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#34 Spurlos verschwunden

Mordlust
Ganz ehrlich, welchen Hobbys gehst du zur Zeit so nach?
Ich habe momentan keine Zeit für Hobbys und deswegen ist mein Hobby, mein Beruf, über Mord und Totschlag recherchieren.
Ich bin sehr erfreut, dass das deine Antwort ist.
Ich war neulich bei den Komedians Moritz Neumeyer und Till Reinas bei ihrem Live-Auftritt und die haben dann ein Spiel gespielt und dann haben sie sich Leute aus dem Publikum dafür ausgesucht.
Auf jeden Fall kannst du es dir schon denken.
Du wurdest ausgewählt.
Ich durfte mitspielen, toll.
Und es gab verschiedene Kategorien und eigentlich war meine Kategorie, dass ich meinen Lieblings-Berliner Stadtteil sagen sollte.
Und ich dachte mir, das kriege ich hin.
Ich fühle mich in der Lage, diese Frage zu beantworten.
Ja.
Und dann war aber meine Kategorie plötzlich Hobby.
Oh.
Und dann fiel mir auf...
Du hast auch keine Hobbys.
Ich habe auch keine Hobbys.
Ich habe viele Interessen.
Aber wer hat Zeit für Hobbys?
Und dann?
Sagte ich das so?
Oh, du hast gesagt, ich habe kein Hobby?
Ich habe gesagt, ich habe keine Zeit für Hobbys.
Was soll ich denn sagen?
Bogen schießen?
Ich schieße gerne Bogen.
Und alle so...
Oh.
Es war eher so, was hast du für ein armseliges Leben, du Wurm.
Das ist wahr und traurig.
Und ich fühlte mich sehr klein.
Bis ich mitbekam, dass das Hobby von Moritz Mitspieler Sport war.
Und dann musste abgestimmt werden, welches Hobby cooler ist.
Und Sport als Hobby zu haben, ist offenbar noch erbärmlicher, als gar kein Hobby zu haben.
Und deswegen ging dann der Spielpunkt an mich, AK Team Triebtäter.
So hatte Moritz Till immer genannt.
Und ich glaube, ich war zumindest aus strafrechtlicher Sicht gesehen da in der richtigen Gruppe.
Und ich war in dieser Situation echt peinlich berührt.
Also jetzt gar nicht, weil ich kein Hobby habe.
Das ist mir mittlerweile nicht mal mehr peinlich.
Sondern weil natürlich einfach alle warten, bis man irgendwas von sich gibt.
Und der Grund, warum ich in solchen Situationen ein Herzkasper bekomme, ist.
Mein guter Freund Dani, als der damals 18 geworden ist, da hat er seinen Geburtstag groß gefeiert mit vielen Menschen.
Und um 12 Uhr nachts haben sich dann alle plötzlich um uns rum versammelt.
Und ich stand in der Mitte.
Alle Augen auf uns.
Und er hielt dann meine Hand.
Und dann kam Backgroundmusik.
Und dann sang er ein selbstgeschriebenes Liebeslied für mich.
An seinem Geburtstag.
Und ich, Arschloch, war halt leider fucking nicht verliebt in ihn.
Und wollte ihn jetzt nicht küssen, weil er mir das Lied geschrieben hat.
Also tat ich halt nicht das, was man in dem Moment von mir erwartet hat.
Aber alle haben darauf gewartet, dass ich irgendetwas tue.
Und was hast du dann getan?
Nichts getan, als würde ich mich freuen und als wäre das nicht der schlimmste Moment in meinem Leben.
Und seitdem habe ich halt ein Problem damit, wenn viele Augen auf mich gerichtet sind.
Jetzt denkt man sich natürlich, okay, aber warum macht die Alte denn was mit Fernsehen oder mit Podcasts oder so?
Aber da sieht man die Menschen halt nicht.
Wir sitzen jetzt hier zu zweit und Fussel und das war's, ja.
Ja.
Und damit herzlich willkommen zu dem Podcast, der uns keine Zeit mehr für Hobbys lässt.
Und deswegen hören wir beide übrigens jetzt auch mit unseren Fernsehjobs auf.
Nur um noch mehr Zeit zu haben für Mordlust, Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
Wir erzählen uns hier beide jeweils einen Kriminalfall nach, von dem die andere nichts weiß.
Und deshalb bekommt ihr auch unsere ungefilterten Reaktionen zu hören.
Und wir lassen hier auch unseren Emotionen freien Lauf und vertreten hier unsere Meinung.
Die hat wie immer kein Recht auf Allgemeingültigkeit.
Sie muss und soll auch nicht jedem gefallen, sonst kann man sich ja gar nicht mehr darüber aufregen.
Nicht despektierlich gemeint.
Und ich erzähle das, weil uns genau das bevorsteht.
Und du fühlst dich jetzt trotzdem noch dazu bereit?
Nein.
Ja, das ist Pech, weil es steht leider schon fest, wir gehen live, Paulina.
Richtig, voraussichtlich am 26.01. in Köln, am 3.02. in München, am 6.02. in Berlin und am 25.02. in Hamburg.
Und der Auftritt am 26.01. in Köln, der ist leider schon komplett ausverkauft.
Und das ging so schnell, dass wir nicht mal mehr hier im Podcast darauf hinweisen konnten.
Für die anderen Städte gibt es bisher, bis zum Zeitpunkt dieser Aufnahme, noch keine Tickets.
Es kann aber sein, dass, wenn die Folge rauskommt, der Verkauf für die Tickets schon gestartet ist.
Also bitte guckt auf unserem Instagram-Kanal Mordlust, der Podcast.
Da sagen wir dann immer rechtzeitig Bescheid, wenn der Vorverkauf startet.
Unser heutiges Oberthema heißt Verschwunden.
Es geht also um Personen, die nicht wieder auftauchen.
Und wenn euch solch ein Thema triggert, dann seid ihr hiermit gewarnt.
Meine Geschichte erzählt von einer überstürzten Flucht und einer jahrelangen Suche nach den Gründen.
Es ist Juni 2014.
Die Fußball-Weltmeisterschaft läuft gerade in Brasilien und Deutschland erlebt sein zweites Sommermärchen.
Für Lars und seine Freunde geht es an diesem Tag nach Bulgarien.
Zum ersten Mal steht für den 28-Jährigen ein richtiger Männerurlaub an.
Und Lars freut sich sehr, als es am Montagmorgen des 30. Juni endlich losgeht.
Der Goldstrand ist das Traumziel für Party-Touristen, die nicht viel Geld ausgeben wollen und die sich Strand, Party, günstigen Alkohol und Drogen wünschen.
Seit 2004 findet man am Schwarzen Meer die größte Partymeile Bulgariens und viele bekannte Musiker, die sonst auf Mallorca auftreten.
Jedes Jahr kommen deshalb 10.000 Jugendliche und junge Erwachsene dorthin.
Genau wie jetzt Lars und seine Kumpels.
Lars startet von Wilhelmshaven aus. Dort wohnt er seit ein paar Monaten.
Eigentlich kommt er aus Mahne an der Ostsee.
Doch schon seit 2007 arbeitet er in Wilhelmshaven als Feinwerkmechaniker in einem Kraftwerk.
Lars ist groß, sportlich lang, mit blonden Haaren und braunen Augen.
Bepackt mit einem Rucksack und einer Reisetasche kommt er zusammen mit seinen Freunden am Nachmittag am Flughafen in Varna an.
Von da aus geht es direkt in das gebuchte All-Inclusive-Hotel, das nur fußläufig vom Strand und der Partymeile entfernt liegt.
Die nächsten fünf Tage verlaufen genauso, wie man sich einen typischen Partyurlaub vorstellt.
Tagsüber chillen die Jungs am Pool oder am Strand, spielen oder schauen Fußball.
Lars ist großer Fußballfan.
Eigentlich schlägt sein Herz für Werder Bremen, aber bei der WM fiebert er natürlich mit der Nationalelf mit.
Abends geht es dann in die nahegelegenen Clubs und Bars zum Feiern.
Auch der sechste Tag des Urlaubs unterscheidet sich nicht groß von den anderen.
Zwei Kilometer von ihrem Hotel entfernt schauen die jungen Männer an diesem Samstagabend Fußball.
In der Rockbar wird das Spiel Niederlande gegen Costa Rica übertragen.
Überall auf den Bartischen stehen kleine Fähnchen der verschiedenen Länder und Lars macht sich einen Spaß daraus, die Fahnen hin und her zu tauschen.
Also die niederländischen Flaggen vor die Fans von Costa Rica und umgekehrt.
Das findet nicht jeder Fußballfan in der Bar lustig und so kommt es zu einem kleinen Streit, den Lars aber friedlich lösen kann.
Bis spätabends feiern die Jungs in der Rockbar, bis am Ende nur noch drei von ihnen übrig sind.
Lars, Tim und Paul.
Sie sind die letzten Gäste, die an dem frühen Morgen das Lokal verlassen.
Tim und Paul wollen sich dann noch was bei McDonalds holen.
Lars möchte nichts. Schon den ganzen Urlaub über hat er nicht viel Appetit.
Er sagt den anderen also, dass er draußen warten will.
Als Paul und Tim dann aber nach kurzer Zeit wieder rauskommen, ist Lars verschwunden.
Die beiden suchen die Gegend ab, können ihren Freund aber nirgends finden.
Irgendwann entscheiden sie sich, zurück ins Hotel zu gehen, in der Hoffnung, dass Lars sich einfach schon mal allein auf den Heimweg gemacht hat.
Am nächsten Morgen treffen sie ihn dann auch im Hotel wieder.
Er erzählt ihnen, dass er vor dem McDonalds mit deutschen Bayern München-Fans aneinander geraten ist und dass die nach dem Streit zwei ausländische Männer bezahlt hätten, um ihn zu verprügeln.
Dabei hätte er einen heftigen Schlag aufs Ohr bekommen.
Seine Freunde finden die Story irgendwie merkwürdig, fragen aber nicht weiter nach.
Lars will sich jetzt auf jeden Fall erstmal ausruhen, damit er für die Abreise am nächsten Tag fit ist.
Doch mit jeder Stunde werden seine Ohrenschmerzen schlimmer.
Außerdem hat er das Gefühl, dass er nicht richtig hören kann.
Als Lars dann am Abreisetag aufwacht und keine Besserung verspürt, ist er sich unsicher, ob er überhaupt fliegen soll.
Er macht sich Sorgen, dass durch den Druck im Flugzeug irgendwas kaputt gehen könnte.
Sein Gehör sei für seinen Beruf super wichtig und da wolle er eigentlich kein Risiko eingehen, sagt er immer wieder zu seinen Freunden.
Wieso gehst du denn da nicht zum Arzt? Du hast doch eine Auslandskrankenversicherung, schickt einer seiner Kumpels vor.
Das macht Lars dann auch und Paul begleitet ihn.
Der Allgemeinmediziner diagnostiziert bei Lars einen Trommelfellriss und Fluguntauglichkeit und überweist ihn in ein Krankenhaus.
Den Flieger, der in ein paar Stunden geht, wird Lars also nicht nehmen können.
Paul schlägt ihm vor, ihn zu begleiten und dann einen späteren Flieger oder mit ihm zusammen schlimmstenfalls einen Bus zu nehmen.
Doch Lars lehnt ab.
Bevor sich Paul verabschiedet, gibt er Lars noch Geld fürs Taxi, weil der nicht mehr genügend Bargeld hat.
Dann trennen sich die Wege der Freunde und Lars fährt ins Krankenhaus von Warner.
Dort wird er von einem HNO-Spezialisten untersucht, der ihm den Trommelfellriss noch einmal bestätigt und ihm eine Operation nahelegt.
Doch Lars möchte nicht in einem fremden Land operiert werden, weshalb er den Eingriff ausschlägt.
Der Arzt weist ihn darauf hin, dass er so aber nicht stationär aufgenommen werden könne und verschreibt ihm stattdessen ein starkes Breitbandantibiotikum, um einer Mittelohrentzündung vorzubeugen.
Also verlässt Lars das Krankenhaus wieder.
Zur selben Zeit steigen seine Freunde ohne ihn in den Flieger zurück nach Hause.
Der erste Weg führt Lars zu einer Apotheke, in der er sich die Medikamente holt, die er auch direkt einnimmt.
Dann fragt er einen Taxifahrer nach einer günstigen Übernachtungsmöglichkeit und steigt zu ihm ins Auto.
Die beiden fahren immer weiter, bis Lars sich in einer heruntergekommenen Gegend wiederfindet und das Taxi vor einem alten, schmuddeligen Hotel stehen bleibt.
Von dem Viertel, in dem das Hotel steht, wird in Touristenführern abgeraten. Zu gefährlich.
Doch das Zimmer in dem Hotel kostet nur 25 Euro die Nacht.
