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#205 Unter wasser

Mordlust.
Herzlich willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin Laura Wohlers,
mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte
und wir sprechen mit Menschen mit Expertise.
Heute aber führe ich euch alleine durch diese Folge.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann, wenn wir zwischendurch mal ein bisschen abschweifen.
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht respektierlich gemeint.
Bevor ich mit der heutigen Folge starte, in der eine eigentlich normale Unterrichtsstunde ein fatales Ende nimmt,
will ich euch noch kurz von den Neuigkeiten im VR-Show berichten.
In Folge 200 hatten wir euch ja von Hannah erzählt, die nach einer Partynacht nicht mehr nach Hause kamen.
Ihre Leiche wurde am nächsten Tag in der Prien entdeckt.
Sebastian T. wurde wegen Mordes verurteilt.
Allerdings hob der BGH das Urteil wegen Verfahrensfehler auf, nachdem seine Verteidigung rund um Regina Rigg Revision eingelegt hatte.
Ich hatte hier schon neulich erzählt, dass sie dem Gericht Gutachten für die Haftprüfung vorgelegt hatte.
Unter anderem, welche, die belegen sollten, dass Hannah nicht von hinten von einer Person,
Schrägstrich Sebastian, angegriffen wurde, sondern es sich auch um einen Unfall gehandelt haben könnte.
In einem anderen Gutachten ging es um die mangelnde Glaubwürdigkeit eines Zeugen, also des Hauptbelastungszeugen eigentlich.
Und jetzt stand die Haftprüfung ja noch aus.
Und tatsächlich, Sebastians Haftbefehl wurde aufgehoben.
Auf den nächsten Prozess, also der muss ja wiederholt werden, muss er nicht mehr in U-Haft warten,
denn ein dringender Tatverdacht sei, Zitat, derzeit nicht mehr anzunehmen.
Ja, also mehr Klarheit bekommen wir zwar erst durch den neuen Prozess,
aber man kann jetzt schon annehmen, dass Sebastians Chancen auf einen Freispruch diesmal viel größer sind.
Ich hoffe wirklich sehr, dass die Wahrheit ans Licht kommt,
weil das wirklich der einzige Weg ist, wie alle Beteiligten langsam in eine Verarbeitung kommen.
Ich denke da natürlich vor allem auch an Hannas Familie und Freundinnen,
die sich jetzt natürlich nochmal einem Prozess stellen müssen,
nur weil der erste so fehlerhaft verlaufen ist.
und wir wissen ja, dass das eine große Belastung für die Beteiligten sein kann.
Wie sich der Fall weiterentwickelt, das hört ihr natürlich auch wieder hier bei uns.
So, jetzt geht es aber zu unserem heutigen Fall, in der wir die Frage besprechen müssen,
wie viel Verantwortung müssen eigentlich jene tragen, denen wir unsere Kinder anvertrauen?
Alle Namen haben wir geändert und die Triggerwarnung findet ihr in der Folgenbeschreibung.
Unser Fall führt uns an einem Montag, den 18. September 2023,
nach Konstanz im Süden am Bodensee.
Dort dürfte es nicht mehr allzu lange dauern, bis die ersten Regentropfen niederprasseln.
Einen könnte das nicht weniger kümmern, den siebenjährigen Arun,
der gerade von seinem Papa Rajesh zur Schule gebracht wird.
Heute wird er nämlich eh richtig nass und da freut er sich drauf.
Denn auf dem Stundenplan steht das neueste Fach des Zweitklässlers, Schwimmen.
Gleich in der ersten Stunde geht's in die Halle.
Deswegen hat Arun in seiner Schultasche, heute neben der Federtasche,
oder wie man in Konstanz sagt, Schlampermäppchen, auch seine Badehose dabei.
Wenn man Vater und Sohn heute zusammen Richtung Schule spazieren sieht,
ist nicht zu übersehen, dass die beiden zusammengehören.
Arun ist ein schmales Kind, Rajesh ein schmaler Mann.
Sie haben die gleichen dunklen Haare, die gleichen dunklen Augen,
die gleichen freundlichen Gesichtszüge.
Arun ist das einzige Kind von Rajesh und seiner Frau Umar und ihr großer Schatz.
Der 37-jährige Softwareingenieur mit indischen Wurzeln ist froh,
dass Arun die letzten Monate so gut gemeistert hat.
Zum Schulstart vor einem Jahr ist die Familie erst von der Schweiz nach Konstanz gezogen.
Arun hat sich aber gut eingelebt in der neuen Heimat.
Neues Zuhause, neue Stadt, neuer Alltag.
Nur Aruns größtes Hobby ist nicht neu.
Lego.
Besonders liebt Arun, der in wenigen Wochen seinen achten Geburtstag feiert,
Lego Ninjago, eine Gruppe Ninjas, die die Welt vor dem Bösen beschützt.
Und so, wie es seine Ninjagos immer tun, will auch Arun sich heute in ein neues Abenteuer stürzen.
In den Schwimmunterricht.
Vater Rajesh bemerkt, wie Arun beginnt zu rennen.
Er lacht und sieht glücklich aus.
Er muss aufgeregt sein.
Schon bald erreicht das Vater-Sohn-Gespann endlich die Schule im Herzen der Konstanzer Altstadt.
Rajesh verabschiedet sich von seinem Arun und hofft, dass der Schwimmunterricht ihm genauso viel Spaß machen wird,
wie Arun sich das vorgestellt hat.
Dann gehen Vater und Sohn getrennte Wege.
Der Siebenjährige reiht sich in die kleine Karawane aus bunten Jacken und Ranzen ein,
die sich langsam in Richtung Schulgebäude schiebt.
Gemeinsam mit den anderen Kindern verschwindet er hinter den Türen.
Rajesh wird darauf warten, dass ihm sein Kind später am Tag alles von seiner ersten Schwimmstunde berichten wird.
Er weiß noch nicht, welches Unglück ihn heute erwarten wird.
Im Schulgebäude angekommen, versammeln sich der Siebenjährige Arun und die anderen Kinder der 2A nach und nach
rund um die Schwimmlehrerinnen Iris Berge und Ann-Kathrin Hauner.
Von hier geht es los, bepackt mit den Schwimmbeuteln, in denen Badekleidung steckt,
Handtücher und alles andere, was die Eltern sonst noch für unverzichtbar für den Schwimmbadbesuch befunden haben.
Weil der Weg von der Schule zum Schwimmbad nur ein paar Minuten dauert,
können die kleinen Stöpsel selber laufen.
21 Paar Kinderfüße tapsen durch die malerischen, mittelalterlichen Gassen der Altstadt
unter der Aufsicht der beiden Lehrerinnen.
Frau Berge mit dem langen, blonden Schopf, die schon seit 20 Jahren Lehrerin ist
und der jüngeren Frau Hauner mit den kürzeren, braunen Haaren, die als Referendarin neu an der Schule angefangen hat.
Gemeinsam mit ihnen überqueren die Kinder eine Brücke, unter ihnen rauscht er rein.
Hinter der beige-grauen Fassade des Hallenbads haben schon unzählige Kinder Schwimmstunden absolviert,
so wie Arun es heute tun wird.
Als Arun und die anderen der 2A das Gebäude durch die große Glastür betreten,
steigt ihnen der typische Chlorgeruch in die Nase.
Obwohl man das Wasser schon riechen kann, geht es noch nicht so schnell rein.
Erst versammelt Frau Hauner die Kinder in der Eingangshalle
und wiederholt mit ihnen noch einmal das, was sie vor ein paar Tagen schon im Unterricht behandelt haben.
Zu den wichtigsten Regeln für den Schwimmbadbesuch zählen
nicht rennen, nicht schubsen, zuhören, wenn die Lehrerinnen etwas sagen
und dann auch unbedingt das tun, was sie sagen.
Dann heißt es umziehen.
In den separaten Umkleidekabinen steigen Arun und die anderen Jungen und Mädchen aus ihren Schuhen
und streifen ihre Pullis, T-Shirts, Hosen und Socken ab,
bevor sie in die bunte Badekleidung schlüpfen.
Als alle Mädchen und Jungen fertig sind,
vereinen sie sich wieder in der Schwimmhalle bei Frau Hauner und Frau Berge.
An der Längsseite des Beckens befindet sich eine große Fensterfront.
Das Gemälde an der gegenüberliegenden Seite zeigt einen Wassermann, Nixen und Wasservögel.
Die feuchte Schwimmbadluft klebt auf der Haut,
als die Mädchen und Jungen am Rand des großen Beckens stehen.
Gleich geht's rein in das Wasser, das in Miniwellen über die Beckenränder leckt,
bevor es gurgelnd im Abfluss verschwindet.
Die 21 Kinder am Beckenrand sind voller Vorfreude.
Die Lehrerinnen machen klar,
reingehen sollen sie an der kurzen Stirnseite,
dort, wo der Einstiegsbereich, in den eine Treppe führt, flach ist,
sodass sie leichter ins Wasser können.
Außerdem dürfen Arun und die anderen sich nicht im ganzen Becken bewegen.
Deswegen schnappt sich Frau Berge eine rote Trennleine,
die sie mithilfe eines der Kinder quer über das Becken spannt.
