Zurück zur Startseite

#207 Tür an tür

Mordlust.
Herzlich willkommen zurück aus der Sommerpause bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier geht es um wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und normalerweise sitzt hier mit mir meine Kollegin und Freundin Laura Wohlers,
mit der ich immer einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nacherzähle.
Gemeinsam ordnen wir den immer ein, erörtern und diskutieren die juristischen, psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte
und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Heute führe ich euch aber allein durch diese Folge. Laura ist erst nächste Woche wieder dabei.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf. Das machen wir auch.
Selbst dann werden wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns so eine Art Comic Relief, aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Heute spreche ich über einen Fall, der davon handelt, dass Menschen, die im übertragenen Sinn in der Nähe eines Vulkans wohnen,
immer wachsam sein müssen und nie wirklich zur Ruhe kommen, weil sie in der Angst leben, dass der Vulkan jederzeit ausbricht.
Vorher aber ein kurzer Hinweis. Wir waren zwar in der Sommerpause, haben aber nicht die ganze Zeit Urlaub gemacht, sondern fleißig weiter Folgen produziert.
Und uns ist es wirklich ein ganz großes Anliegen, dass ihr die auch richtig hören könnt.
Aber leider bekommen wir gerade immer mal wieder Nachrichten, dass es Schnittfehler gäbe, weil die Folge mittendrin abbricht oder sich Passagen aus dem Podcast wiederholen oder das Ende ist zweimal drin.
Also solche Sachen. Das liegt tatsächlich nicht an uns, zumindest in den meisten Fällen.
Neulich gab es ja mal ein Outtake am Ende der Folge, in dessen Genuss dann auch die Leute gekommen sind, die immer alles bis zum Ende hören.
Das haben wir dann im Nachhinein nochmal rausgeschnitten, könnt ihr aber unter den Reels auf Instagram jetzt finden.
Aber solche gravierenden Schnitzer gibt es in der Regel bei uns nicht.
Wenn doch, dann könnt ihr davon ausgehen, dass wir innerhalb der ersten halben Stunde nach Veröffentlichung dazu so viele Nachrichten bekommen,
dass wir uns sofort darum kümmern würden, wenn wir das mitbekommen.
Wenn also Folgen bei euch nicht richtig funktionieren und gerade wenn sie nicht richtig funktionieren,
obwohl sie schon ein paar Stunden online sind, dann könnt ihr davon ausgehen, dass das leider etwas mit dem Server zu tun hat.
Wir wissen noch nicht, woher diese technischen Schwierigkeiten kommen.
Also es geht offenbar darum, dass da zwei verschiedene Prozesse ineinander greifen und bei dem einen hakt es offenbar manchmal.
Wir suchen da schon eine Lösung.
Es ist gerade nur ein bisschen schwierig, weil man offenbar auch noch nicht so hundertprozentig versteht, warum das bei unserem Podcast so ist.
Das betrifft dann übrigens auch alle Plattformen, also nicht nur Spotify oder Apple.
Diese Probleme tauchen überall auf und sie sind auch bei jedem unterschiedlich.
Die gute Nachricht ist, was hilft?
Stelle merken, wo ihr wart.
App einmal komplett schließen und neu laden.
Das funktioniert dann in den meisten Fällen schon, wenn nicht die Folge einmal aus den Downloads entfernen und wieder neu runterladen.
Das ist ein absoluter Pain und keiner ist wütender darüber als wir.
Bei den meisten Leuten passiert das zum Glück nicht regelmäßig, sondern nur einmal.
Aber da sich diese Vorfälle seit längerem häufen, behaltet das im Hinterkopf, falls das bei euch irgendwann mal der Fall sein sollte.
So, jetzt komme ich aber zu unserer heutigen Geschichte und da möchte ich euch vorab eine Frage stellen.
Regt ihr euch über eure NachbarInnen auf, wenn sie zum Beispiel die Pappe nicht richtig klein machen?
Laura hat mal in ihrer Berliner Wohnung Pappe entsorgt, nicht zerkleinert offenbar und hat dann den Karton vor ihrer Wohnungstür wieder gefunden.
Als Ganzes, so wie sie es reingeworfen hat, weil ja ihre Adresse da drauf stand.
Und da hat sich Laura ganz aufwendig drüber aufgeregt und meinte, das sei so typisch deutsch.
Und bei mir wäre das so, wenn ich ihre Nachbarin zu der Zeit gewesen wäre, wäre die Chance hoch gewesen, dass ich die Person gewesen wäre, die ihr den Karton vor die Tür gelegt hat.
Also naja, vielleicht würde ich nicht so weit gehen, aber ich habe auch schon mal verwohlt so einen riesigen geschlossenen Karton, wo nichts drin war und der die ganze Tonne versperrt hat, aus dem Allpapier gezogen und vor die Tonne geschmissen.
Weil ich finde es schon frech, muss ich sagen.
Aber mehr als mich kurz darüber aufregen, das mache ich dann auch nicht.
Bei manchen ist das aber nicht so.
Manche regen sich über solche Verhaltensweisen ewig auf und ziemlich doll und kommen da dann auch nicht wieder raus.
Und der Fall, den ihr jetzt hört, der wird Aufschluss darüber geben, wieso das bei manchen Menschen so ist und wird zeigen, dass solche Kleinigkeiten im schlimmsten Fall in einer tödlichen Tragödie enden können.
Alle Namen der an der Tat beteiligten Personen sind geändert.
Als Dr. Felix Seckmüller an einem Tag Mitte September vor seinem Gesprächspartner sitzt, liegt die grausame Tat, die dem Mann vorgeworfen wird, noch nicht mal zwei Monate zurück.
Eine Tat, die die ganze Region rund um Augsburg erschüttert hat und die bei dem einen oder der anderen auch dafür gesorgt haben mag,
dass man die Menschen, mit denen man Tür an Tür wohnt, ab jetzt mit mehr Argwohn betrachtet.
Dr. Seckmüller trägt sein dunkles Haar glatt zurückgekämmt.
Hinter der eckigen Brille liegt ein ruhiger, analytischer Blick.
Seckmüller wurde vom Gericht als psychiatrischer Sachverständiger beauftragt, den Mann, der ihm gegenüber sitzt, zu explorieren.
Also er soll sich unter anderem ein Bild von seiner Persönlichkeit und der psychischen Verfassung machen.
Der Mann vor ihm ist Mitte 60, Rentner, hat schmale Lippen, eine Brille sitzt auf seiner Nase und das wenige weiße Haar, das sich dem Haarausfall noch widersetzen konnte, hat er raspelkurz geschnitten.
Er ist eher der Typ Rentner, den man hinter der Hecke eines Schrebergartens verorten würde, nicht in einer Zelle in der Untersuchungshaft.
Und doch sitzt er hier.
Dieter Weber wird vorgeworfen, seine drei NachbarInnen umgebracht zu haben, wobei die Art, wie er es getan hat, eher einer Hinrichtung gleicht.
Dieter Weber hat zweifelsohne einen Blutbad angerichtet und das direkt vor seiner eigenen Haustür in dem buttergelben Mehrfamilienhaus in Langweit am Lech.
Doch jetzt, wo Dr. Seckmiller mit Dieter Weber über das, was Ende Juli passiert ist, sprechen will, sitzt er nur da und kann dem Gutachter offenbar nicht wirklich weiterhelfen.
Denn Dieter Weber betont seit seiner Festnahme immer wieder, sich nicht an das, was passiert ist, erinnern zu können.
Alles, was er noch wisse, sei, dass er gegen 18 Uhr zu seiner Frau nach Hause gekommen sei.
Sein Nachbar, Herr Kühn, habe ihn vor der Haustür abgefangen, mal wieder und mit einem Schraubwerkzeug in der Hand gesagt, jetzt dauert es nicht mehr lange, bis du draußen bist.
Drohung, dass er bald ausziehen und sich eine neue Wohnung suchen müsse, habe er in den letzten Jahren viele erhalten.
Danach sei Dieter Weber in die Wohnung gegangen und habe einen Schluck Wasser getrunken.
Weil er so gezittert habe, habe er einen Teil des Wassers verschüttet.
Aber das Wasserglas sei das Letzte, woran er sich erinnern könne.
Ansonsten klaffe in seiner Erinnerung ein dickes, schwarzes Loch.
Er habe einen totalen Blackout gehabt.
Und sowas gibt es tatsächlich.
ExpertInnen sprechen da nicht von einem Blackout, sondern von einer Amnesie oder auch Erinnerungslücken,
hat uns die forensische Psychiaterin Dr. Christine Heisterkamp erklärt.
Sie sagt, auch für TäterInnen können Gewalttaten nämlich einen traumatischen Aspekt haben,
der für solche Erinnerungslücken sorgen könnte.
Das kann man sich dann so vorstellen, dass der Täter Aspekte der Tat, Teile der Tat oder auch sogar die ganze Tat dann verdrängt im Nachhinein.
Dann gibt es noch sogenannte Affekt-Taten oder auch tiefgreifende Bewusstseinsstörungen,
die dann so etwas wie einen Affektsturm oder eine hohe affektive Entladung beinhalten.
Und auch da kann es dann zu Erinnerungslücken kommen.
Das kann man sich so vorstellen, dass dann der Affekt über allem steht und dass die Täter im Rahmen der Tat, die sie begehen, nicht ganz bei sich sind.
Und auch da ist es dann nicht selten, dass es zu Erinnerungslücken kommt.
Dann gibt es natürlich noch, und das ist auch sehr häufig aus meiner Erfahrung,
dass es sich bei Erinnerungslücken, die vom Täter oder Angeklagten angegeben werden, um Schutzbehauptungen handelt.
Also, dass der Täter dann einfach sagt, er könne sich an nichts erinnern.
Ich weiß nicht, was da passiert ist oder Ähnliches.
Laut Frau Dr. Heisterkamp wird an der genauen Entstehung von Amnesien zwar noch viel geforscht
und es gibt unterschiedliche Erklärungsansätze, aber der aktuelle Forschungsstand legt nahe,
dass das Gehirn Erlebnisse in einer traumatischen Situation zwar abspeichert,
aber man trotzdem nicht darauf zugreifen kann.
Wenn wir jetzt einmal davon ausgehen, dass es sich um ein traumatisches Ereignis handelt,
dann ist es so, dass das Gehirn manchmal nicht mehr richtig funktioniert
und dass die Reize nicht mehr richtig verarbeitet werden
und dass somit dann Erinnerungen nicht richtig abgespeichert werden,
sondern dass quasi die Synchronisierung, das ist relativ kompliziert fachlich,
von bestimmten Gehirnarealen nicht so richtig gut funktioniert
und deswegen können Erinnerungen dann teilweise später nicht abgerufen werden
oder, wie wir sagen, fragmentiert abgerufen werden.
Dass es also Erinnerungslücken gibt, dass also eine Geschichte schon erzählt werden kann,
aber dass dann immer wieder Ereignisse nicht erinnert werden können
oder dass es so Gedankengedächtnisabbrüche gibt.
