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#35 Sekten

Wir sind zurück. Pauline und ich waren nämlich im Urlaub und wir hatten tatsächlich gar nicht so viel Kontakt, weil wenn es bei dir Tag war, war es bei mir eben Nacht.
Und deswegen kannst du mir jetzt noch kurz und knapp mal erzählen, wie dein Urlaub eigentlich war.
Ich habe das Gefühl, der Jetlag geht nie weg, bin aber einigermaßen erholt, arm und spielsüchtig aus den USA wiedergekommen.
Ich habe aber tatsächlich doch recht viel während des Urlaubs für diese Folge jetzt gearbeitet.
Ich habe immer Bilder von dir gesehen, wie du irgendwie in die Alpen geguckt hast mit deinem Laptop und meine Office View sah einfach nur nach Autobahn aus die ganze Zeit, während meine Freundin gefahren ist.
Aber ich war sogar in den USA auf einem Undercover-Einsatz.
Was für ein Einsatz war das?
Das erzähle ich nachher dann, wenn es passt.
Bei mir war es gar nicht mal so aufregend im Urlaub.
Ich habe eigentlich nur mit der Familie von meinem Freund in Bayern gechillt.
Und aus lauter Langeweile, also ich glaube, es war Langeweile, hat der Vater meines Freundes mich gegoogelt.
Und als letzter Vorschlag in der Suchzeile stand bei ihm, Laura Wohlers Freund.
Und das fanden alle am Tisch natürlich lustig.
Auch lustig ist aber, was bei dir an dieser Stelle stand.
Rate bitte.
Füße.
Nein.
Da stand Paulina Krasa Hund Fussel.
Das, was für dich dein Freund ist, ist für mich mein Hund.
Super.
Das ist traurig.
Anscheinend gibt es doch mehr Interesse, als wir dachten, an dem Hund.
Und vielleicht können wir ja doch mal ein bisschen mehr Fussel-Content posten, den Leuten geben, was sie wollen, ja.
Ja, oder halt von deinem Freund.
Not gonna happen.
Aber erst mal herzlich willkommen zurück in Deutschland, Paulina, und bei Mordlust.
Unserem True-Crime-Podcast, in dem wir über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe reden.
Mein Name ist Paulina Krasa.
Und ich bin Laura Wohlers.
Wir erzählen uns hier jeder einen Kriminalfall aus Deutschland nach, den die andere nicht kennt.
Und deshalb gibt es auch immer unsere ungefilterten Reaktionen.
Und wir sprechen hier mit Experten auch über das jeweilige Thema.
Wir kommentieren und bringen unsere Meinung ein.
Die hat natürlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und soll sie auch gar nicht.
Sonst kann sich ja keiner mehr darüber aufregen.
Nicht despektierlich gemeint.
Heute geht es endlich, endlich, endlich um das Thema Sekten.
Wir benutzen hier auch heute genau diesen Begriff Sekten.
Mitglieder vom Mordlust-Stammtisch, unserer Facebook-Gruppe, hatten uns darauf aufmerksam gemacht,
dass es aus wissenschaftlicher Sicht umstritten ist, den Begriff zu verwenden, eben weil er nicht wertfrei ist.
Und man eigentlich eher religiöse Glaubensgemeinschaft oder Sondergemeinschaften sagen würde,
Das ist aus wissenschaftlicher und soziologischer Sicht richtig.
Und wir wollen hier auch keine Glaubensgemeinschaften jetzt stigmatisieren.
Aber wir werden hier heute über Gruppen reden, die wir nicht wertfrei anpacken wollen.
Weil die Strukturen in den Sekten, von denen wir sprechen, dafür sorgen, dass dort Verbrechen geschehen.
Oder sie eben selbst von der Gemeinschaft begangen werden.
Ja, und anfangen können wir mit etwas ganz Aktuellem zu diesem Thema.
Denn gerade wird ein Sektenfall in Deutschland verhandelt.
Und zwar geht es dabei um die sogenannte Hanauer Sekte, deren Anführerin Silvia D. ist.
Und Silvia D. ist deshalb die Anführerin, weil sie vorgibt, von Gott in ihren Träumen Anweisungen zu bekommen.
Und jetzt steht Silvia D. vor Gericht, angeklagt wegen Mordes.
Wie ist es dazu gekommen?
1988 war der vierjährige Jan unter ihrer Aufsicht gestorben.
Und damals hatte die Gruppe angegeben, dass Jan im Schlaf an erbrochenem Haferschleim erstickt sei.
Und deswegen ging die Polizei von einem Unglücksfall ohne Fremdeinwirkung aus.
Doch als die Frankfurter Rundschau 2014 Recherchen zu der Gruppe um Silvia D. anstellt und auch mit Aussteigern spricht, ergibt sich ein ganz neues Bild der Todesumstände rund um Jan.
Die erzählen nämlich von körperlichen und psychischen Misshandlungen und eben von einer sektenähnlichen Gruppierung.
Und im März 2015 nimmt dann die Staatsanwaltschaft Hanau die Ermittlungen neu auf und zwei Jahre später wird Anklage erhoben.
Silvia D. soll Jan umgebracht haben, weil sie den Jungen als, Zitat, von den Dunklen besessen und als Reinkarnation Hitlers angesehen habe.
Deshalb habe sie ihn in einen Leinensack eingeschnürt und allein zurückgelassen und in Panik habe Jan sich erbrochen und sei dann daran erstickt.
Silvia D., heute 72 Jahre alt, bestreitet die Vorwürfe.
Es gibt auch keine Beweise, sondern eben nur Indizien wie Zeugenaussagen.
So erzählt eine Aussteigerin vor Gericht, dass auch ihr Adoptivsohn in einen Sack eingeschnürt wurde und in der Gruppe die Rede davon war, dass Gott auch ihren Sohn holen würde.
Jans Mutter tritt aber nicht etwa als Nebenklägerin auf, sondern als quasi perfekte Entlastungszeugin der Verteidigung.
Die erklärt nämlich, dass Silvia D. eine sehr gute Freundin für sie ist und dass Silvia D. alle Kinder der Gemeinschaft sehr geliebt hat.
Und während sie so vor Gericht aussagt, so schreibt es der Spiegel, verstärkt sich immer mehr der Eindruck, dass auch Jans Mutter davon überzeugt ist, dass Silvia D. Botschaften von Gott erhält.
Wahnsinn.
Ja und es ist spannend, wie dieser Indizienprozess ausgeht und wir werden euch auf jeden Fall auf Social Media updaten, sobald es ein Urteil gibt.
Bei uns geht es heute auch um Misshandlung und Missbrauch an Kindern, daher an dieser Stelle eine Triggerwarnung.
Mein Fall diese Woche zeigt, dass ich diesen Fall hier lieber für die Berichterstattungsfolge genommen hätte.
Nein, das ist nicht dein Ernst.
Und er zeigt aber auch, dass Sekten nach außen einen harmlosen Eindruck machen können, wir aber genau hinsehen sollten, vor allem wenn es um die geht, die von uns am meisten geschützt werden müssen.
Es ist der 30. August im Jahr 2003 in Klosterkirchen in Bayern.
Diesen Tag wird er nie vergessen.
Es ist unendlich heiß und Robert läuft der Schweiß unter seinem weißen Leinenanzug den Rücken runter.
Er steht gemeinsam mit Shaloma unter einem kleinen Zelt und hält dabei ihre Hände.
Sie trägt ein weißes Brautkleid und eine Blumenkrone im Haar.
Ich will alles tun, was du befehlst.
Du bist jetzt mein Herr.
Was du sagst, ist Gesetz.
Ich will die Mutter deiner Kinder sein,
verspricht sie ihm vor 300 Zeugen.
Ich liebe dich.
Ich werde für dich sorgen und immer für dich da sein.
Ich will mich zeitlebens um deine Nöte kümmern,
sagt Robert.
Ein lautes Amen ertönt von den Zuschauerplätzen.
Kurzzeitig hat Robert Sorge vor Aufregung, ohnmächtig zu werden.
Die Gemeinschaft hat einen irren Aufwand betrieben für ihre Hochzeit.
Eine Woche lang haben sie organisiert, Programme geplant und Aufführungen geübt.
Für die Mitglieder der zwölf Stämme ist eine Hochzeit das wichtigste Fest.
Darin sehen sie die Wiederkehr von Gottes Sohn Joshua.
Ist Gottes Sohn nicht Jesus?
Jesus ist Joshua.
Das ist nur der hebräische Name.
Und einigen Menschen ist das ganz wichtig, dass es der hebräische Ursprungsname ist.
Okay.
Aber für Robert hat seine Vermehlung noch eine ganz andere Bedeutung.
Denn an diesem Tag wird für ihn nicht nur die Verbindung zu Shaloma,
sondern auch zu den zwölf Stämmen verstärkt.
Die Hochzeit ist für ihn eine Bestätigung dafür,
dass sein Verbleib in der Glaubensgemeinschaft richtig ist.
Sie gibt ihm Halt und den Sinn, hier zu bleiben.
Beides hatte er über all die Jahre immer mal wieder verloren.
Robert kommt 1990 das erste Mal mit den zwölf Stämmen in Kontakt.
Einige Jünger sprechen ihn auf einem Hippie-Festival an.
Eigentlich war er dort, um nach Peace und Love und einem guten Trip zu suchen.
Aber als die Feierei vorbei ist,
findet er sich in einem Meer voll Plastikmüll und Dreck wieder.
Vorbei ist das verklärte Gefühl.
Dieser Hippie-Kram ist kein Deut besser als alles andere, denkt er sich.
Das enttäuscht ihn.
Schon seitdem er ein Teenager ist,
sucht er nach etwas Wahrhaftigem, einer anderen Art zu leben.
Nach irgendwas, das ihm Antworten auf seine Fragen im Leben gibt.
Als er an diesem Tag in den Bus der zwölf Stämme steigt,
scheint es ihm, als hätten die Mitglieder die Antworten, nach denen er gesucht hat.
Joshua, mach dich frei, sagen sie ihm.
Sie zeigen Verständnis für seine Gedanken.
Robert fühlt sich gut aufgehoben.
Sie diskutieren stundenlang über den Sinn des Lebens.
Nach dem enttäuschten Festival tut ihm die Tiefe gut.
Getröstet schöpft er wieder Hoffnung, dass er doch noch einen Lebensweg für sich finden wird.
Und der führt ihn wenig später nach Suisse in Frankreich.
Robert steht voll angezogen im eiskalten Wasser eines Flusses.
Dann drücken zwei Männer seinen Kopf und Körper immer wieder unter Wasser,
während Mitglieder der zwölf Stämme am Ufer stehen und applaudieren.
Robert wird reingewaschen.
Es ist das Aufnahmeritual der Glaubensgemeinschaft.
Sein altes Leben muss Robert nun hinter sich lassen.
Für den Ingenieurstudenten aus Köln mit den Dreadlocks wird es in Zukunft nicht mehr geben.
Bei den zwölf Stämmen hat man solche Frisuren nicht,
weil man nicht so sein soll, wie man selbst will, sondern wie Gott einen will.
Und der will von Männern einen strengen Pferdeschwanz, etwas Untergeordnetes.