Im flacheren Bereich vor der Leine dürfen die Kinder bleiben, der Bereich dahinter ist tabu.
Frau Berge und Referendarin Frau Hauner erklären außerdem, dass es heute in der ersten Stunde noch gar nicht um das Schwimmen selbst geht,
sondern erst darum, dass sich alle an das Wasser gewöhnen.
Deshalb werden sie ein Spiel spielen.
Um kurz nach halb neun steigen die 21 Mädchen und Jungen über die Treppe dann endlich ins Becken.
Das 27 Grad warme Wasser schmiegt sich um Aruns Unterkörper,
als er mit den nackten Fußsohlen auf den glatten Fliesenboden des Beckens tritt.
Vorne, am Rand reicht ihm das Wasser bis zum Bauch.
Die Kinder können gut stehen, niemand muss Angst davor haben, mit dem Kopf ungewollt unter Wasser zu tauchen.
Gemeinsam mit den anderen Kindern reiht sich Arun am vorderen Rand des Beckens auf.
Alle bekommen von den Lehrerinnen einen Tauchring aus Gummi in die Hand gedrückt.
Die sollen sie jetzt wie Lenkräder mit beiden Händen vor der Brust halten und so tun,
als ob sie im Wasser Auto fahren würden.
Sinn dahinter ist, dass die Kinder erst einmal durchs Wasser gehen und nicht direkt versuchen zu schwimmen.
Als Frau Berge und Frau Hauner das Zeichen geben, starten die 21 Mädchen und Jungen ihre imaginären Wasser-Pkw.
Sie lenken mit dem Gummiring und tun im Schwimmbecken so, als würden sie Autos durch das Becken manövrieren.
Ob sie bremsen, überholen oder abbiegen müssen, sagen ihnen Frau Berge und Frau Hauner.
Immer wenn der schrille Ton der Trillerpfeife durch das Bad geldt, gibt es eine neue Ansage.
Beim Kommando Stau müssen die Kinder langsamer werden, ein anderes Mal sollen sie die Richtung wechseln.
Auch rückwärts fahren wird ausprobiert.
Wie die anderen hält Arun seinen Tauchring fest und setzt begeistert das nächste Kommando um,
während er durch das Wasser wartet.
Bei Waschanlage fangen alle Kinder an, sich selbst nass zu spritzen.
Wassertropfen schießen in die Luft.
Dann wieder die Pfeife und die Lehrerinnen befehlen Autorennen.
Die Kinder sollen sich so schnell sie können durch das Becken bewegen.
Die Stimmung ist ausgelassen.
Alle haben Spaß am neuen Unterrichtsfach.
Aber Autorennen war die letzte Anweisung.
Jetzt ist das Spiel vorbei.
Alle Kinder sollen sich wieder am Beckenrand versammeln.
Es ist 8.39 Uhr.
Das Aufwärmen hat etwa sechs Minuten gedauert.
Doch zum Erklären, was als nächstes passieren soll, kommen die Lehrerinnen nicht mehr.
Plötzlich heilt ein markerschütternder Schrei von den Wänden wieder.
Oh Gott, ruft Referendarin Frau Hauner, ihre Augen auf den Schwimmbereich hinter der Trennlinie gerichtet.
Dort treibt ein Kind auf dem Bauch im Wasser.
Das Gesicht unter Wasser.
Arme und Beine hängen schlaff nach unten.
Frau Berge zögert keine Sekunde.
Sie springt ins Becken, schwimmt zu dem Kind, packt es mit geübtem Griff.
Als es mithilfe von Frau Hauner über den Beckenrand auf den Steinboden gezogen wird, können alle erkennen, es ist Arun.
Weil er sich nicht bewegt und auch sonst nicht reagiert, ist klar, Arun muss reanimiert werden.
Sie dürfen keine Zeit verlieren.
Frau Berge beginnt mit einer Herzdruckmassage, während Frau Hauner den Rettungsdienst alarmiert.
Kurz darauf ist über Konstanz das charakteristische Dröhnen eines Hubschraubers zu hören,
der in der Nähe des Schwimmbads zum Landeanflug ansetzt und sich nur wenig später wieder in den Septemberhimmel erhebt.
Den NotärztInnen im Schwimmbad ist es gelungen, Arun zu reanimieren, doch er ist noch bewusstlos.
An Bord des Helikopters setzt das Rettungsteam nun alles daran, seinen Zustand zu stabilisieren.
Und die ÄrztInnen machen damit weiter, als Arun ins Krankenhaus eingeliefert wird.
Sein Anblick ist herzerweichend.
Der kleine Junge mit dem dunklen Haarschopf in dem sterilen Bett.
Die schmächtigen Arme liegen kraftlos auf den Laken.
Im Hintergrund piepsen und surren Geräte, die über Schläuche mit Aruns reglosem Körper verbunden sind.
Für das Krankenhauspersonal ist dieser Anblick schlimm, aber er gehört zu dem, was ihr Job nun mal mit sich bringt.
Für Aruns Vater Rajesh jedoch ist es der absolute Albtraum.
Nachdem er und seine Frau Umar die Horrornachricht bekommen haben, ist Rajesh sofort zu seinem Sohn in die Klinik geeilt.
Als er den siebenjährigen bewegungslos im Bett liegen sieht, hofft Rajesh nichts mehr, als dass sein Junge, sein einziges Kind, endlich wieder seine braunen Augen aufschlägt.
Kein Vater und keine Mutter sollten das Liebste, das sie im Leben haben, in so einem kritischen Zustand erleben müssen.
Wie kann das überhaupt sein?
Am Morgen noch hat der siebenjährige übers ganze Gesicht gestrahlt.
Er hat sich so auf seine erste Schwimmstunde gefreut.
Was ist dort geschehen?
Rajesh kann nicht fassen, dass der Unterricht in so einer Tragödie endete und dass das Leben seines Sohnes jetzt am seidenen Faden hängt.
Wie Ninja-Anführer Lloyd auf einem seiner T-Shirts kämpft Arun im Krankenhausbett, damit er am Leben bleibt.
Noch eine Minute, noch eine Stunde, noch einen Tag.
Neun Tage lang.
Doch dann kann der kleine Körper nicht mehr.
Es ist der 27. September 2023, als die Ärztinnen den Hirntod des Siebenjährigen feststellen.
An diesem Tag nimmt nicht nur Arun Abschied von dieser Welt, auch ein Teil von Rajesh und seiner Frau geht mit ihrem Sohn.
Die Trauer packt die Eltern mit tosender Wucht, sie zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg.
Denn das Liebste, was sie hatten, ist nicht mehr da.
Daran ist einfach alles falsch.
Ihr Junge, noch nicht einmal acht Jahre alt, tot.
Dabei soll er weiter mit wachem Blick, neugierig und lebensfroh durch die Welt gehen, in Pfützen springen, auf dem Spielplatz toben und mit seinen geliebten Lego Ninjagos spielen.
Doch anstatt ihm nach einem erfolgreich absolvierten Schwimmunterricht demnächst das Seepferdchen auf die Badehose zu nähen,
müssen Rajesh und seine Frau entscheiden, in welcher Kleidung ihr einziger Sohn bestattet werden soll.
Und anstatt ihn an seinem achten Geburtstag anzufeuern, alle Kerzen auf der Torte gleichzeitig auszupusten, werden sie in einem leeren Kinderzimmer stehen.
Vor einem Bett, in dem niemand mehr schläft, daneben eine Schultasche, die niemand mehr trägt.
Arun strahlt seine Eltern ab jetzt nur noch stumm von Fotos an, die zu Hause aufgestellt sind.
Eines zeigt ihn mit einer Käppi vor einer Statue aus hunderten bunten Steinchen im Legoland.
Momente, die nun für immer der Vergangenheit angehören.
Nicht nur Aruns Eltern trauern um ihren Sohn, auch seine KlassenkameradInnen.
Auf einem Platz nahe der Schule formen rote und weiße Grablichter ein großes Herz.
In der Mitte stehen bunte Blumen, die im Kontrast zu dem Grau der Pflastersteine nahezu leuchten.
Aruns MitschülerInnen haben kleine Windräder gebastelt und bemalt, um ihm zu gedenken.
Vielen Kindern fällt es schwer zu begreifen, dass Aruns Stuhl im Klassenzimmer der 2a nun leer bleibt.
Der Tod ist kein Thema, mit dem 7-Jährige schon viele Berührungspunkte haben.
Einige wissen nicht, was es bedeutet, dass Arun nie wieder aufwacht.
Als Stern am Himmel wirst du leuchten in unserer Erinnerung.
So schreibt es die Schulfamilie in ihrer Traueranzeige, die mit 6 Sternen verziert ist.
Zu lesen ist dort, Arun war ein einzigartiger, wertvoller und besonderer Junge, der unser Schulleben bereicherte.
Auf tragische Weise haben wir ihn verloren.
In großer Traurigkeit sind unsere Gedanken ganz nah bei Aruns Familie.
Er wird uns sehr fehlen.
Als in der Presse bekannt wird, dass ein kleiner Junge im schulischen Schwimmunterricht ums Leben gekommen ist,
zieht diese Nachricht nicht nur in Konstanz und der Region kreise.
Was ist während des Unterrichts im Hallenbad passiert?