Es ist aber schon möglich, dass diese Erinnerungen,
wenn das Trauma dann richtig aufgearbeitet wird, wieder abrufbar sind.
Wenn eine Amnesie allerdings aufgrund eines Affekts entsteht, ist das anders.
Es kann sein, dass der Affekt, zum Beispiel Wut, Zorn oder Erregung,
derart stark ist, dass der die Tat komplett überlagert
und das Gehirn diese Erlebnisse deshalb wirklich nicht oder nur teilweise abspeichert
und deshalb kann man dann später auch nicht vollständig auf diese Erinnerungen zurückgreifen.
Meist sind die Taten dem Täter oder der Täterin dann auch persönlichkeitsfremd,
also dass die nicht so richtig zu ihm oder ihr passen.
All das ist natürlich auch Dr. Seckmiller bekannt,
der bei diesem Gespräch auch darauf schauen soll,
für wie wahrscheinlich er es hält, dass Dieter Weber wirklich einen Blackout hatte.
Deshalb hört er aufmerksam zu, als Dieter Weber von seinen ausgelöschten Erinnerungen erzählt.
Seine Erinnerung setzte erst wieder ein, als er von 30 bis 40 PolizistInnen umzingelt worden sei,
man ihn auf den Boden gedrückt und er einen Hubschrauber über sich gesehen habe, erzählt er.
Er habe der Polizei gesagt, dass er sich an nichts erinnern könne.
Dann habe er seine Hose ausziehen müssen und ihnen gezeigt, wo er die Tatwaffe habe.
Dann sei er auf der Wache vernommen worden.
Als Dieter Weber das erzählt, fällt Dr. Seckmiller etwas auf.
Ein Detail, das später vor Gericht noch eine größere Rolle spielen wird
und das dem Experten schon jetzt einen entscheidenden Hinweis dafür gibt,
ob Dieter Weber die Wahrheit sagt oder er sich den Blackout nur ausgedacht hat.
Die Erkenntnisse darüber wird er schon bald vor Gericht vortragen.
Als Dieter Weber am 9. April 2024 in den vollen Saal des Augsburger Landgerichts geführt wird,
trägt er ein blaues Hemd, eine blaue Windbreaker-Weste darüber und Fesseln an Händen und Füßen.
Als die Foto- und Fernsehkameras auf ihn gerichtet werden, verdeckt er sein Gesicht nicht mit einem Aktenordner.
Für die anwesenden Medien sind das dankbare Aufnahmen.
Nicht nur, dass sie in ihren Artikeln und Sendungen schon zahlreich von dem tödlich eskalierten Nachbarschaftsstreit berichtet hatten,
jetzt können sie zum Prozessauftakt auch endlich Bilder des mutmaßlichen Täters liefern.
Während die Kameras auf ihn gerichtet sind, begrüßt Dieter Weber freundlich seinen Verteidiger Walter Rubach,
der in seiner schwarzen Robe eine Reihe hinter ihm auf der Bank Platz genommen hat.
Der Verteidiger weiß, dass er in diesem Prozess keinen einfachen Job haben wird.
Dass sein Mandant an jenem Tag im Juli zwei Familien auslöschen wollte, ist unstrittig.
Walter Rubach geht es um den Zustand, in dem sein Mandant zum Tatzeitpunkt war.
Das hat er uns im Interview erzählt.
Wie kommt jemand dazu, der 64 Jahre lang ein ganz braves Leben geführt hatte,
überhaupt nie angeeckt war, dazu kommt, drei Menschen zu töten.
Was hat das verursacht? Wie kann man das erklären?
Der Klassiker einer Affekthandlung, dass plötzlich die Gedankenwelt sich einengt auf einen bestimmten Punkt,
der sich loslöst, auch von den möglicherweise Kontrollmechanismen, die noch vorhanden sind.
Ich darf das nicht tun.
Es gibt solche Situationen, in denen Menschen eben solche Kontrollmechanismen nicht mehr in Gang setzen können,
einfach weil sie einen Tunnelblick haben, einen Tunnelblick entwickeln.
Ja, der Blackout ist ja eigentlich die Loslösung von der Realität.
Die Kontrollmechanismen funktionieren nicht mehr.
Und wenn das nicht ist, wie soll man dann Schuld vorrücken?
Walter Rubach will also vor Gericht darlegen, dass Dieter Werner einen affektiven Gemütsdurchbruch hatte,
der, so wie uns eben ja auch schon Dr. Heisterkamp erklärt hat,
über allem stand und somit seine Steuerungsmöglichkeit eingeschränkt war,
was sich dann wiederum auf seine Schuldfähigkeit ausgewirkt hätte.
Das Ding ist, bisher hält die Staatsanwaltschaft Webers Erzählung vom Blackout noch für eine Schutzbehauptung
und wirft ihm unter anderem dreifachen Mord vor.
Heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen soll er seine NachbarInnen getötet haben,
weil sie sich in seinem Hoheitsgebiet nicht so verhielten, wie Dieter Weber es für richtig hielt.
Er sei von Wut und Rache getrieben gewesen.
Als der Staatsanwalt die Anklage verließ, sitzt Dieter Weber stumm und regungslust da.
Er spricht zwar heute nicht selber, steht aber weiterhin dazu, dass nicht er der Störenfried war,
sondern sich die anderen beiden Parteien gegen ihn verbündet hatten.
Gegenüber von Dieter Weber und seinem Verteidiger sitzen beim Prozessauftakt zwei Anwältinnen.
Sie vertreten die beiden Opferfamilien Lehmann und Kühn.
Eine, die sie alle kannte und die zu ihrem eigenen Unmut immer wieder mit den Streitigkeiten der Familien behelligt wurde,
ist die Vermieterin aller Parteien, Brunhilde Döring.
Ihr gehört das buttergelbe Mehrfamilienhaus, seitdem sie es vor eineinhalb Jahren von ihrem verstorbenen Ehemann geerbt hat.
Die Vermieterin gibt vor Gericht an, dass Dieter Weber und dessen Frau Ingrid Weber bereits 2008 in das Haus eingezogen seien.
Familie Kühn erst zehn Jahre später.
Erst dann fingen die Auseinandersetzungen an.
Als das Ehepaar Lehmann dann 2020 dazuzog, war die Ruhe im Haus endgültig passé.
Das Ehepaar Weber und vor allem der Angeklagte sei in ihren Augen immer vorbildlich gewesen.
Was die Lehmanns angeht, kann sie das nicht berichten und bezeichnet die beiden als eher schwierig.
Sie hätten sich über Kleinigkeiten beschwert, wie dass der Wasserhahn zu schwer zu öffnen sei und sowas.
Dabei seien ihre Wohnungen top saniert.
Außerdem verlange sie wirklich sehr wenig Miete.
Da, so sagt sie vor Gericht aus, könne sie es nicht verstehen, wie man so mäkelig sein könne wie die Lehmanns.
Als der Streit zwischen den Familien im Haus offenbar langsam seinen Höhepunkt erreichte,
habe sie Mitte November 2022 ein Schreiben vom Anwalt der Lehmanns bekommen.
Man solle dem Treiben des Herrn Weber ein Ende setzen, stand darin, gar ihm die Wohnung kündigen.
Frau Döring hält vor Gericht nicht hinterm Berg damit, dass sie das Schreiben unverschämt fand.
Immerhin war ihr Mann da gerade erst vor zwei Wochen verstorben.
Sie wollte, dass man sich ausspricht.
Ansonsten, so hatte sie es angedroht, hätten sich sowohl Familie Lehmann als auch Familie Weber eine neue Wohnung suchen müssen.
Also wir fassen zusammen.
Das Gericht versucht jetzt hier natürlich, sich ein Bild davon zu machen, wie die Streitigkeiten im Haus entstanden sind,
welches von den Ehepaaren bzw. welcher Bewohner oder Bewohnerin hier überhaupt die konfliktreibende Person war.
Manchmal ist das ja auch nicht so eindeutig.
Und die Aussage der Vermieterin ist jetzt wohlwollend dem Angeklagten Dieter Weber gegenüber.
Sie sagt, es kam in all den Jahren nie zu Problemen mit ihm bzw. seiner Frau.
Das Bild, was die Staatsanwaltschaft also von dem Angeklagten zeichnet, kann sie so schon mal nicht bestätigen.
Was sie aber bestätigen kann, ist, dass es immer wieder zu Streitereien zwischen den drei Familien gekommen ist
und dass die Lehmanns ihr in der letzten Zeit, bevor die Tat passiert ist, negativ in Erinnerung geblieben sind.
Dass Rolf Lehmann sich immer wieder über Dieter Weber beklagte, geht auch aus dem Notruf hervor, der vor Gericht abgespielt wird.
Wir haben gewarnt, sagt Rolf Lehmann da.
Der Notruf ist herzzerreißend.
Auf der Aufnahme kann man eine Frau röcheln hören und wie Rolf Lehmann immer wieder verzweifelt ihren Namen ruft.
Dass das alles irgendwann so enden würde, hätten sich die Lehmanns, als sie vor vier Jahren in die ruhige Wohnstraße gezogen sind, nicht vorstellen können.
Und dahin machen wir jetzt einen Rücksprung.
Es ist Mai 2020, als für Margarete und Rolf Lehmann ein neuer Lebensabschnitt beginnt.
Nach vielen Jahren im schwäbischen D-Dorf hat sich das pensionierte Ehepaar, beide Anfang 70, entschieden, seinen bisherigen vier Wänden den Rücken zu kehren und umzuziehen.
Margarete und Rolf möchten näher bei ihrem erwachsenen Sohn Finn, dessen Freundin Nadine sowie deren sechs- und achtjährigen Söhnen, ihren Enkelkindern, sein.
Sie möchten sich nicht jedes Mal wieder eine halbe Stunde ins Auto setzen, um sie zu sehen.
Ein Wunsch, der sich mit dem Umzug nach Langwald, einer 8.000-Seelen-Gemeinde im Landkreis Augsburg nun erfüllt.
Gerade einmal 600 Meter trennen die beiden RentnerInnen fortan von Finn, Nadine und den Kindern,
sodass gemeinsame Abendessen und spontane Kaffeebesuche nun mit Sicherheit häufiger stattfinden werden.
Das neue Zuhause der Lehmanns ist eine Mietwohnung in einer ruhigen Seitenstraße.
Flankiert von grünen Bäumen und umgeben von einem dunklen Holzzaun macht das gelbe Wohnhaus mit den weißgerahmten Fenstern einen geflinkten und bodenständigen Eindruck.
Neben zwei Hochparteirewohnungen, von denen sie die Rechte beziehen, gibt es zwei weitere Wohnungen im Obergeschoss.
Insgesamt vier Parteien also.
Angesichts dieser kleinen Hausgemeinschaft dauert es nicht lange, bis das frisch zugezogene Ehepaar Bekanntschaft mit den NachbarInnen macht.
Heike und Lothar, die Kühns, sie Ende 40, er Anfang 50, wohnen mit ihrem elfjährigen Sohn Jonas in der linken Wohnung im Obergeschoss.