Als Robert sich die Haare abschneidet, die einst für seinen Individualismus standen, weint er dabei.
Ein weiterer Schritt Richtung Selbstaufgabe.
Nur der wird frei sein, der keinen eigenen Willen hat und ein Leben frei von Sünde lebt.
Doch mit der Freiheit von Sünde tut sich Robert, der jetzt Yatar heißt, manchmal schwer.
Er will unbedingt alles in sich aufsaugen, sich an den Riten und Regeln der Gemeinschaft halten
und seine alten Verhaltensweisen ablegen.
Nur so kann er ein guter Gefolge seines Gottes werden.
Doch manche Regeln der Gemeinschaft versteht Robert nicht.
So darf er beispielsweise nicht zur Beerdigung seiner Großmutter gehen.
Lass die Toten die Toten beerdigen, sagen sie ihm.
Warum er einen Nashornkäfer nicht anfassen darf, versteht er ebenso wenig.
Drei Tage soll er deswegen unrein sein.
Warum, kann ihn keiner erklären.
Die Regeln hat der Gründer Albert Eugin Spriggs gemacht.
Und der würde seine Offenbarung direkt von Gott empfangen.
Also gilt, was er sagt.
Doch so wie mit dem Käfer geht es den Jüngern bei einigen Regeln.
Sie hoffen einfach, dass Gott ihnen irgendwann den Grund für seine Gesetze schon offenbaren wird.
Bei Robert regt das aber immer wieder Zweifel,
ob das, wonach er und seine Glaubensmitglieder leben, denn so richtig ist.
Die zwölf Stämme verkörpern das Urchristentum, meinen sie.
Das Christentum, wie wir es kennen, ist für sie ein Irrglaube und die Hure Babylons.
Die zwölf Stämme halten ihre Wahrheit für die einzig richtige.
Dazu gehört, dass die Mitglieder ihre Freude nur aus dem reinen Gewissen gegenüber Gott ziehen dürfen.
Freude an anderen Dingen zu haben, als Gott zu dienen, ist für sie nichts wert und deswegen auch nicht erlaubt.
So wie alle Dinge, die keinen höheren Sinn erfüllen.
Musik wird nicht gemacht, weil es Spaß bringt, sondern um es für den Schöpfer zu tun.
Wenn sich einer zu sehr in die Musik fallen lässt, ist er auf Abwägen.
Robert und die anderen Jünger müssen sogar das Radio aus einem Auto ausbauen.
Das entscheidet der Ältestenrat.
Eine kleine Gruppe, die nur aus alten Männern besteht.
Der Rat entscheidet sowieso alles, was für das Zusammenleben wichtig ist.
Eigene Entscheidung darf Robert seitdem aber bei den zwölf Stämmen ist nicht mehr treffen.
Denn wer seinen Kopf benutzt, ist kein guter Gefolge.
Auch mit Meinungsäußerung muss er sich jetzt zurückhalten.
Eine Meinung darf man sowieso nicht haben.
Andere Dinge auch nicht.
Die Brüder und Schwestern arbeiten für die Gemeinde, in der sie alle zusammen nahezu abgeschirmt von der Außenwelt leben.
Robert und die anderen erhalten dafür keinen Lohn.
Und was man arbeitet, das entscheidet man auch nicht selbst, sondern der Ältestenrat.
Hinterfragt werden darf die Entscheidung nicht.
Geschieht ein Unglück, also ein Autounfall oder ein Beinbruch, so muss man sich vor dem Rat rechtfertigen.
Denn wenn Gott so etwas geschehen lässt, dann will er einem damit etwas sagen.
Zum Beispiel, dass der eigene Glaube nicht rein genug ist oder man den Ältesten eine Sünde nicht gebeichtet hat.
In Roberts Brust zerren zwei Seelen.
Eine, die die Regeln und Gesetze immer mal wieder hinterfragt, und die andere, die Gott gefallen will.
Doch am heutigen Tag sind alle Zweifel wie weggefegt.
Gott gibt dir eine Frau als Zeichen der Anerkennung und des Vertrauens in dich, hatten die Ältesten ihm gesagt.
13 Jahre lebt er deswegen im Zweifel, ob sein Glaube vielleicht nicht stark genug ist.
Währenddessen haben seine Brüder alle schon längst eine Familie gegründet.
Aber jetzt hat Gott ihm Shaloma geschickt, und er fühlt sich dem Glauben mehr verbunden denn je.
Aus Shalomas Gelübde wird ziemlich deutlich, wie die zwölf Stämme die Stellung der Frau sehen.
Ich will mir meinen Kopf abschneiden.
Von nun an sollst du mein Kopf sein.
Ich will alles tun, was du befehlst.
Du bist jetzt mein Herr.
Was du sagst, ist Gesetz.
Ich will die Mutter deiner Kinder sein.
Ein guter Herrscher ist, so lernen es die Jünger, wer viele Kinder bekommt.
Fast die Hälfte der Mitglieder der zwölf Stämme besteht aus Kindern.
Sie sind wichtig für die Gemeinschaft.
Die Nachkommen werden nämlich dafür sorgen, dass die zwölf Stämme ihr Ziel erreichen werden.
Sie glauben daran, dass, Zitat,
das tausendjährige Reich anbricht, sobald die zwölf Stämme 50 Jahre das Licht für die Nationen auf der Erde gebracht
und die gute Nachricht der Errettung als Zeugnis gelebt haben.
Was auch immer das genau heißen mag.
Drei Jahre bevor Gott dann auf die Erde kommen wird, müssen sich alle Gemeinschaften der zwölf Stämme auf der ganzen Welt auf in die Wildnis machen und sich dort verstecken.
Ohne ihre Kinder würde die Gemeinschaft halt eben nicht mehr so lange existieren, bis dieser Zeitpunkt gekommen ist und sie dann wieder aus dem Busch kommen dürfen.
Klingt nach einem Plan.
Mit Kindererziehung im Sinne der zwölf Stämme kennt sich Robert aber schon gut aus.
Er arbeitet nämlich als Lehrer für alle Fächer.
Dafür qualifiziert ist er nicht.
Dass er als Sportlehrer mit seinen Schülern kein Fußball oder dergleichen spielen darf, weil das ja Spaß bringt und die Kinder nur von Gott ablenkt,
das ist zwar auch so eine Maßnahme, die er nicht richtig verstehen, aber zumindest akzeptieren kann.
Was ihm um einige schwieriger hinzunehmen fällt, ist für ihn die Rassenkunde, die die Kinder gelehrt bekommen.
Die Mitglieder sind der Ansicht, dass Sklaverei für bestimmte Menschen wichtig ist,
denn das sei die einzige Möglichkeit, für sie überhaupt einen Nutzen für die Gesellschaft zu haben.
Die menschliche Natur erlaubt keine Gleichheit.
Es gibt Unterschiede zwischen Schönheit, Intelligenz, Befähigung.
Gleichmacherei ist dazu bestimmt, die Menschheit, Männer und Frauen zu zerstören.
So sehen die zwölf Stämme das.
Das fängt bei der Geschlechterfrage an und macht auch keinen Halt vor der Hautfarbe.
Martin Luther King ist für sie ein Antichrist und Kommunist.
In seiner Verblendung unterrichtet Robert diese Inhalte aber trotzdem.
Seitdem die Glaubensgemeinschaft existiert, gerät sie immer wieder mit den Behörden aneinander.
Vor allem, weil die Kinder aus Gewissensgründen auch keine öffentlichen Schulen besuchen dürfen.
Sexualkunde und Evolutionstheorie möchten sie ihrem Nachwuchs nicht vermitteln.
Einmal haben Polizisten die Kinder morgens abgeholt und sie ohne die Zustimmung der Eltern zur Schule gezerrt.
Die Kinder haben dabei geweint und die Eltern mussten festgehalten werden.
2004, in dem Jahr, wo Roberts erstes Kind geboren wird, müssen einige Eltern wegen dieses Stasens sogar für einige Tage in Beugehaft.
Daraufhin überprüft das Landratsamt Donau-Ries sogar, ob sie den Eltern der Gemeinschaft nicht sogar das Sorgericht entziehen können.
Erst 2006 genehmigt das Bildungsministerium den Heimunterricht.
Damit entspannt sich die Lage.
Hätten die verantwortlichen Personen gewusst, welche Inhalte die zwölf Stämme unterrichten und dass die Glaubensgemeinschaft aus dem Glauben heraus alleine schon keine schlauen Kinder will,
dann wäre diese Abmachung sicherlich geplatzt.
Ja, haben die das nicht mal getestet oder mal nachgeschaut?
Doch, doch haben sie.
Aber die zwölf Stämme, die wissen halt, wie man nach außen wirkt, wie eine intakte, glückliche Gemeinschaft.
Und die haben die Inhalte dann auch immer weggepackt.
Und die Behörden haben sich davon blenden lassen.
Und sie haben vor allem auch nicht gesehen, unter welchen Umständen die zwölf Stämme versucht haben, dieses Bild aufrechtzuerhalten.
Das weiß nämlich lange Zeit von außen niemand.
Damit die Kinder nicht aus ihren eigenen Erfahrungen lernen, sondern auf dem vorgegebenen Weg der Eltern bleiben,
treffen die zwölf Stämme furchtbare Disziplinarmaßnahmen.
Heißt, dass alle Mitglieder jederzeit dazu angehalten sind, die Kinder zu schlagen, wenn sie sich einen Fehltritt erlauben.
Das beginnt schon im Alter von zwei Jahren.
Die schnelle Reinigung des Herzens, so nennen sie das.
Auch Robert muss seine Schützlinge jeden Tag züchtigen.
Manche Kinder schlägt er mehrmals täglich.
Wenn ein Kind im Unterricht lacht oder quatscht, dann nimmt er es mit in die Heizungsräume der Gemeinde.
Die dienen öffentlich als Disziplinarräume.
Dort werden die Ruten in einem Behälter mit Öl aufbewahrt.
So bleiben sie lange biegsam und werden beim Schlagen auch nicht brechen.
Mit der Hand wird nicht gehauen.
Nur dumme Eltern schlagen die Kinder mit der Hand, heißt es.
Die Rute hingegen würde als Werkzeug Gottes dienen.
Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn.
Wer ihn aber liebt, der züchtigt ihn bei Zeiten, heißt es in der Bibel.
Die Auslegung der zwölf Stämme, von bei Zeiten, heißt manchmal stundenlang und züchtigen ist hier immer mit Schlägen verbunden.
Wenn Robert ein Kind schlägt, ist es für ihn wie Arbeitsroutine.
So sehr hat er die Vorgaben schon verinnerlicht.
Sein Verhalten rechtfertigt er selbst damit, dass er im Gegensatz zu anderen aus der Gemeinde wenigstens vorhersehbar wäre in seinen Handlungen.
Als er diesen Erziehungsstil aber bei seinen eigenen Kindern anwenden muss, kann er das zunächst nicht so kontrolliert durchziehen.
Als seine Tochter Azara gerade acht Monate alt ist, da muss er es das erste Mal tun.
Er muss ihren Willen brechen.
So will es der Glaube.
