch zwei Leute, die in Untersuchungshaft waren, aber man konnte niemandem irgendwas nachweisen.
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Und seitdem ist der Fall eigentlich kalt. Und zu diesem Fall wollte der Mann was sagen.
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Und zwar wollte der Mann sagen A, wer der Täter ist und B, wo die Leiche liegen soll.
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Ich habe von dem Fall auch noch nie was gehört. Alexander Luchtehand, sagst du, heißt das Opfer. Was war das für ein Mensch?
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Das Opfer war ein ziemlich skurriler, interessanter Mann. Ende 40. Alexander Luchtehand war ein Mann mit Knastvergangenheit.
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So ganz genau konnte ich nicht herausfinden, weshalb er da saß. Also man muss sich das so vorstellen.
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Er kam irgendwann Anfang der 90er aus dem Knast und hatte aber ein großes Interesse an Funk und hat dem Polizeifunk abgehört und den Feuerwehrfunk.
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Und hat irgendwann die Idee gehabt, daraus ein Business zu machen. Und so ging es los.
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Und dieser Mann war einer, der für seine Mitmenschen ein bisschen schwierig war.
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Der war immer laut, übertrieben. Hat er so einen Fukuhila irgendwie, die Leute erinnern sich, dass er so Lederjacke getragen hat, rote Hose.
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Der ist aufgefallen, wenn man mit ihm irgendwo hingegangen ist. So ein Typ war das. Also der war wirklich laut und drüber auf jeden Fall.
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Aber er hat immer in zwei Welten gelebt. Auf der einen Seite war er Teil dieser Medienwelt, weil er natürlich für alle Berliner Medien ein ganz wichtiger Informant war.
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Also für Zeitungen, Fernsehsender, Radiosender. Hat er immer mit denen Kontakt, hat sich mit den Reportern getroffen, die ihm Geld gegeben haben.
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Aber er war halt immer noch mit einem Bein auch in der Unterwelt. Und das könnte ihn in Schwierigkeiten gebracht haben.
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Ja, offenbar, denn er wurde irgendwann vermisst. Und der Mann, der sich bei dir gemeldet hat, gibt nun an zu wissen, was mit ihm passiert ist. Wie reagiert man da?
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Das ist schwierig. Also im ersten Moment war es surreal. Weil das ist ja eine Situation, mit der rechnet man nicht. Und was sagt man da?
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Wahrscheinlich ist das Thema oder die Geschichte dann erstmal zu groß, als dass man es irgendwie für wahre Münze halten kann. Es kommt einem zu unreal vor.
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Ich habe es aber erstmal so zur Kenntnis genommen. Also oft, wenn ich mit Menschen spreche, die sowas erzählen oder was in die Richtung, lasse ich die erstmal sprechen, weil es mich erstmal interessiert.
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Und so habe ich es damals auch gemacht. Ich habe das Mikrofon gleich mitlaufen gehabt und habe mir alles angehört, was er so zu erzählen hatte.
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Ich denke mir ja so, okay, spannende und bewegende Geschichten, schön und gut. Aber der Mann hielt dir ja jetzt hier auch eine Verantwortung über.
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Also der erzählt dir jetzt was und macht dich da ja irgendwie zum Mitwisser. Was hast du dann gemacht? Wie seid ihr dann verblieben?
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Ich habe mir das echt gut überlegt, weil wie du sagst, es war irgendwie strange, auf einmal so eine Info zu haben. Mal davon abgesehen, ob sie stimmt oder nicht.
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Aber wie du sagst, so zum Mitwisser gemacht zu werden. Was macht man da eigentlich? Also ich hatte die Situation noch gar nicht und habe mich halt auch mit Kollegen besprochen.
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Was soll ich da jetzt tun? Weil Variante A ist natürlich, okay, da sagt jemand, ich weiß, wer der Täter ist und ich weiß, wo eine Leiche liegt.
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Natürlich könnte man theoretisch direkt zur Polizei gehen. Aber ich kannte ja wieder diesen Fall gut.
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Ich konnte diese Aussage gar nicht richtig einordnen und ich kannte auch diesen Informanten überhaupt nicht gut.
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Also ich konnte überhaupt nicht einschätzen, verarscht er mich da? Ist das ein Dummschwätzer? Ich weiß es nicht.
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Deswegen fiel für mich die Variante A erstmal raus, weil ich dachte, ich kann jetzt nicht zur Polizei gehen mit einer Info, die ich noch gar nicht wirklich geprüft habe.
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Und deswegen habe ich mich dafür entschieden, jetzt einfach mal den Fall zu recherchieren.
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Ich habe mir den Fall ganz genau angeguckt. Ich habe irgendwie versucht, Zeugen zu finden, die Ermittlungen zu rekonstruieren.
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Und ich habe mir natürlich auch den Hinweis angeguckt und den Mann, der mir den Hinweis gegeben hat.
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Wieso kam dieser Mann denn überhaupt jetzt zu dir? Also mit welcher Intention?
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Der Mann sagt, der mutmaßliche Mörder, das war ein alter Freund von ihm, der ist mittlerweile verstorben.
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Er hat dieses Geheimnis jetzt einige Zeit mit sich rumgetragen und jetzt kann es an die Öffentlichkeit.
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Dieses Motiv, nach dem habe ich ihn immer wieder gefragt.
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Und die Antwort, die er mir immer wieder gegeben hat, war eigentlich relativ skurril.
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Er hat jetzt nicht gesagt, na weil er irgendwie diesen Mord aufklären will, weil es irgendwie ihm um das Opfer geht oder so.
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Ganz im Gegenteil.
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Der hat gesagt, naja, mein alter Kumpel, der hat die Polizei mehr oder weniger jahrelang hinters Licht geführt.
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Und dass jetzt rauskommen könnte, dass er der Mörder ist, das ist für ihn, da tut er ihm einen Gefallen.
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Das war seine Aussage.
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Das ist jetzt kein ehrenwertes Motiv.
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Ich war auch so ein bisschen entgeistert, als ich es zum ersten Mal gehört habe.
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Aber der Mann hat das immer wieder wiederholt.
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Und auf so eine gewisse Art und Weise fand ich es dann auch authentisch.
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Also es hat sich nicht als Head verkauft.
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Und das fand ich auf so eine schräge Art und Weise ehrlich.
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Und ab wann hast du dich denn entschieden, daraus wirklich auch eine Geschichte zu machen?
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Also ich hatte komischerweise ganz früh den Impuls zu sagen, hey, wenn ich mit dem ein Interview mache, dann nehme ich es sofort auf.
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Weil ich das Gefühl hatte, das könnte irgendwie eine entspannende Suche sein.
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Aber ich wusste auch nicht, ob es irgendwie eine Geschichte wird.
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Also ich habe einfach mal angefangen aufzunehmen, bin dann losgegangen und habe immer mein Aufnahmegerät dabei gehabt.
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Und irgendwann, als ich gemerkt habe, dass sich die Hinweise immer mehr verdichten, dass durchaus was dran sein kann an dem, was der Mann mir da sagt,
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habe ich dann auch gemerkt, dass es eine Geschichte sein könnte.
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Zum Glück, weil wir können dich jetzt alle auf dieser Recherchereise erleben, weil ihr daraus einen Podcast gemacht habt.
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Worauf können wir uns da einstellen?
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Die HörerInnen erwartet eine spannende Welt, in die sie da eintauchen.
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Der Kriminalfall spielt so Anfang der Nullerjahre in Berlin.
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Man muss sich das vorstellen, da war die Welt noch ein bisschen anders.
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Da geht es um Polizeireporter, da geht es um dieses Mordopfer, das Tag und Nacht Polizeifunk abhört.
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Man muss sich das so vorstellen, dieser Alexander Luchthand, der saß in einem Hochhaus im 23. Stock.
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Der hatte Antennen auf dem Dach, hat dort heimlich den Funk abgehört und hat dann mit den Infos, die er da abgegriffen hat, die er dann hat dann verkauft.
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Und da hat er extrem viel Geld gemacht.
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Der ist sehr, sehr reich geworden.
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So in diese Welt taucht man ein.
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Das ist das eine.
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Und auf der anderen Seite begleitet man mich so ein bisschen bei der Recherche zu diesem Fall, wie ich da Zeugen treffe, die noch nie gesprochen haben.
00:08:31
Ganz unerwartete Leute, die ich noch finde.
00:08:34
Und am Ende begleitet man mich auch bei der Auflösung dieser ganzen Frage, was eigentlich in dieser Geschichte steckt.
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Ob der Fall jetzt am Ende durch dich aufgeklärt wird oder ob ihr diese Leiche tatsächlich findet, das erzählt ihr im Podcast Luchthand.
00:08:48
Die ersten drei Folgen sind jetzt schon online überall, wo es Podcasts gibt.
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Ab jetzt kommt jede Woche eine neue Folge.
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Insgesamt gibt es zwölf davon.
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Laura und ich haben die ersten Folgen schon hören dürfen.
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Und unsere Reaktionen könnt ihr euch so vorstellen, wie dieses Emoji aussieht, das so wahnsinnig erstaunt schaut und bei dem das Hirn explodiert.
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Das ist wirklich eine große Empfehlung von uns.
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Danke, Matthias.
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So, und jetzt kommen wir zu unserem Fall, der zeigt, dass es manchmal die Menschen sind, die einem am nächsten stehen, denen man am wenigsten vertrauen kann.
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Alle Namen sind geändert und die Trigger-Warnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
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Draußen ist es noch dunkel, als Cem am frühen Morgen des 12. September 2022 an einem Flughafen in der Türkei steht.
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Wie an allen internationalen Airports sind auch hier Gates' Duty-Free-Shops und Restaurants das letzte, was Reisende vor ihrem Abflug von dem Land sehen, in dem sie ihre Zeit verbracht haben.
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In Cems Fall waren es vier Wochen, die der 56-Jährige mit dem grauen, gestylten Haar, grauem Bart und der eckigen Brille in der Türkei verbracht hat.
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Da, wo seine Wurzeln liegen.
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Er hat sich auf den Urlaub gefreut, ein temporärer Tapetenwechsel war nötig.
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Denn die vergangenen Monate zu Hause in Deutschland waren nervenaufreibend und kräftezehrend.
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Dabei war noch vor einem Jahr eigentlich alles in Ordnung.
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In der Stadt Mörs in NRW betreibt Cem eine Änderungsschneiderei.
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KundInnen, die die zwei Treppenstufen hochsteigen und die Glastür des Gebäudes mit der braunen Klinkerfassade aufdrücken, stehen mittendrin im Laden,
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in dem sich in den Regalen und Wäschekörben Blusen, Hemden und Hosen stapeln, die darauf warten, dass Cem Hand anlegt.
