Zurück zur Startseite

#32 Zum töten geboren?

Laura, wie vertrauenswürdig findest du mich?
Auf einer Skala von 1 bis 10, 9.
Gut, das überrascht mich jetzt, aber wir wissen ja, dass du zu Fremden sehr schnell Vertrauen aufbaust.
Also findest du mich recht vertrauenswürdig?
Ja, das auf jeden Fall.
Okay, den Eindruck habe ich jetzt diese Woche nämlich auch von mir gewonnen.
Denn ich musste ja für diese Folge nach Hamburg fahren, zu unserem ersten Gast in unserem Podcast.
Und eigentlich musste ich mit der Bahn fahren, aber die fuhr wegen eines Unwetters nicht,
weshalb ich auf das Auto umsteigen musste.
Und mein Sitznachbar in der Bahn, der hörte schon das wütende Telefongespräch, was ich mit Laura führte.
Und daraus schloss er halt eben, dass ich mit dem Auto fahren wollte.
Und er fragte mich dann, ob ich ihn mitnehmen könne.
Und ich so, okay.
Ich habe ins Auto, also hatte ich vier Stunden, einen fremden Mann als Beifahrer.
Bist du's, Paulina?
Das ist doch eher ein Laura-Move.
Total.
Ich habe das aber hauptsächlich, glaube ich, deswegen gemacht, um dir und mir zu zeigen,
dass ich jetzt nicht ängstlicher bin als du.
Aber Bock hatte ich jetzt im ersten Moment nicht so drauf.
Aber es war eigentlich für mich ganz angenehm.
Für ihn, glaube ich, eher weniger, weil ich hatte auf dem Weg nach Hause schon angekündigt,
dass ich Crime-Podcasts anmachen werde.
Und ich habe willkürlich irgendwo raufgedrückt und habe dann die Stern-Crime-Folge mit Alexander Stevens
offenbar gewählt.
Der ja auf Sexualstrafrecht spritzerweselt ist.
Und wirklich hätte ich vorher drauf geguckt, ich hätte jede Folge genommen, außer die,
weil das Thema echt awkward ist für jemanden, den man gerade fünf Minuten kennt und mit dem
man dann auf so engem Raum zusammensitzt.
Worum ging's da?
Na, halt Taten, die das Sexualstrafrecht betreffen.
Das ist wie, wenn man mit seinen Eltern früher Filme geguckt hat und dann war da irgendwie
so eine Sexszene.
Das war so peinlich.
Ja, so ungefähr das Gefühl hat es mir gegeben in dem Auto.
Auf jeden Fall musste ich mir dann später anhören, dass, wenn ich ein übelriechender
Mann gewesen wäre, mein Beifahrer nach dem Podcast auf der Raststätte sicherlich ausgestiegen
wäre und per Anhalter weitergefahren wäre.
Wobei ich eigentlich auch nicht finde, dass ich auf den ersten Blick so vertrauenserweckend
aussehe.
Aber, naja.
Also ich meine, wir wissen von vielen Frauen, die zu Täterinnen geworden sind.
Und in meinem Auto riecht's auch ein bisschen komisch.
Also er war sehr mutig.
Und damit herzlich willkommen zu dem Podcast, bei dem man keine Angst vor Fremden hat und
wo wir über Verbrechen und ihre Hintergründe sprechen.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und mein Name ist Laura Wohlers.
Wir erzählen uns hier gegenseitig einen Kriminalfall aus Deutschland, von dem die andere in der
Regel nichts weiß.
Und deswegen bekommt ihr auch unsere ungefilterten und ungeschönten Reaktionen mit.
Wir lassen hier auch unseren Emotionen freien Lauf und reden hier vor allem auch über unsere
Meinung.
Die hat keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und muss auch nicht jedem gefallen.
Das wollen wir gar nicht, denn sonst kann man darüber ja gar nicht mehr diskutieren.
Nicht despektierlich gemeint.
Heute sprechen wir über die Faktoren, die uns Menschen in unserer Entwicklung beeinflussen
und die manche sogar zu StraftäterInnen werden lassen.
Was hat dich denn als Kind geprägt und bis heute beeinflusst?
Mich hat auf jeden Fall mein Bruder geprägt, weil der fünf Jahre älter ist als ich, wusste
der auch genau, wie er mich für seine Zwecke einsetzen kann.
Ach ja, Laura war die hauseigene Dienerin ihres Bruders.
Richtig.
Es war nämlich immer so, dass wenn ich zum Beispiel in seinem Zimmer Fernsehen geguckt
habe und er nach Hause gekommen ist, dass er dann immer irgendwie was meinte von wegen,
wenn du mir einen Nutella-Toast machst, darfst du noch zehn Minuten länger Fernsehen
gucken.
Ich war also, wie Paulina schon gesagt hat, immer eher Dienerin als Spielgefährtin und
das hat mir aber auch nichts ausgemacht und der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass
ich halt immer eine Belohnung bekommen habe.
Und ich glaube, es hat mich in der Hinsicht geprägt, dass ich auch heute noch immer gerne
Sachen für Menschen mache, die ich mag.
Also Sachen hinterherräumen oder ein guter Gastgeber sein, ja und bedienen, was Paulina
in den letzten Tagen gefreut hat, weil die hier krank auf der Couch gelegen hat.
Du kannst dich also eigentlich bei meinem Bruder für seine Erziehungsmethoden bedanken.
Ehrlich gesagt finde ich, dass er sein Programm ruhig noch ein bisschen schärfer hätte gestalten
können, denn wenn ich nicht gerade krank bin, dann merke ich ehrlich gesagt wenig von
deiner Diener-Bereitschaft.
Aber da habe ich das Gefühl bei uns, dass wir so beide okay damit sind, wenn immer mal
jemand was für den anderen macht.
Ich muss immer Kaffee machen.
Ja und ich mache auch immer Sachen.
Was denn?
Toast.
Das kann ich ja schon so gut.
Was war denn bei dir?
Was hat dich denn geprägt?
Also ich musste mich super oft von meinen Eltern verabschieden als Kind, weil ich so Tagesheltern
hatte und dieses ständige Abschiednehmen hat mich irgendwie dazu gebracht, mich so extrem
an Dinge zu klammern.
Beispiel, in der Grundschule musste man sich ja manchmal umsetzen und ich habe mich mit
meinem ganzen Körper heulend um meinen Stuhl geklammert, weil ich den Stuhl behalten wollte.
Ich wollte mich von diesem Stuhl nicht verabschieden.
Ich bin aber auch nicht auf die Idee gekommen, den hätte ich ja einfach machen können.
Also ich sage es mal so, meine Eltern hatten früher nicht das Gefühl, ein hochbegabtes
Kind zu haben.
Auf jeden Fall zog sich das bis ins frühe Erwachsensein, dass ich so an Situationen und Menschen so eklig
festgehalten habe, auch wenn die Zeit schon längst gekommen war, sie ziehen zu lassen.
Bis ich irgendwann gemerkt habe, wie heilsam loslassen ist.
Und jetzt ist mein Griff manchmal etwas zu locker.
Let it go, let it go.
Also Kindheitserinnerungen, wissen wir alle, können Einfluss auf unser Erwachsenenleben haben.
Und darum geht es ja heute auch bei uns.
An der Stelle eine kurze Triggerwarnung.
Auch wenn es keine szenischen Beschreibungen gibt, in unseren Fällen geht es heute unter anderem
um sexuelle Gewalt an Kindern und durch Kinder.
Meine Geschichte zeigt, wie wichtig es ist zu hinterfragen, warum ein Mensch zum Mörder oder
zur Mörderin wird.
Sein Vater sitzt im Zeugenstand und fragt den Richter, war diese Sache in ihm von Geburt an
Die Antwort des Vorsitzenden, ich bin überzeugt, sie und ihre Frau haben absolut keinen Grund
für Selbstvorwürfe.
Auf der Anklagebank sitzt Jürgen Bartsch, ein 19-jähriger Metzgergeselle aus einer wohlhabenden
Fleischerfamilie aus Essen.
Bei seinem kindlichen Gesicht, den blonden Haaren und blauen Augen fällt es den Anwesenden
schwer zu glauben, was er der Polizei gestanden hat.
Vier kleine Jungs hat Bartsch mit dem Versprechen, ihnen einen Schatz zu zeigen, in einen ehemaligen
Luftschutzbunker gelockt.
Dort zwang er seine Opfer, sich auszuziehen.
Er quälte sie, teilweise stundenlang, verging sich sexuell an ihnen, tötete sie und schändete
ihre Leichen.
Was er genau mit den Jungs nach ihrem Tod tat, bleibt jahrzehntelang unter Verschluss.
Man will es der Öffentlichkeit nicht zumuten.
Kurz vor seiner Verhaftung plante Bartsch schon seinen nächsten Mord.
Dazu nahm er den 14-jährigen Peter mit in den Bunker.
Weil Bartsch aber pünktlich zum Essen nach Hause wollte, um keinen Ärger von seiner Mutter
zu bekommen, ließ er den Jungen gefesselt zurück.
Peter schaltete so geistesgegenwärtig, dass er seine Fesseln über die Flamme der Kerze neben
ihm hielt, sodass er fliehen und Bartsch nach vierjähriger Mordserie verhaftet werden konnte.
Für den Prozess, der am 27.
November 1967 vor der Jugendkammer des Wuppertaler Landgerichts beginnt, sind nur sieben Verhandlungstage
angesetzt.
Man möchte schnell einen Prozess mit dem Kindermörder machen.
An diesem Tag werden Bartschs Eltern in den Zeugenstand gerufen, denen der Vorsitzende viel Verständnis
und Wohlwollen entgegenbringt.
Obwohl einige Aussagen der Eltern, der MitarbeiterInnen des Jugendamts und die von Bartsch selbst darauf
hinweisen, dass die Kindheit des Angeklagten möglicherweise höchst problematisch war, wird
darauf nicht näher eingegangen.
Stattdessen werden andere Zeugen aufgerufen, die ein Bild von einem intelligenten, höflichen,
sympathischen, aber sehr einsamen und unglücklichen Jungen zeichnen.
Als Jürgen Bartsch gefragt wird, ob er selbst jemals Grauen für sich empfunden hat, antwortet
er, Herr Vorsitzender, das setzt voraus, ich könnte regulieren.
Jetzt kannst du, jetzt kannst du nicht.
Aber ich konnte da nicht regulieren.
Doch die drei Gutachter kommen zu dem Schluss, Bartsch habe seine Triebe sehr wohl unter Kontrolle.
Auch während der Tat hätte er sie jederzeit steuern können.
Sie stufen ihn daher einstimmig als voll schuldfähig ein.
Bartschs Anwalt beantragt daraufhin, seinen Mandanten von einem Sexualwissenschaftler untersuchen
zu lassen.
Er kritisiert, dass sich keiner der anwesenden Gutachter je intensiv mit der Psychoanalyse beschäftigt
hat.
Doch das Gericht lehnt ab.
Am 15.
Dezember 1967 wird Jürgen Bartsch dann zu fünfmal lebenslänglich Zuchthaus verurteilt.
Obwohl er bei seinem ersten Mord erst 15 Jahre alt war, wird das Erwachsenenstrafrecht
angewandt.
Den Eltern ist vorgeworfen worden, dass sie sich besser hätten kümmern müssen.
Das seien aber reine Spekulationen, so der Richter im Urteilsspruch.
Dass es aber nicht nur Spekulationen sind und man nur nicht genauer hinsehen wollte, bleibt
den Anwesenden verborgen.
Für das Urteil gibt's Applaus.
Auch die Boulevardmedien sind sehr zufrieden.
Schon vor dem Prozess wurde Bartsch als Teufel im Menschengestalt vorverurteilt und
sich in Artikeln darüber gewundert, dass ein Mensch, der in offenbar soliden Verhältnissen
aufwächst, zu solch einer Bestie werden kann.
Doch in der seriösen Presse finden sich nach dem Urteilsspruch vereinzelnd auch kritische
Reaktionen.
So kommentiert Gerd Jau vom ZDF.
Die Jugendkammer suchte nach den tieferen Ursachen nicht.
Sie subsummierte.
Sie stellte den Fall unter die vorhandenen Normen und ihr blieb danach keine andere Wahl als
das Urteil lebenslanges Zuchthaus.
Der Journalist Richard Kaufmann schreibt,
Es ist ein bemerkenswertes Faktum, dass weder Richter noch medizinischer Gutachter der Frage,
wie es zu diesem Drang gekommen ist, besondere Achtung schenkten.
Fast als wollten sie die Gesellschaft, die sie vertreten, vor der Erkenntnis schützen,
dass irgendetwas bei uns sehr faul ist.