Sei ruhig und sitz still, brüllt er sein Baby an, das auf seinen Schoß sitzt und ihn völlig entgeistert ansieht.
Ihre kleinen Hände hält er mit voller Kraft in seinen.
Nach einigen Minuten fängt sie an, sich zu winden und sich aus seinem Griff befreien zu wollen.
Robert drückt fest dazu.
Azara wehrt sich noch mehr, ihr Gesicht wird rot.
Sie schreit so laut sie kann.
Robert drückt ihren Kopf gegen ihre eigene Brust.
In dieser Stellung muss sie verharren, bis sie vor Erschöpfung nicht mehr kann.
Genau das ist die Kapitulation, die die zwölf Stämme erreichen wollen.
Du bist ein guter Vater, lobt Shaloma ihn für sein Durchhaltevermögen und seine Härte.
Doch er fühlt sich alles andere als das.
Als er sich in ein Zimmer zurück und die Tür hinter sich zuzieht, brechen die Tränen aus ihm heraus.
Er fühlt sich seelenlos.
Aber für solche Momente gibt es im Umfeld immer jemanden, der einen wieder auf den richtigen Weg bringt.
Der ihn überzeugt, dass das, was Robert tut, das Richtige ist.
Nur so sind die Kinder in der Hand Gottes.
Also macht Robert weiter, bis auch das für ihn Routine wird.
Gorchen die Kinder nicht, haben die Eltern versagt.
Die Erziehung wird streng von Mitgliedern kontrolliert.
Ein Zulascher Umgang hat in anderen Gemeinden schon zu einem Ausschluss der Familien geführt.
Die Zukunft der Eltern hängt also von ihren Kindern ab.
Robert beobachtet über all die Jahre, wie manche Eltern regelrecht an ihren Kindern verzweifeln und teilweise völlig unkontrolliert auf sie einhauen.
Warum überhaupt, das sagt man den Kindern erst ab dem sechsten Lebensjahr.
Ansonsten verdienen sie keine Begründung.
Sie müssen Folgen nicht verstehen.
Mit zwölf Jahren sind viele der Kleinen ständig von einem schlechten Gewissen geplagt.
Und das ist das Ziel.
Fehltritte sollen gefälligst selbst gestanden werden.
Die Schläge sind aber nicht die einzige Demütigung, die die zwölf Stämme ihren Kindern antun.
Jeden Samstag müssen sie sich vor allen anderen Gemeindemitgliedern offenbaren.
Jedes Kind muss erklären, ob es ein artiges war oder nicht.
Ein Kelch geht dann um die Reihen und jeder, der ihn in der Hand hat, muss dann etwas sagen.
Ein Junge sagt, ich darf heute vom Sieges Kelch trinken, weil ich die Züchtigung meines Papas ohne Murren empfangen habe.
Das Kind ist sichtlich stolz darüber.
Ein Mädchen darf nicht davon trinken, weil sie ihrer Mutter einen Keks gemopst hat.
Robert sieht dieses Ritual als eine Art Gerichtsprozess der Gemeinde an.
Und natürlich ist diese Prozedur mit einer Menge Scham verbunden, auch für die Eltern, wenn ihr Kind nicht vom Kelch trinken darf.
Es ist nicht das Ritual, das Robert irgendwann wieder auf Abwege bringt.
Und es sind auch nicht die Rutenschläge.
Shaloma wird nach der Geburt ihres dritten Kindes psychisch krank.
Als Robert die Ältesten deswegen konsultiert, sehen sie das Problem nicht in der Psyche seiner Frau, sondern in seinem Glauben.
Eine Psychose ist keine Krankheit, sondern dein geistiges Problem, sagen sie ihm und raten, die Krankheit mit Gebeten auszutreiben.
Ihr Zustand verschlechtert sich daraufhin aber so dramatisch, dass Shaloma irgendwann Robert und ihre eigenen Kinder nicht mehr erkennt und sogar Essen und Trinken verweigert.
Weil er einfach nicht mehr weiter weiß, widersetzt er sich den Anweisungen des Ältestenrats und bringt Shaloma in die Psychiatrie.
Die Psychopharmaka, die sie ihr dort verschreiben, schlagen schnell an.
Dieses Ereignis hat Spuren bei Robert hinterlassen und in ihm regt sich der Wunsch, mit seiner Frau außerhalb der Gemeinde glücklich zu werden.
Shaloma stimmt einem Versuch zu, aber die Zeit ist schwer für die junge Familie.
Die Zwölfstämme machen es aus, steigern fast unmöglich, sich außerhalb der Reihen zurechtzufinden.
Und für Shaloma ist es besonders schwer, weil sie als Kind in die Gemeinde hineingeboren wurde.
Sie kann sich in der neuen Welt, die nach ganz anderen Regeln lebt, einfach nicht zurechtfinden.
Sie hatte sie ja nie vorher betreten.
Wenn sie mit anderen Frauen in Kontakt ist und die übers Fernsehen reden, dann weiß sie nicht, was sie sagen soll.
Sie wird zurück nach Klosternzimmern.
Robert hadert mit sich.
Aber zu diesem Zeitpunkt überwiegt sein Wunsch, die Familie zusammenzuhalten.
Außerdem hat er Angst, dass die Zwölfstämme die Kinder und auch seine Frau dann wegbringen könnten.
Also weg von ihm.
Er will sich später nicht vorwerfen lassen, nicht alles getan zu haben.
Bei seiner Rückkehr aber verkündet die Gemeinde, dass er das Recht auf seine Frau und die Kinder verwirkt hätte.
Er könne froh sein, dass seine Kinder wieder aufgenommen werden und weiterhin in der Hand Gottes leben dürfen.
Robert besteht eine harte und lange Bewährungsprobe, in der er nicht weiter der Verantwortliche seiner Kinder ist.
Dennoch erlauben die Ältesten ihm irgendwann, Shaloma wiederzusehen.
Und obwohl die Beziehung zwischen den beiden sich merklich verändert hat, zeugen sie noch ein weiteres Kind.
Seine anderen drei werden indessen von der Gemeinde und Shalomas Vater aufgezogen.
Mit harter Hand.
Sein jüngster Sohn leidet besonders darunter.
Er ist damals ein Jahr alt und erlebt kaum eine Mahlzeit ohne Schläge.
Nachdem Shaloma zwei Jahre nach dem ersten Ausstieg direkt nach der Schwangerschaft wieder unter den gleichen Symptomen leidet,
unternehmen die beiden einen weiteren Fluchtversuch.
Aber auch der ist nicht von Erfolg gekrönt.
Für Shaloma ist ein Leben außerhalb der zwölf Stämme Sünde und für ihr Verlassen wird Gott sie bestrafen.
Da ist sie sich sicher.
Eigenständig zu denken und Entscheidungen zu treffen gelingt ihr ebenso wenig, wie sich an die neuen Umstände zu gewöhnen.
Sie kehrt zu den zwölf Stämmen zurück und kommt nie wieder.
Robert erfährt irgendwann, dass sie seine Frau in die USA verschickt haben, damit sie weit weg und damit unanfällig für weitere Annäherungsversuche von ihm ist.
In den USA wird sie als Heldin gefeiert.
Immerhin war ihr Glaube zu Gott stärker als die Liebe zu ihrem Mann und zu ihren eigenen Kindern.
Toll.
Roberts Kinder haben manchmal Probleme, sich in den neuen sozialen Gefügen zurechtzufinden.
Streit ertragen sie nur schwer.
Heute schämt Robert sich für das, was er seinen Kindern angetan hat.
Sie mussten die Konsequenzen dafür tragen, dass er sich spirituell als etwas Höheres sehen wollte.
Aber durch seine Entscheidung auszusteigen, haben sie jetzt die Möglichkeit, mit immerhin einem Elternteil außerhalb der Sekte glücklich zu werden.
Das sah kurzzeitig bei anderen Kindern nicht so aus, was mich zu meinem Aha bringt.
Dem Kindesentzug der zwölf Stämme aus dem Jahr 2013.
In dem Jahr habe ich eine Reportage im Fernsehen gesehen und da habe ich auch das erste Mal von den zwölf Stämmen gehört.
Da hatte sich nämlich über Wochen ein RTL-Reporter, Wolfram Kunig, undercover bei den zwölf Stämmen eingeschleust.
Kunig kennen wir hier im Podcast ja schon.
Das war der Reporter, der zusammen mit Lydia Wenicke und Sabine den Internet-Saddisten gestellt und überführt hat.
Kunig hat sich unter anderem mit der Hilfe von Robert Pleyer in die Gemeinde in den Klosterkirchen eingeschleust.
Da ist Robert dann ja schon zwei Jahre kein Mitglied mehr zu dem Zeitpunkt.
Und von Wolfram Kunig wollte ich wissen, wie die Kinder dort auf ihn gewirkt haben.
Die Kinder waren neugierig auf jemanden Neues, auf Fremde, waren aber deutlich verhaltener und zurückhaltender und kontrollierter
als es normale Kinder waren, die ich kannte, die in unserer Gesellschaft groß geworden sind.
Man merkte, dass sie sich nicht trauten, dass sie etwas unterdrücken mussten und nicht so offen auf jemanden zugehen konnten,
wie sie es vielleicht eigentlich gewollt hätten.
Ich habe keine Kinder spielen sehen. Das war einfach nicht vorgesehen, sondern die Kinder haben eigentlich immer, wenn sie Zeit hatten, Aufgaben bekommen.
Also sie haben den Erwachsenen geholfen auf den Feldern sowieso, aber auch in der Solarindustrie haben sie mithelfen müssen.
Also das Spielen für die Kinder war verboten.
Das liegt auch daran, dass der Gründer der zwölf Stämme die Kinder der Gemeinschaft als etwas ganz Besonderes ansieht.
Er sagt, von allem, was sie tun, müssen sie profitieren.
Unsere Kinder sind nicht wie die da draußen.
Übrigens, Kinder haben hier in Deutschland erst seit dem Jahr 2000 das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung.
Wenn Eltern trotzdem schlagen, dann können sie sich nach § 223 StGB strafbar machen.
Bei seinen Recherchen hat Kunig festgestellt, dass das Jugendamt zwar schon lange den Verdacht hatte, dass die Kinder dort geschlagen werden,
aber bisher nie eingreifen konnte, weil einfach die Beweise dafür fehlten.
Also entschließt sich Kunig, Kameras in den Disziplinarräumen zu installieren.
Als er seinen Einsatz dann da abbricht, nimmt er die Kameras mit, ohne zu wissen, was er eigentlich da aufgenommen hat.
Und als ich damals die Bilder gesehen habe, haben die mich so aufgewühlt, dass ich nachts jemanden anrufen musste, weil ich nicht mehr einschlafen konnte.
Also haben die da alles gezeigt oder wie bei RTL dann?
Ja, nicht alles. Die haben es schon zensiert gezeigt, aber schon das war grausam genug.
Die Reportage gibt es online leider nicht mehr anzusehen.
Deswegen erzählt uns Wolfram Kunig jetzt, was man auf den Aufnahmen sehen konnte.
Auf den Videos ist deutlich zu erkennen, wie mehrere Kinder in diesen dunklen, langen Raum geführt werden, wo am Anfang eine Glühbirne ist,
das Licht nach hinten hin eigentlich immer weiter abnimmt.
