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#208 Das verlies

Mordlust.
Willkommen bei Mordlust, einem Podcast der Partner in Crime.
Hier reden wir über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge erzählen wir einen bedeutsamen, wahren Kriminalfall nach,
ordnen den für euch ein, erörtern und diskutieren die juristischen,
psychologischen oder gesellschaftlichen Aspekte
und sprechen mit Menschen mit Expertise.
Hier geht es um True Crime, also auch um die Schicksale von echten Menschen.
Bitte behaltet das immer im Hinterkopf.
Das machen wir auch, selbst dann werden wir zwischendurch mal etwas abschweifen.
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief,
aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
In dem Fall, den wir heute erzählen, geht es um eine Frau,
die eigentlich nur ihre Eltern besuchen will
und sich dann plötzlich in einem wahrgewordenen Albtraum wiederfindet.
Vorher eine Frage, Laura, hast du eigentlich schon die neue Folge von Schuld und Sühne gesehen?
Nee.
Oh, ist das ein schuldiger Blick.
Wann kam die noch mal?
Wow.
Also schon vor ein paar Wochen in der Sommerpause.
Deswegen haben wir hier noch nicht darüber geredet.
Ja, gut.
Das ist natürlich peinlich jetzt.
Nee, ist okay.
Okay.
Ist okay.
Dir sei vergeben.
Wie sollst du es auch anders erfahren, außer über unseren Podcast, ja?
Ja, eben.
Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass du dir die Folgen anguckst.
Es gibt für diese Staffel insgesamt drei.
Eine wurde jetzt schon gesendet.
Und diesmal war die Produktion der Staffel ein bisschen anders.
Ich weiß nicht.
Wir haben, glaube ich, einmal kurz drüber geredet, dass es da diesmal eine Besonderheit gab.
Ja, aber ich weiß gar nicht mehr, was für Probleme das waren.
Ja, ich habe dir wahrscheinlich nicht so viel erzählt, weil es meine Arbeit bei dem Film jetzt nicht so stark beeinflusst hat.
Aber wir mussten ja Dreharbeiten für einen Film abbrechen.
Okay, warum?
Also folgendes ist passiert.
Der betreuende Redakteur hat vorher die Fallbeteiligten informiert, hat mit einigen auch Kontakt gehabt.
Es ging auch darum, ob einige sprechen wollten.
Und dann bot sich einer der Fallbeteiligten, also von selbst an, ja?
Und der war einer der Überlebenden.
Und wie gesagt, das war von unserer Seite gar nicht so geplant.
Aber wir haben uns natürlich darüber gefreut.
Und dann gab es ein Missverständnis, was im Grunde die Organisation anging, ging da um eine Absprache.
Wirklich kein großes Ding.
Und die Person, die sich selber für das Interview angeboten hat, hat da einfach etwas falsch verstanden.
Es war eigentlich gar kein Problem, ja?
Nun muss man aber sagen, dass man bei der Person, die uns das Interview zugesagt hat, merkte,
dass das Verbrechen die Person bis heute schwer mitnimmt.
Jedenfalls hat diese Person sehr heftig auf dieses Missverständnis, was sich eigentlich super leicht aufklären ließ, reagiert.
Und hat dem Redakteur dann auch Sachen vorgeworfen, die halt einfach nicht gestimmt haben, ja?
Und diese Person wollte dann nicht mehr mitmachen, was total fein für uns war.
Aber sie wollte dann halt auch, dass der Film nicht gezeigt wird.
Und das ist für so eine Produktion natürlich Worst-Case-Szenario, ja?
Ja.
Aber wir haben uns dann letztlich dafür entschieden, dass wir den Film natürlich nicht gegen den Willen einer beteiligten Person,
die halt noch dazu Opfer wahrmachen werden.
Und da bin ich auch super happy mit der Produktionsfirma Florida Factual, die da ganz gewissenhaft gehandelt hat.
Und weißt du, weil da sitzt ja ein Team hinter, das wirklich sehr feinfühlig ist und das auch betroffen war davon, wie das alles gelaufen ist.
Und auch wenn das 0,0 in deren Verantwortung lag, aber trotzdem ist es natürlich blöd für die, weil die nicht wollen, dass jemand, der an einem Kriminalfall beteiligt war, dann so erregt ist.
Ja, und bei unserer Arbeit ist es ja eh so, dass man wirklich sehr vorsichtig und feinfühlig ist, weil wir eben auch genau wissen, dass das für Beteiligte nicht einfach ist.
Zum Beispiel nochmal damit konfrontiert zu werden, wenn dann aufgrund eines Missverständnisses dann irgendwie so negative Gefühle aufkommen, dann ist es irgendwie nochmal mehr tragisch.
Ja, total. Also mir tat es auf jeden Fall sehr leid für die Redaktion, natürlich auch für die Person selbst, dass die da jetzt auf einmal dann doch ein Problem mit hatte,
auch wenn es in dem Fall dann nicht darum ging, dass sie nicht darüber reden wollte, denn sie hatte sich ja selber angeboten, ja?
Aber ja, wieso erzähle ich das? Es ist noch nicht allzu lange her, da machte ein True-Crime-Podcast vom BR von sich reden, der mit einem deutschen Fall auf Tour ging.
Und auch dort gab es vor der Tour laut der Schwester des Opfers ein Vorgespräch zwischen ihr und der einen Host.
Und dem Weißen Ring gegenüber hat die Schwester gesagt, dass sie das letzte Gespräch heulend beendet hat, weil sie nicht wollte, dass man über den Fall ihrer Schwester spricht.
Auf Tour ging das dann aber trotzdem, das haben viele ja vielleicht auch mitbekommen, mit Interview des Täters, mit trotz rechtskräftigem Urteil Zweifel sehen, dass das überhaupt der Täter war.
Und trotz großem Aufstand, ja, also weil Übermedien und der Weiße Ring da wirklich hinterher waren, das auch an die Öffentlichkeit zu bringen.
Und der Bayerische Rundfunk versuchte dann auch laut Weißem Ring der Show die Lizenz für das Bayern-3-Logo zu entziehen.
Jedenfalls, ja, gab es jetzt einen Personalwechsel.
Ich will nur sagen, es gibt wirklich berechtigte Kritik an True Crime.
Und ich glaube, darüber muss sich jeder, der True Crime konsumiert und vor allem natürlich auch produziert, im Klaren sein und dann halt für sich abwägen, ob man das vertreten kann.
Und wir sind für uns zum Schluss gekommen, dass wir das können unter bestimmten Voraussetzungen.
Ja, und ganz sicherlich nicht so, wie die KollegInnen das in dem Fall gemacht haben, trotz ganz klarer Ansage von einer Angehörigen.
Ich finde, das ist ehrlicherweise komplett daneben, sowas dann durchzuziehen, weil man kann das meiner Meinung nach gar nicht rechtfertigen.
Wie kannst du das rechtfertigen? Deine Arbeit besteht nur, weil es diese Verbrechen gibt.
Und was für ein Recht nimmt man sich da raus, gegen den Willen von Angehörigen eine Geschichte zu erzählen?
Ja?
Ja, ich sage mal so, die eine Person war noch andersweitig an dem Fall beteiligt.
Möglicherweise als Verteidigung vom Täter, was möglicherweise erklärt, wieso die Sicht des Täters bei dem Auftritt auch so viel Platz eingenommen haben soll.
Deswegen gibt es sozusagen da ja auch noch einen anderen Punkt im Sinne von, führt so ein Format, was zumindest einen journalistischen Anstrich hat, damit nicht vielleicht auch so ein bisschen in die Irre.
Also das war wirklich ein großes Ding und wir beide wollen ja nur nicht, dass der Eindruck entsteht, gerade durch diesen Vorfall vom BR-Podcast,
dass allen, die True Crime machen, egal ist, wie es den Betroffenen damit geht. Das ist nämlich auf gar keinen Fall so.
Ja, und bei uns war das ja auch schon mal der Fall, dass in Vorgesprächen oder in der Vorrecherche klar wurde, dass Beteiligte das nicht so gerne wollen und wir das dann eben nicht gemacht haben.
Ja, es ist ja auch eine Sache, wenn man was veröffentlicht, weil das wissen wir nicht, vielleicht kommt ja auch irgendwann nochmal was zu irgendeiner Folge von uns.
Und dann redet man miteinander und gegebenenfalls nimmt man dann auch was raus oder runter.
Aber wenn man schon vorher weiß, naja, fragwürdig mindestens.
Aber was den einen Host angeht, kann ich eh sagen, da gab es auch mal ja auf der Bühne beim Stern Crime ein Streitgespräch zur Verdachtsberichterstattung bei Sexualdelikten mit ihm und mir.
Und da wurde dann auch der Eindruck erweckt, dass viele Frauen Männer fälschlicherweise der Übergriffe beschuldigen würden, um sich, Zitat, wichtig zu machen oder um sich zu rächen.
Und die MeToo-Bewegung wurde als fanatische Ideologie bezeichnet.
Also man kann sagen, solche Behauptungen sind nicht nur falsch, sondern auch gefährlich.
Und von daher ist so ein Personalwechsel bei dem Podcast vielleicht eh überfällig gewesen.
Naja, genug darüber.
Ich wollte das nochmal sagen, weil wir, glaube ich, alle nicht die Augen davor verschließen dürfen, dass wir alle, sowohl wir, die das produzieren, als auch Leute, die es konsumieren, damit eine Verantwortung tragen.
Ja, jetzt widmen wir uns aber einem Fall, der vielleicht so nie passiert wäre, wenn damals zur Wende bestimmte Akten nicht verschüttet gegangen wären.
Alle Namen haben wir geändert und die entsprechende Triggerwarnung zum Fall findet ihr wie immer in der Folgenbeschreibung.
Es ist ungemütlich an diesem Tag der Liebe. Am 14. Februar 1999 herrschen in Berlin nur ein Grad. Auf den Bürgersteigen taut der Schnee.
Als sich Petra gegen kurz vor 18 Uhr von ihrem Valentin verabschiedet, den Mantel über ihre zierlichen Schultern wirft, das Treppenhaus hinuntersteigt und in die Kälte tritt, steht sie im Schneematsch.
Die 34-Jährige hatte ihrem neuen Freund Andreas zur Feier des Tages Blumen vorbeigebracht. Ein kleiner Liebesbeweis an ihn.
Finde ich irgendwie toll, dass eine Frau 1999 das macht, ja?
Ja.
Also ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber ich habe meinem Freund oder jetzt Mann noch nie Blumen zum Dienstag geschenkt.
Auch noch nie Blumen geschenkt?
Noch nie Blumen geschenkt. Das finde ich krass. Ich habe schon Blumen an Männer verschenkt.
Du wolltest ja auch neulich nicht, dass wir unseren Mitarbeiter Blumen zum Geburtstag schicken, weil unsere Mitarbeiterinnen kriegen alle immer einen Blumenstrauß und jetzt war halt mal ein Mann dran.
Und da hat Laura gesagt, ja, aber der kriegt doch jetzt keine Blumen von uns.
Nee, genau. Ich dachte so, okay, aber was schenken wir ihm dann? Und dann meinte Paulina so, nee, wieso soll er jetzt was anderes kriegen? Blumen sind doch auch schön.
Und das stimmt natürlich auch.
Laura wollte lieber einen großen Bagger schenken.
Ein Kipplaster hatte der sich eigentlich gewünscht, hat er gesagt.
Nee, aber da bin ich hier bei der Geschichte direkt irgendwie hängen geblieben, dass ich das irgendwie besonders fand, aber cool.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass wenn man Männern Blumen schenkt, sollte man vielleicht auch eine Vase mit dazugeben, denn viele haben ganz stereotypisch keine.