Auch der Journalist Paul Moore hat ähnliche Gedanken.
Er hatte den gesamten Prozess begleitet und als Korrespondent für US-amerikanische und deutsche
Medien geschrieben.
Bei ihm wurde das Gefühl während der Verhandlungen immer größer, dass Bartsch nicht nur Täter,
sondern auch Opfer war.
Deshalb nimmt Moore nach dem Prozess schriftlichen Kontakt zu Bartsch auf und bekommt zwischen Januar
1968 und April 1976 250 Briefe von ihm.
Moore stellt ihm über 1000 Fragen, die an einem psychoanalytischen Fragenkatalog eines US-amerikanischen
Arztes angelehnt sind, der jahrzehntelang Sexualverbrecher und Triebtäter behandelt hat.
Dabei erfährt Moore von Bartschs Kindheit, nach der im Prozess niemand genauer gefragt hat.
Am 6. November 1946 wird Karl-Heinz Sadruzinski als unehelicher Sohn einer Kriegerwitwe in Essen
geboren.
Jürgen Bartsch wird er erst später genannt.
Karl-Heinz Mutter schleicht sich nach der Geburt aus dem Krankenhaus und stirbt einige Monate
später in Tuberkulose.
Karl-Heinz bleibt elf Monate lang im Krankenhaus.
In einem spärlich besetzten Schichtdienst kümmert sich immer eine andere Krankenschwester
um den Säugling.
Einige Monate nach der Geburt kommt dann Gertrud Bartsch in das Krankenhaus, weil ihr die
Gebärmutter entfernt werden muss.
Da Frau Bartsch nun selbst keine Kinder mehr kriegen kann, wird ihr Karl-Heinz vom Klinikpersonal
aufgedrängt.
Die Ehe der Bartsch ist angeschlagen, sodass sich die beiden wohl erhoffen, durch das Kind
die Beziehung zu retten.
Als Karl-Heinz damit elf Monaten zu den Bartschs kommt, stellt sich schnell heraus, dass er
auch hier keine geeignete Bezugsperson finden wird.
Gertrud Bartsch hat einen extremen Sauberkeitszwang.
So ist es ihr nicht möglich, das Kind, nun Jürgen genannt, zu wickeln oder zu waschen.
Immer wenn ihr Sohn in die Windeln macht, bekommt er von ihr Schläge.
Und so wird Jürgen schon viel früher trocken als andere Kinder in seinem Alter.
Seitdem badet seine Mutter ihn fast täglich, und zwar bis er 19 Jahre alt ist.
Auch seine Klamotten legt sie ihm noch bis vor seiner Verhaftung im Jahr 1966 raus.
Gertrud Bartsch behandelt ihren Sohn nämlich wie eine Puppe.
Und wenn er nicht gehorcht, dann wendet sie Gewalt an.
Sowieso ist sie sehr streng und ihm gegenüber immer wieder ambivalent.
In der einen Sekunde küsst und herzt sie ihn und in der nächsten schlägt sie ihn mit
dem Kleiderbügel.
Gerhard Bartsch ist so erschrocken über diese Gewaltexzesse, dass er kurzzeitig überlegt,
seine Frau zu verlassen.
Doch auch Gerhard Bartsch ist kein besonders guter Vater.
Zumindest ist er nicht wirklich präsent, da er jeden Tag von morgens bis abends in der
Fleischerei arbeitet.
Wenn er nach Hause kommt, ist er oft schlecht gelaunt und dann gibt's Streit mit der Ehefrau.
Zeit und Liebe bekommt Jürgen von seinen Eltern nicht.
Außerdem wächst er in den ersten fünf Jahren völlig isoliert von der Außenwelt auf.
Seine Mutter gibt vor, Angst zu haben, dass der Junge draußen erfahren könnte, dass er
kreativiert ist.
Zu Hause kümmern sich Kindermädchen um Jürgen.
Und nach draußen darf er nur mit seiner Oma einmal in der Woche.
Was Jürgen aber zu Genüge hat, sind Spielsachen und Kuscheltiere.
Auf seinem Bücherregal stehen mehr als 15 Steiftiere.
Auch Gesellschaftsspiele bekommt er von seinen Eltern geschenkt.
Doch dass seine Eltern nicht mit ihm spielen und er auch nicht mit anderen Kindern spielen
darf, macht solche Geschenke wertlos.
Als er mit fünf Jahren dann in den Kindergarten kommt, stellt Jürgen sich stundenlang in die
Ecke und schweigt.
Auch in der Schule hat er große Probleme.
Jürgen hat keinerlei soziale Kompetenz gelernt und das merken die anderen Kinder.
Immer wieder wird er verprügelt.
Um sie vor Übergriffen zu schützen, fängt Jürgen an, einen älteren Schüler dafür zu bezahlen,
ihn zu bewachen.
Auch während der Schulzeit darf Jürgen mit den meisten Kindern nicht spielen, weil sie
nach Ansichten seiner Eltern nicht der richtige Umgang seien.
Außerdem würde Spielen ja nur dreckig machen.
So bleibt Jürgen weiterhin einsam.
Mit zwölf Jahren kommt er dann in ein katholisches Jungeninternat.
Dort soll er mit 300 anderen, darunter schwer erziehbaren Zucht und Ordnung lernen, damit er
nicht auf dumme Gedanken kommt.
Jeden Morgen werden die Kinder dort um sechs Uhr geweckt.
Dann geht's in die Messe und dann zum Frühstück.
In dieser Zeit dürfen sie nicht miteinander reden.
Erst wenn die Schule anfängt, ist Sprechen erlaubt.
Zur Erziehung gehören auch körperliche, teils sadistische Misshandlungen.
So werden die Jungs zum Beispiel mit Rohrstock und Gürtel verprügelt.
Der Erzieher Pater Pütz ist dabei besonders aggressiv.
Jürgen wird später aussagen, dass er von diesem Mann sexuell missbraucht wurde.
Auch andere Kinder werfen dem Erzieher vor, sie unsittlich berührt zu haben.
Verurteilt wird der Mann aber nie.
Zweimal haut Jürgen aus dem Internat ab.
Doch seine Eltern bringen ihn wieder zurück.
Darüber, dass ihr Sohn offensichtlich nicht in der Schule bleiben möchte, wird nicht gesprochen.
Sowieso gibt es zwischen Jürgen und seinen Eltern keine Gespräche über Sorgen oder Kummer.
Im Internat stellt Jürgen zum ersten Mal fest, dass er sich sexuell zu Jungs hingezogen fühlt.
Obwohl den Kindern immer wieder eingebläut wird, dass Homosexualität die größte Sünde ist.
Mit 14 ist Jürgen dann fertig mit der Schule und kommt zurück nach Hause, wo er eine Ausbildung in der Metzgerei seines Adoptivvaters beginnt.
Gerhard Bartsch lässt seinen Sohn von 6.30 Uhr in der Früh bis 20 Uhr arbeiten. Jeden Tag.
Als Jürgen an einem Tag den Verkaufsraum putzen muss, eskaliert die Situation mit seiner Mutter mal wieder.
Als er gerade das Putzzeug zusammenpacken will, schreit sie, du bist noch lang nicht fertig.
Doch, guck doch, sagt Jürgen.
Guck dir die Spiegel an, die musst du alle nochmal machen, schreit seine Mutter.
Dann, plötzlich und schneller als Jürgen gucken kann, bückt sich seine Mutter nach einem Fleischermesser und schleudert es nach ihrem Sohn.
Es verfehlt Jürgen nur, weil er rechtzeitig ausweichen kann.
Danach droht sie ihm, den Mann vom Jugendamt anzurufen, damit der Jürgen abholen könne.
In seiner Pubertät malt sich Jürgen immer öfter Gewaltfantasien aus.
Das Zerteilen von Fleisch, das er aus seiner Ausbildung kennt, wird Teil dieser Tagträume.
Und nach einer Zeit macht er sich auf die Suche nach einem Kind und lockt erstmals einen jüngeren Nachbarsjunge in den Bunker.
Er verprügelt ihn, reißt ihm die Klamotten vom Leib und zwingt ihn zu sexuellen Handlungen.
Der Nachbarsjunge erzählt daraufhin seinem Vater davon.
Der Vorfall führt zu einer Anklage wegen Körperverletzung.
Das Verfahren wird jedoch bald wieder eingestellt, weil Jürgen glaubwürdig erklärt,
dass er und der Junge nur herumgebalkt hätten.
Seinem Vater gestehrt Jürgen aber die Wahrheit.
Woraufhin Gerhard Bartsch seinem Sohn erklärt, dass es Ärzte gäbe, die man wegen so etwas aufsuchen könnte.
Doch ein Arzt wird nicht aufgesucht.
In der darauffolgenden Zeit fängt Jürgen an zu trinken und zu rauchen.
Immer wieder nährt er sich Kindern und nimmt sie mit in den Bunker.
Einer der Jungs erzählt danach seiner Mutter davon.
Dieser Frau gibt Gertrud Bartsch 20 D-Mark Schweigegeld.
Jürgens Drang wird immer größer.
Er versucht seinen Geschlechtstrieb auf Frauen zu lenken und geht zu Prostituierten.
Doch das scheint nicht zu helfen.
Und so begeht er am 31. März 1962 seinen ersten Mord mit 15 Jahren.
Danach quälen ihn starke Reuegefühle.
Als sie sie nicht nachlassen, sucht er einen Priester auf und beichtet ihm alles.
Doch der Pfarrer hält sich von seinem Beichtgeheimnis und behält das Geständnis für sich.
Und so macht Jürgen weiter.
Immer wieder spricht er Jungs an und noch viermal gelingt es ihm, einen mit in den Bunker zu nehmen.
In einem der Briefe an Paul Moore erklärt Jürgen, wie es damals für ihn war.
In dem Stadium konnte mich nichts mehr halten, nichts mehr erbarmen.
Man konnte mich dann, und das ist mein Ernst, nur noch mit einem Raubtier vergleichen, das sein Opfer schon in den Fängen hat.
Solch ein Raubtier stirbt eher, als es seine Beute freigibt.
Auch ich wäre in der Zeit eher gestorben, als auch nur einen Schritt zurück zu tun.
Etwas ganz anderes war es, wenn ich hinterher daran dachte.
Ja, dann war ich mir bewusst, was ich war und nannte mich auch so.
Doch wehe, wenn ich dann wieder durch die Straße fuhr und Jungen sah.
Dann war es aus mit der Reue, mit dem Schmerz.
Ja, mit dem Mitleid und dem Weinen.
Von einer Tat zur nächsten wird Jürgen immer unvorsichtiger.
So lässt er zum Beispiel sein Auto direkt vor dem Bunker stehen oder Klamotten der Kinder offen rumliegen.
Dieses Verhalten wird im Nachhinein so gedeutet, dass er den verzweifelten Wunsch hatte, entdeckt zu werden.
Als er dann 1966 tatsächlich gefasst wird, kommt Jürgen in Untersuchungshaft in eine Einzelzelle.
Bei dem Tatvorwurf nicht verwunderlich.
Dort versucht er, sich umzubringen, doch wird aufgehalten.
Mit einer Schraube hatte er aber bereits Abschiedsbriefe in die Wand gekratzt.
Einer davon ist an die Eltern der Kinder gerichtet.
Darin schreibt er
Liebe Eltern, ich habe euch das genommen, was euch auf Erden am liebsten war.
Es ist bestimmt von mir nicht zu verantworten, wenn ich euch bitte verzeiht.
Ich habe doch so bereut.
Und trotzdem hast du weitergemacht?
Fragt er sich selbst.
Ja, und ich hätte nie aufhören können.
Aber wahrscheinlich hätten meine Nerven nicht mehr lange mitgemacht.
Habt bitte ein wenig Verstehen und Verzeihen.
Bitte.
Jürgen wird nahegelegt, alles zu gestehen, um ein milderes Urteil zu erhalten und damit er ärztliche Hilfe bekommen kann.
Dass das am Ende nicht stimmt, wisst ihr ja bereits.
Es gibt kein mildes Urteil.
Dass Jürgen nach Erwachsenen und nicht nach Jugendstrafrecht verurteilt wird, hat damals auch damit zu tun, dass man nicht weiß, wo man ihn unterbringen soll.
Jürgen Bartsch kommt nach dem Urteil ins Zuchthaus Wuppertal.
Wieder in Einzelhaft.
Die Haftbedingungen sind hart.
Die Insassen werden nur verwahrt und Resozialisierungsmaßnahmen werden nicht gerade groß geschrieben.
Während Jürgen in Haft sitzt, bereitet sein neuer Anwalt Rolf Bossi die Revision vor, die er 1969 beim Bundesgerichtshof einlegt.