Außerdem bietet es hauseigene Prostituierte und günstige Drogen an.
Am Abend des 7. Augusts checkt er also dort ein.
Auf dem Zimmer angekommen, ruft er erstmal seine Mutter Sandra an.
Mit ihr hat er ein sehr enges Verhältnis.
Lars ist Einzelkind und seitdem sein Vater vor zwei Jahren einen Schlaganfall hatte, ist er sehr oft zu Hause, um seiner Mutter zu helfen.
Ihr erzählt er am Telefon, dass er gerade mit seiner Kreditkarte bezahlt hat und beim Bezahlen irgendetwas komisch war.
Er bittet Sandra, die Karte sofort zu sperren.
Nach ein paar Stunden ruft Lars sie nochmal an.
Er sagt, dass auch irgendetwas mit dem Hotel nicht stimmt.
Was genau er meint, lässt er offen.
Um 3 Uhr nachts verlässt Lars dann die Unterkunft.
Von unterwegs ruft er noch einmal bei seiner Mutter an.
Er flüstert ins Telefon, dass er von vier Männern verfolgt wird und sich versteckt hat.
Er wolle sich jetzt zu Fuß auf den Weg zum Flughafen machen, sagt er noch.
Dann legt er auf.
Darauf folgen noch zwei SMS an die Mutter.
Sandra findet heraus, dass Zefzil 500 der Name eines Antibiotikums mit dem Wirkstoff Ciprofloxacin ist.
Das Mittel, das Lars sich in der Apotheke geholt hat.
Zwei Stunden später wird Lars von einer Sozialarbeiterin, die in einem Taxi unterwegs ist, aufgegabelt.
Er hatte an der Straße gestanden und wild mit den Armen gefuchtelt.
Der Sozialarbeiterin und dem Taxifahrer fallen während der Fahrt zum Flughafen auf, dass Lars ungewöhnlich große Pupillen hat.
Gegen sechs Uhr morgens lassen sie Lars dann am Flughafen von Warner raus, wo er von Bildern einer Überwachungskamera aufgenommen wird.
Es ist schon wieder hell, als Lars mit Rucksack und Reisetasche das Flughafengebäude betritt.
Von dort aus ruft er noch mal seine Mutter an und erklärt ihr erleichtert, dass er es zum Flughafen geschafft hat.
Mutter Sandra rät ihrem Sohn, noch einmal zum Flughafenarzt zu gehen, um abzuklären, ob er heute nicht doch fliegen könnte.
Vorsichtshalber hat sie ihm schon einmal einen neuen Flug für den Nachmittag und zusätzlich noch ein Busticket gekauft,
damit er auf jeden Fall heute nach Hause kann.
Lars bittet seine Mutter noch, ihm 500 Euro via Western Union zu überweisen.
Wofür, sagt er nicht.
Dann macht er sich auf der Flughafentoilette kurz frisch und ruft Sandra dann noch einmal an.
In diesem Telefonat erklärt er ihr, dass sie ihn weder fahren noch fliegen ließen.
Doch er erklärt nicht, wer ihm diese Heimreise untersagt haben soll.
Der Arzt kann es nicht gewesen sein, weil Lars den erst nach diesem Gespräch aufsucht.
Die Überwachungsbilder zeigen nämlich, wie er erst gegen 9 Uhr Richtung Behandlungszimmer geht.
Dort wird er vom Arzt untersucht und unterschreibt eine Erklärung, dass er auf eigene Gefahr nach Hause reisen möchte.
Während er im Behandlungszimmer sitzt, wirkt Lars auf den Mediziner unruhig.
Als dann ein Mann vom Flughafenpersonal in Uniform bekleidet den Raum betritt, fängt Lars an, zusammenhangslos zu stammeln.
Er habe Angst um sein Leben und wolle nicht sterben.
Er erklärt außerdem, dass er keine weiteren Tabletten mehr nehmen möchte.
Der Arzt und der andere Mann versuchen ihn zu beruhigen, doch Lars steht plötzlich auf und flüchtet aus dem Zimmer.
Die Überwachungskamera nimmt auf, wie Lars quer durch das Gebäude sprintet.
Ohne Gepäck, ohne Handy, Ausweis oder Portemonnaie.
Als Lars das Flughafengebäude verlässt, verlangsamt sich sein Tempo kurz.
Doch dann fängt er wieder an zu laufen.
Immer wieder schaut er sich um.
Obwohl ihm niemand folgt, rennt er weiter, bis er auf einen 2,5 Meter hohen Stacheldrahtzaun stößt.
Doch auch der hält ihn nicht auf.
Und so sehen Passanten, wie Lars über den Zaun klettert und im Sonnenblumenfeld dahinter verschwindet.
Als Sandra mehrere Stunden nichts von ihrem Sohn hört und er auch nicht mit dem geplanten Flieger in Deutschland ankommt,
ruft sie das deutsche Konsulat in Bulgarien an.
Daraufhin wird die bulgarische Polizei eingeschaltet.
Auch die deutschen Behörden nehmen kurze Zeit später die Ermittlungen auf.
Mithilfe von Interpol und dem Bundeskriminalamt arbeiten die beiden Behörden zusammen.
Als erstes wird das große Sonnenblumenfeld mit seinen 2 Meter hohen Pflanzen mithilfe von Spürhunden abgesucht.
Doch die Beamtinnen finden keine Spur des 28-Jährigen, auch nicht an den Orten, an denen Lars vor seiner Flucht war.
Vier Tage nach dem Verschwinden gründen Kollegen von Lars in Deutschland die Facebook-Seite Findet Lars mit Tank, um so viele Menschen wie möglich auf den Fall aufmerksam zu machen.
Auch eine Homepage mit demselben Namen wird ins Leben gerufen, auf der man Informationsflyer in verschiedenen Sprachen herunterladen kann.
Am 16. Juli beauftragt die Familie dann eine internationale Detektei.
Als es auch nach 14 Tagen noch keinen Anhaltspunkt gibt, fliegt Sandra selbst nach Warner, weil sie es zu Hause nicht mehr aushält.
In der Stadt angekommen klappert sie Krankenhäuser und Psychiatrien ab und besucht die Orte, an denen Lars mit seinen Freunden und in der Nacht vor seinem Verschwinden war.
Außerdem verteilt sie die Flyer zusammen mit anderen Helfern, überall in Warner und Umgebung.
Als die Videos der Überwachungskameras vom Flughafen veröffentlicht werden, stürzt sich auch die Presse auf die Geschichte und Sandra tritt in mehreren bulgarischen und deutschen Fernsehsendungen auf.
Danach gehen etliche Hinweise ein und auch innerhalb der nächsten Jahre.
So wie zum Beispiel erst diesen Sommer, als ein LKW-Fahrer in Ostdeutschland einen Anhalter mitgenommen hatte, von dem er im Nachhinein überzeugt war, es habe sich um Lars gehandelt.
Doch alle Spuren verlaufen im Sand.
Obwohl die bulgarische und die deutsche Polizei, das Auswärtige Amt, der Weiße Ring, Hilfsorganisationen aus Bulgarien, zweite Deckteilen und etliche Privatpersonen nach Lars suchen und eine Belohnung von 40.000 Euro ausgesetzt ist, konnte er bis heute nicht gefunden werden.
Die mysteriösen Umstände seines Verschwindens haben hunderttausende Menschen fasziniert.
Die Facebook-Seite Findet Lars Mittank hat mittlerweile über 32.000 Follower.
Es gibt Artikel in Amerika, Großbritannien und Australien über ihn und etliche Fernsehbeiträge, YouTube-Videos und Foreneinträge.
Und alle versuchen sich zu erklären, was passiert sein könnte.
Eine mögliche Theorie ist, dass das Antibiotikum seltene Nebenwirkungen bei Lars ausgelöst hat.
Zeftiel ist ein Antibiotikum, das in Deutschland nicht zugelassen ist.
Es wäre zumindest nicht der erste Fall, bei dem ein Antibiotikum Unruhe, Psychosen oder Warnvorstellungen ausgelöst hätte.
In Kombination mit dem in den Tagen zuvor konsumiertem Alkohol, der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch den Trommelfellriss und dem Stress, allein und krank in einem fremden Land zu sein, könnten diese Nebenwirkungen ausgelöst worden sein.
So wäre es möglich, dass Lars unter Warnvorstellungen litt, die ihn dann haben glauben lassen, dass er in Gefahr sei und deshalb sei er aus dem Flughafengebäude geflüchtet.
Eine andere Möglichkeit für das unerklärliche Verhalten ist Drogenmissbrauch.
Einer der Detektive, der für die Mittags in Bulgarien ermittelt hat, vermutet, dass Lars in diesem heruntergekommenen Hotel mit Drogen in Kontakt gekommen ist und diese in Verbindung mit dem Medikament dann zu einer Psychose geführt haben.
Dafür würden die geweihteten Pupillen sprechen, die sowohl dem Taxifahrer als auch der Sozialarbeiterin aufgefallen waren.
Für allgemeinen Drogenmissbrauch könnte auch die Appetitlosigkeit von Lars in den Tagen vor seinem Verschwinden und die 500 Euro sprechen, die seine Mutter ihm noch am Tag des neuen Abflugs überweisen musste.
In seinem Gepäck wurden aber keine Drogen und keinerlei Rückstände gefunden.
Lars' Mutter ist sich sicher, dass ihr Sohn noch lebt.
Sie hält es für möglich, dass Lars nicht mehr weiß, wer er ist und deshalb nicht zurückkehrt und dass er vielleicht als Obdachloser auf den Straßen Bulgariens lebt.
Sie vermutet, dass er möglicherweise eine retrograde Amnesie erlitten hat, die durch die Tabletten in Kombination mit dem Trommelfähres und dem Stress aufgetreten ist.
Bei dieser Art der Amnesie sind Personen nicht mehr in der Lage, sich an Geschehnisse vor einem bestimmten Ereignis, wie zum Beispiel einem Trauma, zu erinnern.
Was das auslösende Ereignis im Fall von Lars gewesen sein soll, ist unklar.
Kurze Randnotiz.
Auf meine Recherche zu diesem Thema bin ich auf eine komplett verrückte Geschichte gestoßen.
Und zwar auf die Geschichte von Benjamin Keil.
Hast du schon mal von ihm gehört?
Also Benjamin wurde 2004 zusammengeschlagen und nackt vor einer Fast-Food-Filiale im US-Bundesstaat Georgia aufgefunden und konnte sich an nichts erinnern.
Also an gar nichts.
Mithilfe der Polizei und der Medien versuchte er dann, sein Gedächtnis wiederzufinden.
Aber es gab niemanden, der sich an ihn erinnert hat.
Erst elf Jahre später konnte seine Identität durch verschiedene komplizierte DNA-Tests geklärt werden.
Und? Wo kam er eigentlich her?
Also eigentlich kam der aus Indiana, da ist er aufgewachsen, aber danach hat er in Colorado gelebt.
Wieso konnte sich keiner an ihn erinnern?
Er hatte halt irgendwie Jahre davor mit seiner Familie gebrochen und war auch in einem anderen Bundesstaat.
Und dann haben die wahrscheinlich nicht diese Nachrichten gesehen.
Scheiße.
Er war sich aber quasi sicher, dass er Benjamin heißt. Aber so hieß er gar nicht.
Wahrscheinlich hatte er einfach auch vergessen, dass es Benjamin heißt.
Was im Fall Lars Mittank gegen diese Theorie spricht, ist, dass auch wenn man an einer retrograden Amnesie leidet, man in der Regel weiß, wie man sich Hilfe sucht.
Also man vergisst zwar biografische Informationen, nicht aber wie man sich verständigt.
Also müsste Lars wissen, dass er mit der deutschen Botschaft bekommen könnte.
In den Foren und Blogbeiträgen von den sogenannten Armchair Detectives, wir kennen sie, findet man natürlich noch viele andere Theorien.
Von Organhandel bis Drogenschmuggel, Gangkriminalität, Auftragsmord oder dass Lars Zeuge von etwas geworden ist, das er nicht hätte sehen dürfen.
Und solange Lars noch in den Köpfen der Menschen ist, die mit wachen Augen durch die Welt gehen, solange besteht theoretisch die Möglichkeit, dass man ihn wiederfindet.
Es ist jetzt eine Folge, wo relativ klar war, dass einer von uns Lars behandeln muss, weil der Fall so präsent in den Köpfen ist, dass uns auch mehrere Leute schon darum gebeten haben, den mal zu behandeln, weil sie ihn mal von uns hören wollten.
Weil der wirklich so viele Menschen immer noch bewegt.
Und ich habe dieses Bild von ihm, wie er in dieses Sonnenblumenfeld rennt.
Das hat sich bei mir auch im Kopf irgendwie total eingebrannt, die Vorstellung daran.