Bei Petra war es ja auch sogar ein Blumentopf.
Wahrscheinlich hat sie sich dasselbe gedacht.
Ja, auf jeden Fall süße Geste, obwohl sie den romantischen Abend gar nicht mit ihm verbringen kann, denn sie hat ihren Eltern versprochen, dass sie noch zum Abendessen bei ihnen vorbeikommt.
Petra ist ein pflichtbewusster Mensch, also läuft sie pünktlich von der Wohnungstür los zur S-Bahn.
Sie hat nämlich noch einen ziemlich langen Weg vor sich, von Berlin-Mitte bis nach Altglienicke.
Petra steigt in die Bahn und fährt eine ganze Weile.
Erst mitten durch die Innenstadt, über die Museumsinsel, am Fernsehturm entlang.
Irgendwann ziehen nur noch Industriegebiete, Kiefern und Einfamilienhäuser hinter der Scheibe vorbei.
Sehen kann Petra all das nur noch schemenhaft, denn es ist inzwischen richtig dunkel geworden.
Gegen 19 Uhr hält die S-Bahn an der Station Altglienicke.
Petra betritt den Bahnsteig.
Der liegt inmitten einer ruhigen Siedlung am Südostrand von Berlin.
Der Flughafen Schönefeld ist nicht weit von hier.
Sie ist schon fast in Brandenburg.
Neben Petra steigt nur noch ein Mädchen aus, das schon bald Richtung des einen Ausgangs verschwindet.
Petra geht in die entgegengesetzte Richtung.
Der Bahnsteig, den sie entlang läuft, wirkt in die Jahre gekommen.
Sie verlässt den Bahnhof, läuft an einem Parkplatz vorbei, dann entlang der Straße, die zu ihren Eltern führt.
Sie ist nur spärlich beleuchtet.
Ab und zu fällt aus einzelnen Fenstern Licht auf den dunklen Weg, an dem sich viele Felder entlang ziehen.
Ansonsten sieht man nur, was die Lichtkegel der Straßenlaternen preisgeben.
Unter einer von denen kann sie nach einer Weile eine Gestalt erkennen.
Ein Mann, der einen Hund dabei hat, den er gerade an der Laterne anbinden will.
Merkwürdig, dass Hunde vor Supermärkten oder Geschäften angeleint werden, sieht man oft.
Aber hier, mitten im Nirgendwo?
Als Petra an den beiden vorbeiläuft, scheint der Mann noch immer damit beschäftigt, seinen Hund festzumachen.
Sie merkt deswegen nicht, dass er sich umdreht, als sie ihn passiert.
Denn der Grund, warum er die Hände frei haben will, ist sie.
In der nächsten Sekunde spürt Petra, wie der Mann sie von hinten packt.
Panik macht sich in ihr breit.
Petra versucht, sich aus seinem Griff zu befreien.
Sie windet sich und strampelt, bis beide zu Boden fallen.
Petra schreit ein paar Mal laut Hilfe, doch ihre Hoffnung auf Rettung wird im Keim erstickt,
als der Mann ihr mit seiner einen Hand den Mund zu und mit der anderen ein Messer vor ihr Gesicht hält.
Dann fängt er an, sie auf das dunkle Feld neben der Straße zu schleifen.
Dort angekommen, spürt sie die Klinge des Messers an ihrem Rücken.
Eine stille Warnung, dass sie sich ergeben soll.
Trotzdem wehrt sich Petra, so sehr sie kann.
Sie schlägt und tritt um sich, doch der Mann ist stärker.
Er packt ihre Handgelenke, dreht ihre Arme hinter den Rücken.
Plötzlich hört Petra ein metallisches Klicken.
Der Mann hat sie mit Handschellen gefesselt.
Dann stopft er ihr ein Knebel in ihren Mund und verbindet ihr die Augen mit einem Schal.
Alles wird plötzlich ganz schwarz.
Während die optischen Reize verschwinden, werden die anderen deutlicher.
Petra spürt den kalten Feldboden unter sich.
Sie hört, dass sich seine Schritte entfernen.
Lässt er sie jetzt hier zurück?
Nein.
Kurz darauf hört sie ihn wiederkommen.
Auch das Tapsen des Hundes und das Rascheln der Leine kann sie vernehmen.
Dann wird sie hochgezogen, sie muss mitlaufen und mit dem Mann quer über das unebene Feld.
Bald darauf hört sie, wie sich eine Autotür öffnet und wie der Mann ihr befiehlt einzusteigen.
Petra muss auf die Rückbank.
Über ihr eine Decke, damit sie keiner sieht.
Sie hört, wie der Motor gezündet wird und sich der Wagen in Bewegung setzt.
Wie viele Kilometer sie dann fahren, weiß Petra nicht.
Der Mann spricht nur ein einziges Mal während der Fahrt.
Ich hab sie, sagt er wohl in sein Handy.
Was soll das bedeuten, ich hab sie?
Kennt der Mann Petra?
Mit wem hat er telefoniert?
Und wo bringt er sie hin?
Sie sind etwa eine halbe Stunde unterwegs, vielleicht etwas weniger.
Petras Wahrnehmung ist gedämpft.
So abgrundtief beängstigend ist diese Situation.
Das Auto wird irgendwann langsamer, biegt ab und kommt zum Halten.
Petra soll aussteigen und wird danach offenbar durch eine Haustür geführt.
Sie hört einen Schlüssel ein Schloss aufschließen.
Dann muss sie Stufen heruntersteigen, wohl in einen Keller.
Eine weitere Tür wird aufgeschlossen.
Petra wird aufgefordert, sich auf einen Stuhl zu setzen.
Als sie sitzt, spürt sie, dass ihr etwas Kaltes, Metallisches um den Hals gelegt wird.
Sie wird in Ketten gelegt.
Dann wird endlich der Knebel in ihrem Mund entfernt.
Die Handschellen klicken auf und ihre Augenbinde fliegt zur Seite.
Vor sich sieht Petra nun einen Mann mit eher schmächtiger Statur.
Und trotzdem sieht er furchteinflößend aus, denn er trägt eine schwarze Latexmaske mit Augen- und Mundöffnung.
Doch es ist nicht nur sein Anblick, der Petra erstarren lässt.
Auch der Raum, in dem sie sich befinden, wirkt wie aus einem düsteren Albtraum.
Er hat Schallschutzplatten an der Decke.
In einer Ecke steht eine Gitterzelle, die sich mit Riegeln und Schlössern von außen abschließen lässt.
Darin steht ein Krankenbett.
An den Wänden des Kellerraums sind Ösen, Ketten, Seile und Werkzeuge angebracht,
die an Folterkammern aus dem Mittelalter erinnern.
Bevor Petra diesen Anblick verarbeiten kann, prasseln Fragen auf sie ein.
Der Mann will Details über ihr Leben.
Vor allem über ihre Freundinnen und ihre Eltern.
Volle Namen, Beruf, Adresse, Telefonnummer.
Petra gibt dem Mann die Informationen, die er haben will, während er alles fein säuberlich notiert.
Was will der Mann von ihr?
Als er fertig mit seiner Befragung ist, stellt er sich vor.
Der Mann mit der Gummimaske erzählt Petra, er sei ein Mitglied in einer geheimen Organisation,
die Frauen zu Sexsklavinnen ausbildet, die dann an reiche Kunden verkauft werden.
Von Angst gepackt greift sie nach dem weißen Leitsordner, den er ihr entgegenstreckt,
mit der Aufschrift Ordner zum Lernen für die Sklavin.
Was passiert hier?
Eben war sie noch auf dem Weg zu ihren Eltern und jetzt sitzt sie gefesselt in einer Art Folterkeller
und soll als Sexsklavin ausgebildet werden?
Als Petra anfängt im Ordner zu blättern, bekommt sie eine erste Vorstellung davon,
was für ein Mensch da vor ihr steht und was er mit ihr vorhat.
Pornografische Fotos mit BDSM-Szenen sind darin abgeheftet.
Teilweise mit Anleitungen, die mit Hand dazu geschrieben sind.
Im Anschluss bekommt Petra ihren Ausbildungsvertrag zur Sklavin.
Den muss sie unterschreiben, fordert der Mann.
Ein absurdes Szenario.
Welche Wahl hätte Petra in ihrer Situation?
Danach soll sie den Vertrag selbst im Ordner abheften.
Der Mann sagt, sie soll ihn ab jetzt ihren Meister nennen.
Sie würde ab jetzt Sklavin Eva heißen.
Wieso Eva, weiß sie nicht, aber sie versteht, dass sie hier unten ihre eigene Identität verlieren soll,
zum Objekt dieses Mannes wird, der nichts an ihr zu sehen scheint als eine Sklavin,
die er für seine Zwecke benutzen wird.
Sie hat keine Ahnung, wie lang dieses Martyrium wohl andauern wird
und erst recht nicht, was ihr danach blüht.
Der Maskierte droht, er werde sie töten, wenn sie auch nur versuche, sich zu wehren
und verleiht seinen Worten Ausdruck, indem er mit einer Pistole vor ihr herumfuchtelt.
Sollte sie doch Dummheiten begehen, ist nicht nur sie dran, sondern auch ihre Familie und ihre Liebsten,
von denen er ja zuvor alle Kontaktdaten abgefragt hat.
Die Organisation würde sich dann um sie kümmern.
Eine Drohung, die das bewirkt, was sie soll.
Petra fürchtet um ihr Leben.
Als nächstes würde die Eingangsuntersuchung beginnen, sagt er.
Petra muss sich komplett ausziehen.
Als die Splitterfaser nackt vor ihm steht, misst er ihre Körpermaße und notiert sie.
Danach zerschneidet er ihr ausgezogenes Unterhemd vor ihren Augen.
Als nächstes soll Petra mitkommen.
Der Mann führt sie durch eine Brandschutztür in ein weiteres kleines Zimmer,
in dem Fessel und Folterwerkzeuge an den Wänden hängen.
Durch weitere Türen, durch Luken und über Leitern muss sich Petra,
noch immer komplett nackt, einen Weg durch verwinkelte Kellerräume bahnen,
die einem Labyrinth mit niedrigen Decken gleichen.
In einem Raum stoppt der Mann mit der Maske.
Offenbar sind sie an seinem Ziel angekommen.
Hier befindet sich eine weitere Gitterzelle,
ein gynäkologischer Behandlungsstuhl
und eine Liege, auf die sie sich legen soll und woran sie gefesselt wird.
Das hier sei der Todestrakt, erklärt ihr Entführer.
Hier lässt er sie zurück, nackt und voller Furcht.
Wie spät es ist, weiß Petra nicht.
Sie hat keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist,
seitdem er sie von der Straße weggeschnappt hat
und auch nicht, wie viel Zeit vergeht, bis er wiederkommt.
Als der Mann wieder auftaucht, vermutet Petra, dass es der nächste Morgen ist.
Genau weiß sie es aber nicht.
Es gibt hier unten keine Fenster und kein Tageslicht,
an denen sie das festmachen könnte.
Er löst ihre Fesseln, gibt ihr einen Trainingsanzug zum Anziehen
und führt sie in einen der anderen Räume zurück.
Dort hat er ihr geschmierte Brötchen hingestellt.
Petra isst.
Danach erklärt er Petra, was er von ihr als Sklavin erwartet.
Er beschreibt dabei im Detail eine Reihe sexueller Handlungen.
Fesselung, Einführen von Gegenständen, vaginaler, oral und Analverkehr.
Danach muss Petra wieder in den Todestrakt und wieder ausharren.
Es gibt keine Ablenkung.