Das heißt, wenn sie bei der Bestrafung gucken konnten, dann guckten sie ins Schwarze und nicht ins Helle.
Das Kind musste sich vorhin hinstellen, die Hose runterziehen und sich nach vorne beugen.
An der Wand war ein kleines Regal. In diesem Regal waren verschiedene Stöcke, verschiedene Stockgrößen und Stocklängen.
Unterschiedlich dick auch, sodass derjenige je nach Lust und Laune eigentlich einen Stock auswählen konnte, um das Kind damit zu bestrafen.
Ob der auch drei oder fünf oder zehn Schläge gemacht hat auf den nackten Hintern des Kindes, das blieb ihm überlassen.
Es gab da keine Kontrolle, keine Vorgaben.
Ja, die Schläge wurden dann ausgeführt und nach den Schlägen wurden gegebenenfalls Tränen getrocknet, das Kind kurz aufgerichtet, die Hose hochgezogen und dann ging es zurück in das alltägliche Leben.
Ja, und in einer Szene geht es dann darum, dass ein Kind offenbar ins Bett soll und das Kind sagt dann zu der Frau, mit der es da im Keller ist, ich bin nicht müde.
Und dann muss es sich nach vorne beugen, dann wird geschlagen, dann sagt die Frau, sag ich bin müde. Und das Kind weint und das geht ungefähr fünfmal so.
Dass das Kind sagt, das ist nicht müde.
Nee, das Kind sagt dann einfach nach dem ersten Mal nichts mehr, sondern weint nur und es wird durchgezogen, bis das Kind sagt, ich bin müde. Und dann ist es gut.
RTL hat diese Aufnahmen aber nicht nur für die Reportage benutzt.
Ich bin dann nach Rücksprache mit RTL möglichst schnell mit einem Kamerateam zum Jugendamt gefahren und habe vor laufender Kamera dem Leiter des Jugendamtes die Aufnahmen gezeigt und der Mann war geschockt.
Dem standen zwischendurch die Tränen in den Augen und ich habe ihn dann gefragt, ist das das Material, sind das die Beweise, die sie brauchen, um endlich tätig zu werden?
Und er hat dann mit stockener Stimme gesagt, ja, das ist das, was wir gebraucht haben, was uns gefehlt hat und selbstverständlich werden wir jetzt sofort tätig werden.
Tätig werden heißt, dass sie wenige Tage später mit mehreren Polizisten den Hof umstellten und 40 Kinder aus der Sekte herausholten.
Einige wurden dann aber auch bald schon wieder zurückgebracht und andere kamen zu Pflegeeltern oder ins Heim.
Aber es ist halt ein herber Schlag für die Sekte gewesen, weil einige Mitglieder daraufhin ausgetreten sind, weil sie mit ihren Kindern zusammenbleiben wollten.
Also sie hatten dann quasi die Wahl, ihr bekommt das Sorgerecht zurück, aber nur, wenn ihr euch von der Sekte distanziert.
Andere Kinder gingen dann, als sie volljährig waren, auch wieder von alleine zurück.
Vier der Elternpaare klagten sogar vor dem Europäischen Gerichtshof gegen den Sorgerechtsentzug, allerdings ohne Erfolg.
Und auch andere Sektenmitglieder mussten sich dann wegen Misshandlungen vor Gericht verantworten.
Eine Lehrerin der Sekte wurde in Deutschland sogar wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt.
Ihre Disziplinarmaßnahmen waren noch härter als die von Robert.
Sie hatte die Kinder beim Stottern oder bei schlechten Vorlesen sogar verdroschen.
2017 siedelten dann letztendlich alle Mitglieder der Zwölfstämme nach Tschechien über und gaben damit ihren Sitz hier in Deutschland auf.
Tschechien hält es nämlich da ein wenig lockerer mit Kindesmisshandlungen und dem Heimunterricht.
Die Schläge und die Inhalte, die die Kinder gelehrt bekommen, sind aber nicht die einzigen Dinge, die den Kindern dort schaden.
Aussteiger der Zwölfstämme berichten davon, dass die Ernährung sehr einseitig ist.
Und außerdem gibt es da kaum Arztbesuche.
In der Gemeinde in Suess stirbt 1995 ein Baby an einem Herzfehler.
Bei der Obduktion wird dann außerdem eine akute Rachitis festgestellt, die ebenfalls nicht behandelt wurde.
Es ist ein Vitamin-D-Mangel und der kann zum Beispiel entstehen, wenn die Kinder zu wenig Sonne bekommen haben oder sich eben nicht ausgewogen ernährt haben.
Und davon werden die Knochen so weich.
Den Eltern wird daraufhin das Sorgericht für ihre anderen Kinder entzogen und sie wandern ins Gefängnis.
Dafür werden sie bei den Zwölfstämmen gefeiert und als Märtyrer angesehen.
Robert schreibt in seinem Buch, dass ein ältester, dessen Baby ebenfalls verstorben ist, mal zu ihm gesagt hat,
Gott gibt Leben und Gott nimmt Leben.
Das ist also seine Erklärung dafür.
Ich finde es halt schwierig, dass man auch nichts dagegen machen kann, wirklich.
Die sind jetzt halt woanders hingezogen, okay.
Und einige Kinder sind aber auch direkt nach dem Kindesentzug wieder da hingekommen.
Und wie kann man diesen Leuten helfen, die selber gar nicht checken, dass sie Hilfe brauchen?
Gerade die Kinder, die da reingeboren werden, kennen es halt nicht anders.
Für die ist das völlig normal.
Roberts Buch, das er geschrieben hat, heißt Der Satan schläft nie.
Und das war meine Hauptquelle für die Recherche.
Das finde ich wirklich empfehlenswert, weil das Roberts gesamte Reise beschreibt, also von Anfang bis Ende.
Und er hat zusammen mit dem Journalisten Axel Wolfsgruber geschrieben, der auch mal zu den zwölf Stämmen recherchiert hat.
Und mal abgesehen davon, dass ich das für einen Erfahrungsbericht wirklich gut geschrieben finde, ist es auch authentisch.
Also er reflektiert natürlich am Ende aus seiner Sicht heute, aber er tut nicht so, als hätte er das alles währenddessen schon ganz furchtbar gefunden.
Weil das hat er ja auch nicht.
Er war ja Teil dessen.
Und er war ja zumindest zeitweise auch von diesem System überzeugt.
Ja, und es ist auch wichtig, dass AussteigerInnen im Nachhinein dazu stehen, um zu zeigen, dass auch viele freiwillig dort bleiben und nicht immer mit Gehirnwäsche oder Gewalt dazu gezwungen werden.
In meinem Fall heute geht es aber genau um so eine Geschichte.
Und die erzählt von einem Mann, dessen Liebe so groß war, dass er 40 Jahre in der Hölle überlebt hat.
Sommer 1956.
Wolfgang ist neun Jahre alt.
Zusammen mit seinen Eltern ist er an diesem Augusttag in einem kleinen Ort in der Nähe von Wolfsburg.
Dort findet an diesem Wochenende eine Zeltfreizeit statt.
Ein Paul Schäfer soll dort die Bibel auslegen und Erwachsene taufen.
Ein faszinierender Mann, sagen sie.
Ein Gottesmann.
Einer, der etwas bewegen will, hatte Wolfgangs Mutter ihm aufgeregt erzählt.
Und da kommt er auch schon auf ihn zu.
Der Mann, wegen dem hier heute alle versammelt sind.
Rote Haare, Sommersprossen sind des Teufels Volksgenossen.
Kommentiert Schäfer Wolfgangs Aussehen und fährt ihm dabei mit der Hand durch die Haare.
Der kleine Mann mit dem auffälligen Glasauge sorgt bei Wolfgang für ein ungutes Gefühl.
Doch alle anderen scheinen von ihm begeistert.
Der Wanderprediger tritt prophetisch auf.
Ganz so, als hätte ihn Gott geschickt.
Bisher hat er schon mehr als 40 Anhänger um sich geschart, denen er einen intensiven christlichen Glauben bietet und von denen er totale Hingabe verlangt.
An diesem Tag sieht Wolfgang, wie diese Menschen Schäfer gespannt zuhören, wie sie zusammen beten und singen.
Von diesem Gesang wird Wolfgang wie magisch angezogen.
Genauer, von einer hellen Stimme.
Sie gehört einem Mädchen in weißem Sommerkleid, das neben anderen Sängerinnen auf der Bühne steht.
Als Wolfgangs Eltern irgendwann nach Hause wollen, müssen sie ihn von der Bühne wegzehren.
Und als er im Auto auf der Rückbank sitzt, hat er immer noch ihre Stimme im Ohr und ihr Bild im Kopf.
Das Bild von Gudrun.
Drei Jahre später sieht Wolfgang Paul Schäfer wieder.
In einem Kinderheim in Heide bei Siegburg, in das Wolfgang von seiner Mutter geschickt wurde,
weil sie der Meinung ist, dass Wolfgang bei einem Mann wie Schäfer besser aufgehoben sei.
Dieses Haus gehört zu einem Gebäudekomplex, den Schäfer erst vor kurzem hat bauen lassen.
Der Prediger wollte schon lange ein Heim für seine Schäfchen errichten, denn die Gemeinschaft wächst.
Seinen Anhängern schrieb er,
Alle, die dazu bereit sind, ihr persönliches Leben aufzugeben und ihre Arbeitskraft und ihr verdientes Geld der Gemeinschaft zu überlassen,
sollen Kreuzer genannt werden und sind die tragende Gruppe der ganzen Gemeinde.
Alle anderen müssen 10% ihres Lohns an Schäfer abführen.
So konnte er das Haus finanzieren.
Wolfgang kommt am Karfreitag 1959 in Heide an.
Dort sieht er Schäfer auf einer Bühne stehen und brüllen,
heute ist Karfreitag, tut Buße, ihr Sünder.
Dann muss jeder seine Sünde aufschreiben und den Zettel in einen Kasten werfen.
Wolfgang will zurück nach Hause.
Doch dann entdeckt er Gudrun, das Mädchen, das ihn drei Jahre zuvor verzaubert hatte.
In Heide ist Schäfer jetzt nicht nur Oberhaupt der christlichen Gemeinschaft,
sondern auch Erzieher, bei dem die Prügelstrafe hoch im Kurs steht.
In einem seiner Rundbriefe schreibt er dazu,
Das Kind wird seine Unarten lassen und sich fürchten.
Durch die ausgestandene Züchtung lernt es, was Wehtun bedeutet.
Wer gegen Regeln verstößt, wird in Heide aber nicht mit Schlägen auf die Finger bestraft,
sondern richtig verprügelt.
So sehr, dass die Kinder danach mehrere Tage auf die Krankenstation müssen.
Wenn sie dann dort liegen, kommt Schäfer zu ihnen ans Krankenbett und tröstet.
Nicht, weil er sie wirklich trösten will, sondern weil er ihre Nähe sucht.
Denn Paul Schäfer vergreift sich an den Kindern. Jeden Tag.
Mit Wolfgangs erster Nacht bei ihm im Zimmer endet auch seine Kindheit ganz abrupt.