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Ganz nach dem Grundsatz, was nicht passt, wird passend gemacht.
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Cem kürzt Hosen, passt Anzüge an und repariert den kaputten Reißverschluss des Lieblingskleids.
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Dadurch hat Cem schon viele KundInnen glücklich gemacht.
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Nicht nur wegen seiner guten Arbeit und weil er der Kundschaft aus der Nachbarschaft ihre geänderten Sachen direkt nach Hause bringt,
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sondern auch wegen seiner zuvorkommenden Art.
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Manchmal spielt Cem den Menschen, die zu ihm kommen, sogar ein Ständchen aus seiner Ukulele vor.
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Aufgebaut hat Cem das Geschäft mit seiner Frau Leyla.
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Sie war es auch, durch die Cem das Schneidern überhaupt erst für sich entdeckt hat.
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Die 50-Jährige mit den hellbraun gefärbten Locken stammt wie Cem aus der Türkei.
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Obwohl die beiden in derselben Region geboren und aufgewachsen sind, haben sie sich erst in Deutschland kennen und dann auch lieben gelernt.
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2008 läuteten die Hochzeitsglocken.
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Ihr gemeinsamer Sohn Malik war da schon sechs Jahre alt.
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Sündchen Kurei kam erst danach zur Welt und machte die Familie, so wie sie jetzt ist, komplett.
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Zu viert leben sie gemeinsam in der zweigeschossigen Drei-Zimmer-Wohnung, die als Anbau im Hinterhof der Schneiderei errichtet worden ist.
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Auch Oma und Opa sind nicht weit entfernt.
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Laylas Eltern wohnen in einer der beiden Wohnungen über der Schneiderei.
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Das gesamte Grundstück samt Schneiderei, den Wohnungen darüber und dem Anbau gehört Cem und Leyla gemeinsam.
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Im Geschäft arbeiten Cem und seine Frau zwar Hand in Hand, aber in Sachen Kindererziehung driften ihre Vorstellungen auseinander.
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Was die Schule angeht, legt Cem Wert darauf, dass sich seine Söhne Mühe geben, sich am Unterricht beteiligen, ihre Hausaufgaben machen und für Tests lernen.
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Dementsprechend sind auch seine Erziehungsmethoden strenger als die von Leyla, denn sie lässt auch mal fünfe gerade sein und sieht das alles nicht so eng.
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Der Unterschied zwischen Cem und Leyla ist wichtig, denn er führt zu einem Ereignis, das den Anfang vom bitteren Ende einläutet.
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2021 beginnt der inzwischen 19-jährige Malik einen Suizidversuch und scheitert.
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Eine Zäsur im Leben aller Familienmitglieder.
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Denn Leyla ist überzeugt davon, dass Cem wegen seiner strengen Erziehungsmethoden und seiner hohen Leistungsanforderungen schuld daran ist, dass sich ihr ältester Sohn das Leben nehmen wollte.
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Cem kann Leyla nichts entgegensetzen, was etwas an ihrer Meinung ändern würde.
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Und daran geht ihre Ehe schließlich nach 13 Jahren zu Bruch.
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Im Herbst 2021 zieht Leyla mit den beiden Söhnen aus der gemeinsamen Wohnung im Hinterhof der Schneiderei aus und hängt auch ihren Job als Schneiderin an den Nagel.
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Stattdessen sucht sie sich eine neue Arbeit in einem Hotel.
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Ein halbes Jahr später, im April 2022, wird die Ehe offiziell geschieden.
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Nicht ruhig und nicht im Einvernehmen.
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Leyla ist noch vor Gericht so wütend auf Cem, dass sie ihn im Saal anbrüllt und auf Türkisch damit droht, ihn, je nach Übersetzung, zu vernichten oder zu zerschneiden.
00:13:07
Und während sich andere Menschen nach dem Beziehungsaus mit Arbeit ablenken, hat das bei Cem wenig Sinn.
00:13:13
In seiner Arbeit, der Änderungsschneierei, war alles im wahrsten Sinne des Wortes mit Leyla verwoben.
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Und als wäre das Ende seiner Ehe nicht genug, geht es weiter mit dem Drama.
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Ein paar Wochen nach der Scheidung verschafft sich jemand Zugang zu der Wohnung im Hinterhof und klaut 4000 Euro Bargeld, das Cem zu Hause hatte.
00:13:32
Cem ist alarmiert.
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Vor allem, weil er jemanden Bestimmten im Verdacht hat, es getan zu haben.
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Nur beweisen kann er es nicht.
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Was, wenn so ein Einbruch nochmal geschieht?
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Er muss Sicherheitsvorkehrung treffen.
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Und dafür bittet er seinen besten Freund Dennis um Hilfe.
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Der 48-Jährige kam vor drei Jahren als Kunde zu Cem in die Schneiderei.
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Die beiden verstanden sich von Anfang an gut.
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Dennis ist handwerklich sehr geschickt.
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Daher half er Cem immer mal wieder, wenn an Wohnung oder Geschäft etwas zu renovieren oder zu reparieren war.
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So entwickelte sich das, was als Geschäftsbeziehung begann, zu einer Freundschaft.
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Seither treffen sich Cem und Dennis, auch wenn keine Arbeiten anstehen.
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Dann quatschen sie und trinken Kaffee.
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Zweimal reisten die beiden Männer sogar gemeinsam in die Türkei, wo sie ihrem Lichter werdenden
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Kopfhaar gemeinsam den Kampf ansagten und sich Haare transplantieren ließen.
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Cem hat in Dennis einen Freund gefunden, der auch während der schwierigen Trennung von Leila an seiner Seite war und ihm beistand.
00:14:30
Auch als Cem seinen Freund nach dem Einbruch um Hilfe bittet, ist Dennis zur Stelle.
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Im Hinterhof der Schneiderei und in Cems Wohnung installiert er Überwachungskameras.
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Außerdem kauft Dennis einen Tresor, in dem Cem das Speichermedium für die Videoaufnahmen aufbewahren kann.
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Auf Dennis ist Verlass.
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Deshalb vertraut Cem ihm auch seinen Wohnungsschlüssel und den Schlüssel für seinen heiß geliebten BMW an, als er Mitte August für vier Wochen in die Türkei aufbricht.
00:14:55
Normalerweise lässt Cem niemanden außer sich selbst ansteuert das BMW, aber Dennis ist eine Ausnahme.
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Jetzt ist Cems Reise in die Heimat vorbei.
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Als er am Montagmorgen im September 2022 in der Türkei in den Flieger nach Deutschland steigt, weiß er noch nicht, dass das Leben, das er führte, bald vorbei sein wird
00:15:14
und dass die Menschen, die er schätzte, nicht die waren, für die er sie hielt.
00:15:19
Eineinhalb Tage später, am Dienstagnachmittag, hält ein Polizeiwagen vor der Änderungsschneiderei in Mörs.
00:15:24
Kurz zuvor ging auf der Dienststelle ein Anruf ein.
00:15:27
Cems Schwester und andere Angehörige meldeten den 56-Jährigen als vermisst.
00:15:32
Sie berichteten den BeamtInnen von Cems Türkei-Urlaub und dass seine Schwester am Vortag noch mit ihm telefoniert habe.
00:15:38
Da habe Cem gesagt, er sei wieder gut zu Hause angekommen und würde jetzt mit einem Freund frühstücken.
00:15:44
Kurz darauf sei er aber nicht mehr zu erreichen gewesen.
00:15:48
Außerdem habe Cem geplant, sein Geschäft heute wieder aufzumachen, doch der Laden sei noch immer geschlossen.
00:15:53
Das sähe ihm nicht ähnlich, wo er doch sonst so zuverlässig sei.
00:15:57
Also machte sich die Polizeistreife auf den Weg zur Schneiderei.
00:16:01
Vor Ort klebt an der gläsernen Eingangstür ein handgeschriebener Zettel mit den Informationen, die die BeamtInnen schon von Cems Angehörigen kennen.
00:16:09
Dass Cem ab dem 16. August im Urlaub sei und am 13. September wieder öffnen werde.
00:16:15
Dem ist aber nicht so. Durch das Schaufenster lässt sich sehen, dass die Schneiderei verlassen da liegt.
00:16:20
Keine Kundschaft ist im Laden, kein Cem hinter der Theke.
00:16:23
Nur noch nicht abgeholte Kleidungsstücke in den Regalen und unberührte Nährutensilien.
00:16:28
An der Tür klebt aber noch ein zweiter Zettel, maschinell geschrieben.
00:16:32
Lieber Kunde, ich muss kurzzeitig in die Schweiz wegen privaten Angelegenheiten.
00:16:37
Ich bin circa am 9.10.2022, also in dreieinhalb Wochen, wieder zurück.
00:16:43
Über den Hinterhof gehen die drei StreifenpolizistInnen zu Cems Wohnung.
00:16:49
Weil dort niemand aufmacht, rufen sie den Schlüsseldienst.
00:16:52
Er soll ihnen die Tür öffnen, damit sie sicher gehen können, dass sich Cem nicht in einer hilflosen Lage befindet.
00:16:58
Aber die Wohnung ist leer.
00:16:59
Die BeamtInnen stellen nichts Auffälliges fest.
00:17:03
Wahrscheinlich ist Cem wirklich in der Schweiz, wie es auf dem Zettel an der Schneiderei steht.
00:17:08
Also lässt die Polizei das aufgebrochene Türschloss erneuern und hinterlässt eine Notiz für Cem.
00:17:12
Er könne den Schlüssel für sein neues Türschloss auf dem Polizeirevier abholen.
00:17:16
Als sich die StreifenpolizistInnen wieder auf den Rückweg machen,
00:17:20
stellen sie allerdings fest, dass Cems heißgeliebter BMW auf dem Edeka-Parkplatz nebenan steht.
00:17:26
Dabei ist Cem laut seinen Angehörigen immer nur mit seinem eigenen Auto unterwegs.
00:17:30
Nach weiteren Gesprächen mit Cems Familie heißt es von einigen,
00:17:34
dass sie sich nicht vorstellen können, was er in der Schweiz wolle.
00:17:38
Dorthin habe er überhaupt keine Verbindung.
00:17:39
Und weil sich der 56-Jährige dann auch in den nächsten Tagen nicht meldet
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und auch sein Geschäft nicht wieder öffnet, beginnt die Polizei zu ermitteln.
00:17:48
Sie befragen NachbarInnen, FreundInnen und Cems Familie, wo Cem sein könnte
00:17:52
und welcher Freund ihn möglicherweise vom Flughafen abgeholt haben könnte.
00:17:56
Aber niemand kann ihnen etwas Genaueres sagen.