Petra kann nur auf die Seile, Ösen und Sexspielzeuge um sie herum schauen
und bekommt dabei eine grauenhafte Ahnung davon, was der Mann noch mit ihr vorhat.
Doch das, was sie befürchtet, passiert zunächst nicht.
Das nächste Mal, als er sie holt, serviert er ihr Tütensuppe.
Danach muss sie wieder warten.
Später gibt es belegte Brötchen.
Als der Mann Petra am nächsten Abend wieder aus dem Todestrakt abholt, ist etwas anders.
Diesmal trägt er keine Maske mehr.
Vor ihr steht ein Mann mittleren Alters völlig unscheinbar.
Die Maske hatte ihm etwas Furchteinflößendes verliehen,
aber die Person, die jetzt vor ihr steht, würde sie im normalen Leben nicht einmal bemerken.
Nur, wieso zeigt er ihr jetzt sein Gesicht?
Würde auch nur die Möglichkeit bestehen, dass sie jemals wieder in Freiheit kommt,
könnte sie ihn jetzt identifizieren.
Vielleicht ist das ein schlechtes Omen.
Doch die fehlende Maske ist heute nicht die einzige Besonderheit.
Diesmal wird Petra nicht in einen anderen Kellerraum zum Essen geführt,
sondern die Treppe hoch nach oben.
Petra findet sich in einem ganz normalen Wohnhaus wieder,
das offenbar auf dem Kellerlabyrinth gebaut ist.
Das erste Mal seit Tagen kann sie wieder durch ein Fenster schauen
und erkennen, dass es Abend ist.
Der Mann führt sie in ein Badezimmer.
Dort zwingt er sie dazu, sich mit ihm in die Badewanne zu setzen.
Ein skurriles Bild.
Würde jemand Außenstehendes die Szene betrachten,
würde er denken, hier planscht ein Pärchen
und läutet so einen gemütlichen Abend ein.
Doch für Petra ist dies der Beginn einer leidvollen Tortur.
Nach dem gemeinsamen Bad wird sie an ein Bett gefesselt.
Heute soll sie hier schlafen und nicht im Keller.
An diesem Abend vergewaltigt er sie das erste Mal.
Es ist schmerzhaft und erniedrigend.
Und es passiert von da an fast jeden Tag.
Petra traut sich nicht, sich dagegen zu wehren,
auch wenn sie manchmal nicht gefesselt dabei ist.
Immer wieder droht der Mann ihr mit der Waffe und mit der geheimen Organisation,
in der auch Polizeibeamte verstrickt seien.
Jeder Fluchtversuch sei absolut sinnlos.
Und jede dumme Idee würde unweigerlich nicht nur zu ihrem Tod führen,
sondern auch zu dem der Menschen, die sie liebt.
Also lässt Petra alles über sich ergehen.
Nicht nur die Vergewaltigungen selbst, auch die anderen Erniedrigungen,
die er Ausbildungsprogramm nennt.
So muss Petra unter anderem Polaroid-Fotos beschriften.
Fotos, die sie zeigen, wie sie gefesselt vergewaltigt wird
und die ihr auch nach den Gewaltakten immer wieder vor Augen führen,
in was für einem absoluten Horrorfilm sie gerade lebt.
Petra muss außerdem Prüfungen über Sexualpraktiken und Techniken schreiben.
Zum Beispiel, wie man jemanden beim Bondage mit einem Seil fesselt.
Lernen muss sie vorher mit den Beschreibungen im Ordner zum Lernen für die Sklavin.
Als sie ihre erste Prüfung abgibt, ist der Mann nicht zufrieden mit ihr.
Sie soll beim nächsten Mal alles noch brutaler schildern.
Außerdem muss sie Tagebuch führen.
Täglich muss sie das, was ihr Peiniger ihr antut, nicht nur durchleben.
Sie muss es danach auch nochmal zu Papier bringen.
Über die Vergewaltigungen schreiben, die Prüfungen und ihr Leben im Verlies.
Und all das soll so ausführlich und authentisch wie möglich sein.
Denn die Tagebucheinträge kontrolliert und bewertet der Mann.
Ich finde das so, so schrecklich.
Also das ist wirklich ein wahrgewordener Albtraum.
Das kann man sich ja fast gar nicht ausdenken.
Man denkt, sowas ist in einem schlimmsten Horrorfilm, den keiner sehen will.
Und ich meine, ich muss da auch sofort an Fritzl denken, der in seinem Kellerverlies ja auch eine richtige Wohnung gebaut hat.
Und da seine Tochter ein gefühlt ganzes Leben versteckt hat.
Ja, es wirkt wie so eine andere Realität.
Und sie war vorher noch auf dem Weg zu ihren Eltern von ihrem neuen Freund, führt da ein ganz normales Leben.
Und dann auf einmal ist das jetzt ihr Leben.
Denn so sieht ab jetzt Petras Alltag aus.
Also ein Tag gleicht dem anderen.
Nur eines ändert sich mit der Zeit.
Der Mann bringt Petra immer öfter nach oben ins Haus.
Auch ohne Fußfessel.
Nur wenn der Meister das Grundstück verlässt, sperrt er sie in den Keller.
An einem Tag, Petra ist gerade wieder oben, kommt der Mann ganz aufgeregt zu ihr.
Er hält etwas hinter seinem Rücken.
Petra ist verunsichert und hat Sorge, dass er eine neue Sexpraktik mit ihr ausprobieren will.
Wieder etwas noch unaussprechlicheres als beim letzten Mal.
Doch dann streckt er eine seiner Fäuste vor sich, dreht seine Hand um und öffnet sie.
Dann erkennt Petra es.
In seiner Handfläche liegt eine Halskette mit einem goldenen Kruzifix-Anhänger.
Er lächelt und sagt, ich mag dich.
Und die Kruzifix-Kette solle Petra beschützen.
Was für eine Ironie.
Der Mann, der ihr ständig Schaden zufügt, schenkt ihr etwas, das sie beschützen soll.
Dabei ist das Einzige, wovor sie Schutz braucht.
Er selbst.
Zwei Tage später hat der Mann sich wieder etwas Neues ausgedacht.
Jedenfalls hört Petra ihn hastig die Kellerstufen herunterlaufen,
nachdem er eine Weile mit dem Auto weg und sie allein im Keller war.
Er überreicht ihr eine Tüte.
Petra schaut hinein und sieht hohe Schuhe, Netzstrümpfe und ein Kleid.
Ein Ausgehoutfit.
In den letzten zwei Wochen hat Petra immer die Sportkleidung getragen, die er ihr gegeben hat.
Jetzt soll sie sich allem Anschein nach schick machen.
Als wäre sie eine Puppe, die er nach seinem Belieben so kleiden kann, wie er will, aber auch ausziehen kann, wann er will.
Dennoch streift sie sich die Strumpfhose über, schlüpft ins Kleid und die Highheels und steigt mit klackernden Schritten die Treppe hinauf.
Im Haus erwartet sie ein anderer Anblick als sonst zur Abendbrotzeit.
Auf dem Tisch steht diesmal keine schale Tütensuppe, keine spartanische Käsestolle.
Der Esstisch ist reichlich gedeckt.
Zwei Gläser stehen darauf und es brennt sogar eine Kerze.
So stellt sich ihr Peiniger wohl ein romantisches Candlelight-Date vor.
Petra kommt Abendessen serviert und Rotwein eingeschenkt.
Dann beginnt der Mann von sich zu erzählen.
Er spricht von Ex-Partnerinnen, die ihn nie wirklich geliebt hätten.
Mit der Liebe habe er es immer schwer gehabt, sagt er in einem weinahlichen Ton.
Es ist seltsam.
Petra hat das Gefühl, dass der Mann, der ihr das Schlimmste in ihrem Leben angetan hat, will, dass sie ihn mag.
Was erwartet er jetzt von ihr?
Dass sie ihm beisteht und seine Hand hält?
Jedenfalls sitzt sie da und hört zu.
Etwas anderes bleibt ihr auch nicht übrig.
Seine Mutter sei die einzige Frau, die ihn wirklich jemals geliebt habe, sagt er,
während seine Augen feucht werden und er beginnt zu schluchzen.
Petra muss ihn trösten, indem sie ihn im Arm hält und streichelt.
Und dann passiert etwas, das Petra nicht erwartet hat.
Der Mann verspricht ihr, sie bald freizulassen.
Eigentlich ein Grund zur Freude, aber Petra muss ihren Enthusiasmus zügeln.
Sie traut dem Versprechen nicht.
Was ist mit der Organisation, für die sie ausgebildet werden soll?
Trotzdem keimt ein wenig Hoffnung in ihr auf.
Vielleicht hat sie eine kleine Chance, wenn sie einfach weiter mitspielt.
Vielleicht wird er weich und entwickelt ihr gegenüber Mitleid.
Doch wüsste Petra in diesem Moment, was dieser Mann in seiner Vergangenheit,
schon alles getan hat, würden sich nicht solche hoffnungsvolle Gedanken in ihr breit machen,
sondern blanke Panik.
Das Zusammenleben von Sklaven und Meister wirkt ab diesem Zeitpunkt von außen immer mehr wie das eines Ehepaars.
Sie schlafen in einem Bett, essen gemeinsam und manchmal spielen sie zusammen Spiele am Computer.
Er ist mit dem Passwort Mutter geschützt.
Irgendwann nimmt der Mann Petra sogar einmal mit nach draußen und sie sieht den Himmel das erste Mal seit langem nicht nur durch ein Fenster.
Es ist nicht das einzige Mal, dass er sie mit rausnimmt.
Aber wenn, dann ist es immer dunkel.
Vermutlich, damit niemand sie erkennt.
Immerhin sucht ihre Familie und sicher auch die Polizei nach ihr.
Petra und ihr Entführer spazieren dann nebeneinander durch die Nebenstraßen des ruhigen Wohnviertels.
Auf ihren Strecken wechseln sich moderne Einfamilienhäuser mit ordentlichen Hecken und DDR-Bungalows mit grauer Kratzputzfassade ab.
Manchmal grüßt er sogar Leute über den Gartenzaun.
Was die sehen, ist ihr Nachbar, der mit seinem Hund und seiner neuen Freundin eine Abendrunde dreht.
Denn im Gegensatz zu Petra wissen sie nichts von der Pistole in seiner Tasche.
Aber die Romanze der beiden existiert nur im Kopf des Meisters.
Während er das idyllische Pärchenleben inszeniert, durchleidet Petra tagtäglich unvorstellbare Angst und schrecklichen Ekel.
Manchmal so sehr, dass sie kurz keine Luft mehr bekommt.
Denn auch wenn er jetzt ab und zu nett zu ihr ist und ihr mehr Freiheiten einräumt,
gehen die Drohungen, die Erniedrigungen und die Vergewaltigungen weiter.
Er missbraucht sie noch immer regelmäßig brutal mit den Fesselvorrichtungen,
Folterinstrumenten und Sexspielzeugen im Keller.
Sie muss auch weiterhin das Tagebuch darüber führen.
Die Vergewaltigung muss sie in den Einträgen jetzt manchmal kuschelnd nennen
und so tun, als wäre es für sie zärtlicher Sex, den sie genießt.
Doch dass sie das alles nicht freiwillig macht, merkt der Mann.
Petra kann bei den Vergewaltigungen, die Tag für Tag, Woche für Woche geschehen,
nicht ständig lächeln, weil sie sich nichts sehnlicher wünscht, als dass es aufhört.
Er sagt, er wolle, dass Petra glücklich sei.
Trotzdem scheint er nicht mehr vorzuhaben, sie freizulassen.
