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Hi und herzlich willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
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Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
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Mein Name ist Paulina Kraser.
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Und ich bin Laura Wohlers.
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In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
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ordnen ihn für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
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psychologischen oder die gesellschaftlichen Aspekte
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und wir sprechen mit Menschen mit Expertise.
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Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
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Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
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Das machen wir auch, selbst wenn wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
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Das ist für uns eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
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Der Fall, den wir heute erzählen, handelt von einem Mädchen,
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das zerrissen ist zwischen zwei Welten und schließlich von einer in den Abgrund gezogen wird.
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Aber bevor wir den euch erzählen, wollen wir euch noch ein Update geben
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zu unserem Podcast Justitias Wille.
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Genau, und zwar wurde der Schuldspruch gegen Dr. Spittler bestätigt.
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Achtung, das ist nicht der Berliner Arzt, dessen Prozess wir begleitet haben,
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sondern der andere, der in einem ähnlich gelagerten Fall einer psychisch erkrankten Person
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Suizidhilfe geleistet hat.
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Ja, und auch in seinem Fall war der Vorwurf, dass er Suizidhilfe geleistet hat, ohne den psychischen
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Zustand seines 42-jährigen Klienten ausreichend geprüft zu haben.
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Damit habe er nicht hinreichend geprüft, ob sein Suizid frei verantwortlich geschah.
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Vielmehr sei er krankheitswertig beeinträchtigt gewesen.
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Ja, und was heißt das jetzt?
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Also für Spittler heißt das jedenfalls Gefängnis für drei Jahre.
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Er wurde damals wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft verurteilt.
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Ja, und für SterbehelferInnen heißt das jetzt erstmal vielleicht ein bisschen mehr Sicherheit,
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aber für die halt in die ungute Richtung.
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Also, dass man sich jetzt sicherer sein kann, dass man bei der Suizidhilfe bei Menschen mit
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psychischen Erkrankung immer so halb mit einem Bein im Knast ist.
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Ja, und wir schauen jetzt nochmal, was der BGH zum Turowski-Urteil sagt.
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Die Fälle unterscheiden sich ja doch zumindest in der jeweiligen Erkrankung.
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Beim Spittler-Prozess ging es um eine paranoide Schizophrenie und beim Berliner Arzt ja um Depressionen.
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Genau, wir halten euch da auf jeden Fall auf dem Laufenden, wenn es beim Berliner Arzt Neuigkeiten gibt
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und können euch aber jetzt auch schon mal ans Herz legen, dass ihr Justitias Wille bis dahin auch nochmal hören könnt.
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Vor allem all die, die das noch nicht gemacht haben.
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Ja, vielleicht sind die ja Leute, die noch nie davon gehört haben.
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Es ist ein sehr interessanter Podcast, den wir da gemacht haben zum Thema Suizidhilfe.
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So, und jetzt widmen wir uns aber einer Geschichte, in der das Band einer Familie so stark wird,
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dass es am Ende alle zu ersticken droht.
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Alle Namen haben wir geändert und die Triggerwarnung für den Fall findet ihr in unserer Folgenbeschreibung.
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Ein sommerlicher Tag neigt sich im Juli 2023 dem Ende zu.
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Mathilda kommt gerade aus dem ersten Urlaub ihres Lebens zurück.
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Der große Traum der Elfjährigen ist es zwar einmal, an die Ostsee zu fahren, um das Meer zu sehen und die Brise auf ihrer blassen Haut zu spüren,
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doch fürs Erste glich auch der See am Stadtrand von Berlin einem echten Abenteuer.
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Zusammen mit der besten Freundin Leonie und deren Mutter hat das für sein Alter hochgewachsene, rothaarige Mädchen ein ganzes Wochenende lang geplanscht, eisgegessen und die Sonne genossen.
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Die beiden Kinder haben die gleichen Bikinis und bunte Nixenflossen getragen, sind lachend durchs Wasser getaucht und haben Selfievideos aufgenommen, um die schönsten Momente für immer festzuhalten.
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Doch jetzt steht Mathilda wieder vor der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung, noch nicht wirklich bereit, in den vertrauten Alltag mit ihrer Mutter Anja zurückzukehren.
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Denn hinter der Wohnungstür wartet nicht nur ihr altes Leben auf sie. Mathilda spürt, dass die unbeschwerten Tage dieses Sommers bald gezählt sind.
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Als sie in die Wohnung tritt, wird Mathilda von ihrer Mutter begrüßt. Ein ganzes Wochenende hat sie sie nicht gesehen, so lange war Mathilda noch nie von ihr getrennt.
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Das war eine absolute Ausnahme, die Anja ihr erlaubt hat.
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Daher musste sich Mathilda auch mehrmals täglich telefonisch bei ihr melden, ob auch wirklich alles in Ordnung sei.
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Anja ist streng, aber liebevoll. Ständig macht sich die 42-Jährige Sorgen um ihr einziges Kind.
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Mathilda ist nun mal ihr Ein und Alles. Seinen Vater kennt das Mädchen nicht.
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Aber Mutter Anja hat genug Liebe für zwei, um sich trotzdem geborgen zu fühlen.
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Zusammen wohnen die beiden im Berliner Stadtteil Köpenick.
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Die kleine Seitenstraße mit Kopfsteinpflaster ist gesäumt von braun-gelben Häusern aus den 20er Jahren,
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die sich vier Stockwerke hoch um einen großen Innenhof gruppieren.
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In einem der Häuser um den Hof lebt Mathilda mit ihrer Mutter im dritten Stock.
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Es ist eine kleine, aber gemütliche Wohnung.
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Auch Mathildas Tante lebt hier im Haus gegenüber, mit Blickkontakt über den Hof von Fenster zu Fenster.
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Hier spielt sich der Großteil von Mathildas Leben ab.
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Eine vertraute Insel inmitten des hektischen Großstadtdschungels.
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Mathilda hat zwar keine Geschwister, aber dafür hat sie Leonie.
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Ihre beste Freundin wohnt nur wenige Straßen entfernt und so sehen sich die zwei fast jeden Tag nach der Schule.
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Und wenn nicht, dann telefonieren sie.
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Manchmal stundenlang.
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Seit der ersten Klasse sind die beiden unzertrennlich und haben ein inniges, fast geschwisterliches Verhältnis.
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Ein Grund, warum Mathilda gern zur Schule geht.
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Hier blüht sie richtig gehend auf, ist neugierig und aufgeweckt.
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In ihrer Klasse gilt Mathilda als beliebt.
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Ihr Ziel, einmal Klassensprecherin und später sogar mal Sprecherin der Schule zu werden, erscheint daher gar nicht in so weiter Ferne.
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Außerdem ist die Elfjährige eine gute und kreative Schülerin mit besonderem künstlerischen Talent.
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Sie liebt französische Musik, tanzt gerne, mag Regenbögen und alles, was rosa ist.
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Aber vor allem mag Mathilda Katzen.
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So sehr wünscht sie sich ihr eigenes Kätzchen.
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Aber Mutter Anja erlaubt es nicht.
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Am Nachmittag, wenn sie die Hausaufgaben fertig hat, geht Mathilda häufig zu ihren Großeltern, die ebenfalls nur ein paar Straßen weiter wohnen.
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So wie heute, nach der Ankunft vom See, zusammen mit Mutter Anja.
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Wenn die beiden gemeinsam die Wohnung verlassen und durch den Hof laufen, scherzt man in der Nachbarschaft Anja und ihr Minimi seien wieder unterwegs.
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So ähnlich sehen sich die beiden.
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Sie haben dieselben rot-blonden Haare und die gleiche Frisur, die sie gemeinsam abwechselnd offen oder zum Zopf tragen.
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Auch die Kleidung ist häufig abgestimmt, in derselben Farbe, im selben Schnitt.
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Bei den Großeltern angekommen, wird Mathilda von Oma Sabine herzlich begrüßt.
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Opa Herbert ist wie immer distanzierter.
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Zu ihm hat Mathilda nicht so ein inniges Verhältnis.
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Der 71-Jährige schraubt zwar an ihrem Fahrrad, wenn es mal wieder kaputt ist.
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Gefühle zeigt er aber generell eher selten.
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Dafür ist die Beziehung zu Oma umso intensiver.
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Was die zwei besonders eint, ist ihr tiefer Glaube an Gott.
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Wie fast jeden Abend gehen sie auch heute ihrem Ritual nach.
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Vor dem Abendessen wird ausführlich gebetet.
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Mama, Oma, Opa und Mathilda halten sich gemeinsam an den Händen und zitieren Bibelferse.
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Es ist eine Zeremonie, die Mathilda und ihre Familie nicht nur zusammenhält, sondern ihr Band über die letzten Jahre mit jedem Mal auch stärker werden ließ.
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Doch je älter Mathilda wird, desto mehr wünscht sie sich, auch außerhalb ihrer Familie Bände zu knüpfen.
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Die Grenzen, die ihr von zu Hause gesetzt werden, spürt sie als pubertierendes Mädchen mittlerweile immer deutlicher.
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Besonders schmerzlich war es, als ihre MitschülerInnen auf Klassenfahrt gehen durften und sie allein zu Hause bleiben musste.
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Mutter Anja hatte es ihr verboten, mit dem immer gleichen Argument.
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Mathildas angeborener Herzfehler.
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Zu gefährlich sei es, so weit weg von zu Hause zu sein.
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Und überhaupt, findet Anja, sollte ihre einzige Tochter am besten nie zu lange Zeit außerhalb der eigenen vier Wände verbringen.
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Wenn Mathilda im Innenhof mit Leonie oder anderen Nachbarskindern an der steinernen Tischtennisplatte spielt, reicht ein Blick nach oben.
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Wenn Mama dort zwischen den Blumentöpfen am Fenster steht und Mathilda ruft, lässt sie alles stehen und liegen, wie vom Blitz getroffen.