Wie kann ein Kind mitten einer ganzen Klasse unter den Augen von zwei Lehrkräften einfach ertrinken?
Haben die Lehrerinnen etwa nicht richtig auf ihre Schulklasse aufgepasst?
Tragen sie die Schuld dafür, dass jetzt jemand tot ist?
Oder war es ein schrecklicher Unfall, für den niemand etwas kann?
Vor allem Eltern stellen sich diese Frage und sind verunsichert.
Immerhin vertrauen sie ihre Kinder jeden Tag Lehrkräften an.
Niemand will sich vorstellen, wie es wäre, wenn eines Tages das eigene Kind von der Schule nicht mehr nach Hause kommt.
Wie es im Fall von Arun dazu kommen konnte, ermitteln nun Polizei und Staatsanwaltschaft.
Sie müssen klären, ob Aruns Tod das tragische Ergebnis einer Verkettung unglücklicher Umstände war
oder ob der Vorwurf der fahrlässigen Tötung im Raum steht.
Weil Aruns Eltern jeden Tag die Frage quält, was beim Schwimmunterricht mit ihrem geliebten Sohn passiert ist,
nehmen sie sich einen Anwalt.
Vater Rajesh betont gegenüber der Presse, wir sind nicht hier, um jemandem die Schuld zu geben,
aber gleichzeitig möchten wir, dass dieses unglückliche Ereignis keinem anderen Kind passiert.
Kein anderer Elternteil sollte so leiden, wie wir leiden.
Aruns Eltern müssen wissen, was im Schwimmbad passiert ist.
Nur so können sie, vielleicht irgendwann in ferner Zukunft, begreifen, was ihnen da Schreckliches widerfahren ist.
Für den Anwalt, den Vater Rajesh beauftragt hat, steht schon bald fest, dass Arun starb, weil, Zitat,
sorgfaltswidrig erforderliche Maßnahmen zur Sicherheit im Schwimmunterricht unterlassen wurden
und der Geschädigte der Todesgefahr ausgesetzt wurde.
Heißt, für den Anwalt ist ganz klar, dass Arun gestorben ist, hätte verhindert werden können,
wenn man sich anders verhalten hätte.
Im März 2024, ein halbes Jahr nach Aruns Tod, wirft er gleich sieben Personen fahrlässige Tötung vor.
Vier Mitarbeitenden des Schwimmbads legt der Elternanwalt zur Last, dass sie die Wasseraufsicht nicht wahrgenommen hätten,
sondern auf Lehrerin Iris Berge und Referendarin an Katrin Hauner übertragen hätten,
obwohl diese nicht die dafür nötige Ausbildung besitzen würden und von ihnen auch nicht ordnungsgemäß
in die Aufgabe eingewiesen worden seien.
Der Schulleiterin von Aruns Schule wirft er vor, dass sie es unterlassen habe,
die Lehrkräfte auf ihre Schwimm- und Rettungsfähigkeit zu überprüfen
und den beiden Schwimmlehrerinnen wirft er vor, ihre Aufsichts- und Sorgfaltspflicht
gegenüber den Kindern verletzt zu haben.
Das wird jetzt hier im Verlauf der Folge noch wichtig.
Deswegen erklärt uns Rechtsanwalt Benedikt Müller einmal kurz, was man darunter versteht.
Die Aufsichtspflicht über minderjährige Personen richtet sich in erster Linie an die Eltern.
Sie wird insbesondere mit BGB, also Bürgerlichen Gesetzbuch aus der allgemeinen elterlichen Sorge,
also der Pflicht, ein Kind zu pflegen, zu erziehen, eben auch zu beaufsichtigen, hergeleitet.
Danach sind also vor allem die Eltern bzw. die Erziehungsberechtigten dazu verpflichtet,
Schaden von den Kindern abzuwenden bzw. auch etwaige Schäden durch die Kinder abzuwenden.
Wenn die Kinder jetzt zum Beispiel in eine Kita oder in die Schule gehen,
dann sind entsprechend der einschlägigen Rechtsnorm, das können Schulgesetze der Länder sein,
können Verwaltungsvorschriften, schulinterne Regelungen oder was auch immer sein,
dann sind jedenfalls die Erzieherinnen oder die Lehrkräfte aufsichtspflichtig.
Eng an dieser Aufsichtspflicht, die in der Regel eben bei den Eltern liegt,
in der Schule dann aber bei den Lehrkräften, ist die Sorgfaltspflicht gekoppelt.
Also sprich, die Pflicht, sich allgemein so verantwortungsvoll zu verhalten,
dass niemandem was zustößt.
Im Straßenverkehr zum Beispiel muss ich so fahren, dass ich niemanden gefährde.
Beide Pflichten erfüllen denselben Zweck, den Schutz vor Schaden.
Also, dass nichts passiert.
Zusammengefasst kann man sagen, eine Verletzung der Aufsichtspflicht ist in der Regel immer auch eine Verletzung der Sorgfaltspflicht,
denn die Aufsichtspflicht ist ein spezieller Fall der Sorgfaltspflicht.
Und wenn es jetzt, wie in unserem Fall im Schwimmunterricht, so weit kommt, dass ein Kind ertrinkt,
dann muss natürlich geprüft werden, ob Lehrerinnen ihrer Aufsichts- und Sorgfaltspflicht nachgekommen sind.
Dafür sind grundsätzlich fünf Fragestellungen wichtig, sagt Benedikt Müller.
Erstens steht natürlich die Frage, ob denn überhaupt eine Aufsichts- und oder Sorgfaltspflicht besteht.
Zweitens dann wurde diese Pflicht verletzt und wenn ja, durch welche Handlung oder auch durch welches Unterlassen konkret.
Drittens dann die Frage nach der Kausalität.
Also hat die Sorgfaltspflicht oder Aufsichtspflichtverletzung tatsächlich zu dem Unglück,
juristischen spricht man eher zu diesem Schaden, geführt oder wäre das Ganze auch bei richtiger Aufsicht passiert.
Viertens dann war der Schaden, also in unserem Fall das Ertrinken des Jungs, vorhersehbar oder beziehungsweise Bestand, Anlass und Möglichkeit, das Ganze abzusehen.
Und letztens als fünften Punkt dann war das Ganze vermeidbar.
Damit ist jetzt noch nicht zwingend die Antwort auf die Frage einer Strafbarkeit verbunden.
Dazu muss man auch ein bisschen genauer hinschauen.
Aber ein Pflichtverstoß gegen diese Aufsichts- oder Sorgfaltspflicht kann man, wenn man diese Fragen alle mit Ja beantwortet, dann schon mal annehmen.
Also diese fünf Sachen müssen gegeben sein, damit man von einer Verletzung der Aufsichts- und Sorgfaltspflicht sprechen kann
und die Beschuldigten dann auch dementsprechend zur Verantwortung gezogen werden können.
Wenn aber jemand alle nötigen Kriterien eingehalten hat und trotzdem passiert was,
zum Beispiel durch ein unvorhersehbares medizinisches Problem oder weil sich ein Kind völlig unerwartet verhält,
dann ist man nicht schuld, auch wenn was Tragisches passiert ist.
In Aruns Fall prüft die Staatsanwaltschaft, die Vorwürfe kommt aber zu einem anderen Schluss als der Elternanwalt.
Sie stellt fest, dass man weder der Lehrerin noch dem Schwimmbadpersonal viel Verhalten zur Last legen kann.
Aber was die Lehrerin Iris Berge und Ann-Kathrin Hauner angeht, geht die Staatsanwaltschaft mit.
Sie ist ebenfalls der Meinung, dass die beiden ihrer Aufsichts- und Sorgfaltspflicht nicht in dem nötigen Maß nachgekommen seien.
Deshalb beantragt die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen die Lehrerin und gegen die Referendarin.
Was ein Strafbefehl ist, das erklärt uns jetzt unser Anwalt Benedikt Müller.
Der Strafbefehl ist eine gerichtliche Entscheidung in einem besonderen strafrechtlichen Verfahren,
welches ohne Hauptverhandlung auskommt.
Letztendlich ist ein Strafbefehl ein Stück Papier, welches einer Anklage ziemlich ähnlich sieht,
in dem steht dann, was dem Beschuldigten vorgeworfen wird, welche Straftatbestände dadurch verwirklicht sind.
Und das ist dann eine Besonderheit zur normalen Anklage, dass da schon direkt steht,
welche Rechtsfolge es sich aus diesem Verhalten ergibt.
Also in der Regel, welche konkrete Geldstrafe zu erwarten ist.
Beispielsweise steht dann da 40 Tagessätze zu je 20 Euro.
Das Strafbefehlverfahren wird auch aus Effizienzgründen regelmäßig bei Bagatelldelikten angewendet.
Beispielsweise bei kleineren Diebstählen oder geringfügigen Straßenverkehrsdelikten.
Also man kann sagen, ein Strafbefehl beinhaltet all das, was auch am Ende eines gewöhnlichen Prozesses steht,
aber halt in deutlich abgekürzter Form.
Und noch eine Sache, weil jetzt hier die Rede von Bagatelldelikten ist.
Bagatelldelikt meint nicht ein Delikt im Sinne von, da ist wenig passiert.
Hier ist ja offenbar ein Kind gestorben.
Das bezieht sich vielmehr auf das Strafmaß.