Und es ist so schwierig, sich selber weiß zu machen, dass jemand einfach so verschwinden kann.
Ja, was mich so gecatcht hat irgendwie an diesem Fall, sind halt die Videos, wenn man halt ein Bild dazu hat und man sieht, wie er rennt.
Und dass er sich auch immer wieder halt umschaut, obwohl ihm keiner folgt.
Und dass er anscheinend halt so eine Angst gehabt hat, dass er ohne seinen Pass wegrennt und ohne Handy und sogar einen 2,5 Meter hohen Stacheldrahtzaun überwindet.
Was für eine Angst muss er gehabt haben, ja.
Erinnerst du dich an dieses Video von der Frau, die wenig später im Hoteltank oben auf dem Dach gefunden wurde?
Elisalem.
Ja, da gibt es halt diese Überwachungsvideos, wie sie im Fahrstuhl steht.
Und du bekommst wirklich den Eindruck, dass sie ganz große Angst hat, gerade verfolgt zu werden.
Und sie guckt die ganze Zeit durch die Tür und hofft offenbar, dass diese Fahrstühltür zugeht oder dass sie nicht gesehen wird.
Und es ist so beklemmend, diese Vorstellung, dass jemand in den Sekunden vor seinem Tod oder halt eben vor seinem Verschwinden so eine Angst gehabt hat.
Und man will natürlich wissen, warum.
Waren wirklich irgendwelche Psychosen daran schuld oder war die Angst in dem Sinne real?
Bei Elisal weiß man ja auch bis heute nicht, ob sie wirklich verfolgt wurde oder ob es nur in ihrem Kopf stattgefunden hat.
Ich glaube halt, dass diese Fälle so faszinierend sind, weil die Menschen wissen möchten, was passiert ist.
Weil es so schwierig ist, kein Ende einer Geschichte zu haben.
Ich glaube, wichtig ist einfach irgendeine Antwort für sich zu definieren, weil diese Ungewissheit so problematisch ist.
In Deutschland werden 97 Prozent aller Vermisstenfälle innerhalb eines Jahres gelöst.
Die allermeisten vermissten Personen tauchen also wieder auf.
Ein Mittel, das beim Auffinden der Personen in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, ist das Internet.
Und damit komme ich zu meinem Aha.
Der Rolle von Social Media in Vermisstenfällen.
Heute nutzen nämlich nicht nur Angehörige von vermissten Personen das Internet, sondern auch Hilfsorganisationen und staatliche Behörden.
Es hilft nämlich dabei, Informationen zu vermissten schnell und an ein großes Publikum zu verteilen.
Immer mit dem Gedanken, je mehr Menschen von einer vermissten Person wissen, desto eher kann sie erkannt und gefunden werden.
Und das hat tatsächlich auch schon in einigen Fällen funktioniert.
Zum Beispiel im Fall von D'Artagnan Brooks aus Auckland, Kalifornien.
Der Dreijährige wurde 2017 von seiner Mutter bei der Polizei als vermisst gemeldet, nachdem eine Bekannte, die mit dem kleinen Einkaufen war, nicht mehr zurückgekehrt war.
Die Polizei hatte die Informationen zum Kind, zur Frau und zu dem Auto bei Twitter gepostet, woraufhin der Tweet dann wieder etliche Male geteilt wurde.
Unter anderem auch von einem Football-Spieler, der Auckland Riders.
Einer seiner über 250.000 Follower hatte daraufhin das Auto entdeckt und D'Artagnan konnte zu seiner Mutter zurückgebracht werden.
Echt, das ist ja eine abgefahrene Geschichte.
Also da kann man auch mal sehen, was für Möglichkeiten das gibt.
Ja.
Und ich habe ein paar solche Fälle gefunden.
Auch in Deutschland nutzt die Polizei Social Media, um die Hilfe der Bevölkerung in Anspruch zu nehmen.
So hat die Berliner Polizei zum Beispiel innerhalb der letzten vier Wochen vier Vermisstenmeldungen gepostet,
die ihrerseits dann wieder hunderte Male geteilt wurden.
Und auf der ganzen Welt gibt es so Facebook-Gruppen und Seiten für das Posten von Vermisstenfällen.
Im Fall von verschwundenen Kindern arbeitet Facebook in einigen Ländern wie Großbritannien und den USA sogar mit den Behörden zusammen.
Dort ist es der Polizei nämlich möglich, Vermisstenmeldungen ganz oben auf Feeds von Nutzern in der näheren Umgebung zu platzieren.
Mhm.
Emily Wecker, ehemalige FBI-Agentin und jetzt zuständig für die Sicherheit bei Facebook, sagte dazu,
auf der ganzen Welt sehen wir, wie Menschen in harten Zeiten zusammenhalten und Facebook dazu nutzen,
Informationen weiterzugeben und zu helfen.
Diese Meldungen helfen, das noch einmal zu beschleunigen und mehr Menschen denn je zu erreichen.
Und nach dem vielen Facebook-Bashing, was wir so in letzter Zeit betrieben haben, ist das ja mal ein nützliches Tool.
Und auch Lars' Familie und Freunde nutzen Social Media bei der Suche nach ihm.
Über die Grenzen hinaus ist der Fall gerade deshalb so bekannt geworden.
Bei YouTube wird Lars sogar als bekanntester Vermisster bezeichnet.
Das ist aber auch ein Bekanntheitsstatus, den man wirklich nicht unbedingt erhalten möchte.
Nope.
Der Familie war es wichtig, kurz nach dem Verschwinden Urlauber und Trucker zu erreichen,
die nach Bulgarien unterwegs waren, damit die dann ihre Augen aufhalten können.
Durch die Community kamen dann auch immer wieder neue Hinweise.
Doch wie wir wissen, haben diese bisher nicht zum Auffinden von Lars' geführt.
Aber zum Auffinden anderer vermisster Personen.
Zum Beispiel dem Kanadier Anten...
Anten?
Ja, Anton.
Oh, das heißt ja nicht...
Anten?
Das heißt ja nicht Anton auch...
Anton.
Anton, okay.
Nein, das ist das Pokémon.
Ach so, wie wird der denn jetzt ausgesprochen?
Heißt es Anten?
Nee, es ist Anton, weil es ist auch Antron.
Er heißt ja auch nicht Antron.
Okay, ich mach.
Zum Beispiel dem Kanadier Anton Pilipper.
Der war in Brasilien aufgefunden worden, hatte keine Papiere bei sich und war geistig verwirrt.
Und wie der von Kanada bis Brasilien gekommen ist, das weiß man nicht.
Auf jeden Fall hat die Polizei dann ein Foto von ihm gemacht und veröffentlicht, um eben ihn identifizieren zu können.
Und weil er echt so ein bisschen Ähnlichkeit mit Lars hat, wurde er dann von einigen Facebook-Nutzern fälschlicherweise für Lars gehalten.
Und dadurch, dass das Foto dann so oft bei Social Media geteilt wurde, kam das dann auch schließlich bei jemandem an, der den Anton kannte.
Und so konnte er dann auch wieder zu seiner Familie zurückgebracht werden.
Ja, das ist gar nicht auszumalen, wie die Familie von Lars dann in dem Moment darauf reagiert hat, als man sagte, hier gibt es jemanden, der ist vielleicht Lars.
Ja, in dieser Situation sind die aber immer wieder, weil immer wieder kriegen sie halt Infos von Leuten, die meinen, sie hätten Lars irgendwo gesehen.
Ja.
Stimmt auch wieder.
Und nachdem klar war, dass die Suche nach Lars beim Auffinden von Anton geholfen hatte, schrieb die Familie Mittank auf ihrer Seite, genau das zeigt, was heute möglich ist über die Verbreitung von Medien.
Und genau das veranlasst uns weiter, diese Seite zu betreiben.
Weil wir wissen, ihr steht alle hinter uns, unterstützt uns weiterhin und haltet die Augen auf und schaut nach Lars.
Das erhofft man sich natürlich auch immer noch von meinem Fall.
Und der zeigt diesmal, dass es keinen Unterschied macht, wer, wann oder wo verschwindet, sondern dass ein vermisster Mensch immer eine große Lücke ins Leben reißt.
Ach so, ich habe meinen Fall diesmal übrigens von unserer Facebook-Gruppe, Mordlust Stammtisch.
Echt?
Hast du das nicht mitbekommen, dass ich da nach Fällen gefragt habe?
Ja, aber ich wusste nicht, dass du dann dir einen davon genommen hast.
Ach so, ja, doch.
Ich lasse jetzt meine Recherchearbeit immer von HörerInnen machen.
Mein Fall spielt übrigens in Österreich.
Isabella und ihr Mann stehen vor dem Mönchsberg in Salzburg.
Gleich geht's bergauf.
Endlich mal ausspannen, dem Alltag entfliehen und etwas anderes sehen.
Ihr Mann hat gerade eine Reha hinter sich und die beiden haben noch etwas Urlaub drangehangen.
Zwei Wochen. Das tut gut.
Isabella ist zu Hause viel eingespannt.
Die Pflege ihrer Mutter Marianne ist sehr anstrengend.
2012 ist sie im Alter von 77 Jahren an Alzheimer erkrankt.
Seitdem kümmert sich Isabella jeden Tag aufopferungsvoll um ihre Mutter.
Außer, wenn sie mal wegfährt, um sich zu erholen, so wie jetzt.
Damit Marianne trotzdem versorgt ist, bringen sie sie in der Zeit immer in eine Kurzzeitpflege.
Das ist so circa dreimal im Jahr.
Marianne ist nicht so gerne dort, aber sie akzeptiert das.
Isabella hat auch ein wenig Schuldgefühle, wenn sie ihre Mutter dorthin abgibt.
Aber sie muss ja auch mal raus.
Vor zwei Tagen sind sie deswegen ins Heim St. Vitus nach La an der Thaya gefahren.
Es ist eine gute Einrichtung.
Sie genießt den besten Ruf in der Gegend.
Das Heim hat einen Therapiegarten und ist nicht besonders groß.
Die meisten der 99 Bewohner dort sind dement.
Marianne ist dort gut versorgt und das ist ja auch nur für ein paar Tage.
Mariannes Demenz ist mittlerweile in einem Stadium angekommen, wo Sprechen nicht mehr so richtig klappt.
Manchmal kommen nur noch einzelne Wörter raus.
Meistens muss man nachfragen und dann antwortet sie mit Ja oder Nein, mit Kopfschütteln oder Nicken.
Als das mit der Demenz anfing, konnte Isabella zusehen, wie es immer schlechter wurde.
Früher hatte ihre Mutter gerne oft gebacken.
Irgendwann funktionierte es einfach nicht mehr.
Sie vergaß zuerst Zutaten und dann ließ sie es ganz.
Das so mitzubekommen ist für die Person selbst, aber auch für die Familienangehörigen nicht leicht.
Sie ganz in eine Betreuung zu geben, kommt für die Familie nicht in Frage.
Ihre Mutter hat immer alles für Isabella und ihre vier Geschwister getan.
Jetzt ist es eben andersrum.
Dieser Sonntag am 21. Mai 2017 ist ein schöner Frühlingstag.
Im Vitusheim, wie es genannt wird, standen die BewohnerInnen wie immer.
Marianne ist gut drauf.
Sie frühstückt sogar richtig ordentlich.
Und dann ist die Messe.
Marianne war schon immer sehr gläubig und deswegen geht sie gern dorthin.
Gehalten wird sie in einer kleinen Kapelle direkt im Vitusheim im Erdgeschoss zwischen zwei Wohneinheiten des Heims.
Aber auch Leute von außerhalb können den Gottesdienst besuchen.
Die Messe beginnt um 10 Uhr und um ca. Viertel vor wird Marianne Schmidt und eine weitere Bewohnerin, die im Rollstuhl sitzt, von einer Pflegerin in die Kapelle geführt.
Die Frau im Rollstuhl sitzt immer an dem gleichen Platz, im Gang, neben den linken Bänken.
Marianne wird daneben in die letzte Reihe platziert.
An diesem Tag hält eine Pastoralassistentin die Messe.
Der Gottesdienst geht wie fast immer eine Stunde.
Als er an diesem Tag endet und Marianne wieder abgeholt und auf ihr Zimmer gebracht werden soll, stellen die Pflegerinnen und die Pfleger fest, Marianne Schmidt sitzt nicht mehr auf ihrem Platz.
Isabella holt das Handy raus. Sie will ein Foto von sich und der schönen Kulisse in Salzburg machen.
Als sie aufs Handy schaut, sieht sie, dass jemand mehrmals versucht hat, sie zu erreichen.
Sie drückt auf die Nummer, um zurückzurufen. Es ist das Vitusheim.
Ist ihrer Mutter etwas passiert? Ist sie vielleicht hingefallen?
Ja, hallo?
Ihre Mutter, sie ist weg. Sie ist weggegangen. Wir können sie nicht finden.