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Nicht einmal Zeit für eine Verabschiedung bleibt dann.
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Sich von der kurzen Leine der Mutter zu lösen, ist aber keine Option.
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Die Liebe und Loyalität zu Anja ist größer als jeder Zweifel und jede Neugier.
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Im Spätsommer 2023 wird Mathildas Welt noch ein Stück kleiner.
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Nicht nur, weil die Tage wieder kürzer werden, verbringt Mathilda immer weniger Zeit draußen,
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sondern auch, weil ihre Mutter sie noch stärker als ohnehin schon beschützt und abschirmt.
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Immer häufiger muss sie jetzt zu Hause bleiben.
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Die 42 Quadratmeter der vollgestellten Wohnungen werden zum Mittelpunkt ihres Lebens.
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Außer den wenigen Stunden in der Schule verbringt Mathilda jetzt fast ihre gesamte Zeit in diesen vier Wänden,
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gemeinsam mit Mutter Anja, die mit 42 Jahren bereits wegen einer Erkrankung Frührentnerin ist.
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Ihr Alltag folgt festen Routinen.
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Morgens steht Mathilda mit ihrer Mutter auf, sie frühstücken zusammen, dann geht es zur Schule.
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Nachmittags wartet Anja meistens schon auf sie.
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Während andere Kinder Ausflüge unternehmen oder zum Turnen oder Fußball dürfen,
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bastelt Mathilda mit ihrer Mutter oder liest allein in ihrem Zimmer.
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Die Gardinen zum Innenhof sind fast immer geschlossen.
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Die Kinder, die draußen spielen, sieht Mathilda mittlerweile nicht mehr,
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aber das laute Lachen halt bis in ihr abgedunkeltes Zimmer.
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Nur selten wird Mathildas monotone Routine unterbrochen.
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Abends, wenn sie Oma und Opa besuchen.
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Doch auch dort gibt es strenge Rituale und Regeln.
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Und immer weniger Raum für Neues.
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Es wird gebetet, Bibelferse zitiert und manchmal auch gependelt, um Zeichen aus dem Jenseits zu erhalten.
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In dieser Zeit verändert sich die Stimmung in der Familie spürbar.
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Mutter Anja wirkt immer angespannter, fast misstrauisch gegenüber allem, was von außen kommt.
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Außerdem ist sie oft traurig, so wie Oma schon seit einigen Monaten.
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Während Mathilda durch diese Veränderungen auch in ihrem Alltag eingeschränkt wird, macht es sie gleichzeitig betroffen zu sehen,
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dass es den zwei wichtigsten Bezugspersonen in ihrem Leben immer schlechter zu gehen scheint.
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Mathilda spürt deren Überdruss von der irdischen Welt.
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Euphorischer wird der Ton nur dann, wenn Oma Sabine mal wieder vom Jenseits schwärmt.
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Von diesem angeblich faszinierenden Ort, an dem alle glücklich seien und man keine Trauer kenne.
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So erzählt es die Oma zumindest immer.
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Oma Sabine leidet schon seit Jahren unter ihrem Alter und den zunehmenden Gebrechen.
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Und auch Mutter Anja zieht sich in diesem Spätsommer immer weiter in ihr Schneckenhaus zurück.
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Mathilda spürt die bleierne Schwere und die aufziehende Dunkelheit.
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Doch die Elfjährige liebt ihre Familie und hält fest an dem, was sie kennt.
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Auch wenn die große, weite und bunte Welt von außen lockt.
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Dann kommt der 7. Oktober und mit ihm kehrt die vermeintliche Unbeschwertheit der frühen Sommertage zurück.
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Denn auch wenn Mathilda erst in zehn Tagen Geburtstag hat, fühlt sich heute alles nach besonderer Festlichkeit an.
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An diesem Samstagabend sitzen Mathilda, Mutter Anja, Mathildas beste Freundin Leonie und deren Mutter nämlich zusammen in Mathildas Lieblingsrestaurant.
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Die Tische sind gedeckt, das Licht ist warm und draußen ist es links dunkel.
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Die Mädchen lachen, erzählen Geschichten und für den Moment scheint es, als wäre die Welt ganz leicht.
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Dann überreicht Leonie Mathilda sogar noch ein Geschenk.
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Sorgfältig verpackt, als würde sie schon heute zwölf Jahre alt werden.
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Anja beobachtet die Szene und schiebt es schließlich leise, aber streng hinterher.
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Es wird dieses Jahr keine Feier geben.
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Umso mehr genießen Mathilda und Leonie den Abend.
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Sie reden, kichern, tratschen.
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Nach dem Essen stehen schließlich alle auf und ziehen ihre Jacken an.
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Mathilda umarmt Leonie fest und sagt zum Abschied, ruf am Wochenende nicht an, ich mache was mit Mama.
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Es klingt fast beiläufig und doch schwingt etwas Endgültiges mit.
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Und während die Nacht über sie hereinbricht, ahnt Mathilda schon, dass manche Abschiede für immer sind.
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Neun Tage später.
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Am Montagmorgen, dem 16. Oktober 2023, betreten PolizistInnen gegen 9 Uhr eine Wohnung in Berlin-Köpenick.
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Schon im Flur steigt ihnen der Geruch von Desinfektionsmittel, vermischt mit etwas Metallischem, Süßlichem in die Nase.
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Gleich rechts vom Flur stoßen sie dann auch schon im Badezimmer auf blutverschmierte Laken, die zerknüllt auf den Fliesen liegen.
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Daneben ein Teppichmesser und in der Badewanne drei ausgewaschene Plastikbehälter, an denen noch Spuren von Blut haften.
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Vom Rand der Wanne ziehen sich getrocknete Blutfäden bis zum Ausfluss.
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Überall auf dem Boden liegen leere Tablettenblister verstreut.
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Mit dem ersten Schritt in die Wohnung des Mehrfamilienhauses tritt auch eine schlimme Befürchtung der PolizistInnen mit ein.
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Doch diese wird bei weitem übertroffen, als sie am Ende des Flures die Tür zum Wohnzimmer öffnen.
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Auf dem Boden liegt ein Mädchen, sein Körper übersät mit tiefen Schnittwunden an den Unterarmen und Stichen im Bauch- und Brustbereich.
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Um die Wunden sind blaue Linien aufgemalt.
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Neben dem Kind liegt eine Frau, auch sie ist gezeichnet von Verletzungen, umgeben von einer getrockneten Lache aus Blut.
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Beide sind tot, die Leichenstarre hat bereits eingesetzt.
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Im Kinderzimmer gegenüber entdeckten die Beamtinnen dann eine weitere, scheinbar leblose Frau.
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Doch als sie sich ihr nähern, wird ihnen klar, sie atmet noch.
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Sie ist am Leben, obwohl auch ihre Haut von tiefen Schnittwunden überseht und das Gesicht totenbleich ist.
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Auf einem kleinen Tisch neben dem Bett liegt ein weiteres Teppichmesser mit frischem, hellrotem Blut daran.
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Ohne zu zögern, alarmieren die PolizistInnen den Rettungsdienst.
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Während sich Hilfe auf den Weg macht, sehen sich die Beamtinnen weiter in der Zwei-Zimmer-Wohnung um.
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Einige von ihnen sind schon lange im Beruf,
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doch eine derart grausame Szene haben die wenigsten jemals zuvor in ihrer Laufbahn zu Gesicht bekommen.
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Und das, was sie neben einem blauen Filzstift, einem Testament und Bestattungsunterlagen auf der Küchenzeile vorfinden,
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lässt auch die hartgesottensten unter ihnen nicht kalt.
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Drei Abschiedsbriefe.
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Einer davon von Kinderhand.
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Die sorgsam gewählten Worte lassen den PolizistInnen die Geschehnisse um sie herum nur noch unfassbarer erscheinen.
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Meine Mama, meine Oma und mein Opa sind die Personen, die mich immer ganz doll geliebt haben.
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Ich liebe meine Mama, meine Oma und meinen Opa.
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Sie haben mich immer beschützt, mir geholfen und mir das Leben so schön wie möglich gemacht.
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Aber Oma ist krank, mein Opa ist alt und meine Mama ist müde und erschöpft.
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Ich will nie ohne sie leben und gehe mit ihnen, weil wir ein Team sind.
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Ich gehe absolut freiwillig mit meiner Oma und meiner Mama mit.
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Es dauert nicht lange, da ist die kleine Allee voller Einsatzkräfte.
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Polizeiwagen, Rettungsdienst, Spurensicherung.
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Ein solches Aufgebot hat die Nachbarschaft noch nie erlebt.
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Schnell spricht sich herum, welche Wohnung zum Ort des Schreckens wurde.
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Die von Anja und Mathilda im dritten Stock.
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Doch das Gerücht macht die Runde, dass gleich zwei Wohnungen im Kiez zum Tatort wurden.
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Und tatsächlich, nur wenige Straßen weiter sperrt die Polizei noch die Wohnung von Mathildas Großeltern ab.
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Bald wird bekannt, dass von den vier Familienmitgliedern nur zwei überlebt haben.
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Die beiden liegen schwer verletzt im Krankenhaus.
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Die Nachbarschaft zeigt sich fassungslos gegenüber der Presse, die ebenfalls schnell vor Ort ist.
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Mathildas Mutter Anja habe sehr zurückgezogen gelebt und sei stets verschlossen gewesen.
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Wenn sie mit ihrem Kind draußen war, habe sie selten gegrüßt und Mathilda sei in ihrer Anwesenheit immer mit gesenktem Kopf herumgelaufen.
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Das habe eigentlich gar nicht zu dem Mädchen gepasst, das sonst spielend, lachend und aufgeweckt im Hof mit den anderen Nachbarskindern umhergetollt habe.
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Trotzdem habe wirklich niemand geahnt, welche Abgründe sich hinter den zugezogenen Vorhängen der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung im Spätsommer dieses Jahres auftaten.
