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#31 Hilf mir zu sterben!

Hey, hey, ich möchte heute gleich mit einer furchtbar traurigen Geschichte anfangen.
Einer Geschichte, die mein Herz berührt hat, wie es selten eine tat.
Es geht um ein blondes Mädchen, das ein Praktikum beim Radio gemacht hat.
Und dieses Mädchen durfte damals nicht on air sprechen, weil seine Stimme nicht die richtige Farbe hatte.
Und dieses Mädchen war sehr bedrückt und hat deswegen kurzzeitig eine Glaubenskrise gehabt.
Wie alt war das Mädchen?
19.
Aber keine Sorge, die Geschichte endet nicht ganz so furchtbar.
Denn dieses Mädchen ist mittlerweile eine Frau und wurde vom besagten Radiosender jetzt als Interviewgast eingeladen.
Möchtest du kurz sagen, wo?
Genau, ich habe mal ein Praktikum bei Radio 90.1 gemacht, einem Lokalsender aus Mönchengladbach.
Und ja, damals durfte ich nicht vertonen, weil meine Stimme zu kindlich war.
Das hat mich natürlich sehr beschäftigt.
Und jetzt haben Paulina und ich gerade für diesen Sender ein Interview gegeben.
Und jetzt bin ich scheinbar erwachsen genug, um bei diesem Sender auch aufzutreten.
Und damit auch endlich alle meine Stimme bei Radio 90.1 hören können, posten wir das Interview, sobald es veröffentlicht ist, in unsere Facebook-Gruppe Mordlust Stammtisch und auch auf unserer Instagram-Seite Mordlust, der Podcast.
Und glaubst du, dass die kleine Laura der Person, die dir das früher gesagt hat, auch so ein bisschen den Mittelfinger gezeigt hat?
Schon.
Und damit herzlich willkommen zu einer neuen Folge Mordlust, Verbrechen und ihre Hintergründe, dem Podcast, in dem wir wahre Verbrechen nacherzählen und über die Schlüsse, die man daraus ziehen kann, diskutieren.
Mein Name ist Paulina Kraser und mir gegenüber sitzt die Stimme, die heute in vielen Menschen ein wohliges Gefühl auslöst.
Diese Stimme gehört Laura Wohlers.
Und wir sprechen hier über Kriminalfälle und wissen davor nicht, von welchem die jeweils andere erzählt.
Und deshalb hört ihr auch unsere ungefilterten Reaktionen.
Genau, wir lassen hier auch unsere Emotionen einfließen und vor allem auch unsere Meinung.
Das ist vor allem für die Folge hier heute ganz wichtig.
Unsere Meinung hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und sie muss auch überhaupt nicht allen Leuten gefallen.
Wir wollen auch gar nicht, dass das so ist, denn sonst könnte sich ja keiner mehr darüber aufregen.
Nicht despektierlich gemeint.
Ich möchte kurz ein Update machen.
Und zwar hatten wir in dem Crossover mit den Lester-Schwestern über Vincent Lambert gesprochen.
Vincent war vor zehn Jahren, als er 32 Jahre alt war, bei einem Motorradunfall tragisch verunglückt und lag seitdem im Wachkummer und wurde künstlich ernährt.
Er hatte zwar seine Augen offen, aber er hat quasi keine Reaktionen auf Sprache oder Berührung gezeigt.
Und die Experten waren sich sicher, dass er halt nicht mehr bei Bewusstsein war.
Das Problem, seine Frau wollte die Geräte abstellen lassen.
Seine Eltern und zwei andere Geschwister von ihm, die streng gläubig waren, waren aber dagegen.
Und Vincent hatte keine Patientenverfügung und der Streit ging durch alle Instanzen.
Und letztendlich hatte Frankreichs höchstes Gericht entschieden, dass die Ärzte die Geräte abstellen dürfen.
Und das war zu der Zeit, als wir den Podcast aufgenommen haben, gerade der Fall.
Und es stellte sich heraus, dass die Ärzte kurz darauf dann auch die lebenserhaltenen Maßnahmen abgebrochen haben.
Und Vincent verstarb so also am 11.07.
Die Eltern hatten ja schon danach angekündigt, die behandelnden Ärzte wegen Mordes verklagen zu wollen.
Ob sie das jetzt machen oder nicht, da gibt es widersprüchliche Quellen.
Es wäre nur schwierig, weil es, wie die Umstände scheinen, eigentlich ein Fall von passiver Sterbehilfe ist.
Und die ist auch in Frankreich erlaubt.
Und das Problem ist halt eben nur, dass Vincent keine Patientenverfügung hatte.
Dieser Fall vereint ganz viele der Dinge, über die wir heute sprechen wollen.
Denn unser heutiges Oberthema ist die Sterbehilfe.
Und an dieser Stelle wollen wir noch eine kurze Triggerwarnung aussprechen.
Denn es geht heute um Suizid.
Und wenn es euch gerade schlecht geht und ihr Suizidgedanken habt,
dann könnt ihr euch jederzeit an die Telefonseelsorge wenden.
Unter der 0800 111 0111.
Mein Fall erzählt von der bedingungslosen Liebe einer Mutter und zeigt,
dass das Schicksal manchmal viel höhere Strafen vergibt, als dies ein Gericht jemals könnte.
Juni 1995.
Es ist ein regnerischer Sommertag.
Die 43-jährige Brigitte wartet auf einen Anruf von ihrem Sohn Ricardo,
der heute seine Abiturergebnisse bekommt.
Brigitte ist schon jetzt stolz auf ihren einzigen Sohn,
der von ihr und seinen Freunden Ricky genannt wird.
Ricky geht auf ein Gymnasium für Hochbegabte.
Das liegt ca. 30 Kilometer von ihrem Wohnort im brandenburgischen Forst entfernt,
weshalb Ricardo momentan nur am Wochenende nach Hause kommt
und unter der Woche im schuleigenen Internat wohnt.
Aber Ricardo ist nicht nur schlau und fleißig.
Er hat auch viele Freunde, ist ein guter Schwimmer und möchte einmal Arzt werden.
Brigitte wünscht sich, dass ihrem Sohn alles gelingt, was er sich vornimmt,
dass er selbstständig wird und ein Leben nach seinen Vorstellungen führen kann.
Und dieses Leben kann jetzt mit dem Abi in der Tasche beginnen.
Ricardo ist für Brigitte der einzige Mann im Leben.
Sie hat sich von Ricardos Vater getrennt, als der Junge drei Jahre alt war.
Nach der Wende hat sich die gelernte Bankkauffrau
dann im Fernstudium zur Betriebswirtin fortgebildet.
Heute arbeitet sie bei einer Versicherung.
Mit dem Geld kommen die beiden gut klar.
Vor kurzem hat Brigitte Ricardo sogar mit einem Motorrad überrascht.
Und dann klingelt das Telefon.
Brigitte hört die Stimme ihres Sohnes.
500 Euro Mutti.
Sie platzt vor Stolz.
Die beiden hatten vorher ausgemacht, dass wenn Ricardo statt einem 1,9er einen 1,8er-Abi-Schnitt schafft,
gibt es von ihr 500 Euro als Belohnung.
Am Telefon machen die beiden noch ab, dass sie seinen Erfolg heute Abend gemeinsam feiern.
Doch dazu kommt es nicht.
Denn nur eine Viertelstunde nach diesem Telefonat passiert etwas,
was das Leben der beiden für immer verändern soll.
Der 19-Jährige rutscht mit seinem Motorrad auf regennasser Fahrbahn aus und stürzt.
Ricardo war zwar nur mit 20 kmh unterwegs,
doch er fällt so unglücklich, dass er bewusstlos auf dem nassen Asphalt liegen bleibt.
Bei der Erstversorgung kommt es zu einer Sauerstoffunterversorgung des Gehirns.
Und so ist Ricardo während der Fahrt ins Krankenhaus zu lange ohne Sauerstoff.
Ricardo fällt ins Koma.
Seine Mutter wird benachrichtigt, die sich sofort auf den Weg macht.
Sie betet dafür, dass ihr einziges Kind wieder aufwacht.
Doch Ricardo regt sich nicht.
Die ganzen nächsten Tage nicht.
Jeden Morgen ruft Brigitte im Krankenhaus an, um zu fragen, ob er schon wach ist.
Doch erst drei Wochen nach dem Unfall schlägt Ricky die Augen zum ersten Mal wieder auf.
Brigitte sitzt neben ihm.
Doch Ricardos Augen schauen ins Leere.
Er nimmt seine eigene Mutter nicht wahr.
Ein bis zwei Wochen später, Ricardo liegt immer noch auf der Intensivstation,
folgen seine Augen plötzlich einem Schmetterling.
Einem Dekoschmetterling, der irgendwie unpassend im sterilen Krankenzimmer wirkt und hin und her schwingt.
Ricardo hat sein Bewusstsein wieder und in Brigitte kehrt die Hoffnung zurück.
Die Hoffnung auf ein Leben wie vor dem Unfall.
Doch Ricardo kann sich weder bewegen noch sprechen.
Daher ist auch Essen für ihn nicht möglich, weshalb er eine Magensonde braucht,
über die er Flüssigkeit und Nahrung zugeführt bekommt.
Ricardo muss noch lange im Krankenhaus bleiben.
Auch seinen 20. Geburtstag verbringt er dort.
Anlässlich seines Ehrentags bekommt er Besuch von seiner Freundin und seinen Jungs.
Auf dem Foto, das Brigitte an diesem Tag schießt, stehen seine Lieben um sein Krankenbett herum.
Ricardos Kopf ist zur Seite gelehnt und er schaut nicht wie die anderen in die Kamera.
Es kommt einem so vor, als würde er nicht realisieren, was gerade um ihn herum passiert.
Und die anderen scheinen nicht zu wissen, ob sie für das Foto grinsen oder im Angesicht der Situation ein ernstes Gesicht machen sollen.
Im Krankenhaus werden mit Ricardo etliche Tests gemacht.
Doch die Prognose ist schlecht.
Dass Ricardo jemals wieder ein eigenständiges Leben führen kann, ist quasi ausgeschlossen.
Für Brigitte ein Schock. Sie kann die Diagnose nicht annehmen. Noch nicht.
Sie will etwas unternehmen, will, dass Ricardo sich zurück ins Leben kämpft und kümmert sich um eine Reha, wo mit der Mobilisierung begonnen wird.
Mobilisierung bedeutet, dass der Physiotherapeut mit Ricardo übt, sich zu bewegen.
Obwohl, das ist eigentlich falsch.
Der Physiotherapeut bewegt ihn.
Denn bewusst kann Ricardo keine Bewegungen ausführen.
Also er bewegt sich mittlerweile schon, aber nicht so, wie er will.
Seine Augen sind das einzige Werkzeug, mit dem er bewusst agieren kann.
Und so kommuniziert der 20-Jährige auch mit seiner Umwelt.
Einmal blinzeln heißt ja, zweimal blinzeln nein.
Tatsächlich ist es nicht immer einfach für Ärzte und Ärztinnen zu sagen, inwieweit Patienten und Patientinnen ihre Umwelt wahrnehmen können,
wenn sie nicht sprechen und sich nicht verständlich machen können.
Unter Wachkuma-PatientInnen gibt es welche, bei denen nicht nur Reflexe,
sondern auch reproduzierbare Verhaltensweisen erkennbar sind,
die auf eine Interaktion mit der Umgebung hindeuten, so wie bei Ricardo eben.
In einem solchen Fall sprechen NeurowissenschaftlerInnen heute vom minimalen Bewusstsein.
Das wird aber oft nicht richtig erkannt.
In den Monaten nach dem Unfall entwickelt Ricardo starke Spastiken.
Innerhalb eines Vierteljahres hat sich seine rechte Hand so verkrampft,
dass sie zu einem Spitzenwinkel vom Arm abgespreizt ist.
Gegen weitere Verkrampfungen kämpft sein Therapeut mit ihm.
Auf Videoaufnahmen, die Brigitte in dieser Zeit macht, sieht man, wie anstrengend dieses Training für Ricardo ist.
Brigitte versucht ihrem Sohn immer wieder zu erklären, wie wichtig diese Übungen für ihn sind,
damit er vielleicht irgendwann wieder alleine stehen oder gehen kann.
Aber Ricardos Körper scheint ihm nicht zu gehorchen und sein Blick ist leer.
Doch es gibt auch kleine Erfolgserlebnisse und gute Momente für ihn.
Nach viel Übung ist es ihm möglich, kleine Stücke unterschiedlicher Lebensmittel zu essen,
sodass er nicht mehr jede Mahlzeit über seine Sonde verabreicht bekommt.
Außerdem geht sein Therapeut auch mit ihm ins Schwimmbad,
dorthin, wo Ricardo in seinem Leben vor dem Unfall so viele schöne Stunden verbracht hat.
Als Ricardo erstmals das Wasser um ihn herum wahrnimmt, fängt er an zu weinen.
Zu Hause ist Brigitte mit ihrem schwerbehinderten Sohn überfordert.
Doch 1996 gibt es in der Nähe ihrer Heimat keine Versorgung für Patienten und Patientinnen wie Ricardo.