Denn per Strafbefehl kann die Staatsanwaltschaft maximal ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung fordern.
Wenn sie jetzt mehr wollen würde, für die beiden Lehrerinnen,
dann müsste sie Anklage erheben und einen Prozess führen, wie wir ihn halt sonst hier aus dem Podcast kennen.
Generell nutzt die Staatsanwaltschaft den Strafbefehl auch gerne als Möglichkeit,
halt da, wo er geeignet erscheint, weil es ein relativ einfaches und schnelles Verfahren ist.
Klar, man braucht viel weniger Zeit und viel weniger Personal.
Das Ganze ist also auch eine deutliche Entlastung für unser Justizsystem.
Und nachdem dann, wie hier jetzt in unserem Fall geschehen,
die Staatsanwaltschaft diesen Strafbefehlsantrag eingereicht hat,
muss das Gericht darüber entscheiden.
Und dabei gibt es drei Möglichkeiten, hat uns Benedikt Müller erklärt.
Möglichkeit eins ist, es lehnt den Strafbefehl ab.
Dann ist das, wie wenn die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht zugelassen wird.
Option zwei ist, es braucht einen Hauptverhandlungstermin an.
Das passiert dann, wenn Bedenken bestehen, rein auf diesem schriftlichen Aktenweg gewissermaßen zu entscheiden.
Oder Möglichkeit drei, und das dürfte wohl der Regelfall sein,
es erlässt den Strafbefehl wie beantragt.
Die entsprechende Entscheidung wird dann dem oder der Beschuldigten zugestellt.
Sollte ein Strafbefehl gegen sie oder ihn erlassen worden sein,
dann besteht die Möglichkeit, den Strafbefehl und die damit verbundene Rechtsfolge,
in der Regel eine Geldstrafe zu akzeptieren.
Dann wird dieser Strafbefehl rechtskräftig und steht gewissermaßen einem Urteil gleich.
Das muss man aber nicht machen.
Man kann innerhalb von zwei Wochen auch Einspruch einlegen.
Dann kommt es zu einem Prozess.
Also heißt, das liegt auch immer an der beschuldigten Person,
ob man sagt, kaufe ich, was ihr mir hier vorwerft,
oder zu sagen, no, ich will zu der Sache beispielsweise auch mal angehört werden.
In unserem Fall ist es so, dass das Gericht dem Antrag folgt
und den Strafbefehl erlässt.
Deswegen müssen Frau Berge und die Referendarin Frau Hauner jetzt entscheiden,
ob sie diesen Strafbefehl annehmen wollen.
Damit würden sie eine Schuld eingestehen
und damit auch ihre Strafe aus dem Strafbefehl akzeptieren.
Und diese Verurteilung würde übrigens auch bedeuten,
dass es ein Disziplinarverfahren für beide Lehrerinnen gibt.
Also ob sie zum Beispiel einen Verweis bekommen,
die Bezüge gekürzt kriegen oder ob ihnen der Beamtinnenstatus entzogen wird.
Annehmen wollen die beiden Lehrerinnen den Strafbefehl aber nicht.
Sie legen einen Spruch ein.
Und damit kommt es zu einem Prozess, der die Frage aufwirft,
wie sicher kann Schwimmunterricht in der Schule überhaupt sein
und tragen Lehrkräfte die Verantwortung, wenn etwas passiert,
oder ist Aruns Tod eine tragische Folge eines strukturellen Problems?
Weil Frau Berge und Referendarin Frau Hauner sich also dafür entscheiden,
den Strafbefehl nicht zu akzeptieren,
kommt es am Dienstag, den 21. Januar 2025,
ein Jahr und vier Monate nach Aruns Tod,
zum Prozess vor dem Amtsgericht Konstanz.
Beide sind angeklagt wegen fahrlässiger Tötung.
Weil die Höchststrafe dafür bei fünf Jahren Freiheitsstrafe liegt,
werden die Verfahren in der Regel nicht vor dem Landgericht geführt.
Aber da das öffentliche Interesse an dem Fall gewaltig ist,
findet der Prozessauftakt trotzdem in den größeren Räumen
des Konstanzer Landgerichtgebäudes statt.
Alle Plätze im Saal mit der großen Fensterfront
und den rot verklinkerten Wänden sind besetzt.
Denn nicht nur Aruns Eltern wollen endlich wissen,
wie die letzten Minuten im Leben ihres Sohnes abgelaufen sind
und wie ein Kind inmitten von 20 MitschülerInnen
und den Augen von zwei Lehrerinnen im Schwimmunterricht ertrinken kann.
Auch die Presse und viele Eltern interessiert der Ausgang dieses Prozesses.
In dessen Mittelpunkt stehen die beiden Frauen,
die nun neben ihren Verteidigern auf der Anklagebank Platz nehmen.
Iris Berge und Ann-Kathrin Hauner.
Inzwischen sind sie 44 und 26 Jahre alt
und sehen aus, wie sich die meisten vermutlich GrundschullehrerInnen vorstellen würden.
Nett, bodenständig, unscheinbar.
Als vor Gericht die Kameras der Presse klicken,
schirmt Frau Berge, die ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden hat,
ihr Gesicht mit der Hand ab.
Frau Hauner vergräbt ihren Kopf in einen dicken, rot-grau karierten Schal,
den sie bis zu den Augen hochgezogen hat.
Aus der Körperhaltung der beiden Frauen lässt sich Anspannung, Scham und Trauer ablesen.
Es ist ihnen anzusehen, wie sehr sie die Tragödie im Schwimmbad bis heute beschäftigt.
Der Vorfall, der Arun das Leben gekostet hat
und der laut Oberstaatsanwältin absolut vermeidbar gewesen wäre.
Denn, glaubt man der Oberstaatsanwältin, hat es sich folgendermaßen zugetragen.
Als am 18. September 2023 Arun und die anderen 20 Kinder über die flache Seite ins Becken steigen,
beträgt die niedrigste Wassertiefe dort 82 Zentimeter.
Hier können die Kinder noch locker stehen, das Wasser reicht ihnen etwa bis zum Bauch.
Allerdings bleibt das nicht so, denn der Boden ist nach hinten hin abfallend.
Also heißt, es wird immer tiefer, je näher man zur anderen Seite der Halle kommt.
Dort wird es für Nichtschwimmende, also gefährlich,
weshalb Frau Berge die rote Trennlinie mit der Hilfe eines Kindes quer über das Becken spannt.
So entsteht im vordersten Drittel des Beckens ein 8,70 Meter mal 10 Meter großer Bereich.
Das Problem, Frau Berge spannt die Leine bei einer Wassertiefe von 1,30 Meter.
Dabei beträgt die durchschnittliche Körpergröße von siebenjährigen Kindern etwa 1,20 Meter bis 1,30 Meter.
Arun selbst ist 1,27 Meter groß.
Dort, wo die Absperrung gespannt ist, kann er also längst nicht mehr stehen, nicht mal auf Zehenspitzen.
Das klappt auch schon nicht mehr einen Meter vor der Leine.
Tatsächlich liegen sein Mund und seine Nase bereits bei einer Entfernung von etwa drei Metern weg vom Beckenrand
nur noch äußerst knapp über der Wasseroberfläche.
Also bei drei Metern weg vom Beckenrand ist es schon richtig brenzlig.
Gespannt wird das Seil fast sechs Meter weiter hinten
und geben damit einen Bereich frei, in dem die Kinder nicht überall stehen können.
Und das, obwohl die beiden Frauen wissen, dass nicht alle Kinder schwimmen können.
Bei einem Drittel der Schülerinnen ist das so.
Das hatten die Pädagoginnen bei den Eltern der Kinder extra abgefragt.
Und entgegen dem Leitfaden des Kultusministeriums, also der obersten Bildungsbehörde des Landes,
die Schulen mit Empfehlungen und Richtlinien unterstützt,
der eine Trennung von schwimmfähigen und nicht schwimmfähigen Kindern zwar nicht explizit als Regel vorschreibt,
aber empfiehlt, teilen sie die 21 Kinder nicht auf, sondern lassen alle zur selben Zeit ins Wasser.
Um die Kinder an das Wasser zu gewöhnen, geben die Pädagoginnen ein Spiel vor.
Wie sich bei den Ermittlungen später herausstellt, haben die beiden Frauen dabei nicht permanent das komplette Geschehen im Blick.
Spätestens beim Kommando Waschanlage, bei dem Arun und die anderen mit dem Wasser spritzen
und dem darauffolgenden Kommando Autorennen, bei dem sich die Kinder schneller durchs Becken bewegen sollen,
verlieren Frau Berge und Frau Hauner die Übersicht über die 21 Kinder,
die in den Fluten planschen und sich permanent bewegen.
So bekommen sie nicht mit, dass Arun schon beim Kommando Waschanlage in die Nähe der Abtrennleine gerät,
vorn überkippt und ertrinkt.
Erst als das Becken übersichtlicher wird, weil sich die Kinder nach dem Autospiel an der rechten Seite versammeln sollen,
bemerkt Frau Hauner den kleinen, schmalen Körper, der mit dem Gesicht unter Wasser hinter der Absperrung treibt.
Vor Gericht schweigt Frau Berge zu den Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft.