Quasi schräg über Margarete und Rolf.
Die Paare verstehen sich gut. Zwar wächst zwischen ihnen keine innige Freundschaft, doch man ist sich sympathisch, grüßt einander und hält bei zufälligen Begegnungen im Treppenhaus hin und wieder einen kleinen Plausch.
Und dann sind da noch die Webers. Ein Ehepaar um die 60, das in der zweiten Wohnung im Obergeschoss lebt.
Und einmal kurz zur Transparenz. Wer zu der Zeit in der linken Hochparteirewohnung, also gegenüber von Margarete und Rolf Lehmann wohnt, konnten wir bei unserer Recherche nicht herausfinden.
Wir vermuten mal niemand. Deswegen spreche ich jetzt immer von drei Familien, den Lehmanns, den Kühns und den Webers.
Keine feierwütigen Studierenden, niemand, der sein Blasinstrument Tag und Nacht anstimmt.
Es könnte so friedlich sein im neuen Heim der Lehmanns. Doch das ist es nicht.
Denn bereits kurz nach ihrem Einzug stellen Margarete und Rolf Lehmann fest, dass Dieter Weber alles andere als der nette Rentner ist,
bei dem man sich auch mal etwas Salz borgen würde und mit dem ein freundliches Miteinander möglich ist.
Der 61-Jährige hat offensichtlich genaue Vorstellungen davon, wie die Dinge im Haus abzulaufen haben.
Und damit strapaziert er nach und nach die Nerven der Lehmanns, aber auch die der Kühns.
Dieter Weber will ihnen etwa vorschreiben, wo genau sie die Mülltonnen zu platzieren haben.
Weist sie zurecht, weil sie das Eidpapier in der blauen Tonne angeblich nicht ausreichend zerkleinert haben
oder weist sie an, die Eingangstür zum Wohnhaus nach jedem Kommen und Gehen abzuschließen.
Das ist ja in manchen Bundesländern sogar verboten wegen der Brandgefahr.
Deswegen, da kann man auf jeden Fall drüber streiten, ob das jetzt sicherer ist.
Und auch wenn die Enkelkinder zu Besuch sind, gibt es regelmäßig Beschwerden, dass sie zu laut seien.
Normalerweise würde man bei sowas vielleicht lachen, weiter sein Ding machen und drüberstehen,
dass jemand denkt, er hätte im Haus das Sagen.
Aber einfach ignorieren ist bei Dieter Weber nicht.
Denn der wird im Laufe der Zeit immer übergriffiger,
scheint die Schritte von Rolf und Margarete regelrecht zu überwachen
und mischt sich zunehmend in Dinge ein, die ihn schlichtweg nichts angehen.
Als eines Tages etwa das Garagentor der Lehmanns defekt ist,
steht Dieter Weber aufgeregt vor ihrer Wohnungstür und weist Rolf an, einen Mechaniker zu kontaktieren.
Dabei haben die Webers mit dem Garagentor der Lehmanns ja gar nichts zu schaffen.
Vorschreiben, kontrollieren, kritisieren und zurechtweisen.
Es wirkt fast so, als habe Dieter Weber nichts anderes zu tun,
als neben seinem einzigen Hobby, was er hat,
dem Schießen im Schützenverein, im Haus den Sheriff zu spielen.
Man könnte sogar meinen, ihm mache das Spaß.
Denn egal, wie ruhig die Enkelkinder sich verhalten,
egal, wie klein die Lehmanns die Pappe machen,
egal, wie ordnungsgemäß sie die Mülltonne platzieren,
Dieter Weber, so scheint es, findet immer einen Grund, Streit anzufangen.
Und wenn nicht, erfindet er einen.
So muss sich Rolf Lehmann eines Tages einen regelrechten Monolog von ihm anhören,
als er ihm vorwirft, Rolf habe im gemeinschaftlichen Wäschekeller
Zitat
Waschmaschine und Trockner vertauscht.
Sein Nachbar will ihm wohl vorwerfen, die Dreckwäsche extra in das falsche Gerät geworfen zu haben,
um ihn zu provozieren.
Quasi ein textiler Hinterhalt.
Rolf protestiert.
Was für ein Blödsinn.
Doch Dieter Weber will davon nichts wissen und macht klar,
dass es wohl offensichtlich sei, dass Rolf es auf ihn abgesehen habe.
Nach all dem, was Dieter Weber veranstaltet, um im Haus alles zu kontrollieren,
ist es umso erstaunlicher, dass Rolf nach dem Vorfall mit dem Wäschekeller von Dieter
den Spitznamen Kontrolleur bekommt.
Manchmal ist da für Dieter Weber auch der Aufpasser
oder, wenn sein Nachbar mal einen richtig schlechten Tag hatte, das Arschloch.
Aber nicht nur Rolf und seine Frau werden immer wieder zur Zielscheibe von Beleidigungen und Provokationen.
Auch Lothar und Heike Kühn geraten regelmäßig ins Schussfeld.
Der 50-Jährige mit dem schmalen Gesicht und dem gräulichen Schnauzer
und seine Frau, deren blonde Haare ihr weiches Gesicht umrahmen,
sind den Feindseligkeiten von Dieter Weber schon länger ausgesetzt.
Bereits kurz nach ihrem Einzug mit Sohn Jonas vor zwei Jahren im April 2018
stellten sie fest, dass der Mann, mit dem sie Tür an Tür leben, ihnen nicht wohlgesonnen ist.
Die Kühns hatten sich damals noch nicht einmal richtig eingelebt,
als Dieter Weber das erste Mal bei ihnen vor der Wohnungstür stand
und sie auf angebliche Lärmbelästigung und Ruhestörung hinwies.
Seither beschwert ihr Nachbar sich immer wieder über die angeblich unzumutbare Lautstärke des Paares,
was einmal sogar dazu führte, dass eine Diskussion zwischen Lothar Kühn und Dieter Weber so eskalierte,
dass beide daraufhin zur Polizei gingen und behaupteten, der jeweils andere sei handgreiflich geworden.
Zwar besiegelten die Männer im Beisein der BeamtInnen ihren Konflikt wenige Minuten später auf der Wache mit Handschlag,
doch den Hausfrieden brachte diese symbolische Geste nicht.
Der Terror von Dieter Weber schweißt die Kühns und die Lehmanns zusammen.
Ihren Frust schmälert das nur bedingt, vor allem den der Lehmanns.
Voller Vorfreude waren sie hierhergezogen, um näher bei Sohn Finn und den Enkelkindern zu sein.
Doch die neu gewonnenen Vorzüge werden überschattet von Dieter Webers Verhalten,
dessen Launhaftigkeit und Streitlust wie eine Gewitterwolke über dem Alltag von Margarete und Rolf hängt.
Die ständigen Konflikte mit Dieter Weber gehen den RentnerInnen an die Substanz.
Sie sind müde, müde von den ständigen Reibereien, müde von Diskussionen.
Müde davon, jedes Mal, wenn sie die graue, verglaste Tür zum Treppenhaus öffnen wollen,
Sorge zu haben, dass Dieter Weber um die Ecke kommt und gleich wieder loslegt.
Die Lehmanns können nicht mehr.
Ja, und ich glaube, das kann man nachvollziehen.
Als ich einmal umgezogen bin, gab es bei meinem Einzug einen Riesenstreit mit den NachbarInnen wegen meiner Umzugsfirma.
Und dieser Streit war so laut und groß, da wurden fast alle Parteien im Haus mit einbezogen,
weil eine Person sehr laut geschrien hat.
Ich will da jetzt auch gar nicht weiter drauf eingehen,
aber schon dieser eine Streit hat dann erstmal dafür gesorgt,
dass ich mich am nächsten Tag so unwohl in der Wohnung gefühlt habe
und den beteiligten Leuten dann auch erstmal gar nicht begegnen wollte.
Und das war ja nur wegen eines Streits.
Und die Lehmanns haben aber ständig diese Konfrontation bei sich zu Hause.
Wieso Streitigkeiten mit NachbarInnen besonders an die Substanz gehen,
hat uns der Psychologe und Host des Podcasts Psycho-Hacks Rolf Schmiel erklärt.
Also wenn man wirklich in einer Situation ist, wo der Nachbar oder die Nachbarin einen terrorisiert,
wo es regelmäßig der Fall ist, dass es zu Konflikten kommt,
dann ist das seelisch maximal bedrohlich, weil die eigene Wohnung, das eigene Haus,
ist der Rückzugsraum, in dem wir uns sicher fühlen müssen, um seelisch zu regenerieren.
Und wenn dieser Raum dir gestohlen wird, weil du dich nicht mehr sicher fühlst,
weil du dich nicht mehr wohl fühlst, wird es wirklich schwierig für die mentale Gesundheit.
Besonders schlimm ist das für Menschen, für die der Wohnraum identitätsstiftend ist, sagt Rolf Schmiel.
Für die Lehmanns kommt jetzt aber auch noch hinzu, dass sie ja gefühlt nicht mal dem Konflikt ausweichen können.
Richtig machen können sie ja nichts, weil Dieter Weber ja immer etwas findet, an dem er sich aufhängen kann.
Rolf Schmiel hat gesagt, dass das oft der Fall ist, denn gerade Nachbarschaftsstreitigkeiten sind oft Stellvertreterkriege.
Also wir wissen, bei den Menschen, wo das innere Chaos groß ist, ist das Bedürfnis nach äußerer Ordnung massiv.
Das heißt, ganz viele, die fast schon zwanghaft Dinge kontrollieren wollen und müssen,
leiden unter, bewusst oder unbewusst, unter einem inneren Chaos, sind mit inneren Prozessen maximal überfordert
und müssen deshalb Kontrolle über Bereiche haben, die teilweise völlig unsinnig sind.
Aber wenn diese Kontrolle verloren geht, ist das für die ein Angriff auf die Persönlichkeit in einer Intensität,
so wie wenn ich dich für irgendetwas beleidige, was du magst.
Also meinetwegen, du liebst Katzen und wenn ich dich auf die Liebe zu deiner Katze maximal angreife
und dich dafür beschimpfe, wirst du auch sehr intensiv reagieren.
Und so ist das bei jemandem, für den Ordnung wirklich zur Ersatzreligion geworden ist.
Der fühlt sich wirklich bedroht.
Ja, und weil die Lehmanns sich wegen des Verhaltens ihres Nachbarn so ohnmächtig fühlen,
treffen sie dann im Sommer 2022, nach rund zwei Jahren in dem Vier-Parteien-Haus, die Entscheidung auszuziehen.
So wie es seit ihrem Einzug läuft, geht es nicht weiter.
Ihr Zuhause ist für sie mittlerweile kein wohltuender Rückzugsort mehr.
Jedes Mal, wenn sie die Wohnung verlassen, fürchten sie im Treppenhaus auf die Der Weber zu stoßen
und dem nächsten Streit direkt in die Arme zu laufen.