Für Menschen, die 24 Stunden Betreuung brauchen, gibt es dort nur Altersheime.
Und ihren 20-jährigen Sohn zu 80-, 90-Jährigen abzuschieben, kommt für Brigitte nicht in Frage.
So pflegt sie ihn zu Hause und fährt Ricardo mehrmals die Woche zur Therapie.
Doch große Fortschritte macht er nicht.
Und das scheint auch er mehr und mehr zu realisieren.
Ricardo beginnt sich gegen sein neues Leben aufzulehnen.
Die Tage, in denen er in seinem Rollstuhl tobt und brüllt, häufen sich.
Brigitte spürt den Ärger und die Enttäuschung in ihrem Sohn aufflammen.
Und so lässt sie die ersten unaussprechlichen Gedanken zu.
Ricardo kann bis jetzt nicht gehen.
Er kann nicht sprechen.
Er ist inkontinent.
Soll das jetzt etwa sein Leben sein?
Fragt sie sich.
Sie ist sich sicher, dass Eriki so ein Leben niemals hätte führen wollen.
Hilflos, ausgeliefert und komplett abhängig.
Doch sie hofft, dass er sein neues Leben irgendwann annehmen kann.
Mit den dunklen Gedanken ist Brigitte alleine.
Sie traut sich nicht, sie auszusprechen und wüsste auch nicht, wem gegenüber.
Doch an einem dieser Tage, an denen Ricardo wieder sehr unruhig und wütend ist,
kann Brigitte es nicht mehr zurückhalten.
Das Unaussprechliche ausgesprochen wird Ricardo plötzlich ganz ruhig.
Er sieht seine Mutter ernst an und blinzelt dann einmal.
Also er schließt einmal für einen kurzen Augenblick seine Augen.
Brigitte bricht über ihrem Sohn zusammen.
Sie kann die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Dann sagt sie, du bist mein Kind, ich will nicht, dass du stirbst, dass du gehst.
Doch seit diesem Tag steht Ricardos Wunsch im Raum, den er seiner Mutter gegenüber noch öfter äußern wird.
1999 ziehen die beiden nach Berlin.
Dort hat vor kurzem eine neu gegründete Wachkoma-Station eröffnet und Brigitte hat es geschafft, für Ricardo dort einen Platz zu bekommen.
Ab jetzt wohnt er unter der Woche auf der Station und am Wochenende bei seiner Mutter in der kleinen Wohnung in Neukölln.
Auch wenn sich die beiden das ganze Wochenende sehen, ist Brigitte jeden zweiten Tag auf der Station, um ihren Sohn zu besuchen.
Das fällt den Pflegerinnen und Pflegern auf, denn das ist sehr ungewöhnlich für Angehörige ihrer BewohnerInnen.
Doch mit der Zeit stellt sich heraus, dass auch diese Einrichtung nicht die richtige ist.
Ricardo wird nämlich immer wacher.
So passiert ist, dass er durch unkontrollierte Bewegungen aus dem Bett fällt.
Einmal findet ihn eine Pflegerin blau angelaufen und mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden liegen.
Brigitte fragt sie, glauben Sie, Ricardo will so leben?
Bei dieser Frage schreckt die Pflegerin zurück und antwortet dann, darüber denke ich nicht nach.
In einer ARD-Dokumentation sagt die Leiterin der Station später,
Die Menschen hier leben von unserer aller Hoffnung und die Hoffnung stirbt zuletzt.
Brigitte macht sich also erneut auf die Suche nach einer passenden Versorgung.
Eine Förderwerkstatt wäre eine Möglichkeit, denkt sie.
Doch es gibt Schwierigkeiten mit dem Sozialamt wegen der Kostenübernahme.
Brigitte rennt von einem Amt zum nächsten, getrieben von dem Willen ihrem Sohn,
das Leben ein wenig erträglicher zu machen.
Aber man kann ihnen keinen adäquaten Platz anbieten.
Brigitte fühlt sich nicht ernst genommen und im Stich gelassen.
Und dann wird bei ihr Krebs diagnostiziert.
Brigitte weiß nicht, wie sie damit umgehen soll.
Dass sie krank ist, ist ihr eigentlich in Bezug auf sich egal.
Aber sie weiß, dass sie so lange auf dieser Welt funktionieren und für ihr Kind da sein muss, wie Ricardo sie braucht.
Denn wenn sie nicht mehr da ist, dann wird für ihn alles nur noch viel schlimmer.
Durch die Doppelbelastung entwickelt sich bei Brigitte eine Depression mit Schlafstörung.
Irgendwann traut sie sich, ihrem Sohn von ihrer Erkrankung zu erzählen.
Ricardo reagiert mit Unruhe und ist sichtlich irritiert.
Brigitte hat das Gefühl, dass er große Angst hat.
Genau wie sie.
Ende 2004 steht für Ricardo eine Operation an und in dieser Zeit verschlechtert sich sein Zustand.
Seine Magensonde ist eingewachsen, weshalb die jetzt gewechselt werden muss.
Die Entzündung bereitet Ricardo starke Schmerzen.
Immer wieder schreit er vor Schmerz und Brigitte glaubt, dass ihr Kind recht hat, mit seinem Wunsch zu sterben.
Und was sie bisher vehement abgelehnt hat, neun Jahre lang, nimmt Brigitte erstmals an.
Am 11. Dezember 2004 bricht ihr Widerstand.
In Ricardos Augen sieht sie erneut die verzweifelte Bitte, der sie diesmal nachgeben will.
An diesem Samstagabend bereitet sie den beiden noch Abendessen zu.
Dann bringt sie ihren Sohn ins Bett.
Da fragt sie ihn nochmal, ob er sich wirklich sicher ist.
Ricardo blinzelt einmal.
Ja, heißt das.
Daraufhin sucht Brigitte alle Medikamente zusammen, die sie finden kann.
Sie legt alles auf einen Haufen und teilt ihn in zwei Hälften.
Die eine für ihren Sohn, die andere für sich.
Die Medikamente für Ricardos zerstößt sie, löst sie in Wasser auf und presst sie durch ein Sieb,
damit das Gemisch durch die enge Magensonde passt.
Dann flößt sie den Medikamentencocktail in die Sonde ein, hält dabei Ricardos Hand und wartet.
Brigitte sieht, wie Ricardos Atmung immer flacher wird, bis er irgendwann den Mund schließt und lächelt.
Dann setzt sich Brigitte an den Küchentisch und schreibt einen Abschiedsbrief.
Darin erklärt sie, dass sie sehr müde ist und dass sie und ihr Sohn keinesfalls lebensverlängernde
Maßnahmen wünschen, falls sie noch lebend gefunden werden sollten.
Außerdem, dass sie sich eine Seebestattung in der Ostsee für die beiden wünscht.
Dann nimmt Brigitte die Tabletten zu sich und legt sich auf die Couch.
Drei Tage später wacht Brigitte im Krankenhaus wieder auf.
Das Pflegeheim von Ricardos hatte am Dienstag bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgegeben,
weil Ricardos immer noch nicht aufgetaucht und Brigitte nicht zu erreichen war.
Daraufhin hatte die Feuerwehr die Wohnung gestürmt.
Ricardos fanden sie tot in seinem Bett.
Brigitte lag auf dem Sofa.
Wären sie zwei bis drei Stunden später gekommen, wäre auch sie nicht mehr am Leben gewesen.
Doch so wurde sie gegen ihren Willen gerettet.
Als sie aufwacht, teilt der Arzt ihr mit, dass der Haftrichter bereits da war.
Dann kommt eine Psychologin an ihr Bett.
Sie rät Brigitte, dass sie sich einen Anwalt nehmen soll und stellt auch den Kontakt zu einem Verteidiger her.
Der kommt direkt ins Krankenhaus.
Und mitten auf der Intensivstation um das Bett der 52-Jährigen,
um das ein Haftrichter samt Protokollführer, ein Staatsanwalt und ein Verteidiger stehen,
wird die Anklage verlesen.
Sie lautet auf Totschlag.
Anstatt sich zu überlegen, wie sie aus dieser Situation schnellstmöglich wieder rauskommt,
hat Brigitte andere Gedanken im Kopf.
Was wird jetzt aus meinem Sohn?
Wer organisiert die Beerdigung?
Und wo ist der überhaupt?
Brigitte möchte Ricardos noch einmal sehen und zwei Tage vor Weihnachten
darf sie ins Leichenschauhaus fahren und sich dort noch einmal von ihm verabschieden.
Danach geht es für sie in Untersuchungshaft.
Nach zwölf Tagen wird sie entlassen und wartet ab dato zu Hause auf ihren Prozess.
Neun Monate später beginnt die Gerichtsverhandlung.
Die Anklage der Berliner Staatsanwaltschaft lautet nun nicht mehr auf Totschlag,
sondern auf Tötung auf Verlangen.
Der Sachverständige hatte anhand der Unterlagen feststellen können,
dass Ricardos durchaus in der Lage gewesen war, entscheiden zu können,
ob er sterben möchte und das auch zu kommunizieren.
Beziehungsweise konnte es nicht ausgeschlossen werden, dass dem so war.
Die Tötung auf Verlangen wird in § 216 des Strafgesetzbuchs geregelt.
Dort steht, ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden,
so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
Eine aktive Sterbehilfe ist in Deutschland nämlich verboten.
Brigitte, die mittlerweile 53 Jahre alt ist, aber viel älter aussieht, sitzt mit ergrauten Haaren und ganz in schwarz gekleidet auf der Anklagebank.
Mit leiser und zittriger Stimme erzählt sie von dem Leben mit ihrem behinderten Sohn und der Tat.
Die Zuhörer und Zuhörerinnen des vollbesetzten Saals sind ergriffen.
Es herrscht Totenstille, kein Flüstern, kein Papierrascheln.
Was ich getan habe, war das Schwerste, was meinem Leben abverlangt wurde.
Ich habe meinem Sohn geholfen, aus dem Leben zu gehen, erklärt sie weinend.
Lange dauert die Beweisaufnahme in diesem Fall nicht.
Und bevor ich zu dem Urteil komme, möchte ich von dir wissen,
Was glaubst du, wie hat das Gericht entschieden und wie sollte man deiner Meinung nach einen Menschen wie Brigitte bestrafen?
Also erstmal glaube ich, dass sie für ihr Leben genug bestraft wurde.
Von daher hoffe ich natürlich, dass das Gericht sie so milde bestraft, wie es möglich war im Rechtsrahmen.
Ich denke nur, dadurch, dass wir uns ja jetzt ein bisschen länger damit beschäftigt haben,
dass sie vielleicht keinen Ausweg gefunden haben und deswegen 216 greift
und sie wahrscheinlich schon halt mit mindestens einem halben Jahr Gefängnisstrafe bestraft wurde.
Vor der Urteilsverkündung erklärt der Staatsanwalt in seinem Abschlussplädoyer,
dass er in seinem Beruf selten eine Tragödie solchen Ausmaßes erlebt hat.
Und obwohl er auf Seiten der Anklage steht, falle ihm nichts ein, was gegen die Angeklagte spricht.
Weiter erklärt er, dass Brigitte sich aufopferungsvoll und mit aller Liebe um ihren behinderten Sohn gekümmert
und ihm nach einem langen Leidensweg seinen letzten Wunsch erfüllt hat, aus dem Leben zu scheiden.
Nach dem Plädoyers wird sich kurz beraten.
Fast bedauernd erklärt sie, dass das Gericht um einen Schuldspruch nicht herumkommt.
Sie spricht Brigitte der Tötung auf Verlangen schuldig.
Doch mit dem Verweis auf § 60 StGB erklärt sie, dass von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.
Dieser Paragraf regelt Taten, die den Täter oder die Täterin so schwer getroffen haben,
dass die Verhängung einer Strafe verfehlt wäre.
Als die Richterin nach der Urteilsbegründung die Sitzung schließt, erhebt sich im Zuschauerraum ein älterer Mann und applaudiert.
Wir haben ja schon öfters darüber geredet, dass Dinge strafmildernd auf das Urteil sozusagen einwirken.
Und hier ist das quasi ein richtig gutes Beispiel dafür, dass das auch sinnvoll eingesetzt werden kann.
Also sie wurde jetzt schuldig gesprochen, aber nicht bestraft.
Genau.
In der ARD-Doku aus Liebe töten, Sterbehilfe einer Mutter, aus der ich auch die meisten Infos habe,
wird auch Brigitte interviewt und du siehst einfach in ihr diesen Schmerz und diese riesige Resignation über allem.
Das heißt, Brigitte lebt heute noch?
Ja, also zum Zeitpunkt der Doku, die war glaube ich 2014, ja.
Und sie, also der Wunsch, ihr Wunsch, Riccardo in der Ostsee zu bestatten, dem wurde nachgegangen.
Und jetzt geht sie immer zu ihm an, also fährt sie mit dem Boot auf die, mit dem Schiff auf die Ostsee,
wenn er Geburtstag hat zum Beispiel und ja, und lässt dann Blumen für ihn ins Wasser fallen zum Beispiel.