Stattdessen erklärt ihr Verteidiger, dass die 46-Jährige seit 20 Jahren Sportlehrerin sei
und schon etwa 50-mal Schwimmunterricht gegeben habe.
Immer zu zweit, so wie es der Stundenplan vorschreibe.
Bevor die 21 Kinder an den verhängnisvollen Septembervormittag ins Wasser durften,
hätten die Lehrerinnen ihnen erklärt, dass sie nicht bis zu der roten Trennlinie dürften
und auch nicht auf eigene Faust Schwimmversuche starten, sondern nur durchs Wasser gehen dürften.
Als die SchülerInnen dann im Becken waren und das Autospiel spielten,
hätten Frau Berge und Frau Hauner jedes Kind ununterbrochen im Blick gehabt.
Jedes einzelne von ihnen sei gut zu beobachten gewesen.
Alle hätten sich diszipliniert verhalten.
Als die beiden das Kommando Waschanlage gaben, hätten sie deutlich formuliert,
dass die Kinder nur sich selbst und niemand anderen anspritzen dürfen.
Frau Berge erinnere sich noch daran, sagt ihr Verteidiger,
dass Haun zu diesem Zeitpunkt im vorderen Bereich des Beckens in der Nähe des Randes gestanden habe.
Der 7-Jährige habe sicher gewirkt und keine Angst gezeigt, als er sich selbst mit Wasser bespritzt habe.
Auf die anderen Kinder hätten keine Probleme mit dem Autospiel gehabt.
Alles habe wie geplant funktioniert.
Als seine Mandantin dann gesehen habe, dass Arun mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb,
habe sie sofort mit den Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen.
Bis heute nimmt der Vorfall sie so mit, dass sie deswegen in Therapie ist, sagt ihr Verteidiger.
Gleiches gilt für Referendarin Ann-Kathrin Hauner, die, genau wie ihre Kollegin, still auf ihrem Stuhl sitzt.
Auch die heute 26-Jährige befindet sich seit Aruns Tod in psychotherapeutischer Behandlung.
An ihr nagt das Unglück besonders.
Anders als Iris Berge blickt Ann-Kathrin Hauner nicht auf viele Jahre Erfahrung als Lehrerin zurück.
Im Gegenteil.
Als Arun vor anderthalb Jahren sein Leben verlor, war das Schuljahr gerade einmal eine Woche alt.
Und genau so lang gab sie Unterricht.
Denn sie hatte erst kurz zuvor ihr Lehramtsstudium abgeschlossen und war an Aruns Schule gekommen,
um dort ins Berufsleben zu starten.
Die Schwimmstunde, in der aus dem Badespaß von einem Moment auf den anderen eine Tragödie für alle Beteiligten wurde,
war Frau Hauners erste überhaupt.
Es sollte ein schöner Start in ihrer Arbeit als Schwimmlehrerin sein.
Doch stattdessen geschah das, worüber weder Lehrkräfte noch Eltern überhaupt einmal nachdenken wollen.
Ein kleiner Junge ertrank unter ihren Augen.
Auch Frau Hauner habe sich auf den Unterricht im Schwimmbad gut vorbereitet, sagt ihr Verteidiger.
Obwohl sie dort noch nicht unterrichtet habe, sei ihr bewusst gewesen, dass der Boden des Beckens abschüssig ist,
weswegen einige Kinder, je nach Körpergröße, in bestimmten Bereichen dort nicht mehr stehen können.
Schon drei Tage vor der ersten Schwimmstunde habe Frau Hauner deshalb mit der 2a besprochen,
wie man sich im Hallenbad generell verhält.
Zum Beispiel, dass man sich als Nichtschwimmerin nur dort aufhalten dürfe,
wo man noch stehen kann und sich sicher fühlt.
Und auch, dass sich die Kinder sofort melden sollen, wenn sie sich unwohl fühlen.
Diese Verhaltensregeln habe sie auch vor Ort noch einmal besprochen.
Außerdem hätten die beiden Frauen die Angaben der Eltern in Bezug auf die Schwimmfähigkeiten ihrer Kinder
nicht einfach übernommen, sondern in der ersten Stunde alle 21 Kinder grundsätzlich als NichtschwimmerInnen betrachtet.
Sie wollten sich erstmal ein eigenes Bild von jedem und jeder Einzelnen machen.
Erst danach hätten sie die Kinder sicher auf die zwei Gruppen aufteilen können.
Wie der Verteidiger von Frau Berge betont auch der Anwalt von Frau Hauner,
dass die beiden Lehrkräfte von der Kopfseite des Nichtschwimmerbereichs alle Kinder im Blick behalten konnten.
Eine Sache.
Erstmal finde ich das total gut, dass die Lehrerinnen hier nicht einfach den Angaben der Eltern vertrauen,
sondern dass sie sagen, wir gucken jetzt erstmal selber, was die eigentlich für Fähigkeiten haben
und wir verlassen uns jetzt nicht darauf, was die Eltern hier sagen.
Aber der eine Verteidiger sagt hier also, es habe alles wie geplant funktioniert
und der andere, dass sie alle Kinder im Blick behalten konnten.
Aber, also, da sind wir uns ja einig, das kann ja nicht stimmen.
Dann hätten sie ja eben mitbekommen müssen, wie Arun von der Gruppe weg
und hinter die Abschwerung vom Nichtschwimmerbereich gelangt ist.
Wie das überhaupt passiert ist, wissen nun vor Gericht zwei Notfallseelsorgerinnen zu berichten,
die die Kinder nach dem Vorfall betreut haben.
Die beiden geben an, dass drei von Aruns Mitschülern sie darüber aufgeklärt hätten,
wie Arun hinter die Abschwerung gelangt sei.
Sie hätten zusammen mit Arun beim Autospiel im Wasser Quatsch gemacht.
Sie hätten sich gemeinsam absichtlich von der Gruppe entfernt, immer weiter Richtung Abschwerung.
Dort angekommen, habe sich Arun an der Trennleine festgehalten,
bis er vorn übergekippt und untergegangen sei.
Zwei der Jungs hätten das, was sie dann beobachtet haben, später so nachgemacht.
Gluck, gluck, gluck.
Dann sei Arun plötzlich still gewesen.
Kurz darauf habe Frau Hauner geschrien.
So, und da haben wir es ja jetzt.
Wenn das stimmt, was Aruns Freunde den Seelsorgerinnen erzählt haben,
dann muss es sowohl Arun als auch drei anderen gelungen sein,
obwohl die Lehrerinnen angeblich alle im Blick hatten,
sich von dieser Gruppe zu entfernen, irgendwie nach hinten zu dieser Leine zu kommen.
Alleine das dauert ja schon.
Und dann kommt da auch noch das Ertrinken selbst dazu.
Der Rechtsmediziner, der Aruns Leiche obduziert hat, erklärt vor Gericht,
dass das mindestens ein bis zwei Minuten gedauert haben muss.
Als am dritten Prozestag die Plädoyers gesprochen werden, wird es emotional im Saal mit den großen Fenstern.
Als sich die Oberstaatsanwältin erhebt und zu sprechen beginnt, klingt ihre Stimme belegt, fast kraftlos.
Die Oberstaatsanwältin erklärt, dass sie in ihrer 20-jährigen Berufskarriere noch nie einen Fall gehabt habe,
der sie so aufgewühlt habe wie dieser.
Immerhin gäbe es hier nur VerliererInnen.
Daher sei es schwer, strafrechtliche Maßstäbe anzulegen.
Aber das sei nun mal ihr Job.
Die beiden Lehrkräfte hätten ihre Aufsichts- und Sorgfaltspflicht verletzt,
indem sie alle 21 Kinder gleichzeitig ins Wasser geschickt hatten,
ohne Schwimmhilfe und auch ohne zwischen jenen zu unterscheiden, die schwimmen oder nicht schwimmen können.
Die Trennleine bei 1,30 Meter Wasserhöhe zu Spannen sei eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht gewesen.
Das habe den Kindern eine falsche Sicherheit vermittelt,
denn sie konnten in diesem Bereich aufgrund ihrer Körpergröße nicht mehr stehen.
Für die Oberstaatsanwältin ist klar, dass Arun ertrunken ist, war fahrlässige Tötung und dafür fordert sie Bewährungsstrafen.
Für Ann-Kathrin Hauner, die zu diesem Zeitpunkt ja noch Referendarin war, elf Monate
und für Lehrerin Iris Berge ein Jahr und zwei Monate.
Dadurch würde die Lehrerin automatisch ihren Beamtinnenstatus inklusive aller Pensionsansprüche verlieren.
Die Verteidiger der Frauen sind wiederum überzeugt davon,
dass sich ihre Mandantinnen nicht zu Schulden kommen haben lassen.
Und das untermauern sie zum Teil mit Argumenten, über die sich streiten lässt.
Die beiden Pädagoginnen hätten an jenem Tag, als Arun im Schwimmbad ertrunken ist,
die Weisung des Kultusministeriums sogar übererfüllt.
Laut der Behörde kann in der Grundschule eine Schwimmlehrkraft
bis zu 28 Kinder eines Jahrgangs beaufsichtigen.
Hier sei für 21 Kinder nicht nur eine Lehrkraft vor Ort gewesen, sondern sogar zwei.