Am liebsten würden die Lehmanns sofort ihre Kisten packen, doch vorher gilt es, eine neue Bleibe zu finden.
In den kommenden Wochen und Monaten schaut sich das Paar insgesamt 13 Wohnungen an.
Doch letztendlich kommt für sie keine der Wohnungen in Betracht.
Entweder sind sie zu teuer oder sie gefallen ihnen schlichtweg nicht.
Aus einem baldigen Umzug wird also erstmal nichts, weshalb die beiden nun stattdessen einen anderen Schritt gehen.
In ihrer Verzweiflung wenden sich die Lehmanns an einen Mieterverein.
Das sind Organisationen, deren Aufgabe es ist, MieterInnen bei Problemen zu unterstützen und beratend zur Seite zu stehen.
Mithilfe eines Anwalts setzen sie ein Schreiben an ihren Vermieter auf.
Darin berichten sie dann von all den Beleidigungen, Belästigungen und Konflikten mit Dieter Weber.
Margarete und Rolf bitten um die Einleitung rechtlicher Schritte.
Denn sollte sich das Ganze noch weiter hochschaukeln und es eines Tages zu schweren Vorfällen kommen,
trage der Vermieter schließlich eine Mitverantwortung, weil niemand, Zitat, dem Treiben des Herrn Webers Einhalt geboten habe.
Und da wollte ich jetzt wissen, stimmt das, was die da schreiben?
Ist das so? Kann man da einen Vermieter in die Verantwortung nehmen?
Das habe ich Moritz Thorgau gefragt.
Er ist Fachanwalt für Miet- und Eigentumsrecht in unserer Vertrauenskanzlei Abel und Kollegen.
Den Vermieter trifft grundsätzlich keine Fürsorgepflicht für seine Mieter.
Dies bedeutet, dass dieser nicht dafür Sorge zu tragen hat, dass es diesen gut geht.
Den Vermieter treffen lediglich die gesetzlichen Pflichten,
das heißt die Zurverfügungstellung und Erhaltung der Mietsache während der Mietdauer
in einem für den vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustandes.
Kommt es dann, wie hier im vorliegenden Fall, zu massiven Belästigungen durch andere Mieter,
so könnte darin ein Verstoß gegen die vorgenannte Erhaltungspflicht gesehen werden.
Sprich, es liegt ein Mangel vor.
Dies ist jedoch immer eine Frage des Einzelfalls und muss unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Belästigung beurteilt werden.
Eine Verpflichtung zu reagieren und so einen Streit zwischen den MieterInnen zu klären, gibt es also für Vermietende nicht.
Dennoch sagt Moritz Schorger, sei es nachvollziehbar und auch richtig, dass Margarete und Rolf diesen Schritt gegangen sind.
Der Vermieter steht sozusagen über allen Mietern.
Im Dreiecksverhältnis zwischen zwei Mietern ist der Vermieter der gemeinsame Punkt.
Das heißt, der Vermieter hat zwar als solches keine Fürsorgepflicht,
heißt, wie dargestellt, er muss jetzt nicht dafür Sorge tragen, dass es dem Mieter an nichts mangelt, es ihm gut geht etc.
Aber er ist doch tatsächlich Ansprechpartner für die Mieter
und damit an erster Stelle auch nach Ausmaß der Störung der regelnde Ansprechpartner.
Also wir halten fest, rechtlich ist es erstmal okay, dass sich der Vermieter nicht meldet.
Warum es dennoch allein aus Eigennutzern voll gewesen wäre, sich der Sache anzunehmen,
darauf kommen wir später nochmal zurück.
Die Lehmanns und auch die Kühns jedenfalls fühlen sich von ihrem Vermieter ein bisschen alleine gelassen.
Allein mit dem täglichen Terror, allein mit ihrem Kummer.
Vor allem Lothar fürchtet sich mittlerweile regelrecht vor dem tyrannischen Hausbewohner.
Als der 51-Jährige in den Wintermonaten im Ausschankbetrieb seiner Familie auf dem Augsburger Weihnachtsmarkt arbeitet,
vertraut er sich einer Kollegin an und erzählt, dass er Zitat
Bammel habe, später nach Hause zu fahren.
Er habe Angst vor seinem Nachbarn, der ihn seit Jahren grundlos anfeinde und ihn manchmal schon in der Garage abfange.
Es ist eine Offenbarung, die Lothar Kühn wohl auch gegenüber den Lehmanns macht.
Manchmal bittet der 51-Jährige, wenn Frau Heike und Sohn Jonas nicht zu Hause sind,
Rolf und Margarete ihn zu seiner Wohnung im Obergeschoss zu begleiten, sobald er nach Hause kommt.
So sehr graut ihm die Vorstellung, alleine auf Dieter Weber zu treffen,
dem er mittlerweile offenbar mehr zutraut als nur böse Worte.
Außerdem hat Rolf neulich beim gemeinsamen Kaffee mit Lothar erfahren,
dass er mittlerweile immer seine Handykamera in der Hosentasche anschaltet,
sobald er das Haus betritt oder verlässt.
Zwar könne die Kamera durch die Hosentasche hindurch kein Bild aufzeichnen,
aber wenn Dieter Weber handgreiflich werden sollte, so Lothar, habe er es wenigstens auf Ton.
Es ist eine traurige Entwicklung, die zeigt, wie sehr Dieter Weber den Alltag seiner NachbarInnen mittlerweile bestimmt
und offensichtlich alle damit rechnen, dass die Lage eines Tages eskalieren könnte.
Und genau diese Vorahnung wird schließlich Ende Oktober 2022 Realität.
Es ist ein Freitagnachmittag, Margarete und Rolf Lehmann halten sich gerade im Bereich der Garage auf,
wo Margarete Unkraut jäten will, als sie dort auf Dieter Weber treffen.
Jetzt kommt das Arschloch auch noch, kommentiert er Rolfs Erscheinen.
Rolf ermahnt sich zur Ruhe.
Doch Rolfs Ignoranz heizt Dieter Weber offensichtlich nur noch mehr an.
Er beginnt nun wieder einmal, Rolf ausgiebig zu beschimpfen.
Kurz darauf stößt Lothar kühn zu der Situation dazu.
Was ist denn nun schon wieder los?
Erkundigt er sich genervt.
Unwissend, dass er sich mit dieser Aussage nun in den Mittelpunkt des Konflikts navigiert.
Du kommst mir gerade recht, schreit Dieter Weber ihn mit erhobener Faust an
und verschwindet in seine Wohnung.
Doch Ruhe kehrt damit noch nicht ein.
Aus dem geöffneten Küchenfenster setzt der mittlerweile 63-Jährige das fort, womit er bei den Garagen begonnen hat.
Pöbeln.
Zu Dieter Webers offensichtlichem Lieblingswort Arschloch gesellen sich nun auch Hartz-IV-Empfänger und Wichser.
Besonders kreativ wird er bei den Frauen.
So wirft er Heike vor, sie würde, Zitat, den ganzen Tag nur in der Wohnung flacken, also faul herumliegen.
Und Margarete ruft er entgegen, du verfoulst doch schon von innen heraus.
Schau dich nur an, wie lahmarschig du daherkommst.
Doch heute belässt es der 63-Jährige offensichtlich nicht nur bei seinen Worten.
Nach seinem verachtenden Monolog durchs Küchenfenster kehrt Dieter Weber zu der Gruppe zurück.
Mit erhobener Hand marschiert er nun auf Rolf Lehmann zu.
Und als Margarete sich schützend vor ihren Mann stellt, passiert es.
Der Störnfried schlägt zu.
Auf Höhe des Brustkorbs trifft Dieter Webers Haus die 71-Jährige.
Der Schlag ist gezielt und kräftig.
Und auch wenn er Margarete keine ernste Verletzung zufügt,
so sorgt er dennoch dafür, dass aus der ohnehin schon aufgeladenen Situation ein heilloses Durcheinander wird,
das erst dann aufgelöst wird, als Margarete die Polizei verständigt
und BeamtInnen vor dem Mietshaus parken, die dem Streit ein Ende setzen.
Der handgreifliche Streit zwischen Dieter Weber und den NachbarInnen markiert den Beginn einer neuen Eskalationsstufe.
Bisher hatte man den Streit versucht unter sich und dem Vermieter zu klären.
Jetzt wurden Behörden eingeschaltet.
Doch das sorgt bei dem 63-Jährigen nicht dafür, dass er sich zurücknimmt.
Im Gegenteil.
Er tritt nun noch feindseliger auf, noch aggressiver,
was wiederum dafür sorgt, dass die Lehmanns und die Kühns nun immer wieder die 110 wählen.
Mehrfach rücken Streifenwagen an, um zu schlichten.
Mittlerweile versuchen sie Dieter Weber ganz zu meiden.
Und wenn sich ihre Wege doch kreuzen, dann versuchen sie ihn nicht anzuschauen,
um ihn nicht zu provozieren.
So ein bisschen wie bei Medusa, nur halt nicht aus Angst zu versteinern,
sondern aus Furcht den nächsten Streit zu entfachen.
Doch der lässt nicht lange auf sich warten.
So kommt es eines Nachmittags zu einem erneuten Zwischenfall,
als die Lehmanns Besuch von Sohn Finn, dessen Partnerin Nadine und den Enkelkindern haben.
Die Jungs, acht und zehn Jahre alt, sind gerade im Garten am Kicken,
als ein Schuss den Ball aufs Garagendach katapultiert.
Finn greift zur Leiter, doch die reicht nicht aus.
Schließlich nimmt er ein paar kleinere Steine und wirft sie gezielt gegen den Ball,
damit der auf der anderen Seite herunterrollt.
Doch das bleibt selbstverständlich nicht unbemerkt,
denn nur kurze Zeit später öffnet sich im Obergeschoss ruckartig ein Fenster
und das zornige Gesicht von Dieter Weber blickt heraus.
Sind sie dumm?
brüllt er in Richtung Finn Lehmann herunter.
Rolfs Sohn versucht den verstummten Nachbarn zu besänftigen und sich zu erklären,
doch an einem vernünftigen Gespräch ist Dieter Weber gar nicht interessiert.
Völlig außer sich bezeichnet er Finn Lehmann als Arschloch und Wichser,
der mit den Steinen seine Rollläden getroffen habe.
Rolf und Margarete sind entsetzt.
Solche Ausdrücke vor den Kindern.
Dabei bemühen sich die Lehmanns seit eh und je darum,
dass die Kleinen immer besonders ruhig sind, wenn sie bei den Großeltern sind.
Im November 2022, die Streitereien halten mittlerweile seit zweieinhalb Jahren an,
wagen die Lehmanns schließlich einen weiteren Versuch,
Kontakt mit der Vermietung aufzunehmen.
Nachdem die Worte ihres ersten Briefs offenbar verpufften,
setzten sie nun ein neues Schreiben auf,
in dem sie das Verhalten ihres Nachbarn anprangern und klar machen,
dass es nun wirklich an der Zeit sei, sich dem Störenfried des Mietshauses zur Brust zu nehmen.