Petra hatte seine Worte von Anfang an nicht für bare Münze genommen,
aber als er ihr dann auch noch seinen neuen Plan unterbreitet,
erlischt nun endgültig jede Hoffnung.
Er sagt, er könne ja noch eine Frau entführen,
damit sie etwas Gesellschaft hat.
Petra ist inzwischen seit Wochen hier.
Sie hat Dinge erlebt, die sich kaum ein Mensch vorstellen kann.
Statt ihr das Einzige zu geben, das sie will, ihre Freiheit, schlägt ihr der Mann vor,
noch eine Person in die Qualen zu stürzen, die sie selbst kaum aushalten kann?
Petra denkt in diesem Moment nur eines, das muss sie um jeden Preis verhindern.
Ich will nicht, dass noch einer Frau so etwas Schreckliches passiert.
Ein Satz, der den Mann offenbar vor den Kopf stößt.
Petra erkennt, dass er verzweifelt darüber ist, dass sie seine Gefühle nicht erwidert.
Irgendwann gibt er sogar zu, dass die Vergewaltigungen ihn nichts mehr fühlen lassen.
Aufhören tut er damit trotzdem nicht.
Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug,
bemerkt Petra nach einer Weile, dass sich ihr Körper verändert.
Seit sie am Valentinstag plötzlich in diesem Albtraum gelandet ist,
hat sie noch nicht ihre Periode bekommen.
Inzwischen sind schon Wochen vergangen.
Ihre leise Befürchtung wächst und wächst mit jedem Tag,
den ihre Menstruation weiter ausbleibt.
Irgendwann weiß Petra sich nicht mehr anders zu helfen,
als ihren Peiniger, um einen Schwangerschaftstest zu bitten.
Als er ihr wenig später einen Test überreicht,
besteht er darauf, im Badezimmer bei ihr zu bleiben.
Er beobachtet sie, während sie auf den Streifen orientiert.
Dann wartet sie und er mit ihr.
Als Petra nach Ablauf der vorgegebenen Zeit wieder auf den Test schaut,
sieht sie dort zwei rote Linien.
Petra ist schwanger.
Das setzt dem ganzen Horror noch die Krone auf.
Auf einmal ist auf eine völlig neue Art unklar,
wie ihre Zukunft aussieht.
Wird sie das Kind ihres Vergewaltigers aufziehen?
Was wird er tun, jetzt wo er weiß, dass sie schwanger ist?
Vielleicht hat der Mann Gnade.
Vielleicht lässt er sie gehen, wo sie ein Kind kriegen wird.
Es tut ihm leid, sagt er.
Sie müsste das Kind im Keller zur Welt bringen.
Petra bricht zusammen.
Das geht nicht.
Sie kann kein unschuldiges Leben in dieser Unterwelt hier großziehen.
Was, wenn der Mann dem Kind etwas antut,
weil er seine Sexsklavin für die Organisation braucht?
Was, wenn etwas während der Geburt schiefläuft?
Am 29. März 1999 gehen Petra und ihr Meister wie gewohnt
gemeinsam oben im Schlafzimmer zu Bett.
Seit 43 Tagen ist sie inzwischen hier.
Und es gibt keine Aussicht auf Rettung, da ist sich Petra sicher.
Bisher hat sie niemand gefunden.
Sie wird wahrscheinlich für immer hier in dieser Hölle bleiben
und mit ihr das Kind, das darin aufwachsen muss.
Als Petra an diesem Tag im Dunkeln daliegt,
hört sie ihren Peiniger plötzlich sagen,
ich liebe dich.
Petra ist angewidert und hat genug.
Er kann sie zu fast allem zwingen,
aber nicht dazu, dass sie so tut,
als würde sie sich über seine Zuneigung freuen.
Sie antwortet, dass sie nicht verstehen könne,
wie man jemanden lieben und trotzdem gefangen halten kann.
Am nächsten Morgen um 8.30 Uhr ist etwas anders.
Der Mann steht früh auf und wirkt still,
als er sie in den Keller bringt,
weil er aus dem Haus gehen will.
Als er unten die Tür von ihrem Verlies wie gewohnt abschließt,
verabschiedet er sich von ihr.
Dabei nennt er sie zum ersten Mal bei ihrem echten Namen.
Petra.
Dann fährt er weg, wie schon so oft.
Nur diesmal bleibt er weg.
Es vergehen Stunden und Stunden,
bis Petra irgendwann vermutet,
dass es bereits später Abend ist.
In all der Zeit hat er sie noch nie
allein über Nacht auf dem Grundstück gelassen.
Entweder war er allein oben
oder sie, wie in letzter Zeit, bei ihm mit im Bett.
Eine schreckliche Vorahnung macht sich in Petra breit.
Was, wenn er sie hier einfach zurückgelassen hat?
Was, wenn er aus Rache oder Frustration,
dass sie ihn nicht zurückliebt,
einfach beschlossen hat, das Weite zu suchen?
Oder oben sein Leben lebt,
ohne sie je wieder herauszulassen?
Hier unten könnte sie nicht lange überleben.
Wasser bekommt sie zwar aus einem Hahn in einem der Räume,
aber es gibt nur ein paar wenige Vorräte.
Maximal ein paar Tage würde das Essen reichen,
wenn sie es rationiert.
Als noch ein ganzer Tag vergangen zu sein scheint,
ohne dass der Mann wiederkommt,
fühlt es sich immer mehr wie Gewissheit an.
Er wird sie nicht wieder hochholen.
Sie und ihr ungeborenes Kind
werden hier unten kläglich verhungern,
wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht.
Es ist ein nasskalter Vormittag am 2. April 1999,
als Katrin mit ihrem Mann ein kleines Haus in Berlin-Kaulsdorf betritt.
Es steht in einer Siedlung am Ostrand der Stadt,
in der Nähe der großen Plattenbauten von Marzahn.
Es ist dringend Zeit, mal nach dem Hund zu säen und etwas Wäsche zu waschen.
Katrin kennt sich hier gut aus.
Es ist schließlich ihr Elternhaus.
Hier ist sie aufgewachsen.
Katrins Eltern wohnen hier aber nicht mehr.
Ihr Vater ist vor ein paar Jahren gestorben.
Ihre Mutter lebt in einem Pflegeheim.
Nur ihr Bruder Klaus wohnt jetzt noch hier.
Normalerweise.
Katrin und ihr Mann sind immer noch ziemlich geschockt
von dem Anruf, der sie vor 2 Tagen erreicht hat.
Das Unfallkrankenhaus Marzahn war dran,
um ihr mitzuteilen, dass ihr Bruder Klaus
einen schweren Unfall hatte und auf der Intensivstation liege.
Bei einem Autounfall
hat er sich schwerste Kopf- und Brustverletzungen zugezogen,
hat der Arzt am Telefon gesagt.
Mit seinem blauen Passat
ist Klaus die Märkische Allee entlang gefahren.
Dann ist er mit fast 50 Kilometer pro Stunde
in das Heck eines Betonmischfahrzeugs gekracht,
das an einer roten Ampel stand.
Seitdem war niemand mehr im Haus.
Deswegen sind Katrin und ihr Mann heute hier.
Im Flur begrüßt Katrin den Hund ihres Bruders,
stellt ihm frisches Wasser und Futter hin.
Dann geht sie ins Badezimmer,
um Klaus Wäsche zu waschen.
Ihr Bruder braucht im Krankenhaus frische Kleidung.
Mittlerweile schwebt Klaus glücklicherweise
nicht mehr in Lebensgefahr.
Er wird wohl aber noch eine ganze Weile
im Krankenhaus bleiben.
Katrin belädt gerade die Waschmaschine,
als sie auf einmal ein dumpfes Geräusch hört.
Es klingt wie ein metallenes Klopfen.
Ganz leise und weit entfernt.
Vielleicht der Hund,
der mit seinem Schwanz irgendwo gegenschlägt?
Als sie in den Flur tritt,
steht ihr Mann schon dort
und lauscht ebenfalls angestrengt.
Er hört das merkwürdige Geräusch auch.
Es scheint von unten zu kommen.
Katrins Mann folgt dem Geräusch
die Kellertreppe hinunter.
Sie geht hinterher.
Das Klopfen wird dabei immer klarer und lauter.
Dann hört es auf.
Katrins Mann steht jetzt im Keller seines Schwagers,
sieht sich um und horcht weiter.
Dann hören es beide ganz deutlich.
Jemand schreit das Wort Hilfe.
Eine Frau.
Der Hilferuf kommt aus der Richtung
einer unscheinbaren holzverkleideten Wand.
Die beiden sehen dort nur Gartengeräte
und Werkzeuge hängen und eine Werkzeugbank.
Katrins Mann versteht nicht.
Wo?
ruft er der verborgenen Stimme entgegen.
Neben der Werkzeugbank hinter der Holzverkleidung,
antwortet die Stimme.
Er greift in den Spalt zwischen den Holzplatten.
Eine Platte löst sich
und dahinter eine versteckte Tür.
Ich fasse es nicht,
entfernt es Katrins Mann bei dem Anblick dieser Überraschung.
Das Paar muss sich kurz sammeln.
Dann öffnen sie die Tür
und einen Augenblick später
blicken sie in das Gesicht einer Frau.
Katrin ist so geschockt,
dass sie erst mal gar nicht das Folter verließ,
bemerkt, dass sich hinter der Frau oft tut.
Sie und ihr Mann starren eine gefühlte Ewigkeit
auf die zierliche Frau,
die da einfach in einem grauen T-Shirt
und schwarzer Hose vor ihnen steht.
Wieso lebt hier eine Frau im Keller?
Es ist 15.48 Uhr,
als Katrin und ihr Mann die Polizei verständigen.
Als die Einsatzkräfte
in der unscheinbaren Einfamilienhaussiedlung ankommen,
bringen sie zuerst die Frau,
die aus dem Keller befreit wurde,
weg vom Tatort und in psychologische Betreuung.
Derweil schauen sich die PolizistInnen das Grundstück,
wo sie gefunden wurde, genauer an
und trauen ihren Augen kaum,
denn so einen Keller hat noch niemand von ihnen gesehen.
Hinter der geheimen Tür
befindet sich ein etwa sechs Quadratmeter großer Raum
mit einem Gitterkäfig.
Alle möglichen Dildos, Peitschen und Seile hängen an den Wänden.
Eine Tür führt in einen weiteren Raum mit Folteruntersielen
und einer großen Vorrichtung,
an die man einen Menschen fesseln kann.
Über eine kleine Treppe gelangen die Beamten in eine Art Nasszelle,
in der sich ein funktionsfähiges Waschbecken,
eine Dusche und eine Toilette befindet.
In der Ecke davon ist eine Art Falltür eingelassen,
durch die man in einen weiteren Folterraum kommt,
der noch tiefer im Boden liegt.
Hier scheint wirklich die Vision eines Sadisten umgesetzt worden zu sein.
In der Mitte befindet sich ein gynäkologischer Stuhl
und überall im Raum Utensilien,
die offenbar dazu benutzt wurden,
sie in Körperöffnungen einzuführen.
Insgesamt sechs Räume umfasst der Kellerbereich.
In keinem von ihnen dringt auch nur ein einziger Lichtstrahl von draußen.
Hier unten hätte jemand lebendig begraben werden können,
ohne dass es draußen jemals jemand mitbekommen hätte.
Als die Ermittelnden schließlich die Frau befragen,
stellt sich heraus, dass sie offenbar 47 Tage lang hier gefangen gehalten wurde.
Dafür spricht sie allerdings überraschend gefasst.
Fast nüchtern und technisch berichtet sie von den Dingen,
die sie in den letzten Wochen über sich ergehen lassen musste.