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Und nicht nur im Kiez, sondern in ganz Berlin sitzt der Schock tief.
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Familientragödie in Köpenick.
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Zwei Tote, zwei Schwerverletzte.
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Titel der Tagesspiegel.
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Was ist da vor sich gegangen in dieser Familie?
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In den Kommentarspalten spiegeln sich Fassungslosigkeit, Wut und Mitgefühl wieder.
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Viele können nicht begreifen, warum das Leben eines Kindes so enden musste.
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Die Online-Kommentare werden schließlich deaktiviert.
00:15:40
Zu groß ist das Bedürfnis, sich zu äußern.
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Vor dem Hauseingang im Hof stecken NachbarInnen eine Metallstange als Andenken für Mathilda in den Boden.
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FreundInnen und Bekannte schmücken sie mit Armreifen und Kettenanhängern.
00:15:52
Es ist ein stilles, improvisiertes Denkmal für ein Mädchen, das vielen hier ans Herz gewachsen ist und das bis zur Beerdigung als Gedenkstätte genutzt wird.
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Ihre Beisetzung findet an einem kalten Herbsttag statt.
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Dick angezogen stehen die Trauernden auf dem Friedhof.
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Darunter auch Leonie, die mit leerem Blick auf den kleinen Sarg ihrer besten Freundin starrt.
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Es gibt keine Trauerrede, keine Musik.
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Die Stille wird nur durch das ein oder andere Schluchzen durchbrochen.
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Die Atmosphäre ist frostig, nicht nur wegen des Wetters.
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Denn während die wenigen Anwesenden leise Abschied nehmen, fehlen zwei Menschen,
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die eigentlich heute bei der Beerdigung des Mädchens dabei sein müssten.
00:16:28
Mathildas Mutter Anja und ihr Großvater Herbert.
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Doch sie können nicht dabei sein, denn sie sitzen in Untersuchungshaft.
00:16:37
Am 15. April 2024, knapp ein halbes Jahr nach Mathildas Tod, beginnt der Prozess gegen ihre Mutter Anja und deren Vater Herbert.
00:16:44
Es ist der Auftakt einer Verhandlung, die nicht nur Mathildas Nachbarschaft, sondern ganz Berlin bewegt.
00:16:50
Im denkmalgeschützten Gerichtsgebäude des Berliner Landgerichts 1 liegt an diesem Montagmorgen Spannung in der Luft.
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Die hohen Decken des Saals mit der Nummer 501 und die wenigen Stuhlreihen für ZuschauerInnen lassen den Raum noch größer und die Stimmung noch kühler wirken.
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Als die Presse schließlich die Erlaubnis bekommt und ihr Blitzlichtgewitter auf die Angeklagte entlädt,
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hält diese ihren Kopf gesenkt und die Augen geschlossen.
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So, als wolle sie sich vor der Welt verbergen.
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Anja ist unscheinbar und dünn.
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Ihr Gesicht ist blass, fast durchsichtig.
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Der hellgrüne Pullover und die graue Hose wirken an ihr noch fahler.
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Einen kleinen Kontrast bilden ihre rotblonden Haare, die sie zu einem Zopf gebunden hat.
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Zwei Plätze weiter sitzt ihr Vater Herbert.
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Er trägt ein ordentlich gebügeltes blaues Hemd, Jeans und gepflegte Turnschuhe.
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Seine Hände liegen ruhig auf den Oberschenkeln, sein Blick ist starr nach vorn gerichtet.
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Fast so, als sei er gar nicht richtig anwesend.
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Als sich der Oberstaatsanwalt schließlich erhebt und die Anklage verliest, wird es still.
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Ungeheuerlich ist das, was von den Wänden des großen Saals widerhallt.
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Denn Anja wird vorgeworfen, ihre eigene Tochter und Mutter getötet zu haben.
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Und ihr Vater Herbert soll sie dabei unterstützt haben.
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Betroffenheit zieht sich durch die spärlich gesäten Reihen des Raumes.
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Wie konnte es so weit kommen?
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Wie wurde aus einer frommen Familie dieser Scherbenhaufen?
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Und wie kann eine liebende Mutter ihre eigene Tochter umbringen?
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Die Antworten finden sich in einer symbiotischen Familiendynamik, die Jahrzehnte zurückreicht.
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Und in einem familiären Band, das sie alle so fest umspannte,
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dass sich am Ende niemand mehr lösen konnte.
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Anjas Geschichte beginnt in einer Familie, die schon in der DDR aus der Zeit gefallen scheint.
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Ihre Eltern Sabine und Herbert sind streng religiöse Christinnen.
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AußenseiterInnen am Plattenbau im Ostberliner Stadtteil Marzahn.
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Einziger sozialer Berührungspunkt ist die örtliche Freikirche.
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Vater Herbert engagiert sich nach seinem kirchlichen Fernstudium dort als Vorstandsmitglied.
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Doch Oberhaupt der Familie ist seine Frau Sabine.
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Sie bestimmt den Takt des Alltags mit den drei Kindern.
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Anja ist die Jüngste.
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Ihre Schwester Johanna ist fünf Jahre älter.
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Esther ein Jahr.
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Anja ist also das Nesthäkchen und seit ihrer Geburt das Sorgenkind.
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Sie wird 1981 mit einer Fehlstellung der Füße geboren,
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muss deshalb nur kurz nachdem sie das Licht der Welt erblickt hat, notoperiert werden.
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Mit den Jahren werden die Sorgen der Eltern aber nicht kleiner, was sie betrifft.
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Anja ist oft krank und erleidet unter anderem eine schwere Hirnhautentzündung.
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Da ist sie gerade einmal drei Jahre alt.
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Anja überlebt, muss seitdem aber viel Zeit im Krankenhaus verbringen.
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Mutter Sabine weicht kaum von ihrer Seite, hält ihre Hand, streicht ihr über die Stirn und liest ihr aus der Bibel vor.
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Für Sabine dreht sich in dieser Zeit fast alles um die kranke Tochter.
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Anja steht im Mittelpunkt der mütterlichen Fürsorge, so sehr, dass für die beiden älteren Schwestern oft wenig Raum bleibt.
00:19:45
Für Anja gestaltet sich auch die Schule später schwierig.
00:19:48
Im Gegensatz zu ihrer nur knapp ein Jahr älteren Schwester Esther schreibt sie keine guten Noten.
00:19:52
Zudem ist sie ein stilles und zurückhaltendes Mädchen, das immer wieder von ihren MitschülerInnen gemobbt wird.
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Freundschaften schließt Anja selten, aber auch mit Esther verbringt sie nicht gerne Zeit.
00:20:03
Obwohl Anja so viel Aufmerksamkeit und Zuneigung von ihrer Mutter erfährt,
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fühlt sie sich innerhalb der Familie oft benachteiligt und außen vor.
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Vor allem, was ihrem Vater angeht.
00:20:13
Herbert hat Anja noch nie viel Liebe geschenkt, aber mit den Jahren bekommt sie immer mehr das Gefühl, dass er sie nicht mal wertschätzt.
00:20:19
Sie hat das Gefühl, dass ihr Vater sie nicht ernst nimmt und ihre Meinung nicht schätzt.
00:20:23
Und das führt allmählich dazu, dass sie sich kaum noch traut, ihm zu widersprechen.
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Am liebsten ist Anja einfach bei ihrer Mutter Sabine, die sie versteht und die sie so sehr liebt.
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Nach dem Realschau-Abschluss absolviert Anja eine Ausbildung zur Hauswirtschafterin, doch der Einstieg ins Berufsleben will danach nicht gelingen.
00:20:41
Auch privat schafft es Anja nicht, sich ein eigenständiges Leben aufzubauen.
00:20:44
Sie versucht, ihre erste große Liebe innerhalb der christlichen Gemeinde zu finden, doch scheitert.
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Mit 19 verliebt sie sich schließlich Hals über Kopf in Michael.
00:20:53
Der 23-Jährige hat bereits eine eigene Wohnung und so zieht Anja zum ersten Mal aus dem Elternhaus aus und bei ihm ein.
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Doch kaum von ihrer Mutter getrennt, klammert sich Anja nun zu sehr an ihren neuen Freund, mit dem sie sich nur kurze Zeit später verlobt.
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Ihre emotionale Abhängigkeit wird so stark, dass Anja bei ihm bleiben will, obwohl sich langsam abzeichnet, dass er nicht das Beste für sie will und eine Kollegin ihm sogar sexuelle Belästigung vorwirft.
00:21:17
Nur weil ihre Eltern Druck machen, trennt sich Anja schließlich nach einem Jahr von Michael und zieht zurück zur Familie.
00:21:24
Während Anja wieder in ihrem Kinderzimmer wohnt, versucht sie zumindest jobtechnisch Fuß zu fassen.
00:21:29
Und tatsächlich wendet sich das Platz zum Positiven.
00:21:32
Der Berliner Senat organisiert im Rahmen einer Maßnahme für arbeitslose Jugendliche ein 10-monatiges Praktikum für Anja.
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Und zwar in einem Hotel in Lyon, Frankreich.
00:21:42
Mit 20 Jahren zieht Anja also wieder von zu Hause aus und zum ersten Mal in ihrem Leben spürt sie so etwas wie echte Eigenständigkeit.
00:21:49
Auch Sabine und Herbert können sich in dieser Zeit vorstellen, in ein anderes Land zu ziehen.
00:21:54
Aber nicht in irgendeins.
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Es muss Israel sein.
00:21:59
Denn das Paar entwickelt ein immer stärkeres Interesse an dem Land und dem Alten Testament, was innerhalb ihrer Gemeinde in Berlin allerdings auf taube Ohren fällt.
00:22:07
Doch Sabine und Herbert haben noch nie viel darauf gegeben, was die anderen Mitglieder sagen.