Also eigentlich ist sie ja dadurch, dass sie dann wieder aufgewacht ist, halt auch nochmal bestraft worden, ja.
Weil das war ja nicht das, was sie in dem Moment eigentlich gerne wollte.
Nee, und dazu hat sie auch eigentlich diesen Brief halt geschrieben, explizit gesagt, weil sie hat auch gesagt,
weil sie ja anhand ihres Sohnes gesehen hat, aus welchem Stadium sozusagen man Menschen noch wieder zurückholen kann, ja.
Aber das hat man natürlich nicht gelesen, die Sanitäter kommen rein und die sehen da einen Menschen, der vermeintlich Hilfe braucht, ja klar.
Und dann passiert das so.
Da es bei meinem Fall um einen Menschen mit Behinderung geht, der den Wunsch äußert, sterben zu wollen,
möchte ich in meinem Aha über die Rolle von Menschen mit Behinderung in der Sterbehilfedebatte sprechen.
In unserer Diskussion gehen wir nochmal auf Pro- und Kontraargumente der Sterbehilfe ein.
Hier wird sich aber erstmal nur auf die Menschen mit Behinderung bezogen.
Für viele von ihnen ist die aktive Sterbehilfe nämlich ein besonders heikles Thema,
da es unweigerlich die Frage nach lebenswertem und nicht lebenswertem Leben aufwirft
und an das Euthanasie-Programm der Nazis erinnert.
Das griechische Wort Euthanasie bedeutet eigentlich guter Tod
und meint die ärztliche Begleitung schwerkranker und sterbender Menschen.
Doch im Dritten Reich wurde dieser Begriff umgedeutet
und so wurden Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen
zu den ersten Opfern des NS-Regimes.
Ihr Leben wurde als unwürdig und sie als Ballast-Existenzen bezeichnet,
ihr Tod als reine Heilbehandlung und Erlösung für sie und die Gesellschaft propagiert.
Und so wurden mehr als 300.000 Menschen mit Behinderung und psychischen Erkrankungen umgebracht,
nachdem man die Gesellschaft in zwei Klassen aufgeteilt hatte,
die Lebenswerten und die Nicht-Lebenswerten.
In der aktuellen Sterbehilfe-Debatte kommen Erinnerungen und Gefühle
an diese Unterteilung bei vielen Menschen mit Behinderung wieder auf.
Für sie besteht dabei dann oft eine Art Rechtfertigungszwang.
Deshalb gibt es viele Menschen mit Behinderung,
die sich gegen die aktive Sterbehilfe einsetzen, in ganz Europa.
Sie möchten nicht, dass ihr Leben als lebensunwert betrachtet
und Sterbehilfe als Ausweg angeboten wird.
Sie kämpfen gegen die Gleichsetzung von Leid und Behinderung,
die oft in der Debatte mitschwingt und möchten zeigen,
dass es sehr viele Menschen mit Behinderung gibt, die ein erfülltes Leben führen.
Viele von ihnen haben Angst, dass Menschen wie sie künftig gezwungen
oder zumindest stark unter Druck gesetzt werden könnten,
sich für den schnellen Tod anstatt für teure Assistenz und Medizinleistungen zu entscheiden.
Denn in den Debatten werden Menschen mit Behinderung leider oft zu Objekten gemacht,
nach dem Motto,
Solche Aussagen sind gefährlich und eine Zumutung für Menschen, die auf Betreuung angewiesen sind.
Ein Fall aus Belgien zeigt warum.
Dort ist die aktive Sterbehilfe seit 2002 erlaubt und im Jahr 2012 haben zwei Brüder diese in Anspruch genommen.
Die eineigigen Zwillinge Mark und Eddie waren zu dem Zeitpunkt 45 Jahre alt und schon ihr ganzes Leben lang taub.
Als sie erfuhren, dass sie auch noch erblinden würden, sahen sie den einzigen Ausweg im Tod.
Die FAZ schreibt dazu,
Aber es ist doch nicht wichtig, was wer als nicht mehr lebenswert einstuft,
abgesehen von den Personen, um deren Schicksal es sich dreht.
Nur darum geht es doch.
Also der Gesetzgeber bestimmt das doch nicht, sondern überlässt die Entscheidung dem Betroffenen.
Ja, aber dadurch, dass es ein Gesetz dazu gibt und alle erforderlichen Kriterien
für das Durchführen der aktiven Sterbehilfe bei diesen beiden Brüdern erfüllt waren,
zeigt das ja, dass der Staat alle Weichen dafür gestellt hat,
dass ein Leben wie das der Brüder als nicht mehr lebenswert erachtet wird.
Und das ist das, was die Redakteurin der FAZ in diesem Fall kritisiert.
Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 2009 dazu verpflichtet,
wirksame und geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen,
ein Höchstmaß an Unabhängigkeit, umfassende körperliche, geistige, soziale und berufliche Fähigkeiten,
sowie die volle Einbeziehung in alle Aspekte des Lebens und die volle Teilhabe an allen Aspekten des Lebens zu erreichen und zu bewahren.
Das ist das Ziel, das hier noch lange nicht erreicht ist, aber in meinem Fall sieht man, wie wichtig das ist.
Eine Mutter, der bei der Suche nach der besten Versorgung für ihr krankes Kind Steine in den Weg gelegt wurden
und die quasi ganz alleine da stand mit ihren Entscheidungen und Sorgen.
Aber das erklärte Ziel ist es, Menschen mit Behinderung ein lebenswertes Leben zu ermöglichen
und auch, wenn es sicher nicht bei jedem Menschen möglich ist,
ist es doch öfter möglich, als wir uns das als gesunde Menschen vielleicht vorstellen können,
zum Beispiel auch als taubblinder Mensch.
Irmgard Reichstein hat die Stiftung Taubblind Leben gegründet,
nachdem ihr Bruder dieselbe Diagnose wie die beiden Brüder aus Belgien ereilt hat.
Als er die Diagnose bekam, dachte er auch an Selbstmord.
Irmgard Reichstein hat diese Phase ihres Bruders hautnah miterlebt
und auch, wie er sie nach einer Zeit hinter sich lassen konnte.
Heute ist ihr Bruder sozial vernetzt und lebt ein aktives Leben.
Ein Leben, das sie selbst nie für möglich hielt,
weshalb sie durch ihre Stiftung anderen Menschen mit derselben Behinderung zeigen will,
dass es möglich ist.
Die Frage, die wir uns deshalb vielleicht als erstes stellen sollten, ist,
wie können wir Menschen mit Behinderung, die sich den Tod wünschen,
helfen, sich diesen nicht mehr zu wünschen
und auch den Angehörigen mehr Hilfestellung geben
und sie so nicht alleine zu lassen?
Ich denke, die Aufgabenstellung muss sein,
allen Leuten, die sich den Tod wünschen,
dabei zu helfen, ihn sich nicht mehr zu wünschen.
Aber sie auch dann gehen zu lassen,
wenn sie absolut keinen anderen Ausweg mehr aus ihrer Lage sehen.
So einen Fall habe ich mir diesmal nämlich angesehen.
Und der zeigt, dass die Verantwortung dafür
immer nur die betroffene Person selbst tragen kann.
Sie liegt auf dem Rücken in ihrem Bett.
Ihr Brustkorb hebt sich auf und ab.
Sie ist nicht ansprechbar.
Er fühlt ihren Puls, schaut nach ihren Pupillen.
Alles läuft nach Plan.
In ihrer linken Ellenbeuge hat sie eine Einstichstelle.
Er verlässt die Wohnung.
Aber er wird wiederkommen.
Noch einige Male.
Ein paar Tage zuvor.
Als Alina ihrer Freundin Madeleine an diesem Tag asiatisches Essen vorbeibringt,
kann sie sehen, dass sich etwas an ihrer Freundin verändert hat.
Seit sie sie vor acht Jahren bei einer Physiotherapie kennengelernt hat,
ist Madeleine müde geworden.
Damals kam sie zu Alina in die Therapie,
weil sie noch dachte, ihr könne dort geholfen werden.
Als Alina heute sieht, wie sich ihre Freundin nur noch mit Unterstützung
und körperlicher Schwerstanstrengung aufsetzen kann,
wissen beide, dass nichts mehr hilft.
Früher war Madeleine trotz ihrer Schmerzen irgendwie lebensfroher,
ging ab und zu aus und machte sich zurecht.
Diese Seite von ihr gibt es heute nicht mehr.
Jetzt kümmert sie sich nicht mehr um ihre Erscheinung,
sie hat andere Probleme.
Alina weiß, dass Madeleine nicht mehr kann.
Sie hat es ihr ganz offen gesagt.
Bereits Ende letzten Jahres hat Madeleine angefangen,
sich von Menschen zu verabschieden.
Aber als die beiden es dieses Mal tun, ist es für immer.
Auf Madeleines Nacken prangt ein Tattoo.
No more pain, steht darauf.
Bisher ein unerfüllter Wunsch.
Du musst einmal mehr aufstehen als hinfallen, heißt es.
Madeleine ist schon sehr oft wieder aufgestanden.
Über 28 Jahre.
So lang geht das alles schon.
Sie war 16 Jahre alt, als es anfing.
Sie wollte eigentlich nur eine Kugel Eis essen.
Dann bekam sie davon eine Salmonellenvergiftung.
Seitdem hat sie einen chronischen Reiz, Darm und immer wieder kommende Harnwegsinfektionen.
Alles hat sie schon dagegen versucht.
War in Indien, hat Ayurveda-Kuren ausprobiert.
Sogar eine Stuhltransplantation hat sie gemacht.
Sie hat Bücher gewälzt, klassische und alternative Heilmethoden getestet und war bei Spezialisten.
Und trotzdem tut es ständig weh.
Sie hat sogar Angst vor dem Essen, weil der Schmerz danach noch schlimmer wird.
Ihr Bauch ist ständig aufgebläht.
Die Darmkrämpfe sind so heftig, dass sie sich selbst Mittel dagegen spritzen muss.
Anders ist der Druck im Bauch nicht auszuhalten.
Nachts wie ein normaler Mensch einzuschlafen ist undenkbar.
Vor allem, wenn dann der Kopf auch noch anfängt zu rattern.
Die immer gleiche Frage im Kopf.
Warum ich?
Sie vermisst die alten Zeiten, in denen sie freier durch die Welt lief und tanzen gehen konnte.
Heute ist sie nie frei.
Beschwerden und Tabletten sind ihre ständigen Begleiter.
Deswegen musste sie auch ihre Arbeit als Arzthelferin irgendwann aufgeben
und bezieht jetzt mit 44 Jahren Teil Erwerbsunfähigkeitsrente.
Wenig in ihrem Leben hat Bestand.
Abgesehen von den Schmerzen.
Auch nicht die zwei Ehen, die sie eingegangen ist.
Ihre Männergeschichten haben meist schmerzhaft geendet.
Auch wenn das eine andere Form von Schmerz ist.
Sie kann nicht mit Männern schlafen, wie sie gerne möchte.
Sex hat die Erkrankung meistens noch schlimmer gemacht.
Deswegen hat sie jetzt keinen mehr.
Madeleine ist viel allein.
Die meisten der Menschen, die sie mal umgeben haben, können ihr Dauerthema nicht mehr hören.
Ihre Mutter und ihr Sohn Chris gehören auch dazu.
Ob er sie nicht mal wieder besuchen wolle, tippt sie in eine Nachricht an Chris.
Das ist die einzige Art, auf der die beiden in den letzten zwei Jahren Kontakt hatten.
Gesehen haben sie sich seitdem nicht.
Eine Antwort auf ihre Frage bekommt sie nicht.
Heute muss sich Madeleine aufraffen.
Es ist der 8. Februar 2014 und im Terminkalender steht, dass sie einen Besuch bei Dr. Motka hat.
Er ist schon seit über zwölf Jahren ihr Hausarzt und sie Dauergast in seiner Praxis.
Zweimal im Monat ist sie dort oder er kommt zu ihr nach Hause.
Er gehört noch zu der Sorte Ärzten, die Hausbesuche machen und nicht mehr Patienten aufnehmen, als um die sie sich auch kümmern können.
Er arbeitet auch am Wochenende in der Praxis, wenn gar keine Patienten da sind.
Er mag nicht, wenn zu viel Papierkram liegen bleibt.
Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Madeleine vertraut ihm.
Dr. Motka weiß genau, wie es um sie steht.
Als Madeleine an diesem Tag seine Praxis betritt, ist sie nicht gekommen, um mit ihm über weitere Therapiemöglichkeiten zu sprechen.
Sie hat diesen Termin gemacht, weil sie beschlossen hat, dass sie kein weiteres Mal wieder aufstehen kann.
Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde geworden.
Sie möchte von Dr. Motka, dass er ihr hilft, ihrem Schmerz endlich ein Ende zu setzen.
Madeleine ist bewusst, dass das eine große Bitte ist.
Ärzte sollen ihren Patienten ja helfen.
Aber Madeleine ist nicht geholfen damit, unter allen Umständen am Leben zu bleiben.
Sollte Dr. Motka ihre Bitte nicht nachkommen, hat sie sich schon überlegt, wie sie es sonst tun würde.