Der Grund?
Das Gericht hatte damals einen Sexualwissenschaftler als Gutachter abgelehnt und damit nicht alles getan, um mögliche Gründe für Jürgens Verhalten zu finden.
Die Revision hat Erfolg und 1971, also vier Jahre nach dem ersten, beginnt ein zweiter Prozess.
Vor der Jugendkammer des Düsseldorfer Landgerichts.
Diesmal nimmt man sich viel Zeit.
Insgesamt befassen sich zwölf Haupt- und 24 Nebengutachter mit dem Fall Bartsch.
Jedes Detail seiner Lebensgeschichte wird in dieser Verhandlung besprochen.
Der lange Krankenhausaufenthalt als Säugling, die Kaltherzigkeit der Eltern, die Brutalität im Internat und ihre Folgen für Jürgens Entwicklung.
Und diesmal kommen die Experten zu dem Ergebnis, dass Jürgen seinen Trieb nicht steuern kann.
Somit gilt er nach einhelliger Meinung als getriebener und als vermindert schuldfähig.
Außerdem entscheidet sich der Richter diesmal angesichts des Alters bei der ersten Tat für das Jugendstrafrecht.
Am 6. April 1971 wird Jürgen also zu einer Jugendstrafe von zehn Jahren und einer anschließenden Unterbringung in der Heil- und Pflegeanstalt Eickelborn verurteilt.
Jürgen ist zwar erleichtert über den Ausgang seiner zweiten Verhandlung, doch psychisch geht es ihm nicht gut.
Immer noch hat er regelmäßig Mordfantasien.
Sein Trieb quält ihn so sehr, dass er dreimal versucht, sich umzubringen.
Zusammen mit seinem Anwalt Rolf Bossi kämpft er daher um eine Behandlung.
Mit vermeintlichem Erfolg.
Ende November 1972 wird er vom Gefängnis vorzeitig ins psychiatrische Krankenhaus verlegt.
Die Gutachter hatten ihn in seinem zweiten Prozess als krank eingestuft.
Deshalb hat Jürgen nun die Hoffnung, möglicherweise geheilt zu werden.
Doch es fehlt an qualifizierten Kräften in Eickelborn, die mit einem solch schwer gestörten Triebtäter umgehen können.
Fachleute sind damals der Meinung, dass die einzig sinnvolle Behandlung eine langjährige Psychoanalyse ist.
Gemeint sind vier bis fünf Sitzungen pro Woche über Jahre.
Aber es gibt keinen Psychoanalytiker oder Psychoanalytikerin in Deutschland, der oder die diesen Aufwand auf sich nehmen will und bereit ist, das hohe Risiko des Scheiterns zu tragen.
Daher raten seine Ärzte zu einer Gehirnoperation, in der Teile des Triebzentrums ausgeschaltet werden.
Jürgen lässt sich dafür untersuchen, doch die Gutachter raten ihm schließlich davon ab.
Sadistisch-pädophile Triebtäter ließen sich dadurch nicht vollständig behandeln, heißt es.
Jetzt bleibt ihm nur noch ein Ausweg, denkt Jürgen.
Die Kastration.
Unmittelbar nach der Ankunft in Eickelborn wurde Jürgen schon angehalten, die Behandlung durchzuführen.
Ist ja auch viel schneller und günstiger als jahrelange Psychotherapie.
Damals hatte Jürgen den Eingriff noch verweigert, weil er ja zu viel Angst hatte.
Doch jetzt ist er so verzweifelt und sieht keine andere Möglichkeit mehr.
Am 28. April 1976 lässt Jürgen sich operieren.
Doch nur fünf Minuten nach der Abnahme der Hoden bricht er zusammen.
Die Obduktion ergibt, das Narkosemittel war in 13-facher Dosis gegeben worden, weil der Pfleger das Mittel verwechselt hatte.
Mit nur 29 Jahren ist Jürgen Bartsch gestorben, in dem Moment, wo seine Hoffnung auf ein Leben ohne den unsäglichen Trieb am größten war.
Am Ende hatte ihm der Ausgang des zweiten Prozesses auch nicht helfen können.
Die Medizin und Psychotherapie war einfach noch nicht so weit.
Doch der Fall Jürgen Bartsch wurde zum Gegenstand vieler wissenschaftlicher Arbeiten und hat dazu beigetragen, den Blick auf die Hintergründe von TäterInnen zu richten.
Um nicht nur die Behandlung, sondern auch mögliche Prävention weiterzuentwickeln.
Und damit hat der zweite Prozess doch einen wichtigen Beitrag geleistet und gezeigt, wie wichtig es ist zu fragen, warum ein Mensch zum Mörder oder zur Mörderin wird.
Haben sich diese Eltern denn jemals selbst eingestehen können, dass sie vielleicht auch einen Teil zu der Entwicklung ihres Adoptivsohnes beigetragen haben?
Also sie haben ja selber im ersten Prozess einige Angaben gemacht, die in die Richtung gedeutet haben.
Aber haben das eher auch als Zucht und Ordnung verkauft, sozusagen als eine normale Erziehung.
Ja, das habe ich bei dem Fall, den ich in der nächsten Folge erzählen werde, auch schon gehört.
Und mich wahnsinnig darüber aufgeregt, dass das damals erstmal so selbstverständlich war.
Und aber, dass ich auch so oft darauf berufen wurde.
Es war halt damals so.
Ja, es ist halt eine schöne Entschuldigung.
Ja.
Ein Punkt, der im zweiten Prozess als wichtiger Faktor für Jürgens fatale Entwicklung angesehen wird, ist sein langer Krankenhausaufenthalt als Säugling.
Der war ja elf Monate da gewesen.
Und die Folgen dieses Aufenthaltes bei Jürgen werden als psychischer Hospitalismus bezeichnet.
Und damit komme ich zu meinem Aha.
Unter Hospitalismus versteht man alle negativen körperlichen und psychischen Begleitfolgen.
Eines Krankenhauses, aber auch eines Heimaufenthalts oder einer Inhaftierung.
Der Begriff Hospitalismus geht auf einen österreichischen Kinderarzt zurück, der 1901 nachweisen konnte, dass Säuglinge und Kinder, die durch einen Klinikaufenthalt länger von ihrer Mutter getrennt wurden, auffällige psychische Verhaltensweisen entwickelten.
Und heute unterscheidet man eben zwischen dem psychischen und physischen Hospitalismus.
Und unter den physischen fallen alle körperlichen Auswirkungen, wie zum Beispiel Wundliegen oder Mangelernährung.
Der psychische Hospitalismus wird auch Deprivationssyndrom genannt.
Und von Deprivation habe ich ja schon einmal in Folge 24 gesprochen, als es um die Einzelhaft von dem Journalisten Karl Wilhelm Fricke ging.
Und Deprivare kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie berauben.
Und jetzt in dem Fall beschreibt es die Tatsache, dass Betroffenen etwas genommen wird, was sie für ihre psychische Gesundheit brauchen, wie zum Beispiel soziale Nähe oder Sinneswahrnehmung und Reize.
Und besonders für Säuglinge ist die soziale Nähe zu einer konstanten Bezugsperson besonders wichtig, also für ihre Entwicklung.
Und warum, das erklären wir dann nochmal ausführlicher in der Diskussion.
Für Jürgen Bartsch gab es in seinem ersten Lebensjahr so gut wie keine soziale Nähe.
Elf Monate war er eben in dem Krankenhaus gewesen und hatte keine feste Bezugsperson, sondern immer ständig wechselnde Krankenschwestern,
die ihn zwar wickelten und auch fütterten, aber wirklich Zeit hatten sie für ihn nicht oder haben sich nicht wirklich mit ihm beschäftigt.
Und ja, Liebe oder Zuneigung konnten sie ihm dann nicht in dem Ausmaß geben.
Durch das Fehlen von sozialer Ansprache und Sinneswahrnehmung können dann unterschiedliche Symptome oder auch Beschwerden auftauchen.
Darunter zum Beispiel eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit oder Aggressionen, Angstzustände oder Verantwortungslosigkeit.
Und normalerweise verschwinden die Symptome, sobald sich die äußeren Umstände ändern.
Also wenn man dann die Krankheit überwunden hat und man nach Hause gehen kann.
Wenn man aber wie Jürgen Bartsch dann auch zu Hause keine konstante Bezugsperson findet,
weil sich die Eltern nicht richtig kümmern und nur wechselnde Kindermädchen sozusagen als sozialer Kontakt bestehen,
dann können Folgen wie Bindungsstörungen zurückbleiben.
Heute wird dem psychischen Hospitalismus von Kindern entgegengewirkt,
indem man auf den Kinderstationen die Räume sehr kindgerecht gestaltet und auch die Eltern ermutigt, öfters dann zu Besuch zu kommen.
Und die KrankenpflegerInnen eben auch darauf achten, dass Kinder viel Aufmerksamkeit bekommen, weil man heute darüber mehr Bescheid weiß.
Heute tritt der psychische und der physische Hospitalismus aber vermehrt in Altersheimen auf.
Dort wird natürlich auch versucht, dagegen zu wirken, mit einer gemütlichen Einrichtung oder auch sozialen Unternehmungen.
Allerdings wissen wir ja alle vom Pflegenotstand in Deutschland, weshalb der Hospitalismus sowohl in Krankenhäusern als auch in Altersheimen leider nicht gänzlich verhindert werden kann.
Manchmal werden ja so Tiere ins Altersheim gegeben.
Helfen die dagegen?
Ja, Tiere können tatsächlich Einsamkeit lindern.
Was ich aber total absurd finde, ist, dass es ja auch so Roboter-Katzen gibt.
Also hier in Berlin in einem Altersheim zum Beispiel.
Keine echte?
Nein.
Sie wollten den alten Menschen keine echte Katze geben?
Nee, die soll aber auch eine beruhigende Wirkung auf die Bewohner des Altersheims haben.
Nee, klar. Drückt doch kinderlosen Paaren gleich eine Babyborn in die Hand, wenn es in der Fertilitätsklinik nicht geklappt hat.
Ja, nee, fand ich auch ganz skurril, diese Robo-Katze.
Kommen wir zu unserem Gast, den ich zu Beginn der Folge schon erwähnt habe.
Ich unterhalte mich nämlich für diese Folge nicht mit Laura über den zweiten Fall, sondern mit Phyllis Gritti vom Stern Crime.
Phyllis hat nämlich die Titelgeschichte der neuen Ausgabe geschrieben und erzählt uns heute davon.
Und es geht um einen Fall, der zeigt, dass sich ein Bild im Kopf einprägen kann und einen nie wieder loslässt.
Hallo Phyllis.
Hi.
Du erzählst uns heute von einer verhängnisvollen Begegnung am Valentinstag 1999.
An dem Tag ist die 34-jährige Ulrike Möller, so nennst du sie in der Geschichte, gerade auf dem Weg zu ihren Eltern.
Und es ist kurz vor 19 Uhr, also schon dunkel an diesem Tag.
Genau. Ulrike Möller, an diesem Tag steigt sie aus.
Aus der S-Bahn in Alt-Klinike, das ist ganz im Osten von Berlin, also es ist fast schon Brandenburg.
Es ist fast niemand eigentlich draußen.
Also niemand steigt mit ihr aus, außer ein Mädchen, was dann in die andere Richtung geht.
Sie verlässt den Bahnhof, biegt einen in eine Straße und auf dieser Straße befindet sich niemand außer ein Mann,
der an einer Laterne, die nicht mehr leuchtet, die irgendwie kaputt ist, seinen Hund gerade festbindet.
Und sie denkt sich erstmal nichts weiter, geht an dem Mann vorbei und sobald sie ihn passiert hat,
fällt er sie von hinten an und drückt ihr ein Messer in den Rücken.
Also er sticht nicht zu, aber bedroht sie damit und ja, beide fallen zum Boden.
Am Anfang schreit sie, er hält ihr den Mund zu.
Also halt ein Kampf.
Am Ende verstummt sie, natürlich auch aus Angst und Furcht, knebelt sie und besselt ihre Hände.
Dann nimmt er sie mit und geht mit ihr zu seinem Auto und zwingt sie dort im Fußraum auf der Beifahrerseite,
sich da irgendwie so reinzukauern, wirft eine Decke über sie, damit man sie nicht sieht von außen auf den ersten Blick.
Sie fragt ihn wohl, ob er sie denn nun vergewaltige, weil ihr das wahrscheinlich schon irgendwie dämmert.
Und er antwortet etwas kryptisch, nein, solche primitiven Vergewaltigungen mache er nicht.
Hat seinen Hund dabei, lässt den Hund hinten reinspringen, startet den Motor und fährt los.