00:22:12
Beide sind sehr stur und generell fällt es ihnen schwer, Auseinandersetzungen offen auszutragen.
00:22:17
Ein Grund, weshalb sie auch nach Jahren in der Freikirche keine echten Freundschaften knüpfen konnten.
00:22:23
Und ein Grund, weshalb sie sich kurz nach ihrer Entscheidung auszuwandern auch mit ihrer ältesten Tochter Johanna verkrachen.
00:22:30
Sabine und Herbert sind nämlich der Meinung, Johanna müsse sich von ihrem untreuen Ehemann scheiden lassen, was diese aber nicht möchte.
00:22:36
Und weil die Eltern nicht nachgeben können, brechen sie den Kontakt zu Johanna ab.
00:22:41
Sabine trifft das zwar so schwer, dass sie eine Zeit lang psychisch behandelt werden muss,
00:22:47
Doch von ihrer Israel-Idee bringt sie das nicht ab.
00:22:49
Einmal etwas in den Kopf gesetzt, wird es durchgeboxt.
00:22:52
Egal, wer dabei auf der Strecke bleibt.
00:22:54
Und so packen sie ihre sieben Sachen und ziehen nach Israel.
00:22:58
Auch Anja kommt nach, als ihr Praktikum in Frankreich beendet ist.
00:23:02
Doch in ihrer neuen Wahlheimat wird die Familie rasch mit der Realität konfrontiert.
00:23:07
Auch hier sind sie Außenstehende, die es nicht auf die Reihe bringen, Anschluss zu finden.
00:23:13
Und so ziehen sie zurück nach Berlin und für Anja geht es sogar in ihre erste eigene Wohnung.
00:23:18
Sie bewirbt sich auf verschiedene Stellen, doch wird nirgends genommen.
00:23:21
Es ist ein Neubeginn, der sich nicht nach Aufbruch anfühlt, sondern nach einem Schritt zurück.
00:23:26
In ihren Zwanzigern ist Anja die meiste Zeit zu Hause oder wieder bei ihren Eltern.
00:23:30
Seitdem sich die Familie von der Freikirche abgewandt hat, sind Anjas soziale Kontakte auf ein Minimum geschrumpft.
00:23:37
Und wenn sie mal Berührung mit anderen Menschen hat, dann sind diese oft problembehaftet.
00:23:41
So gerät sie zum Beispiel immer wieder mit der Nachbarschaft aneinander.
00:23:44
Doch dann wird Anja Anfang 2011 plötzlich schwanger.
00:23:48
Mit dem Vater des Kindes verbindet sie nichts.
00:23:51
Sie verband ihn so schnell aus ihrem Leben, wie er gekommen war.
00:23:54
Das, was bleibt, wird ihr größter Schatz.
00:23:57
Mathilda, die am 17. Oktober 2011 auf die Welt kommt und Anja mit 30 Jahren zur Mutter macht.
00:24:03
Mit dem Mutterglück scheint vieles besser zu werden.
00:24:06
Anja und Mathilda ziehen in eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Köpenick.
00:24:09
Weit weg von den mobbenden NachbarInnen und nah dran an ihrer geliebten Mutter Sabine.
00:24:14
Anja hat jetzt einen Sinn in ihrem Leben.
00:24:16
Die Fürsorge ihrer kleinen Tochter, der sie vorenthalten will, wer ihr Vater ist und deren einzige Bezugsperson Mama, Oma und Opa werden.
00:24:25
Anja und Mathilda verbringen viel Zeit mit Großmutter Sabine, die seit Mathilda auf der Welt ist, immer mehr abbaut.
00:24:31
Die Frau, kaum über 50, wird zusehends schmaler, ihre Bewegungen träger, der Blick müder.
00:24:37
Auch seelisch ist sie überfordert.
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Sabine wendet sich nun nicht mehr nur an Gott, sondern zieht Heilsteine zurate und versucht mit Hilfe von Pendeln,
00:24:45
den in ihren Augen immer größer werdenden Herausforderungen ihres Lebens zu begegnen.
00:24:50
Für Anja ist es schwer, ihre Mutter so leidend und müde vom Leben zu sehen.
00:24:54
Die Frau, die sie getragen, gehalten und durchs Leben begleitet hat.
00:24:58
Anja nimmt sich vor, zurückzugeben, was sie ihr Leben lang von Sabine empfangen hat.
00:25:03
Und so wird sich Anja die nächsten Jahre nicht nur liebevoll um ihre heranwachsende Tochter kümmern,
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sondern auch um ihre älter werdende Mutter.
00:25:10
Doch diese Doppelbelastung macht sich irgendwann bemerkbar.
00:25:14
Ab 2016, Mathilda ist da gerade fünf Jahre alt, geht es auch Anja schlechter.
00:25:20
Sie hat immer mehr Probleme, ihren Alltag zu meistern und begibt sich schließlich für anderthalb Jahre in psychotherapeutische Behandlungen.
00:25:26
Dort werden bei ihr unter anderem eine Panikstörung, eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung sowie eine Reizfilterstörung festgestellt.
00:25:34
Ihr Hausarzt diagnostiziert zudem auch noch eine Anpassungs- und eine Angststörung.
00:25:40
Anja hat Angst, Angst vor der Außenwelt und dass diese ihr ihr Allerwichtigstes nehmen könnte, ihre Tochter.
00:25:47
Je älter Mathilda wird, desto mehr entwickelt sie sich für Anja zu ihrer wichtigsten Gesprächspartnerin.
00:25:53
Die Mutter-Tochter-Bindung wird so eng, wie Anja es von ihrer eigenen Mutter kennt.
00:25:58
Als besonders bedrohlich empfindet Anja muslimische Migranten, die nach Mutter Sabines und ihrer eigenen Auffassung für eine Überfremdung ihres Lebensumfeldes sorgen und Frauen sexuell belästigen würden.
00:26:17
Anja meint, muslimische Männer würden rothaarige Frauen bevorzugen, weshalb sie anfängt, Mathildas rot-blonde Haare schwarz zu färben.
00:26:25
Aus Solidarität werden auch ihre Haare dunkel.
00:26:29
Einmal hier einhaken, weil es sich hier um deutlich rassistische Ansichten handelt.
00:26:33
Wir kommen ja später nochmal darauf, wieso sie die Ansichten hat.
00:26:37
Wir wollen das jetzt hier aber nicht ganz uneingeordnet stehen lassen an der Stelle.
00:26:41
Diese Wahrnehmung, die die Mutter Anja da hat, die entsteht ja ganz offenbar aus einer Angst und mündet dann halt eben in pauschalen Zuschreibungen und tiefem Misstrauen einem vermeintlich Fremden gegenüber.
00:26:53
Und hier wird jetzt ja auch schon sichtbar, ihre Weltsicht ist stark verzerrt, denn soweit wir wissen, hat weder sie noch ihre Tochter jemals eine reale negative Erfahrung gemacht, die sowas rechtfertigen würde.
00:27:04
Ja, und dann kommt die Corona-Pandemie auch noch und damit weitere, ich sag jetzt mal für vielleicht einen normal denkenden Menschen, nicht nachvollziehbare Ängste dazu.
00:27:15
Mutter Sabine, deren mentaler Zustand sich kontinuierlich verstümmert hat, erklärt Anja, dass die WHO Zwangsimpfungen durchführen würde, um ganze Familien auszulöschen.
00:27:26
Ein Grund, weshalb Herbert die Corona-Impfung verweigert und deshalb ab 2022 seiner neuen Arbeit als Krankentransportfahrer und Sanitäter nicht mehr nachgehen darf.
00:27:36
In dieser Zeit wird Anja langsam alles zu viel. Die Sorge um ihre Tochter, der immer größer werdende Todeswunsch ihrer Mutter und die von ihr als bedrohlich empfundenen gesellschaftlichen Entwicklungen.
00:27:47
Dabei fühlt sie sich von ihrer Schwester Esther alleingelassen, die zwar gegenüber wohnt, aber in Anjas Augen viel zu wenig hilft.
00:27:54
Und so bricht sie schließlich den wenigen Kontakt, den sie noch zu ihr hat, endgültig ab.
00:27:59
Anjas Welt wird immer kleiner, düsterer und unheimlicher.
00:28:05
Mit dem Jahr 2023 spitzt sich die Situation zu.
00:28:09
Mutter Sabine, die immer noch das Oberhaupt der übrig gebliebenen Familienmitglieder spielt, bestimmt zusehends das Klima der Familie.
00:28:15
Immer wieder spricht sie davon, wie schlecht und gefährlich die Welt geworden ist, erzählt ihrer Tochter Anja von der Hoffnungslosigkeit und davon, dass im Himmel alles besser sei.
00:28:25
Für Mutter Sabine ist das Leben auf der Erde nur eine Prüfung.
00:28:28
Das eigentliche Ziel liegt im Jenseits, dem Paradies, nach dem sie sich immer mehr sehnt.
00:28:34
Und kurz, wir sehen hier eine suizidale Idealisierung, also die Vorstellung, dass dieser Tod besser sei als das Leben.
00:28:40
Das ist auch keine seltene Denkweise bei Menschen, die sich ohnmächtig oder ausweglos fühlen.
00:28:45
Aber wichtig an der Stelle natürlich zu sagen, das ist kein gesunder Umgang mit Krisen und auch keine Lösung.
00:28:50
Aber Anja nimmt jetzt die Worte ihrer Mutter auf und beginnt, sie weiterzugeben an ihre eigene Tochter.
00:28:57
Anja spricht mit Mathilda über den Himmel, beschreibt ihn als Ort voller Licht und Geborgenheit, wo niemand traurig ist und wo es ganz viele Kätzchen gibt.
00:29:06
Im Gegensatz dazu sei die Welt da draußen vor den Fenstern gefährlich und böse.