Wahrscheinlich würde sie sich auf eine Bahnschiene legen.
Auch diese Gedanken teilt sie mit Dr. Motka.
Als er das hört, kommen schlimme Erinnerungen bei ihm hoch.
Während eines Pflegepraktikums in der Notaufnahme musste er einmal den Leichnam eines Mannes
über das Klinikgelände in die Pathologie fahren, der sich auf die Schienen gelegt hatte.
Man kann sich ja denken, was dabei passiert.
Bei Motka hat sich dieses Bild eingeprägt.
Er weiß, wie grausam solche Erlebnisse für alle Beteiligten sind.
Er denkt auch an die Person, die den Zug führt und daran, mit was die Person dann fertig werden muss.
Motka weiß, dass Madeleine entschlossen ist, zu sterben und dass sie im Zweifel einen gewaltsamen Tod wählen wird.
Denn sie kommt nicht das erste Mal mit diesem Gedanken zu ihm.
In Motka kämpft die Zerrissenheit.
Aber am Ende könnte er es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, seine Patientin in dieser Situation allein mit sich zu lassen.
An diesem Tag setzt er seine Unterschrift unter zwei Privatrezepte für ein Medikament, das man unter anderem zur Sedierung verwendet.
Eine Woche später kommt Motka bei Madeleine zu Hause vorbei.
An ihrer Entscheidung hat sich nichts geändert.
Sie ist fest entschlossen zu sterben.
Er überreicht ihr eine Packung der Tabletten, die er für sie ausgestellt hat.
Dafür händigt sie ihm ihren Wohnungsschlüssel aus.
Dr. Motka soll währenddessen nach ihr sehen.
Einen Tag nach Motkas Besuch schickt Madeleine noch eine SMS.
Wir sehen uns wieder.
Dann schluckt sie die Tabletten, legt sich in ihr Bett und wartet darauf, dass sie ins Koma fällt.
Um 12.15 Uhr tippt sie noch in ihr Handy.
Danke dir, alles geschluckt.
Auch diese Nachricht geht an Dr. Motka.
Auf ihrem Nachttisch stehen die Medikamentenverpackung und die Abschiedsbriefe, die sie geschrieben hat und worin sie um Verzeihung bittet.
Einer davon ist ein Chris.
Als Dr. Motka das erste Mal nach Madeleine sieht, ist es 14 Uhr.
Sie liegt auf dem Rücken in ihrem Bett und erfüllt ihren Puls, testet ihre Pupillenreflexe und schaut nach ihrer Atmung.
Seine Ergebnisse trägt er in Madeleines Krankenakte ein.
Von diesen Besuchen wird es insgesamt neun geben.
An diesem Tag noch einen, um halb acht.
Die nächsten erstrecken sich insgesamt über 60 Stunden.
Als er zwei Tage nach Madeleines SMS morgens in seiner Praxis sitzt, klingelt sein Telefon.
Madeleines Mutter ist dran.
Sie sagt ihm, dass Alina versucht habe, Madeleine zu erreichen und dass sie sich Sorgen macht.
Sie sei gerade auf dem Weg zu ihr nach Hause.
Dr. Motka erklärt Madeleines Mutter, warum niemand ihre Tochter erreichen kann.
Sie sagt, man solle doch einen Krankenwagen rufen.
Aber Motka blockt ab.
Nachdem er das Telefonat beendet, ruft er Alina an und klärt auch sie auf.
Madeleine habe nicht gewollt, dass jemand etwas unternimmt.
Alina weiß, dass er damit recht hat.
Als Motka am nächsten Tag um halb fünf Uhr morgens zu Madeleine in die Wohnung kommt, ist sie bereits tot.
Wie abgemacht füllt er den Leichenschauschein aus.
Beim Todeszeitpunkt trägt er den Vortag ca. 23 Uhr ein.
Bei der Todesart setzt er ein Kreuz bei natürlicher Tod.
Die Todesursache benennt er mit Nieren- und Herzversagen wegen einer Tablettenintoxikation.
Er schreibt noch die Art der Tabletten dazu.
Dann nimmt er sein Telefon in die Hand und ruft Alina, Chris und Madeleines Mutter an, damit sie sich noch verabschieden können.
Es ist der Haken bei natürlicher Tod, den Dr. Motka gesetzt hat, der den Verdacht auslöst.
Der zweite Arzt, der die Leichenschau vor der Kremation durchführt, bleibt daran hängen.
Der Arzt findet, dass sich die beiden Angaben widersprechen.
Natürlicher Tod und Tablettenintoxikation.
Er erstattet Anzeige wegen des Verdachts auf nicht natürlichen Todes.
Es dauert zweieinhalb Jahre, bis bei Dr. Motka die Anklageschrift ins Haus flattert.
Darüber ist er mehr als erstaunt.
Mit rechtlichen Konsequenzen hätte er überhaupt nicht gerechnet.
Immerhin habe er sich ethisch korrekt und seiner Meinung nach auch rechtlich richtig verhalten.
Der erste Versuch, ihn vor Gericht zu zerren, wird abgewiesen.
Die Ermittlungen hätten gezeigt, dass Madeleine wirklich sterben wollte und Dr. Motka sich rechtmäßig verhalten habe.
Dagegen legt die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein.
Erfolgreich.
Der Strafsenat des Oberlandesgerichts erkennt, dass Motka sich nicht rechtswidrig verhalten habe, weil er ihr das Medikament verschrieb.
Das war Beihilfe zum Suizid, die ja, wie wir wissen, generell erst mal nicht strafbar ist.
Allerdings steht jetzt im Raum, ob er Madeleine nicht hätte retten müssen, als sie nicht mehr ansprechbar war.
Deswegen lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft Tötung auf Verlangen durch Unterlassung.
Als der Prozess beginnt, ist Dr. Motka 68 Jahre alt.
Mittlerweile hat er seine Praxis aufgegeben.
Zwei Anwälte stehen ihm vor Gericht zur Seite.
Beide finden den Vorwurf absurd.
Du darfst jemandem die Mittel für einen Suizid in die Hand geben, aber du sollst diesen Suizid verhindern, sobald die Person nicht mehr in der Lage ist, selbst zu entscheiden, erwidert einer von ihnen auf die Vorwürfe.
Motka ist ruhig vor Gericht, konzentriert und folgt den Ausführungen der Staatsanwaltschaft und des Richters.
Er macht sich Notizen.
Natürlich ist die Presse an diesem Fall interessiert.
Es geht um eine Grundsatzentscheidung.
Wenn Motka Interviews gibt, dann schreibt er seine Antworten vorher auf.
Er möchte nichts Falsches sagen.
Eigentlich ist er eher Öffentlichkeitsscheu.
Er hat auch noch nie öffentlich etwas zu dem Thema Sterbehilfe gesagt.
Jetzt aber, wenn die Zeitungen sein Gesicht drucken, dann zeigen sie es unverpixelt.
Er will es so.
Er steht zu dem, was er gemacht hat, mit vollem Namen und Gesicht.
Ich habe seinen Namen an dieser Stelle trotzdem geändert, weil das Verfahren jetzt, zumindest das Verfahren, schon ein paar Jahre her ist.
Die Begutachtung durch die Gerichtsmedizin hat ergeben, dass Madeleine im Urin Rückstände eines Medikaments
gegen Brechreiz hatte.
Dieses Mittel hätte in Madeleines Situationen zur Folge, dass sie sich nicht erbricht und damit nicht noch zusätzlich Schmerzen erleidet.
Und jetzt kommt es.
Das ist eine Substanz, die man spritzen muss.
Sie hatte davon keine Spuren mehr im Blut und das heißt, dass sie das Mittel mindestens sechs Stunden vor ihrem Tod bekommen haben muss.
Wann genau, lässt sich allerdings nicht mehr sagen.
Die Staatsanwaltschaft geht aber davon aus, dass Madeleine in ihrem Zustand gar nicht in der Lage gewesen wäre, es sich selbst zu verabreichen.
Diese Theorie unterstützt auch die Gerichtsmedizinerin, mit der Dr.
Modgar in den Wochen nach Madeleines Tod telefoniert hatte.
Sie sagt, er hätte ihr gegenüber geschildert, dass er Madeleine zu einem relativ späten Zeitpunkt das Mittel gespritzt habe.
Und hier liegt das Problem.
Abgesehen von dem Vorwurf, dass er seine Patientin hätte retten müssen, als sie nicht mehr ansprechbar war,
liegt im Auge der Staatsanwaltschaft durch das Spritzen während dieser komatösen Phase ein aktives Zutun von Dr. Modgar vor.
Also heißt, man wirft ihm jetzt nicht mehr nur Tötung auf Verlangen durch Unterlassung vor,
sondern sogar Tötung auf Verlangen durch aktives Zutun.
Modgar bestreitet, dass er Madeleine die Spritze gesetzt hat und er bestreitet auch, sowas jemals behauptet zu haben.
Es müsse sich hier um ein Missverständnis handeln.
Er weist darauf hin, dass Madeleine Arzthelferin war und sich sehr wohl selbst hätte spritzen können.
Die Staatsanwaltschaft sieht aber noch eine Problematik in Modgas Verhalten.
Er hatte Madeleines Mutter ja davon abgehalten, ihre Tochter zu retten.
Und dadurch habe Modgar den Grad zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe überschritten.
Auch Madeleines Sohn Chris wird vor Gericht geladen.
Er ist unsicher und man sieht ihm sein Unbehagen an.
Sein ganzes Leben lang hatte er mit angesehen, wie seine Mutter sich quält.
Deswegen hatte er schließlich entschieden, den Willen seiner Mutter zu sterben, zu akzeptieren, sagt er.
Und damit entlastet er Dr. Modgar.
Auch Alina spricht sich für ihn aus.
Sie sagt sogar, sie sei Dr. Modgar zutiefst dankbar dafür, was er getan hat.
Warum soll man einen Menschen, der sich nur noch quält, am Leben halten, fragt sie.
Sie war regelrecht erleichtert, als sie erfahren hat, dass Madeleine nicht mehr leiden muss.
Das sieht die Staatsanwaltschaft anders und unterstellt, dass man Madeleines Hilferuf nicht genau gedeutet hätte.
Immerhin habe sie ein Medikament gewählt, bei dem sich der Tod über Tage hinauszögert.
Sie hätte die unterschwellige Hoffnung gehabt, dass sie doch noch jemand rettet.
Woher wollen die das denn wissen?
Ja, das vermuten die.
Und das Oberlandesgericht war vor der Verhandlung außerdem noch die Frage auf,
ob Madeleine wirklich wegen ihrer Reizdarmerkrankung sterben wollte.
Sie sind der Ansicht, es hätte einige Hinweise auf eine psychische Erkrankung gegeben.
Dafür würden ihre Besuche bei verschiedenen Psychotherapeuten sprechen.
Wenn man 28 Jahre lang Schmerzen hat, glaube ich, geht man irgendwann auch mal zum Psychotherapeuten.
Also die Staatsanwaltschaft meint, Madeleine wollte aufgrund von psychischer Probleme sterben.
Aber es kann ja auch genauso gut sein, dass Madeleine neben ihrem Reizdarm auch noch andere Krankheiten hatte,
die die Ärzte und Ärztinnen einfach nur nicht erkannt haben.
Das wäre ja auch nichts Neues.
Ich glaube, man kann sich gar nicht vorstellen, was das für Schmerzen auslösen kann.
Also Leute, die diese Probleme nicht haben, die können, glaube ich, nicht verstehen,
dass man an sowas wirklich verzweifeln kann, wenn man ständig mit Schmerzen lebt.
Außerdem hatte Madeleines Mutter in einer Vernehmung der Polizei gesagt,
dass sich ihre Tochter immer in einem Spannungsfeld zwischen Lebenshunger und Todessehnsucht befand.
Auch das wertet die Staatsanwaltschaft als Indiz für ein psychisches Leiden.
Madeleines Mutter ist zum Zeitpunkt der Verhandlungen übrigens verstorben.
Also nehmen wir mal an, Madeleine hätte aufgrund einer psychischen Erkrankung ihren Tod gewollt.
Dann hätte man erst mal feststellen müssen, ob das Ausmaß der Erkrankung so immens gewesen wäre,
dass es gar nicht mehr ihre frei verantwortliche Entscheidung war und ob sie sich der Konsequenzen
überhaupt ausreichend bewusst gewesen wäre.
Dann wäre sie möglicherweise nämlich nicht einsichts- und urteilsfähig gewesen.
Und dann hätte Modgas Verantwortung hier wahrscheinlich anders ausgesehen.
Um es gleich vorwegzunehmen, die Kammer glaubt Dr. Modga die Version nicht,
dass sich Madeleine das Medikament selbst gespritzt haben könnte.
Vielmehr geht sie davon aus, dass die Behauptung eine Strategie seiner Verteidigung ist.
Trotzdem kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Injektion kein aktives Zutun darstellt,
sondern mehr mit dem Befeuchten der Lippen oder Aufschütteln der Kissen vergleichbar wäre.