Im Auto telefoniert er mit seinem Handy, zumindest tut er so, als ob er telefoniert und sagt, ich habe sie.
Also sie muss denken in dem Moment, dass er Komplizen hat und dass sie jetzt eben in der Gewalt ist, dieser mindestens zwei Menschen.
Dann fahren sie ungefähr eine halbe Stunde oder so, kommen sie an und dann wird sie von ihm in ein Haus geführt und eine steile Treppe hinunter.
Dann muss sie hören, wie er eine schwere Tür irgendwie, wo er Dinge zur Seite räumt, eine Tür öffnet.
Der Name dieses Mannes, der Ulrike Möller an jenem Abend da entführt, ist Dieter Henschel und er ist zum Tatzeitpunkt 48 Jahre alt.
Und dann dort unten angekommen, nimmt er ihr die Augenbinde das erste Mal ab. Was sieht sie dann dort?
Das ist über Jahre entstanden, dieser Keller und er hat ihn so ein bisschen aufgefüllt mit Objekten, die in seiner Fantasie irgendeine Rolle spielen.
Also es sind Fessel, Fesselwerkzeuge, Handschellen in allen Größen, Halseisen, irgendwelche Haken.
Also im Grunde genommen alles, was man dazu verwenden kann, jemanden zu fixieren.
Und dann gibt er ihr zu verstehen, was er jetzt mit ihr vorhat.
Ja genau, also das ist, das muss völlig grausam und irgendwie surreal gewesen sein für sie so, weil er hat sie zunächst eben gefesselt und fixiert so an zwei Stangen rechts und links und Halseisen, was per Kette mit diesen Stangen irgendwie verbunden war.
Also hat sie erstmal nach ihren Personalien gefragt und nicht nur nach ihren Personalien, sondern auch nach den Personalien ihrer Eltern, ihrer besten Freundin und hat ihr dann irgendwann einen Ordner vorgelegt, auf dem stand, Ordner zum Lernen für die Sklaven.
Dieser Ordner war voll mit Fesselungstechniken, Sexpraktiken, also alles das sozusagen, was er jetzt von ihr erwartet.
Und er hat ihr dann eben eröffnet, dass sie ab jetzt eine Sexsklaven sei und dass er eben Teil einer Organisation ist, die Sexsklaven ausbildet und verkauft innerhalb Deutschlands ins Ausland.
Und hat eben auch so eine totale Drohkulisse irgendwie aufgebaut und sagte eben, naja, wenn du Dummheiten machst, dann, also ich kenne Leute, die sich dann sozusagen kümmern um deine Familie.
Also diese Organisation war sozusagen am Ende so diese diffuse Bedrohung im Hintergrund, die aber Ulrike Möller eben total ernst genommen hat, verständlicherweise.
Und dann folgt relativ schnell die erste Vergewaltigung. Dieter Hentscher hatte den Wunsch verfolgt, was man zumindest aus diesem Heft da, den er ihr gegeben hat, auch schließen kann, sich eine Sklaven zu halten.
Aber allein dabei bleibt es nicht. Also sein Verhältnis zu ihr, das wird auf eine ganz absurde Weise vielschichtiger.
Er will zu ihr eine Art Beziehung aufbauen.
Ja, das nimmt dann relativ schnell absurde Züge an. Relativ bald holt er sie hoch auch, holt sie aus dem Keller hoch ins Haus, wenn er da ist.
Manchmal nimmt er ja auch die Fesseln dann ab und macht dann halt so Dinger wie, ja so Candlelight-Dinner mit Rotwein und Kerzen.
Und kauft ihr irgendwie Highheels und ein schönes Kleid, gibt ihr das irgendwie, damit sie sich schön macht und damit sie einen schönen Abend haben.
Und dann manchmal spielen sie gemeinsam am Computer oder auch irgendwie, mein Mensch, ärgere dich nicht.
Oder dann fragt er sie, was denn ihr Lieblingskuchen sei und dann geht er ihren Kuchen holen.
Nach ein paar Wochen fangen die auch an, abends zusammen spazieren zu gehen.
Er versucht irgendwie das sozusagen in eine Normalität zu überführen, was nicht bedeutet, dass er irgendwie humaner wird im Umgang mit ihr.
Also er ist nach wie vor eben ein, also extrem grausam.
Und trotzdem fesselt er sie halt nach wie vor und trotzdem vergewaltigt er sie nach wie vor.
Er hat ja in dieser Situation auf eine ganz absurde Weise geschaffen, dass ihn diese Frau nicht verlassen kann, was in seiner Kindheit ja oft passiert ist.
Also er hatte so ein bisschen die Angst vor einer Trennung und das kann ihm mit dieser Frau nicht passieren.
Angst vor Trennung ist das eine.
Er hat eher so eine Verzweiflung in sich, dass er einfach nicht es hinbekommt, Nähe zuzulassen und einem anderen Menschen überhaupt nahe zu kommen.
Und das hat ganz viel mit Trennung zu tun.
Bei Dieter Henschel war eben, die Geschichte geht so, dass er eben 1950 geboren wird in Berlin und in den ersten Jahren seines Lebens ist die Mutter nicht da, wirklich.
Er wird ins Heim geschickt zusammen mit seiner Schwester, wir sehen dann irgendwie die Mutter ein Jahr gar nicht.
Danach ist er in so einem Wochenheim, hieß das glaube ich in der DDR, wo die Kinder dann halt den Werktag einfach untergebracht sind und nur am Wochenende zu Hause sind.
Das heißt, er hat irgendwie ganz früh die Erfahrung gemacht, dass die Mutter nicht da ist und die Mutter ist ja irgendwie der erste Mensch eigentlich auf der Welt, zu der man irgendein Verhältnis hat.
Diese Frustration, die daraus entstanden ist oder da ist sozusagen irgendeine Sehnsucht entstanden, die sein ganzes Leben lang da war.
Und das ist eben die Sehnsucht nach Nähe, die ihm verwehrt blieb in diesen ersten Jahren.
Du schreibst von einem, im Grunde kann man fast sagen, Schlüsselmoment, den er beobachtet hat und der in ihm offenbar eine Lawine in Gang gesetzt hat.
Also er hat einmal mit sechs oder sieben gesehen, wie, also das hat er zumindest später dann mehrmals erzählt, gab es diese eine Szene, wo seine Mutter von seinem Vater gefesselt wurde am Wäschepfahl im Garten.
Und er ist irgendwie völlig aufgelöst da hingerannt und war in Panik, weil das einfach irgendwie natürlich erstmal das Gefühl auslöst, oh, Mama ist in Gefahr so.
Und die Mutter war ihm ja sehr wichtig durch diese Erfahrung der Trennung ganz früh.
Das hat sich ihm total eingebrannt, diese Szene, wie der Vater die Mutter fesselt.
Und was mir der Gutachter sagte, ist, dass das eben passieren kann, dass so ein Ur-Erlebnis, was irgendwie traumatisch wirkt, dass man anfängt, sowas eben immer wieder zu wiederholen irgendwann.
Und sich so aggressiv zu bewältigen und sich immer wieder einfach zu vergewissern, dadurch, dass man es wiederholt, dass es irgendwie dann doch nicht so schlimm ist.
Das ist eben ein möglicher Erklärungsansatz.
Auf jeden Fall, irgendwie war eben diese Fantasie der Fesselung in seinem Kopf gelandet und ging da auch nicht mehr raus.
Und er hat dann eben relativ schnell damit angefangen, sich selbst zu fesseln, erst zu Hause.
So einmal haben auch die Eltern ihn dabei erwischt, wie er sich mit Draht gefesselt hat und ich glaube auch mit dem BH der Mutter oder der Schwester und geknebelt.
Und ist dann relativ bald in den Wald gegangen, so alleine und hat sich dort gefesselt und hat dort sexuelle Befriedigung gesucht und auch gefunden.
Du hast es eben schon angedeutet, das löst ein ganz besonderes Gefühl in ihm aus.
Also diese Fesselung und auch das Einsperren und so, das hat für ihn wohl irgendwie auch ganz viel damit zu tun gehabt, irgendeine Form der Nähe herzustellen.
Weil es halt was hat von sich ausliefern und was hat von eine Form von Verfügung über einen anderen Menschen zu haben und dass irgendjemand von ihm abhängig ist und sich von ihm abhängig macht.
Also natürlich alles andere als freiwillig von ihm abhängig macht, aber das ist ja die größte Form der Abhängigkeit, die man sich vorstellen kann, wenn jemand gefesselt und gefangen ist.
Und dass eben in seinem Kopf das empfunden wurde als eine Form der Nähe, nach der er sich gesehnt hat.
Und natürlich auch eine Form der Macht über andere Menschen.
Und dabei hat er sich manchmal die Klamotten von Frauen angezogen und auch das hatte seinen Ursprung in einer Kindheitserinnerung.
Genau, also das ist zumindest anzunehmen, weil bekannt ist, dass eben in früher Kindheit, dass es da jetzt nicht durchgehend so war, aber dass es schon ab und zu vorgekommen ist, dass die Mutter ihm Mädchensachen angezogen hat und wohl auch Kommentare gemacht hat, so in die Richtung, wäre irgendwie auch schön, ein Mädchen gehabt zu haben.
Man kann sich ja vorstellen, was das in einem jungen Menschen auslöst, vor allem, weil Dieter Henschel ja auch eine ältere Schwester hatte.
Also das heißt, die Mutter hatte schon eine Tochter.
Genau, sie hatte bereits ein Mädchen.
Und wie war das Verhältnis zum Vater?
Weil es klingt ja eher so, als hätte er am Rockzöpfel der Mutter gehangen.
Auf Basis des Materials, was ich jetzt ausgewertet habe für diese ganze Recherche, lässt sich eigentlich nur sagen, dass das so ein bisschen, dass das auf jeden Fall keine zentrale Rolle für ihn gespielt hat, dieses Verhältnis.
Es war jetzt nicht besonders gut, es war nicht besonders schlecht.
Der Vater war sehr streng, hat auch mal geprügelt.
Dieter Henschel war immer sehr fixiert auf die Mutter.
Und dann ist Dieter Henschel 14, als er seine erste Straftat begeht.
Ja, genau. Bereits mit 14 begeht er seine erste Vergewaltigung auch direkt.
Die erste alleine und die zweite dann mit einem Mitschüler.
Und das bleibt ja nicht unentdeckt.
Die DDR-Justiz verurteilt ihn dann zu 15 Monaten Jugendhaus.
So, und das war, glaube ich, in der DDR auch schon kein Spaß.
Der musste da arbeiten und war auch in der Zelle untergebracht.
Und da fängt eigentlich auch schon an, sich so ein zweiter Aspekt dieses Falles zu zeigen, der eigentlich ganz interessant ist, dass sich da natürlich niemand drum gekümmert hat, warum ein 14-Jähriger mit 14 halt seine erste Vergewaltigung.
Also er ist ja irgendwas nicht ganz normal.
Und da hätte man ja auch auf die Idee kommen können, sich das mal irgendwie psychologisch anzuschauen.
Das ist aber nicht passiert.
Dann kommt er wieder nach Hause, das ist ja 1967, dann zieht wieder zu Hause ein und hat halt immer noch diese Fantasien, diese Fesselungsfantasien.
Und lernt dann ein Mädchen kennen.
Nach dem, was da zu rekonstruieren ist aus den Akten, ist er wohl am Anfang total schüchtern.
Also er kann irgendwie sie gar nicht wirklich ansprechen und fängt dann an, mit ihr zu kommunizieren, indem er so in ein Vokabelheft irgendwie seine Gedanken reinschreibt und ihr das dann so rüberschiebt.
Dann antwortet sie im gesprochenen Wort sozusagen und so geht es dann eine Zeit lang irgendwie und dann kommen sie sich irgendwann näher.
Dann entspinnt sich zwischen denen schon sowas wie eine Beziehung.
Also so geht das weiter eben ein paar Monate und nachdem sie ein paar Mal miteinander geschlafen haben, bringt Dieter Henschlauch irgendwann mal einen Strick mit.
Das Mädchen lässt sich auch von ihm fesseln.
Also sie sagt so, wenn es ihr, hat danach ausgesagt, wenn es ihr irgendwie wehtat, dann hat er auch die Fesseln gelockert.
Also es war eher so ein Spiel.
Auf jeden Fall geht das dann irgendwie auseinander.
Das ist mittlerweile Frühjahr 69.
Also da zeigt sich dann eigentlich das erste Mal so dieses Muster, was sich immer wieder bei ihm zeigen wird.
Das ist wohl sowas wie eine kleine Krise.