00:29:10
Und so sickert Sabines Crew die Idee, dass es im Jenseits besser sein soll, durch die Generation.
00:29:15
In den Sommerferien 2023 schließt sich Anja schließlich dem Todeswunsch ihrer Mutter an.
00:29:21
Der Grund, sie kann sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen, weiß nicht, wie sie ohne ihre Mutter für ihr eigenes Kind sorgen soll.
00:29:29
Sabine ist ihr Anker und das Band zu ihr zu fest geknüpft, als dass sie es überleben würde, sollte Sabine ihrem Ziel alleine nachgehen, glaubt sie.
00:29:37
Und so beschließen Sabine und Anja gemeinsam aus dem Leben zu scheiden und Mathilda mitzunehmen.
00:29:43
In den nächsten Wochen sprechen sie immer wieder über das Vorhaben, das bis ins kleinste Detail vorbereitet wird.
00:29:49
Bei diesen Gesprächen ist zum Teil auch Mathilda anwesend, die schließlich an einem warmen Sommerabend Ende August erklärt, dass auch sie sterben möchte.
00:29:59
Über diesen Plan wird auch Herbert unterrichtet, der zunächst Bedenken äußert, was die Elfjährige betrifft.
00:30:04
Ja, Gott sei Dank macht's mal jemand. Also, hallo?
00:30:08
Es ist doch wirklich grausam.
00:30:11
Anja und Sabine aber erwidern, dass sie nicht länger warten können und wollen.
00:30:15
Herbert findet sich letztendlich damit ab und entscheidet seinerseits, sich zur selben Zeit wie seine Familienmitglieder suizidieren zu wollen, aber allein.
00:30:23
Während sich Herbert aber erst einmal um organisatorische Dinge kümmert, wie die Bestattungen,
00:30:28
zu regeln und finanziell abzusichern, ermutigt Anja Mathilda dazu, sich ebenfalls vorzubereiten.
00:30:34
So veranlasst sie die Elfjährige, eine Dankeskarte an ihre Klassenlehrerin zu schreiben, bringt mit ihr ausgeliehene Bücher in die Bücherei zurück und veranstaltet das Abendessen mit Mathildas bester Freundin Leonie, das als vorgezogenes Geburtstagsfest inszeniert wird.
00:30:49
Außerdem soll Mathilda Abschiedsbriefe schreiben, auch an ihre beste Freundin.
00:30:54
Liebe Leonie, schreibt sie, ich bin mit meiner Mama in den Himmel gegangen.
00:30:58
Wir fühlen uns hier nicht mehr sicher und Oma ist krank.
00:31:01
Du wirst, boah, du wirst immer meine beste Freundin bleiben.
00:31:05
Ich weiß, oben wird es gut sein.
00:31:07
Es gibt viele Katzen und wir kriegen viele Geschenke.
00:31:10
Ich werde warten, bis du oben bist und dann haben wir für immer eine schöne Zeit zusammen.
00:31:14
Bitte sei mir nicht böse.
00:31:18
Den Brief verziert Mathilda mit selbst gemalten Katzen, die auf Mondsicheln sitzen.
00:31:22
Also ich habe es ja eben schon gesagt, diese Erzählung vom schönen Himmel etc.
00:31:26
Das ist ja eine Erzählung, die man gerade oft bei Menschen sieht, die sich suizidieren wollen oder eben auch erweiterte Suizide begehen.
00:31:34
Das ist ein Schönreden, eine Romantisierung von etwas, was keine Lösung ist.
00:31:38
Und das ist ja auch keine Realität, dass nach dem Tod das große Tolle kommt.
00:31:43
Also das dient hier natürlich dazu, sich selbst weiß zu machen, dass es aus dieser Situation einen Ausweg gibt und das tröstet dann.
00:31:51
Aber es ist natürlich auch gleichzeitig ganz schlimm, dass Mutter Anja und Oma Sabine das hier glauben und dem kleinen Mädchen auch noch aufdrücken.
00:31:59
Am Freitag, den 13. Oktober, nur vier Tage vor Mathildas zwölften Geburtstag, beginnt für Mutter Anja und Mathilda der Nachmittag, der der letzte der beiden werden soll.
00:32:10
Während draußen langsam die Dämmerung hereinbricht, sitzen Mutter und Tochter am Küchentisch.
00:32:14
Schließlich stößt Oma Sabine dazu.
00:32:17
Opa Herbert bleibt in der gemeinsamen Wohnung zurück, um dort seiner Aufgabe nachzugehen.
00:32:21
Sicherzustellen, dass die drei nicht gestört werden und sich dann selbst zu suizidieren.
00:32:27
Die Stimmung zwischen den drei Generationen ist gelöst, fast feierlich.
00:32:31
Auf dem Küchentisch liegen die Abschiedsbriefe bereit, daneben die Bestattungsunterlagen.
00:32:36
Alles ist bis ins Detail vorbereitet, damit hier unten auf der Erde kein Chaos ausbricht,
00:32:41
während sie schon längst das vermeintlich bessere Leben oben im Himmel verbringen.
00:32:46
Gegen 17 Uhr beginnen Anja, Sabine und Mathilda dann mit den Vorbereitungen.
00:32:51
Mit einem blauen Filzstift markieren sie die Stellen, wo ihre Arterien entlang fließen.
00:32:57
Draußen herrscht mittlerweile tiefste Dunkelheit, als im Wohnzimmer alles seinen Lauf nimmt.
00:33:02
Um Punkt 23 Uhr streckt Mathilda ihrer Mutter bereitwillig die Arme entgegen.
00:33:07
Mathilda gibt keinen Laut von sich.
00:33:10
Still und ergeben lässt sie die unvorstellbaren Schmerzen über sich ergehen.
00:33:14
Dann fällt sie zu Boden und wird ohnmächtig.
00:33:18
Als nächstes ist Oma Sabine dran.
00:33:21
Doch sie schafft es nicht, sich selbst zu verletzen.
00:33:24
Daher bittet sie Anja darum, es für sie zu tun.
00:33:27
Und so setzt Anja auch bei ihrer eigenen Mutter das Messer an.
00:33:30
Im Gegensatz zu Mathilda ist Sabine nicht leise.
00:33:35
Sie wird wütend darüber, dass Anja die Schnitte in ihren Augen falsch gesetzt habe.
00:33:40
Kurz darauf verstummt aber auch die 68-Jährige.
00:33:44
Danach sticht Anja beiden in den Bauch und in die Brust, in der Hoffnung, dass die Verletzungen schnell zum Tod führen.
00:33:50
Schließlich richtet sich Anja gegen sich selbst.
00:33:53
Sie fügt sich ähnliche Verletzungen zu und kurze Zeit später wird alles um sie herum schwarz.
00:33:58
Doch nach einigen Stunden kommt Anja wieder zu sich.
00:34:02
Dabei hört sie, dass Mathilda noch am Leben ist und sich mitten im Todeskampf befindet.
00:34:08
Anja reagiert sofort.
00:34:09
Sie legt ihre Tochter in die Seitenlage, damit sie schneller verblutet.
00:34:13
Kurz darauf wird Anja wieder ohnmächtig.
00:34:15
Als sie erneut zu sich kommt und neben sich blickt, sieht sie, dass Mathilda nicht mehr atmet.
00:34:20
Doch in ihrer eigenen Lung strömt weiterhin Sauerstoff durch ihre Adern ihr Blut.
00:34:25
In den nächsten Tagen versucht die 42-Jährige immer wieder, sich selbst zu suizidieren.
00:34:33
Nur wenige Straßen entfernt ringt ihr Vater Herbert um sein Leben.
00:34:37
Auch er hat sich schwer verletzt und versucht, sich alleine in seiner Wohnung zu töten.
00:34:41
Als am Montagmorgen sein Telefon klingelt und seine Tochter Esther am Telefon ist,
00:34:46
erzählt er ihr geschwächt vom Blutverlust und voller Verzweiflung, was passiert ist.
00:34:51
Es ist der Anruf, der dazu führt, dass sowohl Anja als auch Herbert lebend in ihren Wohnungen gefunden
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und ins Krankenhaus gebracht werden.
00:34:59
Und dazu, dass sie heute hier im Gerichtssaal sitzen.
00:35:03
Während der Oberstaatsanwalt die Katastrophe nachzeichnet, die sich im Sommer 2023 in der kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung abspielte,
00:35:11
schüttelt Herbert immer wieder den Kopf.
00:35:13
Seine Tochter Anja sitzt die meiste Zeit über stumm da, mit Blick auf die Tischplatte vor sich gerichtet.
00:35:18
Nach der Anklageverlesung dürfen Vater und Tochter zu Wort kommen.
00:35:23
Als Anja anfängt zu erzählen, ist ihre Stimme leise und brüchig.
00:35:26
Sie erklärt, sie habe sich dem bereits seit Jahren bestehenden Suizidwunsch ihrer Mutter angeschlossen,
00:35:31
die in der ganzen Sache die treibende Kraft gewesen sei.
00:35:34
Als Zeitpunkt für den Tod wurde der 13. Oktober um Punkt 23 Uhr ausgewählt,
00:35:40
weil nach Sabines esoterischen Überlegungen in diesem Moment der Mond genau richtig steht,
00:35:45
um das Blut bestmöglich abfließen zu lassen.
00:35:48
Was ihre Tochter Mathilda angeht, sagt Anja, dass auch sie keinen Lebenswillen mehr gehabt habe,
00:35:53
weil sie ohne Mutter und Großmutter nicht mehr weiterleben wollte.
00:35:57
Wow, ja, wenn, also, na klar kannst du eine Elfjährige brainwashen, wenn die nur sowas kennt, ja.
00:36:03
Daraufhin hackt der Vorsitzende Richter nach, ob ein elfjähriges Mädchen überhaupt in der Lage sei,
00:36:09
die Tragweite einer solchen Entscheidung zu begreifen.