Isabella hört, was man ihr sagt, aber sie kann es gar nicht so richtig greifen.
Die Frau am Telefon klingt nervös. Sie erzählt, dass sie bereits seit zwei Stunden nach Isabellas Mutter suchen und sie schon die Polizei informiert haben.
Also das ist für mich wirklich der absolute Horror.
Also sie haben schon die Polizei informiert und Isabella muss sich, während sie das hört, setzen.
Sie kann nicht fassen, was sie da gerade hört.
Die werden sie finden, sagt ihr Mann und nimmt sie in den Arm.
Wo soll sie denn hingegangen sein?
Sie ist noch nie einfach weggegangen oder ziellos umhergeirrt.
Das ist ein völlig untypisches Verhalten für sie.
Langsam wird es dunkel in Laar an der Thaja.
Private Suchtrupps durchforsten noch immer die ländliche Umgebung rund um das Vitusheim.
Nachdem das Pflegeheim vom Keller bis in den Dachboden nach Marianne Schmidt gesucht hat, haben sie die Polizei informiert.
Mittlerweile ist das ganze Dorf alarmiert und hilft beim Suchen nach Marianne.
Auch Pfleger und Pflegerinnen des Heims, die heute gar keinen Dienst haben, fahren die Gegend mit dem Fahrrad oder mit dem Auto ab.
Sogar die Bürgermeisterin ruft auf, sich an der Suche zu beteiligen.
Es gibt Fahndungsaufrufe, die vom Lokalsender und über Social Media veröffentlicht werden.
Nachbarn, Polizei, freiwillige Feuerwehr, sogar Jäger und Fischer suchen nach der 82-jährigen, kleinen, zierlichen Dame mit kinnlangen, rot gefärbten Haaren.
Sie trägt eine schwarze Hose, schwarze Schuhe und ein beige-rotes Shirt.
Sehr weit kann Marianne ja eigentlich nicht gekommen sein, aber sie ist wie vom Erdboden verschluckt.
Isabella, die mittlerweile angereist ist und weitere Familienmitglieder, rennen noch in der Dämmerung durch Laar und rufen laut den Namen ihrer Mutter.
Aber umso später es wird, umso schwieriger wird es für Isabella und ihre Familie.
Isabella weiß, wie hilflos ihre Mutter alleine ist.
Der Gedanke, dass sie irgendwo allein umherirrt, macht sie fertig.
Die Suchtrupps gönnen sich nur ein paar Stunden Schlaf, bevor sie am nächsten Tag weitermachen.
Die Hilfsbereitschaft im Dorf ist riesig.
Schon deswegen, weil Laar nur knapp 6200 Einwohner hat und damit alles andere als anonym ist.
Hier kennt man sich.
Dass jemand allein, verwirrt und nur mit Hausschuhen bekleidet, völlig ungesehen durch die Nachbarschaft läuft, ist nahezu unmöglich.
Doch bei aller Unwahrscheinlichkeit scheint genau das hier passiert zu sein.
Niemand hat Marianne nach der Kapelle gesehen.
Normalerweise gibt es immer irgendwelche letzten Spuren.
Also jemanden, der die vermisste Person in irgendeine Richtung hat gehen sehen, manchmal auch Zeugen, die etwas Auffälliges beobachtet haben.
Doch bei Marianne gibt es solche Spuren nicht.
Es gibt nur einen Ausgang aus der Kapelle und der führt nicht direkt nach draußen.
Ist Marianne also dadurch wieder rausgekommen, hätte sie umgesehen durch den Flur und durch den großen Eingangsbereich gemusst.
Tatsächlich gibt es zwei Zeuginnen, die Aussagen, eine ältere Frau gesehen zu haben.
Ob die Frau aber Ähnlichkeit mit Marianne Schmidt hatte oder sie gar war, können sie nicht sagen.
Und ich glaube, ich muss nicht erwähnen, wie wenig vielversprechend die Sichtung einer älteren Dame in einem Pflegeheim ist.
Das heißt, die Polizei weiß nicht mal, wo sie anfangen soll, weil sie eben die Suche nicht einschränken können.
Natürlich stellt sich die Frage, war Marianne überhaupt sicher in der Messe gewesen?
Das Heim bestätigt das.
Es gäbe keinen Zweifel daran, die zuständige Pflegerin hätte sie dort abgesetzt.
Das sagt das Heim.
Aber da war ja auch die eine dabei, oder?
Die im Rollstuhl.
Ja.
Die sagt nein, oder was?
Ich weiß nicht, was die Frau sagt.
Sie werden sie befragt haben, aber ich sage mal so, in dem Heim sind überwiegend demente Personen.
Anwesend an diesem Tag war auch eine ehrenamtliche Helferin, die zuvor 20 Jahre für das Videosheim gearbeitet hat.
Diese Frau kennt also die Menschen dort und sie kannte auch Marianne.
Sie sagt, sie hätte sie an diesem Tag dort nicht gesehen.
Gleiches sagt auch die Frau, die an diesem Tag die Messe gehalten hat.
Zumindest könne sie sich nicht daran erinnern.
Nun ist die Kapelle sehr klein und gemütlich.
Also ich habe Videos davon gesehen.
Und darauf sieht man nur sechs Bankreihen pro Seite mit maximal drei bis vier Sitzplätzen.
Andere Besucher sagen auch, dass sie Marianne nicht gesehen haben.
Andere wiederum behaupten, sie wäre dort gewesen.
Ist sie nach der Messe mit den anderen vielleicht durch die Tür gegangen?
Auch das hält das Heim für eher unwahrscheinlich.
Das hätte man doch gemerkt.
Es gehen halt meistens die gleichen Personen am Sonntag zum Gottesdienst.
Sowas fällt doch auf.
Was aber sicher scheint, dass Marianne nicht während der Messe aufgestanden ist und gegangen ist.
Das hätten die Pflegerinnen und Pfleger nämlich mitbekommen, weil die sind angehalten, die BewohnerInnen zu begleiten.
Sie hätte die Messe also auf keinen Fall unbemerkt verlassen können, sagt eine der Pflegerinnen des Heimes.
Und noch was spricht dagegen, dass sie einfach aufgestanden und gegangen ist.
Manche demente PatientInnen haben sogenannte Wecklauftendenzen.
Im Vitusheim bekommen die, die das haben, dann einen Sender am Körper angebracht.
Wenn die Person dann den festgelegten geschützten Bereich verlässt, wird das Pflegepersonal benachrichtigt.
Marianne Schmidt hatte so einen Sender nicht bei sich.
Ganz einfach, weil sie ihn nicht brauchte.
Das Heim hätte für sowas niemals eine Genehmigung bekommen, weil Marianne nicht mal Anzeichen von Wecklauftendenzen hätte.
Sie war halt eher gehfaul.
Das Vitusheim liegt etwas außerhalb des Zentrums von Lahr.
In der Nähe sind einige Wohnsiedlungen.
Lahr liegt gerade einmal einen Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt.
Und bis dahin geht man über große, flache Felder.
Die Polizei hat sich auch mit den tschechischen Behörden auseinandergesetzt.
Die haben aber auch nicht weiterhelfen können.
Insgesamt gab es acht riesige Suchaktionen mit Feuerwehr, Hubschraubern, Wärmebittkameras und Menschenketten.
Zeitweise haben 60 Spürhunde nach Marianne gesucht.
Ohne Erfolg.
Taucher haben die Gräben, Bäche und Brunnen, die sich durch Lahr ziehen, abgesucht.
Weder in den Wohnsiedlungen, noch im Stadtzentrum, noch auf dem Weg zum Grenzübergang ist Marianne zu finden.
Sie hätte die Strecke zum Grenzübergang theoretisch zu Fuß zurücklegen können.
Also körperlich wäre sie dazu jetzt schon in der Lage gewesen.
Aber aufgrund ihrer Art und ihres Verhaltens ist es halt eher unwahrscheinlich.
Hat sie vielleicht öffentliche Verkehrsmittel genommen?
Die ErmittlerInnen haben alle Aufnahmen der Überwachungskameras an Haltestellen ausgewertet.
Nichts.
Also das hier ist wirklich einer der rätselhaftesten Fälle Österreichs.
Und es scheint tatsächlich so, als hätte man wirklich alle notwendigen Maßnahmen ergriffen.
Also die Polizei hat an alle Türen in der Nachbarschaft geklopft, gleich alle Keller durchsucht.
Und eines der größten Probleme ist, dass die Zeugen, die rund um das Heim hätten zur Aufklärung beitragen können, selbst dement sind.
Und das ist so tragisch, weil die Polizei deswegen halt dort offenbar keinen Ansatz sieht, der zur Klärung des Falls beitragen könnte.
Wenn ein Mensch ermordet wird oder auch verschwindet, dann wissen wir, rückt erstmal das nähere Umfeld, also auch die Familie, ins Visier der Ermittlungen.
Die Polizei konnte offenbar keinen einzigen Anhaltspunkt dafür finden, dass Mariannes Familie etwas damit zu tun haben könnte.
Abgesehen davon, dass ja offenbar niemand von ihnen anwesend war, haben die Ermittler von Mariannes Kindern und eben vor allem von Isabella den Eindruck, dass sie krankvorsorge sind.
Jederzeit hilft die Familie mit allen Auskünften und Informationen weiter.
Isabella hatte in der Zeit nach Mariannes Verschwinden extra eine Messe für ihre Mutter organisiert.
Es sind so viele Leute gekommen, dass sie nicht einmal alle in die Kirche passten.
Dass die Familie etwas mit Mariannes Verschwinden zu tun hat, schließen die ErmittlerInnen also aus.
Es gäbe auch kein Motiv. Marianne hatte nicht sonderlich viel Ersparnisse.
Marianne wird als sehr lebensfroh beschrieben.
Auch die Vorstellung, dass sie in einem klaren Moment die Entscheidung für einen Suizid trifft, ist für die ErmittlerInnen eher abwegig.
Und selbst wenn, wo ist dann ihre Leiche?
Die Ermittlungen führen die Polizei zu einer Person, die Marianne vermutlich als letzte gesehen hat.
In dem Podcast Dunkle Spuren, die letzte Messe, aus dem ich die meisten meiner Informationen habe,
macht sich die Journalistin Yvonne Wiedler auf die Suche nach Pflegerin Manuela.
Die Suche erweist sich als etwas schwierig, da sie einige Zeit nach dem Verschwinden von Marianne
eine andere Stelle in einem anderen Bundesland angenommen hat.
Andere MitarbeiterInnen oder die Heimleitungen konnten oder wollten keinen Kontakt zu der Dame herstellen.
Sie beschreiben sie allerdings als sehr geduldige Pflegerin, die sehr beliebt bei den BewohnerInnen war.
Als Yvonne Wiedler Schwester Manuela nach langer Recherche aufspüren kann, ist die Pflegerin darüber nicht sehr erfreut.
Sie verspricht Yvonne aber einen Rückruf.
Der findet allerdings nie statt.
Als Yvonne sie dann nach etlichen Versuchen doch wieder ans Telefon bekommt,
sagt Manuela, sie würde nicht mit ihr reden wollen.
Sie hätte schon alles bei der Polizei gesagt, was sie weiß.
Danach legt sie auf.
Die Polizei verdächtigt Manuela nicht.
Und irgendwo kann man die Reaktion von ihr vielleicht auch so ein bisschen nachvollziehen,
wenn man die gleichen Fragen immer wieder gestellt bekommt.
Und dann kommt jetzt auch noch die Presse auf dich zu.
Das Vitusheim ist hingegen sehr auskunftsfreudig.
Sie haben immer alles getan, um bei der Aufklärung zu helfen.
Dass das Heim was mit dem Verschwinden zu tun haben könnte,
glaubt deswegen auch eigentlich niemand.
Auch, dass ein Unfall im Heim vertuscht werden sollte, ist zwar möglich,
aber auch keine beliebte Theorie.
Dass Marianne Schmidt einer Gewalttat zum Opfer gefallen ist,
daran wollen die Wenigsten in Laa nur denken.
Es wäre aber eine Erklärung dafür, dass sie niemand gesehen hat.
Sie könnte in ein Auto eingestiegen und weggebracht worden sein.
Allerdings ist eine alte, demente Frau nicht das typische Entführungsopfer.
Diese Theorie würde aber halt eben erklären, warum die Spürhunde nichts haben finden können.
Am Ende passt wirklich nichts so richtig zusammen.
Seit mehr als zwei Jahren fehlt absolut jeder Hinweis.
Mittlerweile liegt der Fall beim Landeskriminalamt in der Cold Case Einheit.
Für Isabella ist es schwierig.
Auf der einen Seite ist da die Hoffnung, dass die Mutter noch lebt und sie vielleicht irgendwo aufgelesen wurde und es ihr gut geht.