00:17:59
Nachdem die Polizei drei Wochen lang keine Ermittlungserfolge verzeichnen kann,
00:18:04
muss Anfang Oktober noch einmal ein Polizeifahrzeug zu Cems Adresse ausrücken und mit ihm die Feuerwehr.
00:18:10
Denn in dem Anbau im Hinterhof brennt es.
00:18:12
Zweieinhalb Stunden sind die Einsatzkräfte damit beschäftigt, der Flammen Herr zu werden.
00:18:17
Ihre größte Sorge ist, dass das Feuer von dem Anbau im Hinterhof auf das Hauptgebäude übergreift,
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in dem über der Schneiderei noch andere Menschen, darunter Cems ehemalige Schwiegereltern, wohnen.
00:18:28
Doch bevor das geschieht, gelingt es den Feuerwehrleuten, den Brand zu löschen.
00:18:31
Als ihre Arbeit erledigt ist, übernimmt die Polizei.
00:18:34
Die Räume, in denen die Ermittlungen nun stehen, haben mit der Wohnung,
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die sie vor drei Wochen vom Schlüsseldienst öffnen ließen, nicht mehr viel zu tun.
00:18:41
Das Wohnzimmer liegt in Schutt und Asche und auch der Flur und Kinderzimmer sind beschädigt.
00:18:47
Nur das Schlafzimmer und das Bad im Obergeschoss wurden weitgehend verschont.
00:18:50
Aber auch vor den Räumen, die das Feuer nicht angegriffen hat,
00:18:53
haben weder der dichte Rauch noch das Löschwasser halt gemacht.
00:18:57
Inmitten dieses Chaos muss nun die Polizei herausfinden, warum der Brand überhaupt ausgebrochen ist.
00:19:03
Die Ermittlungen haben schnell eine Theorie.
00:19:05
Sie sind überzeugt, dass es sich nicht um Unachtsamkeit oder einen Unfall handelt,
00:19:10
sondern um Brandstiftung.
00:19:11
Also, dass das Feuer absichtlich gelegt wurde, um Spuren zu verwischen.
00:19:16
Spuren, die darauf hinweisen, dass Wohnungsbesitzer Cem einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.
00:19:22
Denn sie glauben nicht daran, dass es Zufall ist, dass ein Mann verschwindet
00:19:25
und es dann drei Wochen später in seinem Zuhause einfach so brennt.
00:19:29
Um ihre These zu überprüfen, wird vierbeinige Unterstützung angefordert.
00:19:33
Leichenspurende werden in die Wohnung gebracht und schlagen wenig später an.
00:19:37
Als dann auch noch die Spurensicherung die Räumlichkeiten untersucht
00:19:41
und mit einer Chemikalie dafür sorgt, dass auf den Wänden und am Boden
00:19:44
deutliche Blutspuren sichtbar werden, sind die letzten Zweifel ausgeräumt.
00:19:49
Die Polizei ist sich sicher, dass Cem nach seiner Rückkehr aus der Türkei
00:19:53
aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem eigenen Zuhause getötet wurde.
00:19:57
Doch wenn das so ist, wo ist dann seine Leiche?
00:20:00
Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen,
00:20:04
setzt die Mordkommission Duisburg, die die Ermittlungen übernommen hat,
00:20:07
auf die Unterstützung der Mörser BürgerInnen.
00:20:10
Nicht nur an der Tür von Cems Änderungsschneiderei, sondern im ganzen Stadtviertel hängen Fahndungsplakate
00:20:15
mit einem Bild von Cem, auf dem er mit wachem Blick in die Kamera schaut.
00:20:19
Außerdem werden Handzettel an PassantInnen verteilt.
00:20:22
Für Hinweise, die Licht ins Dunkel dieses mysteriösen Falls bringen,
00:20:26
lobt die Mordkommission 3000 Euro aus.
00:20:28
Auch Spürhunde werden eingesetzt, die die Gegend absuchen und versuchen sollen,
00:20:32
eine Fährte aufzunehmen, die die Ermittlungen zu Cem oder zumindest in seine Richtung führt.
00:20:38
Sie wissen inzwischen, dass Cem am frühen Morgen des 12. September planmäßig am Flughafen Düsseldorf gelandet ist.
00:20:44
Dort wurde er offenbar von jemandem abgeholt und nach Hause gefahren, wo er gegen 9 Uhr morgens ankam.
00:20:50
Das hat er seiner Schwester am Telefon berichtet.
00:20:53
Kurz zuvor sahen ZeugInnen Cem im Edeka neben der Schneiderei, wie er Brötchen und Getränke kaufte.
00:20:58
Das passt zur Erzählung seiner Schwester, dass er mit einem Freund frühstücken wollte.
00:21:04
Dieser Freund könnte derjenige sein, der Cem vom Flughafen abgeholt hat.
00:21:07
Und er könnte womöglich auch einen silberfarbenen Audi fahren,
00:21:11
denn ein solches Auto ist ZeugInnen an dem Morgen vor der Schneiderei aufgefallen.
00:21:15
Die Polizei setzt jetzt alles daran, diesen Freund und wichtigen Zeugen zu finden,
00:21:20
denn er ist möglicherweise der Letzte, der Cem gesehen hat.
00:21:24
Doch das ist nicht so leicht, denn er gehört offenbar nicht zu der Clique, mit der Cem öfter in die Teestube ging.
00:21:29
Und auch Cems Ex-Frau hilft den Ermittelnden nicht weiter.
00:21:33
Layla berichtet zwar von einem Bekannten ihres Mannes, einem Schweißer aus der Nachbarschaft,
00:21:38
aber dessen Namen wisse sie nicht.
00:21:40
Die Polizei stochert weiter im Nebel.
00:21:42
Woche für Woche.
00:21:46
Solange, bis ihre vierbeinigen KollegInnen einen entscheidenden Fund machen.
00:21:50
Am 24. November, über zwei Monate nach Cems Rückkehr aus der Türkei,
00:21:55
entdecken Spürhunde etwas, das sich über die Medien wie ein Lauffeuer verbreitet.
00:21:59
An einer Stelle, in einem Waldstück, rund 15 Autominuten von Cems Änderungsschneiderei entfernt,
00:22:05
schlagen die Tiere an.
00:22:06
Die Einsatzkräfte der Spurensicherung schlüpfen in ihre weißen Plastikanzüge
00:22:11
und beginnen, in dem dunkelbraunen Erdboden zu graben.
00:22:14
Zentimeter um Zentimeter dringen sie in das Erdreich vor.
00:22:18
Doch nichts geschieht.
00:22:19
Ein falscher Alarm?
00:22:20
Erst als sie etwa 1,40 Meter tief sind, stoßen sie auf etwas, das dort nicht hingehört.
00:22:27
Es sind mehrere Plastiksäcke, die die Ermittlungen der Spurensicherung zutage fördern.
00:22:32
Darin verbergen sich die Körperteile eines Menschen.
00:22:36
Kopf, Rumpf, Arme, Beine.
00:22:39
Die Abduktion bestätigt, was die Ermittelnden längst vermuten.
00:22:43
Es sind die sterblichen Überreste von Cem, dessen Leiche nach dem Tod zerstückelt worden ist.
00:22:48
Der 56-Jährige starb durch eine Kugel.
00:22:51
Er wurde mit einem Schuss ins Genick getötet, mit einer Pistole eines Kalibers 9 mm.
00:22:56
Als die Nachricht vom Fund von Cems Leiche die Runde macht, sind die Menschen in Mörs und vor allem
00:23:02
Cems Kundschaft entsetzt.
00:23:03
Sie können nicht fassen, dass der nette, hilfsbereite Cem tot ist.
00:23:08
Und noch schlimmer, dass er getötet wurde.
00:23:09
Vielen von ihnen ist es ein Anliegen, ihres Schneiders zu gedenken.
00:23:13
Deswegen platzieren sie bunte Rosen und rote Grablichter auf den Stufen vor Cems Geschäft,
00:23:18
das mit einem lilafarbenen Polizeisiegel verschlossen ist.
00:23:21
Immer wieder bleiben PassantInnen vor dem Haus stehen.
00:23:24
Viele schütteln den Kopf.
00:23:26
Sie können nicht fassen, dass Cem hier in seinen eigenen Räumen getötet worden sein soll.
00:23:31
Alle, die um ihn trauern, treibt eine Frage um.
00:23:33
Warum musste Cem sterben?
00:23:36
Die Antwort darauf will auch die Polizei wissen.
00:23:40
Und sie weiß auch schon, wer sie ihnen geben soll.
00:23:43
Denn drei Tage vor dem Leichenfund hat sie jemanden wegen dringenden Tatverdachts festgenommen.
00:23:47
Den Ermittlenden gelingt es, den silberfarbenen Audi ausfindig zu machen,
00:23:52
der am Tag von Cems Rückkehr aus der Türkei vor seinem Laden gesichtet wurde.
00:23:55
Und der mutmaßlich dem Mann gehört, der Cem vom Flughafen abgeholt hat.
00:24:00
Dazu passt die Funkzellenauswertung,
00:24:02
dort der das Handy des Audi-Besitzers am 12. und 13. September in der Nähe von Cems Wohnung eingeloggt war.
00:24:08
Und die Polizei weiß jetzt, dass der Audi- und Handybesitzer der Mann ist,
00:24:13
den sie seit Wochen suchen, um mit ihm zu sprechen.
00:24:16
Cems Freund Dennis.
00:24:18
Als sie den 48-Jährigen festnehmen und auf dem Präsidium vernehmen,
00:24:22
gibt er jedoch an, dass er Cem nicht vom Flughafen abgeholt habe.
00:24:25
Vielmehr habe er seinen Freund das letzte Mal vor dem Türkei-Urlaub gesehen.
00:24:29
Die ErmittlerInnen glauben Dennis nicht.
00:24:32
Und Dennis rückt auch recht schnell von seiner Behauptung ab und erklärt,
00:24:35
ja, stimmt, er habe Cem nach dessen Landung in Düsseldorf abgeholt.
00:24:39
Dann sei er aber sofort zu sich nach Hause gefahren.
00:24:42
Doch auch das entlarven die Ermittlenden als Lüge.
00:24:46
Und zwar nicht nur anhand der Funkzellenauswertung,
00:24:48
sondern auch anhand des Infozettels an Cems Ladentür,
00:24:51
wo drauf steht, dass er unmittelbar nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub in die Schweiz gefahren sei.
00:24:56
Dieser Zettel war mit einem Klebestreifen an der Ladentür angebracht
00:25:00
und darauf hat die Polizei einen Fingerabdruck gefunden, der eindeutig Dennis gehört.
00:25:05
Die Schlinge um Dennis' Hals zieht sich immer weiter zu,
00:25:08
obwohl er darauf beharrt, mit dem Tod seines besten Freundes nichts zu tun zu haben.