00:36:12
Anja betont, sie sei sich sicher, dass Mathilda sterben wollte.
00:36:16
Paulina betont, dass Mathilda das nicht entscheiden kann.
00:36:19
Anja behauptet, Mathilda habe auch aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung
00:36:23
und insbesondere wegen der angeblichen Bedrohung durch muslimische Migranten
00:36:27
keinen Sinn mehr im Leben gesehen.
00:36:29
Wow, also, dass man das nicht checkt, dass das indoktriniert ist von ihren Eltern.
00:36:35
Hä, aber was meinst du mit, dass man das nicht checkt?
00:36:38
Das checkt doch jeder, oder?
00:36:39
Ja, aber die nicht.
00:36:41
Du meinst die selber nicht.
00:36:42
Ja, natürlich nicht.
00:36:44
Ja, die will das halt nicht checken.
00:36:46
Als die Angeklagte daraufhin gefragt wird, welche negativen Erfahrungen Mathilda denn mit
00:36:51
Übergriffen durch Migranten gemacht habe, erzählt Anja von drei Vorfällen, was zeigt, in welchem
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verschwobenen Weltbild sie noch immer gefangen ist.
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Im Sommer 2023 habe sich ein migrantisch aussehender Jugendlicher im Bus über das Gesicht von Mathilda
00:37:06
Daraufhin ist Anja aus Angst vor einem Übergriff handgreiflich geworden.
00:37:10
Außerdem habe, als Mathilda sechs Jahre alt war, ein migrantisch aussehender Mann an der
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Supermarktkasse ihre Haare betrachtet, sie angelächelt und sich etwas nach vorne gebeugt.
00:37:20
Ob der Mann Mathilda berührt oder angesprochen habe, will der Vorsitzende wissen.
00:37:26
Es ist wirklich so, also es ist wirklich so, hä?
00:37:32
Weil es ist, er hat ja sogar sie angelächelt.
00:37:36
Also man kommt hier ja auch mit Logik jetzt nicht weit.
00:37:39
Also die waren da in ihrer eigenen Welt gefangen und man sieht hier ja auch, dass das offenbar
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paranoide Züge hatte.
00:37:46
Also wie bei Leuten, die denken, dass, weil du gerade blinzelst, du denen dann in dem Moment
00:37:51
eine geheime Nachricht zugesendet hast.
00:37:53
Ganz kurz, Paulina, hier steht dieses Meeting mit aufgezeichnet.
00:37:58
Ich glaube, du zeichnest noch auf.
00:38:00
Ich meine, wäre ja auch egal, aber hier steht es bei mir.
00:38:02
Dieses Meeting wird aufgezeichnet.
00:38:04
Nee, nee, bei mir steht, ich könnte jetzt wieder aufzeichnen.
00:38:08
Aber nee, ich zeichne nicht auf.
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Vielleicht bin ich aber Paranäut.
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Als weiteres Beispiel nennt Anja vor Gericht eine Begegnung am S-Bahnhof, bei der ein migrantisch
00:38:22
aussehender Mann eine unter Mathildas Mütze hervorragende Haarsträhne berührt habe.
00:38:27
Was hat die immer mit ihren Haaren?
00:38:29
Also das ist ja irgendwie komisch.
00:38:31
Ja, das Ding ist ja, sie ist sich ja ganz sicher, dass die muslimischen Migranten also rothaarige
00:38:37
Frauen bevorzugen.
00:38:38
Ja, aber das ist ja Quatsch.
00:38:40
Deswegen frage ich mich, wie hat sich diese Verschwörungstheorie so auf die Haare entladen?
00:38:46
Ich frage mich generell, ich glaube eigentlich bei jeder Verschwörungstheorie, wie man darauf
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eigentlich kommt.
00:38:52
Also hier auch das mit der WHO, dass man da eben mithilfe von Zwangsimpfungen bestimmte
00:38:58
Familien auslöschen möchte.
00:39:00
Und was sollen eigentlich muslimische Migranten sein?
00:39:02
Also geht es der Familie jetzt hier um die Muslime?
00:39:05
Jetzt nicht gegendert, weil die meinen ja Männer.
00:39:08
Also im Sinne der Religion oder geht es denen jetzt um Zuwanderung?
00:39:11
Also naja, man weiß es nicht.
00:39:13
Auch wieder etwas, wo man mit Logik nicht weiterkommt.
00:39:16
Naja, also von weiteren Vorfällen kann Anja auch nicht berichten.
00:39:22
Als ihr Vater Herbert das Wort ergreift, wirkt er abwesend.
00:39:25
In einer monotonen Art und Weise räumt er ein, von dem Plan gewusst zu haben.
00:39:29
Er habe warten wollen, bis Mathilda volljährig ist, doch seine Frau und seine Tochter hätten
00:39:33
ihm eindringlich erklärt, dass sie nicht mehr warten könnten.
00:39:36
Aufgrund der Beharrlichkeit seiner Frau sei es aussichtslos gewesen, sie an dem Vorhaben
00:39:42
So habe er schließlich nachgegeben.
00:39:44
Meine Frau bestimmte alles, sagt er.
00:39:46
Anja und Mathilda hätten sich in allen Gedankengängen seiner Frau angeschlossen.
00:39:51
Für die Familie sei Sabine vor allem eins gewesen, eine Autorität.
00:39:55
Es wurde gemacht, was sie sagte, gibt Herbert nüchtern an.
00:39:59
Am Ende seiner Aussage erklärt er resigniert.
00:40:02
Ich dachte, Mathilda würde es bei ihnen besser haben als hier.
00:40:05
Um herauszufinden, ob die elfrige Mathilda des Lebens überdrüssig war, so wie es ihre Mutter
00:40:11
vor Gericht angibt, werden im Anschluss verschiedene Zeuginnen gerufen.
00:40:15
Lisanne, die Mutter von Mathildas bester Freundin Leonie, gibt an, dass Mathilda, als sie sich
00:40:20
kennenlernten, anfangs zwar zurückhaltend war, aber mit der Zeit immer mehr aus sich herausgekommen
00:40:25
und lebenswohr gewesen sei.
00:40:26
Nie habe sie Anzeichen einer depressiven Stimmung bei ihr bemerkt.
00:40:30
Was sie aber bemerkt habe, sei das sehr enge Verhältnis von Mathilda zu ihrer Mutter Anja.
00:40:35
Auffällig sei die Art und Weise, in der Mathilda die vielen Anweisungen ihrer Mutter befolgt
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So habe sie zum Beispiel wegen jeder Kleinigkeit nachfragen müssen, zum Beispiel, ob sie ein
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Eis essen dürfte.
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Mathilda sei ihrer Mutter geradezu hörig gewesen.
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Und in solchen Situationen habe das Mädchen dann auch besorgt gewirkt.
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Ein anderes Vorkommnis, das ihr im Gedächtnis geblieben ist, habe sich kurz nach ihrem Wochenendausflug
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mit ihrer Tochter und Mathilda an den Berliner See abgespielt.
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Weil sie auf dem Rückweg Stau hatten und sich ihre Ankunftszeit deshalb nach hinten verschob,
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sei Anja total verärgert gewesen und habe Mathilda verboten, danach noch kurz mit zu Leonie nach Hause
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zu kommen, um dabei zu sein, wenn diese ihre Geburtstagsgeschenke auspackt.
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Auch ein Nachbar erzählt, dass Mathilda immer alles unverzüglich getan habe, was die Mutter
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von ihr verlangte.
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Mathildas Klassenlehrerin berichtet zudem von einem auffällig engen Verhältnis zur Mutter
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und von einer Mutter, die sie insbesondere in Gesundheitsfragen als überfürsorglich wahrgenommen
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Mathilda dagegen sei ein selbstbewusstes, fröhliches und offenes Mädchen gewesen.
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Depressive oder gar suizidale Gedanken habe sie bei ihr nicht feststellen können.
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Allerdings, so die Zeugin, habe ihre Schülerin nach den Sommerferien plötzlich bedrückt gewirkt.
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In der Zeit also, in der Mathilda wusste, dass sie bald sterben würde.
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Wie groß der Einfluss von Oma Sabine am Ende auf ihre Tochter und ihre Enkeltochter in Bezug
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auf den Sterbewunsch war und wie viel Schuld dabei Anja trifft, soll eine psychiatrische
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Gutachterin für das Gericht einschätzen.
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Sie hat Anja an fünf Tagen ausführlich untersucht und auch ihre Krankenakte eingesehen.
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Das Bild, das sich für sie daraus ergebe, sei eindeutig.
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Seit ihrer Jugend kämpfe Anja mit einem tief verwurzelten Gefühl von Unsicherheit und Minderwertigkeit,
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das sie früh an ihre Mutter gebunden habe.
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Im Laufe der Jahre habe sich Anjas Abhängigkeit von Sabine immer weiter verstärkt, weil auch Sabine
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ihre Tochter nicht habe ziehen lassen und ihr Leben maßgeblich habe mitbestimmen wollen.
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Das sei so weit gegangen, dass Sabine zur maßgeblichen Instanz für alle Entscheidungen wurde und eine
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eigenständige Identitätsentwicklung bei Anja kaum mehr möglich war.
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Aus diesem Abhängigkeitsverhältnis heraus habe Anja die Zukunftsängste ihrer Mutter und die
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spirituellen Ansichten ihrer Eltern ohne zu hinterfragen übernommen, so die Sachverständige.
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Und dadurch, dass Anja aufgrund ihrer Unsicherheit große Probleme gehabt habe, andere Menschen in ihr
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leben zu lassen, habe ein soziales Korrektiv gefehlt, sodass sich ihre Gedanken und Einstellungen
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weiter verfestigen konnten.
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Wir haben uns jetzt gefragt, wie kann das eigentlich sein, dass so eine emotionale Abhängigkeit so
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lange aufrecht erhalten wird?