Sie erzählt emotionslos von der Angst,
die sie dabei gefühlt hat und wie sehr sie sich geekelt hat.
So als ob sie eine Wand zwischen sich und ihre Gefühle gebaut hat.
Sie arbeitet die verschiedenen Qualen ab,
als sei es eine Strichliste.
Als die Beamtinnen mit ihrer Befragung fertig sind,
haben sie alles, um zunächst weiter zu ermitteln.
Wenige Tage nach dem Fund und dem detaillierten Zeugnis, das die Frau aus dem Keller abgelegt hat,
fährt der stellvertretende Leiter der Mordkommission Husemann mit einem Kollegen zum Unfallkrankenhaus Marzahn.
Hier liegt der schwer verletzte Mann, in dessen Keller die Frau gefunden wurde.
Als die beiden Ermittler das Krankenzimmer auf der Intensivstation betreten, ist der Mann darin wach.
Sein Name ist Klaus Otten.
Er ist 49 Jahre alt und vom Beruf Bauhilfer, kann den Job nach einem Rückenleiden aber nicht mehr so ausüben wie noch vor ein paar Jahren.
Klaus Otten sieht hilflos aus, wie er da mit Bandagen um den Kopf im Krankenbett liegt.
Er hat beim Zusammenprall mit dem Betonmischfahrzeug ein Schädel-Hirntrauma erlitten.
Deshalb kann er sich an den Unfall nicht erinnern.
Aber er ist ansprechbar und scheint auch sonst keinen Erinnerungsverlust zu haben.
Ermittler Husemann konfrontiert Klaus Otten mit dem Keller voller Folter und BDSM-Zubehör unter seinem Haus,
wo in diesem Moment die Spurensicherung beschäftigt ist.
Und mit der Frau, die dort von seinen Verwandten gefunden wurde.
Klaus Otten gesteht sofort alles.
In seinem umfassenden Geständnis erklärt er, er wollte doch nur glücklich sein und eine Frau haben.
Er erzählt auch von seiner kranken Mutter im Heim, die seine einzige Bezugsperson sei.
Klaus Otten fängt dabei an zu weinen.
Großes Selbstmitleid liegt in seiner Stimme.
Husemann fragt nach der Geheimorganisation, von der Petra erzählt hat.
Klaus Otten gibt zu, dass diese nicht existiert.
Es war ein Bluff, um die Frau unter Kontrolle zu halten.
Auch die Pistole war fake.
Die Waffe, mit der Klaus Otten Petra immer wieder bedroht hat, ist eine Schreckschusspistole.
Der Ermittler fragt Klaus Otten nach den Dingen, die er Petra immer wieder auf brutale Weise angetan hat.
Dazu schweigt der Mann erst, dann zuckt er mit den Achseln.
Es passiert, kommentiert er dazu nur ungerührt.
Nach allem, was er gehört hat, vermutet Husemann, dass Petra womöglich nicht das erste Opfer von Klaus Otten ist.
Er lässt die Kellerräume mithilfe von Georadar scannen, um so nach möglichen einbetonierten Leichen zu suchen.
Dabei werden elektromagnetische Impulse in den Untergrund und die Wände gesendet, die von verschiedenen Materialien anders reflektiert werden.
So kann man herausfinden, ob sich in Wänden Knochen befinden.
Doch der Versuch bleibt ergebnislos.
Genauso wie eine Suche im Polizeiregister.
Der Ermittler findet keine kriminelle Vorgeschichte.
Keine Vorstrafen.
Und das findet er merkwürdig.
Schwer vorstellbar, dass ein Mensch, der einen so aufwendigen Kellerkomplex baut und ausstattet, um dort drin Frauen zu quälen, vorher komplett unauffällig durchs Leben gegangen sein soll.
Da kommt Husemann eine Idee.
Wenig später steht der Ermittler wieder in einem Keller.
Nur ist es diesmal nicht der von Klaus Otten, sondern von der ehemaligen Generalstaatsanwaltschaft der DDR.
Vor ihm Berge von Akten, die seit Jahren niemand mehr angefasst hat.
Klaus Ottens Haus steht in Berlin-Kaulsdorf und liegt somit im Osten Berlins.
Der gesamte Bezirk lag zu DDR-Zeiten im Ostteil der Stadt.
Möglich, dass Ottens Vergangenheit hier unten dokumentiert liegt.
Und tatsächlich findet Husemann nach einer Weile was ersucht.
Ermittlungsakten über Klaus Otten.
Darin ist auf hunderten Seiten explizit festgehalten, was Klaus Otten vor der Wende getan hat.
Als der Kommissar sich nach und nach durcharbeitet, tut sich ein Bild vor ihm auf, das seine schlimmsten Erwartungen weit übersteigt.
Dass das, was Klaus Otten Petra angetan hat, bei weitem nicht sein erstes Verbrechen war.
Eher das Gegenteil war der Fall.
Klaus Otten ist ein furchtbarer Wiederholungstäter.
Rückblick
Es ist ein Sommerabend im Jahr 1969.
Es dämmert schon, als Birgit mit der S-Bahn nach Hause nach Ransdorf im Südosten von Berlin fährt.
Als die S-Bahn irgendwann nur noch von Kiefern umgeben ist, weiß sie, dass sie bald da ist.
Sie steigt am S-Bahnhof Ransdorf aus, nimmt die Treppe nach unten.
Die Station ist auf allen Seiten mit Wald umgeben.
Wie an vielen anderen Abenden auch, überquert Birgit die Straße am Bahnhof und läuft auf dem Fußgängerpfad, der ins nächste Wohngebiet führt, in den Wald hinein.
Durch die vollen Büsche und Bäume kann man von hier noch nicht die Lichter der Häuser sehen, die sich hinter dem Waldstück befinden.
Birgit läuft erst wenige Minuten, da wird sie plötzlich ruckartig nach hinten gezogen.
Ein Mann hat sie einfach gepackt und bevor Birgit überhaupt merkt, was vor sich geht, klebt er ihr ein Heftpflaster über ihren Mund und schleift sie ins Unterholz.
Dort drückt er ihr die Hände auf den Rücken und beginnt sie zu fesseln.
Doch während er sie auf den Boden drückt und das Seil um ihre Hände bindet, zuckt er lustvoll zusammen und lässt sich, entladen, neben sie fallen.
Nach wenigen Augenblicken schweren Atems steht er auf, hilft ihr hoch, entfernt das Seil und das Pflaster über ihr Mund und lässt sie gehen.
Birgit ist nicht die einzige junge Frau, die so etwas hier in der Gegend rund um den S-Bahnhof Ransdorf erlebt.
In den folgenden Monaten melden sich immer mehr Frauen bei der Polizei, dass sie in dieser Umgebung erst gepackt, dann gefesselt und am Ende in den meisten Fällen auch vergewaltigt wurden.
Manche von ihnen werden mit einem Messer bedroht, manche sind so schwer verletzt, dass sie danach wochenlang im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Nach der Fesselung und Vergewaltigung hilft der Täter den Frauen oft, sich wieder anzuziehen und lässt sie gehen.
Bald ist die ganze Gegend in Aufruhr über den Serientäter auf freiem Fuß, der immer wieder in der Gegend Frauen überfällt.
Viele trauen sich abends nicht mehr alleine auf die Straße des Bezirks Köpenick oder weigern sich, im Spätdienst zu arbeiten, weil das bedeutet, sie müssten im Dunkeln nach Hause.
Die Ostberliner Wochenpost gibt dem unbekannten Serientäter einen Namen, an den sich viele BerlinerInnen auch noch Jahre später erinnern werden.
Der Schrecken von Ransdorf.
Die Angst vor dem Phantom breitet sich immer weiter aus.
Polizeiführung und SED-Bezirksleitung von Köpenick versuchen mit Presseinformationen auf die Gerüchte und Panik zu reagieren.
Das hilft aber kaum. Bald wird unter den BürgerInnen gemunkelt, der Schrecken von Ransdorf habe schon mehr als 90 Frauen überfallen.
Während der Druck auf die Polizei immer größer wird und die ganze Gegend alarmiert ist, wird der Täter immer unvorsichtiger.
Einem seiner Opfer hilft er nicht nur beim Anziehen, er bringt die verstörte und verängstigte Frau sogar nach Hause und besteht dann auch noch auf ein Wiedersehen.
Der Täter scheint der Meinung zu sein, die Zuneigung einer Frau ließe sich auch mit Gewalt gewinnen.
Das Treffen findet auch tatsächlich statt.
Ganz kurz dazu, warum sich die Frau darauf einlässt, das kann sie später selbst nicht mehr so wirklich sagen.
Aber der Täter weiß ja auch, wo sie wohnt.
Also möglich, dass sie Angst davor gehabt hat, dass er ihr möglicherweise noch irgendwie was Schlimmeres antun würde.
Und es ist ja aber auch so, dass sich manche Opfer von sexualisierter Gewalt auch aus dieser Opferrolle herausbewegen möchten.
Und deshalb zum Beispiel auch nach einer Vergewaltigung die Schuld bei sich suchen.
Also im Sinne von nach Gründen suchen, wie sie sowas provoziert haben könnten.
Oder sich sogar einreden, dass sie das auch wollten und dann erst viel später erkennen, was ihnen da eigentlich passiert ist.
Ja.
Jedenfalls trifft sie sich an einem Abend nicht lange nach der Tat tatsächlich mit ihrem Peinigabend in einer Kneipe.
Er gibt ihr ein Getränk aus, stellt sich ihr mit seinem vollen Namen vor und zeigt ihr sogar seinen Ausweis.
Sein Name, Klaus Otten.
Die Frau traut sich nicht direkt nach dem Treffen zur Polizei zu gehen.
Währenddessen werden weitere Frauen in Rahnsdorf überfallen und vergewaltigt.
Irgendwann überwindet sich die Frau aber.
Inzwischen ist es das Jahr 1970.
Klaus Otten wird verhaftet.
Damals ist er ein kleiner, unauffälliger, schüchterner 21-Jähriger, der in neun Monaten mehrere Frauen im Wald von Rahnsdorf vergewaltigt hat.
1971 wird Klaus Otten wegen Notzucht, also Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung, in elf Fällen zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Ein gängiges Strafmaß für diese Taten in der DDR.
Als Klaus Otten 1981 wieder aus dem Gefängnis kommt, ist er 30 Jahre alt.
Er findet danach gleich Arbeit und bald auch eine Frau.
1982 heiraten sie und bekommen noch im selben Jahr ein Kind.
Es scheint so, als würde er versuchen, ein normales, gewaltfreies Leben zu leben.
Und das geht auch ein paar Jahre gut.
Aber es bleibt nicht dabei.
Im Frühling 1984 schaut Klaus Otten abends Fernsehen mit seiner Frau.
Dann verlässt er das Haus, setzt sich in sein Auto und fährt los.
An einer Straßenecke sieht er eine Anhalterin.
Klaus Otten zögert nicht, als er in ihr sein nächstes Opfer erkennt.
Er schlägt wieder zu.
Danach wird er verhaftet.
Vor dem Richter gelobt Klaus Otten Besserung.
Er betont nachdrücklich, dass er an sich arbeiten will und sich gerne einer Therapie unterziehen möchte.
Daraufhin wird Klaus Otten 1984 vom Gericht in die geschlossene Psychiatrie Berlin-Buch eingewiesen.
Und dann passiert etwas Eigenartiges.
Im Jahr 1985, nur ein Jahr später, ist Klaus Otten plötzlich wieder auf freiem Fuß.
Im August 1985 wird er aus der Psychiatrie entlassen.
Er habe sich nämlich stabilisiert, heißt es in einem psychologischen Gutachten.