Schäfer vergeht sich aber nicht erst an kleinen Jungen, seit es das Kinderheim gibt.
Er wurde schon in anderen Gemeinden auffällig, weshalb er immer weiter zog und so zum Wanderprediger wurde.
Wenn er seiner Gemeinde jetzt von Gott erzählt, erklärt er ihnen immer wieder,
dass die wahren Christen, solche, die göttliche Botschaften empfangen, so wie er, immer verfolgt werden.
Und dass sie sich nicht wundern sollen, wenn man eines Tages auch ihn angreift.
Obwohl Schäfer seine Sexualität jeden Tag auslebt, wird Sexualität an sich von ihm verpönt.
In seinen Predigen verteufelt er körperliche Begierden und die sogenannte Fleischeslust.
Schon früh soll in den Kindern der Gemeinde verankert werden,
dass Paarung und Fortpflanzung für Tiere sei und Männer und Frauen nicht zusammengehören.
So wie an einem Abend, nachdem ein paar Jungs, darunter Wolfgang, heimlich Fußball gespielt haben.
Bei dem darauffolgenden Verhör sagt Schäfer zu Wolfgang,
da waren sieben Jungs, die haben beobachtet, dass du dich extra so hingeworfen hast wegen der Mädchen, die hinter dem Tor standen.
Ich habe die gar nicht gesehen, sagt Wolfgang und Panik steigt in ihm auf.
Wolfgang versucht zu erklären, dass er gelernt hat, so einen Ball zu fangen.
Doch vergeblich.
Schlagen, befehlt Schäfer, und sieben Jungs stürzen sich auf Wolfgang.
Danach muss Wolfgang seine Sünde aufschreiben, solange bis Schäfer findet, dass er die richtige Formulierung verwendet.
Kurz, wie alt ist Wolfgang zu dem Zeitpunkt jetzt?
Zwölf.
Im Laufe seiner ersten Monate in Heide merkt Wolfgang, dass man lieber gleich schreibt, was Schäfer will.
Dann braucht man den eigenen Willen gar nicht erst anstrengen, denkt er.
Über den eigenen Willen schleicht sich der Teufel ein, sagt Schäfer.
Mit Gudrun kann, beziehungsweise darf Wolfgang in seiner Zeit in Heide nur wenige Worte wechseln.
Einmal sagt er, ich möchte mal mit dir sprechen.
Doch er sagt es nur ganz leise, nur zum Üben.
1961 wird Schäfer wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt.
Einige Eltern hatten sich zusammengetan und dazu durchgerungen.
Kurz danach betritt er die Bühne des Versammlungsraums in Heide.
Er hat eine Prophezeiung.
Wir gehen verloren.
Wir haben den Ruf Gottes, wir sollen dieses Land verlassen und nach Chile gehen.
Chile hat sich Schäfer ausgesucht, weil das Land ihn nicht ausweist und er Kontakte zur chilenischen Botschaft in Deutschland hat.
Er prophezeit Gefahr durch Krieg in Deutschland und ein urchristliches Leben im gelobten Land Chile.
Dass er die größte Gefahr für alle ist, glaubt keiner.
Denn das, was Schäfer sagt, ist für die Gemeinde richtig und wahr, denn er ist ihrem Gott am nächsten.
Schäfer flieht als erstes, gemeinsam mit seinen engsten Vertrauten.
Danach werden die Kinder nach Chile gebracht, die gegen ihn aussagen könnten.
Offiziell heißt es, sie würden Urlaub in Dänemark machen.
Welche Eltern, die nicht in Heide wohnen, damals wirklich wissen, wohin ihre Kinder reisen, ist im Nachhinein nicht mehr festzustellen.
Viele der Einverständniserklärungen sind gefälscht.
Um 15 Uhr am 27. Juni 1961 landet Wolfgang in Santiago de Chile.
14 Jahre ist er mittlerweile alt.
Es geht immer weiter südlich, bis er und seine Gruppe ein Gebiet mit der Größe von 300 Quadratkilometern erreicht.
Abgeschottet von der Außenwelt liegt hier Schäfers Paradies.
Warte mal, das gehört dem alles?
Ja, das hat er gekauft.
Aber vom Geld seiner Anhänger, ja.
Von dem Geld der Eltern, der Kinder.
Ja.
Doch als Wolfgang dort ankommt, findet er nichts außer ein paar Zelten vor.
Die erste Zeit in seiner neuen Heimat ist hart für den Heranwachsenden.
Wenig Schlaf, körperliche Arbeit, keine Privatsphäre, keine Hygiene und nicht viel zu essen.
Doch mit der Zeit kommen immer mehr Mitglieder aus Deutschland nach und packen mit an.
Insgesamt rund 300 Menschen.
Darunter irgendwann auch Gudrun.
So bauen sie in den nächsten Jahren aus dem Nichts eine Siedlung mit Straßen, Häusern, Fabriken, landwirtschaftlichem Betrieb, einem Krankenhaus und Restaurants.
Die Colonia Dignidad entsteht.
Die Kolonie der Würde.
So nennt Schäfer die Gruppe.
Ein zynischer Name führt Schäfer hier doch alles, was er in Deutschland getestet hat, noch organisierter und strenger durch.
So werden Männer, Frauen und Kinder getrennt, Familien auseinandergerissen.
Sie dürfen nicht mehr zusammen schlafen, nicht zusammen essen und mit der Zeit auch nicht mehr miteinander reden.
Nach einigen Jahren erkennen Kinder ihre Eltern nicht mehr, wenn sie sie zu besonderen Anlässen sehen dürfen, zum Beispiel für repräsentative Fotos.
Denn nach außen soll alles nach bayerischer Idylle mit Frauen in Dirndeln und Männern in Lederhosen aussehen.
Und das alles in Schiele.
Ja.
Also diese Videos, das glaubst du nicht.
Das sieht aus wie so ein bayerisches Volksfest da, ja.
Doch die Colonia Dignidad ist Zwangslager statt bayerischer Idylle und Sekte statt christlicher Gemeinschaft.
Bis zu 16 Stunden müssen die Mitglieder täglich unbezahlt arbeiten.
Und wenn nicht ordentlich gearbeitet wird, gibt es Maßnahmen, um die von Schäfer behauptete Besessenheit zu behandeln.
Maßnahmen bedeuten dann zum Beispiel, dass alle auf einen einprügeln, mit Fäusten, Stöcken und Kabelenden,
solange bis man zusammenbricht und ins Krankenhaus kommt.
Dort wird man dann schlimmstenfalls mit Elektroschocks behandelt,
bis man sich nur noch an die eigene Schuld erinnern kann.
Und wenn ein Mitglied beobachtet, dass ein anderes nicht richtig arbeitet oder sonst gegen irgendeine Regel verstößt,
dann muss dieses das petzen.
Sowieso muss alles gebeichtet werden in der Colonia Dignidad, auch Gedanken.
Schäfer sagt nämlich, dass man den Teufel blamieren und ihn somit entmachten kann, wenn man Sünden laut ausspricht.
Die soll man aufschreiben und ihm aushändigen.
Dabei werden aber auch Taten gebeichtet, die niemals stattgefunden haben,
weil Schäfer seine Leute zu Falschaussagen zwingt.
Dadurch sammelt er ganze Ordner unterschriebener Lügen, die ihm als Druckmittel zur Verfügung stehen,
und schafft eine Umgebung des absoluten Misstrauens.
Als einige Mitglieder mit der Zeit erkennen, dass sie nicht das bekommen haben, was ihnen versprochen wurde,
wollen sie die Kolonie verlassen.
Um das zu verhindern, wird das Gebiet mit Stacheldraht umzäunt.
Schäfer lässt Überwachungsanlagen aufbauen.
Tonbänder und Kameras laufen auch in Privaträumen mit.
Gott!
Wolfgang traut sich nicht zu fliehen, obwohl er möchte.
Sein Freund Wolfgang Knese traut sich schon.
Der schafft es sogar bis zur deutschen Botschaft in Santiago.
Doch dort wird er festgehalten, bis jemand aus der Kolonie ihn abholt.
Denn Schäfer hat gute Kontakte zu den Behörden.
Denn in seinem Krankenhaus werden auch Chilenen behandelt.
Die dritte Flucht gelingt Wolfgang Knese.
Und so schafft es der Jugendliche 1966, die Kolonie hinter sich zu lassen.
Durch ihn erfährt zum ersten Mal eine größere Öffentlichkeit von den Zuständen in der deutschen Auswandererkolonie.
Man hört von Entführungen, sexuellem Missbrauch, Freiheitsberaubung und brutalen Schlägen.
In Deutschland reagiert die Presse mit Unverständnis auf das Leben in der Kolonie.
Knese erklärt das so.
Bei jeder kleinen Entscheidung, trinke ich Kaffee oder Tee, treffe nicht ich die Wahl,
sondern in meinem Kopf steht Paul Schäfer auf und entscheidet.
Und ich kriege ihn da nicht weg.
Obwohl auch deutsche Behörden auf die Umstände in der Kolonie aufmerksam gemacht werden,
wird von deren Seite nichts unternommen.
Selbst als Amnesty International 1977 aufdeckt,
dass Schäfer mit den chilenischen Behörden zusammenarbeitet
und Teile seines Anwesens für den chilenischen Geheimdienst
und ihre Folterung an Kriegsgefangenen bereitstellt.
Insgesamt sollen rund 120 Deutsche, darunter Botschafter,
und Bürgermeister in der Kolonie vor und nach den Anschuldigungen zu Gast gewesen sein.
Trotzdem geschieht nichts.
1973, vier Jahre nachdem Gudrun in die Kolonie gekommen ist,
traut sich Wolfgang, sie anzusprechen.
Schon lange weiß er genau, welche Wege sie geht
und wo man sich eventuell kurz unterhalten könnte.
Heimlich, denn jegliche Interaktion zwischen Mann und Frau ist verboten.
Eines Tages sagt er dann unauffällig im Vorbeigehen,
ich möchte mal mit dir sprechen, den Satz, den er schon so lange geübt hat.
Gudrun erschreckt sich, aber nicht hier zischt sie.
Sie verabreden sich für abends an einem abgelegenen Kuhfahrt.
Als Wolfgang sich ein paar Stunden später dorthin aufmacht, ist er fröhlich.
So ein Gefühl hat er in Chile noch nie erlebt.
Dann steht sie vor ihm.
Wolfgang fragt, wollen wir zusammenkommen und zusammenbleiben?
Eine Frage, die Gudrun überrascht.
Sie kennt Wolfgang ja gar nicht.
Sie sagt, gib mir ein bisschen Zeit.
Nimm dir alle Zeit, die du brauchst, erwidert Wolfgang.
Aber am nächsten Tag schon sagt Gudrun ja.
Wolfgang ist zu dem Zeitpunkt 27, Gudrun 32.
Was?
Das wäre eine super Geschichte für die Seite Horrordate-Stories auf Instagram.
Sie sind jetzt theoretisch zusammen.
Doch treffen können sie sich nur selten und natürlich nur heimlich.
Für Wolfgang ist die Zeit mit Gudrun der siebte Himmel.