00:25:12
Doch die Ermittlenden sind vom Gegenteil überzeugt.
00:25:15
Dennis kommt in U-Haft.
00:25:17
Dort bekommt er etwa einen Monat später Besuch von seiner Tochter.
00:25:21
Und bei diesem Besuch passiert jetzt Folgendes.
00:25:23
Bei dem Treffen erzählt er der Tochter unaufgefordert,
00:25:25
dass es wirklich er war, der Cem nach seinem Urlaub erschossen habe.
00:25:30
Das sei jedoch in Notwehr geschehen.
00:25:33
Dennis habe Cem zur Rede gestellt, warum Cem seinen eigenen Sohn schlagen würde.
00:25:38
Was genau das damit auf sich haben soll, wissen wir nicht,
00:25:41
aber aus dieser Anschuldigung habe sich ein massiver Streit entwickelt,
00:25:45
wobei Cem aus einer Schublade ein Messer geholt habe und damit auf Dennis losgegangen sei.
00:25:50
Daher habe Dennis schießen müssen.
00:25:52
Das Ding ist nur, dieses Gespräch wird von einem Mitarbeiter der Haftanstalt überwacht.
00:25:58
Sowas Dummes, ja.
00:26:00
Wir wissen es nicht genau, aber möglich, dass Dennis mit seiner Tochter Türkisch gesprochen hat
00:26:04
und dachte, dass ihn der Mitarbeiter nicht versteht.
00:26:07
Jedenfalls wird dieses Gespräch dann als Geständnis gewertet.
00:26:09
Als Dennis' Tochter ihren Vater in der U-Haft dann nochmal besuchen kommt,
00:26:13
erzählt er ihr plötzlich eine ganz andere Version der Tat.
00:26:17
Nachdem Cem und Dennis vom Flughafen zu Cems Wohnung gefahren seien und dort gefrühstückt hätten,
00:26:22
habe sich Cem nach der Reise ausruhen wollen.
00:26:25
Dennis sei in dieser Zeit nach draußen gegangen,
00:26:27
um Gartenarbeiten in Cems Hinterhof zu verrichten.
00:26:31
Er habe dann nur noch mitbekommen, wie plötzlich drei Männer da gewesen seien,
00:26:34
die mit Cem lautstark im Inneren der Wohnung gestritten hätten.
00:26:38
Nach einiger Zeit habe Dennis aus der Wohnung Schüsse gehört.
00:26:41
Da habe er Panik bekommen und versucht wegzulaufen.
00:26:44
Und die drei Männer hätten ihn später dazu aufgefordert, Cems zerstückelte Leiche zu beseitigen.
00:26:50
Dennis macht hier also ganz seltsame und widersprüchliche Angaben dazu,
00:26:53
wie Cem ums Leben gekommen sein soll.
00:26:55
Aber für die Polizei steht eh fest, dass Dennis selbst etwas mit der Tötung zu tun haben muss.
00:27:01
Am 28. September 2023, gut ein Jahr nach Cems Tod,
00:27:06
beginnt am Landgericht Kleve der Prozess, der das Verbrechen an dem Schneider aufklären soll.
00:27:10
Der inzwischen 49-jährige Dennis wird allein und in Handschellen in den Schwurgerichtssaal
00:27:16
mit dem Fischgrätenparkett und dem hellen Holz geführt.
00:27:18
In Jeans und Sneakern wird er von zwei Justizbeamten in den Gerichtssaal begleitet.
00:27:23
Die Kapuze seines schwarzen Hoodies hat er sich tief in die Stirn gezogen.
00:27:27
Den restlichen Teil seines Gesichts verbirgt er mithilfe eines Aktenordners
00:27:31
vor den neugierigen Blicken der ProzesszuschauerInnen und den Kameralinsen der Presse.
00:27:35
Platz nimmt Dennis auf der Anklagebank gegenüber der Staatsanwaltschaft.
00:27:39
Sie hat ihn wegen Mordes an Cem angeklagt
00:27:42
und sie sieht gleich zwei Mordmerkmale verwirklicht.
00:27:45
Habgier und Heimtücke.
00:27:46
Und nun hören alle im Saal, was die Staatsanwaltschaft
00:27:49
Cems einstigem besten Freund im Detail vorwirft.
00:27:52
Es ist gut ein Jahr her, dass Cem nach seiner Türkeireise am frühen Morgen in Düsseldorf landet.
00:27:58
Dort wird der 56-Jährige wie vereinbart von seinem besten Freund Dennis,
00:28:02
der sich an diesem Tag extra Urlaub genommen hat, abgeholt.
00:28:05
Und zwar in Cems eigenem BMW.
00:28:08
Dem Auto, mit dem Dennis Cem auch zum Flughafen gebracht hat
00:28:11
und das Cem seinem Freund für die Dauer seines Urlaubs anvertraut hat.
00:28:15
Gemeinsam fahren die beiden die gute halbe Stunde zu Cems Wohnung im Hinterhof seiner Änderungsschneiderei.
00:28:20
Cem macht noch einen Abstecher zum Edeka nebenan, um Brötchen für ein gemeinsames Frühstück mit Dennis zu kaufen.
00:28:26
Dann setzen sich die beiden Männer in seiner Wohnung zusammen, um Kaffee zu trinken und zu plaudern.
00:28:31
Kurz nach 9 Uhr telefoniert Cem noch mit seiner Schwester, der er erzählt, dass er gut zu Hause angekommen sei und jetzt mit einem Freund frühstücke.
00:28:38
Als Cem aufgelegt hat und sich wieder seinem Teller widmet, zieht sein Freund plötzlich eine Pistole.
00:28:45
Mit vorgehaltener Waffe fordert Dennis, der leidenschaftlich gern spielt und immer knapp bei Kasse ist,
00:28:51
Cem dazu auf, ihm zu verraten, wo er in der Wohnung seine Wertsachen versteckt.
00:28:55
Mit der Waffe vor der Nase kann Cem nicht anders, als seinem Freund zu sagen,
00:28:58
dass er sie in einem Stoffsäckchen im Lüftungsschacht des Badezimmers in der oberen Etage versteckt.
00:29:03
Als Cem gerade denkt, dass Dennis nun die Informationen hat, die er will,
00:29:07
versucht der 56-Jährige aus seiner eigenen Wohnung zu fliehen.
00:29:11
Doch er kommt nicht weit, sondern spürt, wie eine Kugel ganz knapp unter seiner rechten Achse hindurchzischt
00:29:16
und sein T-Shirt an dieser Stelle zerfetzt.
00:29:19
Dennis hat auf ihn geschossen.
00:29:21
Sein bester Freund.
00:29:22
Der drückt ein zweites Mal ab, als Cem erneut versucht zu entkommen.
00:29:26
Und diesmal trifft die Kugel nicht nur Stoff, sondern Haut, Fleisch und Blutgefäße.
00:29:31
Dennis hat von hinten auf Cems Hals geschossen.
00:29:34
Cem stürzt zum Boden.
00:29:36
Wenige Minuten später schlägt sein Herz zum letzten Mal.
00:29:39
Dennis, der seinen besten Freund erschossen hat,
00:29:42
schert sich nicht darum, dass Cem tot in seinem eigenen Blut liegt.
00:29:45
Er geht die Treppe nach oben ins Badezimmer.
00:29:48
Dort entdeckt er das Stoffsäckchen im Lüftungsschacht, genau wie Cem es ihm verraten hat.
00:29:52
Darin verbergen sich Bargeld und Goldschmuck im Wert von insgesamt mindestens 23.000 Euro.
00:29:58
Dennis nimmt es an sich.
00:30:00
Seinen Schatz, hinter dem er seit Wochen Herr ist.
00:30:03
Weil er Cems Leiche aber nicht mitten in der Wohnung liegen lassen will,
00:30:06
fährt Dennis, der früher in einer Schlachterei gearbeitet hat, zum Baumarkt,
00:30:10
kauft zwei Sägen und macht sich im Laufe des Tages in Cems Badezimmer daran,
00:30:14
Cems Kopf, Arme und Beine abzutrennen, sie in Plastiksäcke zu verstauen und in seinen silberfarbenen Audi zu verladen.
00:30:21
In der Nacht fährt er damit zur Firma, in der er arbeitet.
00:30:24
Dennis' Ziel ist das Wäldchen, das sich direkt neben dem Betriebsgelände befindet.
00:30:29
Im Schutz der Dunkelheit vergräbt er dort die Plastiksäcke mit Cems sterblichen Überresten in einem Loch,
00:30:34
das bereits dafür vorbereitet war.
00:30:36
Um Cems Kundschaft nicht zu irritieren, klebt Dennis an die Tür der Änderungsschnellerei noch einen Zettel,
00:30:41
das Cem in die Schweiz habe reisen müssen.
00:30:44
Zuerst scheint das Täuschungsmanöver auch zu funktionieren,
00:30:47
aber als Dennis nach einiger Zeit mitbekommt, dass die Polizei nach Cem sucht,
00:30:51
setzt er alles daran, die Spuren in Cems Wohnung zu verwischen.
00:30:54
Deshalb kehrt Dennis drei Wochen nach der Tat noch einmal an den Tatort zurück.
00:30:58
Dort schüttet er fünf Liter Benzin aus und steckt die Wohnung im Brand.
00:31:03
Weil es dabei zu einer Verpuffung, einer Art kleinen Explosion kommt,
00:31:07
mit der Dennis nicht rechnet, kokelt er sich seine Haare leicht an.
00:31:10
Die Haare, die er sich in der Türkei gemeinsam mit Cem transplantieren ließ.
00:31:14
Seinem besten Freund, den er erschossen hat und dessen Wohnung er in Schutt und Asche legen will.
00:31:19
So hat die Staatsanwaltschaft den Tatablauf rekonstruiert.
00:31:23
Vor Gericht widerspricht Dennis dem jedoch vehement.
00:31:26
Er habe weder Cem getötet, noch habe er seine Wohnung angezündet, um die Spuren der Tat zu verwischen.
00:31:32
Stattdessen inszeniert sich der 49-Jährige als trauernder Freund.
00:31:36
Dem Schwurgericht und allen Anwesenden im Saal sagt er, Zitat,
00:31:40
Ich glaube immer noch nicht, dass Cem tot ist.
00:31:43
Die erste Geschichte, von der er seiner Tochter in der U-Haft berichtet hat, nimmt Dennis zurück.
00:31:48
Die Notwehr-Story sei eine Lüge gewesen, die er nur erzählt habe, um seine Familie zu schützen.
00:31:53
Und zwar, ihr werdet es euch vielleicht denken, vor den drei unbekannten Männern,
00:31:57
die Cem auf dem Gewissen und Dennis gezwungen hätten, seine Leiche verschwinden zu lassen.