Und auf der anderen auch die Hoffnung darauf, dass Marianne jetzt Frieden hat.
Nur an eines kann Isabella nicht denken, an die letzten Stunden, die ihre Mutter erlebt hat.
Das tut ihr zu sehr weh.
Heute guckt Isabella oft in den Garten.
Dort hat ihre Mutter so oft auf der kleinen Bank gesessen und einfach in die Weite geschaut.
Isabella und ihre anderen Geschwister haben auf dem Grabstein von Mariannes Eltern auch ihren Namen und ihr Geburtsdatum eingravieren lassen.
Allerdings ohne Todesdatum.
Ich kann es total verstehen, dass mit diesen letzten Stunden oder Minuten, aber das ist ja bei jedem Vermisstenfall so, dass die Angehörigen halt einfach hoffen, dass es irgendwie schnell gegangen ist, was auch immer passiert ist, dass man nicht hat lange leiden müssen.
Aber bei einer dementen Frau, die quasi schutzlos ist, da hat man natürlich eher dann Angst davor.
Aber du gehst ja jetzt davon aus, dass die Personen dann auch verstorben sind. Am Ende weiß man das halt nicht.
Das weiß man nicht. Aber viele, also bei vielen Vermisstenfällen geht die Polizei nach einer gewissen Zeit davon aus, dass die Person gestorben ist.
Mich wundert das halt das mit der Messe, dass das da so unterschiedliche Angaben gibt.
Andererseits in einer unserer ersten Folgen haben wir über die Erinnerungen geredet.
Und du weißt, was ich zur Polizei gesagt habe und was mein Freund Daniel zur Polizei gesagt hat, als die nach einer Gruppe fragten, die gerade an uns vorbeigegangen ist.
Wir haben komplett unterschiedliche Erinnerungen gehabt.
Stimmt.
Wenn ihr Hinweise zum Aufenthaltsort von Marianne habt oder irgendwas gesehen habt, was der Polizei bei ihren Ermittlungen weiterhelfen könnte, dann meldet euch bitte bei der Polizei von La alle Kontakttaten.
Dazu packe ich euch noch in die Shownotes.
Kennst du die Szene in der letzten Folge von Sex and the City mit Mary?
Also die Mutter von Steve, das ist der Mann von Miranda.
Nee, die kenne ich nicht.
Die ist nämlich auch dement und sie sagt zu Miranda und ich glaube, es ist Charlotte, dass sie jetzt irgendwo in den Zoo gehen.
Und Miranda denkt sich, ja, okay, sie erzählt halt Dinge, die halt einfach nicht einleuchtend sind.
Naja, auf jeden Fall ist Mary dann weg.
Und Miranda sucht überall nach ihr und findet sie dann irgendwo in New York vor einem Mülleimer, aus dem sie dann Pizza isst.
Letzte Folge noch Goethe zitiert.
Heute befinden wir uns wieder auf dem Boden der Tatsachen bei Sex and the City.
Herzlich willkommen.
Auf jeden Fall ist das so eine typische Szene für demente Menschen, dass sie rausgehen und dann verschwinden, weil sie irgendwo hingehen.
Das kommt gar nicht so selten vor.
Und das liegt vor allem an der sogenannten Wecklauftendenz, über die ich vorhin schon kurz gesprochen habe.
Erst Anfang des Jahres ist ein 81-Jähriger aus Oldenburg aus seinem Pflegeheim ausgebüxt und sechs Stunden lang umhergewirrt.
In dieser Zeit hat er zu Fuß 26 Kilometer zurückgelegt.
Ja.
Weil nämlich auch bei fortgeschrittener Demenz kann es immer noch sein, dass die Person so einen akuten Bewegungsdrang hat.
Und gerade wenn der nicht befriedigt werden kann, weil es im Heim oder in der Wohnung, in der er wohnt, halt nicht genügend Angebote gibt, wo er das dran auslassen könnte,
oder die Betreuungskräfte halt eben nicht die Zeit für Spaziergänge haben, kann das die Gefahr des Weglaufens dann erhöhen.
Was die Gefahr außerdem erhöht ist, wenn gerade ein Umgebungswechsel stattgefunden hat, wie es bei Marianne jetzt gerade wieder der Fall war.
Diese Wecklauftendenz wird heute eigentlich eher als Hinlauftendenz bezeichnet.
Weil sie wieder nach Hause rennen oder warum?
Ja, das weiß man im Zweifel dann am Ende auch nicht.
Aber für Angehörige oder für Fremde sieht das ja immer im ersten Moment so aus, als würden die Demenzpatienten ohne Grund ihre Wohnung oder das Heim verlassen.
Und das ist aber meistens gar nicht der Fall.
Also in der Regel haben sie ein Ziel im Kopf, meistens, und da hast du nicht Unrecht, eines außer früheren Erinnerungen.
Demenziell Erkrankte können nämlich Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis meistens problemlos abrufen.
Weil sie aber in eigentlich jeder Hinsicht orientierungslos sind, also was Ort und Zeit angeht, können sie sich beispielsweise in den Kopf setzen, da wo ich gerade bin, also das Heim zum Beispiel, das ist ja gar nicht mein Zuhause.
Ich gehe jetzt nach Hause zu Mama und Papa und dass sie eigentlich schon längst nicht mehr leben, also die Eltern, oder dass sie auch mittlerweile in einer anderen Stadt wohnen, daran erinnern sich die PatientInnen in dem Moment dann halt eben nicht.
Weil Pflegerinnen und Pfleger damit echt zu kämpfen haben und sich ständig Sorgen um ihre PatientInnen, weil sie ja vor allem auch die Verantwortung in dem Moment tragen,
tarnen manche Heime Türen als Bücherregal oder platzieren Vorhänge vor der Tür.
Oder sie legen Gärten an, in denen die Wege im Kreis führen.
Oft vergessen die PatientInnen dann nämlich, während sie die Tür suchen oder im Kreis gehen, wo sie eigentlich hingehen wollten.
Aber genau deswegen kann diese Weg- oder Hinlauftendenz halt eben auch so gefährlich sein.
Denn wenn demente Menschen erstmal unterwegs sind, dann wissen sie halt auch gar nicht mehr, wohin sie laufen wollten und laufen dann halt eben gegebenenfalls, ja, ziellos umher.
Weil Menschen, die an Demenz erkrankt sind, natürlich auch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen wollen, stehen vor einigen Einrichtungen in Deutschland sogenannte Schein-Bushaltestellen.
Die sehen so aus wie normale Haltestellen mit Fahrplan und mit einer Bank, aber es fährt kein Bus.
In manchen Heimen sind die sogar innen drin, also im Flur.
Das ist sehr verrückt.
Wie findest du sowas?
Das hast du mir schon mal erzählt und ich habe es nicht geglaubt.
Das ist ja irgendwie eine Verarsche, ja.
Ist da nicht vielleicht besser, gar keine Bushaltestelle dort zu haben und anders darauf zu achten, dass sie nicht weg können?
Weil sonst sitzen sie da da und warten acht Stunden auf dem Bus, das kann ja, das ist ja dann auch nicht, oder vielleicht dann vergessen sie zwischendurch, dass sie auf dem Bus warten.
Aber wenn nicht, das kann man ja nicht wissen, so viel weiß man ja auch nicht darüber.
Also ich hoffe, dass keiner der PatientInnen acht Stunden da wartet, weil die Pfleger müssen sich ja trotzdem um die kümmern, ja.
Es geht ja nur darum, dass sie halt nicht weglaufen, weil wenn sie das wollen, dann finde ich es besser, das so zu machen, als dass die Pflegekräfte sie dann einsperren müssen, weil das könnten sie im Zweifel auch, aber nur für eine kurze Zeit.
Und das dürfen sie auch nur unter speziellen Umständen, aber richtig, es gibt diese Kritik daran, dass man etwas simuliert, was halt nicht da ist.
Und das würde ethisch gesehen eine Gratwanderung sein, sagen Kritiker, weil das halt mit der Würde des Menschen nicht vereinbar wäre, auch weil man die Erkrankten halt nicht wirklich ernst nehmen würde.
Außerdem wirft man Pflegekräften vor, dass sie sich die Arbeit so einfacher machen würden.
Also das ist jetzt nur mein Empfinden, aber ich kann wirklich nicht so viel Schlechtes daran sehen.
Da beeinflusst mich, glaube ich, aber auch folgende Geschichte.
Als mein Opa krank war, der war jetzt nicht dement, aber er war sehr verwirrt und er lag im Bett und er hat die ganze Zeit nach Strom geschrien und zeigte dabei auf seinen Rücken.
Und meine Oma ist komplett durchgedreht und hat den angeschrien, weil sie so überfordert war mit dieser Situation.
Weil ich das jetzt aber von Marina schon kannte, dass dieses Gegenanreden bei verwirrten Menschen im Zweifel alles schlimmer machen kann, bin ich dann durch die Wohnung und habe nach irgendwas gesucht, nach irgendwas.
Und ich bin dann auf eine PET-Flasche gestoßen. Ich musste ihm halt irgendwas in die Hand geben.
Und dann haben wir die halt zusammen an seinen Rücken gehalten und Opa meinte, jetzt hat er Strom.
Für uns war das jetzt halt in dem Moment so, als käme durch diese PET-Flasche Strom.
Und ja, ich habe was simuliert, was nicht da war, aber die Situation schien eh schon so ausweglos und er hat meine Nachfragen auch nicht verstanden und ich nicht seine Antworten.
Also er schien auf mich sehr leidend in dem Moment. Du möchtest dann ja auch die andere Person beruhigen.
Und ich glaube, dass man mit so einer Scheinbushaltestelle Leute auch beruhigen kann, auch wenn es nicht echt ist.
Aber vielleicht, ich gehe jetzt dahin, wo ich hin möchte und vielleicht haben sie es dann halt auch in einer halben Stunde schon wieder vergessen und dann ist alles in Ordnung.
Nur werden sie teilweise halt nervös, wenn sie nicht weg können oder nicht das Gefühl bekommen, dass sie da weg können.
Genau, wenn sie einfach diese Bushaltestelle sehen und sozusagen den Gedanken haben, ich kann weg, wenn ich will sozusagen, dass das ihnen hilft, ja.
Ich finde es einfach super schwer zu beurteilen. Aber wenn diese Scheinbushaltestellen die Menschenwürde verletzen, wieso gilt das dann nicht für Kinder?
Weil, ich meine, denen erzählen wir ihr ganzes Kinderleben über Quatsch und verarschen sie mit dem Weihnachtsmann.
Und die glauben das und irgendwann realisieren die, dass es nicht stimmt und dass sie nur angelogen wurden.
Und das ist, finde ich, eigentlich auch nicht okay.
Laura gründet eine Initiative gegen unnötiges Lügen an Kindern.
Gegen den Weihnachtsmann.
Gegen den Weihnachtsmann.
Die beiden Fälle, die wir jetzt vorgestellt haben, sind in der Hinsicht besonders, als dass man so viel über sie weiß, weil sie eben von der Presse aufgegriffen wurden.
Und das hat bei Lars Mittank wahrscheinlich damit zu tun, dass es diese Videos gibt.
Und bei deinem Fall damit, weil es keinen einzigen Hinweis gibt, wo sie sein könnte.
Ja, und bei meinem Fall kommt noch hinzu, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass diese alte Dame von sich aus beschließt, wegzugehen, weil sie sich für ein anderes Leben entscheidet.
Also das schließt es schon mal aus.
Ja, ich glaube, das macht es auch so interessant.
Ja.
Lars und Marianne sind aber trotzdem keine Einzelfälle.
Am 1. April 2019 waren insgesamt rund 12.000 vermissten Fälle bei der Polizei in Deutschland gespeichert.
Und jeden Tag werden 200 bis 300 Menschen als vermisst gemeldet, laut BKA.
Die Zahl verwundert allerdings ein bisschen, wenn man hört, dass allein in Berlin und Umgebung ca. 60 Menschen am Tag vermisst werden.
Aber naja.
50% dieser Fälle erledigen sich innerhalb der ersten Woche.
Nach einem Monat sind 80% gelöst.
Doch 3% der als vermisst gemeldeten Personen bleibt eben auch nach einem Jahr verschwunden.
In unserer Diskussion wollen wir jetzt darauf eingehen, wann man eigentlich als vermisst gilt.
Welche Gründe es für ein Verschwinden gibt, wie die Polizei arbeitet und welche Auswirkungen es auf die Angehörigen hat.
Wann gilt man eigentlich als vermisst?
Wenn ich jetzt zwei Tage nichts von dir höre und dich auch hier zu Hause nicht antreffe, dann gilt sie vielleicht für mich als vermisst, aber nicht für die Polizei.
Dazu müssten nämlich drei Kriterien erfüllt sein.
Erstens, die Person hat ihren gewohnten Lebenskreis verlassen.