Irgendwie scheint das auf jeden Fall irgendwas in ihm auszulösen, weil relativ bald darauf eine ziemlich beispiellose Vergewaltigungsserie beginnt, die er begeht.
Du schreibst immer, wenn er das Gefühl hat, nicht die Liebe zu erfahren, die er meint, verdient zu haben, dann wird er übergriffig.
Und das endet dann darin, dass er mit 20 mindestens 13 Vergewaltigungen begangen hat.
Immer ähnlich.
Also er lauert den Frauen auf in Waldstücken, manchmal maskiert und wird durch diese Übergriffe dann relativ schnell bekannt.
Denn die Presse nennt ihn das Ekel von Rahnsdorf.
Er wird aber relativ lange nicht erwischt.
Weil eine der jungen Frauen, die er vergewaltigt hat, letztendlich zur Polizei gegangen ist.
Da hat sich so ein bisschen gezeigt, was für einen komischen Blick er auf sich selbst und auf sein Tun gehabt haben muss, weil er die, nachdem er sie vergewaltigt hat, bis nach Hause begleitet hat und sie zu einem Wiedersehen genötigt hat.
Und sie dann auch tatsächlich am nächsten Tag getroffen hat, hat ihr Getränke ausgegeben und sich entschuldigt dafür, was er ihr angetan hat.
Und dachte dann, glaube ich, tatsächlich, das ist jetzt irgendwie aus der Welt.
Als ob das irgendwie so, keine Ahnung, ein kleines Versehen ist.
Ganz merkwürdig.
Und er hat sich ihr vorgestellt mit seinem, auch noch mit seinem Ausweis sozusagen.
Und sie ist dann, glaube ich, nach dieser letzten Tat war das, dass sie dann endlich zur Polizei gegangen ist und gesagt hat, hier, Dieter Henschel ist es, der hat mich damals auch vergewaltigt.
Daraufhin geht er dann ja zehn Jahre in den Knast und wird 1980 entlassen, zieht dann mit 30 Jahren wieder bei seinen Eltern ein.
Und die Mutter, die managt so ein bisschen das Leben ihres Sohnes.
Also seine Mutter schaltet auch Heiratsannuncen.
Er wohnt dann irgendwann auch mit seiner späteren Frau und dem Kind bei der Mutter.
Aber er findet auch in der Ehe nicht so wirklich die sexuelle Befriedigung.
Das geht trotzdem erstmal gut, bis zum Jahr 84, wo er die nächste Vergewaltigung begeht.
Diesmal wird er aber nicht weggesperrt, schreibst du, sondern bekommt diesmal wirklich Hilfe.
Diesmal wird er eingewiesen in eine Psychiatrie.
Dort kriegt er Medikamente, also triebhemmende Medikamente und macht eine Therapie oder beginnt eine Therapie.
Und davon wird er später sagen, dass das tatsächlich irgendwie das erste Mal war, dass er jemanden hatte, dem er sich öffnen konnte.
Es war eine Therapeutin, die im Alter seiner Mutter war, was ihm offenbar geholfen hat, sich zu öffnen.
Aber auch da zeigt sich dann so ein bisschen, dass, ja, einfach das, was heißt merkwürdiges, kein merkwürdiges, das ist doch ein bisschen ein merkwürdiges System in der DDR.
Also nach einem Jahr wurde er wieder entlassen.
Die Prognose war so, der ist jetzt wieder stabil, so, den kann man jetzt entlassen und der, finde, wird irgendwie einigermaßen Fuß fassen können.
Daraufhin folgte die bis dahin eigentlich längste Episode seines Lebens, in der er keine Vergewaltigung begangen hat.
15 Jahre lang.
Genau.
Und als er wieder entlassen wird, da bitten seine Eltern ihn um einen Gefallen.
Und zwar bitten sie ihn darum, den Keller auszubauen.
Und der Vater hat ganz merkwürdige Wünsche.
Der bittet ihn, ob er da nicht irgendwo so eine Gitterzelle einbauen kann.
Aber Dieter Henschel sagt später, dass er das dann einfach umgesetzt hat und da nicht weiter drüber nachgedacht hat.
Vielleicht wollte er es auch einfach nur nicht wahrhaben, was die beiden, also seine Eltern, für eine Beziehung führen.
Der ist dieser Bitte nachgekommen des Vaters und hat aber da nicht aufgehört damit.
Also dieser Keller entwickelte sich irgendwie mehr und mehr für ihn zu so einem Fluchtort, wo er ungestört seinen Fantasien nachgehen konnte.
Ja, er führt ja so eine Art Parallelleben, auch weil er in der Zeit schon wieder eine Beziehung hat, die von all dem auch gar nichts mitkriegt.
In diesem Keller, da verbringt er auch ziemlich viel Zeit zu dem Zeitpunkt, wo sein Vater dann schon verstorben ist.
Das stimmt, er verbringt sehr viel Zeit nach dem Tod seines Vaters im Jahr 96 im Keller, aber auch schon davor.
Der hat dann angefangen, gerade nach der Wende ist er dann in Sexshops gegangen und hat da teilweise irgendwie 30 D-Mark im Monat ausgegeben für irgendwelche SM-Hefte und so und hat angefangen, sich diese Folterinstrumente aus diesen Magazinen sich irgendwie nachzubauen.
Und was er eben auch macht, ist, dass er anfängt, er stellt sich dann Schreibmaschine da unten hin und fängt an, seine Fantasien zu verschriftlichen.
Und am Ende hat er 40 Leitsordner gefüllt und teilweise wirklich mit haarsträubenden Sachen.
Seine Beziehung endet dann auch irgendwann und dann wirft ihn, wie es die Male davor auch immer war, ein Ereignis massiv aus der Bahn.
Im Herbst 98 kommt seine Mutter ins Krankenhaus und das über Monate, weil sie schwer herzkrank ist.
Und Henschel wohnt zwar nach wie vor in dem Haus, wird aber auch selbst krank.
Und er realisiert dann, dass er sich bald von der Mutter verabschieden muss und räumt daraufhin das Haus auf und findet dabei Fotos.
Und zwar Fotos davon, wie der Vater die Mutter fesselt, was ihn offenbar kernerschüttert.
Und diese Ereignisse sorgen dann offenbar für diese Tat von 1999, also dafür, dass er Ulrike Möller im Keller gefangen hält.
Und während dieser Zeit soll sie nicht nur aus besagtem Leitsordner lernen, sondern auch Tagebuch schreiben.
Was natürlich völlig, ja, so, also man sperrt sie ein, vergewaltigt sie und sagt dir dann jetzt, bitte schreib auch noch drüber.
Er kontrolliert das am Anfang regelmäßig, dann eine Zeit lang nicht und am Ende wieder so.
Und am Anfang sagt er eben, dass sie da mehr Gefühle äußern soll, mehr Gedanken.
Diese Gefangenschaft, die geht sechs Wochen insgesamt.
Und er realisiert dann zwischenzeitlich, dass sie die Dinge auch gar nicht so fühlt, wie sie sie ins Tagebuch schreibt,
weil er sie dazu zwingt, Dinge zu schreiben, die sie so gar nicht empfindet.
Genau. Also diese ganze Zeit der Gefangenschaft ist für ihn auch eine Zeit der Desillusionierung.
Am Anfang entführt er Ulrike Möller und hofft, sich da jetzt irgendwie eben einen Menschen gefangen halten zu können, der nur für ihn da ist und ihm alle Sehnsüchte erfüllt, die er immer hatte.
Ist natürlich nicht so. Und das merkt er mit jeder Woche, die da irgendwie verstreicht.
Und dann hat er eben diese Phase, wo er eben schon diese Vorstellung von ihr als Sklavin aufgegeben hat und sie irgendwie als Mensch sieht, ohne allerdings ihre ganz grundlegenden Bedürfnisse zu achten.
Und versucht irgendwie dann diese Zuneigung dieses Menschen sich zu erzwingen.
Und dann merkt er einfach, dass das geht so nicht. Also so komme ich nicht weiter hier.
Und nicht, also da muss man allerdings vorsichtig sein, also er sagt nicht, das geht so nicht im Sinne von, oh Gott, was habe ich bloß getan?
So, sondern im Sinne von, so funktioniert es irgendwie nicht.
Für ihn.
Genau, für ihn funktioniert es so nicht. Also ich kann nicht ihre Zuneigung erzwingen.
Ja, und irgendwann ändert sich dann das Verhältnis massiv.
Es läuft alles hinaus auf einen Tag Ende März 1999.
Kurz davor kontrolliert er nochmal ihr Tagebuch.
Dort hat sie dann eben die letzte Vergewaltigung als Kuscheln bezeichnet.
Und damit ist er dann erstmal ganz zufrieden, krankerweise.
Und dann sagt er ihr abends, dass er sie liebt.
Die schlafen da schon gemeinsam im Bett.
Also er zwingt sie dazu, bei ihm im Bett zu schlafen.
Oben, also nicht mehr im Keller.
Und sie antwortet daraufhin, dass sie das nicht verstehen kann.
Wie man jemanden lieben kann und ihn dennoch eben so unmenschlich behandeln, wie er sie behandelt.
Das sagt sie ihm nicht so wörtlich, aber sie sagt, dass sie es nicht verstehen kann, dass man jemanden liebt und ihn einsperrt.
Und daraufhin am nächsten Morgen verlässt er das Haus so gegen 8.30 Uhr.
Und zuvor hat er sie zum ersten Mal mit ihrem echten Vornamen angeredet.
Wie hat er sie denn sonst angeredet?
Am Anfang glaube ich tatsächlich Sklaven und dann tatsächlich oft sowas wie Schnecke oder so.
Als ob sie halt in einer Beziehung leben würden.
Er sperrt sie ein unten, schließt die Tür ab, verlässt das Haus und kommt nicht wieder.
Weil was passiert?
Weil er mutmaßlich versucht, sich umzubringen.
Da sind sich alle einig eigentlich, die mit dem Fall zu tun hatten.
Und zwar ist er ungebremst auf einen Betonmischer aufgefahren, der an einer roten Ampel auf der Märkischen Allee wartete.
Und daraufhin ist er ins Krankenhaus gekommen.
Und das heißt, Ulrike Möller sitzt dort unten und realisiert irgendwann, dass Dieter Henschel nicht nach Hause kommt.
Genau.
Sie ist da erstmal, weiß sie das natürlich überhaupt nicht und merkt, er kommt den ersten Tag nicht, er kommt den zweiten Tag nicht.
Am Anfang denkt sie, dass er sie vielleicht testen will oder dass diese Organisation irgendwie da irgendwas komisches plant oder so.
Und vor allem traut sie sich einfach nicht, sich irgendwie bemerkbar zu machen.
Und sie hat wahnsinnige Angst.
Und nicht nur Angst um sich, sondern eben auch, das betont sie später in den Vernehmungen immer,
dass sie halt auch wahnsinnige Angst hat eben um ihre Familie und um ihre Freunde und Freundinnen.
Sie hatte ein bisschen Proviant da, sie hatte irgendwie ein paar Tütensuppen, glaube ich.
Und Wasser hatte sie sowieso, weil das, also es waren Wasserleitungen verlegt, es gab eine Waschecke.
Am vierten Tag dann hört sie über sich Wasserrauschen, also dass irgendjemand im Bad ist und hört Stimmen.
Und da wagt sie es dann und entscheidet sich, also jetzt mache ich mich bemerkbar, weil sie einfach irgendwie auch den Glauben wahrscheinlich daran verloren hat,
dass er überhaupt nochmal wiederkommt.
Und dann schlägt sie mit Handschellen gegen so ein Heizungsrohr und gegen die Tür und ruft irgendwie.
Was sie gehört hat, ist tatsächlich Wasser aus dem Bad, wo die Schwester von Dieter Hentschel war.
Die wohnte nebenan und war in dem Haus, um Wäsche zu waschen mit ihrem Mann, um Wäsche zu waschen für Dieter Hentschel, für ihren Bruder.
Der war ja im Krankenhaus zu der Zeit.
Und sie hört irgendwas, irgendwie so ein Klopfgeräusch, wird sie dann später aussagen, und kann das aber überhaupt nicht zuordnen.
Und Ulrike Möller vernimmt keine Reaktion von oben so.
Und dann hört sie aber nochmal Stimmen, dann probiert sie es nochmal.
Und daraufhin kommt dann der Mann, der Schwester von Dieter Hentschel, also Dieter Hentschels Schwager, geht daraufhin in den Keller und sieht erstmal nichts.
Und der Zugang zu diesem geheimen Keller, in dem Ulrike Möller gefangen gehalten wird, ist eben gut versteckt, hinter so einer Holzverkleidung an der Wand, wo irgendwie Werkzeuge dranhängen.