Doch diese Liebe ist gefährlich, denn in der Kolonia bleibt nichts verborgen.
Wolfgang wird also immer wieder zusammengeschlagen.
Doch die Prügel kann der Liebe für Gudrun nichts anhaben.
Der Chefarzt der Kolonie setzt ihn deshalb auf Medikamente.
Dass Wolfgang jetzt täglich Psychopharmaka bekommt, weiß er nicht.
Doch als er versteht, dass die Pillen ihn so träge und teilnahmslos machen,
behält er sie im Mund und spuckt sie aus, wenn der Arzt sich umdreht.
Doch die Blutuntersuchungen verraten ihn.
Also werden sie ihm in Pulverform gegeben und er gezwungen, Wasser hinterher zu trinken.
Drei Monate läuft das so.
Wolfgang bekommt davon schwere Verdauungsprobleme und nimmt bedrohlich viel ab.
Mit der Zeit lernt er die Flüssigkeiten im Mund getrennt zu halten und den größten Teil der Medikamente so gut es geht nicht zu schlucken.
Nach den drei Monaten versuchen Gudrun und Wolfgang, sich wiederzusehen.
Einmal treffen sie sich in der großen Autohalle.
Nur kurz.
Es reicht gerade so für ein paar Worte und eine Umarmung.
Doch jemand beobachtet, wie Wolfgang mit Gudrun aus dem Auto steigt
und sich danach den Träger seiner Latzhose zurecht drückt.
Er rennt zu Schäfer und erzählt, die beiden hätten miteinander geschlafen.
Es ist nicht immer so, dass die beiden verpetzt werden.
Manche freuen sich auch heimlich für sie.
Doch an diesem Tag wird Wolfgang wieder einmal verprügelt.
Auch Gudrun erhält Maßnahmen.
Weil sie eine Frau ist, ergeht es ihr noch schlechter.
Frauen sind in der Kolonia Dignitat nämlich weniger wert als Männer.
Sie haben Hurengeister im Bauch, so Schäfer.
Die gehören ihnen ausgetrieben, bis sie die Männer nicht mehr verführen
und keine Kinder mehr kriegen können.
Um das zu bewerkstelligen, werden sie geschlagen
und an intimen Stellen mit Elektroschocks behandelt.
Gudrun hält es nicht mehr aus.
Unter einem Vorwand beschafft sie sich ihren Pass
und schafft es sogar bis zur österreichischen Botschaft.
Doch von da wird sie wieder abgeholt.
300 Kilometer hatte sie bis dahin zurückgelegt.
Wie, weiß sie heute nicht mehr.
Die Erinnerungslücken haben etwas mit den Maßnahmen zu tun.
Sie weiß nur noch, dass sie ins Krankenhaus musste und eine Spritze bekam.
Um dem Verhalten von Wolfgang und Gudrun ein endgültiges Ende zu setzen,
wird Wolfgang drei Jahre auf See geschickt und Gudrun auf Medikamente gesetzt.
In diesem Zustand muss sie dann einen Brief unterschreiben, in dem steht
»Ich sage mich los von Wolfgang.
Ich will nie wieder etwas mit Wolfgang zu tun haben
und werde auch nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.«
Der Zettel wird Wolfgang vorgelegt.
Danach vergehen Jahre, in denen Wolfgang Gudrun weder sieht, noch etwas von ihr hört.
1997 taucht Schäfer dann plötzlich ab.
Chilenische Mütter hatten ihn wegen sexueller Übergriffe auf ihre Kinder angezeigt.
Nachdem in der Kolonie keine Kinder mehr nachgekommen sind, weil Sex verboten ist,
holte sich Schäfer seine Opfer im Umland.
Daraufhin flieht er nach Argentinien.
Den wahren Grund für seine Flucht erfährt die Gemeinde nicht.
Doch viel ändert sich für sie nicht.
Schäfer hat die Mitglieder mittlerweile so unter Kontrolle,
dass er auch aus hunderten Kilometern Entfernung Macht auf sie ausüben kann.
Auch auf Wolfgang, der kurz nachdem Schäfer verschwunden ist, einen Brief von ihm erhält.
»Wenn du darüber sprichst, was nachts war, lasse ich dich umbringen.
Wenn du diesen Brief gelesen hast, verbrenn ihn.«
Dass Wolfgang den Brief verbrennt, wird er sich nie verzeihen.
Drei Jahre später hört Wolfgang, dass Schäfer nie mehr zurückkommen wird.
Und plötzlich steht Gudrun vor ihm.
Sie sagt ihm, dass alles, was in dem Brief stand,
den sie vor mehr als zehn Jahren unterschreiben musste, gelogen war.
Wolfgang kann sein Glück nicht fassen.
Und als Schäfer 2005 in Argentinien aufgespürt und festgenommen wird,
trauen sich Wolfgang und Gudrun endlich, die Kolonie zu verlassen.
Doch sie sind nur zwei von wenigen.
Viele Kolonisten verhalten sich weiterhin feindlich gegenüber Außenstehenden,
gegenüber Weltmenschen, wie sie sie nennen.
Einige von ihnen besuchen Schäfer sogar im Gefängnis,
bringen ihm Geschenke und holen im Austausch Befehle ab.
Nach all der Zeit halten sie an ihrem Führer fest.
Als Wolfgang und Gudrun 2005 nach Deutschland kommen,
finden sie sich in einem fremden Land wieder,
mittellos und unwissend, wie man ein selbstbestimmtes Leben führt.
Ihre Körper sind geschunden durch jahrelange Zwangsarbeit, Gewalt und Missbrauch.
Wie alt sind sie da jetzt?
Ja, um die 60.
Ihnen wird klar, dass ihnen ihr Leben geraubt wurde.
So nennen sie auch ihr Buch, das sie zusammen mit der Soziologin Ola Fröhling schreiben.
Unser geraubtes Leben.
Und trotzdem geben die beiden nicht auf.
Sie bauen sich ein Leben in Deutschland auf,
zeigen sogar den ehemaligen Koloniearzt an,
der übrigens heute einfach in Deutschland lebt
und keinerlei Verantwortung übernehmen musste für seine Taten in Chile.
Quatsch.
Ja, das war der, der diese ganzen Psychopharmaka rausgegeben hat,
Elektroschocks und so weiter.
Der ist dann halt auch geflohen,
als Schäfer geschnappt wurde und dort quasi alles aufflog.
Gudrun und Wolfgang setzten sich nach ihrer Rückkehr
auch für Aufklärung zum Thema Sekten ein.
Und manchmal, da träumt sich Wolfgang zurück zu dem Moment,
in dem er neun Jahre alt war und auf der Zeltfreizeit Gudrun zum ersten Mal sah
und dachte, das ist sie, meine Frau.
Wegen seiner großen Liebe zu ihr, konnte er 40 Jahre Hülle überstehen.
Da ist er sich sicher.
So ist, ja.
Was ist denn aus den anderen Mitgliedern der Sekte geworden?
Ja, dort leben heute noch so 120 Menschen
und das nennt sich jetzt nicht mehr Colonia Dignitat,
sondern Via Baviera, also bayerisches Dorf.
Und da kannst du heute Urlaub machen und Schweinshaxe essen.
Toll.
Ja, es wird auch kritisiert,
dass die Menschen dort sich nicht richtig mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen.
Aber das ist natürlich auch schwer,
weil die meisten sind da schon ihr ganzes Leben
und sehen dann wohl auch keine Alternative
und bleiben deshalb in Chile.
In dem Buch über Wolfgang und Gudrun schreibt Olaf Röhling,
dass ihre Geschichte auch eine Geschichte über Resilienz ist.
Zitat
Über die Fähigkeit, Unerträgliches zu erleben
und sich dennoch einen unzerstörten Kern zu bewahren.
Und damit komme ich zu meinem Aha,
das sich mit der Frage beschäftigt,
warum Menschen wie Gudrun und Wolfgang
40 Jahre Missbrauch, Freiheitsberaubung und Folter erleben können,
ohne daran zugrunde zu gehen.
Ein möglicher Erklärungsansatz
ist eben die sogenannte Resilienz.
Und Menschen werden dann als resilient bezeichnet,
wenn sie in großen psychischen und körperlichen Stresssituationen
psychisch gesund bleiben
oder nach einer kurzen Phase von Belastungssymptomen
wieder zur alten Form zurückfinden.
Würdest du, Paulina, sagen,
dass du ein resilienter Mensch bist?
Also ich würde sagen,
dass ich auch nach kurzer Belastung
wieder zu meiner Ursprungsform zurückfinde,
in welchem Zustand diese Ursprungsform ist,
möchte ich nicht kommentieren.
Also ich glaube schon, dass du resilient bist.
Warum sage ich dir am Ende von meinem Aha?
Verschiedene Studien haben ergeben,
dass resiliente Menschen in der Regel zuversichtlicher sind als andere.
Okay, vielleicht dann doch nicht.
Dass sie nicht zu ändernde Situationen schneller akzeptieren
und lösungsorientiert an solche rangehen,
bei denen sie eben glauben,
dass sie noch zu ändern sind.
Es sind normalerweise pflichtbewusste,
verantwortungsvolle Personen,
die eigene Schwächen eingestehen können
und einen guten Zugang zu ihren Gefühlen haben.
Die anpassungsfähiger sind als andere,
ihre Impulse kontrollieren können und offen sind.
Die Resilienzforschung fragt nach den Faktoren,
die die Resilienz beeinflussen
und die Menschen zu dem macht, was sie sind.
Denn mittlerweile gilt Resilienz nicht mehr
als etwas per se Angeborenes,
sondern als Ergebnis am Ende eines Anpassungsprozesses
und auch als lebenslanger Prozess zu sagen.
Und als einer der stärksten Einflüsse
hat die Forschung soziale Beziehungen herausgestellt.
Wer zumindest eine Vertrauensperson hat,
auf die er sich verlassen kann,
wird einen Schicksalsschlag psychisch besser bestehen.
Für Wolfgang war diese Person gut drum und andersrum.
Und obwohl sie sich halt selten sahen
und ja auch teilweise jahrelang auseinandergerissen wurden,
wussten beide doch,
dass sie sich in gewisser Weise aufeinander verlassen können.
Auch soziale Gruppen wie zum Beispiel eine religiöse Gemeinschaft,
eine Partei oder einen Sportverein
können die Resilienz fördern.
Der Soziologe Hartmut Rosa sagt,
kaum etwas ist für uns so wichtig
wie das Gefühl, mit anderen verbunden zu sein,
als Mensch gesehen und anerkannt zu werden.
In Krisenzeiten ist das besonders wichtig.
Auch wenn Wolfgang und Kodo
nicht viele Menschen um sich herum hatten,
die ihnen diese Anerkennung zeigten,
gab es doch einige,
die genauso fühlten und dachten wie sie
und die sie ja auch nicht verpetzten
und sich insgeheim für sie freuten.
Das wussten sie.
Manche Menschen können ihre seelische Widerstandskraft
aber auch zum Beispiel aus starker Naturverbundenheit
oder aus Liebe zur Kunst
oder eben einem tiefen religiösen Glauben ziehen.