Und zu ihrer eigenen Überraschung finden ihre Zeilen diesmal Gehör.
Etwa zwei Wochen später betritt Brunhilde Döring das Vier-Parteien-Haus,
in dem seit Jahren Nachbarschaftskrieg herrscht.
Nachdem ihr Mann kürzlich verstorben ist,
ist sie nun die Vermieterin der Immobilie und zugleich Ansprechpartnerin für die MieterInnen.
Brunhilde Döring sucht das Gespräch und verlangt, dass sich alle zusammenreißen.
Man solle sich aussprechen und endlich miteinander zurechtkommen.
Wer das nicht könne, müsse sich eine neue Wohnung suchen.
Rolf und Margarete geben sich gefasst.
Doch in Wirklichkeit sind sie enttäuscht.
Irgendwie miteinander zurechtkommen.
Wenn das so einfach wäre, dann hätten sie sich doch nie an die Vermietung gewandt.
Ihnen wäre es am liebsten gewesen, wenn sie Dieter Weber aus der Wohnung geschmissen hätte.
Doch zu mehr als einer Aufforderung, die ständigen Konflikte zu beenden,
sah die Vermieterin sich offensichtlich nicht verpflichtet.
Und wir haben vorhin ja schon festgestellt,
als wir über den ersten Brief der Lehmanns an die Vermietung gesprochen haben,
da gibt es jetzt keine rechtliche Verpflichtung für VermieterInnen einzugreifen,
wenn es Nachbarschaftshof gibt.
Dennoch, sagt unser Experte Moritz Thorgau,
hätte die Vermieterin deutlich mehr machen können,
als einfach zu sagen, dass sich alle vertragen sollen.
Den belästigenden Mieter bzw. der Mieter, der hier die Bedrohungen ausgesprochen hat,
der also der Problempunkt war, hätte von der Vermieterin abgemahnt werden müssen.
Dieser hätte diesen also schriftlich auffordern müssen,
sein Verhalten zu unterlassen und gleichzeitig eine Kündigung androhen müssen.
Das heißt, ich mahne den Mieter ab, unterlasse bitte dein vertragswidriges Verhalten.
Hier im folgenden Fall war das vertragswidrige Verhalten ja die irgendwie geartete Störung des Hausfriedens.
Klar, ich brauche hier eine gewisse Intensität und ich brauche auch entsprechende Nachweise.
Heißt, wenn es nur einmal Krach zwischen zwei Mietern gab,
ist dies noch keine Störung des Hausfriedens.
Im vorliegenden Fall lagen die Anhaltspunkte jedoch dafür vor,
dass tatsächlich eine Kündigungsandrohung hätte ausgesprochen werden müssen.
Mit der Folge, dass, wenn keine Besserung eingetreten wäre,
auch hier die Kündigung hätte ausgesprochen werden müssen.
Denn bei einer extremen und dauerhaften Störung des Hausfriedens ist es so,
sagt Moritz Thorgau, dass MieterInnen das Recht haben, ihre Miete zu mindern,
weil dann eine Beeinträchtigung der Wohnqualität vorliegt,
die so eine Minderung rechtfertigt.
Und das wollen VermieterInnen in der Regel ja nicht.
In unserem Fall gibt es jetzt aber keine Abmahnung,
sondern eben nur die Gespräche mit der Bitte der Vermieterin,
dass sich doch alle mal zusammenreißen mögen.
Jetzt muss man aber auch dazu sagen,
Brunhilde Döring ist sich zu dem Zeitpunkt offenbar gar nicht so sicher,
ob Dieter Weber hier der Auslöser des ganzen Streits ist,
denn der wohnt ja schon ewig in dem Haus
und die längste Zeit gab es keinen Stress mit ihm.
Erst als die Lehmanns eingezogen sind,
hat sie dann davon erfahren, dass es Probleme gibt
und bei ihr liegt jetzt offenbar der Verdacht nahe,
dass mit den Lehmanns auch die Unruhe ins Haus eingezogen ist.
Und da der Besuch der Vermieterin keine Konsequenzen nach sich zieht,
macht Dieter Weber einfach weiter wie zuvor.
Er flucht, schimpft und beleidigt und macht den Lehmanns und Kühns
das Leben im Mehrparteienhaus schlichtweg zur Hölle.
Am 28. Juli 2023, Rolf ist gerade dabei,
Altpapier in die gemeinsame Mülltonne zu schmeißen,
taucht der inzwischen 64-Jährige auf
und bezeichnet ihn mal wieder als Arschloch.
Rolf ist genervt.
Wie oft muss er sich solche Situationen noch antun?
Selber Arschloch, zischt er zurück und macht sich auf den Weg in seine Wohnung.
Dieter Weber ruft ihm hinterher,
Du bist doch ein Depp.
Du bist doch geistig zurückgeblieben.
Du wirst mich noch kennenlernen.
Dann fügt er hinzu, dass Rolf ja wieder einmal die Polizei rufen könne.
Schließlich könne er das ja so gut.
Die Telefonnummer, sagt Dieter Weber, habe er zufällig zur Hand.
Es sei die 110.
Also offenbar eine sarkastische Bemerkung des Rentners.
Doch Rolf beschließt, seinen Nachbarn beim Wort zu nehmen.
Zurück in seiner Wohnung greift er daher zum Hörer,
um tatsächlich die Polizei zu kontaktieren.
Nicht ahn, dass dieses Telefonat den Auftakt einer Katastrophe bildet
und der jahrelange Nachbarschaftsstreit in wenigen Stunden
sein dramatisches Finale erreichen wird.
Zurück in die Wohnung der Lehmanns.
Die Uhr zeigt 19.02 Uhr,
als sich Rolf und Margarete von ihren Plätzen im Wohnzimmer erheben.
Bis eben haben sie einen geselligen Spieleabend miteinander verbracht,
der seinen entspannten Abschluss nun vor dem Fernseher finden soll.
In wenigen Minuten beginnen die Nachrichten, die sie nie verpassen.
Während Margarete vorher noch einmal kurz die Toilette benutzt,
verschwindet Rolf in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.
Dann zerreißen plötzlich drei Knallgeräusche die Stille.
Laut, dumpf, kurz hintereinander.
Rolf erschreckt.
Was zum Teufel war das denn?
Doch bevor er sich ernsthaft darüber Gedanken machen kann,
ertönt ein vierter Knall.
Und zwar deutlich lauter als die drei davor.
Irritiert verlässt der Rentner die Küche und tritt hinaus in den Wohnungsflur.
Der Anblick, der ihn dort erwartet, lässt das Blut in seinen Adern gefrieren.
Auf dem Boden liegt Margarete.
Seine Grete, wie er sie immer liebevoll nennt.
Die 72-Jährige bewegt sich nicht.
Neben ihrem leblosen Körper liegt ein Projektil.
Auf Spionhöhe weist die Tür ein deutlich sichtbares Loch auf.
Auf Margarete wurde geschossen.
Das ist Rolf sofort klar.
Panisch rennt er zu seiner Frau und entdeckt, als er sich zu ihr hinunterbeugt,
dass Blut aus ihrem Kopf strömt.
Verzweifelt tastet der Rentner Hals und Handgelenke seiner Frau ab.
Doch da ist nichts.
Kein Puls.
Kein Lebenszeichen.
Während das Adrenalin durch Rolfs Blutbahn rast, greift er zum Telefon, um den Notruf zu verständigen.
Schnell, schicken Sie jemanden, bettelt er verzweifelt in den Hörer.
Auf meine Frau wurde geschossen.
Die Beamtin in der Einsatzzentrale versichert Rolf, dass die Rettungskräfte auf dem Weg zu ihm seien.
Doch wirklich beruhigen tut ihn das nicht.
Grete, Grete, wimmert er verzweifelt.
Um den Rettungskräften, die das Leben seiner Frau hoffentlich noch retten können, Zugang zu verschaffen,
öffnet Rolf die Wohnungstür.
Vor ihm steht Ingrid Weber, die Ehefrau von Dieter Weber.
Um Gottes Willen, ruft sie, als sie Margarete Lehmann im Wohnungsflur liegen sieht.
Oben würden noch die Kühns liegen, sagt sie.
Mit dem Hörer in der Hand rennt Rolf die Stufen hinauf ins Obergeschoss.
Und tatsächlich, dort im Treppenhaus sieht er sie.
Lothar und Heike.
Die Blutlache, die sie umgibt, lässt Rolf das Schlimmste vermuten.
Als er näher an sie herantritt, ist ihm klar, für die beiden kommt jede Hilfe zu spät.
Sie sind tot.
Rolf informiert die Beamtin am Telefon über die schockierende Entdeckung und bittet sie um Eile.
Alles, was Reda hat, ist unterwegs zu ihnen.
verspricht sie ihm.
Rolf ist fassungslos.
Er und Margarete wollten sich einen gemütlichen Abend machen, sich zu zweit auf die Couch pflanzen
und jetzt findet er sich plötzlich in diesem absoluten Albtraum wieder.
Wird seine Frau durchkommen?
Rolf weiß es nicht.
Doch zumindest eines ist ihm klar.
Wer für dieses Blutbad hier im Mietshaus verantwortlich ist.
Wir haben gewarnt, sagt Rolf der Beamtin am Telefon immer wieder.
Wir haben doch immer wieder gewarnt.
Und so findet sich Rolf Lehmann wenige Monate später im Gerichtssaal des Augsburger Landgerichts wieder.
Als er seine Sicht der Dinge schildert, ist es mucksmäuschenstill.
Kein Getuschel, kein Rascheln.
Nur seine brüchige Stimme, die von dem Abend erzählt, an dem aus seinem Zuhause ein Tatort wurde.
Jahrelanger Terror, tagtägliche Konflikte und der schlimmste Tag seines Lebens.
Von all diesen Dingen hat Rolf Lehmann soeben hier im Zeuginnenstand des Augsburger Landgerichts erzählt.
Den Rentner hat seine Aussage viel Kraft gekostet, obwohl die Tat fast ein Jahr her ist und Rolfs seelische Wunden, die Dieter Weber ihm zugefügt hat, noch lange nicht verheilt.
Wie auch?
Sein Nachbar hat ihm das Liebste genommen, seine Grete.
Die 72-Jährige hat den verhängnisvollen Juliabend 2023 nicht überlebt.
Rolf Lehmann weiß inzwischen, dass Dieter Weber, nachdem er vom Döneressen nach Hause gekommen war, von einer Nachbarin, die von ihrem Balkon direkten Blick auf die Fenster der Webers hat, dabei gesehen wurde, wie er den Vorhang zur Seite schob, sich am Fensterbrett abstützte, sich darüber beugte und die Kühns dabei beobachtete, wie sie ihre Einkäufe in Richtung Haus trugen.
Als die Kühns im Treppenhaus verschwanden, schloss auch Dieter Weber wieder Fenster und Vorhang.
Kurz darauf ertönten im Haus die drei Schüsse.