Und dann ruft Ulrike Möller von innen eben, gibt ihm Anweisungen, wo das ist und was er wegheben muss.
Das tut er dann und er findet auch den Schlüssel, mit dem man die Tür öffnen kann, den hat Dieter Hentschel dort gelassen.
Ja, dann öffnet er die Tür und sieht eben diese Frau, die auf einmal vor ihm steht, im Haus seines Schwagers eingesperrt.
Ist natürlich total perplex, also kann das irgendwie überhaupt nicht fassen.
Wird später sagen, er hat nur auf sie gestarrt und hat überhaupt nichts wahrgenommen von dem Raum selbst, sondern war so völlig verwirrt.
Ja, und sie ist natürlich auch noch völlig verstört und hat Angst und es dauert eine Weile, bis sie realisiert, was mit ihr passiert ist und auch bis die Polizei überhaupt feststellt, dass das mit der Bande, was sie bis dahin ja auch immer noch geglaubt hat, alles erlogen war.
Dann wird Dieter Hentschel 1999 im Oktober wegen Geiselnahme und Vergewaltigung in 27 Fällen zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Und das Gericht hält ihn für vermindert schuldfähig. Warum das?
Das hat vor allem was damit zu tun, dass er unmittelbar vor der Tat hat er eben wiederum eine dieser Krisen durchlebt, die in der Vergangenheit auch schon immer dazu geführt haben, dass er schlimme, fürchterliche Dinge anderen Menschen angetan hat.
Das war in diesem Fall auch der Fall. Der Psychiater sagte, seine Hemmungen seien vermindert gewesen, aber nicht seine Einsichtsfähigkeit und auch nicht seine Steuerungsfähigkeit.
Also er hatte nach wie vor die Kontrolle über sich eigentlich, oder er war noch in der Lage zu verstehen, was die Konsequenzen seines Handelns sind.
Und der Gutachter hat ihm auch eine schwere seelische Abartigkeit attestiert aufgrund seiner, vor allem seiner sexuellen Perversion.
Und an diesem Prozess, da nimmt Dieter Hentschel auch dran teil, weil er aber als hoch suizidgefährdet gilt, wird er an einen Stuhl mit Rollen fixiert.
Genau, das ist natürlich am Ende irgendwie eine ganz merkwürdige Pointe dieser ganzen Geschichte.
Also der Prozess hat nur einen Tag gedauert, weil das war unstrittig. Er hat gestanden, er hat nicht abgestritten. Und das war eigentlich, das war schnell verhandelt.
Phyllis, die Geschichte, die ist ja schon ein bisschen älter. Wie kamst du auf den Fall überhaupt und wie hast du den recherchiert?
Also ich bin erstmal überhaupt gestoßen, bin ich auf die Geschichte in einem alten, relativ, ich weiß gar nicht wie alt es ist, also ein Buch auf jeden Fall, was alte Fälle aus der DDR behandelt.
Genau, ich habe das alles gelesen und das hat irgendwie ganz viele Fragen bei mir aufgeworfen, denen ich gerne nachgehen wollte.
Ja, und wie bin ich dann vorgegangen?
Man schaut halt, wer ist noch irgendwie ansprechbar von den Prozessbeteiligten?
Wer kann mir irgendwelche Informationen über den Tathergang geben? Wer kann mir Informationen über ihn geben?
Und dann habe ich den Gutachter ausfindig gemacht.
Ich habe einen Anwalt ausfindig gemacht, der damals in dem Verfahren involviert, ins Verfahren involviert war.
Und ich habe mit einem Ermittler gesprochen.
Dann habe ich eben Einblick gehabt in Ermittlungsakten.
Und du wirst uns wahrscheinlich nicht erzählen, woher du diese Ermittlungsakten hast.
Nein, das kann ich leider nicht sagen.
Schade.
Danke, dass du die Geschichte heute mit uns teilst.
Sehr gerne. Vielen Dank, dass ich hier sein durfte.
An dieser Stelle auch danke von meiner Seite.
Was ich so interessant finde, ist, dass auch der Fall Henschel zeigt, dass man Mitte des 20. Jahrhunderts noch nicht genau wusste, wie man mit Triebtätern umgehen soll.
Er wurde ja auch so früh wie Bartsch zum Täter und da hat auch niemand ärztliche Hilfe aufgesucht.
Ja, obwohl man damals eigentlich auch schon gesehen hat, dass eine Therapie fruchten kann, aber man hat dem eben nicht so den Wert zugemessen.
Stimmt.
Kommen wir mal zu meinem Aha.
Ich weiß von Atze Schröder, dass er als Kind furchtbar schüchtern war und er ist der Meinung, dass das daher kam, dass er zu Hause vor allem von seiner Mutter subtil entwertet worden ist.
Das erzählt er im Podcast Betreutes Fühlen mit Dr. Leon Windscheid.
Seine Schwester konnte im Gegensatz zu ihm immer alles und die Mutter hat zu ihm oft gesagt, lass das mal, deine Schwester könnte das, aber du nicht.
Und das hatte ihn so wahnsinnig gemacht, dass er seiner Schwester mal als Reaktion darauf in den Rücken gebissen hat, weil er sich halt nur körperlich wehren konnte.
Und er wurde so wahnsinnig schüchtern dann als Kind und hat sich vieles nicht getraut und viel Angst gehabt, der er sich dann halt auch erst mal stellen musste als Erwachsener, um überhaupt Bühnenkünstler zu werden.
Und das hat mich zu der Frage geführt, was machen schwierige Erinnerungen aus der Kindheit eigentlich mit uns und warum fällt es manchmal so schwer, das Erlebte zu verarbeiten?
Und deswegen habe ich Atze heute mal vom Therapiestuhl verscheucht und mich mit Leon Windscheid genau darüber unterhalten.
Und ich habe ihn gefragt, warum wirken sich denn Ereignisse in der Kindheit oft so auf unsere Entwicklung aus?
Stell dir mal das kindliche Hirn vor wie einen Schwamm. Der saugt alles auf.
Das heißt, jedes Erlebnis dort kann unfassbar viel stärkere Auswirkungen haben als im fertig verkabelten Erwachsenenhirn.
Klar gibt es auch beim Erwachsenen immer noch Veränderungen, aber gerade beim Kind geht alles ab.
Da entstehen die Verbindungen wie so ein Autobahnnetz, das in eine völlig leere Wüste gebaut werden soll.
Und das heißt, ein einzelnes Erlebnis kann da unglaublich viel anrechnen.
Das ist beim Erwachsenen immer noch so, aber bei Kindern wirkt das ganz besonders stark.
Das heißt, als Kind mache ich eine Erfahrung, die danach massiv meine Persönlichkeit prägt, wenn ich nicht behandelt werde.
Weil du gerade von Behandlung sprichst.
Ein Kollege von mir war mal sehr lange im Krankenhaus und da gab es jeden Donnerstag Brokkoli und er musste alles immer aufessen.
Und wenn er heute Brokkoli im Fernsehen sieht, dann schlägt er sich die Hände vors Gesicht, weil er nicht aushält, das zu sehen.
Also er findet es so eklig noch heute. Also kann man solche Erinnerungen überhaupt loswerden später?
Ich kenne das selber. Ich habe mal bei einem Kindergeburtstag ein Stück Kirschkuchen gegessen und musste mich unmittelbar danach übergeben.
Ich weiß gar nicht, wieso die anderen Kinder nicht. Aber seitdem habe ich diese Kirschen aus so Einmachgläsern gehasst.
Und das kennt man, glaube ich, auch, wenn es ein bisschen unangenehmer ist, zum Beispiel von Hundebissen.
Natürlich können solche frühen Erlebnisse prägen.
Aber ganz, ganz wichtig, wenn man in einem gesunden Umfeld aufwächst, dann kann man unglaublich viel, was vielleicht einmal aus der Bahn geraten ist, auch wieder in die richtigen Wege leiten, sage ich mal.
Das heißt, das so als Ausrede zu benutzen, ich hatte irgendwann mal ein prägendes Erlebnis XY und deswegen funktioniert mein Hirn überhaupt nicht mehr.
Das gilt im Prinzip nur dann, wenn man sich nicht darum kümmert.
Denn ansonsten kann unser Hirn alles lernen und auch ganz viel umlernen.
Es kann zwar nicht löschen, also wenn man einmal so eine unangenehme Erfahrung gemacht hat, dann bleibt das sehr, sehr stark in uns verwurzelt.
Aber es kann neue Verbindungen im Kopf entstehen lassen, sodass man nachher, wenn man jetzt einen Hund sieht und als Kind mal gebissen wurde, vielleicht als Erwachsener lockerer damit umgehen kann, weil man, seitdem man Kind war, bis zum Erwachsenenalter, schon wieder 300 Hunde im Park gesehen hat, die einem nichts getan haben.
Da ist dann also eine neue Verbindung, eine, wenn man so will, zweite Prägung im Hirn entstanden, die im Idealfall so stark wird, dass die Alte einfach überlagert ist.
Ja, und ein gesundes Umfeld gab es ja bei beiden unserer Täter nicht.
Da hat sich ja erstmal niemand drum gekümmert und es ihnen in irgendeiner Weise möglich gemacht, umzulernen.
Ja, ich sag mal so, zumindest scheint es so, als wären die Umstände nicht gerade günstig gewesen, solche negativen Erfahrungen zu überlagern.
Was sind denn so Faktoren in der Kindheit, die bestärken, dass uns das Erlebte nicht mehr loslässt?
Also wenn ein Kind mit einer völlig fehlenden Normalität aufwächst, mit einer völlig fehlenden Gewissheit, dass die Eltern sich nach bestimmten Mustern verhalten, dass die irgendwie eine bestimmte Struktur vorgeben, dass die irgendwie vorhersagbar sind in dem, was sie tun, dann fehlt dem Kind der Bezugsrahmen.
Und das kann nur in die Hose gehen.
Nun hieß es bei Dieter Henschel ja, dass eine mögliche Erklärung für sein Fesselverhalten auch schon als Kind war, dass er versucht hat, diese traumatische Erfahrung aggressiv zu bewältigen, indem er das einfach immer wiederholte.
Ob das jetzt am Ende wirklich so war, wir wissen es nicht.
Aber das ist an sich nicht typisch, oder?
Also zumindest wenn das Erlebnis so schrecklich war, dann geht man doch nicht immer absichtlich wieder in diese Situation rein.
Ein schreckliches Erlebnis nennt man ja auch Trauma.
Und Trauma bedeutet aus dem Griechischen nichts anderes als Wunde.
Stellen wir uns vor, wir legen unsere Hand auf eine heiße Herdplatte und verbrennen uns.
Dann haben wir danach eine Brandwunde an der Hand.
Wir werden alles tun, um diese Herdplatte nicht nochmal anfassen zu müssen.
Und wir werden auch in Zukunft vorsichtig sein, wenn wir irgendwo ein Herd sehen.
Das ist etwas, was Kinder lernen.
Und dieses daraus entstehende Vermeiden, das ist ganz, ganz wichtig, wenn es darum geht, dass man etwas Schreckliches erlebt hat.
Man möchte das nicht nochmal durchmachen.
Man möchte nicht, dass all die alten Emotionen, dass all die Angst, dass all die Wut, dass all der Hass, dass all die Schuld und Scham, die dabei entstanden ist, nochmal hochkommt.
Und deswegen vermeidet man sogar nicht nur das, was einem damals widerfahren ist, sondern auch alles, was so im Entfernteren damit zu tun hat.
Also sagen wir mal, ich wurde in einem bestimmten Raum vergewaltigt oder irgendwie misshandelt.
Dann werde ich gegebenenfalls schon alleine vor einem Tisch, der in diesem Raum stand, Angst haben.
Sprich, wenn ich irgendwo in einen Raum komme, wo ein ähnlicher Tisch steht, könnte das Jahre später in mir sofort wieder eine Angst auslösen.
Und ich würde alles tun, um vielleicht aus diesem Raum zu gehen und den Tisch nicht sehen zu müssen.
Ist es denn so, dass sich bestimmte Erlebnisse aus unserer Kindheit auch auf unser Sexualleben als Erwachsene auswirken können?
Mich hat das so sehr überrascht, dass ein Bild einen das ganze Leben lang dann nicht mehr loslässt.
Ja, da müssen wir jetzt natürlich ganz vorsichtig sein.
Das sind wieder so diese direkten Zusammenhänge, die wir alle gerne hätten, um die Welt einfach und verständlich zu machen.