Das hättest du ja, wenn du nicht hier und auch in keinem Italiener in der näheren Umgebung wärst.
Restaurant, ja.
Zweitens, der aktuelle Aufenthaltsort ist unbekannt, würde auch bei dir dann zutreffen.
Und drittens, es kann eine Gefahr für Leib oder Leben der Person angenommen werden.
Das wäre bei dir dann nicht der Fall, wenn ich keine Hinweise auf einen Einbruch oder einen Abschiedsbrief finde.
Ich müsste wahrscheinlich davon ausgehen, dass du dich ins Ausland abgesetzt hast, wegen zu viel Mord und Totschlag in deinem Leben.
Wegen zu viel Laura in meinem Leben.
Aber eine Gefahr liegt beispielsweise dann vor, wenn die Polizei eine Entführung, einen Mord oder einen Unfall vermutet.
Aber auch bei Androhungen von Suizid oder schwerer Krankheit.
Also bei erwachsenen Personen, bei denen diese drei Kriterien nicht vorliegen, gilt, dass sie ihren Aufenthaltsort frei wählen können und auch rechtlich nicht verpflichtet sind, sich bei Angehörigen oder Freunden abzumelden.
Wenn ich nun trotzdem Angst um dich habe, weil ich die zwei Tage nicht finden kann, kann ich mich dann nur an eine Detektei oder an private Suchdienste im Internet wenden.
Anders ist das bei Kindern und Jugendlichen.
Bei ihnen haben die Eltern oder ein Vormund das gesetzliche Aufenthaltsbestimmungsrecht.
Kinder und Jugendliche gelten bei der Polizei also automatisch als vermisst, wenn sie ihren gewohnten Lebenskreis verlassen haben und niemand weiß, wo sie sich aufhalten.
Bei Kindern und Jugendlichen wird im Zweifel nämlich immer eine Gefahr angenommen.
Was ist denn, wenn ich jetzt länger verschwunden bin und es trifft aber einer der Punkte nicht zu und zwar, dass man davon ausgeht, dass ich einer Gefahr ausgesetzt bin.
Suchen die dann mein ganzes Leben nicht nach mir?
Wie bitte?
Wenn es keinen Anhaltspunkt gibt, dass du in Gefahr bist.
Aber ist nicht der Anhaltspunkt, dass ich von heute auf morgen mein ganzes Leben über den Haufen werfe?
Wenn alle sagen, das ist nicht ihr Ding?
Die sitzt gerne zu Hause in Berlin auf der Couch?
Mit Fussel?
Nein?
Kein?
Nein?
Nein.
Das finde ich ja richtig gruselig.
Das ist halt, weil du erwachsen bist und dir niemandem eigentlich Bescheid sagen muss, was du machst.
Also ja, ich weiß, weil es halt unfassbar viele Fälle gibt, wo jemand dann wieder auftaucht nach einem Tag, ein paar Wochen.
Ja, die meisten hauchen ja wieder auf und deswegen sind das natürlich Erfahrungswerte, womit die Polizei dann arbeitet.
Aber also wenn man eine Person aus seiner Umgebung halt gut kennt und weiß, das würde sie eigentlich nicht machen, finde ich das schon problematisch.
Und deswegen fühlen sich, glaube ich, so viele auch dann so hilflos.
Also was ja zum Beispiel auf eine Gefahr hindeutet, ist, dass du, wenn du jetzt weg bist und alles ist noch hier, ja, dein Handy, dein Pass und so weiter.
Das sind ja zum Beispiel Anhaltspunkte, dass du in Gefahr bist, weil wenn man weggeht, normalerweise aus freien Stücken, würdest du das wahrscheinlich mitnehmen und vielleicht den Hund auch mitnehmen.
Den würdest du mitnehmen.
Okay, das wäre ein Anhaltspunkt.
Ja, genau.
Auch wenn ich mich jetzt nicht dazu entscheiden würde, dich zu verlassen, gibt es verschiedene Gründe, warum erwachsene Menschen verschwinden.
Also entweder ist ein Unglück passiert oder aber auch, wenn ein Spaziergänger im Wald umkippt und dann nicht mehr aufgefunden wird.
Es könnte nämlich sein, dass die Leiche dann von wilden Tieren, wie zum Beispiel von Füchsen gefunden wird.
Und manchmal finden andere Spaziergänger, wenn überhaupt, dann nur noch Überreste des Menschen.
Oder jemand ertrinkt in irgendeinem Fluss und landet dann in einer Schiffsschraube.
Ich sage das jetzt nur so, weil man sich ja oft fragt, wie kann ein, also ein Mensch kann doch nicht einfach so verschwinden und irgendwas passiert doch mit dem Körper.
Das könnten auch Gründe dafür sein, warum der Leichnam nicht mehr aufzufinden ist.
Also die Natur kann unter Umständen dafür sorgen, dass das tatsächlich passiert.
Es könnte natürlich auch sein, dass die Person von selber weggeht, weil sie einen Suizid begehen will und selbst dafür Sorge trägt dann, dass der Leichnam nicht gefunden wird, wie auch immer.
Oder halt, die Person ist weggelaufen, weil sie sich von ihrem Leben trennen möchte und mit anderen Menschen halt nichts mehr zu tun haben möchte.
Das ist mittlerweile natürlich viel schwieriger als noch vor ein paar Jahren, weil es jetzt überall Überwachungskameras gibt etc.
Aber es gibt sogar Experten, die anderen beim Untertauchen helfen.
Es gibt einen Mann in den USA, der heißt Frank Ahern und der hat sogar ein Buch darüber geschrieben und zwar How to Disappear from Big Brother.
Und die Leute wollen einfach so untertauchen?
Nee, nicht einfach so. Jeder hat einen Grund dazu. Gründe können unterschiedlichste sein.
Also Schulden zum Beispiel, dass du denkst, du musst dich aus deinem jetzigen Leben verabschieden.
Bei Frauen ist es auch oft Gewalt in der Beziehung, Mobbing, sowas.
Wenn man jetzt zum Beispiel Schulden hat, dann hat man ja auch Schuldenarten.
Das ist ja eigentlich illegal, wenn du dann abhaust.
Und er schreibt dann einen Ratgeber dazu.
Nee, er schreibt ja keine Ratgeber für ...
Explizit für die, die den Schulden entkommen möchten.
Also der hilft jetzt niemandem, sich der Strafverfolgung zu entziehen.
Okay, gut.
Der letzte Grund, ein Verbrechen ist passiert.
Also jemand hat die Person entführt oder umgebracht und die Leiche irgendwie verschwinden lassen.
Bei Kindern, die verschwinden, sind die Gründe oft lapidar.
Zum Beispiel vergessen sie die Zeit beim Spielen oder die verstecken sich aus irgendwelchen Gründen.
Oft können sie sich nämlich auch gar nicht vorstellen, wie groß die Sorge um sie ist,
wenn sie mal ein paar Stunden zu spät nach Hause kommen oder so.
Aber weil immer sehr intensiv berichtet wird über vermisste Kinder, kann das Gefühl aufkommen,
Kinder würden hier in Deutschland gefährlich leben.
Dem ist aber nicht so.
Bei den Fällen von vermissten Kindern werden nämlich fast 98 Prozent aufgeklärt.
Und unter den nicht Geklärten ist ein großer Anteil von Fällen von Kindesentziehung durch eins der Elternteile.
Sobald dann jemand, aus welchem Grund auch immer verschwunden ist,
von seinen Angehörigen vermisst wird, kann man zur Polizei gehen.
Es ist nämlich nicht so, dass man 24 Stunden warten muss, um eine vermissten Anzeige aufzugeben.
Wenn dann die drei Kriterien, die ich eben genannt habe, zutreffen, dann wird die Polizei sie auch aufnehmen.
Und ansonsten wird sie wahrscheinlich sagen, erst nochmal abwarten.
Aber wenn sie sie aufnehmen, dann wird zunächst eine Gefahreneinschätzung gemacht
und entschieden, welche Maßnahmen halt zunächst getroffen werden sollen.
Und dabei sind die Angaben des Anzeigenerstatters oder der Anzeigenerstatterin besonders wichtig.
Wenn es der Polizei dann nicht zu dringlich erscheint, dann wird in der Regel erst einmal eine Aufenthaltsermittlung durchgeführt.
Das heißt, die BeamtInnen sprechen mit dem Umfeld und checken die Orte ab, an denen die Person sich normalerweise auffällt.
Aber wenn vermutet werden kann, dass unmittelbare Gefahr besteht oder eben ein Kind vermisst wird,
dann werden teilweise sehr schnell groß angelegte Suchmaßnahmen eingeleitet, so wie wir das auch schon kennen aus vielen Fällen.
Die Polizei steht ja eh unter einem enormen Druck, weil die ersten Stunden ja so wichtig sind, wenn ein Mensch verschwunden ist.
Und weil die ganze Verantwortung auf deren Schultern liegt.
Also alles, was die dann nicht bedenken oder was im Zweifel auch vermasselt wird, das hat dann eventuell direkte Konsequenzen auf die vermisste Person.
Richtig, und deshalb werden auch alle möglichen Ressourcen bei der Suche angezapft.
Da wird dann zum Beispiel wie in deinem Fall noch die Feuerwehr dazu geholt oder die Bereitschaftspolizei.
Und wenn jemand im Ausland verschwindet dann oder eben in der Nähe einer Grenze, dann kann das BKA kontaktiert werden,
das dann mit Interpol-Dienststellen zusammenarbeitet, wie im Fall von Lars.
Außerdem werden die Personalien der Personen im Computerinformationssystem der Polizei eingegeben und somit zur Fahndung ausgeschrieben.
Und auf dieses System haben alle Polizeidienststellen Zugriff.
Und so würde beispielsweise bei einer Polizeikontrolle direkt auffallen, wenn die kontrollierte Person als vermisst gilt.
Und über die Eingabe in diesem System kommen die Daten auch automatisch in die Datei vermisste Schrägstrich unbekannte Tote.
Und dort sind alle Vermisstenfälle gespeichert, aber auch unbekannte Leichen und nicht identifizierte, hilflose Personen.
Also zum Beispiel Personen, die im Koma liegen, die nicht vermisst werden oder die noch keiner identifiziert hat.
Und da wird dann eben abgeglichen, ob der Vermisste sich vielleicht unter denen befindet.
Eine Öffentlichkeitsfahndung wird in der Regel nur gemacht, wenn an dem Vermisstenfall großes öffentliches Interesse besteht.
Und dann werden zum Beispiel Durchsagen im Radio gemacht oder auch Meldungen mit Fernsehnachrichten oder das gute alte Aktenzeichen XY ungelöst kontaktiert.
Initiativen wie Vermisste Kinder oder Der Weiße Ring kritisieren, dass die Öffentlichkeitsfahndung bei Kindern oft zu spät eingeleitet wird.
Und sie fordern ein modernes Alarmsystem, wie zum Beispiel den Amber Alert aus den USA.
Durch dieses System können in den USA innerhalb weniger Stunden nach Bekanntwerden eines Vermisstenfalls Notfallmeldungen über digitale Kanäle verbreitet werden.
Also dann erscheint die Meldung in allen Fastfood-Restaurants in der Nähe, in Supermärkten automatisch.
Digitalen Anzeigetafeln und sowas, ja, das ist super.
Genau.
Vor allem, weil dann schon diese ganze Aufmerksamkeit auf dem Foto der Person liegt, was übrigens super wichtig ist.
Also dieses Fahndungsfoto ist ein sehr zentraler Punkt bei der Suche nach einer Person.
Denn im Zweifel sollen ja völlig Fremde, die zu der vermissten Person gar keinen Bezug haben, sie erkennen.
Leider haben die Fahndungsfotos besonders von vermissten Kindern oft wenig mit der Realität zu tun.
Das haben Forscher der Mississippi State University herausgefunden.
Allerdings geht es eher um die Erscheinung.
Also Grund dafür ist, dass die Eltern sich oft dazu entscheiden, Schulfotos von einem professionellen Fotografen zu nehmen, auf denen ihr Kind halt über beide Ohren strahlt und toll angezogen ist.
Tauchen die Kinder wieder auf, die gewaltsam entführt wurden, sehen sie aber verständlicherweise ja nicht so aus wie auf diesen Fahndungsfotos.
Und da wurden einige Tests durchgeführt, wie eben die Kinder auf die Menschen wirken, die gerade aus so einer Situation herausgekommen sind, im Gegensatz zu diesen Bildern, die oft benutzt wurden.
Und da ist die Wiedererkennungsquote halt ziemlich gering, ja.
Nun, es ist aber so, dass Fotos von glücklichen Kindern halt viel mehr Aufmerksamkeit erwecken.