Er hätte damit nur bewirken wollen, dass der Ablauf des Sterbens so verläuft, wie Madeleine es sich wünschte.
Und Madeleine wollte an einer Überdosis der Tabletten sterben.
Hätte Madeleine das Medikament nicht bekommen, dann hätte sie möglicherweise erbrochen.
Und das wäre nicht in ihrem Sinn gewesen und hätte wahrscheinlich ja weitere Schmerzen verursacht.
Madeleine habe im vollen Bewusstsein eine Überdosis an Tabletten genommen
und deswegen lag auch die Tatherrschaft die ganze Zeit bei ihr, sagt das Gericht.
Die vorsitzende Richterin spricht Dr. Modga am 8. März 2018 vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen frei.
Bei der Urteilsverkündung klatschen die Zuschauer im Saal Beifall.
So wie auch bei dir.
Es sind viele von Dr. Modgas ehemaligen Patienten und Patientinnen gekommen,
die ihrem Arzt über all die Jahre vertraut haben und ihn unterstützen wollen.
Also, die Tötung auf Verlangen durch aktives Zutun wegen der Injektion war vom Tisch.
Die Grenze zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe hatte er durch die Telefonate mit Adelina und Madeleines Mutter
nach Meinung des Gerichts auch nicht überschritten.
Die Tabletten hatte er ihr eh verschreiben dürfen.
Jetzt steht quasi nur noch die Tötung auf Verlangen durch Unterlassung im Raum.
Die Richterin erklärt, dass auch der Vorwurf ungerechtfertigt sei,
weil das Patientenverfügungsgesetz, das 2009 eingeführt wurde, dem entgegenstünde.
Soweit wir wissen, hatte Madeleine zwar keine Patientenverfügung,
aber das war ja ganz offensichtlich, dass das ihr Wille war, zu sterben und nicht wiederbelebt zu werden.
Und nach dem soll man sich richten.
Bei nach dem Patientenverfügungsgesetz gilt nämlich,
dass Ärzte und Ärztinnen keine lebenserhaltenden Maßnahmen durchführen dürfen,
wenn der Patient oder die Patientin diese vorher ablehnt.
Und auch wenn man die Entscheidung nicht nachvollziehen kann,
der Wille der Sterbenden muss auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit respektiert werden.
Ein Eingreifen wäre nämlich so etwas wie eine Zwangsbehandlung.
Motka sagt in einem Interview nach der Urteilsverkündung, dass ihm ein Stein vom Herzen fällt.
Aber das Gefühl hält nicht lange.
Die Staatsanwaltschaft will nämlich in Revisionen gehen.
Ihrer Ansicht nach wurde ja ein Urteil des BGH von 1984 nicht berücksichtigt.
Weswegen ich jetzt mein Aha mal ein bisschen vorziehe.
In dem Urteil von 1984 geht es um die sogenannte Peterle-Entscheidung.
Und der liegt eigentlich ein ähnlicher Umstand zugrunde.
Damals wollte der Arzt Herbert Wittig, wie vereinbart, seiner Patientin Charlotte Urmacher einen Hausbesuch abstatten.
Allerdings öffnete sie, wie der erwarten, nicht die Tür.
Zusammen mit einem Nachbarn verschaffte der sich dann Zugang zu der Wohnung und fand seine Patientin komatös vor.
Sie atmete nur noch alle zehn Sekunden und hatte kaum noch Puls.
Eigentlich war er da, um mit ihr nochmal über einen Krankenhausaufenthalt zu diskutieren.
Charlotte Urmacher war nämlich schwer krank.
Und nachdem ihr geliebter Mann, den sie so herzlich Peterle nannte, verstorben war, hatte sie keinen Sinn mehr im Leben gesehen.
Dr. Wittig war bekannt, dass es eine schriftliche Erklärung von seiner Patientin gab, in der stand,
Im Vollbesitz meiner Sinne bitte ich meinen Arzt keine Einweisungen in ein Krankenhaus oder Pflegeheim,
keine Intensivstation und keine Anwendung lebensverlängender Medikamente.
Ich möchte einen würdigen Tod sterben, keine Anwendung von Apparaten, keine Organentnahme.
Das hatte sie übrigens auch schon vor dem Tod ihres Mannes geschrieben.
Unter ihren Händen, was Dr. Wittig dann sah, lugte außerdem ein Zettel hervor, auf dem stand,
An meinen Arzt, bitte kein Krankenhaus, Erlösung, Ausrufezeichen.
Auf einem weiteren Zettel hatte sie geschrieben, ich will zu meinem Peterle.
Gemeinsam mit dem Nachbarn wartete Dr. Wittig, bis seine Patientin dann verstorben war.
Und auch dieser Fall schaffte es vor dem Bundesgerichtshof.
Da sprach Arzt Wittig 1994 von dem Vorwurf der Tötung auf Verlangen durch Nichtgewährung ärztlicher Hilfe zwar frei,
allerdings nur, weil sich Charlotte Urmacher zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand befand,
bei dem eine Rettung entweder erfolglos geblieben wäre oder aber halt mit schweren Hirnschäden verbunden gewesen wäre.
So war zumindest Dr. Wittig damals der Ansicht.
Der BGH sagte aber ausdrücklich, dass dies einzelfallbezogen und an bestimmte Umstände gebunden sei.
Generell seien ÄrztInnen dazu verpflichtet, in den Sterbeprozess einzugreifen.
Hätte Dr. Wittig Charlotte Urmacher also zu einem Zeitpunkt vorgefunden, wo sie noch normal geatmet hatte
und er ihr unter Erfolgsaussichten den Magen hätte auspumpen können,
dann wäre er sehr wohl nicht straffrei davon gekommen.
Und das bedeutet auch, dass ein Arzt oder eine Ärztin besser beraten wäre,
wenn er oder sie den Sterbeprozess nicht begleiten.
Also wir erkennen das Absurde an der Entscheidung, genau wie die Anwälte von Dr. Mottgar.
Die Person im Kittel darf das tödliche Mittel reichen, sogar besorgen, muss aber zur Rettung eingreifen,
sobald die Person bewusstlos und somit nicht mehr in der Lage sei, die Entscheidung selbstständig rückgängig zu machen.
Dann würde sich der Arzt oder die Ärztin nämlich in der sogenannten Garantenpflicht befinden.
Ab dem Moment hätte die Person die Tatherrschaft über das Geschehen,
weil von ihr abhinge, ob der Tod der sterbewilligen Person eintritt oder sie gerettet werden kann.
Also das mit dieser Garantenpflicht, das war dann halt auch eben Thema bei dem Verfahren vor dem BGH,
in unserem Fall mit Dr. Mottgar.
Immerhin war er jahrelang Madeleens Hausarzt.
Als Mottgar dieses Jahr vor Gericht steht, sitzt er nicht alleine auf der Anklagebank.
Neben ihm sitzt ein Arzt Ende 70 aus Hamburg,
der ebenfalls zwei Frauen im hohen Alter beim Suizid geholfen hatte.
Auch er wurde in erster Instanz freigesprochen.
Nur kurz eine Info am Rande.
Die Staatsanwaltschaft hatte bei dem Verfahren gegen Dr. Mottgar eine Geldstrafe von 18.000 Euro damals gefordert.
Und Mottgar hatte halt zwei sehr gute Anwälte mit seiner Verteidigung beauftragt.
Die Gerichtskosten beliefen sich aber schon vor der Revision, also die Gerichtskosten für ihn,
auf 30.000 Euro, wovon die Staatskasse trotz Freispruchs nur 10 bis 15 Prozent übernimmt.
Wie bitte?
Ja.
Den Rest musste er bezahlen.
Ja, weil sowohl seine berufliche als auch seine private Rechtsschutzversicherung,
in die er jahrelang eingezahlt hat, lehnten beide ab, die Prozesskosten zu tragen.
Und das heißt, obwohl er gar nicht verurteilt wurde, musste er halt eine immense Summe zahlen.
Und für ihn kam das halt wie einer Geldstrafe gleich, weil er sich auch keine großen Ersparnisse ansammeln konnte,
so wie er gearbeitet hat, sagt er.
Weil er halt eben nicht so viele Patienten hatte und eben eher darauf geguckt hat, dass er allen gerecht werden kann.
Der BGH verwirft die Revision in diesem Jahr und spricht beide Ärzte von den Vorwürfen frei.
Er sieht Modgar nicht in der Garantenstellung, da das Arzt-Patienten-Verhältnis geendet hat in dem Moment,
in dem Madeleine Modgar gebeten hat, sie nach der Einnahme der Tabletten nicht zu behandeln.
Ein Patient oder eine Patientin dürfte ja auch nicht zu einer OP oder zu einer Chemotherapie gezwungen werden,
wenn er oder sie das halt eben nicht will.
Und aus welchen Gründen sie oder er das entscheiden, das müssen wir nicht verstehen.
Wir haben nicht das Recht, darüber zu urteilen.
Also dieser ganze Aufwand, zweieinhalb Jahre diese erste Anklage vorzubereiten,
bis er da diese Papiere im Briefkasten hat.
Dann, also wie lange hat sich das jetzt gezogen?
Wann ist sie gestorben und wann wurde der jetzt quasi freigesprochen?
Fünf Jahre.
2014 ist sie gestorben.
Dieses Jahr wurde er in letzter Instanz freigesprochen.
Was für ein Witz eigentlich und wie viel Kosten und wie viel, was für ein Leid auch für die Familie und für diesen Arzt,
ja, dafür, dass am Ende ein Urteil gesprochen wurde, was den klaren Menschenverstand widerspiegelt, ja.
Und mir tut der Arzt halt so besonders leid, weil das war nie jemand, der nach außen gehen wollte.
Der hat sich gar nicht in der Rolle gesehen, dieser Figur, die jetzt dafür kämpfen muss.
Aber weil er auf einmal auf der Anklagebank saß, im wahrsten Sinne des Wortes, wurde er halt dann zu dieser Figur gemacht.
Er hat dann aber vor dem letzten Urteil auch gesagt, dass er weiterkämpfen wird für die Liberalisierung der Sterbehilfe, weil er ja ganz genau gesehen hat, was das mit einem Menschen machen kann, wenn man eben keine Unterstützung bekommt.
Und er konnte das einfach nicht mit sich vereinbaren.
Ja.
So, und nun hatte der BGH dieses Jahr ja das neue Grundsatzurteil, dass man die sterbende Person, die auch sterben will, als Arzt oder Ärztin nicht retten muss, gefällt.
Juhu, würden jetzt alle Befürworter der Sterbehilfe schreien.
Endlich der ersehnte Meilenstein in der Diskussion zur Sterbehilfe.
Wenn da nicht Paragraf 217 wäre.
Hätte es diesen Paragrafen schon 2014 gegeben, dann hätte sich Dr. Modgar wahrscheinlich doch vor Gericht verantworten müssen.
Nicht, weil er Madeleine nicht geholfen hatte, nachdem sie das Bewusstsein verlor, das Recht bleibt weiterhin bestehen, sondern weil er ihr nach jetzigem Recht das Mittel nicht hätte besorgen dürfen.
Genau. Seit Dezember 2015 gibt es nämlich den umstrittenen Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch.
Und der heißt, geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung und besagt, wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger ist oder diesem anderen nahesteht.
Der Gesetzgeber wollte eigentlich mit diesem Paragrafen verhindern, dass Suizidhilfevereine wie zum Beispiel Dignitas oder Sterbehilfe Deutschland ihre Angebote ausweiten und gesellschaftsfähig werden.
Also quasi eine Art Kommerzialisierung von Sterbehilfe verhindern.
Ja, wobei sich das geschäftsmäßig gar nicht nur zwangsweise auf die Kommerzialisierung bezieht, sondern auch auf eine wiederholte Beihilfe abzielt.
Und da liegt quasi das Problem dieses Paragrafen, weil im juristischen Sinne Ärzte und Ärztinnen auch geschäftsmäßig arbeiten.
Und deswegen haben vor allen Dingen PalliativmedizinerInnen, also MedizinerInnen, die todkranke Menschen behandeln, nun Angst davor, verklagt zu werden,
wenn sie nun ihren PatientInnen beispielsweise eine große Menge Morphium verschreiben oder auch spritzen, um das Leid der Menschen zu stillen,
wenn dieses Mittel möglicherweise das Leben verkürzt und der Patient oder die Patientin dann dadurch stirbt.
Also unklar ist dann auch, wie weit den ÄrztInnen eine Förderung der Selbsttötung unterstellt werden kann,
wenn sie ihren PatientInnen zum Beispiel übers Wochenende so viele Mengen an Schmerzmitteln überlassen,
dass die PatientInnen sich auch selbst töten könnten, wenn sie überdosieren würden.
Ja, aber nicht nur bei PalliativmedizinerInnen, sondern generell bei Ärzten und Ärztinnen.
Also Fälle wie meiner, wo ein Arzt seiner PatientIn das Mittel zur Selbsttötung verschreibt, werden dann auch möglicherweise strafbar.
Das heißt nämlich, dass Beihilfe zum Suizid, also einfach nur durch die Bereitstellung eines Mittels bei Ärzten,
jetzt sehr wohl strafbar sein kann.