Er sei also wieder in der Lage, am normalen Leben teilzunehmen.
Wie die Person, die das Gutachten erstellt hat, zu dieser Prognose kommt, wissen wir nicht.
Jedenfalls zieht Klaus Otten wieder zu seinen Eltern nach Kaulsdorf, findet Arbeit in einer Baufirma und in den folgenden Jahren auch eine Freundin.
In der Zeit nach der Psychiatrie geht er regelmäßig zu einer Psychiaterin, hört damit 1988 aber abrupt auf, als die Psychiaterin ihre Stelle verlässt.
Das alles liest der Ermittler Husemann im Jahr 1999 in Klaus Ottens DDR-Akten.
Bis zu dem letzten Gespräch mit der Psychiaterin 1988 ist alles gut dokumentiert.
Danach reißt die Spur des Klaus Otten ab.
Fest steht aber, der Mann, der Petra vergewaltigt hat, hat das schon mit unzähligen Frauen vor ihr getan.
Es ist fast eine Art Routine, zu der der Serientäter Klaus Otten anscheinend immer wieder zurückkehrt.
Und das, obwohl er insgesamt dreimal gefasst wurde.
Wie kann es also sein, dass er 1999 schon wieder zuschlagen konnte?
Genau, weil das darf ja eigentlich gar nicht sein.
Genauso wenig, dass jemand, der schon für 14 Fälle von Vergewaltigung und versuchter Vergewaltigung verurteilt wurde,
nach nur einem Jahr in der Psychiatrie wieder rauskommt und keine Einträge im Polizeiregister hat.
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, müssen wir uns die Umstände der damaligen Zeit mal ein bisschen genauer anschauen.
Und das machen wir zusammen mit Dr. Christian Boos.
Er ist Historiker und erforscht die DDR-Justizgeschichte im Stasi-Unterlagenarchiv.
Und Boos hat uns erklärt, dass die Einweisung von Klaus Otten in eine Psychiatrie für die DDR eigentlich total ungewöhnlich war.
Also man wird sagen können, dass die Psychiatrieeinweisung in der DDR weniger stark stattgefunden hat als in der Bundesrepublik.
Allein schon auch deswegen, weil es weniger entsprechende Spezialeinrichtungen gab.
Die Strafprozessordnung der DDR sah durchaus vor, dass psychologische Gutachten erstellt werden.
Aber das war eher selten der Fall, muss man sagen.
Diese Psychologisierung von abweichendem Verhalten hat so nicht stattgefunden in dem Maße, wie wir das hier aus der Bundesrepublik kennen.
Für einen Täter wie Klaus Otten wäre in der DDR also eigentlich wieder eine Haftstrafe am wahrscheinlichsten gewesen.
Warum das Gericht da anders entschieden hat, können wir heute nicht mehr wirklich nachvollziehen.
Vor allem auch nicht, warum er eben dann nach einem Jahr wieder raus durfte.
Womit das zusammenhängen könnte, hat uns unser Experte erklärt.
Der Grundgedanke der DDR war, man wollte die Leute ja re-sozialisieren seit den 60er Jahren.
Das heißt, sie wieder in das Arbeitsleben und in das soziale Leben integrieren.
Klaus Otten hatte damals eine stabil wirkende Beziehung und einen festen Job in Aussicht.
Das mag die Entscheidung, dass er so schnell wieder entlassen wurde, maßgeblich beeinflusst haben.
Aber trotzdem durfte er damals mit Sicherheit nicht einfach tun und lassen, was er wollte, sagt Boos.
Die Polizei wusste, wer in ihrem Sprengel entlassen worden ist, jedenfalls die relevanten Häftlinge.
Und die haben dann eben auch nachgeguckt, ohne Rücksicht auf den Datenschutz und ähnliches.
Also das war mit Re-sozialisierung gemeint.
Also StraftäterInnen wurden weiter von der Polizei kontrolliert,
halt um zu schauen, ob die Re-sozialisierung auch funktioniert.
Also die mussten sich regelmäßig melden und es gab unangekündigte Besuche, so Boos.
Aber die Entlassenen wurden nicht nur von der Polizei überwacht,
sondern zum Beispiel auch von den KollegInnen.
Weil da hat nämlich dieses soziale Stigma eine richtig große Rolle gespielt, laut Boos.
Ehemalige StraftäterInnen wurden also in der DDR eigentlich sehr streng kontrolliert.
Also was ist in dem Fall von Klaus Otten passiert?
War das eine Ausnahme?
Wahrscheinlich nicht.
Auch bei ihm gibt es nämlich Hinweise darauf, dass er bis zur Wende beobachtet und kontrolliert wurde.
Klaus Otten ging ja zum Beispiel mehrere Jahre zu einer Psychiaterin.
Die Kommissare, die im Fall von Klaus Otten ermittelt haben,
hatten ihn nach der Psychiatrie auch auf dem Schirm.
Es ist auch wahrscheinlich, dass seine damalige Arbeitsstelle auf ihn eingewirkt hat.
Also warum sind die Kontrollen dann offenbar abgerissen?
Das kann etwas mit dem Zeitpunkt in der deutschen Geschichte zu tun haben, als all das passiert ist.
Die DDR bricht im Herbst 1989 ja zusammen.
Und im Zuge der Wiedervereinigung muss alles schnell an das System der BRD angepasst werden.
Auch in der Justiz.
40 Jahre lang gab es ja zwei unterschiedliche Staaten mit unterschiedlichem Justizsystem und unterschiedlicher Rechtsprechung.
Und die musste man jetzt innerhalb kürzester Zeit zusammenführen und dabei auch entscheiden,
was mit aktuell und ehemals Inhaftierten passieren soll.
Und dann sind da ja noch die ganzen Berge von Akten der ehemaligen DDR,
die damals irgendwo in den Justizgebäuden eingelagert sind.
Damals wusste man auch damit nicht so richtig, wohin, erklärt Boos.
Also im Grunde genommen, ja, man hat die, wenn man so will, die Ordnung der DDR zerstört,
weil es eine repressive und undemokratische Ordnung war und hat dabei,
das sind halt die Kollateralschäden, ja, auch in Kauf nehmen müssen,
dass im Übergang einiges nicht so gut funktioniert.
Ja, man kann sich ja vorstellen, dass bei so einer Umstellung ein Aktenchaos entstehen kann
und auch Sachen verloren gehen.
Und dadurch, dass nicht nur die deutsche Volkspolizei abgeschafft wird,
sondern auch die Betriebe aufgelöst werden,
fallen da ja dann quasi alle Institutionen weg,
die für die Kontrolle von diesen StraftäterInnen da waren.
Ein einzelner Mensch wie Klaus Otten kann dann schon mal durchs Raster fallen.
Chaos ist aber auch nicht die einzige mögliche Erklärung,
warum Klaus Otten damals offenbar vergessen wird, sagt Boos.
Das Verrückte ist, manche Sachen durften dann auch wegen Westrecht nicht mehr genutzt werden.
Also es gab in der DDR zum Beispiel eine zentrale Einwohnermeldekartei beim Innenministerium,
die enthielt auch Straftaten.
Ich nehme an, also auch diese Zwangspsychiatrie wird da verbucht gewesen sein.
Nach bundesdeutschem Datenrecht ist das aber nicht mehr zulässig, diese Datei zu nutzen.
Einiges deutet darauf hin, dass auch im Fall von Klaus Otten
Informationen aus der DDR aus Datenschutzgründen
in der BRD nicht mehr genutzt werden durften.
Ermittler Husemann hatte ja, bevor er in dem Aktenarchiv der ehemaligen DDR gesucht hat,
im normalen Bundeszentralregisterauszug gesucht und da keine Eintragungen gefunden.
Der Psychiatrieaufenthalt von Klaus Otten ist nach westdeutschem Recht nämlich nicht aktenpflichtig
und bei den Straftaten, für die er 1971 zu zehn Jahren verurteilt wurde,
ist das genauso, weil die schon zu lang her sind.
Rein juristisch ist Klaus Otten damit also ein freier Mann, der seine Strafen verbüßt hat
und dessen Verfehlungen in keiner BRD-Datenbank mehr auftauchen.
Auch wenn nach wie vor eine Gefahr von ihm ausgeht.
Also hätte man die Entführung von Petra irgendwie verhindern können?
Im Fall Klaus Otten sind offenbar einige unglückliche Umstände, unterschiedliche Rechtssysteme und das Wendekaos so zusammengetroffen,
dass ein gefährlicher Wiederholungstäter wirklich lange Zeit machen konnte, was er wollte und nicht auf dem Radar der Behörden war.
Die Vorgeschichte, der Tatort, die Aussagen der Frau, das alles sind hinreichende Beweise, um Klaus Otten am 2. April 1999 festzunehmen.
Er ist aufgrund des Autounfalls noch immer schwer verletzt, also wird er zuerst in einem Haftkrankenhaus untergebracht und kommt dann in Untersuchungshaft.
Dort wird er immer lethargischer und er weigert sich zu essen.
In den nächsten Monaten nimmt der eh schon schmächtige Mann nochmal 20 Kilo ab.
Er sagt, er kriege kaum noch einen Bissen runter, weil seine demente Mutter nun ganz allein im Heim ist.
Er kann sie nicht besuchen, wie er es sonst immer getan hat.
Das bereite ihm große Qualen.
Der Prozess soll eigentlich am 18. Oktober 1999 vor der 11. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin stattfinden.
Aber die ZuschauerInnen und die Presse stehen an dem Tag vor verschlossenen Türen.
Denn Klaus Otten hat zwei Tage vorher versucht, Suizid zu begehen.
Die Ermitteln dann vermuten inzwischen auch, dass es sich bei dem Autounfall, der letztlich zur Rettung von Petra geführt hat, nicht wirklich um einen Unfall gehandelt hat.
Denn Klaus Otten ist mit nahezu 50 Stundenkilometer mit seinem Passat in das Fahrzeug an der Ampel gerast.
Bremsspuren gab es bei dem Aufprallort nicht.
Und er hatte sich ja, das ist ihr ja aufgefallen, das erste Mal bei ihr verabschiedet, indem er ihren richtigen Namen gesagt hat.
Sonst war sie ja immer Sklavin Eva und da war sie dann Petra plötzlich.
Ja, und das war eben nach der Liebesbekundung, ne?
Ja.
Der Prozess findet schließlich zwei Tage später, am 20. Oktober 1999 statt.
Klaus Otten wird auf einem Krankenstuhl in den Saal gerollt und neben seinen Verteidiger gestellt.
Er ist mit Gurten am Bauch, an der Hüfte und den Händen fixiert.
Zwei MitarbeiterInnen des Haftkrankenhauses bewachen ihn.
Petra ist Nebenklägerin, aber sie selbst ist nicht anwesend.
Sie lässt sich durch ihren Anwalt vertreten.
So wird sie nicht Zeugin davon, wie vor Gericht Klaus Ottens kompletter Werdegang nach und nach offengelegt wird
und damit auch jene frühen Prägung, die Spuren hinterließen, und zwar bis ins Erwachsenenalter.
Klaus Otten wird 1950 in Ost-Berlin geboren.
Er ist der Sohn einer Lehrerin und eines Feuerwehrmanns.
Schon früh ist sein Leben ziemlich unbeständig.
Mit zwei Jahren muss er ins Heim, weil seine Mutter krank wird.
Als er Jahre später zu der Familie zurückkehrt, die er nicht mehr richtig kennt, bekommt er Probleme in der Grundschule.
Er muss immer wieder die Schule wechseln.
Zu Hause herrscht ein strenger Befehlston, Klaus und seine Schwester müssen viel Hausarbeit verrichten.