Außerdem hätten sie den SchülerInnen deutlich gemacht,
dass sie sich im Schwimmbecken nur an den Stellen aufhalten sollen, wo sie sicher stehen können.
Was die Tatsache angeht, dass das Trennseil bei einer Wassertiefe von 1,30 Meter gespannt war,
obwohl sieben- bis achtjährige Kinder im Schnitt gerade mal um die 1,30 Meter groß sind, sei nicht relevant.
Denn ertrinken könne man auch bei niedrigem Wasserstand, wenn man mit dem Kopf vorn über unter Wasser gerät.
Leute, ich verstehe das nicht.
Also wieso? Wieso spannt man dann überhaupt ein Seil?
Wieso spannt man ein Seil und sagt, also bis zu dem Seil dürft ihr nicht?
Wieso spannt man nicht ein Seil weiter vorn und sagt, bis dahin dürft ihr?
Das Seil signalisiert an der Stelle doch dann ein voll falsches Signal.
I don't get it.
Und dass man auch bei niedrigem Wasserstand ertrinken kann, stimmt, ja.
Man kann aber auch an einem Kugelschreiber ersticken.
Aber darum geht es hier ja nicht.
Natürlich ist es ein höheres Sicherheitsrisiko, wenn NichtschwimmerInnen in einem Bereich sind, wo sie nicht stehen können.
Darüber müssen wir doch nicht streiten, oder wie?
Naja, auf jeden Fall sagt er, außerdem sei es richtig gewesen, die 21 Kinder nicht aufzuteilen,
sondern alle zunächst als NichtschwimmerInnen einzustufen.
Da würde ich ja mitgehen, wenn es wirklich darum gegangen wäre, jetzt erstmal die Fähigkeiten anzugucken.
Aber die Verteidigung sagt jetzt noch, eine Teilung in schwimmfähige und nicht schwimmfähige Kinder sei gar nicht möglich gewesen,
ohne die Aufsichtspflicht gegenüber denjenigen zu verletzen, die gerade nicht im Wasser sind.
Das finde ich auch fraglich, denn die waren ja zu zweit und ich würde mal davon ausgehen,
dass die Referendarin theoretisch auch ein Auge auf, keine Ahnung, die Hälfte der Kinder hätte werfen können,
die dann auf der Bank gesessen hätten.
Naja, und weiter heißt es, das grundsätzliche Problem des tragischen Vorfalls liegt laut dem Verteidiger von Frau Berge eh woanders
und hatten gar nichts mit seiner Mandantin zu tun.
Das eigentliche Problem sei nämlich, dass immer weniger Kinder schwimmen können.
Ob das jetzt ein solides Argument ist, besprechen wir gleich.
Aber ich habe mich gefragt, ob das überhaupt stimmt.
Und die Antwort ist, das schwankt zwar je nach Stadt und Region, aber das ist tatsächlich so,
hat uns Dr. Daniel Möllenbeck, der Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes, im Interview bestätigt.
Ja, also seit der Corona-Zeit hat sich schon verändert.
Wir hatten in der Zeit direkt nach Corona teilweise so in Klasse 5 an den weiterführenden Schulen
teilweise 60 Prozent nicht schwimmer, die also nicht schwimmfähig waren.
Das gab es vorher so noch nicht.
Dieser ganze Berg nicht schwimmer wird immer noch abgearbeitet, um zu sagen.
Das sind wir also nicht dem Stand vor der Corona-Zeit.
Und wir haben nach wie vor die Probleme mit deutlich zu wenig Schwimmkursen, die es gibt für Kinder.
Also auch Eltern, die versuchen, an Kurse ranzukommen, die wieder nicht kriegen,
sind auch teilweise sehr teuer geworden, muss man sagen, Schwimmkurse.
Und wir haben auch das Problem natürlich, dass viele Schwimmbäder auch geschlossen wurden,
weiter geschlossen werden.
Also das, was wir eine Verknappung haben letztendlich.
So, und auf diese Umstände stützt auch Frau Berges Verteidiger seine Argumentation.
Er sagt, dass Schulen und Lehrkräfte gerade mit Blick auf das Schwimmen lernen, Zitat,
immer mehr Elternaufgaben übernehmen würden.
Darüber möchte ich sprechen, weil das weiß ich jetzt nicht.
Also ich sage jetzt nicht, dass das nicht auch eine Aufgabe von Eltern ist,
den Kindern wesentliche Dinge wie Schwimmen beizubringen.
Aber wenn auf dem Stundenplan Mathe, Deutsch und Schwimmen steht,
dann kann ich ja wohl davon ausgehen, dass mein Kind in der Schule Rechnen, Lesen, Schreiben und Schwimmen beigebracht bekommt.
Also ich würde jetzt meinem Kind schon vorher Schwimmen beibringen wollen, aus Angst, dass eben etwas passiert.
Aber sagen wir mal, das kann ich nicht, weil ich krank bin oder so.
Dann muss ich doch davon ausgehen können, dass mein Kind dann nicht wegen gesellschaftlicher Missstände im Schwimmunterricht ertrinkt.
Um das jetzt mal spitz zu formulieren.
Und wie man hier auch an der Schule gesehen hat, setzen die das ja auch gar nicht voraus.
Also die haben es ja extra abgefragt und dann alle erst mal als Nichtschwimmer hineingestuft.
Und ich finde, das hat hier jetzt auch ein bisschen Geschmäckle, das in Richtung der Eltern zu schieben, die ein Kind verloren haben.
Was der Verteidiger auch noch vorbringt.
In Familien mit Migrationsgeschichte können die Eltern oft selbst nicht schwimmen.
Also wir fassen zusammen.
Ein Siebenjähriger ist beim Schwimmunterricht ertrunken, weil es ihm möglich war, sich mit anderen Kindern in einen Bereich zu begeben,
in den er nicht durfte, zu einem Seil, das von den Lehrerinnen viel zu weit nach hinten gespannt war,
weil niemand aus der zweiten Klasse da noch stehen konnte.
Dass die Kinder überhaupt in den hinteren Bereich gekommen sind, wurde von den zwei Lehrkräften nicht bemerkt.
Auch nicht, dass Arun dahinten ein bis zwei Minuten lang ertrunken ist und die Argumente für einen Freispruch beim Prozess sind.
Ertrinken kann man ja auch bei niedrigerem Wasserstand.
Und das eigentliche Problem ist, dass den Kindern Schwimmen beizubringen eigentlich eine Elternaufgabe ist.
Also darüber lässt sich streiten.
Beide Verteidiger sind in jedem Fall überzeugt, dass weder Iris Berge noch Ann-Kathrin Hauner Fehler begangen hätten.
Dabei markiere dieser Prozess eine Zäsur.
Er sei eine, Zitat, Warnung an alle Lehrer.
Denn auch wenn sie im Schwimmunterricht alles richtig machen würden, seien sie dran.
Sollten die beiden Lehrkräfte verurteilt werden, sei der Schwimmunterricht in Gefahr.
Welche Lehrkraft sollte sich dieser Verantwortung noch aussetzen wollen?
Dabei sei Schwimmunterricht essentiell, gerade in Konstanz am Bodensee.
Natürlich gäbe es dabei ein erhöhtes Sicherheitsrisiko, vergleichbar mit dem Straßenverkehr.
Das könne man den Lehrerinnen aber nicht vorwerfen.
Sie hätten den Unterricht so durchgeführt, wie er seit Jahren gehandhabt werde.
Noch dazu komme laut dem Verteidiger der Referendarin, dass seine Mandantin, wenn sie eine Vorstrafe erhalte,
zehn Jahre nicht als Lehrerin arbeiten könne.
Zumindest sagt das der Verteidiger.
Beide Rechtsbeistände kommen letztlich zu dem Schluss, dass ihre Mandantinnen unbedingt freigesprochen werden müssen.
Sowohl die Referendarin als auch die Lehrerin haben den ganzen Prozess über geschwiegen.
Erst als die Angeklagten nach ihrem letzten Wort gefragt werden, sprechen die beiden erstmals zu allen Anwesenden im Saal.
Als Lehrerin sind sie es eigentlich gewohnt, vor vielen Menschen zu reden.
Klar und deutlich, oft auch bestimmt.
Doch jetzt haben beide sichtlich Mühe, Worte zu finden.
Frau Berge laufen die Tränen über die Wangen, als sie betont, dass sie eine verantwortungsvolle Lehrerin sei.
Aber sie sei auch Mutter und als solche fühle sie mit Aruns Eltern.
Auch ihre Familie leide bis heute unter dem tragischen Unglück im Schwimmbad.
Die Referendarin Frau Hauner betont, dass ihr das, was geschehen ist, von ganzem Herzen leittue und kein Tag vergehe, an dem sie nicht an Arun und diese erste Schwimmstunde mit dem schrecklichen Ende denke.
Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen, sagt sie.
Vor allem für Arun und seine Familie, aber auch für sich selbst.
Der Tag der Urteilsverkündung am Dienstag, den 25. Februar 2025, wird mit Hochspannung erwartet.
Als sie Pädagoginnen in warmen Winterjacken mit ihren Verteidigern den schmucklosen Gerichtssaal mit dem Steinboden und den hellen Deckenleuchten durchqueren, werden ihre Schritte von vielen Augenpaaren verfolgt.