00:32:02
Auf diese Version, die er seiner Tochter auch schon in U-Haft erzählt hat, beharrt Dennis auch vor Gericht,
00:32:07
verstrickt sich dabei jedoch in mehr als seltsame Aussagen, die die Staatsanwaltschaft allesamt für unglaubwürdig hält.
00:32:14
Sie ist sich aufgrund der Indizienlage sicher, dass Dennis der Täter ist, der mit Cem ein falsches Spiel gespielt hat.
00:32:21
Im Stückelmord von Mörs, wie die Presse Cem's Fall getauft hat, findet sich nicht nur sein bester Freund Dennis auf der Anklagebank wieder,
00:32:33
sondern noch eine weitere Person, die sich in einem gesonderten Verfahren verantworten muss.
00:32:38
Nämlich Cem's Ex-Frau Leila.
00:32:41
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die 51-Jährige ihre Finger nicht nur im Spiel hatte,
00:32:47
sie soll die Tötung von ihrem Ex-Mann überhaupt erst initiiert haben.
00:32:51
Ob das tatsächlich so war, soll jetzt ein Indizienprozess klären.
00:32:54
Leila selbst lässt über ihre Verteidigung erklären, dass sie nichts sagen will.
00:32:59
So hat sie es auch schon in Dennis' Prozess als Zeugin gemacht.
00:33:02
Und das macht er jetzt genauso, als er in Leilas Verfahren geladen wird.
00:33:06
Dennis beruft sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht.
00:33:09
Er muss sich nicht äußern, weil er selbst auch beschuldigt wird.
00:33:12
Dafür sprechen andere ZeugInnen, zum Beispiel die Ermittlenden,
00:33:16
denen Leila zum ersten Mal nach dem Brand in Cem's Wohnung seltsam aufgefallen ist.
00:33:20
Sie wollte sich dort nämlich, Zitat, auf hysterische Weise Zutritt verschaffen
00:33:25
und hat mehrfach nach dem Zustand des Badezimmers gefragt.
00:33:29
Im Nachhinein ist den Ermittlenden klar, wieso.
00:33:31
Denn im Bad wurde ja Cem's Leiche zerteilt
00:33:34
und Leila wollte wohl überprüfen, ob das Feuer die Spuren wie geplant vernichtet hat.
00:33:38
Denn Leila soll die Idee gehabt haben, ihren Ex-Mann zu töten.
00:33:42
Um zu erklären, wie es dazu kam, erklärt die Staatsanwaltschaft jetzt in Leilas Prozess,
00:33:47
was sich ihren Ermittlungen zufolge in den Monaten vor Cem's Tod abgespielt haben soll.
00:33:52
Schon die Scheidung des Paares im April 2022 ist ein reiner Rosenkrieg.
00:33:57
Zu dieser Zeit streiten Leila und Cem unerbittlich.
00:34:00
Leila bezeichnet ihren Mann als, Zitat,
00:34:02
ehrlos und spricht darüber, dass sie ihn ruinieren werde.
00:34:05
Der Zankapfel sind das Geld und die gemeinsamen Güter.
00:34:09
Leila ist der Meinung, dass die Änderungsschneiderei ihr zustehe und nicht Cem.
00:34:13
Schließlich, weil sie es, die Cem überhaupt erst zum Schneidern gebracht hat.
00:34:17
Und sie hat Angst, dass Cem ihren Eltern, die in der Wohnung über der Schneiderei leben, kündigt.
00:34:22
Damit droht er auch, denn er macht seine Schwiegereltern, zu denen er kein gutes Verhältnis hatte, für das Scheitern der Ehe verantwortlich.
00:34:28
Leila dagegen fordert Cem auf, ihr den gesamten Goldschmuck zu überlassen, den sie gemeinsam zu ihrer Hochzeit vor 14 Jahren bekommen haben.
00:34:36
Leila beruft sich dabei auf eine türkische Tradition, nach der dieser Schmuck bei der Scheidung der Frau zusteht, was Cem aber nicht einsieht.
00:34:44
Genauso wenig wie die Tatsache, dass Leila die Hälfte des Verkaufserlöses bekommen soll, falls Cem seinen geliebten BMW verkaufen sollte.
00:34:51
Weil Cem und Leila auch im Scheidungsverfahren zu keiner Lösung für diese ganzen Streitpunkte kommen, nimmt Leila die Dinge danach selbst in die Hand.
00:34:58
Sie weiß, dass Cem den Goldschmuck zu Hause aufbewahrt und mehr als 20.000 Euro in bar.
00:35:04
Dieses Geld hat Cem sich größtenteils geliehen, weil er und Leila im Zuge der Scheidung nicht geklärt haben, wie es mit dem Haus, in dem sich die Schneiderei befindet und dem Anbau, in dem sie gemeinsam gelebt hatten, weitergehen soll, könnte eine Zwangsversteigerung ein letzter Schritt sein.
00:35:19
Und dann will Cem es kaufen können.
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Doch das Geld, das er dafür auf der hohen Kante hat und auch den Goldschmuck, will Leila unbedingt für sich.
00:35:26
Um es zu bekommen, heuert Leila Cems besten Freund Dennis an.
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Der hat Leila in Cems Auftrag nach der Trennung immer wieder Gegenstände aus dem alten in Leilas neues Zuhause gebracht.
00:35:36
Was Cem nicht weiß, sein bester Freund, dem er so sehr vertraute, dass er ihm sogar als einzigem seinen heiß geliebten BMW überließ, knüpfte auf diesem Weg eine immer stärkere Verbindung zu Leila.
00:35:48
Davon erzählte Dennis Cem allerdings nicht und fuhr von da an sozusagen emotional zweigleisig.
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Und das nutzt Leila aus.
00:35:56
Sie erkennt schnell, dass Dennis ihr intellektuell unterlegen ist und er sich leicht von ihr beeinflussen lässt.
00:36:02
Außerdem hat Dennis chronische Geldnot, weil er häufig spielt.
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Daher gewährt sie ihm ein Darlehen von 12.000 Euro und macht Dennis so von ihr abhängig.
00:36:10
So kann Leila Forderungen an Dennis stellen.
00:36:12
Sie verlangt, dass Dennis nach Personen suchen soll, die Cem, Zitat, Arme und Beine brechen können.
00:36:17
Leila will Cem körperlich so schwer verletzen lassen, dass er nicht mehr als Schneider arbeiten kann.
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Und Dennis tut, was Leila von ihm will.
00:36:25
Einem ehemaligen Arbeitskollegen aus der Schlachterei erklärt er, dass er für eine Frau Personen suche, die jemanden schlagen könnten.
00:36:31
Grund dafür seien Familienprobleme.
00:36:33
Die Frau würde 10.000 Euro dafür zahlen.
00:36:36
Der Kollege sagt, Dennis er werde sich mal umhören, findet letztlich aber niemanden.
00:36:40
Weil Leila aber in jedem Fall an das Bargeld und vor allem den Goldschmuck in Cems Wohnung kommen will, heuert sie letztlich Dennis selbst an.
00:36:48
Wir erinnern uns, einige Wochen nach der Scheidung wurde bei Cem eingebrochen und es wurde Bargeld geklaut.
00:36:55
Nach den ganzen Streitereien um Geld und Gold während der Scheidung vermutete Cem dahinter tatsächlich auch richtigerweise seine Ex-Frau.
00:37:02
Was er jedoch nicht wusste ist, dass sein bester Freund, der ihm nach dem Einbruch sogar noch hilft, Überwachungskameras anzubringen, derjenige war, der ihn beklaut hatte.
00:37:11
Schön wäre es natürlich gewesen, wenn die Überwachungskameras, die er selbst angebracht hatte, ihn am Ende überführt hätten.
00:37:17
Allerdings wurden die entweder beim Brand vollständig von den Flammen zerstört oder entwendet.
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Genau konnte man das nicht mehr feststellen.
00:37:24
Dennis nutzt jedenfalls das Vertrauen, das Cem in ihn hat, schamlos aus.
00:37:29
Allerdings gelingt das Vorhaben nicht ganz.
00:37:32
Dennis findet nicht das ganze Geld und den Goldschmuck, sondern nur 4.000 Euro.
00:37:36
Um an mehr Geld zu kommen, will Dennis dann Cem's BMW verkaufen, als Cem ihm das Auto während seines Türkei-Urlaubs überlässt.
00:37:43
Auch dafür fragt er seinen ehemaligen Kollegen, ob dieser Verbindung nach Polen herstellen könnte, doch das kann er nicht.
00:37:50
Leila schmiedet in der Zwischenzeit einen neuen Plan.
00:37:53
Wenn sie und Dennis das Geld und das Gold nicht finden, müssen sie Cem eben mit Gewalt dazu zwingen, das Versteck zu verraten.
00:37:59
Und danach muss er sterben.
00:38:01
Die Drecksarbeit kann Dennis erledigen, denn ihm vertraut Cem.
00:38:05
Er ist es auch, der sich illegal die Pistole besorgt, mit der er Cem später erschießt.
00:38:10
Leila bleibt als Strippenzieherin zwar bei der Tat im Hintergrund, als Dennis sie danach aber kontaktiert, weil er mit der Beseitigung der Leiche überfordert ist,
00:38:17
organisiert sie noch am Tattag Verwandte, die bei der Säuberung des Tatorts und dem Verschwinden der Leiche helfen.
00:38:23
Die Beute wird schließlich geteilt.
00:38:25
Vom Bargeld bekommen beide die Hälfte, den Goldschmuck, nimmt Leila.
00:38:29
Sie spekuliert außerdem darauf, dass sie nach Jams Tod die einst gemeinsam geführte Schneiderei erhält und mittelbar durch die Erbschaft ihrer Söhne das Grundstück samt Wohnhaus.
00:38:39
Die Staatsanwaltschaft ist sich also sicher, dass an Jams Tod nicht nur sein bester Freund Dennis beteiligt war, sondern auch seine Ex-Frau Leila.
00:38:46
Die Frage, die sich jetzt aber stellt, wer hat welchen Anteil an dieser Tat?
00:38:52
Also wer ist eigentlich wie schuldig?
00:38:54
Und an dieser Stelle müssen wir einen kleinen Exkurs machen, denn wenn mehrere Personen ein Verbrechen begehen, ist nicht jede dieser Personen automatisch Täter bzw. Täterin.
00:39:04
In unserem Strafrecht unterscheidet man nämlich zwischen Täterschaft und Teilnahme.
00:39:08
Einfacher gesagt, wer macht es und wer hilft nur dabei?
00:39:12
Um das ein bisschen geradezuziehen, habe ich mir noch mal Hilfe geholt von unserem Jura-Experten und Anwalt des Vertrauens Benedikt Müller.