Weder die Eltern noch Klaus haben Sozialkontakte außerhalb der Familie.
Man bleibt für sich.
Liebevoll geht es dabei aber auch nicht wirklich zu.
Als Klaus fünf Jahre alt ist, zieht die Familie in das Häuschen in Kaulsdorf, aus dem er sein halbes Leben nicht mehr ausziehen wird.
Als er etwa sechs Jahre alt ist, passiert etwas, das Klaus nie wieder vergessen wird.
Er kommt an einem Tag von der Schule nach Hause und findet seine Eltern erst nicht.
Aus keinem der Räume im Haus kommt ein Hallo zurück.
Als Klaus stets sich im Garten nach ihnen sucht, sieht er sie.
Sein Vater ist gerade dabei, die Mutter an einen Wäschepfahl zu fesseln.
Klaus kann nicht so richtig einordnen, was er dort sieht.
Und auch nicht die Gefühle, die der Anblick in ihm wecken.
Muss er der Mutter helfen?
Als er näher kommt, bemerken ihn seine Eltern.
Sie halten inne und lachen die Situation weg.
Es soll dem Kind zeigen, dass es ein Spaß ist.
Das, was sie da machen, scheint ein Teil ihres sexuellen Ehealltags zu sein.
Wie auch immer sich diese Szene später auf ihn auswirken mag,
an diesem Tag sieht der kleine Klaus zum ersten Mal etwas, das ihn sein ganzes Leben lang begleiten wird.
Seile und Fesseln.
Als Klaus 13 Jahre alt ist, erwischen wiederum seine Eltern ihn dabei, wie er sich selbst gefesselt den BH seiner Mutter trägt.
Augen und Mund hat er dabei verbunden.
Klaus' Vater schockiert der Anblick.
Dafür kann man ins Gefängnis kommen, droht er seinem Sohn.
Äh, nee.
Eine Warnung, die in Klaus' pubertärem Kopf zu verpuffen scheint.
Die Fesselspiele gehen weiter, nur ab dem Zeitpunkt eben nicht mehr im Haus, sondern im Wald, wo er sich fesselt und masturbiert.
Manchmal stranguliert er sich und wird ohnmächtig.
Das nennt man auto-erotic asphyxiation.
Also damit ist gemeint, sich selbst die Luft abzuschnüren, um Lust zu gewinnen.
Währenddessen erteilt er sich selbst Befehle, wie hinknien.
In der Realität mag er allein sein, in seiner Fantasie ist er es nicht.
In seiner Vorstellung kniet eine Frau gefesselt vor ihm.
Er hat sie unter seiner Kontrolle.
Sie ist ihm hilflos ausgeliefert.
Und das erregt ihn ganz besonders, wird von Befehlen von ihm erniedrigt.
So verbringt Klaus viele Stunden im Wald, bis ihm die Vorstellung dieser Szenarien allein nicht mehr genügt.
Mit 14 läuft Klaus einem Mädchen nach, stößt es einen kleinen bewachsenen Abhang herunter, hält es fest und festet es.
An diesem Tag begeht er seine erste Vergewaltigung.
Kurze Zeit später versucht er mit einem anderen Jungen zusammen nochmal ein Mädchen zu vergewaltigen.
Diesmal aber gelingt es ihm nicht.
Das Mädchen schafft es zu flüchten und erzählt seinen Eltern, was passiert ist.
1965 steht Klaus dann zum ersten Mal wegen einer Vergewaltigung und versuchten Vergewaltigung vor Gericht.
Er wird zu 15 Monaten auf einem Jugendwerkhof verurteilt.
Das ist eine Art Heim für jugendliche StraftäterInnen und Systemsprenger in der DDR,
wo, so berichten viele später, Kinder oft misshandelt oder gebrochen werden.
Es ist nicht klar, was Klaus Otten genau im Jugendwerkhof in Thüringen erlebt.
Was sicher ist, er wird dort nicht behandelt oder psychologisch betreut.
Stattdessen gibt es nur schwere körperliche Arbeit und Drill.
Als Klaus entlassen wird, zieht er wieder zu seinen Eltern und besucht die Abendschule,
um die 10. Klasse zu machen und seinen Abschluss nachzuholen.
Dort fällt dem inzwischen 16-Jährigen ein Mädchen ins Auge.
Im Unterricht schieben sie sich Kritzeleien und kleine Nachrichten hin und her, die sie in ihre Vokabelhefte schreiben.
Irgendwann treffen sie sich auch, um zusammen Hausaufgaben zu machen.
Und sie haben Sex.
Klaus Otten fragt, ob er sie dabei fesseln kann.
Sie willigt ein.
Es ist das erste Mal, dass Klaus selbst erlebt, dass er seine Fixierung auf Fesselungen auch einvernehmlich ausleben kann.
Tatsächlich sieht es auch kurze Zeit so aus, als würde sich das Leben von ihm nun langsam normalisieren.
Er macht eine Ausbildung zum Berufskraftfahrer, bald hat er die Schule nachgeholt und jetzt hat er auch noch eine Freundin.
Aber schon kurz danach trennt sie sich von ihm und Klaus fällt in eine Abwärtsspirale.
Er fühlt sich gekränkt und isoliert und schon gibt er sich wieder ganz seinen sexuellen Fantasien hin,
geht jetzt wieder oft in den Wald, um sich selbst zu fesseln und dabei vorzustellen, wie er Frauen vergewaltigt.
Und wieder kommt er an den Punkt, wo ihm die bloße Fantasie nicht mehr reicht.
Jetzt beginnt die Zeit, in der er an vielen Abenden nach genau gleichem Ablauf viele Leben zerstören wird.
Zwischen Juni 1969 und September 1970 wird er als der Schrecken von Rahnsdorf bekannt
und begeht eine Vergewaltigung nach der anderen.
In der Zeit seiner Verbrechensserie lernt Klaus, der inzwischen 20 Jahre alt ist, wieder jemanden kennen.
Es ist ein 16-Jähriger, mit der er eine Beziehung anfängt und sich bald darauf mit ihr verlobt.
Die Beziehung führt zu einer kurzen Pause in Klaus' Verbrechensserie.
Schon bald wird sie schwanger von ihm und die beiden bekommen ein Kind.
Das Liebesglück und die Stabilität kommen aber nicht an gegen den Rausch, den Klaus Otten erlebt,
wenn er einer Frau auflauert und sie dann in den Wald am Bahnhof schleift.
Also macht er weiter.
Im November 1970 wird Klaus Otten zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Kurz nach dem Antritt seiner Gefängnisstrafe im Frühjahr trennt sich seine Verlobte von Klaus und bricht den Kontakt ab.
Das gemeinsame Kind lernt er nie kennen.
Auch seine Eltern meiden den Kontakt zu ihm und besuchen ihn nicht im Gefängnis.
Nachdem er seine Haftstrafe voll verbüßt hat, nehmen sie Klaus trotzdem wieder bei sich auf.
Er zieht wieder in das kleine Haus in Kaulsdorf, in dem er aufgewachsen ist.
Er ist inzwischen 30 Jahre alt und mit seinen Eltern enger verbunden als viele andere in seinem Alter.
Klaus' Mutter will unbedingt, dass ihr Sohn eine Frau findet.
Sie schaltet eine Heiratsannonce in einer Lokalzeitung mit Erfolg.
Zwei Jahre später heiratet Klaus Otten und bekommt noch im selben Jahr eine Tochter, sein zweites Kind.
Wieder sieht es danach aus, als würde er sein Leben endlich in gewaltfreie Bahnen lenken.
Klaus Otten ist Ehemann, arbeitet als Gärtner, dann als Kranfahrer.
Zwei Jahre geht das alles gut.
Seine Frau lässt sich von ihm fesseln, aber es gibt ihm nicht die gleiche Befriedigung wie im Wald.
Außerdem wird er eifersüchtig auf das Kind.
Denn die Frau kümmert sich mehr um die gemeinsame Tochter als um ihn.
Ist auch nicht ihre Aufgabe, sich um ihn zu kümmern.
Also, das ist ja kein Baby.
Bald streift er wieder durch das Unterholz, gefesselt, in Röcke und Blusen gekleidet und onaniert.
Im Frühjahr 1984 fährt er los und vergewaltigt eine Anhalterin.
Das ist das Verbrechen, was dazu führt, dass Klaus Otten ein Jahr lang in die Psychiatrie kommt.
Leider ohne Erfolg, wie wir heute wissen.
1985, als Klaus Otten wieder frei ist, spielt sich nun der gleiche Zyklus ab, wie nach den anderen beiden Malen, als er seine Strafe abgesessen hat.
Er zieht zu seinen Eltern und findet wieder über eine Heiratsanlance seiner Mutter eine Freundin.
Seine Frau hat sich inzwischen von ihm scheiden lassen.
1988 passieren dann aber zwei Dinge, die für den weiteren Verlauf von Klaus Ottens krimineller Karriere wichtig sind und es möglich machen, dass er Petra in einem Folterkeller halten kann.
Erstens, Klaus Ottens behandelnde Psychiaterin verlässt ihren Arbeitsplatz.
Daraufhin hört er einfach auf, zu seinen ambulanten Terminen in der Psychiatrie zu gehen.
Zweitens, seine Eltern bitten ihn, den Keller auszubauen.
Er macht einen ersten Durchbruch zur anliegenden Tiefgarage, der Anfang einer jahrelangen Arbeit an einem Kellerlabyrinth.
1996 stirbt der Vater.
Klaus und seine Freundin trennen sich und er wohnt jetzt mit seiner Mutter zusammen.
Jetzt sind es also nur noch sie beide.
Und Klaus und seine Mutter verbringen von da an fast ihre gesamte Zeit zusammen.
Klaus Otten kennt jetzt nur noch zwei Beschäftigungen neben der Arbeit.
Entweder er trinkt mit seiner Mutter Kaffee oder er verabschiedet sich wieder mal stundenlang nach unten in den Keller und arbeitet weiter an seinem Projekt.
An dem Ort, der die Materialisierung all seiner Fantasien darstellen soll.
Sein Keller verließ unter dem Haus seiner Eltern.
Dort baut er nicht nur, er schreibt auch seine Visionen auf, heftet die Beschreibungen in Ordner ab.
Einer davon heißt Ordner zum Lernen für die Sklavin.
Die geheime Tür zum Folterkeller gibt es auch schon damals.
Hinter Vorräten und Werkzeugen hat er sie von Anfang an gut versteckt.
Niemand soll von seinem Geheimnis wissen.
Nur seine Mutter nimmt er irgendwann einmal mit nach unten und fesselt auch sie dort.
So wie es sein Vater damals mit ihr vor etwa 40 Jahren gemacht hatte.
Die Beziehung von Mutter und Sohn ist obskur.
Einerseits gab es den Kontaktabbruch, als Klaus im Gefängnis war.
Eine ziemlich lieblose Kindheit.
Jetzt leben die beiden aber innig zusammen.
Die Mutter beschafft immer wieder Frauen für ihren Sohn, obwohl sie weiß, was er ihnen in der Vergangenheit angetan hat.
Von seinen Partnerinnen fühlt er sich hintergangen, wenn sie sich von ihm trennen.
Die Mutter ist eine Konstante in Klaus' Leben und damit auch die wichtigste Person für ihn.
Als der Vater stirbt, wird die Beziehung der beiden noch intensiver.
Jetzt nimmt der Sohn emotional die Rolle des Ehemanns ein und behandelt seine Mutter wie seine Frau.
Vielleicht, so wird im Prozess gegen Klaus Orten klar, war der Folterkeller auch nicht allein seine Idee.