Was aber unberührt bleibt, ist, wenn sich Privatpersonen untereinander Suizidhilfe geben.
Also ich könnte dir trotzdem immer noch das Mittel bereitstellen.
Und es ist aber ehrlich gesagt auch blöd für die Angehörigen, weil wie sollen die ohne Sterbehilfevereine,
die jetzt kriminalisiert werden, an Medikamente dieser Art kommen?
So, für viele ist Paragraf 217 ja ein totaler Rückschritt, weil Beihilfe zur Selbsttötung 140 Jahre lang bei uns erlaubt war.
Und jetzt auf einmal, wo wir über die Liberalisierung der Sterbehilfe reden, wird der Paragraf eingeführt,
der die Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellen soll, obwohl es nicht mal aktive Sterbehilfe ist.
Dazu kommen wir auch gleich noch.
Aber der Vollständigkeit halber, manche ÄrztInnen sehen den Paragrafen aber auch als eine Art Schutz davor,
unter Druck gesetzt zu werden, bei einem Suizid jetzt assistieren zu müssen.
Genau. Und dann gab es 2017 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das diesen Paragrafen in Frage gestellt hat.
Und zwar wurde da entschieden, dass der Staat einem unheilbar Kranken im extremen Einzelfall den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung nicht verwehren darf.
Und das Urteil ging zurück auf einen Fall von einer Frau, die nach einem Unfall vom Hals abwärts gelähmt war,
künstlich beatmet werden musste und unter heftigen Krampfanfällen litt.
Und diese Frau hatte halt den Kauf einer tödlichen Dosis Schlafmittel beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt.
Das wurde abgelehnt.
Und daraufhin ist sie mit ihrem Mann zusammen in die Schweiz gereist und hat dann dort mit Hilfe des Vereins Dignitas ihr Leben beendet.
Das Bundesverwaltungsgericht urteilte dann 2017, das Medikament zu verweigern sei rechtswidrig gewesen.
Der Verkauf von tödlichen Medikamenten könne zwar wegen gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich nicht erlaubt werden.
Es müsse wegen des Selbstbestimmungsrechts in Einzelfällen davon aber Ausnahmen für unheilbar kranke Menschen geben können,
wenn sie wegen ihrer unerträglichen Lebenssituation frei und ernsthaft entschieden haben, ihr Leben beenden zu wollen und es keine palliativ-medizinischen Alternativen mehr gebe.
Seit diesem Urteil sind etliche Anträge eingegangen, doch bisher wurde kein einziger bewilligt.
Und das hängt einmal mit dem Paragrafen 217 zusammen, der das ja eigentlich verbietet,
aber auch damit, dass MitarbeiterInnen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte jetzt entscheiden müssten,
wann eine extreme Ausnahmesituation vorliegt und wann nicht.
Das Problem ist auch, dass es auch nicht in diesem Urteilsspruch, da wird das auch nicht erklärt, wann eine vorliegt.
Also woran sollen die sich irgendwie orientieren?
Ja, und deshalb haben nicht nur PalliativmedizinerInnen, sondern auch andere Ärzte und Ärztinnen,
auch schwerkranke Menschen und professionelle SterbehelferInnen,
jetzt Beschwerde eingelegt und den Paragrafen als verfassungswidrig bezeichnet.
Und deshalb verhandelt das Bundesverfassungsgericht seit April dieses Jahres über den umstrittenen Paragrafen 217.
Und das Urteil wird im Herbst erwartet, also schon bald.
Und wenn entschieden wurde, dann werden wir euch auf jeden Fall benachrichtigen,
hier im Podcast, bei Instagram oder in unserer Facebook-Gruppe Mordlos Stammtisch.
Genau, also hier ging es jetzt um die Beihilfe zum Suizid, aber geschäftsmäßig.
Eine andere Form der Sterbehilfe ist die aktive Sterbehilfe.
Da wird der Tod nicht in Kauf genommen, sondern aktiv durch ein Eingreifen von außen herbeigeführt.
Beispiel, jemand verabreicht einer Person ein Mittel, von dem die andere Person dann stirbt.
So wie in meinem Fall Brigitte dem Riccardo auf seinen Wunsch hin eine tödliche Dosis Medikamente verabreicht hat.
Genau, weil nicht die Person, die sterben will, nimmt das Mittel, sondern eine andere verabreicht es ihr.
In meinem Fall hatte man ja auch kurzzeitig von aktiver Sterbehilfe gesprochen.
Oder dass der Grad da sehr schmal ist, weil er eben durch aktives Zutun dazu beigetragen hat.
Weil er eben eventuell durch diese Spritze aktiv gehandelt hat.
Nur nochmal zur Unterscheidung.
Eine Person darf einer sterbewilligen anderen Person theoretisch ein Gift bereitstellen, wenn sie es nicht beruflich macht.
Das ist Beihilfe zum Suizid.
Aber sie darf die Injektion nicht selbst setzen.
Das wäre aktive Sterbehilfe und das ist in Deutschland verboten.
Und deswegen fällt es unter den Paragrafen 216 die Tötung auf Verlangen.
Was nicht darunter fällt, ist eine andere Form der aktiven Sterbehilfe und zwar die indirekte aktive Sterbehilfe.
Und da ist es so, dass man zu medizinischen Maßnahmen greift, die die Schmerzen lindern sollen.
Allerdings können diese medizinischen Maßnahmen dann zu einem frühzeitigen Tod führen.
Also hier geht es um die Palliativmedizin oder auch so krasse Sedierungen, die beruhigen bis zur Bewusstseinsausschaltung.
Also Beispiel, Patient hat ein sehr großes Leiden, ausgelöst durch eine schwere Krankheit.
Er ist mit der Behandlung schon am Endstadium angekommen.
Das ist wichtig.
Und der Arzt gibt dann Morphium, was möglicherweise die Lebensdauer herabsetzt.
Also, dass der Patient wegen dieser Medikation eventuell früher verstirbt, wird hier in Kauf genommen.
Das ist grundsätzlich kein Straftatbestand.
Und es ist sogar so, dass wenn ÄrztInnen trotz großer, großer Schmerzen das unterlassen,
dass sie sich dann möglicherweise der Körperverletzung oder der unterlassenen Hilfeleistung schuldig machen können.
Und durch den Paragrafen 217 sind manche ÄrztInnen hier aber jetzt auch vorsichtiger.
Ja.
Und da gibt es noch die passive Sterbehilfe.
Das ist, wenn man den Tod geschehen lässt, also wenn man keine lebensverlängernden Maßnahmen ergreift.
Beispiel, künstliche Ernährung oder der Arzt oder die Ärztin stellt das Beatmungsgerät ab.
Ohne das Gerät kann die Person aber nicht mehr alleine weiteratmen und verstirbt dann.
So wie zum Beispiel bei Vincent Lambert.
An diesem Beispiel sieht man aber auch, passive Sterbehilfe ist nämlich gar nicht so passiv,
weil es beinhaltet ja eine aktive Handlung, also wie zum Beispiel das Abstellen von Geräten.
Und deswegen ist das so ein bisschen irreführend.
Aber sie ist auf jeden Fall dann erlaubt, wenn die Person, um die es geht,
das in einer Patientenverfügung festgehalten hat,
dass sie eben diese lebensverlängernden Maßnahmen nicht mehr haben will.
Oder aber, wenn die Familien das glaubhaft darlegen können.
Also deswegen sind Patientenverfügungen sehr wichtig für die passive Sterbehilfe.
ArztInnen müssen das dann auch befolgen, ansonsten droht ihnen auch da eine Bestrafung wegen Körperverletzung.
Du hast mir ja schon erzählt, dass du eine Patientenverfügung hast, richtig?
Und ich habe ja in unserer Bonus-Episode mit den Lester-Schwestern erzählt,
dass ich noch keine habe, aber mir vorgenommen habe, bald eine auszufüllen.
Das ist natürlich immer noch nicht passiert.
Was?
Aber ja, als ich mich jetzt wieder mit dem Thema beschäftigt habe, dachte ich mir schon wieder,
das muss ich jetzt bald unbedingt machen.
Und meinte auch noch zu meinem Freund, dass er es auch machen soll, weil, wenn was passiert,
damit dann nicht seine Eltern oder am Ende noch ich entscheiden muss, was passiert.
Aber er meinte dann, er kann jetzt noch nicht sagen, was dann ist.
Er weiß ja nicht, wie er sich dann fühlt und was er dann eigentlich wollen würde.
Aber in dem Moment kann er es dann halt nicht ausdrücken vielleicht.
Das kann er dann nicht mehr, weil es geht ja immer darum, also in diesem Dokument entscheidet
man ja quasi, was man in seiner Entscheidungsunfähigkeit, was dann passieren soll.
Aber ich finde, da ist auch was Wahres dran, was er sagt, weil ich kann mich ja als gesunde
Laura auch schlecht in eine kranke Laura hineinversetzen und ich kenne mich.
Ich weiß, wie schnell ich mich an Zustände und Situationen gewöhne, die ich früher für
unerträglich gehalten habe.
Wenn ich zum Beispiel daran denken würde, wie wäre mein Leben, wenn ich gelähmt wäre.
Ich würde wahrscheinlich sagen, unerträglich.
Aber sicher weiß ich das ja nicht.
Ja, verstehe.
Aber wenn du von Lähmung sprichst, bist du da ja bei Bewusstsein.
Genau, und dann könnte ich auch noch selber entscheiden.
Aber das war auch jetzt für mich sozusagen nur ein Beispiel, dass ich mich quasi, dass
ich nicht weiß, wie ich in bestimmten Situationen reagieren würde, weil ich mich da nicht
reinversetzen kann.
Genau, und das ist eigentlich das Paradoxe daran, weil du musst dich darum kümmern, wenn
du im Besitz deiner geistigen Fähigkeiten und zurechnungsfähig bist, für den Fall, dass
du es halt irgendwann nicht mehr bist.
Aber gerade in diesem Zustand, wie wir an dir oder deinem Freund sehen, wollen sich halt
die wenigsten damit auseinandersetzen.
Ja, ich denke auch, dass es besser ist, eine zu haben, als keine zu haben.
Nur eben wahrscheinlich, wie du sagst, ist es deswegen auch so ein langer Prozess, bis ich mich
dann mal wirklich damit am Ende auseinandersetze und wirklich eine habe.
Weil wenn man nämlich keine Verfügung festgelegt hat, entscheidet entweder ein Angehöriger oder
ein staatlicher Betreuer oder eine staatliche Betreuerin für einen.
Und die beraten dann gemeinsam mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin über meinen
mutmaßlichen Willen.
Und die haben ja keine Ahnung davon.
Genau, wie können sie sich da sicher sein, was ich will, wenn ich nicht mal jetzt weiß,
was ich in manchen Situationen wollen würde.
Ein Beispiel aus dem Jahr 2017 zeigt, dass eine Patientenverfügung zumindest vor qualvoller
Übertherapie schützen kann.
Ein alter Mann, schwer dement und bewegungsunfähig, wird sechs Jahre lang künstlich über eine Magensonde
ernährt und so am Leben gehalten, bis er im Alter von 72 Jahren eines natürlichen Todes,
also an einer Lungenentzündung stirbt.
Eine Patientenverfügung oder Vollmacht lag nicht vor und das einzige Familienmitglied, der Sohn,
lebt in Amerika und war deshalb nicht zum Vormund geworden.
Und der Fall kommt dann vor Gericht, weil der Sohn des Mannes dem behandelnden Hausarzt
vorwirft, das Leiden des Vaters unnötig verlängert zu haben.
Das Landgericht München hat die Klage des Sohnes auf Schmerzensgeld aber abgewiesen, mit der
Begründung, der Kläger habe nicht nachweisen können, dass sich sein Vater gegen die Ernährung
entschieden hätte.
Aber die eigentliche Frage ist ja, hat der Arzt im Sinne des Patienten gehandelt?
Weil das hätte er ja eigentlich machen müssen.
Und dazu habe ich den Chefarzt der Klinik für innere Medizin und internistische
Intensivmedizin am St.
Antonius Hospital in Eschweiler.
Professor Uwe Janssens gefragt, wie Ärztinnen in so einem Fall normalerweise reagieren
müssten.
Die Schwierigkeit an der ganzen Sache ist, dass wir natürlich das Ergebnis einer Behandlung
natürlich immer aus Patientensicht bewerten müssen.
Dann gilt es natürlich schon versuchen herauszufinden, gemeinsam mit dem Betreuer, was denn vielleicht
doch irgendwelche Hinweise im Vorfeld bestanden haben, dass bestimmte Ausweitungen einer Therapie
nicht mehr gewünscht sind, festzulegen, welches Ausmaß der Behandlung wir überhaupt noch eingehen,
welche Invasivität wir überhaupt noch machen.
Und in solchen guten Gesprächen auch mit amtlich bestellten Betreuern gelingt es dann doch immer
einen guten Weg zu finden.