Und ob du es glaubst oder nicht,
Gudrun und Wolfgang haben ihren Glauben nicht verloren
und sind auch noch der Meinung,
dass Gott ihnen geholfen hat,
die Zeit in Chile zu überstehen.
Ja, das ist ja tatsächlich auch nicht so ungewöhnlich,
wenn die ehemaligen Mitglieder erkennen,
dass das alles von der Auslegung einer Person ausging
und das gar nicht so viel mit dem Glauben an sich zu tun hatte,
den man halt auch ganz anders ausleben kann.
Ja, ich weiß nicht.
Ich hätte gedacht,
dass man nach so einer Erfahrung
den Glauben vielleicht einfach ganz hinter sich lässt.
Aber auch kognitive Faktoren können Resilienz beeinflussen.
So sind intelligentere und humorvollere Menschen
meist resilienter als andere.
Und welche Rolle unsere Gene spielen,
das wird kontrovers diskutiert und auch noch erforscht.
Aber es gibt Hinweise darauf,
dass die Stressregulation,
die Aktivität des Belohnungssystems
und auch das Wachstum von Nervenzellen Einfluss hat.
Heute ist Resilienz ein Trendwort
und es gibt ganz viele Ratgeber und Trainings,
die man machen kann.
Dr. Raphael Kalisch vom Deutschen Resilienzzentrum
sagt auch, dass Resilienz in gewisser Maße erlernbar ist.
Allerdings sei dies ein langfristiger Prozess,
also eher wie eine Psychotherapie
und man würde jetzt nicht resilient werden,
nur weil man einmal ein Resilienzseminar besucht hat,
das zum Beispiel vom Chef bezahlt wurde
oder von der Chefin bezahlt wurde,
keine Ahnung,
um den Angestellten noch mehr Arbeit aufzubürden.
Aber eine seelische Rüstung gibt es für niemanden.
Der Umgang mit unterschiedlichen Schicksalsschlägen
ist ganz individuell und nur weil eine Person
zum Beispiel mit der Diagnose einer unheilbaren Krankheit
gut umgegangen ist,
kann die Psyche dieser Person
bei einer anderen persönlichen Katastrophe Schaden nehmen.
Vor einer Krise kann man ohnehin schlecht sagen,
ob jemand resilient ist oder nicht.
Es ist vielmehr so,
dass die psychische Widerstandskraft erst in der Krise wächst
und man lernt dann halt eben,
wie man mit wirklichen Problemen umgeht.
Und deshalb bin ich der Meinung,
dass du resilient bist,
weil du genau wie ich schon einige echte Krisen erleben musstest
und die haben dich stärker gemacht.
Krisen sind für uns das,
was für Popeye Spinat ist.
Und für diejenigen,
die glücklicherweise noch keine größere Krise durchmachen mussten,
die Resilienzforschung macht Hoffnung,
denn offenbar ist der Mensch an sich
viel, viel widerstandsfähiger,
als wir allgemein von ihm annehmen würden.
Das wundert mich ja auch manchmal,
was Menschen alles aushalten können.
Ja.
Das finde ich so beeindruckend.
Also sowohl körperlich als auch seelisch.
Aber das macht einen ja auch optimistisch,
dass man denkt,
man schafft dann doch irgendwie alles, ja.
Ich schaffe jetzt trotz hoher Resilienz
wegen des Jetlagts
nicht mehr so lange wach zu bleiben.
Deswegen lass uns mal darauf gucken,
was eine Sekte eigentlich so ausmacht.
Okay, go.
Es ist ja nicht genau geklärt,
was eine Sekte ist und was nicht.
Und weil sich viele Gruppierungen
auch im Verborgenen bewegen,
gibt es keine zuverlässigen Zahlen
über Sekten in Deutschland.
Es soll nur ungefähr ca. 600 Gemeinschaften geben.
Aber damit sind halt eben auch ganz normale,
unproblematische Glaubensgemeinschaften gemeint.
Der Leiter der Evangelischen Zentralstelle
für Weltanschauung sagt aber,
dass die Zahl der Interessenten
heutzutage weiter steigt.
Gerade kleine Gruppen
sind interessant für Sinnsuchende.
Und das liegt zum einen an der Migration,
dann daran,
dass alternative Heilmethoden beliebter werden
und daran,
dass der Selbstcoaching-Markt wächst.
Also durch diesen Selbstoptimierungswahn
entstehen einfach mehr Gruppierungen,
weil sich Menschen
mit denselben Wünschen zusammentun.
Um jetzt eine Sekte,
so wie wir sie kennen,
von anderen Glaubensgemeinschaften
abgrenzen zu können,
gibt es eine Checkliste
für Sektenmerkmale.
Darunter fällt zum Beispiel,
dass man schon beim ersten Kontakt
einen ganz anderen Blick
auf die Welt bekommt.
Die Gemeinschaft hat für jedes Problem
eine Antwort
und die Lösung ist erschreckend einfach,
wenn man denn nach deren Überzeugung lebt.
Oder die Gruppe hat eine Leitfigur,
nach der sie sich orientieren kann.
Die Person alleine kennt die ganze Wahrheit
und ist unangreifbar.
Außerdem schottet sich die Gruppe
von der übrigen Welt ab,
weil alle da draußen Gefallene sind.
Auf Kritik von außerhalb
hat die Gruppe immer ein Gegenargument.
Kritik ist außerdem der Beweis dafür,
dass sie im Recht sind.
Und gerade am Anfang
bleibt für Neulinge
noch relativ verborgen,
was eigentlich das Ziel der Gruppe ist.
Also die Betreuer der Anwerber
halten sich eher vage und ungenau,
wissen aber ziemlich genau,
dass ihr Weg der richtige ist.
Und weitere Merkmale,
darunter fallen dann halt auch welche,
die beschreiben,
warum der Austritt
aus dieser Gemeinschaft so schwierig ist.
Da gehen wir aber später
nochmal drauf ein.
Wichtig ist nur,
dass nicht alle Merkmale
erfüllt werden müssen.
Also manchmal reicht auch eines aus.
Und Sekten
oder potenziell gefährliche Gemeinschaften
können eben ganz ähnliche Merkmale aufweisen
und trotzdem komplett unterschiedlich sein.
Also an ganz andere Dinge glauben,
ganz andere Ziele und Motivationen haben.
Und so bei den Fällen
kann man zum Beispiel
zu Gruppen
mit christlichem Hintergrund zählen.
In solchen Gruppen
geht es eben um eine Einheit
von christlichem Glauben und Leben.
Also Ziel ist es dort,
dass so gelebt wird,
wie Gott es will,
wie es in der Bibel steht
oder wie der Anführer
das mit Hilfe der Bibel eben auslegt.
Und dieser Anführer,
der tritt normalerweise
als eine Art Messias
oder Prophet
oder eben als gottähnliche Figur auf,
die vorgibt,
in direktem Kontakt zu Gott zu stehen.
Daneben gibt es aber auch Gruppen
mit fernöstlichem Hintergrund,
die zum Beispiel im Hinduismus begründet sind.
Und da ist oft der Zugangsweg
dieses Entspannungsbedürfnis.
Und das Ziel ist Erleuchtung
und dadurch eben ein entspannteres,
glücklicheres Leben.
Und die häufigst genutzte Methode
dafür ist die Meditation.
Und in diesem Zusammenhang wird dann
von dem Gruppenführer dort
als Guru gesprochen.
Das klingt jetzt erstmal so harmlos,
aber eine Kollegin von mir,
die hatte sich mal
in so eine Gruppe
hier in Deutschland eingeschleust,
weil der Guru dieser Gruppe
seinen Mitgliedern Drogen
für die Meditation gegeben hat.
Und das soll bei so einer Art
von Sekten
auch das ein oder andere mal vorkommen.
Und wenn wir mal von den Gruppen
mit religiösen Hintergründen absehen,
gibt es eine Vielzahl
an sogenannten Psychogruppen.
Und das sind eben Anbieter,
die psychologische und therapeutische,
oft aber halt so pseudomäßige Angebote
von Lebenshilfe machen.
Und da geht es halt vor allem darum,
dass das Individuum
ein optimiertes Leben führen soll.
Und dazu arbeiten solche Gruppen
eben auf der einen Seite
mit wissenschaftlich nachgewiesenen Methoden,
wie zum Beispiel der Psychotherapie,
aber auf der anderen Seite
auch mit unspezifischen Kräften,
also mit irgendwas Ausgedachtem,
was dann aber eine universelle Kraft
und auch Wirkung haben soll.
Und diese Mitglieder sollen dann
mithilfe der Gruppe
eben eine schnelle
Persönlichkeitsentwicklung durchleben.
Und dazu müssen sie dann halt Kurse,
Seminare oder Workshops machen.
Ja, so wie Scientology zum Beispiel,
weil das ist eigentlich ja
gar keine religiöse Gruppe,
obwohl sie auch dieses Kreuz
als Symbol haben.
Die werden in Amerika
auch offiziell als Religionsgemeinschaft
anerkannt,
aber die haben gar keinen
religiösen Charakter in dem Sinne.
Also bei denen ist es so,
das ist eher eine Glaubensgemeinschaft,
die sagen, dass der Geist,
also der Tetan,
so nennen die das,
im Laufe des Lebens beschädigt wurde
und man diesen dann wieder
zur Ursprungsform zurückbringen muss,
damit der wieder uneingeschränkt funktioniert.
Sie sagen witzigerweise auch,
dass das alles eine Wissenschaft ist,
die den Verstand erforscht hat
und die Quelle von allen
psychosomatischen Leiden
entdeckt hat.
Und die können das beheben,
indem sie Menschen
zu einem optimalen Zustand verhelfen.
Und Menschen in diesem Zustand
hätten dann auch einen höheren IQ
als der Mensch,
der sie vorher waren.
Und wenn man sich so anguckt,
was das kostet,
diesen Zustand zu erreichen,
könnte man davon ausgehen,
dass Scientology halt hauptsächlich
als Antrieb hat,
Geld mit ihren Jüngern zu verdienen.
Denn du besuchst halt diese Seminare
und Kurse,
um immer wieder
einen höheren Status zu erreichen
und die kosten halt voll viel.
Und um den höchsten
Scientology-Status zu erreichen,
musst du um die 250.000 Euro,
wenn nicht sogar noch mehr,
hinblättern.
Also mit armen Mitgliedern
kann Scientology nichts anfangen.
Ich habe gestern eine Doku gesehen,
in der es auch um eine Frau ging,
die eben diesen höchsten Status hatte.
Also die war dieser operierende
Titan Stufe 8.
Und die hat sich aber danach erreichen,
dieses Status,
das Leben genommen.
Also du arbeitest jahrelang
auf diesen Höhepunkt hin,
der dich angeblich freimachen soll
und begehst dann Suizid,
weil du den Körper nicht mehr brauchst.
Weg damit.
Wahrscheinlich, weil du siehst,
dass dich der Status doch nicht
zu einem besseren Menschen gemacht hat.
So ein bisschen in diese Richtung
gehen auch Gruppen aus dem Bereich
des alternativen Gesundheitsmarkts.
Da geht es dann zum Beispiel um Wunderheiler
wie Bruno Gröning.