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Das ging ja Anjas ganzes Leben lang und hat sich dann auch noch auf ihre eigene Tochter übertragen.
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Darüber haben wir mit Marcel Wode gesprochen.
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Er ist Psychotherapeut und Experte für toxische Beziehungen und strukturelle familiäre Verstrickungen.
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Angst und Kontrolle sind sehr wichtige Faktoren, die einfach eine Form von der Macht mitgeben.
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Die Kontrolle auf der einen Seite ist ein wichtiger Mechanismus, um diese Person weiterhin bei mir zu behalten.
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Die Isolation steht da ganz, ganz weit oben als Überschrift.
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Angst ist ein ähnlich wichtiges Machtthema.
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Wenn ich jetzt beigebracht bekomme, dass ich eine Angst entwickeln darf oder dass ich Angst habe, eine andere Person zum Beispiel anzusprechen
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oder meine Pläne mit einzuweihen, dann werde ich es höchstwahrscheinlich auch nicht machen.
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Also auch da ein wichtiges Kontrollmechanismus, wo ich einfach es mit der Angst und mit der Kontrolle schaffe,
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dass ich zum Beispiel eine Tochter nicht an andere Personen herankommen lasse.
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Dass mein Gesamtkonzept, was ich damit aufgebaut habe, nämlich diese Abhängigkeit, diese Isolation,
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das kann man sich ja vorstellen wie ein Kartenhaus, dass dieses Kartenhaus, das ich mir über Jahre aufgebaut habe,
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keine Gefahr läuft, dass es irgendwie gefährdet wird oder einstürzt, sondern meine Werte werden weitergegeben,
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meine Denkmuster werden weitergegeben und die Tochter nimmt die einfach mit auf.
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Warum Anja so empfänglich für diese Art von Kontrolle der Mutter war, ist in ihrer Persönlichkeitsstruktur begründet.
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Laut psychiatrischer Gutachterin liegt bei ihr nämlich eine Persönlichkeitsstörung mit Dependenten,
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vermeiden, selbstunsicheren, zwanghaften und paranoiden Facetten vor.
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Eine Depression sei allerdings nicht zu diagnostizieren.
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Die Suizidalität und die Taten seien auf Anjas Persönlichkeitsstörung zurückzuführen,
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die in ihrem Schweregrad so erheblich sei,
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dass die medizinischen Voraussetzungen einer schweren, anderen seelischen Störung erfüllt seien.
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Auf Mathilda habe sie ihre Abhängigkeit von ihrer eigenen Mutter projiziert,
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weshalb sie davon ausgegangen sei, dass auch Mathilda ohne sie nicht weiterleben wollen würde.
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Aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung sei Anja zum Zeitpunkt der Taten in ihren Handlungs- und Entscheidungsprozessen so eingeengt gewesen,
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dass ihre Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei.
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Eine Beeinträchtigung ihrer Einsichtsfähigkeit sei aber nicht festzustellen.
00:45:23
Anja habe weiterhin zwischen Recht und Unrecht unterscheiden können.
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Daher sei sie nur, in Anführungszeichen, erheblich vermindert schuldfähig und nicht schuldunfähig.
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Eine Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie, so die Sachverständige weiter,
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halte sie nicht für notwendig, weil es nach dem Tod der Mutter nicht zu erwarten sei,
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dass Anja erneut eine ähnliche Tat begehe.
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In Bezug auf Herbert stellt der für ihn verantwortliche psychiatrische Sachverständige
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ebenfalls eine Persönlichkeitsstörung fest, und zwar eine narzisstisch geprägte.
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Diese äußere sich vor allem in gestörter Selbst- und Fremdwahrnehmung,
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emotionaler Distanz und passivem Rückzug, ohne aber das Ausmaß einer schweren seelischen Störung im Sinne des Strafrechts zu erreichen.
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Herbert sei nämlich trotz seiner Störung in der Lage gewesen, seinen Alltag und seinen Beruf über lange Zeit zu bewältigen.
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Hinweise auf eine Depression, eine Abhängigkeit oder eine akute psychische Erkrankung lägen nicht vor.
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Seine Schuldfähigkeit sei zur Tatzeit daher nicht eingeschränkt gewesen.
00:46:22
Warum Herbert trotzdem nicht eingegriffen hat und auch sich selbst suizidieren wollte,
00:46:27
hat unser Experte für uns eingeschätzt.
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Der Vater wusste von dem Suizidplan und er griff nicht ein.
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Ich würde es jetzt allerdings nicht um die ganze Gleichgültigkeit oder Co-Abhängigkeit mit ansehen,
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sondern der Vater oder der Großvater war wie unterwürfig der Großmutter gegenüber.
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Es war in dieser Familie ein ganz klares Hierarchie-Dasein,
00:46:48
dass die Großmutter allen Familienmitgliedern gesagt hat, was sie zu tun haben und was sie zu machen haben.
00:46:55
Von meiner Sicht war der Opa auch ein Opfer der Großmutter,
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weil er sich in das Gesamtkonzept klar natürlich auch so ein bisschen angepasst hat,
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aber auch der Großmutter gegenüber untergeordnet war,
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die das Sagen hatte und einfach die Familienentscheidung komplett übernommen hat.
00:47:13
Die zwei Gutachten zeichnen das Bild einer Familie,
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in der Angst, Kontrolle und Abhängigkeit über Generationen hinweg das Leben bestimmten.
00:47:21
Das Gericht muss nun zu der Antwort auf die Frage kommen,
00:47:25
wie viel Verantwortung Anja und Herbert tragen
00:47:27
und wie sehr ihre Entscheidungen von der familiären Dynamik geprägt waren.
00:47:31
Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung haben sich dazu schon ihre Meinung gebildet.
00:47:36
Als sich der Oberstaatsanwalt für sein Plädoyer erhebt, wird es im Saal 501 wieder ruhiger.
00:47:41
Er erkennt die psychische Erkrankung der Angeklagten als strafmildernd an.
00:47:46
Trotzdem betont er entschieden, Anja war nicht willenlos.
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Sie hatte eine Wahl und entschied sich, ihre Tochter zu opfern.
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Daher beantragt er eine Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten für Anja.
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Für Herbert fordert er drei Jahre Haft.
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Die Verantwortung für das Geschehen, so macht es die Staatsanwaltschaft deutlich,
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liege nicht allein bei der Großmutter.
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Laut Herberts Verteidiger stellt sich die Lage aber anders dar.
00:48:09
Sein Mandant sei ein gebrochener Mann, der seiner Frau seit Jahrzehnten ausgeliefert gewesen sei.
00:48:15
Ihre Dominanz und Stränge hätten ihn zum Mitläufer gemacht, der aus Angst und Resignation nicht eingegriffen habe.
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Auch Anjas Verteidigerin appelliert an das Mitgefühl der RichterInnen.
00:48:26
Die eigentliche Strafe für ihre Mandantin sei nicht die Haft, sondern das Weiterleben ohne ihre Tochter.
00:48:31
Anja sei das Werkzeug einer psychisch schwer kranken Mutter gewesen,
00:48:36
die sich seit Jahren auf einem selbstzerstörerischen Kurs befunden habe.
00:48:40
Am 26. Juni 2024, gut acht Monate nach der Tat und nach insgesamt neun Prozesstagen,
00:48:47
verkündet die Kammer ihr Urteil gegen Anja und Herbert.
00:48:50
Es liegt gedrückte Spannung in der Luft, als der vorsitzende Richter die Anwesenden auffordert, sich zu erheben.
00:48:56
Für die Tat an ihrer Mutter Sabine wird Anja wegen des Straftatbestands der Tötung auf Verlangen schuldig gesprochen.
00:49:04
Sabine habe ihren Tod über Jahre hinweg gewollt und aktiv vorbereitet.
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Trotz psychischer Belastung sei sie einsichtsfähig gewesen.
00:49:12
Ihr Wunsch zu sterben sei ernsthaft und überlegt gegenüber ihrer Tochter Anja geäußert worden.
00:49:17
In Bezug auf Mathilda sieht es das Gericht aber ganz anders.
00:49:21
Mathilda sei aufgrund ihres Alters und ihres emotionalen Abhängigkeitsverhältnisses von ihrer Mutter
00:49:26
nicht in der Lage gewesen, einen frei verantwortlichen Sterbewunsch zu entwickeln
00:49:30
und auch nicht die Bedeutung ihrer Entscheidung zu verstehen und für sich abzuwägen.
00:49:35
Mathilda sei überdies in keiner Weise des Lebens überdrüssig gewesen.
00:49:39
Es sei für sie aufgrund der extrem engen Bindung zu ihrer Mutter einfach unvorstellbar gewesen,
00:49:43
ein Leben ohne sie zu führen, weshalb sie im Laufe der Gespräche irgendwann halt selbst den Wunsch äußerte, zu sterben.
00:49:50
Auch die Angst vor Übergriffen durch migrantische Männer, wenn Mathilda diese überhaupt selbst gehabt habe,
00:49:57
was das Gericht bezweifelt, sei, wenn dann nur durch die Orientierung an der Mutter entstanden.
00:50:02
Anja sei bewusst gewesen, dass ihre elfjährige Tochter aufgrund ihres Reifegrades nicht in der Lage war,
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eine frei verantwortliche Entscheidung zu treffen.
00:50:10
Sie habe ihre Tochter getötet, weil sie selbst sterben wollte,
00:50:13
angesichts der Vorstellung, ohne ihre eigene Mutter das Leben weder für sich noch für Mathilda bewältigen zu können.
00:50:19
Insofern wertet die Kammer die Aussage von Anja,
00:50:22
Mathilda habe selbst keinen Sinn mehr im Leben gesehen, als Schutzbehauptung,
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die ihre Tat in einem besseren Licht erscheinen lassen sollte.