Und, so ekelhaft das klingen mag, Menschen, die allgemein als attraktiver gelten, lösen in der Regel andere Empathiegefühle bei Menschen aus, als die Menschen, die als eher nicht so attraktiv eingestuft werden.
Ich hatte darüber auch mal was in Folge 10 gesagt, als es darum ging, wie blind die Justitia mit der Augenbinde halt eigentlich sein kann.
Und deswegen werden Attraktivitätsmerkmale in der Berichterstattung auch oft hervorgehoben, weil es für viele schlimmer erscheint, wenn ein attraktiveres Mädchen verschwindet.
Auch wenn sich das wirklich furchtbar anhört, so was zu sagen.
Tatsächlich haben wir auch, wie ihr beide, einige Zeit lang in unseren Beschreibungen der Opfer oder was auch immer die Beschreibungen der Medien übernommen.
Wenn die halt eben gesagt haben, das hübsche Mädchen mit den langen, blonden Haaren, bla bla bla.
Und heute machen wir beide das aber nicht mehr so, weil uns das irgendwann aufgefallen ist und weil es was furchtbar Diskriminierendes hat.
Vermissten-Experte Lars Bruns sagt außerdem, dass Statistiken zeigen, dass die Verhandlungsfotos von Mädchen viel öfter aufgerufen werden als von Jungen.
Was dazu ganz gut passt, ist das sogenannte Missing White Women Syndrome.
In Amerika ist es nämlich so, dass über Vermisste, die einer Minderheit angehören, weniger berichtet wird als über andere Fälle.
Und dass überproportional intensiv über junge, weiße Frauen aus der Mittelschicht berichtet wird.
Was vielleicht auch nicht alle wissen ist, dass 2019 allein in Deutschland mehr als 3000 minderjährige Flüchtlinge als vermisst gelten.
Darüber wird nicht so viel berichtet, wie über die zum Beispiel verschwundene Rebecca.
Rebecca Reusch aus Berlin ist ja seit dem 18. Februar dieses Jahres vermisst.
Und ich glaube, wenn wir den Namen nennen, dann kommt bei jedem sofort dieses Bild vor Augen.
Nach einem Mädchen, was die meisten jetzt eh schon als attraktiv bezeichnen würden, verhandelt die Polizei mit einem Instagram-Foto mit Beauty-Filter.
Warum sucht man mit einem Bild, was so bearbeitet wurde, dass die Menschen, die dieses Bild sehen, also nur dieses Bild, Rebecca auf der Straße nicht erkennen würden, wenn sie vor einem steht.
Ich würde sie nicht erkennen, wenn ich jetzt nur dieses Bild im Kopf hätte.
Ja, jetzt mittlerweile kennt man ja zum Glück ein bisschen mehr, weil, glaube ich, auch versucht wurde, viel anderes Bildmaterial danach zu streuen, nachdem am Anfang so viel damit versäumt wurde.
In der Regel ist es so, dass die Angehörigen der Polizei Fotos geben, weil die natürlich am besten wissen, welches Foto am meisten, wie die Person aussieht, die verschwunden ist.
Im Fall Rebecca widersprechen sich da so ein bisschen die Aussagen der Familie und die der Polizei.
Die Polizei meint, dass sie zuerst nur zwei Fotos zur Verfügung hatte, das bekannte Bild und eines in viel schlechterer Auflösung.
Die Familie sagt, sie hätten mehrere zur Verfügung gestellt.
Wie auch immer, mit so einem Bild zu fahnden ist halt nicht nachvollziehbar.
Also selbst wenn sie nur die zwei zur Verfügung hätten, ich weiß, es geht da wirklich um Zeit, aber damit zu fahnden, also andererseits hat dieses Foto von Rebecca mit Sicherheit einen großen Teil dazu beigetragen, warum so viel Aufmerksamkeit auf diesen Fall gelenkt wurde.
Und dann kommt natürlich noch da hinzu, dass die polizeilichen Ermittlungen in die Familie hinein gingen.
Also diese krasse Kriminalgeschichte zusammen mit diesem Foto, was aussieht wie das eines Models, darauf stürzen sich die Medien natürlich gerne, weil es eine tolle Geschichte ist, zu erzählen.
Das ist nicht unbedingt schlecht, weil eine der wenigen Chancen, die Rebekkas Familie hat, ist halt eben diese große Aufmerksamkeit und dass viele Leute wissen, wer Rebecca ist und wie sie aussieht.
Ja und diese Chance haben ja andere Familien nicht, die auch Kinder vermissen, die genauso alt sind wie Rebecca und auch unter ähnlichen Umständen verschwunden sind.
Und auf der Seite von der Berliner Polizei, da sind zwölf Vermisstenfälle aufgelistet gerade und ja und wir kennen halt auch nur einen und zwar den Fall von Rebecca.
Und das erinnert auch so ein bisschen an den Medi-Fall, ja.
Da war dem, der Familie war es am allerwichtigsten, dass alle den Namen kennen, weil sie damit die größte Möglichkeit haben oder höhere Chancen haben, ihr Kind zu finden.
Das sagten die ja auch selber, die Eltern, ja.
Ja, was die Chance der Wiedererkennung auch erhöhen würde, ist, wenn man halt so viele Bilder wie möglich streut.
Denn es ist halt wahrscheinlicher, dass Fremde die Person in der Realität auch erkennen.
Rebecca ist ja jetzt acht Monate circa verschwunden und ist in dieser Kartei, wo alle aktuellen Vermisstenfälle drin sind.
Und da wird sie voraussichtlich, wenn sie nicht gefunden wird, noch 29 Jahre bleiben.
Denn 30 Jahre lang bleibt diese Datei aktiv sozusagen und wenn es dann neue Hinweise gibt, dann wird denen auch nachgegangen.
Nur nicht, wenn Personen schon vorher für tot erklärt werden.
Und wer in Deutschland für tot erklärt werden darf, das regelt das sogenannte Verschollenheitsgesetz.
Und normalerweise gilt ein vermisster Mensch als verschollen, wenn er zehn Jahre lang vermisst wird.
Also wenn Rebecca jetzt zum Beispiel zehn Jahre vermisst wird, dann können ihre Angehörigen eine Todeserklärung beantragen.
Normalerweise ist das wichtig, wenn es um Erbe geht oder um Witwen- oder Witwerrente.
Eine Person für tot zu erklären kann ja, wenn die Familie jetzt schon lange trauert und sie wirklich keine Hoffnung mehr hat, dass die Person noch lebt, dann kann das ja auch so eine Art Abschluss symbolisieren.
Ja, genau. Aber es ist ja auch ein riesengroßer Schritt, weil das ja im Umkehrschluss heißt, dass sie dann mit der Suche aufhören.
Und Menschen, die noch suchen, die müssen mit einer großen Ungewissheit leben und zwar mit der, dass sie eben nicht wissen, was mit ihren Angehörigen passiert ist, ob sie noch leben oder vielleicht schon verstorben sind.
Und das kann bei manchen zu einer ganz besonderen Form der Trauer führen, die einen normalen Trauerprozess behindert.
Weil normalerweise ist es ja so, wenn jemand verstirbt, dann trauert man eine gewisse Zeit und dann kann man aber den Verlust in der Regel verarbeiten und dann auch irgendwann normal weiterleben.
Das können Menschen, die einen nahestehenden Angehörigen vermissen, oft nicht.
Und so kann es dazu kommen, dass sie eine sogenannte komplizierte Trauer entwickeln, auch anhaltende Trauerstörung genannt.
Welche Symptome dann auftreten, hat mir die Psychologin Dr. Carina Heke erklärt.
Die Symptome einer anhaltenden Trauerstörung zeichnen sich vor allem durch intensiven Trennungsschmerz aus.
Neben diesem ganz zentralen Symptom ist die anhaltende Trauerstörung von der Schwierigkeit, eigenen Interessen und Beziehungen nachzugehen geprägt.
Gefühle der Verbitterung oder Wut über den Verlust können vorkommen.
Um die Diagnose einer anhaltenden Trauerstörung zu erfüllen, müssen die Symptome aber mindestens für den Zeitraum von sechs Monaten vorkommen und zu starken Einschränkungen, deutlichen Einschränkungen im Alltag führen.
Betroffene, die jemanden vermissen, sind dann auch häufig nicht in der Lage, Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen.
Und so trauen sich manchmal die Leute auch jahrelang nicht aus ihrem Haus auszuziehen, wo sie zusammen mit dem Vermissten gelebt haben.
Und ein Neustart, in welcher Weise auch immer, jetzt neue Beziehungen oder neuer Wohnort, ist häufig ganz schwierig, weil noch immer Hoffnung besteht, dass der Mensch zurückkommt.
Das ist ja auch irgendwo verständlich, dass man sich so lange an diesen Gedanken noch festklammert, weil man will sich am Ende ja auch nicht vorwerfen, nicht genug gegeben zu haben.
Und alleine dieser Gedanke an diese Option, dass der Mensch auch tot sein kann, alleine das fühlt sich für manche wie Verrat an, weil man die Hoffnung aufgegeben hat.
Und diese Suche gibt dir ja auch eine Aufgabe, die lenkt dich ja auch ab.
Auch bei Sandra Mithank aus meinem Fall habe ich in den Interviews gesehen, dass sie diese große Hoffnung hatte, ihren Sohn wiederzufinden.
Frau Dr. Heke, die über die Trauerarbeit Angehöriger vermisster Personen promoviert hat, hat mir erklärt, welche vertragte Rolle die Hoffnung in solchen Fällen spielt.
Eigentlich nehmen wir Hoffnung ja als etwas ganz Positives wahr, etwas, das uns Kraft gibt, weiterzumachen.
Bei Angehörigen von Verschwundenen scheint es etwas anders zu sein.
Erste Hinweise aus Studien zeigen, dass je stärker die Hoffnung auf das Überleben der vermissten Personen,
desto stärker auch die Belastung durch die anhaltende Trauerstörung.
Die ausgeprägte Hoffnung besteht eigentlich der Verarbeitung eines Verlusts im Weg.
Es besteht immer die Hoffnung, dass die verschwundene Person jederzeit wiederkommen könnte.
Und so wird der Verlust niemals Vergangenheit, sondern bleibt eigentlich immer im Präsenz bestehen.
Und das, denke ich, war sicherlich zumindest am Anfang bei Sandra Mittank und auch bei der Familie McKenn der Fall.
Und das kann eben dann dazu führen, dass die Suche nach der vermissten Person in die eigene Identität der Betroffenen aufgenommen wird.
Also die werden zu Suchenden und die Suche wird zu ihrer Hauptbeschäftigung.
Und das kann eben sehr belastend für das Umfeld und auch gefährlich für die eigene Gesundheit werden.
Wenn die anhaltende Trauerstörung nicht behandelt wird, dann kann sich das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen.
Es kann zu schweren Depressionen führen oder zum Suizid schlimmstenfalls.
Weshalb es wichtig ist, die Störung zu diagnostizieren und zu behandeln.
Das kommt heute aber noch gar nicht so häufig vor.
Denn erst letztes Jahr wurde die anhaltende Trauerstörung als eigenständige Störung in das Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen aufgenommen.
Vorher hatte sie immer zur Depression gehört oder war als eine Form der Depression bekannt.
Und weil das eben noch so ein neues Phänomen ist, beschäftigen sich halt auch erst sehr wenige Experten mit der Forschung und auch mit der Behandlung.
Und Dr. Carina Heeg ist eine von ihnen.
In der Behandlung von Angehörigen von Verschwundenen würde es unter anderem darum gehen, die bereits verlorene Zeit zu betrauern.
Bei einem Todesfall setzen ja recht etablierte Rituale ein, wie die Begräbnisfeier, wodurch Angehörige auch einen Ort erhalten, an dem sie trauern können.
Diese Rituale und Orte existieren in Fällen des Verschwindens von Personen nicht.
So kann ein Ziel der Therapie bei Angehörigen von Verschwundenen daran liegen, eben einen solchen Ort zu etablieren, an dem sie über die bereits verlorene Zeit trauern können.
Und eine weitere wichtige Komponente bei der Behandlung ist auch die Bearbeitung von Schuldgefühlen.
Weil viele Angehörige von Vermissten stellen sich immer wieder die Frage, hätte ich irgendwas machen können, um das zu verhindern?
In einem Interview mit Vivian Reusch, also mit der Schwester von Rebecca, da ging es auch darum, dass so ein Vermisstenfall in der Familie halt für ein großes Schamgefühl auch immer sorgt, weil man nach außen hin das Gefühl hat, sich verteidigen zu müssen.
Wir konnten unsere Familie nicht beisammen halten.
Für diese Menschen ist auch besonders wichtig, ihnen neue Lebensperspektiven aufzuzeigen, dass sie trotz des Verlusts ein lebenswertes Leben führen können.
Und was nicht vergessen werden darf, ist, dass die anhaltende Trauerstörung nicht nur die Person selbst betrifft, sondern auch immer die ganze Familie und das direkte Umfeld.