00:39:18
Bei der Frage, wer Beteiligter in der Straftat ist, kann man ganz grundsätzlich in Täterschaft und Teilnahme unterscheiden.
00:39:26
Die Teilnahme wiederum untergliedert sich in Anstiftung und Beihilfe.
00:39:31
Um das Ganze, also die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme zu erklären, kann man sich eines Lehrbuchbeispiels bedienen, nämlich dem eines Banküberfalls.
00:39:41
Bei einem Banküberfall ist die Person, die in die Bank reingeht, mit der Waffe rumfuchtet und die Angestellten auffordert, Geld herauszugeben, grundsätzlich als Täter oder eben Täterin anzusehen.
00:39:51
Weil er oder sie an der Tat, hier beispielsweise dem schweren Raub oder der schweren räuberischen Erpressung, Hartherrschaft hat.
00:39:58
TeilnehmerInnen könnte dagegen sein, wer nur zu dem Überfall überredet hat, dann wäre man eher im Bereich der Anstiftung, also des Hervorrufen des Tatentschlusses,
00:40:07
oder beispielsweise der, der die Waffen oder das Fluchtfahrzeug zur Verfügung stellt und damit die Tat fördert, dann wiederum wäre man eher im Bereich der Beihilfe.
00:40:16
Und weil Gehilfinnen, also so nennt man die Menschen, die Beihilfe leisten, und AnstifterInnen als TeilnehmerInnen,
00:40:23
sehr viel gegendert, genauso wie TäterInnen in die Tat involviert sind, können auch alle bestraft werden, aber oft unterschiedlich stark.
00:40:31
Das kann man ganz gut an dem Banküberfallbeispiel sehen.
00:40:34
Zur Frage, wie TeilnehmerInnen im Vergleich zu TäterInnen letztlich bestraft werden, kann man sagen, dass die Beihilfe von einem zwingend geringeren Strafrahmen ausgeht.
00:40:46
Also die werden grundsätzlich geringer bestraft, weil es bei der Beihilfe ja nur um einen Beitrag, um ein Fördern zu der Haupttat geht.
00:40:56
Die Tat wird dadurch effizienter, schneller und so weiter, aber es gibt eben eine Tat, die auch unabhängig von der Beihilfe bestehen kann.
00:41:06
Beim Banküberfallbeispiel wird man sich jetzt beim Täter in einem Strafrahmen von 5 bis 15 Jahren bewegen, wenn man von einem besonders schweren Raub ausgeht.
00:41:16
Bei dem Gehilfen dagegen nur in einem Strafrahmen von 2 bis an die 12 Jahre.
00:41:22
Die Anstiftung, obwohl die zur Teilnahme gehört, wird höher bestraft als die Beihilfe, weil der Anstifter ruft ja erst den Entschluss zur Tat hervor.
00:41:32
Das heißt, ohne die Anstiftung gäbe es keine Tat, zumindest nicht in der Form.
00:41:38
Der Strafrahmen liegt da, um nochmal auf das Banküberfallbeispiel zurückzukommen, genau wie beim Täter bei 5 bis 15 Jahren.
00:41:46
Was für eine Strafe dann konkret rauskommt, das hängt dann wie immer vom Einzelfall ab.
00:41:52
Wenn der Anstifter das jetzt beispielsweise nur gemacht hat, weil er Geld für seine krebskranke Frau braucht, wird er wohl eher 5 Jahre kriegen.
00:41:59
Wenn er aber zum Beispiel schon mehrfach vorbestraft ist und auf ein besonders brutales Vorgehen gedrängt hat, dann wird man da eher in den Bereich von 10 Jahren oder mehr kommen.
00:42:11
Die Frage, die man sich jetzt aber stellen kann, wenn der Strafrahmen bei der Anstiftung der gleiche ist wie bei der Täterschaft selbst.
00:42:19
Wieso sind AnstifterInnen dann nicht eigentlich TäterInnen?
00:42:23
Das erklärt unser Experte.
00:42:25
AnstifterInnen sind keine TäterInnen, weil es da bei der entscheidenden Tathandlung um was anderes geht.
00:42:32
Bei AnstifterInnen hat man eben diesen kommunikativen Akt, man hat irgendwie ein Einwirken auf den Täter oder die Täterin, die dann eben diesen Entschluss zur Tatbegehung hervorruft.
00:42:45
Während bei TäterInnen man die eigentliche Tathandlung jetzt beim Totschlag zum Beispiel die Tötungshandlung hat oder beim Banküberfall dann die Wegnahme mit Gewalt.
00:42:56
Das übt der Täter oder die Täterin unmittelbar selbst aus.
00:42:59
Der Entschluss dazu wurde ihm aber vom Anstifter oder der AnstifterIn vermittelt.
00:43:04
Also es ist eine andere Handlung, die als ähnlich oder gleich strafwürdig angesehen wird, aber die eben was anderes ist.
00:43:10
Und oft ist es aber gar nicht so einfach, Täterschaft und Teilnahme, worunter ja Anstiftung und Beihilfe zählen, zu differenzieren, sagt Benedikt Müller.
00:43:20
Das gilt auch für unser Beispiel vom Banküberfall.
00:43:22
Man kann sich vielleicht vorstellen, dass es nicht selten Grenzfälle gibt.
00:43:26
Was ist zum Beispiel, wenn die Person, die das Luftauto stellt oder fährt, daneben noch zentral an der Planung mitgewirkt hat,
00:43:33
vielleicht das Gelände vorher ausgekundschaftet hat und vielleicht dann eben am Ende auch die gleiche Beute erhalten soll oder sogar erhält.
00:43:41
Soll die dann wirklich auch nur Gehilfe sein und damit zwingend milder bestraft werden oder eher nicht?
00:43:49
Die Antwort wäre jetzt in dem konkreten Beispiel natürlich nein.
00:43:52
In so einem Fall könnte man auch als Täter oder Täterin bestraft werden.
00:43:56
Generell bedarf es eben für diese Abgrenzung bestimmter Kriterien, um die zentrale Frage zu klären,
00:44:02
wann gilt man noch als Randfigur und ist damit TeilnehmerIn und wann ist man eben diese zentral gestalt.
00:44:10
In unserem Fall mit Cem, Dennis und Layla könnte man jetzt denken, die Sache ist klar,
00:44:14
Layla hat Dennis dazu angestiftet, Cem zu töten, also wird er wohl wegen Mordes und sie wohl wegen Anstiftung zum Mord verurteilt werden.
00:44:21
Dann wäre Layla nur Teilnehmerin der Tat.
00:44:24
Das bedeutet aber, wie eben erklärt, nicht, dass sie Aussicht auf eine mildere Strafe als Dennis hat,
00:44:28
denn es gibt im deutschen Strafgesetz ja keine Regeln, nach der AnstifterIn milder bestraft werden als TäterInnen.
00:44:33
Aber hier muss man jetzt genau hinschauen.
00:44:37
Es könnte nämlich theoretisch auch sein, dass Layla selbst als Täterin verurteilt wird,
00:44:41
obwohl sie weder geschossen hat, noch überhaupt am Tatort war.
00:44:45
Und warum das möglich sein kann, will ich euch genauer erklären.
00:44:49
Dazu müssen wir aber eine Reise in die Vergangenheit machen.
00:44:52
Ich erzähle euch nämlich jetzt von einem Fall, der zwar schon 85 Jahre zurückliegt,
00:44:56
aber der trotzdem noch bis heute Auswirkungen hat, denn dieser Fall gilt quasi als der Rechtsklassiker für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme.
00:45:04
So, dafür gehen wir zurück ins Jahr 1940.
00:45:07
Zu dieser Zeit sind im Deutschen Reich die Nazis an der Macht und es herrscht der Zweite Weltkrieg.
00:45:13
Viele Männer sind schon an der Front gefallen.
00:45:14
Dadurch ist der Tod in vielen Familien sehr präsent.
00:45:18
Neugeborene sind in der Zeit eher selten.
00:45:21
In dieser Zeit wird in der Nähe von Trier ein Baby geboren, das auf den ersten Blick gesund scheint.
00:45:27
Was für viele ein Segen ist, ist für Maria Anna, der Mutter des Babys, ein Albtraum.
00:45:32
Sie wünschte sich, dass ihr Kind gar nicht geboren worden wäre.
00:45:35
Denn zu dieser Zeit sollte es solche Babys wie das von Maria Anna gar nicht geben.
00:45:40
Es ist ein uneheliches Kind.
00:45:42
Maria Anna und der Vater sind nicht verheiratet.
00:45:44
Deswegen hat sie ihm vor neun Monaten auch gar nicht Bescheid gesagt, als ihre Periode auf einmal ausgeblieben ist.
00:45:49
Und weil ein Schwangerschaftsabbruch zur damaligen Zeit keine Option ist, hat sie den wachsenden Bauch versteckt.
00:45:55
Vor allem vor ihrem Vater, weil Maria Anna Angst hatte, dass er sie sonst zu Hause rauswerfen würde.
00:46:01
Damals war es ja so, dass uneheliche Kinder stark stigmatisiert waren und eine unverheiratete Mutter als sogenanntes gefallenes Mädchen galt,
00:46:09
das durch das uneheliche Kind häufig Ansehen, Arbeitsplatz und soziale Bindung verloren hat, weil es total verpönt war.
00:46:17
Deswegen ist Maria Anna davon überzeugt, dass es ihr gesellschaftlicher Untergang wäre, wenn die Menschen im Ort von diesem Kind erfahren würden.
00:46:24
Die einzige Person, der sie ihr Geheimnis verraten hat, ist ihre Schwester Teresa.
00:46:30
Und deswegen bittet sie sie jetzt auch um etwas, was den Schwestern bald darauf zum Verhängnis werden wird.
00:46:36
Maria Anna bittet Teresa kurz nach der Geburt, das Neugeborene mit ins Badezimmer zu nehmen und es dort in der Badewanne zu ertränken.
00:46:44
Und Teresa macht, was ihre Schwester will.
00:46:47
Sie trägt das Kleine, das sie einmal Tante Teresa nennen könnte, ins Bad und macht seinen Geburts gleichzeitig zu seinem Sterbetag.
00:46:55
Wie die Polizei und letztlich die Justiz von dem Schicksal des Kindes erfährt, das wissen wir nicht.
00:47:00
Fest steht aber, dass sich sowohl seine Mutter Maria Anna als auch seine Tante Teresa für den Tod des Neugeborenen verantworten müssen.
00:47:07
Und jetzt könnt ihr ja mal überlegen, was wiegt hier eigentlich schwerer?
00:47:13
Wer trägt mehr Schuld?
00:47:14
Die Person, die den Tod des Babys wollte und dafür eine andere Person überredet hat?