Lothar hatte er, nachdem er eine Pistole aus seinem Waffenschrank genommen und sich einen Gehörschutz aufgesetzt hatte, von hinten in den Kopf geschossen, während er gerade dabei war, die Wohnungstür aufzuschließen.
Als Heike schrie, schoss er auch ihr in den Kopf.
Zweimal, beim letzten Mal, aus nächster Nähe, gegen die Schläfe.
Seine Grete ist zur Wohnungstür gerannt, um durch den Spion zu schauen, was da im Hausflur vor sich ging.
Und genau das hatte, so nimmt es die Staatsanwaltschaft an, Dieter Weber auch vermutet und deswegen einfach auf die Tür geschossen.
Was der 65-Jährige jedoch nicht wusste, er hatte bei seinem Massaker einen Zeugen, und zwar einen digitalen.
Da Lothar Kühn aufgrund seiner Angst vor Dieter Weber bereits Monate zuvor begonnen hatte, seine Handykamera zu starten, sobald er das Treppenhaus betrat, hatte er auch an diesem Abend den Aufnahmeknopf gedrückt.
Zwar sollte ihm diese Sicherheitsmaßnahme, wie er sie selbst einmal im Gespräch mit Rolf bezeichnet hatte, letztendlich nicht das Leben retten.
Doch immerhin gleicht das bildlose Video, das in Lothars Hosentasche aufgezeichnet wurde, einem akustischen Protokoll der Taten.
Und so können alle Anwesenden, als das Video im Saal abgespielt wird, hören, wie sich Lothar und Heike zunächst vor ihrer Wohnungstür unterhalten.
Plötzlich, der erste Schuss fällt, Heike laut aufschreit und dann drei weitere Schüsse fallen, die sowohl Heike Kühn als auch Margarete Lehmann töten.
Rolf kann das alles noch immer nicht fassen.
Wie kann jemand so viel Hass entwickeln, dass er erst Lothar und Heike hinrichtet und danach seine Frau?
Drei Menschen hat Dieter Weber innerhalb von wenigen Sekunden aus dem Leben gerissen.
Eine grausame Bilanz.
Und doch, das weiß Rolf, hätte es noch schlimmer kommen können.
Denn Dieter Weber war mit seinem Todesfeldzug noch nicht fertig, als er das Wohnhaus verließ.
Nur wenige Minuten nach dem Massaker machte sich der 64-Jährige offenbar noch immer mit Gehörschutz auf den Ohren,
mit Revolver und Pistole bewaffnet, in seinem Auto auf den Weg zur Wohnung vom Sohn der Lehmanns, der gerade einmal 600 Meter entfernt wohnt.
Der stand gerade in der Küche und war dabei, das Abendessen zuzubereiten, als es zweimal hintereinander an der Tür klingelte.
Finn ist davon ausgegangen, es seien seine Eltern, weil die immer genau so klingelten, wenn sie zu Besuch kamen.
In der Annahme, es seien Margarete und Rolf, betätigte Finn Lehmann daher den Sommer und ließ somit Dieter Weber ins Haus.
Der richtete bereits im Treppenhaus die Waffe auf ihn.
Als Finn die Waffe in den Händen des 64-Jährigen sah, rannte er in die Wohnung zurück und schrie Nadine Tür zu entgegen.
Gemeinsam drückten sie anschließend seitlich am Türrahmen stehend, mit voller Kraft gegen die Tür, um zu verhindern, dass Dieter Weber sich gewaltvoll Zutritt verschafft.
Doch Dieter Weber schoss, wie zuvor auch schon bei Fins Mutter, durch die Tür.
Insgesamt viermal.
Zwei dieser Kugeln trafen sowohl Finn als auch Nadine am Arm.
Doch bis auf schmerzhafte Streifschutzverletzungen ging die Attacke von Dieter Weber für sie glimpflich aus.
Wohl auch, weil Dieter Weber in der Annahme war, dass er die beiden tödlich erwischt hatte und deswegen floh.
Jetzt fragt ihr euch vielleicht, wieso rennt der denn jetzt auch noch zu den Kindern, dass er seine NachbarInnen als Bedrohung empfindet, eine Sache, aber deren Angehörigen, was hat der gegen die?
Die Frage habe ich Walter Rubach gestellt.
Wenig eigentlich, aber es kumulierte zu dem Punkt, die sind alle gegen mich, die wollen mich ärgern.
Es wird immer das Beispiel des Ballons benommen.
Überlegen Sie mal, ein Ballon wird langsam aufgepustet.
Den kann man dann auch wieder langsam leeren lassen, indem man ihn einfach öffnet.
Das wäre die vernünftige Art und Weise.
Was aber passiert ist, der Ballon wird immer weiter aufgeblasen.
Die Frustration, der Ärger, der eingebildete Ärger, die Störungen blasen den Ballon auf.
Und irgendwann sind es ein winzig kleiner Auslöser, eine ganz, ganz, ganz kleine spitze Nadel und dann knallt es.
Das mag sich jetzt seltsam anhören, dass die Störungen für Dieter Weber immer mehr zugenommen haben, bis er geplatzt ist, denn für alle anderen war ja er der Verursacher.
Und er hat gestört. Wieso das war, dazu komme ich später noch.
Wir halten jetzt hier erstmal fest, Dieter Weber wollte die gesamte Familie Lehmann auslöschen, die Kinder als vollweisend zurücklassen, ohne Großeltern.
Jedes Mal, wenn Rolf Lehmann heute eine Klingel hört, dann zuckt er innerlich zusammen.
Es schmerzt ihn so sehr, dass er jetzt im hohen Alter auf diese Weise seine Frau verloren und eine traumatisierte Familie hat.
Und das alles wegen nichtigen Streitigkeiten unter NachbarInnen.
Doch Konflikte, so wird im Verlauf des Prozesses klar, hatte Dieter Weber nicht nur mit den Menschen, mit denen er Tür an Tür lebte.
Das Thema Streit stellt vielmehr einen roten Faden dar, der sich durch sämtliche Bereiche seines Lebens zieht.
So auch seine Ehe.
Zwar will sich Dieter Weber im Prozess nicht zu den Taten an sich äußern.
Wegen des Blackouts sei bei ihm das ja auch gar nicht möglich.
Über seine Ehe mit Frau Ingrid hat er allerdings einiges zu sagen.
Und zwar ausschließlich Schlechtes.
Dieter Weber berichtet, dass Ingrid seine zweite Ehefrau ist, die er 2008 geheiratet habe, was er heute, 15 Jahre später, bereue.
Er sei mit der Beziehung zu ihr damals, Zitat, falsch abgebogen in seinem Leben und habe sich von Ingrids gutem Aussehen blenden und von seinem Sexualtrieb steuern lassen.
Von Liebe sei von Anfang an keine Rede gewesen.
Und geheiratet hätten sie ohnehin nur aus steuerlichen und finanziellen Gründen.
Im Laufe der Jahre, so Dieter Weber, habe sich die Stimmung zwischen ihnen zunehmend verschlechtert.
Die Distanz zwischen ihnen sei immer größer geworden.
So hätten sie schon lange nicht mehr gemeinsam gegessen oder in einem Zimmer geschlafen.
Das Einzige, was Dieter Weber nachts Gesellschaft leistet, sind seine Pistolen und Revolver, die er in seinem Zimmer im Waffenschrank lagert.
Die ständigen Streitereien seien, so schildert es Dieter Weber, natürlich auf das Benehmen seiner Frau zurückzuführen.
Eifersüchtig und streitlustig, so bezeichnet er Ingrid.
Außerdem, sagt der 65-Jährige, sei er sich sicher, dass sie an fortgeschrittener Demenz leide.
Schließlich mache die 75-Jährige immer das Gegenteil von dem, was er ihr sage und würde beim Einkaufen regelmäßig Dinge vergessen,
Obwohl sie sich vorher eine Liste mache, ob seine Frau diese Diagnose wirklich gestellt bekommen hat, das wissen wir nicht.
Und generell finde ich es auch nicht schlimm, wenn sie sich dem widersetzt, was er von ihr will.
Auch am 28. Juli, jen Tag, dessen Ereignisse dazu geführt haben, dass Dieter Weber nun auf der Anklagebank sitzt,
sei es in einem Sportfachgeschäft zu einem Streit zwischen ihm und seiner Frau gekommen.
Ingrid habe an einer der Selbstscankassen im Laden bezahlen wollen, aber einfach nicht verstanden, wie das funktioniere.
Darüber hätten sie gestritten, sowohl im Laden als auch während der gesamten Autofahrt nach Hause.
Das klingt nach einer wirklich tollen Beziehung.
Was der 65-Jährige seiner Frau besonders ankreide, so schildert er, sei die Tatsache,
Dieter Weber, so wird es in seiner Aussage deutlich, sieht sich als Opfer.
Ein Opfer, das von seinen Mitmenschen, allen voran seinen NachbarInnen und seiner Ehefrau, schlecht behandelt wurde.
Ingrid Weber verweigert zwar ihre Aussage vor Gericht, die Kammer braucht sie aber gar nicht,
um zu überprüfen, ob das Bild, das Dieter Weber zeichnet, sich mit der Realität deckt.
Die Ermittlungen haben das bereits offengelegt.
In den vergangenen Monaten haben BeamtInnen etwa 700 WhatsApp-Nachrichten zwischen Dieter und Ingrid Weber ausgewertet.
Es sind Nachrichten, in denen sich der Angeklagte nicht nur lieblos und rechthaberisch gibt,
sondern die zugleich deutlich machen, dass nicht Ingrid, sondern er der Streithansel in ihrer Beziehung war.
Das zeigt auch etwa ein Chatverlauf vom 6. August 2022.
Nachdem es zwischen dem Paar offensichtlich wieder einmal zum Streit gekommen ist,
schreibt Dieter Weber seiner Frau, dass er weggefahren sei, weil er den ständigen Stress nicht aushalte.
Er würde nur ihretwegen sinnlos Benzin verfahren.
Ingrid Weber antwortet daraufhin,
Du hast mich doch beschimpft, weil ich das mit dem Telefon nicht gleich gekonnt habe.
Wegen jedem bisschen gehst du in die Luft.
In vielen der Nachrichten schreibt Ingrid ihrem Mann, dass man ihm nichts recht machen könne und er an allem etwas auszusetzen habe.
In einem Verlauf ist zu lesen, dass Dieter Weber nach einem Streit wieder einmal unangekündigt weggefahren ist.
In seinen Nachrichten beschwert er sich dann darüber, dass er so viel Miete zahle, aber nie zu Hause sein kann, weil er sie nicht um sich haben möchte.
Daraufhin antwortet ihr Mann, also sie schreibt das Wort normal und er antwortet,
Das schreibt man mit V. Tut man nicht, aber egal.
Also nachdem ich die Nachrichten gelesen habe, muss ich sagen, die lesen sich wie die eines bockigen Kindes.
Ich habe eine Bekannte, die hat mir mal erzählt, dass ihr Kind eines Morgens aufgewacht ist und einen Trobsuchtsanfall bekommen hat,
weil die Mutter, also sie, schon vorher wach war.