Da muss man sich immer vor Augen führen, Sexualität wie auch eine ganze Reihe anderer Persönlichkeitseigenschaften oder eben auch biologischer Eigenschaften,
ist etwas, das aus einem ganz großen Zusammenspiel von Genen, Umwelt, sozialen Interaktionen, Erlebnissen, Erfahrungen etc. entsteht.
Das heißt, da einfach zu sagen, ich erlebe als Kind XY und deswegen werde ich als Erwachsener homosexuell oder eben auch nicht.
Ich entwickle den Fetisch oder eben auch nicht oder vielleicht sogar so etwas Schlimmes wie ich werde zum Vergewaltiger oder eben auch nicht.
Das ist unmöglich.
Eine kleine Geschichte, auf die ich heute gestoßen bin und zwar über jemanden, der als Kind mal eine Fünf mit nach Hause gebracht hat und dessen Mutter dann daraufhin völlig ausgetickt ist.
Sie hatte zu ihm gesagt, weil du geboren wurdest, konnte ich nicht weiter studieren.
Wenn du nicht gekommen wärst, dann wäre ich heute Ärztin.
Das hatte offenbar in ihm das Gefühl ausgelöst, so eine Belastung für andere zu sein und nicht wirklich eine Daseinsberechtigung zu haben.
Die Person hat es dann im Erwachsenenalter halt immer allen recht machen wollen und niemanden enttäuschen wollen.
Ist es denn so, dass man Verhaltensmuster so leicht Kindheitserfahrungen zuordnen kann?
Also wenn man sich den Menschen mal als so einen gesamten Organismus vorstellt, aus Körper, aus eigenen Gedanken, aus Erinnerungen, aus sozialen Interaktionen, aus Genen, aus Umwelt,
dann ist es oft so, dass diese einfachen Erklärungen zu kurz greifen.
Es gibt zwar immer eine Erklärung, aber dass man die in einem Satz runterbrechen kann, das ist meistens nicht der Fall.
Und deswegen muss man ganz, ganz tief graben, ganz lange suchen und oft dann zu dem ernüchternden Ergebnis kommen,
dass man die Lösung vielleicht doch nicht findet, weil die Person selbst sie einem nicht sagen kann.
Ja, weil sie vielleicht es selber auch gar nicht wirklich reflektieren kann.
Bei Dieter Hinschel werden wir auch nicht final zu einer Antwort kommen.
Der lebt mittlerweile nämlich nicht mehr.
Was beide Fälle uns jetzt gezeigt haben, ist, dass bestimmte Erfahrungen in der Kindheit zur Entwicklung eines Triebtäters beitragen können.
Bevor wir jetzt auf die verschiedenen Faktoren genauer eingehen, die prägend sein können, kurz vorweg,
die menschliche Persönlichkeit und deren Entwicklung ist kompliziert.
Wie Leon eben schon angedeutet hat, kann man nicht einfach sagen, wer das und das als Kind erlebt hat, wird so und so.
Wer sich in welcher Art und Weise entwickelt, wird von einem Zusammenspiel äußerer Einflüsse und biologisch-genetischer Veranlagungen bedingt.
Jeder Teil für sich genommen, führt nicht zwingend und auch nicht unmittelbar dazu,
dass sich aus einem Kind ein Straftäter oder eine Straftäterin entwickelt.
Laura hatte mich diese Woche auf einen Gedanken gebracht.
Wir hatten gerade recherchiert für diese Folge.
Und dann guckt sie vom PC auf, schüttelt den Kopf und meint,
Und ich bin so froh, dass es so viele Dinge schon gibt.
Und sie machte das aus an einem Schnuller.
Ja, wie gut ist es, dass so viele Menschen schon vor uns Kinder bekommen haben
und man mit der Zeit gelernt hat, was gut fürs Kind ist und was nicht.
Und eben auch, wie man ein Kind berühren kann, ohne es ständig an die Brust zu lassen.
Und bis dahin hatte man bestimmt ein paar Dinge ausprobiert.
Und dann kam ich darauf, wie dachte man eigentlich früher, was einen zum Verbrecher oder zur Verbrecherin macht.
Und da gab es die anthropologische Kriminalitätstheorie vom italienischen Psychiater Cesare Lombroso.
Der hatte nämlich ganz früher, postmortem, einige Verbrecherschädel, wie er es nannte, untersucht.
Und kam zu dem Schluss, dass der verbrecherische Mensch, wie er es nannte,
durch bestimmte äußere Merkmale zu charakterisieren sei.
Und die sollten dann so gewesen sein, großer Körper, Henkel, ähnliche Ohren, Unempfindlichkeit gegen Schmerz oder hohe Sehkraft und eine hohe Stirn.
Und er verglich das alles mit der Tierwelt so ein bisschen.
Und er zog daraus den Schluss, dass der geborene Verbrecher in seiner Entwicklung viel primitiver und rückschrittlicher sei als ein normaler Mensch.
Und dieser Rückfall in frühere Entwicklungsstadien betrifft halt nicht nur die Triebstruktur, sondern auch die Anatomie.
Und deswegen sehen die halt auch anders aus als andere Menschen.
Das Problem ist, dass Lombroso sogar als Sachverständiger vor Gericht zu Rate gezogen wurde.
Und in seinen Aufzeichnungen schrieb er von einem Fall, bei dem zwei Stiefsöhne vor Gericht standen.
Und es ging darum, welcher der beiden die ungeliebte Stiefmama umgebracht hat.
Und über den einen schrieb er dann, es war wirklich der vollkommene Typ des geborenen Verbrechers.
Kinnladen, Augenbrauenbogen und Jochbeine waren enorm, die Oberlippe dünn, die Schneidezähne riesig, bla bla bla bla.
Ach, ich lese jetzt hier nicht alles vor, aber dieser Mann wurde dann verurteilt.
Und die Brüder sahen komplett unterschiedlich aus, oder wie?
Davon steht hier nicht.
Aber ja, man kann sich ja vorstellen, was das damals ausgelöst hat, weil viele Menschen damals dann forderten, Menschen, die genau so aussehen, zu inhaftieren.
Das dachte man halt damals, macht Verbrecher aus.
Zum Glück weiß man es heute besser, auch in Bezug auf die Entwicklung im Kindesalter.
Denn heute wissen wir zum Beispiel auch, wenn ein Kind zur Welt kommt, sucht es instinktiv nach einer Bezugsperson.
Denn allein kann es ja nicht überleben.
In der Regel ist das die Mutter, die dem Kind die lebensnotwendige Nahrung, also die Muttermilch, geben kann.
Dass aber nicht nur Nahrung, sondern auch Zuwendung essentiell für das Überleben und die Entwicklung eines Säuglings ist,
Darauf deuteten zum Beispiel die Tierversuche des US-Psychologen Harry Harlow hin.
1957 setzte er Rhesusaffenbabys in einen Käfig, in dem sie die Wahl zwischen zwei Mutteraffenattrappen hatten.
Eine Mutter war aus Draht nachgebildet und konnte Milch spenden.
Und die andere, die sah mehr aus wie ein Affe, war mit Stoff bespannt und konnte Wärme, aber keine Milch geben.
Der Versuch zeigte, dass die Affen sich bei der Milchspenderin immer nur kurz zur Nahrungsaufnahme aufhielten,
Und dann aber zur warmen Stoffmutter rüberhuschten und mit der kuschelten.
Und auch als der Wissenschaftler die Affenbabys erschreckte, mit furchtbaren mechanischen Monstern, flohen sie immer nur zu der Stoffmutter.
Nachdem Harlow gezeigt hatte, wie wichtig der Kontakt zur Mutter für die Jungtiere war, wollte er herausfinden, wie sich die Affenbabys in unterschiedlicher sozialer Umgebung entwickeln.
Dazu wurden einige Tiere völlig isoliert, andere nur mit ihrer Mutter und wieder andere mit Müttern und gleichaltrigen Spielgefährten zusammengetan.
Und Affenbabys, die ohne Spielgefährten heranwuchsen, die wirkten später oft ängstlicher.
Und völlig isoliert aufgezogene Tiere waren später derart verhaltensgestört, dass sie oft gar nicht in der Lage waren, eigene Junge großzuziehen.
Und Harlow wies auf diese Weise nach, dass soziale Bindungen für die emotionale Entwicklung der Primaten extrem wichtig sind.
Diese Versuche und andere Studien haben dazu geführt, dass heute auf das sogenannte Bonding zwischen Mutter und Kind viel Wert gelegt wird.
Und mit Bonding ist eben diese Entwicklung eines emotionalen Bandes gemeint.
Und dem Neugeborenen sichert das das Überleben und sorgt dafür, dass es sein Urvertrauen richtig entwickeln kann.
Und diese Phase prägt außerdem für das Kind, wie das zukünftig Beziehungen empfindet und auch gestaltet.
Und dieses Gefühl der Sicherheit entwickelt das Baby eben, wenn die Bezugsperson richtig auf seine Bedürfnisse reagiert.
Also wenn die Bezugsperson sehr feinfühlig ist und immer direkt sieht, was will das Kind, jetzt Hunger oder Kuscheln oder irgendwas anderes, lernt es daraus, dass ihm nichts passieren kann.
Weil immer jemand da ist, der sich ums kümmert.
Vereinfacht ausgedrückt.
Ja, und was passiert, wenn es dieses Bonding nicht gibt?
Das habe ich ja schon in meinem Aha angedeutet.
Bei Jürgen Bartsch zum Beispiel gab es direkt nach der Geburt und auch in den ersten elf Monaten kein Bonding.
Keine konstante Bezugsperson und ja auch in den Jahren danach nicht viele soziale Kontakte.
Und für das Kind bedeutet das, dass es im schlimmsten Fall sein Urvertrauen verliert.
Da es sich von Anfang an nicht sicher und behütet fühlt, kann es die Fähigkeit nicht richtig entwickeln, zu jemandem eine Bindung aufzubauen.
Und wenn die Mutter oder die Bezugsperson halt Wünsche und Bedürfnisse des Kindes nicht beachtet oder nur wenig beachtet, dann können die kindlichen Emotionen verkümmern.
Ja, und ja nicht nur bei Jürgen Bartsch, sondern auch bei Dieter Henschel war es ja so, dass die beiden als Kleinkinder keine Bonding-Erfahrung machen konnten.
Und dass dann sie ja auch im Leben sehr schwer hatten, überhaupt Nähe zuzulassen oder Beziehungen einzugehen.
Genau, bei Henschel hat zumindest diese emotionale Nähe gefehlt, auch wenn er ja eine Beziehung hatte.
Ja, und Jürgen Bartsch hatte nicht einmal eine Beziehung führen können.
Dass das Verhältnis von Eltern zu ihren Kindern in der Entwicklung eine wichtige Rolle spielt, das weiß man ja mittlerweile.
Das FBI hatte mal für eine Studie 36 Serienmörder befragt und alle hatten angegeben, dass sie ihre Beziehung zu den Eltern als kalt, feindselig und ungerecht empfanden.
2013 hatte man in Amerika 150 Straftäter befragt und ihre Ergebnisse wurden dann verglichen mit so einer allgemeinen Stichprobe aus Probanden.
Und es kam heraus, ca. 52% der Straftäter hatten psychische Misshandlungen erlebt und demgegenüber standen 7,6% bei der Durchschnittsbevölkerung.
Bei der emotionalen Vernachlässigung waren die Werte 50 zu 12.
Bei körperlichen Misshandlungen war der Unterschied aber gar nicht so groß, da waren es 40 zu 30.
Das heißt, dass nach dieser Studie körperliche erlebte Gewalt in der Kindheit etwas mehr auftritt bei Gefängnisinsessen,
psychische Misshandlungen oder emotionale Vernachlässigungen in der Kindheit aber viel öfter von Menschen erlebt wurde, die im Gefängnis sitzen.
Und es gibt tatsächlich einige Abhandlungen darüber, dass dauerhafte emotionale Gewalt bei Kindern dazu führt, dass sie weniger Hirnsubstanz entwickeln.
Werner Bartens schreibt in seinem Buch über emotionale Gewalt z.B. darüber.
Außerdem zeigen Studien, je intensiver und häufiger Kinder Gewalt erleben, desto höher ist die eigene Gewaltbereitschaft
und kann deswegen zu einer Weitergabe von Gewalt bei eigenen Kindern führen.
Das heißt jetzt natürlich nicht, dass Menschen, die Gewalt in ihrer Kindheit erlebt haben, automatisch das weitertragen.
Ich kenne selber einige Menschen, die aus ihren prügelnden Eltern gelernt haben, dass die halt niemals so sein wollen.
Nur die Hemmschwelle dafür kann halt natürlich niedriger sein.
Wenn Kinder misshandelt werden oder Misshandlungen in der Kindheit beobachten, dann können sie die eigentlich in der Regel nicht selber verarbeiten.