00:50:28
Für das Gericht ist nicht nachvollziehbar, dass Anja kleinste Alltagsentscheidungen ihrer Tochter,
00:50:34
wie die Frage, ob sich Mathilda ein Eis kaufen darf, ihrer Kontrolle unterwerfen wollte,
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aber gleichzeitig davon ausgegangen sein könnte,
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die denkbar weitreichendste Entscheidung überhaupt ihrer Tochter ganz alleine überlassen zu können.
00:50:46
Der Vorsitzende Richter resümiert, Anja habe ihre Tochter in eine Welt der Angst und Abhängigkeit gezwungen und manipuliert.
00:50:52
Und so wird Anja wegen Totschlags an ihrer Tochter schuldig gesprochen.
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Für Anja bedeutet das acht Jahre und drei Monate Haft
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und somit ein fast doppelt so hohes Strafenmaß wie von der Staatsanwaltschaft gefordert.
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Das Gericht erkennt zwar Anjas schwere Persönlichkeitsstörungen als strafmildernd an,
00:51:10
doch der Vorsitzende betont, eine Mutter hat die Pflicht, ihr Kind zu schützen, selbst vor sich selbst.
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Auch die Tatbegehung an sich und damit der Umstand, dass Mathilda unter großen Schmerzen
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und bei vollem Bewusstsein starb, wertet die Kammer als strafverschärfend.
00:51:24
Dass ihre Tochter keine Gegenwehr leistete und ohne Klagen alles über sich ergehen ließ,
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konnte Anja nicht als mildernder Umstand angerechnet werden.
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Im Gegenteil, für die Kammer sei dies ein deutliches Zeichen der tiefen seelischen Abhängigkeit,
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in die die Mutter ihre Tochter gebracht habe.
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Seit den Sommerferien habe Anja Mathilda zunehmend beeinflusst,
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nicht nur im Alltag, sondern auch gezielt im Hinblick auf die spätere Tat.
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Sie habe ihr die Vorstellung vom eigenen Tod regelrecht aufgedrängt.
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Am Ende habe Anja das Vertrauen und die Bindung ihres Kindes so sehr manipuliert,
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dass die Elfjährige im Moment der Tat keinen inneren Widerstand mehr habe aufbringen können.
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Auch Herbert, der von der geplanten Tötung seiner Enkelin wusste und dennoch nicht eingriff,
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wird wegen Beihilfe an dem von Tanja verübten Totschlag durch Unterlassen
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zu einer doppelt so langen Haftstrafe verurteilt,
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wie sie die Staatsanwaltschaft ursprünglich gefordert hatte.
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Das haben wir ja auch nicht oft, dass das Gericht so viel höher geht als die Staatsanwaltschaft.
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Das finde ich auch echt krass.
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Und vielleicht fragt man sich jetzt, warum Herbert nicht wegen Totschlags durch Unterlassen verurteilt wurde.
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Das hat damit zu tun, dass er trotz seiner Verwandtschaft zu Mathilda kein wirklich enges Verhältnis zu ihr hatte.
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So ein Verhältnis hätte es aber geben müssen, damit er eine Garantenstellung gegenüber Mathilda gehabt hätte.
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Trotzdem wertet das Gericht seine Rolle als Großvater strafverschärfend.
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Schließlich richtete sich die Tat gegen ein Opfer, das ihm Vertrauen entgegenbrachte.
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Am Ende der Urteilsbegründung kommt der vorsitzende Richter nochmal auf Mathilda zurück
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und zitiert den letzten Satz aus dem Abschiedsbrief, der auf dem Küchentisch gefunden wurde.
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Ich gehe absolut freiwillig mit meiner Oma und Mama mit.
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Für einen Moment bricht seine Stimme.
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Er schweigt, bevor er sagt.
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Dieses Urteil ist auch ein Abschied von einem Kind, das nie eine Chance hatte.
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Mathilda hatte nie die Chance auf ein freies, buntes und fröhliches Leben.
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Von Beginn an war sie gefangen in einem Netz aus Kontrolle, Angst und seelischer Abhängigkeit.
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Statt Kind zu sein, trug sie die Sehnsüchte, Sorgen und tiefen Schatten ihrer Mutter und Großmutter mit.
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Ihre eigenen Träume, ihre Neugier, ihr Recht auf Leichtigkeit blieb ungelebt.
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Die, die sie hätten schützen, stärken und lieben sollen, hielten sie klein, hielten sie fest.
00:53:41
Aus Überforderung, aus Angst und aus selbsterlerntem Schmerz.
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Mathilda wurde mit in den Tod genommen, weil ihre Mutter keinen Platz mehr für sich sah,
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nicht nach dem Tod ihrer eigenen Mutter, an die sie ihr ganzes Dasein gebunden hatte.
00:53:54
So zog sich das Band der Kontrolle durch die Generation, fest verschnürt, bis am Ende alle daran erstickten.
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Was bleibt, ist die Hoffnung, dass Mathilda nun an dem Ort ist, den ihr ihre Mutter versprochen hat.
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Im Himmel voller Katzen.
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Mir tut dieses Mädchen so leid.
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Dass die, dass auch noch so ohne Zweifel mitgegangen ist alles, ja.
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Und natürlich die Erwachsenen, das sind für kleine Kinder die Leitlinien im Leben.
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Die denken, was die sagen, das ist richtig.
00:54:30
Und da gehe ich mit, ja, weil eigentlich im Regelfall die Erwachsenen wissen, wie man sich am Leben hält und wie man nicht stirbt und wie man das Leben meistert.
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Und hier in diesem Fall ist es einfach genau umgekehrt gewesen.
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Und das tut mir so leid, dass dieses Mädchen da selbstverständlich völlig naiv denen gefolgt ist, ohne, weißt du, auch nur so ein bisschen Argwohnen denen entgegenzubringen, weil sie gar nicht hätte wissen können, dass die so krank sind.
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Und das meine ich jetzt nicht im abwertenden Sinne, sondern wirklich erkrankt sind an der Psyche.
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Ja. Und man fragt sich halt so wie, was wäre gewesen, wenn vielleicht der leibliche Vater von Mathilda in ihrem Leben gewesen wäre.
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Vielleicht hätte er sie da rausholen können und ihr halt eine andere Sicht auf die Dinge geben können und für sie kämpfen können oder so.
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Aber das wollte ja Anja auch nicht, dass der irgendwie Teil des Lebens ihrer Tochter wird.
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Das finde ich einfach so unfair.
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Es ist ja schlimm, was für Erkrankungen Anja hat und wie viele psychische Belastungen die hat und dass sie es auch nicht anders kennengelernt hat mit dieser engen Beziehung zur Mutter.
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Aber eigentlich würde man doch hoffen und denken, dass sie merkt, dass das nicht gut ist, wenn man so eng an der Mutter ist.
00:55:44
Aber sie hat das Gleiche mit ihrer eigenen Tochter gemacht und hat sie so eng an sich gebunden, als einzige und wichtigste Gesprächspartnerin benutzt.
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Und Kinder sind auch nicht dazu da, um die Freunde der Eltern zu sein oder der Fels in der Brandung.
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Ja, dazu sind Kinder nicht da.
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Das soll man für die Kinder sein.
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Und hier merkt man natürlich, wie schlimm das ist, wenn man sich so von einem sozialen Umfeld distanziert, dass man seine eigene Welt auf wirklich so kleinen Kosmos einschränkt, dass man, wie wir auch schon gesagt haben, gar kein Korrektiv mehr hat.
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Da ist niemand, der einen da rausziehen kann.
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Und ich finde es jetzt auch so in Bezug auf das Urteil und die Haftstrafe tatsächlich auch irgendwie, ja, richtig, dass das Gericht hier mit dem Urteil klar gemacht hat.
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Und dass man als Mutter, wenn man die Einsichtsfähigkeit noch hat, ja, dass man da die Pflicht hat, das eigene Kind auch vor sich selber zu schützen und dann eben auch eine Haftstrafe von acht Jahren verhängt.
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Ja, finde ich auch richtig.
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Und genauso auch für Herbert, der davon wusste, dass das passiert, der sogar noch gesagt hat, hier, die ist noch nicht 18, wir sollten vielleicht warten, bis sie das selber entscheiden kann, der nicht die Hilfe holt.
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Weißt du, auf den bin ich wirklich sauer, weil der hat ja schon den richtigen Gedanken gehabt.
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Und dadurch, dass der auch nicht so eng verbunden war mit der Anja, könnte man ja annehmen, dass der vielleicht sich dem Ganzen nicht so mit hingegeben hat.
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Ich finde, das ist einfach ein Fall, der ganz tragisch zeigt, wie die Mutter so die Tochter.
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Ja, also das, was man vorgelebt bekommt, da neigen viele zu, das vielleicht ähnlich zu machen.
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Und hier in dem Fall hat das halt so furchtbare Ausmaße angenommen.
00:57:33
Und jetzt können wir gar nichts Nettes am Ende sagen.
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Wir haben nämlich uns die schlechte Nachricht noch bis zum Schluss aufgehoben.
00:57:43
Wir gehen jetzt in Sommerpause.
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Ein bisschen eher als gedacht.
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Aber ja, dafür sind wir auch eher wieder zurück.
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Nämlich am 6. August.
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Aber dazwischen kommt ja ein kleines Schmankerl von uns.
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Das hatten wir jetzt schon angekündigt.
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Also zu 99 Prozent kommt das.
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Also eine Folge zu unserem 7-Jährigen am 17.07.
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Da kommt also was.
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Ihr bleibt nicht ganz auf dem Trockenen.
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Genau, das kann man sich gut merken.
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Und wir sehen zu, dass wir uns bis dahin ein bisschen erholen.
00:58:16
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
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Hosts und Produktionen
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Paulina Graser und Laura Wohlers.
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Simon Garschhammer und wir.
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Rechtliche Abnahme und Beratung
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Abel und Kollegen