Zahlreiche Berufskolleginnen sitzen auf den schwarzen Stühlen im Zuschauerbereich, um das Schicksal von Iris Berge und Ann-Kathrin Hauner zu verfolgen.
In ihren Blicken liegt Mitgefühl und Sorge. Der Tenor der LehrerInnen, die mit der Presse sprechen, ist, die beiden Angeklagten müssten freigesprochen werden.
Es könne nicht sein, dass eine Minute Unachtsamkeit ihr Leben völlig auf den Kopf stelle und es ihnen dadurch vielleicht auch mental nicht mehr möglich sei, ihren Beruf auszuüben.
Ich finde das eine schwierige Formulierung, weil eine Minute hat halt gereicht, dass ein Kind gestorben ist.
Also in einer Minute kann ja offenbar sehr viel passieren.
Naja, wie das Gericht das sieht, wird kurz darauf klar, als der Richter im Namen des Volkes das Urteil spricht.
Beide werden wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
Sechs Monate Freiheitsstrafe für Referendarin Hauner, neun Monate für Lehrerin Berge.
Drei Monate mehr, denn sie sei aufgrund ihrer Berufserfahrung noch eher in der Lage gewesen, die drohenden Gefahren im Schwimmunterricht zu erkennen und sich darauf einzustellen, erklärt der Richter.
Beide Freiheitsstrafen werden jedoch zur Bewährung ausgesetzt, denn bei beiden Frauen falle die Sozialprognose positiv aus.
Außerdem müssen sie Schmerzensgeld an Aruns Eltern zahlen.
Frau Berge 10.000 Euro, Frau Hauner 7.000 Euro.
Der Richter macht klar, dass eine Strafe nötig sei und ein Freispruch keine Option.
Ein kleiner Junge ist gestorben, weil die zwei nicht so gehandelt haben, wie sie es als Aufsichtsperson hätten tun müssen.
Arun und drei Mitschülern, insgesamt vier von 21 Kindern, war es möglich, gegen die zuvor besprochenen Verhaltensregeln zu verstoßen,
sich bis zur Absperrung zu bewegen und sich dort länger als eine Minute aufzuhalten, ohne dass es Frau Berge oder Frau Hauner bemerkt hat.
Deswegen kommt das Gericht zu der Schlussfolgerung, dass die Sicherheitsmaßnahmen nicht gut genug gewesen seien.
Beim Schulschwimmen gäbe es zwar immer ein kleines Risiko, weil Wasser einfach zur Gefahr werden kann.
Doch in diesem Fall sei das Risiko deutlich größer gewesen, weil die Lehrkräfte nicht alles dafür getan hätten, um die Kinder zu schützen.
Die beiden hätten Arun nicht aus dem Blick verlieren dürfen, denn die Beaufsichtigung der Kinder sei im Zuge ihrer Aufsichtspflicht ihre Kernpflicht gewesen.
Sie konnten aber nicht mehr jedes einzelne Kind im Blick behalten, weil sie ihre Sorgfaltspflicht vernachlässigt haben,
indem sie alle 21 SchülerInnen zur selben Zeit ins Wasser geschickt hatten.
Das war laut Gericht der erste große Fehler.
Der zweite war, dass die PädagogInnen die Bereiche von NichtschwimmerInnen und SchwimmerInnen nicht sorgfältig genug abgetrennt hätten.
Sie hätten dafür sorgen müssen, dass sich die Kinder nur in dem Bereich des Beckens bewegen, in dem sie sicher stehen können.
Und das, so der Richter, wäre leicht machbar gewesen.
Hätten sie die Klasse aufgeteilt, hätten sie die Absperrleine in einem weniger tiefen Bereich spannen können, aber das taten sie nicht.
Das Argument der Verteidigung, dass eine Teilung der Klassen nicht möglich gewesen sei, ohne die Aufsichtspflicht gegenüber den Kindern zu verletzen,
die gerade nicht im Becken sind, ist für das Gericht nicht stichhaltig, da die Gefahren vom Wasser ausgehen und nicht vom Trockenen.
Daher kommt das Gericht zu dem Schluss, hätten die Lehrkräfte anders gehandelt, wäre Aruns Tod mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden.
Doch mit dem Urteilsspruch ist die Tragödie von Konstanz noch nicht abgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft geht in Berufung.
Sie sieht die verhängten Bewährungsstrafen, die deutlich unter dem liegen, was sie gefordert hatten, als zu milde an.
Und die Rechtsbeistände der Frauen sind ebenfalls unzufrieden mit dem Urteil.
Sie wollen unbedingt einen Freispruch für ihre Mandantinnen erreichen.
Die beiden hätten sich richtig verhalten.
Generell müsse die Aufsichts- und Sorgfaltspflicht von Lehrkräften ein für alle Mal höchst richterlich festgelegt werden.
Denn die Verurteilung der beiden Pädagoginnen habe massive Konsequenzen für den Schwimmunterricht in ganz Deutschland.
Schulen und vor allem SchwimmlehrerInnen seien verunsichert und wüssten nun nicht mehr, wie diese Stunden gestaltet werden sollen, ohne dass sie im Zweifel mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.
So, und weil das Berufungsverfahren noch läuft und es noch kein abschließendes Urteil dazu gibt, ist die Verunsicherung bei den Lehrkräften tatsächlich spürbar, wie uns Dr. Müllenbeck vom Sportlehrerverband berichtet.
Ich habe schon einigen gesprochen, die gesagt haben, sie machen das jetzt nicht mehr, weil es ihnen zu gefährlich ist und weil sie sich auch gemerkt haben, letztendlich, wenn was passiert, dann sind sie in der Verantwortung und nicht irgendwer anders.
Weil viele glauben ja dann, wenn die Schulleitung mich schickt mit der und der persönlichen Ausstattung, dann hat die da auch eine Mitverantwortung.
Aber man hat ja ganz klar gesehen, das ist nicht so.
Sondern es bleibt dann letztendlich bei der Person hängen, die da vor Ort ist.
Ich glaube, das war vielen gar nicht so richtig klar, die dann dachten, da hat die Schrift auch eine Mitverantwortung zum Beispiel.
Also laut Dr. Müllenbeck gibt es auch Lehrkräfte, die sich nach diesem Urteil tatsächlich weigern, Schwimmunterricht zu geben.
Einfach weil ihnen die Rechtslage für den Fall, wenn dann doch was passiert, zu unsicher ist.
Das kann ich auch total nachvollziehen, vor allem, wenn man das Gefühl hat, die Schule steht da irgendwie nicht hinter einem.
Aber ich habe mich dann natürlich gefragt, können die das so eigenständig entscheiden und sagen, ich gehe jetzt nicht mit den Kindern schwimmen?
Dazu muss man sagen, grundsätzlich kann sich ein Lehrer oder eine Lehrerin nicht einfach so den Anweisungen der Schulleitung widersetzen.
Aber natürlich gibt es da Ausnahmen, unter anderem, wenn die Lehrkraft die Sicherheit der Kinder im Schwimmunterricht nicht gewährleistet sieht.
Zum Beispiel, weil die Gruppe zu groß ist, weil Personal fehlt oder beispielsweise, weil es aufgrund der entsprechenden Halle zu schwierig ist, da den Überblick zu behalten.
Das muss sie der Schulleitung dann auch sofort mitteilen.
Aber Dr. Müllenbeck weiß auch, dass die Lehrkräfte eigentlich den Schwimmunterricht natürlich gern durchführen würden.
In der Regel versuchen die meisten Kollegen, das wirklich irgendwie umzusetzen und es nicht ausfallen zu lassen.
Und ich glaube, das ist auch immer der Grund, warum dann manche auch sich auf Dinge einlassen, wo sie eigentlich ein schlechtes Gefühl beihaben.
Weil sie halt wissen, wie wichtig das ist, das zu unterrichten sozusagen, dass alle wirklich schimpflich werden.
Dass dann aber explizit nur die Lehrkräfte in die Verantwortung genommen werden, wenn etwas passiert, das findet Dr. Müllenbeck nicht richtig.
In unserem Fall hatte der Anwalt von Aruns Eltern ja auch die Schulleitung zur Verantwortung ziehen wollen.
Aber die Staatsanwaltschaft ist da nicht mitgegangen.
Und dass Schulen so gar nicht zur Verantwortung gezogen werden, sieht der Experte kritisch.
Die trägt da eine Mitverantwortung definitiv.
Weil letztendlich ist eine Schulleitung dafür da, diesen Organisationsrahmen auch mit vorzugeben.
Vielleicht auch Sicherheitskonzepte zu entwerfen oder zumindest zu besprechen.
Also letztendlich müsste man ja an einer Grundschule, an jeder Schule eigentlich über diesen Schwimmunterricht und den Organisationsrahmen sprechen.
Das ist auch schriftlich darin. Wie machen wir das?
Also was sind unsere Konzepte, um Unfälle zu vermeiden?
Was brauchen wir in Ausstattung? Wie läuft das Ganze ab?
Und sowas müsste eigentlich gerade beim Thema Schwimmen jede Schule machen.
Jede Schule auch haben so ein Konzept.
Und da muss die Schulleitung hat eine Verantwortung, auch sowas mit zu besprechen.