Und zwar nicht nach dem Motto, wir beenden das jetzt nur alles, weil der Patient nun selber
offensichtlich eine schlechte Lebensqualität hat, sondern wir fragen uns dann schon,
sind die Belastungen der Behandlung, die wir gerade durchführen, eine Beatmung, ein sonst was
gerechtfertigt.
Und dann kommt man doch zu dem Schluss, dass wir auf der einen Seite keine richtige, gute
und sinnbehaftete Ärzteindikationen mehr stellen können.
Wenn wir die nicht mehr stellen können, weil wir sagen, wir finden kein vernünftiges Therapieziel
aus Patientensicht, dann ist auch eine Therapiezieländerung geboten.
Therapiezieländerung meint den Start der Palliativbehandlung.
Also Therapie nicht mehr mit dem Anspruch auf Heilung, weil das keinen Sinn mehr hat,
sondern mit dem Anspruch auf Schmerzlinderung.
Der Fall vom Sohn, dessen Vater so lange künstlich ernährt wurde, zeigt aber auch, dass man nicht
immer sagen kann, ob ein Arzt oder eine Ärztin am Ende wirklich im Interesse des Patienten
oder der Patientin handelt.
Der Fall ist ja nochmal vor dem BGH verhandelt worden.
Ich kann die Intention des Sohnes voll verstehen, finde aber das, was der BGH dazu gesagt hat,
sehr wichtig.
Die Vorsitzende Richterin meinte, das Urteil über den Wert eines Lebens steht keinem Dritten
zu.
Und die Signalwirkung zu sagen, lebensverlängernde Maßnahmen sind nicht als zu entgeltenden Schaden
anzusehen.
Das finde ich an sich sehr wichtig, auch wenn mir der Sohn in diesem Fall wirklich leidtut.
Und was auch sehr sinnvoll gewesen wäre, ist ja die Vorsorgevollmacht.
Die hätte er auf seinen Sohn übertragen können und dann hätte der Sohn auch im Fall der Fälle
für ihn entscheiden dürfen.
Das ging jetzt halt nicht, weil es nicht da war, also es gab keine Vollmacht.
Worauf man sich also einigen kann ist, in Bezug auf lebenserhaltende Maßnahmen ist die Patientenverfügung auf jeden Fall sinnvoll.
Aber für jeden, der das nicht weiß, es ist auch keine Bedienungseinleitung für einen Arzt oder für eine Ärztin, weil ganz konkrete Behandlungsanweisungen kann man da nicht reinschreiben.
Was der Arzt oder die Ärztin der Verfügung aber entnehmen kann, ist die Richtung, in die anstehende Entscheidungen gehen sollen.
Zum Beispiel eher weniger Therapie, wenn diese mit Belastung verbunden ist oder lieber alles versuchen, was an Therapieoptionen zur Verfügung steht.
Die Verfügung kann dann sozusagen ein Weltbild von mir vermitteln.
Im Idealfall beredet ihr das auch nochmal mit einem Arzt, zusammen mit eurer Familie oder mit einem Notar, obwohl ihr den eigentlich nicht dafür braucht.
Auf der Webseite des Justizministeriums, da gibt es so Textbausteine für verschiedene Fälle.
Die regeln natürlich nicht alles, aber damit kann man sich so ein Grundgerüst bauen.
Übrigens auch für den Fall, dass ihr lebensverlängernde Maßnahmen wollt, was völlig in Ordnung ist, das zu wollen.
Genauso wie es ist, es nicht zu wollen, nur kümmert euch darum.
Ich habe das letztes Mal schon in der Crossover-Folge gesagt, mir ist das unfassbar wichtig, weil Familien sich da wirklich in Streitigkeiten stürzen.
Und die Menschen so überfordert sind, weil sie sich zu ihrer Lebenszeit nicht damit auseinandersetzen wollen, weil es ein unangenehmes Thema ist.
Aber es ist ja so, alle, die diesen Podcast hören, haben offenbar kein Problem damit, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen.
Und das ist in der heutigen Welt eure Superpower.
Also nutzt das in diesem Fall.
Das stimmt.
Den Link vom Justizministerium packen wir euch auch nochmal in die Shownotes.
Wir wollten hier heute ein paar Pro- und Kontra-Argumente zur aktiven Sterbehilfe austauschen.
Also der Form, die in Deutschland nicht erlaubt ist.
Vorher will ich aber eine kleine Geschichte erzählen, die zum einen erklärt, warum mir das Thema so wichtig ist und die auch ganz anschaulich macht, zu was unsere Gesetzeslage im Zweifel führen kann.
Und zwar geht es um Marina und mich.
Marina war eine super selbstbestimmte Frau, die ich viele Jahre kannte.
Und Marina war schon einige Jahre schwer krank.
Sie hatte eine Art Hirnerkrankung, die einem in manchen Fällen erst den Verstand und danach das Leben raubt.
Und sie wusste, dass das passieren kann, dass sie in einen Zustand kommt, der für sie menschenunwürdig ist.
Und ich habe ein paar Mal mit ihr darüber gesprochen, aber Marina hat das immer nur so nebenbei erzählt.
So als wäre, sie hat darüber geredet, als wäre es klar, dass ihr das nicht passieren wird.
Und zwar aus folgendem Grund, weil sie immer gesagt hat, dass sie in diesem Falle in die Schweiz gehen wird.
Und ich habe versäumt, mit ihr genauer darüber zu reden, wie sie das genau anstellen wollen würde.
Allerdings war das bei Marina auch so, dass sie immer nicht so ganz offen war, was ihre Prognose dieser Krankheit anging.
Auf jeden Fall gab es dann irgendwann eine OP und noch eine.
Und irgendwann lag Marina dann im Hospiz.
Nicht mehr fähig zu sprechen, halbseitig gelähmt.
Und ich wusste ganz genau und ich weiß bis heute, dass das die größte Hölle für sie war.
Mehr noch, als dass sie bald sterben wird, was wir auch wussten.
Sondern für sie war das Schlimmste, da so hilflos zu liegen.
Dadurch, dass sie sich ja noch bewegen konnte und irgendwie kommunizieren konnte,
wusste ich, dass sie irgendwie bei Bewusstsein war.
Aber ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wie viel davon wirklich noch sie war.
Weil ich wusste, dass sich ihr Hirn langsam auffrisst.
Und es war eines der schlimmsten Dinge für mich, weil sich das über Wochen zog.
Und weil ich wusste, dass sie genau das nicht wollte und es in diesem Moment nicht mehr entscheiden konnte.
Und ja, sicherlich hätte man sie in diesem Zustand noch irgendwie in die Schweiz bekommen.
Aber du weißt ja auch nicht, was macht das mit der Person jetzt?
Wie sollst du einen Transport organisieren?
Und offenbar hatte sie es nirgendwo schriftlich festgehalten.
Und einige Male, wenn ich bei ihr saß,
habe ich wirklich darüber nachgedacht, ihr ein Kissen aufs Gesicht zu drücken.
Weil es mir so leid tat.
Und ich war so sauer,
dass es in dieser Situation keine Chance gab, ihr irgendwie zu helfen.
Weil sie sich selbst umbringen können, hätte sie nicht.
Sie hätte auch nichts selber nehmen können.
Es war einfach komplett hoffnungslos.
Und es zog sich, wie gesagt, über Wochen.
Und ich weiß, dass das das war, was sie immer befürchtet hatte.
Und genau deswegen habe ich dich heute gebeten, den Gegenpart vorzubereiten.
Weil ich weiß, dass ich es nicht ertragen kann, wenn Menschen mir sagen wollen,
dass das System, so wie es in Deutschland ist, in Ordnung ist.
Weil wenn mein Hund schwer krank ist, dann erlöse ich ihn auch davon.
Also ich persönlich finde, trotz all der Argumente, die dagegen sprechen mögen,
ist eigentlich eine grobe Unmenschlichkeit, dass Menschen, die andere in den Tod begleiten,
durch die Gesetzgebung in Deutschland, man will fast sagen, zu den Gedanken gedrängt werden,
die ich bei Marina tatsächlich hatte.
Weil das der einzige Ausweg aus diesem Leid ist.
Und das ist für mich auch eine Art des Im-Stich-Lassens.
Also es ist mein stärkstes Pro-Argument, Marina.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass das ein schwieriger Fall ist.
Wir wissen, dass es Krankheiten gibt, die schleichend kommen, wo man den Prozess nicht mitbekommt.
Und wir wissen, dass auch Unfälle passieren, wie in deinem Fall von Riccardo.
Und ich finde, man muss Menschen schon die Gelegenheit lassen,
im Zustand ihrer geistigen Fähigkeiten darüber entscheiden zu dürfen,
was sie für sich selbst nicht möchten.
Ich finde, dieses Selbstbestimmungsrecht muss man den Menschen lassen.
Das kann kein anderer für einen entscheiden.
Keiner kann einem sagen, dass man Kontrollverlust akzeptieren muss.
Mal abgesehen von den Schmerzen, die man dann empfindet.
Für diejenigen, die sich noch nicht in so einem Zustand befinden,
sondern die noch bei, ich nenne es jetzt mal, klarem Verstand sind,
die müssen in Deutschland, wenn sie sich nicht selber umbringen wollen,
mehrmals beispielsweise ins Ausland fahren,
weil es in Deutschland solche Angebote ja nicht gibt.
Und was heißt das im Umkehrschluss?
Dass nur einigermaßen wohlhabende Menschen sich sowas leisten können.
Was ich übrigens auch schwierig finde, ist, dass man die Beratungsstellen jetzt kriminalisiert hat,
die in manchen Fällen aber, wenn sie sich mit Menschen auseinandersetzen,
die diesen Willen verspüren und wenn die Stellen darin Erfahrung haben,
sicherlich auch in der Lage sind, die Menschen umstimmen zu können.
Es gibt ja diese Telefonseelsorge, aber wenn man sich schon so doll damit auseinandergesetzt hat,
möchte man vielleicht auch mit Menschen sprechen, die eigentlich gewohnt sind,
sowas durchzuführen, weil sie einfach vielleicht auch eine andere Sicht auf die Dinge haben.
Im Übrigen sagen einige Menschen, das Einzige, was mich noch am Leben hält,
ist die Chance, dass ich es jederzeit beenden könnte, wenn ich es möchte.
Und diese Chance, das so zu tun, wie jemand das für sich gerne entscheiden wollen würde,
die haben wir in Deutschland einfach nicht.
Und weil viele Kritiker ja auf die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung mit dem Zeigefinger schauen,
es gibt einen Facharzt für Palliativmedizin, der übrigens das Gutachten für den Sohn gemacht hat,
der geklagt hat wegen Schadensersatz.
Und der nennt das, was hier in Deutschland passiert, ökonomisch motiviertes Sterbeverhinderungskartell.
Denn es fließt natürlich ganz viel Geld in die Menschen, die jahrelang am Leben gelassen werden,
ohne dass wirklich Aussicht auf Besserungen besteht.
Zum Beispiel hat nämlich der Arzt in dem Fall von dem Vater, der da sechs Jahre lang an den Maschinen hing,
der hat Krebsvorsorgeuntersuchungen gemacht und mit den Kassen abgerechnet.
Also er hat quasi die Kuh gemolken.
So könnte man das interpretieren, ja.
Im Übrigen sind ja die meisten Deutschen für eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe.
Es gibt verschiedene Studien, aber im Grunde genommen sind es immer um die zwei Drittel die Befürworter sind.
Und ich hätte mich jetzt vor der Folge auch auf jeden Fall zu den Befürwortern gezählt.
Trotzdem konnte ich jetzt zumindest überzeugt werden, dass es auch nachvollziehbare Gründe gegen eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe gibt.
Ein Argument gegen die Legalisierung, den ich in meinem H bereits angesprochen habe, ist der soziale Druck, den sie mit sich bringen kann.
Also ein Druck nicht nur auf Menschen mit Behinderung, sondern auch auf alte und alleinstehende Menschen.
Die Gefahr ist dann einfach größer, dass sie anders von uns wahrgenommen werden.
Wie eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe das kollektive Denken beeinflussen kann, zeigt ein Fall aus den Niederlanden, wo aktive Sterbehilfe seit 2002 erlaubt ist.
Dort kann jedes nicht-tödliche Leiden auf Wunsch sofort beendet werden, wenn bestimmte Kriterien erfüllt sind.
Dazu gehört unter anderem, dass der Patient oder die Patientin in einem aussichtslosen Zustand ist und unerträglich leidet und natürlich einwilligungsfähig ist.
Der Fall, auf den ich mich jetzt beziehe, hat sich 2017 ereignet.
Eine ältere Frau in ihren 70ern war seit einigen Jahren an Demenz erkrankt.
Eines Abends mischte ihre Ärztin ihr heimlich ein Schlafmittel ins Getränk.
Dann wollte sie ihrer Patientin ein tödliches Mittel spritzen.
Doch die alte Frau wehrte sich hartnäckig, sodass die Ärztin die Angehörigen bat, sie festzuhalten.
Dann spritzte die Ärztin der Patientin das Mittel und diese starb.
Später berief sich die Ärztin darauf, dass die alte Frau oft wütend gewesen und nachts über die Flure geirrt sei.
Das habe sie als Zeichen für unerträgliches Leid gesehen.