Und das Kind hatte sich an dem Tag einfach in den Kopf gesetzt, nee, es möchte aber vor der Mama wach sein.
Und so liest sich das hier auch. Diese Nichtigkeiten, wegen derer er an die Decke geht, die kann man einfach nicht nachvollziehen.
Also man versteht wirklich nicht, wieso er so ist und vor allem, warum er so zu seiner Frau ist.
Das ist eh so ein Ding, weil seine Frau ist eigentlich die einzige Person, die er im Leben noch hat.
Also mit allen anderen hat er sich verworfen, auch mit der Familie seiner Frau und er hat kein richtiges Umfeld.
Also der ist seit 1985 im Schützenverein, aber auch dort hat er wenig Kontakt mit anderen und ist auch beim Schießen meist allein.
Ich meine, ist jetzt nicht sonderlich verwunderlich, denn offenbar ist er ja jemand, der im Verhalten total unvorhersehbar ist.
Ingrid Weber bringt es einmal so auf den Punkt.
Mit dir sitzt man wie auf einem Vulkan, der jeden Augenblick explodieren kann.
Eine Nachricht, die wie eine böse Vorahnung klingt, denn Dieter Webers Taten, um die es in diesem Prozess hier geht, machen deutlich.
Er, der Vulkan, ist explodiert. Und zwar mit voller Wucht.
Aber sind die Erinnerungen an diesen Ausbruch wirklich erloschen, verschluckt worden wie von einem schwarzen Loch?
Dieter Weber selbst behauptet jedenfalls noch immer, sich nicht an seine Taten erinnern zu können.
Gleich nachdem eine Polizeistreife die Verfolgung von Dieter Weber in seinem Pkw aufgenommen hatte und sie ihn festgenommen haben, gab er an, sich an nichts erinnern zu können.
Doch ist das glaubhaft? War Dieter Weber wirklich in einem Zustand der Erregung, der letztendlich dazu führte, dass er sich an nichts erinnert?
Und kann man ihn möglicherweise deswegen nur eingeschränkt zur Verantwortung ziehen?
Um diese Frage zu beantworten, zieht das Gericht unter anderem den Sachverständigen Dr. Felix Säckmüller hinzu.
In den vergangenen Monaten hat der forensische Psychiater zwei Gespräche mit Dieter Weber geführt, um sich ein umfassendes Bild von ihm zu machen.
Sowohl von seiner Blackout-Erzählung als auch von seinem Wesen.
Seine Ergebnisse stellt Dr. Säckmüller nun im Gerichtssaal vor.
Der Psychiater macht klar, dass der Angeklagte einen nahezu ständigen Groll gegenüber seinen Mitmenschen an den Tag lege und die Neigung habe, erlebt es so zu verdrehen, dass er selbst freundliches Verhalten als feindselig deute.
Sofern sei es nicht überraschend, dass der 65-Jährige all die Nachbarschaftskonflikte der vergangenen Jahre ganz anders wahrgenommen habe.
Wie beispielsweise den Vorfall mit dem Ball.
Dieter Weber, so der Sachverständige, ist überzeugt davon, dass die Lehmanns schlichtweg keine Rücksicht auf ihn genommen hätten.
Die Steine seien immer wieder gegen seine Rollläden geprallt, dabei habe er gerade versucht zu schlafen.
Als er sich daraufhin erkundigt habe, was die Lehmanns da machen, hätte Rolfs erwachsener Sohn Finn unfreundlich reagiert und ihn zurechtgewiesen, dass ihn das gar nichts angehe.
Auch den handgreiflichen Streit im Oktober 2022 schildert Dieter Weber ganz anders.
Dieter Weber, so erzählt der Gutachter, habe ihm in den Gesprächen klargemacht, dass er keinesfalls Schuld an der schlechten Stimmung im Mietshaus habe.
All die Konflikte seien stets von den Lehmanns und Kühns ausgegangen.
Ständig hätten sie beleidigt und provoziert.
So auch am 28. Juli 2023, dem Tattag.
Nach dem Streit mit Rolf Lehmann, bei dem Dieter Weber seinem Nachbarn selbst noch nahegelegt hatte, die 110 zu rufen, sei er noch einmal weggefahren, um sich abzureagieren.
Er besuchte einen Friedhof und aß danach einen Döner.
Wenig später habe seine Frau Ingrid ihm am Telefon mitgeteilt, dass die Polizei da gewesen sei und er sich auf der Wache melden solle.
Die Tatsache, dass Rolf Lehmann nach dem Streit tatsächlich wieder einmal die Polizei verständigt habe, habe Dieter Weber laut eigenen Worten, Zitat,
den Vogel rausgeschossen.
Der kann Sprichwörter offenbar genauso gut wie ich.
Als er wieder zu Hause angekommen sei, habe Lothar Kühn sich mit einem Schraubwerkzeug bedrohlich vor ihm aufgebaut und gesagt, dass er bald tot sei, wenn er noch einen Ton sage und dass es jetzt wohl nicht mehr lange dauern würde, bis er endlich aus dem Haus raus sei.
Dass Dieter Weber innerhalb von wenigen Stunden laut eigener Aussage von drei Leuten angepöbelt worden sei, nämlich Frau Ingrid, Rolf Lehmann und Lothar Kühn, sehe der Angeklagte selbst, so sagt es der Gutachter, als Grund dafür, dass er psychisch ausgetickt sei und einen Blackout gehabt habe.
Jetzt muss man dazu sagen, nur weil sich langsam vor Gericht abzeichnet, dass es alles nicht so war, wie Dieter Weber es dargestellt hat, heißt das nicht automatisch, dass seine persönliche Wahrnehmung der Situation nicht trotzdem zu einer enormen emotionalen Erregung geführt haben kann.
Dr. Seckmiller erzählt, dass der 65-Jährige bei den Gesprächen angegeben habe, nach der Begegnung mit Lothar Kühn zitternd ein Glas Wasser getrunken zu haben.
Danach könne er sich nur noch an das Bild der Leichen der Kühns erinnern und danach wieder an nichts.
Dass er zu Finn Lehmann und dessen Familie gefahren sei, das habe er angeblich erst viel später erfahren.
Erst als er von etlichen PolizistInnen verhaftet wurde, setzt seine Erinnerung größtenteils wieder ein.
Er habe der Polizei noch verraten, dass seine Waffen im Auto seien und dass er sich an die Tat nicht erinnern könne.
Und da haben wir den Knackpunkt.
Das ist das Detail, das Dr. Seckmiller während des Gesprächs mit Dieter Weber ins Auge gesprungen ist.
Bei einem echten Blackout würde man erwarten, so Seckmiller, dass der Täter zunächst einmal versuchen würde, sich zu orientieren.
Also zum Beispiel, indem er frage, wo er sei, was passiert sei.
Dieter Weber dagegen habe keine solcher Fragen gestellt, sondern gleich seine eigene Diagnose geliefert.
Dabei müsse man sich die Erkenntnis, dass es einen Blackout gab, erst einmal erarbeiten, hat uns auch die forensische Psychiaterin Dr. Christine Heisterkamp erklärt.
Dass der Täter oder der Angeklagte nach der Tat eine gerichtete Behauptung anstellt.
Also zum Beispiel sagt, ich hatte hier einen Blackout.
Das ist tatsächlich sehr untypisch für jemanden nach einer solchen Affekttat.
Es ist nicht ausgeschlossen, aber es ist eher etwas, was nicht dafür spricht, dass jemand nicht orientiert ist zu dem, was gerade passiert ist.
Sondern sie können sich das so vorstellen, dass Menschen, die quasi nach einer solchen Tat, ich sage es mal, aufwachen und dann wieder bei sich sind,
erst mal sehr verwirrt sind, erst mal schauen, wo bin ich, erst mal gucken, was ist passiert.
Vielleicht auch Fragen stellen ans Umfeld.
Was ist passiert?
Wo kommt das Blut an meinen Händen her?
Wie geht es?
Keine Ahnung, wem auch immer.
Die Täter wirken oft desorientiert, verwirrt, können Dinge, die geschehen sind, nicht einordnen.
Und dass dann jemand wirklich nach einer solchen Tat sagt, ich hatte einen Blackout, spricht eher gegen eine Verwirrung oder gegen eine Desorientiertheit,
gegen eine tiefgreifende Affektstörung.
Außerdem, so Dr. Seckmiller, habe Dieter Weber trotz angeblichen Blackouts Angaben zur Tat machen können.
Auf Nachfrage der PolizistInnen, ob es noch andere TäterInnen gab, hat er beispielsweise geantwortet, dass er Alleintäter sei.
Außerdem habe er benennen können, dass sich im Handschuhfach und Fußraum seines Autos zwei geladene Schusswaffen befinden würden.
Das sei mit einer Amnesie nicht zu vereinbaren.
Zudem spreche er alleine die Tat als solche gegen einen Blackout und Affekt.
Dr. Seckmiller erklärt, dass der Angeklagte planvoll vorgegangen sei.
Das Abpassen der Kühns im Treppenhaus, der Tatortwechsel zur Wohnung von Finn Lehmann.
All diese Schritte würden strategisch und zielgerichtet wirken und damit viel mehr für ein waches Bewusstsein sprechen.
Der Blackout, so hält es Dr. Seckmiller schließlich fest, sei folglich als eine reine Schutzbehauptung des Angeklagten zu bewerten.
Der Sachverständige ist sich sicher, in Dieter Webers Fall gab es weder einen Affekt noch einen Blackout.
Es ist ein fachliches Urteil, das Dieter Webers Anwalt Walter Rubach so nicht stehen lassen will.
Er beschließt, ein weiteres Gutachten in Auftrag zu geben.
Warum das, hat er uns im Interview erzählt.
Von dem von mir in Auftrag gegebenen psychiatrischen Gutachten habe ich mir erhofft, dass es tatsächlich diese Überlegung rüberbringt, salopp gesagt,
dass man den Fall differenzierter betrachten muss, als es geschehen ist.
Und dass er nicht deshalb mit einem Freispruch rechnen kann, sondern dass er eigentlich in der Psychiatrie gehört.
Das wäre meine Vorstellung gewesen, weil die waren ja teilweise paranoid, die Vorstellungen, die er entwickelt hatte.
Das heißt, er fühlte sich verfolgt.
Das hätte man in der Psychiatrie besser hingekriegt, denke ich.
Und allein die Tatsache dieser Störung, dass er nicht in der Lage war, einen Realitätsabgleich herzustellen in dem Moment,
das ist für mich eine Sache, die ist nicht im Gefängnis zu lösen,
sondern dort, wo Fachpersonal ist und ihm auf die Beine hilft, zu sagen, so geht das nicht weiter.
Die Psychiaterin, die Walter Rubach beauftragt, kommt tatsächlich zu einem anderen Ergebnis als Dr. Seckmüller.
Ist ja auch gut für die Verteidigung.