Er sagt in der Vernehmung, die Gitterzelle und andere Elemente des Sexkellers habe er nach Anweisung seines Vaters gebaut.
Führt Klaus das Erbe seines Vaters weiter, indem er diesen Keller baut und seine Mutter mit nach unten nimmt?
War sie die Frau, für den der Keller ursprünglich bestimmt war?
1998 geschieht dann etwas, das das inzwischen über Jahre eingespielte Leben von Mutter und Sohn auffühlt.
Die Mutter bekommt im Herbst 1998 Herzprobleme und wird ins Krankenhaus eingeliefert.
Klaus Orten besucht sie dort jeden Tag.
1999 wird er angewiesen, eine Kur zu machen.
Vor allem wegen Rückenbeschwerden, die ihn daran hindern, seiner Arbeit auf dem Bau wie gewohnt nachzugehen.
Bei der Kur in Süddeutschland stellen die Ärztinnen depressive Züge bei ihm fest.
Seiner Mutter geht es nicht besser und es quält ihn, nicht in ihrer Nähe zu sein.
Während Klaus Orten in der Reha-Klinik ist, wird seine Mutter operiert.
Er spricht vor anderen Menschen auf Kur davon, dass er seiner Mutter sein Herz spenden will.
Er fährt sogar zu einer Kirche und versucht dort in Kontakt mit der Seele seiner Mutter zu treten.
Als er erfährt, dass seine Mutter in einem Wachkuma liegt, entwickelt er Suizidgedanken und weigert sich zu essen.
Die Mutter überlebt, wird aber irgendwann in ein Pflegeheim verlegt.
Als Klaus Ottner aus der Reha entlassen wird, besucht er seine Mutter im Heim oder verbringt Zeit im Keller.
Manchmal schläft er auch dort unten.
In dieser Zeit, in der seine Konstante plötzlich aus seinem Leben gerissen wird, ist der Drang in ihm wieder lauter.
Und dann folgt der verhängnisvolle Valentinstag 1999, als er in den Abendstunden loszieht und sein Opfer Petra allein in der Dunkelheit sieht.
Was Petra von seinen ganzen Opfern zuvor unterscheidet, ist, dass er sie diesmal mit nach Hause nehmen kann.
Er wohnt nun allein in dem Haus der Eltern und hat den Keller fertig ausgebaut, um dort jemanden gefangen zu halten.
In der Zeit, in der er Petra allein im Keller lässt, besucht er entweder seine Mutter im Heim oder fährt zur ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, in der er sich wegen seiner Depression befindet.
Laut des Sachverständigen, der die Schuldfähigkeit von Klaus Otten einschätzen soll, hat Klaus Otten die Verbrechen an Petra nicht in einem besonderen Zustand tiefgreifender Bewusstseinsstörung begangen.
Sein soziales Wahrnehmungsvermögen sei normal, seine Intelligenz leicht überdurchschnittlich.
Durchaus zu erkennen sei aber eine depressive Persönlichkeitsartung mit einzelnen hysterischen Zügen, wie es damals heißt.
Heute würde man ja von histrionischen Zügen sprechen.
Und wie die meisten, die den Podcast hier schon lange hören, wissen,
HistrionikerInnen schwanken stark zwischen Emotionen und können nur sehr wenig Frust aushalten.
Als Klaus Otten von seinen Partnerinnen verlassen wird, führt sich das für ihn wie eine große, dramatische Verschwörung der Frauenwelt gegen ihn an, in der er das bemitleidenswerte Opfer ist.
Und als er auch nicht mehr von seiner Mutter stabilisiert wird, führt das laut Sachverständigen zu einem Einbruch im Selbstwert von Klaus Otten und damit zu einer Entscheidungs- und Denkhemmung.
Außerdem attestiert er Klaus Otten eine schwere seelische Abartigkeit, dazu sagt man heute Störung, in Kombination mit einer reaktiven, depressiven Episode.
Nachdem sein Auffangnetz weggebrochen ist, hatte Klaus Otten das Gefühl, nichts mehr zu verlieren zu haben.
Man kann bei Klaus Otten also von einer schweren psychischen Störung sprechen, die in Kombination mit einer akuten Krise sein Impulsverhalten beeinträchtigt hat.
Deshalb kommt der Gutachter zu dem Fazit, Klaus Otten war zum Tatzeitpunkt vermindert schuldfähig, aber nicht vollständig schuldunfähig.
Zu der psychischen Störung kommt eine multiple Störung der Sexualpräferenz.
Deshalb geht das Gutachten nicht davon aus, dass die sexuellen Fantasien irgendwann mit zunehmendem Alter schwächer werden.
Es stehe fest, in Zukunft sind mit großer Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten von Klaus Otten zu erwarten.
Klaus Otten verzichtet auf das letzte Wort, das ihm als Angeklagter zusteht.
Am selben Tag kommt es nach nur wenigen Stunden Verhandlungen zur Urteilsverkündung.
Der 49-Jährige wird wegen Geisernahme und Vergewaltigung an Petra in insgesamt 27 Fällen vom Gericht schuldig gesprochen.
Seine verminderte Steuerungsfähigkeit bedenkt das Gericht strafmildernd mit.
Die extremen Qualen, die Petra seinetwegen durchleiden musste, werden strafverschärfend gewertet.
Der Angeklagte hat das Leben der jungen Frau zerstört, sagt der vorsitzende Richter.
Wenn überhaupt, wird sie noch viele Jahre benötigen, um ein halbwegs normales Leben führen zu können.
Klaus Otten wird deswegen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und in einer forensischen Psychiatrie untergebracht.
Und mit diesem Urteil und seiner Sozialprognose wird er diesmal nicht nach einem Jahr dort wieder auf freiem Fuß sein.
Als das Urteil verlesen wird, zeigt Klaus Otten keine Regung.
Nach dem Prozess verschickt sein Verteidiger noch eine Pressemitteilung mit einem kurzen Text, den Klaus Otten eigentlich in der Verhandlung zum Besten geben wollte.
Seine persönliche Entschuldigung an Petra.
Darin steht, ich habe mich ihnen gegenüber sehr schlecht und verbrecherisch benommen.
Bitte verzeihen sie mein Vorgehen und die schweren Stunden, die ich ihnen bereitet habe.
Es tut mir aufrichtig von ganzer Seele leid.
Also wie merkwürdig ist, dass er sie jetzt sieht.
Ja, stimmt.
Weil er hat sie ja auch geliebt und in seinem Kopf war es ja offenbar seine Frau oder seine Freundin.
Es ist irgendwie ganz merkwürdig.
Ich nehme das irgendwie ihm nicht richtig ab, deshalb auch.
Weißt du?
Mhm, ja.
Klaus Otten begeht einige Jahre später Suizid in der forensischen Psychiatrie.
Was aus seiner Mutter im Heim geworden ist, ist nicht bekannt.
Über Petra wissen wir nur, dass sie lange in therapeutischer Behandlung war und dass sie nie mehr das Bedürfnis gehabt hat, nochmal öffentlich über ihre Zeit.
Im Keller zu sprechen.
Sie ist untergetaucht.
Ob sie danach wieder als Modedesignerin gearbeitet hat, überhaupt gearbeitet hat, ob sie mit Andreas zusammengeblieben ist.
Und klar.
Ebenso, ob sie verarbeiten konnte, was passiert ist und wieder ein halbwegs normales Leben führen konnte.
Fest steht nur, dass wenige Menschen so schreckliche Dinge erlebt haben wie Petra in den 47 Tagen bei Klaus Otten.
Einem Mann, der über diesen gesamten Zeitraum mehr Mitleid mit sich selbst hatte als ihr gegenüber, die er auf unaussprechliche Arten erniedrigt und vergewaltigt hat.
Oder mit irgendeiner der anderen Frauen, deren Leben er von einem Moment auf den anderen zerstört hat.
Eine Sache über Petra wissen wir aber noch.
Nicht lange nach der Verurteilung von Klaus Otten im Jahr 1999 bringt sie ein gesundes Kind zur Welt.
Zwischen all den schlechten Dingen, die ihr in der Zeit passiert sind, ist das vielleicht das einzig Gute.
Vor allem, weil Petras Peiniger Klaus Otten nicht der Vater ist.
Gott sei Dank.
Ja.
Also wenigstens das, ja, dass sie nicht jetzt auch noch ein Kind von ihrem Peiniger austragen muss.
Ja.
Ich glaube, das würde das, was sie eh alles verarbeiten musste, nochmal um einiges schwieriger machen.
Ja, auf jeden Fall.
Und ich meine, was sie da erlebt hat, wirklich.
Ich habe, als wir das erste Mal von diesem Fall gehört haben, haben wir doch gedacht, das kann nicht wahr sein.
Das ist ja wie in einem Horrorfilm einfach.
Es ist so furchtbar, wie ein Mensch einem anderen Menschen sowas antun kann, so erniedrigen und ja, dieser Person einfach die eigene Identität abzusprechen und ja auch wirklich wie ein Tier da unten sozusagen festzuhalten und einzusperren.
Ja, was für Probleme kann der Typ haben, dass der mindestens 14 Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen begeht, ja, also.
Nee, genau.
Und ganz ehrlich, also, wenn man sich seine Kindheit ansieht, ja, wir wissen nicht, was auf diesem Hof da genau passiert ist, aber an sich war im Urteil jetzt nicht die Rede von einer furchtbaren Kindheit oder so.
Und okay, dann hatte er diese Fixierung auf Fesselung und so, das haben ja auch andere Menschen.
Das ist nicht schlimm, genau.
Genau.
Und ich habe hier wirklich überhaupt 0,00000 Mitleid oder irgendwas mit ihm, weil es eben immer und immer wieder vorgekommen ist.
Weißt du, was ich meine, weil er hat ja psychische Probleme, aber er ist ja trotzdem insoweit steuerungsfähig, dass er sich auch hätte Hilfe holen können.
Er hatte ja auch immer mal wieder Phasen, wo er stabil war, durch vielleicht die Psychiaterin oder durch seine Partnerin, wo er nichts gemacht hat.
Und da hätte er sich selber zurückhalten müssen.
Ja, gerade von jemandem, der auch leicht überdurchschnittlich intelligent ist, kann man das auch erwarten.
Ja, total.
Dass man da eine Einsichtsfähigkeit hat und sagt, das ist nicht okay, dass ich andere Leute zu meiner sexuellen Erregung leiden sehen möchte und das dann auch so ausübe.
Ja, und ich meine vor Gericht, als man begründet hat, warum er zum Tatzeitpunkt vermindern schuldfähig war, dass er ja dann in dem Moment, wo seine Mutter auch nicht mehr mit ihm zusammengelebt hat, er sein Netzwerk verloren hat und er nichts mehr zu verlieren hatte.
Aber dieses Verlies hat er ja schon ewig gebaut.
Und jetzt ist so ein bisschen die Frage, egal ob er das für seine Mutter gebaut hat oder für andere Frauen, um die da unten gefangen zu halten, grauenhaft, das klingt nicht so richtig nach, ich ticke jetzt aus, weil gerade alles bei mir den Bach runter geht.
Ja, nächste Woche hört ihr hier von einem spektakulären Vermisstenfall, bei dem man sich wirklich fragt, kann das alles so passiert sein oder ist das vielleicht Stoff für das Drehbuch eines James-Bond-Films?
Bis dahin.
Bis dann, tschüss.
Das war ein Podcast der Partner in Crime.
Hosts und Produktion Paulina Graser und Laura Wohlers.
Redaktion Emily Glaser und wir.
Schnitt Pauline Korb.
Rechtliche Abnahme und Beratung Abel und Kollegen.