Der Experte ist also davon überzeugt, dass die Schulleitung die Pflicht hat, den Rahmen für sicheren Schwimmunterricht vorzugeben.
Und das, was dabei laut Dr. Müllenbeck am wichtigsten ist, ist diese strikte Trennung von schwimmfähigen und nicht schwimmfähigen Kindern,
weil die einfach ganz andere Bedürfnisse haben.
Das Problem für den Schwimmunterricht ist für ihn allerdings struktureller Art.
Laut Dr. Müllenbeck gibt es einfach zu wenig Personal.
Was den Personalschlüssel angeht, da weiß ich auch, dass es in vielen Bundesländern seit Jahren immer wieder natürlich Kämpfe gibt zwischen Lehrkräften, Kultusministerium und so weiter.
Natürlich wollen die Lehrkräfte oder auch die Vertretungen der Lehrkräfte mehr Personal haben.
Und das würde ich regelmäßig eher nicht gewährt.
Was völlig klar ist, weil es ums Geld geht.
Dr. Müllenbeck sagt aber auch, dass es in verschiedenen Bundesländern Modellprojekte gibt, wo zusätzliches Personal den Schwimmunterricht unterstützt.
Das kommt entweder von den Schulen selbst, also pädagogisches Personal.
Manchmal sind es aber auch RettungsschwimmerInnen, zum Beispiel von der Wasserrettungsorganisation DLRG.
Das ist schon mal ein guter Schritt, weil es laut unserem Experten zwingend diese Bereitschaft braucht, im Schwimmunterricht nicht an Personal zu sparen.
Um Schwimmunterricht sicher zu gestalten, braucht es also grundsätzlich mehr Aufsichtspersonal.
Dieser Gedanke ist nicht neu.
Schon ein Jahr vor Aruns Tod hat der Schwimmclub Sparta Konstanz das gefordert.
Damals stießen die Vorsitzenden bei der Stadt auch auf offene Ohren.
Und der Schwimmclub entwickelte dann deswegen ein Konzept, in dem hauptamtliche Sparta-TrainerInnen alle Grundschulen in Konstanz im Schwimmunterricht unterstützen.
Also man sieht richtig, da hat man schon vorher gemerkt, da ist Bedarf.
Aber die Theorie schaffte es dann nicht in die Praxis.
Der städtische Finanzausschuss lehnte ab.
Die Begründung dafür, das Vorhaben sei zu teuer.
Und wie das leider öfter so ist, muss dann immer erst was passieren, bevor sich was verändert.
Seit diesem Schuljahr gibt es nun doch eine Kooperation zwischen dem Schwimmclub und den Konstanzer Grundschulen.
Das bedeutet, Schwimmclub-TrainerInnen sind im Schwimmunterricht als zusätzliches Personal jetzt mit dabei.
Das ist eine Entwicklung, die auch Dr. Möllenbeck vom Sportlehrerverband sehr begrüßt.
Die Erfahrung zeige, dass es bei schulischen Aktivitäten immer sinnvoll ist, nicht nur mit dem Mindestpersonalschlüssel zu kalkulieren, sagt er.
Und er betont auch, dass Schulen generell nicht nur im Schwimmunterricht, auch bei anderen Sportveranstaltungen oder Ausflügen,
nie mit dem Minimalschlüssel an Aufsichtskräften rechnen sollten, sondern immer einen Puffer einplanen sollten.
Eben weil immer mal was Unvorhergesehenes passieren kann.
Also zum Beispiel, weil jemand ohnmächtig wird.
Dann ist es natürlich wichtig, dass da noch andere LehrerInnen sind, die sich um den Rest der Klasse kümmern.
Dass sich erst jetzt was ändert und auch das Urteil gegen Aruns SchwimmlehrerInnen ist nur ein schwacher Trost für Rajesh und Umar.
Egal, was die Berufung bringen wird, niemand kann den beiden ihren Sohn zurückgeben.
Wie schmerzhaft es ist, sein eigenes Kind zu verlieren, können nur Eltern verstehen, die das gleiche Schicksal erleiden.
Dabei ist Trauer nicht die einzige Emotion, die Rajesh und seine Frau bis heute beschäftigen.
Dazu kommt noch Wut, Hilflosigkeit und vor allem Unverständnis.
Warum musste Arun sterben?
Sein Tod war so unnötig und laut Gericht auch noch vermeidbar.
Doch auf dieses Warum gibt es keine Antwort.
Rajesh und Umar müssen lernen, damit zu leben.
Während weiter diskutiert wird, ob strukturelle Probleme und nicht zuletzt die Unachtsamkeit zweier LehrerInnen,
die auf ihren Sohn aufpassen sollten, für diese Tragödie verantwortlich sind,
haben Rajesh und seine Frau ihr einziges Kind verloren.
Nicht einmal seinen achten Geburtstag durfte Arun feiern.
Aber auch wenn er einen Teil von seinen Eltern mit in den Tod genommen hat, hat er etwas auf dieser Welt hinterlassen.
Spuren im Leben seiner Eltern und aller, die ihn gekannt haben.
Und in ihrer Erinnerung lebt er weiter, der neugierige, aufgeweckte Junge, der Ninjago liebte und es nicht erwarten konnte, Neues zu lernen.
Ja, also man führt hier so mit, viele haben Kinder, die zur Schule gehen und auch wenn nicht, hatte man selber mal Schwimmunterricht und ich weiß nicht, wie es bei euch war, aber wir hatten in der Grundschule gar kein Schwimmen, sondern erst in der weiterführenden und da dann auch klassenübergreifend.
Also wir waren vier Klassen, die auf drei Gruppen aufgeteilt wurden mit drei Lehrkräften.
Also heißt, wir waren auch mehr Leute, aber weil wir ja auch in der fünften oder sechsten Klasse waren, kann man da, glaube ich, auch davon ausgehen, dass die meisten von uns schon schwimmen konnten und es gab halt auch eine Gruppe, die im Nichtschwimmerbecken war.
Und dann finde ich es auch völlig okay, wenn es ein paar mehr SchülerInnen sind, zumal dann ja auch wirklich nach den Fähigkeiten aufgeteilt wurde und es drei erfahrene LehrerInnen waren.
Und ich glaube, das ist ja auch so ein bisschen ein Punkt, weil ich habe mich gefragt, sollte man die Referendarin als vollwertige Lehrkraft sehen?
Also kann man hier wirklich sagen, so wie die Verteidigung das gemacht hat, dass es hier zwei Lehrkräfte auf 21 Kinder waren?
Und bei uns in der Redaktion hier gab es da unterschiedliche Meinungen zu.
Also zum einen, nein, kann man definitiv nicht.
Die Person ist dazu da, um Praxiserfahrung zu sammeln und nicht eine billige Lehrkraft zu sein, die da voll eingesetzt wird.
Und zum anderen hieß es aber, naja gut, sie muss ja nicht vollwertig unterrichten können, aber aufpassen, dass niemandem was passiert.
Also das würde man als erwachsene Person ja eh immer machen.
Und dazu ist man ja auch in der Lage, egal in welcher Position man ist.
Jedenfalls bin ich der Meinung, dass es richtig ist, dass auch sie zur Verantwortung gezogen wird.
Aber ich finde es auch richtig, dass sie jetzt weniger bekommen hat als die erfahrene Lehrerin.
Was ich nicht in Ordnung finde, ist, dass die Schulen und die verantwortlichen Personen da so fein raus sind.
Also gerade bei so kleinen Kindern, wenn der Personalschlüssel eigentlich 1 auf 28 ist.
Und du bist da alleine mit NichtschwimmerInnen unter anderem.
Stell dir mal vor, da rutscht halt ein Kind aus.
Da kannst du deine Sorgfaltspflicht doch gar nicht erfüllen und alle im Auge haben in dem Moment.
Das ist nicht möglich.
Also es geht einfach nicht.
So und dann gibt es aber wieder keine Leute, Fachkräfte schon gar nicht.
Was ist dann die Konsequenz?
Kein Schwimmunterricht ist auch scheiße.
Aber am Ende besser, als wenn die Sicherheit nicht gewährleistet werden kann.
Aber ja, die Lösung ist ja eigentlich so einfach.
Mehr Personal, aber das zu beschaffen wegen Personalmangel und Geld, das ist natürlich dann wieder die Herausforderung, wovor Schulen momentan ja in vielen Fächern stehen.
Naja, also wir haben sehr viel hier intern darüber diskutiert.
Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt.
Wir werden die Tage auch ein paar Umfragesachen auf Instagram hochschießen.
Vielleicht mögt ihr euch daran beteiligen.
Mordlos der Podcast heißen wir da.
Und da werden wir auch vermutlich sehr zeitnah ein Update zur Haftprüfung von Sebastian T. geben.
Ihr erinnert euch Folge 200.
Die Prüfung wurde nochmal verschoben, aber bald sollte das jetzt soweit sein.
Und dann werden wir wissen, ob der mutmaßliche Mörder von Hannah bis zum nächsten Prozess weiter hinter Gittern sitzen wird oder nicht.
Nächste Woche besprechen Laura und ich eine absolut tragische Geschichte.
Als ich das erste Mal davon gehört habe, musste ich so schlucken, weil die unter anderem zeigt,
wie weit man Menschen bringen kann, wenn man sie manipuliert.
Bis dahin.