Also es war natürlich auch die Frage, wenn sie nicht zu einem anderen Urteil gekommen wäre,
ob er das Gutachten denn überhaupt eingeführt hätte in dem Prozess.
Jedenfalls leidet Dieter Weber ihrer Meinung nach aufgrund des jahrelangen Nachbarschaftskonflikts
höchstwahrscheinlich an einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zudem hält sie es auch nicht für ausgeschlossen, dass er an Demenz leide.
Auch hält sie es für möglich, dass bei Dieter Weber eine verminderte Steuerungsfähigkeit vorgelegen haben könne,
wodurch seine Schuldfähigkeit eingeschränkt sei.
Doch letztendlich zählt ihre fachliche Meinung im Prozess nicht.
Unter anderem, weil die Kammer der Auffassung ist, dass ihr einige Sachen,
die zu einer Begutachtung notwendig gewesen wären, nicht bekannt waren.
Manche, laut der Kammer wichtige Beweismittel,
zog sie aber in ihrer Begutachtung auch gar nicht erst ein, wie beispielsweise sein Nachtatverhalten.
Die Kammer folgt letztlich dem Gutachten von Dr. Seckmüller,
der überzeugt ist, dass Dieter Weber zum Tatzeitpunkt sowohl einsichts- als auch steuerungsfähig war
und es keinen Grund gibt, an seiner Schuldfähigkeit zu zweifeln.
Zwar lege der 65-Jährige ein paranoid gefärbtes Denken an den Tag,
das sich unter anderem darin äußere, dass er eine starke Tendenz habe,
Erlebtes zu verdrehen und selbst neutrales Verhalten als feindselig zu bewerten.
Ein Krankheitswert und eine entsprechende paranoide Persönlichkeitsstörung könne jedoch verneint werden.
Somit trifft Dieter Weber nach 14 Verhandlungstagen schließlich die volle Härte des Gesetzes.
Das Landgericht Augsburg spricht ihn schuldig.
Die Kammer hält es für erwiesen, dass der 65-Jährige im Juli vergangenen Jahres
die Leben von Heike und Lothar Kühn sowie von Margarete Lehmann auslöschte
und versuchte, das von Finn Lehmann und Freundin Nadine zu beenden.
Dieter Weber wird daher wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen,
versuchten Mordes sowie gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt,
inklusive Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Als Motiv sieht das Gericht vor allem Wut.
Dieter Weber sei sauer darüber gewesen, dass Rolf Lehmann nach einem Konflikt erneut die Polizei gerufen habe,
obwohl er ihn ja selbst dazu aufgefordert hatte.
Er habe daher zur Waffe gegriffen, um Selbstjustiz zu üben,
und die von ihm verhassten NachbarInnen zu töten.
Zwar sei es möglich, dass der Angeklagte in seiner Wut affektiv erregt gewesen sei,
auf die Schuldfähigkeit habe das jedoch keine Auswirkung.
Schließlich liege den meisten Gewalttaten eine solche Erregung zugrunde.
Es ist ein Urteil, mit dem die Kammer nicht nur für Gerechtigkeit sorgen will,
sondern zugleich klar macht, dass Dieter Webers Darstellung,
seine NachbarInnen hätten sich gegen ihn verschworen, keinen Glauben schenkt.
Für das Gericht steht fest, all die Bedrohungen und Konflikte gingen stets von ihm aus.
Er war der Störenfried.
Er war der jahrelange Aggressor.
Und von ihm geschilderte Situationen haben sich in Wirklichkeit anders zugetragen
oder haben gar nicht existiert.
Wie, dass Lothar Kühn ihn kurz vor den Taten mit einem Schraubwerkzeug bedroht habe.
Das Gericht geht davon aus, dass dies nie passiert ist.
Dieter Weber muss also für den Rest seines Lebens ins Gefängnis.
Und in Haft, so viel steht fest, wird er nicht mehr den Kontrolleur und Tyrannen spielen können.
Denn hinter Gefängnismauern und Stacheldrahtzaun gelten die Regeln von anderen.
Der 65-Jährige wird sich fügen müssen.
Anpassen müssen.
Etwas, zu dem er bisher im Leben kaum imstande war.
Für Rolf Lehmann ist die Tatsache, dass Dieter Weber von nun an hinter Gitter sitzt,
nur ein kleiner Trost.
Der Rentner ist froh über die ausgesprochene Höchststrafe.
Doch seine Frau Margarete macht das nicht wieder lebendig.
Ein Bild in einem Rahmen kann dich nicht ersetzen, stand in ihrer Todesanzeige.
Der dramatische Verlust seiner Grete hat ein Loch in Rolfs Brust gerissen, das sich wohl nie ganz schließen wird.
Regelmäßig denkt er an seine verstorbene Partnerin.
Genauso wie die Hinterbliebenen der Kühns an Lothar und Heike denken.
Dass Rolf mit seinem Schmerz nicht alleine ist und sein Schicksal mit anderen Menschen teilt,
ist ihm im Prozess besonders bewusst geworden.
Auch seine ehemaligen NachbarInnen Heike und Lothar,
zwei als gute und sympathisch geltende Leute, die mitten im Leben standen,
haben Menschen zurückgelassen, denen sie die Welt bedeutet haben.
Allen voran ihren Sohn, Jonas.
Der mittlerweile 15-Jährige war am Tag des Verbrechens,
als Dieter Weber im Treppenhaus zur Waffe griff, zum Glück nicht zu Hause.
Aber er hat an diesem Tag beide Elternteile verloren.
Eine Realität, die er nur schwer begreifen kann, wie kurz vor Prozessende deutlich wurde.
Als die Opferanwältin einen Brief von Jonas vorgelesen hat, mit dem sich der Teenager direkt an Dieter Weber wendet.
Sie haben das Schlimmste getan, heißt es darin.
Sie haben mir Papa und Mama genommen.
Jonas schreibt, dass er das alles nicht verstehe.
Dass er wissen wolle, was passiert sei.
Und dass ihn das Warum quäle.
Am Ende jedoch macht er deutlich, was ihm am wichtigsten sei.
Ich hoffe, formuliert er, sie bleiben für immer weggesperrt.
Jonas' Worte stehen stellvertretend für das, was Dieter Webers Taten hinterlassen.
Schmerz, Trauer, aber auch Unverständnis, vor allem bei Rolf.
Rolf und Margarete haben auf die Probleme im Haus aufmerksam gemacht,
sich Hilfe suchend an die Vermietung und Polizei gewandt und um Eingreifen gebeten.
Doch helfen konnte ihnen am Ende niemand.
Sie waren allein mit den Konflikten.
Allein mit einem Haustyrannen.
Und mit dieser schmerzlichen Erkenntnis wird Rolf bis an sein Lebensende klarkommen müssen.
Was hier bei Dieter Weber eine große Rolle gespielt haben müsste,
und den Verdacht hat auch Rolf Schmiel geäußert,
also der hatte ja kein Umfeld.
Er hat sich immer weiter isoliert.
Und dass man kein Korrektiv hat,
das ist für Menschen, die sich in ihre eigene Welt flüchten,
wirklich ein Problem.
Wenn man halt keinen Job mehr hat,
wenn man keine großen Hobbys mehr hat,
dann versteift man sich plötzlich auf so Kleinigkeiten.
Und ich weiß nicht, ob ihr euch daran erinnern könnt,
aber Laura und ich haben hier irgendwann auch mal
diesen Nachbarschaftsstreit in dieser Kleingartenkolonie besprochen.
Und da war das ähnlich.
Also quasi ab Rentenbeginn und dann mit dem Aufkommen noch von persönlichen Problemen,
wurde das dann richtig schlimm.
Und dieser Garten wurde dann immer wichtiger.
Und dass sich die anderen an diese Regeln halten.
Und mich beunruhigen diese Nachbarschaftsstreitigkeiten.
Denn ich denke mir immer, du kannst das halt nicht wissen.
Egal, wo ich vielleicht in meinem Leben noch hinziehe,
wo ich wohnen werde.
Ich weiß das vorher nicht.
Man weiß nicht, was für Leute hinter den anderen Türen leben.
Und die können auch am Anfang alle immer ganz nett wirken
und sich dann doch als das schlimmste Nachbarschaftsmonster herausstellen.
Und für mich ist eine Wohnung beispielsweise auch total identitätsstiftend.
Also ich bin ganz lange auch nicht umgezogen,
obwohl ich schon voll unzufrieden war,
weil ich immer Sorge hatte,
dass ich mich in einer neuen Wohnung nicht zu Hause fühlen würde.
Und da muss man natürlich ganz aktiv gegenarbeiten
und sagen, dass man sich das überall schön machen kann
und dass man überall zu seinem Zuhause machen kann.
Aber ich verstehe natürlich auch,
dass das im Alter schwieriger wird.
Und die Lehmanns sind ja nun extra schon umgezogen,
um dicht bei den Kindern zu sein.
Und wenn sie jetzt auch so viele Wohnungen angesehen haben,
das ist auch so ein bisschen das Ding,
die werden damit natürlich wahrscheinlich nicht gerechnet haben,
dass der so austickt,
weil ansonsten hätten die natürlich ihre Koffer gepackt
und wären gegangen.
Aber ich denke mir immer so,
ich wäre gar nicht bereit, so viel zu ertragen,
also wie die Lehmanns und die Kühns,
wenn man Angst hat,
dass man im Hausflur schon das Handy anschalten muss,
sowas würde ich nicht ertragen können.
Das muss so schlimm für die gewesen sein.
Ich habe noch ein paar Berichte über Studien kreuz und quer gelesen
und habe dann erfahren,
nachbarschaftliches Vertrauen und Freundschaften
stärken das Heimatgefühl.
Und trotzdem wünschen sich laut der TU Darmstadt
nur etwa 35 Prozent engeren Kontakt zu ihren NachbarInnen.
Und 50 Prozent kennen ihre direkten NachbarInnen nicht einmal.
Und da muss ich sagen,
auch wenn Nachbarschaft ein soziales Gefüge ist
und das toll ist, wenn man sich versteht,
aber ich will im meisten Fall meine Ruhe.
Also mal Hallo sagen,
das kann man, so wie Fussel das auch macht,
mit den Hündinnen in der Nachbarschaft,
einen Plausch halten.
Aber ansonsten hört es dann da auch für uns auf.
Wenn ihr euch jetzt denkt,
ach Mensch, schade, die Folge ist schon vorbei, mehr davon.
In der Sommerpause wurde eine neue Folge von Schuld und Sühne veröffentlicht.
Das ist die Doku-Reihe auf ZDF-Info, die ich immer drehe.
Link dazu packe ich euch in die Folgenbeschreibung
und demnächst kommen da auch noch zwei weitere Filme.
So, nächste Woche ist Laura wieder mit dabei und dann besprechen wir einen unglaublichen Fall,
der uns gezeigt hat, dass es auch hier in Deutschland ein Verbrechen gab,
das wirklich auf so ein paar Ebenen an Josef Fritze erinnert.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Kraser und Laura Rohlers.
Redaktion Jennifer Fahrenholz und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.