Und dadurch können bei ihnen Gewaltfantasien entstehen, in denen Macht und Kontrolle geübt wird.
Also misshandelte Kinder spielen daher mit anderen Kindern häufig im Spiel sozusagen solche Themen durch, wo sie dann aber der oder die Stärkere sind.
Und dann sind sie auch oft aggressiv anderen Kindern gegenüber.
Und bei Serientätern wie Jürgen Bartsch wird eine extrem aggressive Motivation angenommen, die nicht unbedingt was mit der Sexualität primär zu tun hat, sondern mehr mit Macht und Kontrolle.
Und die Möglichkeit, jemanden zu ermorden, ist dann ein Beispiel für größtmögliche Kontrolle.
Ich habe in meiner Kindheit öfter mit einem Nachbarn gespielt, wovon ich und meine Eltern auch ausgingen, dass da vielleicht irgendwie was in der Erziehung so ein bisschen schief gelaufen ist.
Ich weiß es aber am Ende nicht.
Aber was ich weiß, ist, dass der Junge auf jeden Fall verhaltensauffällig war.
Der hat Spinnenbeine ausgerissen und sowas.
Und wenn wir gespielt haben, dann wollte er immer Mutter-Kind spielen.
Und er war aber die Mutter und hat mich dann immer eingesperrt.
Und irgendwann hat er auch so getan, als hätte er Waffen und hat mich dann erschossen.
Und dann musste ich spielen, als wäre ich tot.
Also, wie geht's dem heute?
Ich weiß nicht.
Ich weiß nicht.
Ich habe nochmal versucht, den zu finden.
Das hört sich nicht gut an.
Also, mir kam schon damals als Kind das irgendwie seltsam vor.
Und wenn ich darüber heute als Erwachsene nachdenke, frage ich mich natürlich auch, war das jetzt wirklich nur ein Spiel?
Oder hat er damit auch mit diesen Spielen, die er mit mir gespielt hat, irgendwas aufarbeiten müssen?
Apropos Gewalt in der Kindheit.
Ich kenne auch ein paar Leute, die als Kind, wenn sie irgendwas angestellt haben, einen Klaps auf den Po bekommen haben.
Und heute aber sagen, dass sie das gar nicht schlimm fanden.
Wieso findet man sowas nicht schlimm?
Keine Ahnung.
Aber ich kann mir vorstellen, was Sie meinen, ist eher, dass es für Sie selbst in dem Erlebnis nicht so schlimm war.
Aber wenn man sich das dann als erwachsener Mensch anguckt, ist das natürlich ein Ding.
Eltern nutzen ihre körperliche Überlegenheit, um die Kinder so zu bestrafen.
Dann verstehst du das natürlich als etwas anderes, nämlich als das, was es eigentlich ist.
Als Kind denkst du, ich habe Unsinn gemacht und jetzt kriegt es einen Klaps auf den Po.
Vielleicht tut der auch noch nicht mal so doll weh.
Und ich habe es verdient, weil ich habe was falsch gemacht.
Eigentlich finde ich schlimmer die Symbolik, die dahinter steht.
In den letzten 30 Jahren sind die Sexualmorde um 90 Prozent zurückgegangen.
Und der Kriminologe Christian Pfeiffer sagt in einem Interview mit der Zeit Online, dass er einen Zusammenhang darin sieht,
dass die sadistisch brutale Kindererziehung halt immer seltener geworden ist.
Also dass quasi ein direkter Zusammenhang auch damit besteht, in welcher Zeit wir heute aufwachsen und dass unsere Gesellschaft heute auch weniger Mörder erzieht.
Ja, wir haben also daraus gelernt.
Wenn ich manchmal mit AnwältInnen gesprochen habe und wir über die typischen Täter oder TäterInnen gesprochen haben,
dann haben mir die VerteidigerInnen meistens gesagt, dass sie in der Regel mit männlichen Tätern zu tun haben,
die in der Regel aus bildungsfernen Schichten kommen.
Von den Fällen, die wir hier bisher besprochen haben, muss man sagen, kann man das eigentlich nicht unbedingt ablesen.
Allerdings sind unsere Fälle jetzt auch nicht repräsentativ für die Vrechten in Deutschland.
Das sind die Fälle, die die AnwältInnen vertreten haben, aber im Zweifel auch nicht.
Deswegen haben wir uns gefragt, ob es Studien gibt, die darauf hinweisen,
dass StraftäterInnen öfter in sozial ärmeren Schichten aufgewachsen sind.
Also die Kriminalstatistiken sind eigentlich ziemlich eindeutig,
wenn es um den Zusammenhang von entdeckter, verurteilter Kriminalität und sozialer Schichtzugehörigkeit geht.
Untere Schichten sind da deutlich überrepräsentiert im Gegensatz zu Mittel- und Oberschicht.
Ob auch wirklich viel mehr Straftaten in diesen Schichten stattfinden, wird aber teilweise auch angezweifelt.
Und zwar von den Vertretern des sogenannten Labeling-Approach.
Die vermuten nämlich, dass in den unteren Schichten erstens mehr Strafverfolgung überhaupt betrieben wird
und zweitens Straftaten, die in solchen Schichten vermehrt verübt werden, auch stärker sanktioniert werden.
Bewiesen ist das nicht.
Auch in der Dunkelfeldforschung sind TäterInnen aus sozialen Unterschichten häufiger vertreten,
tatsächlich aber weniger häufig, als es die offiziellen Statistiken vermuten lassen würden.
Zu dem Schluss kommt auch der Soziologe Stefan Hadiel.
Der schreibt in einer wissenschaftlichen Arbeit, die heißt
Dossier, deutsche Verhältnisse, eine Sozialkunde, darüber.
Und der bezieht sich darauf, dass neun von zehn Gefängnisinsassen aus unteren Schichten kommen.
Ich weiß nicht, ich störe mich irgendwie an diesen Schichtbegriffen,
weil ja auch viele nicht wissen, ab wann man zu was gehört, weil dann da der Bildungsgrad mit reinfließt.
Und dann ist es furchtbar stigmatisierend irgendwie, aber gut, Wissenschaftler müssen jetzt halt damit arbeiten.
Und Hadiel sagt, dass die Straftaten, die begangen werden, in der Regel andere sind.
Also Diebstahlraub und Körperverletzung wird meist von Menschen aus den sogenannten unteren Schichten begangen.
Bei den oberen Schichten sind es eher sowas wie Betrugsdelikte und Wirtschaftsverbrechen.
Und ein Erklärungsansatz, warum das so ist, sagt, dass in den unteren Schichten körperliche Gewalt als ein adäquates Mittel zur Erreichung von Zielen und zur Lösung von Konflikten gilt.
Und dementsprechend würden solche Verhaltensmuster halt teilweise im Sozialisationsprozess schon erlernt werden und vermittelt werden.
Genau, das ist dieser sozialisationstheoretische Ansatz, der das erklären soll,
weil die Sozialisation in unteren Schichten häufiger gestört ist als bei anderen Schichten.
Auffällig geworden, die Jugendliche berichten nämlich überdurchschnittlich häufig von zerrütteten und verwahrlosten Verhältnissen
über Alkoholismus, Kriminalität, Prostitution im nahen Umfeld und auch von überfüllten Wohnungen und Arbeitslosigkeit.
Andere Experten gehen aber auch davon aus, dass abweichendes Verhalten genauso gelernt wird wie adäquates Verhalten.
Also wenn man zum Beispiel in einem Umfeld aufwächst, in dem Kriminalität normal ist, kann das auch übernommen werden.
Und bei diesem Ansatz spielen dann Bezugspersonen, die dann als Vorbilder gelten, eine wichtige Rolle.
Also kann unsere Umgebung offenbar einen enormen Einfluss auf unser Verhalten haben.
Aber können Menschen auch mit einer Veranlagung zur Kriminalität geboren werden?
Manche sprechen da von einem Kriminalitätsgen, höchst umstritten dieser Ausdruck, weil das natürlich politisch inkorrekt ist
und sowas ebenfalls zur Stigmatisierung und Diskriminierung beitragen könnte.
Und dennoch hat ein finnisches Forscherteam 794 Gefängnisinsassen untersucht,
wovon mehr als die Hälfte Gewaltverbrecher waren.
Und die haben mithilfe einer genomweiten Assoziationsanalyse geprüft,
ob bestimmte Genvarianten bei Gewalttätern und vor allem bei Wiederholungstätern häufiger vorkamen als im Durchschnitt der Bevölkerung.
Und tatsächlich fanden sie an zwei Genorten eine Auffälligkeit.
Die eine würde die Produktion von Hirnbotenstoffen wie Serotonin oder Dopamin stören,
was zu einer erhöhten impulsiven Aggression führen könnte.
Und die andere auffällige Genvariante würde ebenfalls für Probleme bei der Impulskontrolle eine Rolle spielen.
Und sowas wie Drogenkonsum würde die Schwelle zur Gewalt in der Kombination mit diesen Genvarianten halt nochmal herabsenken.
Außerdem fand kürzlich eine schwedische Studie heraus, dass Kinder krimineller Eltern selbst dann wahrscheinlicher selbstkriminell werden,
wenn sie als Säuglinge zur Adoption freigegeben und von anderen nicht-kriminellen Eltern adoptiert werden.
Das hört sich natürlich direkt so an, als würde Kriminalität vererbbar sein.
Aber wir wissen ja auch nicht, was ist mit diesen Kindern geschehen, nachdem sie von den kriminellen Eltern weggekommen sind.
Waren sie dann vielleicht auch längere Zeit ohne Bezugspersonen?
Und was für Einflüsse kamen noch dazu?
Ja, richtig.
Und abgesehen von diesen Sachen sind einige Forscher der Ansicht, dass der Täter oder die Täterin in eine auslösende Situation kommen und auf diese dann auch anspringen muss.
Deswegen halten einige Kriminalpsychologen den Zufall für ein entscheidendes Kriterium, ob jemand straffällig wird oder eben nicht.
Carrie J. Wessler ist wissenschaftlicher Leiter der Psychiatrie im McLean Hospital in Belmont.
Und der untermauert die Theorie anhand einiger bekannter Beispiele.
So soll der Serienmörder Richard Marquette vor seinem ersten Mord hoch frustriert gewesen sein, weil er Probleme hatte, mit einer Frau zu schlafen.
Ted Bundy soll kurz vor seiner Mordserie die finanzielle Unterstützung weggebrochen sein.
Und David Berkowitz soll sich so sehr mit seiner Mutter gestritten haben,
dass er beschloss, die erste Frau, die ihm über den Weg laufen würde, umzubringen.
So, und wenn jetzt alles zusammenkommt, also die Veranlagung, das schlechte Umfeld, die fehlende Liebe, die Bindung zu den Eltern, eine fehlgeschlagene Beziehung
und der Zufall, wird man dann zwingend zum Straftäter oder zur Straftäterin?
Natürlich nicht. Es gibt nämlich genug Mechanismen, die dagegen steuern.
Und darunter fällt vor allem der eigene Wille.
Richtig.
Laura, hast du eigentlich noch den Geruch in der Nase?
Nee, aber als wir gestern die Fotos angeguckt haben, hatte ich ihn sofort wieder in der Nase.
Ich fühle mich momentan so ein bisschen daran erinnert, weil bei uns in der Küche sich hier gerade die Teller mit den Essensresten stapeln.
Paulina und ich waren nämlich im Auftrag von Follow-me-Reports.
Zur Klarstellung, TatortreinigerInnen sind in der Regel Menschen, die Gebäude reinigen und die eine Zusatzausbildung gemacht haben.
Und man sagt umgangssprachlich jetzt auch zu solchen Fällen, die wir jetzt gemacht haben, Tatortreinigung.
Aber vor allem geht es da um die Reinigung von Leichenfundorten.
Und das haben wir gemacht, nachdem die Leiche schon weg war.
Für uns war das auf jeden Fall eine extreme Herausforderung.
Aber wir haben extra für euch ein bisschen Zusatzmaterial gedreht.
Und das gibt es in den nächsten Tagen bei uns auf Instagram, mordlos der Podcast.
Und die ganze Reportage könnt ihr auch ab heute sehen, ab 15 Uhr auf YouTube bei Follow-me-Reports.
Und guckt es euch bitte an, denn wir wollen das nicht umsonst gemacht haben.
Und ich weiß nicht, was der Tatortreiniger in der Serie macht, aber ich kann mir vorstellen, dass er nicht das tut, was wir da getan haben.
Ja, dann schließen wir ab.
Das war ein Podcast von Funk.
Vertraue und glaube, es hilft, es heilt die göttliche Kraft!