00:47:20
Oder trägt die Person mehr Schuld, die die Tat ausgeführt hat?
00:47:23
Oder wiegt die Schuld möglicherweise gleich schwer?
00:47:27
Die Antwort darauf ist auch für unseren Fall mit Dennis und Layla relevant.
00:47:30
Maria Anna wird vom Landgericht wegen Kindstötung verurteilt.
00:47:34
Den Straftatbestand gibt es heute nicht mehr in unserem Gesetz.
00:47:37
Unser Experte hat uns erklärt, dass man bei der Kindstötung mit einer verhältnismäßig geringeren Freiheitsstrafe rechnen musste.
00:47:44
Die Begründung, die man damals für diesen Tatbestand angeführt hat, war, dass sich Frauen während oder kurz nach der Geburt in einem seelischen Ausnahmezustand befinden würden
00:47:56
und dass Mütter in existenziellen Notlagen eben keine lebenslangen Strafen oder jedenfalls sogar Todesstrafen erhalten sollten,
00:48:04
sowie dass verzweifelte Frauen nicht zusätzlich kriminalisiert werden sollten, vor allem eben in einer Zeit, in der uneheliche Mutterschaft stark stigmatisiert war.
00:48:14
Dieser Paragraf wurde aber eben dann 1998 nach über 100 Jahren abgeschafft.
00:48:19
Die Gründe dafür waren unter anderem, weil der Paragraf Mütter im Vergleich zu Vätern oder anderen Bezugspersonen bevorzugt und so gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt,
00:48:29
während er zugleich auch noch ein patriarchales Mutterbild zeichnet, also dass die Frau, anders als der Mann, emotional, irrational und schutzbedürftig sei.
00:48:39
Und vor allem auch, weil die Annahme, dass sich alle Frauen um die Geburt herum in einem seelischen Ausnahmezustand befinden, wissenschaftlich nicht haltbar ist.
00:48:47
Das sind alles mittlerweile überholte Ansichten. Auch das mit dem Ausnahmezustand muss bei so einem Fall immer individuell geprüft werden.
00:48:54
Maria Anna wird 1940 aber eben noch wegen Kindstötung verurteilt, weil sie kurz nach der Geburt diese Tötung wollte und initiiert hat, indem sie ihre Schwester Teresa damit beauftragt hat.
00:49:06
Und Teresa wird vom Landgericht Trier wegen Mordes verurteilt, denn sie war die Täterin, die das Kind in der Wanne ertränkt hat und dabei habe sie vorsätzlich und überlegt gehandelt.
00:49:16
Aber dieses Urteil gegen Teresa, das hebt das Reichsgericht, also das war damals das höchste Gericht, vergleichbar mit dem heutigen Bundesgerichtshof, kurz darauf wieder auf.
00:49:26
Und zwar mit der Begründung, dass das Landgericht nicht genügend zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden habe.
00:49:33
Das Reichsgericht sagt jetzt nämlich, dass für eine Täterschaft nicht allein die Ausführung der Tat, also in diesem Fall das Ertränken entscheidend sei, sondern der Täterwille.
00:49:41
Und den habe Teresa, anders als Maria Anna, als Mutter nicht gehabt.
00:49:46
Und das ist jetzt hier ganz entscheidend, was man unter diesem Täterwillen versteht.
00:49:51
Das hat uns unser Experte Benedikt Müller erklärt.
00:49:54
Das Reichsgericht hat damals bei der Frage, ist jemand Täter oder Teilnehmer, eine rein subjektive Betrachtung in den Fokus gestellt.
00:50:01
Die Frage ist also, will die handelnde Person die Tat als ihre eigene oder als Fremde?
00:50:07
Nur wenn man sie für sich beziehungsweise als eigene will, dann ist die Person Täterin.
00:50:12
Ansonsten, wenn sie die Tat als Fremde will, dann eben Teilnehmerin.
00:50:16
Weil vor dem Reichsgericht also nun die Schwester keinerlei eigenes Interesse an der Tat hatte, sind die Richter, in dem Fall wahrscheinlich wirklich nur Männer, davon ausgegangen, dass sie die Tat nicht als eigene wollte und haben damit, trotz der eigentlichen Ausführung der Tötungshandlung durch die Schwester, nur eine Beihilfe angenommen.
00:50:35
Und das ist hier jetzt ein ganz doller Sonderfall, denn Beihilfe ist ja eigentlich, dass die Gehilfinnen, die sie leisten, nur einen Teil zur Tat beitragen.
00:50:46
Beim Bankenüberfall eben das Fluchtauto fahren oder die Waffe besorgen.
00:50:49
Aber hier hat ja die Schwester, also Teresa, zum Beispiel nicht nur das Wasser in die Wanne gelassen, in der das Baby ertränkt wurde, sondern sie hat das Baby selbst ertränkt.
00:50:57
Dafür hat sie das Landgericht ja auch wegen Mordes verurteilt.
00:51:01
Das Reichsgericht sieht das jetzt aber nicht so.
00:51:04
Das ist nämlich der Überzeugung, dass Teresa hier viel zu hart bestraft wurde, obwohl sie diejenige war, die das Baby ihrer Schwester in der Wanne ertränkt hat.
00:51:12
Und zwar deshalb, weil Teresa laut dieser subjektiven Theorie des Reichsgerichts die Tat, also die Tötung des Kindes, nicht als ihre eigene wollte.
00:51:21
Und deshalb sieht das Reichsgericht sie nicht als Täterin, sondern nur als Teilnehmerin im Sinne der Beihilfe.
00:51:28
Und weil sie nicht als Täterin, sondern nur als Teilnehmerin gesehen wird, wiegt auch ihre Schuld weniger.
00:51:34
Warum das Reichsgericht so geurteilt hat, hat Benedikt Müller uns erklärt.
00:51:38
Dass das Gericht bei der Schwester, obwohl sie diejenige war, die das Kind ertränkt hat, nur eine Beihilfe angenommen hat, ist vor allem deshalb wichtig,
00:51:47
weil der Privilegierungstatbestand der Kindstötung für die Schwester ja gar nicht greifen würde, weil sie eben nicht die Mutter im Sinne der Norm war.
00:51:55
Das heißt, die Schwester hätte deutlich härter bestraft werden müssen als die Mutter selbst.
00:52:00
Vielleicht auch aus diesem Grund ist zu ihren Gunsten und mit der subjektiven Theorie nur von einer Beihilfe ausgegangen worden,
00:52:08
weil die Schwester eben die Tat nicht als eigene, sondern als fremde, die Tat der Mutter, wollte.
00:52:14
Also wir sehen, dieser Täterwille war jetzt hier für das Reichsgericht ganz entscheidend.
00:52:20
Aber was den angeht, gibt es ein Problem, hat uns Benedikt Müller erzählt.
00:52:24
Das Problem bei solchen rein subjektiven Betrachtungen ist eigentlich immer das Gleiche.
00:52:30
Man kann den Menschen nicht in den Kopf schauen.
00:52:32
Man weiß nicht wirklich, was der Wille ist, es sei denn, die Person sagt das.
00:52:38
Deshalb hält an einer solchen rein subjektiven Betrachtung heute eigentlich niemand mehr fest.
00:52:44
Man spricht hier in der Rechtsprechung inzwischen stattdessen von einer gemischt subjektiv-objektiven Theorie,
00:52:50
wonach zwar im Ausgangspunkt immer noch entscheidend ist, ob die Tat als eigene oder als fremde gewollt ist,
00:52:57
dies allerdings anhand objektiver Kriterien wie zum Beispiel der Tatherrschaft oder dem Eigeninteresse bestimmt werden soll.
00:53:05
Damit hat man sich auch der juristischen Lehre, die das schon etwas länger fordert, über die Jahre und Jahrzehnte immer mehr angenähert,
00:53:11
sodass diese rein subjektive Betrachtung, wie es damals vom Reichsgericht gemacht wurde,
00:53:16
eigentlich nicht mehr so das zentrale Kriterium abbildet.
00:53:20
Heute schaut man sich den Täterwillen also nur noch als einen Faktor von mehreren an.
00:53:25
Aber, wie Benedikt Müller eben gesagt hat, die Tatherrschaft ist da beispielsweise heute entscheidender.
00:53:31
Da geht es halt darum, wer die zentrale Figur der Tat ist, die die Geschicke lenkt.
00:53:35
Meist sind das die Personen, die die Tat ausführen.
00:53:38
Aber auch beim Banküberfall könnte es sein, dass das Gericht die Tatherrschaft bei einer anderen Person sieht,
00:53:44
die nicht vor Ort ist, sondern im Hintergrund agiert.
00:53:47
Wenn zum Beispiel der Auftraggeber oder die Auftraggeberin über einen Knopf im Ohr mit den BankräuberInnen verbunden ist
00:53:54
und während des Überfalls, ist jetzt ein bisschen konstruiert, ja,
00:53:57
aber dann Anweisungen gibt, was sie zu machen haben.
00:54:00
Ich denke da jetzt beispielsweise an den Professor von Haus des Geldes.
00:54:03
Dann hat die Person auch die Tatherrschaft und kann dann dafür als Täter oder Täterin verurteilt werden.
00:54:08
Und auch generell bei Auftragstaten ist das so.
00:54:11
Also wenn beispielsweise ein Auftraggeber weiß, wo das spätere Opfer sich aufhält
00:54:16
und den Killer, in Anführungszeichen, über die Gewohnheiten aufklärt oder so.
00:54:21
Wenn der Auftraggeber oder die Auftraggeberin aber nur so grob den Auftrag zum Überfall gibt,
00:54:26
also zum Beispiel nur sagt, ja, mach das mal, aber wo, wie, wann ist den Ausführenden selbst überlassen,
00:54:31
dann ist die Person in dem Sinne nur TeilnehmerIn im Sinne der Anstiftung.
00:54:36
So, das war jetzt ein ganz großer Brocken Jura, um das hier nochmal kurz zusammenzufassen.
00:54:42
Anfangs haben wir uns ja die Frage gestellt, wann man Täterin ist und wann TeilnehmerIn.
00:54:47
Anhand dieses Exkurses ist jetzt hoffentlich klar, dass früher vor allem diese subjektive Theorie,
00:54:53
also wer die Tat als eigene wollte, entscheidend war.
00:54:55
Heute ist die aber nicht mehr das dominante Kriterium, sondern eins von mehreren.
00:55:00
Entscheidender ist heute eher, wer die Tatherrschaft hatte, also wer bei der Tat die Fäden in der Hand hatte.
00:55:05
Und um jetzt wieder auf unseren eigentlichen Fall zurückzukommen.