Und daher ist es besonders wichtig, in der noch relativ jungen Geschichte dieser Störung Aufklärung zu schaffen, damit Familien eben durch solche Schicksalsschläge nicht zerstört werden.
Aufklärung und Forschung ist auch was, was Peter Jamin sehr wichtig ist.
Peter Jamin ist Schriftsteller und befasst sich seit mehr als 25 Jahren mit vermissten Menschen und mit den Angehörigen.
Und er steht ihnen auch zur Seite.
Gerade hat er ein Buch geschrieben, Ohne jede Spur, wahre Geschichten von vermissten Menschen.
Und da geht es um 18 Vermissten und Kriminalfälle.
Und die kennt er alle aus seiner ehrenamtlichen Arbeit mit der Beratung von Angehörigen.
Ich habe ihn jetzt erst mal gefragt, was sind denn die Dinge, von denen wir natürlich erst mal nichts wissen,
abgesehen von der Trauer und von der Angst, die den Angehörigen von vermissten Probleme bereiten?
Also wenn ein Mensch verschwindet, dann entstehen bei den Vermissten sowohl organisatorische wie psychische Probleme.
Es ist ein reines Chaos.
Die Angehörigen wissen nicht, was sie tun sollen, denn niemand rechnet damit, dass er in diese Situation gerät.
Nun kommt es natürlich immer auf den Einzelfall an, wie das aussieht.
Ist ein Erwachsener mit einer eigenen Wohnung verschwunden, dann steht ja irgendwann die Frage an,
was macht man mit der Wohnung, mit Versicherungen, mit Möbeln und so fort.
Manchmal ist auch die Frage des Arbeitsplatzes wichtig, sollte vielleicht der Arbeitgeber erst mal nicht genutzten Urlaub anerkennen
und nicht gleich eine Kündigung aussprechen.
Das sind ja alles ganz gravierende Folgen, wenn jemand verschwindet.
Und die Statistik sagt natürlich, dass von den 100.000 Vermisstregistrierungen im Jahr, also von den 100.000 Menschen, die jedes Jahr verschwinden,
in den ersten Monaten doch 80 Prozent zurückkommen.
Und die würden dann im Zweifel erst mal vor dem Nichts stehen.
Gerade bei volljährigen Personen haben ja nicht mal die Eltern erst mal irgendwelche Rechte, in deren Namen irgendetwas zu machen.
Man kann halt eben nicht einfach die Wohnung von jemandem kündigen.
Was für Optionen haben die Hinterbliebenen denn überhaupt?
Da hilft dann die sogenannte Abwesenheitspflegschaft.
Das heißt, die kann man beim Amtsgericht beantragen und innerhalb weniger Tage wird ein Richter dann einen Abwesenheitspfleger bestellen.
Entweder ist das ein Rechtsanwalt oder aber auch ein Angehöriger der vermissten Personen.
Peter Jamin unterstützt die Angehörigen dann etwa bei der Frage, was kann man selbst noch für Suchmaßnahmen einleiten,
wenn man das Gefühl hat, dass die Polizei jetzt nicht genug tut.
Aber abgesehen von organisatorischen Sachen brauchen Menschen in so einer Lage noch ganz andere Unterstützung.
Ich versuche natürlich ein bisschen den Menschen psychische Stabilität zu geben,
Was sehr oft, das ist ganz interessant, auch relativ einfach ist,
wenn die Angehörigen zum Beispiel ein bisschen über die Statistik aufgeklärt werden und hören,
dass also doch so viele Menschen auch wieder zurückkommen, sind sie schon mal sehr beruhigt.
Außerdem empfehle ich den Angehörigen vom Vermissten nicht immer das Schrecklichste anzunehmen.
Es ist so, dass die Angehörigen oft das Gefühl haben, meine vermisste Person hat sich etwas angetan,
sie ist tot, sie hat entweder Suizid begangen oder ist ermordet worden oder wird festgehalten oder hat einen Unfall gehabt.
Und ich empfehle doch eher positive Bilder davor zu schieben vor diesen düsteren Gedanken
und dann eher daran zu denken, dass ein Mensch auf eine lange Reise gegangen ist
und einfach Abstand zu dem bisherigen Leben sucht, weil er so große Probleme hatte.
Das alles trifft natürlich nicht für kleine Kinder zu, wo die Polizei sehr schnell etwas macht
und wo es auch ein recht gutes System gibt.
Es gibt aber kein System, das Angehörige von Vermissten wirklich auffängt, sagt Jamin.
Und deswegen habe ich ihn gefragt, was denn überhaupt für sie getan wird.
Angehörige stehen wirklich sehr alleine da.
Sie müssen sich vorstellen, ein Angehöriger geht zur Polizei, meldet eine Person als vermisst
und die Polizei im besten Fall registriert die diese Person und dann endet auch die Unterstützung.
In Einzelfällen geben sicherlich Polizisten auch persönliche Tipps,
aber man kann sagen, es ist keine Hilfe für Angehörige in Deutschland vorgesehen.
Wir befinden uns in einem echten Entwicklungsland.
Ich beklage schon seit Jahrzehnten, dass sich da niemand drum kümmert,
aber die Politik weigert sich einfach, endlich mal Maßnahmen zu ergreifen.
Maßnahmen wären in Jamins Augen etwa Basisinformationen, die an die Angehörigen gehen,
also etwa in Form von Flyern oder eine nationale Webseite in Deutschland,
wo sich Familien und das Umfeld dann weitere Informationen holen könnten.
Ich glaube, das wäre alleine deswegen schon so wichtig, weil die Angehörigen dann wüssten,
hierhin kann ich mich wenden und ich bin nicht alleine.
Außerdem bräuchten wir unbedingt einen Vermisstenberater oder eine Vermisstenberaterin.
Das muss nicht mal eine Vollzeitstelle sein, es soll nur jemand sein, der sich damit halt intensiv beschäftigt.
Aber es ist ja jetzt nicht so, dass es gar keine Hilfe für Angehörige gibt.
So gibt es zum Beispiel nichtstaatliche Organisationen wie die Initiative Vermisste Kinder oder den Bundesverband Anuas e.V.
Und die Links dazu können wir euch dann auch nochmal in die Shownotes stellen.
Unsere Fälle haben ja jetzt heute Personen behandelt, die bis heute als vermisst gelten.
Aber es gibt natürlich auch verschwunden Fälle, wo jemand irgendwann wieder auftaucht.
Am 26. Juli 1984 verschwindet die damals 24-jährige Informatikstudentin Petra P. spurlos.
Sie war eigentlich gerade auf dem Weg zu ihren Eltern, um bei ihnen ihre Diplomarbeit zu Ende zu schreiben.
An dem Tag nimmt sie noch einen Termin bei einem Zahnarzt wahr und kauft ihrem kleinen Bruder ein Geschenk
und will dann mit dem Bus zu ihrem Elternhaus fahren.
Bei denen kommt sie aber nie an.
Am nächsten Tag wird schon polizeilich nach Petra gesucht.
Die Ermittler gehen damals von einem Gewaltverbrechen aus.
Denn an der Bushaltestelle, von der aus Petra fahren wollte,
wurde ein Jahr zuvor die Leiche eines 14-jährigen Mädchens gefunden.
Der Mörder des Mädchens gesteht tatsächlich, später auch Petra umgebracht zu haben.
Allerdings zieht er das Geständnis dann irgendwann wieder zurück.
Petras Leiche wird nie gefunden.
1989 lassen ihre Eltern sie für tot erklären.
Am 11. September 2015 dann wird ein Einbruch in einer Düsseldorfer Mietwohnung von einer Nachbarin gemeldet.
Die Polizei verlangt von der Bewohnerin einen Ausweis.
Diesen hätte sie verlegt, sagt die Frau.
Und verhält sich ziemlich seltsam dabei.
Nach einer Weile gibt sie dann zu, die vermisste Petra P. aus Braunschweig zu sein.
31 Jahre später taucht also die für damals tot erklärte Studentin wieder auf.
Hä? Und was ist mit ihr passiert?
Also sie ist eigenständig weggegangen und wollte nicht gefunden werden.
Hä? Aber warum denn?
Am Ende weiß man nicht wirklich, warum sie abgehauen ist.
Denn Petra P. macht bis heute keine Angaben dazu.
Man weiß aber, dass ihr Verschwinden sehr akribisch geplant war und dass sie auch einige Spuren extra gelegt hatte.
Sie war nämlich offenbar extra an der Haltestelle in der Nähe des damaligen Tatorts verschwunden.
Und sie hatte Geld zu Hause liegen lassen.
Was du vorhin ja auch schon gesagt hast, dass das Indizien dafür sind, dass jemand dann in Gefahr sich befindet.
Und sie hatte eben auch keinen Koffer mitgenommen oder dergleichen.
Außerdem hatte sie im Vorfeld für diese Aktion viel Geld gespart und sich dann eine Wohnung in Gelsenkirchen damals angemietet.
Wie schafft man es denn so lange unterm Radar zu bleiben, wenn man auch noch seinen eigenen Ausweis hat?
Ja, das war ihr sehr wichtig, dass sie niemand erkennt.
Sie hatte kein Konto, sie war nicht versichert, sie zog sehr oft um.
Sie nannte sich Schneider, also ein Allerweltsname und sie bezahlte immer alles in Bar.
Möchtest du wissen, wie ihre Familie reagiert hat?
Die war stinksauer.
Möchte man meinen, waren sie vielleicht auch, ja.
Vielleicht waren sie auch erst erleichtert.
Also ihr Vater lebt heute nicht mehr.
Und die Mutter und der Bruder von Petra, die waren halt erst mal geschockt.
Und die beiden hatten versucht, Kontakt aufzunehmen natürlich.
Und sie haben ihr einen Brief geschrieben.
Aber Petra möchte keinen Kontakt.
Das ist ja mysteriös.
Dass jemand 31 Jahre lang schafft, sich zu verstecken, ist schon eine Hausnummer.
Was für ein anstrengendes Leben.
Dieses ganze Recherchieren jetzt zum Thema Verschwunden hat bei mir eine Kindheitserinnerung
wieder vorgeholt, die ich eigentlich verdränge.
Und zwar dachten eine Freundin und ich, als wir so zehn Jahre alt waren, dass es irgendwie
lustig wäre, so zu tun, als wären wir verschwunden.
Genau gesagt, entführt.
Und dazu haben wir einen gefakten Hilferuf geschrieben, an einen Ballon gehängt und den
fliegen gelassen.
Und auf diesem Brief stand eben, dass wir entführt wurden und Hilfe brauchen.
Ja.
Und das wurde dann von einer Oma beim Gassi gehen gefunden, die natürlich den Schock ihres
Lebenshandel und weil wir nicht so clever waren damals.
Ihr habt eure Namen.
Wir haben nicht unsere richtigen Namen drauf geschrieben, aber wir haben einen Mix aus unseren
Namen drauf geschrieben.
Und deswegen kam das am Ende alles raus und wir haben richtig Ärger bekommen.
Wie weit ist denn dieser Ballon geflogen?
Der überhaupt nicht weiß.
Also wirklich gar nicht.
Es ist direkt was Oma.
So ungefähr.
Nicht zu Hause nachmachen.
Gut.
Wollen wir dann abschließen?
Was war das für ein Lied, was dieser 18-jährige Junge für dich geschrieben hat?
Kannst du es vorsingen?
Nein, aber ich habe Dani tatsächlich heute gefragt, ob er noch Videos davon hat.
Oh mein Gott.
Aber nee, hat er nicht.
Er hat nichts mehr davon.
Und dann war ich schon richtig, richtig traurig, weil ich dachte mir so, diesen schlimmen Moment
muss ich auf jeden Fall nochmal ansehen.
Aber vielleicht hätte es mir so ein bisschen die Angst genommen.
Aber Dani singt ja noch.
Er hat es jetzt nicht neu aufgenommen.
Doch, er hat mir eine Strophe, daran konnte er sich noch erinnern.
Aber wir lassen es nur drin, wenn er nicht sagt, dass wir es wieder rausnehmen sollen.
Also wenn ihr es jetzt hört, Dani ist fein damit.
Ich schaue in den Spiegel und ich sehe nur mich.
Ich werde dich, ich werde dich sicher nie vergessen, werde nicht vermessen zu sagen, ich liebe dich.
Oh Gott, und du hast nur gesagt, danke.
Nein, aber ich liebe dich.
Danke.
Ich habe ihn in den Arm genommen.
Aber ich bin immer noch sehr gerührt.
Ich verstehe auch gar nicht, wieso ich nicht in diesen Jungen verliebt war.
Aber es war halt nun mal so.
Das sucht man sich ja leider nicht aus.
So, das war es von uns.
Das war ein Podcast von Funk.