Eine Patientenverfügung hatte es nicht gegeben.
Die regionale Kommission rückte die Ärztin darauf hin, stellte aber auch fest, sie habe in gutem Glauben gehandelt.
Und so wurde der Fall juristisch nicht weiterverfolgt.
Dieses Beispiel, auch wenn es nur ein Einzelfall ist, zeigt, was eine Legalisierung in der kollektiven Wahrnehmung bewirken kann.
Nämlich, dass gesunde Menschen meinen, entscheiden zu können, welches Leben nicht mehr lebenswert ist und welches schon.
Ein weiteres Risiko, das die Sterbehilfe mit sich bringen kann, ist, dass sie auf mehr und mehr Bevölkerungsgruppen ausgeweitet werden kann.
Weil eine Grenzziehung ganz schwer ist.
Also die Frage danach, wer darf eigentlich sterben?
Wann ist das Leid unerträglich und wann noch erträglich?
Und wer kann sowas überhaupt entscheiden?
In den Niederlanden kann auch ein alkoholkranker Mensch, bei dem alle Entzugsversuche gescheitert sind, aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen.
Passiert 2016 bei einem 41-jährigen Familienvater.
Auch Menschen mit Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen werden in der Regel als einwilligungsfähig erachtet und bekommen Sterbehilfe.
Und auch Menschen mit Demenz, wenn sie das vor ihrer Erkrankung in ihrer Verfügung festgehalten haben.
Und das finde ich wirklich schwierig.
Weil ich habe selber erlebt, wie jemand, der mir sehr nahe stand, Demenz bzw. eine frühe Form von Alzheimer bekommen hat.
Und niemals hätte ich gewollt, dass dieser Mensch mir dann genommen wird.
Auch wenn die Person es selbst so in ihrer Patientenverfügung geschrieben hätte.
Weil als es soweit war, wollte sie nicht sterben.
Sie hatte gute und schlechte Tage, so wie jeder von uns und hat sich auch gefreut, wenn ihre Liebsten bei ihr waren.
Und als die Person sterben wollte, hat sie die Nahrung verweigert.
Und weil in ihrer Verfügung stand, dass sie nicht künstlich ernährt werden will, ist sie dann auch gegangen, als sie es wollte.
Die Frage ist also auch hier wieder.
Woher soll man denn wissen, ob man als dementer Mensch dann nicht doch noch weiterleben möchte, weil man ein für die Verhältnisse gutes Leben führen kann?
Übrigens haben die Niederlande und Belgien ja mittlerweile ihre aktive Sterbehilfe auch auf Minderjährige ausgebreitet.
Und ein Kriterium für die Erlaubnis ist dann, natürlich, dass die Eltern zustimmen, aber auch, dass der Patient überzeugt ist,
dass sein Zustand aussichtslos und sein Leiden unerträglich ist.
Aber inwieweit kann ein Kind das denn eigentlich wirklich entscheiden?
Ja, die Grenzziehung ist unseren Nachbarländern anscheinend überhaupt nicht gelungen.
Man könnte sich ja, statt anzusehen, was die Niederlande und Belgien in dieser Thematik vielleicht falsch machen,
gucken, was wir halt richtig machen könnten.
Du musst ja nicht diese Modelle, die sie haben, komplett übernehmen.
Es gibt ja da noch andere Möglichkeiten.
Eine Möglichkeit, die Lage in Deutschland zu verbessern, ohne die aktive Sterbehilfe einzuführen,
hat mir Professor Uwe Jansens erklärt.
Er ist der Meinung, dass die Verantwortung zurück in die Hände der Ärzte und Ärztinnen muss.
Er kritisiert, dass durch die Einführung des Paragrafen 217 viele Ärztinnen handlungsunfähig gemacht werden.
Beispiel, wenn jemand in einem unerträglichen Zustand ist und sich den Tod wünscht,
dann sei der Arzt oder die Ärztin in der Pflicht, diese Sorgen ernst zu nehmen,
um mit dem Patienten bzw. der Patientin über verschiedene Therapiemöglichkeiten,
aber auch eine Therapiezieländerung zu sprechen.
Dass sowas möglicherweise dann zu Schmerzen führt, ist klar.
Der Arzt oder die Ärztin habe dann aber die Pflicht, den Menschen diese Schmerzen zu nehmen.
Zum Beispiel mit der Verschreibung oder der Gabe eines starken Schmerzmittels.
Wenn dieses dann zu einer Verkürzung des Lebens führt, dann sei das in Kauf zu nehmen.
Es geht Professor Jansens dabei nicht darum, den Patienten oder die Patientin zum schnellen Tod zu verhelfen,
sondern das Leid zu beenden, betont er immer wieder.
Ihm war es auch nochmal wichtig zu sagen, dass solche PatientInnen aber oft sehr ambivalente Gefühle haben
und dass er es schon oft erlebt hat, dass es sich die PatientInnen nach mehreren Gesprächen,
auch mit psychologischer Hilfe, dann doch anders überlegt haben.
Er ist der Meinung, dass wenn der Paragraf geändert würde und die Palliativmedizin ausgebaut würde,
dann würde sich das Problem mit der Sterbehilfe in vielen Fällen lösen.
Und damit ist er nicht allein.
Viele Sterbehilfegegner sind für den Ausbau der mobilen Assistenz- und Betreuungsangebote
sowie der Hospiz- und Palliativversorgung, für mehr Ressourcen, für die Schmerzmedizin,
mehr psychosoziale Beratungsstellen und Angebote.
Wir können ja mal auf die Länder schauen, die mit ihrer Sterbehilferegelung
nicht so sehr in der Kritik stehen wie Belgien und die Niederlande.
Die Schweiz zum Beispiel, finde ich, macht einiges richtig.
Also in der Schweiz gibt es ja offensichtlich keinen Paragrafen 217.
Aktive Sterbehilfe ist dort auch nicht erlaubt,
aber sie können zumindest ein Medikament zur Verfügung stellen.
Das hilft natürlich auch nur den Leuten, die es selber einnehmen können,
aber wäre meiner Meinung nach auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.
Dass Belgien, Luxemburg und die Niederlande da jetzt nicht unsere Vorbilder sein können,
ich glaube, das haben wir erläutert, warum das nicht gehen kann.
Übrigens spricht man da mittlerweile schon von einem kollektiven Suizid,
weil zwischen 2012 und 2016 die Zahl der Sterbehilfe-Fälle,
also zumindest in den Niederlanden, um 31 Prozent gestiegen ist.
Das ist halt schon eine Menge.
Aber wenn wir mal ein bisschen weiter gucken, zum Beispiel nach Oregon in die USA,
das ist nämlich ein Ort, der sowohl von Sterbehilfegegnern als auch von Befürwortern
oft als Positivbeispiel genannt wird, weil sie da schaffen, beides zu vereinen.
Also dort dürfen Ärzte Beihilfe zum Suizid leisten, allerdings unter viel, viel strengeren Kriterien als in der Schweiz.
Und der Patient muss volljährig und urteilsfähig sein und in Oregon wohnen.
Das heißt, die nehmen keine Patienten von außerhalb.
Und an einer unheilbaren Krankheit leiden, die nach Auffassung von zwei Ärzten innerhalb von sechs Monaten zum Tod führt.
Der Patient muss seinen Todeswunsch außerdem in einem Abstand von 15 Tagen zweimal mündlich und einmal schriftlich vorbringen.
Und außerdem ist der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin verpflichtet, die Patientinnen über Behandlungen aufzuklären.
Und wie gesagt, damit ist sicherlich noch nicht allen geholfen, aber es wäre halt wenigstens ein Schritt in die Richtung.
Ja, heißt übrigens, dass Oregon auch nicht erlaubt, psychisch Kranken beim Suizid zu assistieren, weil ihre Krankheit ja nicht automatisch innerhalb von sechs Monaten zum Tod führen würde.
Und ich glaube, dass die Diskussion mit psychisch Kranken nochmal eine ganz andere ist.
Ja, ich denke, es ist sinnvoll, einmal über die Grenzen zu schauen und dann zu gucken, wie machen das andere, wie entwickelt sich das da und was machen die eigentlich richtig und falsch.
Ja, und bei uns bleibt jetzt ja erst mal abzuwarten, wie der BGH über den Paragrafen 217 entscheidet.
Vielleicht führt diese Entscheidung ja auch zu einem ganz neuen Umgang mit der Sterbehilfe.
Wer weiß.
Ich habe es eingangs erwähnt.
Wir haben heute viel unserer Meinung gesagt.
Die hat kein Recht auf Allgemeingültigkeit.
Falls ihr Diskussionsbedarf habt, könnt ihr das gerne in unserer Facebook-Gruppe Modlist Stammtisch tun.
Da lesen wir auch mit und da können wir das alles kontrollieren.
Manchmal, gerade wenn Zuhörer und Zuhörerinnen eine entgegengesetzte Meinung von uns haben, haben sie das Bedürfnis, mit uns über Privatnachrichten eine Grundsatzdiskussion führen zu wollen, was wir verstehen können und worüber wir uns freuen, was wir aber nicht leisten können.
Deswegen freuen wir uns sehr auf eure Beiträge in unserer Facebook-Gruppe.
Ja, damit wir jetzt nicht alle deprimiert und traurig aus dieser Folge rausgehen, habe ich noch mal was, was euch zum Lachen bringen könnte.
Denn scheinbar ziehe ich das Verbrechen an.
Obviously.
Vor einiger Zeit bin ich nachts aufgewacht von Geschrei.
Da habe ich natürlich direkt zum Fenster gerannt und dann habe ich gesehen, wie vor meiner Tür fünf Streifenwagen standen und die Polizisten und Polizistinnen standen vor einem Schokoladenladen.
Welcher Schokoladenladen?
Da gibt es so einen Schokoladenladen. Ich glaube, den hast du auch schon gesehen.
Warum waren wir da nie drin?
Der ist nicht so besonders. Wirklich nicht.
Auf jeden Fall bin ich dann auch runter und überall hin, dass ich mehr sehen konnte.
Im Nachthemd auf die Straße gerannt. Sagt doch, wie es war.
Und dann habe ich halt gesehen, wie die Beamten und Beamtinnen dann versucht haben, die Tür zu diesem Laden aufzutreten.
Ja, und das haben die dann auch geschafft.
Aber scheinbar ist der Einbrecher oder die Einbrecherin irgendwie durch die Hintertür geflüchtet, weil festgenommen wurde niemand.
Und die Polizisten und Polizisten sind dann auch hier nur noch so rumgeirrt.
Ja, und dann dachte ich mir, okay, gehe ich wieder ins Bett. Hier passiert nichts mehr.
Wie du auch einfach wies.
Ich hoffe, es gab auch noch andere Nachbarn, die da gestanden haben.
Nein.
Ansonsten.
Da war niemand sonst. Ich habe ja auch an die anderen Fenster geguckt.
Naja, ich wurde dann auf jeden Fall...
Das ist creepy.
Dann wurde ich wieder geweckt. Und zwar einfach mal, weil die hier auf der Straße eine Tür gesägt haben für diese kaputte Glastür, ja.
Mitten in der Nacht sägen die einfach so ein Holzding.
Hä, in der Schokoladenfabrik jetzt.
Das ist keine Fabrik.
Nee, die Polizisten haben das gesägt.
Weil die haben ja das...
Ja, aber einfach so.
Eine random Tür oder was?
Ja, also irgendwie auf der Straße hatten die dann einfach so eine Holzplatte und die haben die so fertig gesägt und dann statt der Glastür vor diese Tür getan, ja.
Und diese Holztür ist immer noch da, obwohl das jetzt auch schon einige Tage her ist.
Und am nächsten Morgen bin ich natürlich auch direkt an dem Laden vorbei, um zu gucken, wie der von innen aussieht.
Und da war wirklich dann alles durcheinander, alles lag rum, Scherben auf dem Boden.
Und ich frage mich ernsthaft, wieso man in diesen Laden einbricht.
Ob die irgendwie eine bestimmte Rezeptur haben wollen.
Weil viel Geld werden die da ja nicht lagern und teure Produkte gibt es da eigentlich auch nicht.
Und ja, das beschäftigt mich und auch, dass schon wieder eine Straftat in meiner Nähe verübt wurde.
Also erstens möchte ich jetzt unbedingt wissen, was die da für Schokolade haben.
Deswegen beauftrage ich dich, morgen gleich dahin zu gehen, um welche zu kaufen und zweitens natürlich nachzufragen.
Warum warst du noch nicht in dem Laden und hast nachgefragt?
Ja, ich habe ja an dem Tag danach bin ich ja da vorbei und dann habe ich die Mitarbeiterin da gesehen und die sah total verheult aus und dann wollte ich da nicht reingehen.
Was soll sie machen? Natürlich ist sie verzweifelt. Es gibt keine Schokolade mehr.
Hätte die Frau aus dem Schokoladenladen doch mal einfach besser die Tür abgeschlossen.
So wie wir das immer machen.
Dann wäre vielleicht kein Einbrecher gekommen.
Richtig.
Das war ein Podcast von FUNK.