00:55:10
Anders als im Badewannenfall spielt im Prozess gegen Leyla eben nicht in erster Linie die subjektive Theorie,
00:55:16
die für das Reichsgericht zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme ausschlaggebend war eine Rolle,
00:55:20
sondern bei Leyla schaut sich das Landgericht Kleve vielmehr die Tatherrschaft genauer an.
00:55:25
Sie selber schweigt und lässt ihre Verteidigung alle Indizien anzweifeln, die nahelegen,
00:55:31
dass sie den Mord an Cem in Auftrag gegeben haben könnte, um an Geld und Goldschmuck zu kommen.
00:55:35
Nur als ihre zerrüttete Ehe und die Scheidung nochmal thematisiert werden,
00:55:40
hat die 51-Jährige auf einmal doch etwas zu sagen.
00:55:43
Die Staatsanwaltschaft wirft ihr nämlich vor, dass sie Cem provoziert hat und seinen Stolz verletzen wollte,
00:55:48
indem sie ihn damals so attackierte, dass er ärztliche Hilfe brauchte.
00:55:52
Außerdem hat sie geplant, seinen geliebten BMW zu verkaufen und sie hat seine Lieblingsgitarre zerstört.
00:55:58
Da schreit sie dann auf einmal, Zitat,
00:56:00
er hatte keinen Stolz und ist so wütend, dass ihr Verteidiger Mühe hat, sie zu beruhigen.
00:56:05
Und wie wir wissen, ist das ja nicht Leylas erster emotionaler Ausbruch vor Gericht.
00:56:10
Auch bei der Scheidung brüllte sie ihren Ex-Cem an und bedrohte ihn.
00:56:14
Auch das Landgericht kommt nun zu dem Schluss, dass alle Indizien in der Gesamtschau keinen Zweifel daran lassen,
00:56:19
dass Leyla für Cems Tod auch die Schuld trägt.
00:56:22
Auch wenn sie bei der Tötung nicht am Tatort war, ist sie als Mittäterin anzusehen, erklärt der Vorsitzende Richter.
00:56:29
Leyla habe die Tötung zusammen mit Dennis geplant und ihr Interesse am Gelingen der Tat
00:56:33
wiege mindestens genauso viel wie das von Dennis.
00:56:36
Denn Leyla habe wesentliche Tatbeiträge geleistet.
00:56:39
Sie habe Dennis als Täter angeworben und ihn bereits im Vorfeld dazu veranlasst,
00:56:43
nach jemandem zu suchen, der Cem Arme und Beine brechen soll.
00:56:46
Dann plante sie den Diebstahl, der nur zum Teil gelang, weshalb sie Cems Ermordung initiierte
00:56:52
und danach auch die Reinigung des Tatorts und die Beseitigung der Leiche organisierte.
00:56:57
Das Gericht stellt fest, Dennis war Leylas Marionette und sie war die Puppenspielerin,
00:57:01
die die Fäden in der Hand hält, um sich letztlich an Cems Geld, dem Goldschmuck und den Immobilien zu bereichern.
00:57:07
Deshalb wird Leyla wegen Mordes aus Habgier zu lebenslanger Haft verurteilt.
00:57:11
Das Urteil nimmt die 51-Jährige stoisch entgegen, ihr Kopf ist gesenkt, eine Gefühlsregung nicht erkennbar.
00:57:18
Auch was Dennis angeht, haben die RichterInnen des Landgerichts Kleve keinen Zweifel an seiner Täterschaft.
00:57:24
Der 49-Jährige hat das Vertrauen seines Freundes missbraucht und mit dessen Ex-Frau gemeinsame Sache gemacht.
00:57:30
Als ihr Auftragskiller hat Cem, der arglos beim Frühstück saß, mit einer Pistole vor dem Gesicht dazu aufgefordert,
00:57:36
das Versteck der Wertsachen zu verraten und ihn dann erschossen, um sich an dem Geld zu bereichern.
00:57:40
Das Mordmerkmal der Habgier sieht das Gericht eindeutig gegeben.
00:57:44
Was der Heimtücke, das die Staatsanwaltschaft ebenfalls angeklagt hat, kann jedoch nicht abschließend festgestellt werden.
00:57:51
Zwar sei Cem von hinten erschossen worden und das wird ja oftmals als Indiz dafür gewertet,
00:57:55
dass das Opfer den Angriff nicht hat kommen sehen und entsprechend arg und wehrlos war.
00:57:59
Hier argumentiert das Gericht aber, dass Dennis Cem ja schon vorher mit der Pistole bedroht hat,
00:58:05
als er ihn zwang, das Versteck der Wertgegenstände preiszugeben.
00:58:08
Und ab diesem Zeitpunkt habe Cem dann auch mit einem Angriff auf sein Leben rechnen müssen.
00:58:13
13 Monate nach der Tat wird Dennis wegen Mordes aus Habgier und wegen Brandstiftung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
00:58:20
Außerdem stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest.
00:58:23
Unter anderem wegen des Brandes, den Dennis gelegt hat, um die Spuren der Tötung zu verwischen.
00:58:28
Denn das Feuer hätte auch auf das Haupthaus übergreifen und somit anderen Menschen gefährlich werden können.
00:58:34
Das Gericht hat sowohl Dennis als auch Layla wegen Mordes an Cem verurteilt.
00:58:38
Beide sind also gleichermaßen Täter und Täterin, keine TeilnehmerInnen.
00:58:42
Bei Dennis stellt sich die Frage sowieso nicht.
00:58:45
Er war derjenige, der Cem mit vorgehaltener Waffe gezwungen hat, das Geldversteck preiszugeben
00:58:50
und ihn dann, als er Flüchtete, von hinten erschossen hat.
00:58:53
Und noch dazu war Dennis für Cem nicht irgendwer, sondern sein bester Freund, dem er absolut vertraut hat.
00:58:59
Und auch Layla sieht das Gericht als Täterin und nicht nur als Teilnehmerin,
00:59:04
im Sinne der Anstiftung.
00:59:05
Eben, weil sie diejenige war, die die Strippen gezogen hat.
00:59:08
Wir erinnern uns, sie wollte ja auch schon zu einem früheren Zeitpunkt jemanden engagieren,
00:59:12
der Cem verletzt und ist dann später auch nicht davor zurückgeschreckt,
00:59:16
den besten Freund ihres Ex-Mannes anzuheuern, um ihn zu erschießen.
00:59:19
Ihren Ex-Mann, mit dem sie zwei Kinder hat.
00:59:22
So endet die Geschichte von Cem und Layla zum zweiten Mal vor einem Gericht.
00:59:27
Dieses Mal endgültig.
00:59:29
Eigentlich hat das Paar das Kapitel ihrer gemeinsamen Zeit bereits im April 2022 vor den ScheidungsrichterInnen geschlossen.
00:59:36
Doch auch wenn die beiden nach 14 Ehejahren ab diesem Zeitpunkt buchstäblich geschiedene Leute waren,
00:59:41
war Layla das nicht genug.
00:59:42
Sie wollte Geld und Goldschmuck.
00:59:45
Getrennt voneinander sitzen Layla und Dennis nun in kleinen, kargen Hafträumen hinter dicken Gefängnismauern.
00:59:50
Dort können sie sich nicht mit dem Geld und dem Goldschmuck vergnügen, aber sie sind am Leben.
00:59:55
Anders als Cem, der sterben musste, weil Layla ihrem Mann die gemeinsame Schneiderei nicht gönnte
01:00:00
und Dennis seine Spielleidenschaft über seinen besten Freund stellte.
01:00:06
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber das war jetzt schon eine sehr rechtliche Folge.
01:00:09
Aber bei uns hat das wirklich das erste Mal in der Redaktionskonferenz eine richtige Diskussion darüber ausgelöst,
01:00:15
wie wer bestraft werden wollte.
01:00:18
Weil das Recht ist ja immer eine Sache, aber die gefühlte Gerechtigkeit oft eine andere.
01:00:23
Wir hatten zum Beispiel eine Stimme in der Redaktionskonferenz, die gesagt hat,
01:00:27
dass sie nicht versteht, warum beide zum Mord verurteilt wurden,
01:00:29
weil vielleicht hätte Layla ja nie wirklich abgedrückt, wenn sie vor ihm gestanden hätte.
01:00:35
Also vielleicht hätte sie dann ihren Mann gar nicht getötet.
01:00:38
Die Person hat da die Schuld auf jeden Fall mehr bei Dennis gesehen.
01:00:42
Eine andere Redakteurin wiederum hat dann gesagt,
01:00:45
ja, aber er musste ja die Drecksarbeit für sie machen.
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Und dann haben wir uns ein bisschen gefragt, was erfordert eigentlich mehr kriminelle Energie?
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Also jemanden anzustiften, also quasi diesen Samen zu setzen oder es dann auszuführen.
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Ich glaube, man kann für beides Argumente finden.
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Also dann letztendlich wirklich vor jemandem zu stehen und abzudrücken,
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das ist schon wirklich ein großer Schritt,
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weil durch deine Handlung gibt es dann dieses Opfer tatsächlich erst.
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Ich muss aber gestehen, dass ich bei diesem Fall,
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also wenn ich mir das jetzt so angucke,
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hätte ich tatsächlich, wenn es jetzt eine Entweder-oder-Entscheidung gewesen wäre,
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die Schuld eher bei Layla gesehen.
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Denn von dem, was wir wissen, wäre Dennis wahrscheinlich nie auf die Idee gekommen
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oder hat sich da schon einlullen lassen.
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Es ist ja auch Laylas Wille gewesen.
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Ich finde es irgendwie ganz interessant,
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weil am Ende ist durch die Aktion von beiden halt dieses tödliche Duo entstanden.
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Und die Frage ist natürlich,
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wäre die Tat ohne den jeweils anderen überhaupt passiert?
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Vielleicht hätte Layla es niemals jemand anderen machen lassen wollen
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und kamen nur auf die Idee, weil Dennis ihr eh schon, ja, so in der Art hörig war.
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Und Dennis hätte wahrscheinlich nie einen Grund gesehen, seinen besten Freund zu töten,
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war dann aber offenbar doch so abgebrüht, dass er es einfach tat.
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Und demnach finde ich es auch sehr vertretbar, dass beide lebenslang bekommen haben
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und in unterschiedlichen Verfahren verurteilt wurden.
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So, das war jetzt unser kleiner Abstecher ins Rechtslehrbuch.
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Nächste Woche besprechen Laura und ich gemeinsam einen Fall einer jungen Frau,
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die sehr, sehr lange auf dem Erfolgsweg war.
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Viele Siege feierte,
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bis eine Person, von der sie es niemals gedacht hätte,
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entschied ihrer Karriere, ein bitteres Ende zu setzen.
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Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Rolas.
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Redaktion Magdalena Höcherl und wir.
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Schnitt Pauline Korb.
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Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.