Der hat nämlich in den 50er Jahren
allen Leuten weismachen wollen,
dass durch ihn ein Heilstrom fließt
und er Menschen heilen kann.
Und damals haben richtig viele Leute
viel Geld dafür bezahlt.
Ich war ja mal bei so einem Wunderheiler,
fällt mir gerade auf für eine Reportage.
Ach, du warst ja da.
Und das war wirklich spooky,
weil da sichtlich viele Menschen hingegangen sind,
die ganz doll krank waren,
die auch teilweise auf schulmedizinische Therapie
verzichtet haben,
weil sie das als nicht sinnbringend gesehen haben
und wirklich der Meinung waren,
dass dieser Mann sie heilen kann.
Und dann haben alle am Ende gebetet.
Dann sind da zwei Leute,
die auf der Bühne standen, umgefallen.
Das ist so eine Show-Einlage von diesem Typen.
Da fällt immer jemand um.
Und als wir dann rausgegangen sind,
habe ich die Leute gefragt.
Und die waren wirklich so,
ja, ich habe den Heiligen Geist gespürt.
Ich so, wie denn?
Ja, da kam so ein Windhauch.
Das ist wirklich traurig gewesen,
was solche Menschen in anderen auslösen
und was die Verhoffnungen in den Wecken
und die da teilweise wirklich gesundheitlich
in eine ganz brisante Lage bringen.
Furchtbar.
Ja, dieser Wunderheiler, dieser Bruno Gröning,
wurde auch wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und verurteilt.
Ja, und dann gibt es natürlich auch noch
die satanistischen Sekten,
die eben Satan huldigen.
Dann sogenannte Endzeitgruppen,
die sich auf das Ende der Welt vorbereiten und wappnen.
Oder auch Gruppen, die an Außerirdische glauben
und mit denen in Kontakt stehen.
Also der Glaube und auch die Motivation
hinter diesen Gruppen
können komplett unterschiedlich sein
und trotzdem gleich gefährlich
für den Einzelnen sozusagen.
Und die Frage ist doch,
wieso schließt man sich solchen Gruppen
überhaupt an oder andersrum gefragt?
Wie kommen solche Gruppen an Mitglieder?
Wurdest du schon mal von einer Sekte
direkt angesprochen oder hast gesehen,
wie andere Leute von Sekten angesprochen wurden?
kann ich mich jetzt nicht dran erinnern.
Wahrscheinlich auch,
weil sie sich ja vorher
nicht als Sekte zu erkennen geben.
Aber eine halbe Stunde,
bevor wir angefangen haben aufzunehmen,
hat es hier bei mir geklingelt.
Nein.
Und da hat der Mann unten gesagt,
er möchte sich ganz gerne mit mir
über einen Vers aus der Bibel unterhalten.
Hat er das über die Sprechanlage gesagt?
Ja.
Hast du gefragt, welcher Person?
Nee, ich habe gesagt,
von euch hatte ich die letzte Zeit genug.
Ja, ich hatte auch, glaube ich,
so zwei bis dreimal in meinem Leben
entweder die Zeugen Jehovas vor der Tür
oder halt auch Menschen,
die mich in irgendeiner Weise bekehren wollten.
Die Rekrutierung von Mitgliedern
ist ja in den meisten Fällen eher subtil, ja.
Also es gibt den traditionellen Postwurf,
Zeitschriften, Kleinanzeigen und Flyer.
Und da steht dann natürlich ja eben nicht drauf,
wir sind eine Sekte, kommen in unsere Reihen,
sondern da ist dann halt eben von der Yoga-Class
oder der Meditation
oder einem Persönlichkeitstest die Rede sozusagen.
Oft rekrutieren die Mitglieder
aber auch aus dem sozialen Umfeld,
was verständlicherweise am effektivsten ist,
weil dann halt schon eine Art Vertrauensbasis herrscht.
Und dazu ist jetzt wichtig zu sagen,
dass Sekten nicht per se Menschenfänger sind
und jeder, der sich irgendwie in der Nähe
einer solchen Gruppe auffällt,
potenziell gefährdet ist.
Denn bei einem Anschluss an eine Gruppe
kommt es immer auf die individuelle Situation
der Person an
und dem Angebot der Gruppe.
Die Bedürfnisse dieser Einzelpersonen
müssen halt von diesem Anbieter gestillt werden
beziehungsweise muss es so aussehen,
als wäre dem so,
damit man sich halt anschließt.
Und besonders gefährdet sind Personen
mit starkem Bedürfnis nach Halt,
Orientierung,
sozialem Anschluss
und auch einfachen Antworten
auf unsere immer komplexer werdende Welt.
Und das kann dann dazu führen,
dass man sich einer Gruppe anschließt,
die eben auch vordergründig
überhaupt nicht potenziell gefährlich erscheint.
Und oft ist es dann auch so,
dass bei diesem ersten Kontakt
genau diese Bedürfnisse angesprochen werden
und dass es am Anfang
zum sogenannten Lovebombing kommt.
Das ist nämlich,
wenn das Mitglied halt
mit ganz viel Liebe empfangen wird
und sich halt intensiv
um dieses neue Mitglied gekümmert wird.
Wenn die dann an Veranstaltungen teilnehmen,
dann gibt es auch meistens
die sogenannte Sandwich-Methode.
Da sagt Hans-Peter Bartels,
der ehemalige Sektenbeauftragte
von Schleswig-Holstein dazu,
dass bei Veranstaltungen
setze ich neben jeden Neuling
zwei bewährte Sektenmitglieder.
Und wenn die beiden lachen,
dann lacht er neu auch.
Und wenn sie klatschen,
dann klatscht er mit.
Auf jeden Fall umlullen die
ihn halt so auch natürlich
mit Glück und Freude,
obwohl die gar nicht von ihm
alleine herauskommt.
Manche Gemeinschaften agieren da
so wie Staubsauger-Vertreter,
habe ich gelesen.
Also die machen einen dann erst mal
auf den ganzen Dreck aufmerksam,
den man zu Hause so hat
und den man vorher
aber auch gar nicht gesehen hat.
Und die haben dann natürlich
gleich die Lösung dafür parat,
also den Staubsauger.
Bei Scientology funktioniert das
mit einem kostenlosen Persönlichkeitstest
und der zeigt einem dann,
was mit einem verkehrt ist
und du denkst dir,
ja, klar,
da habe ich auch echt Probleme bei.
Und als ich in Santa Barbara war,
da wollte ich den einen Tag surfen gehen,
aber es gab keine Wellen
und meine Freundin und ich
sind dann durch die Stadt geschlendert
und vorbei an einer Scientology-Kirche gekommen.
und da dachte ich mir,
so verbringe ich jetzt meinen Tag.
Also betrat Sandra,
wie ich mich nannte,
das war der Name der bösen Katze
aus der Airbnb-Wohnung,
wo wir vorher gewohnt haben.
Also betrat Sandra diese Kirche
und dann habe ich nachdem,
und dann habe ich diesen Test gemacht,
der beinhaltet 200,
ja, nein, vielleicht Fragen,
die du ankreuzen musst.
Und das waren dann so Fragen wie,
bereust du Entscheidungen oft?
Kannst du dich bei Geräuschkulisse
schwer konzentrieren?
Beschimpfst du dich selber?
Ist dein Leben ein Überlebenskampf?
Sowas halt.
Und dieser Test,
der heißt Oxford Capacity Analysis
und hat aber gar nichts
mit Oxford zu tun,
ist wissenschaftlich nicht anerkannt
und erfüllt auch keinerlei Güterkriterien.
Das soll halt einfach nur
diesen wissenschaftlichen Charakter,
den sie sich selber zuschreiben,
unterstreichen.
Auch alleine der Name Scientology
soll ja vermitteln,
dass es hier um Wissen geht.
Und der Gründer behauptet halt auch ständig,
dass Scientology alles Wissenschaft wäre.
Und deswegen sind Zweifler
auch Zweifler an der Wissenschaft.
So, und dann wurde der ausgewertet
von einer unfassbar netten Frau.
Generell waren alle unfassbar nett zu mir.
Die haben sich auch gegenseitig
als Freunde bezeichnet.
Und ich habe mich tatsächlich
sehr wohl gefühlt da.
Und die hat mir dann anhand des Tests erklärt,
woher meine Probleme im Leben kommen.
Das ist ja aber auch nicht schwer,
weil das zeigt dieser Test ja.
Und der Test zeigt ja so, wie ich mich sehe.
Also Menschen mit einer normalen Selbstreflexion
wären dazu auch in der Lage gewesen.
Aber was der Test noch war,
ist für sie natürlich eine perfekte Anleitung gewesen,
wie sie mit mir umzugehen hat.
Weil da stehen natürlich meine ganzen Schwachstellen irgendwie drin.
Naja, auf jeden Fall hat sie mir dann nochmal so erklärt,
wie die das so sehen.
Also, dass jeder Schmerz, den wir erlebt haben,
egal ob körperlicher oder seelischer,
der wird gespeichert.
Ob bewusst oder unbewusst.
Und der reaktive Verstand,
der hat dann in manchen Situationen
die Gefährdgewalt über uns.
Und weil die Grundlage dieses Verstandes der Schmerz ist,
reagieren wir in manchen Situationen halt völlig irrational.
Und deswegen löscht man bei Scientology mit der Dianetic,
das ist dieses angewandte Verfahren,
damit löscht man die Schmerzerinnerungen aus
und schreibt die quasi um.
Und wie?
Durch diese Sitzung.
Und was macht man in diesen Sitzungen?
Du begibst dich quasi auf eine Reise in dein früheres Ich.
Und dann wird man von allen nichtorganischen,
psychischen und psychosomatischen Krankheiten geheilt.
So.
Und diese Anleitung dafür,
die gibt es natürlich in der Dianetic,
also dem Buch,
was dieser Science-Fiction-Autor und Gründer von Scientology geschrieben hat,
das mich nur 25 Dollar gekostet hat.
Und dann habe ich noch die Grundlage des Denkens als Film dazu bekommen.
Ebenfalls für 25 Dollar.
Ja, also 50 Dollar dafür.
Und die liebe Katie, die mich da betreut hat,
die wollte mir dann auch gleich ein Seminar geben.
Das hätte 80 Dollar für diesen Tag gekostet.
Das habe ich dann aber abgelehnt.
Und dann wollte sie natürlich noch alle Kontaktdaten von mir
und hat sich dann auch mir gegenüber als Person so dargestellt,
mit der ich jetzt in Verbindung bin.
Also wenn du in eine neue Gruppe reinkommst,
bist du ja eigentlich auch immer ganz froh darüber,
wenn du irgendeinen Anker hast.
Und sie hat sich für mich als diese Person jetzt zur Verfügung gestellt.
Ich finde es interessant, dass du sagst,
dass du da dich wohlgefühlt hast.
Weil ich,
also wir beide sind ja total skeptisch denen gegenüber
und wissen alles oder wissen viel über sie
und wissen auch genau, dass sie ja das wollen, ja.
Und dann finde ich das krass, dass es trotzdem funktioniert, ja.
Wüsste ich die Dinge nicht, die ich weiß.
Und wäre ich in mir drin nicht so gefestigt,
würde ich glaube ich schon zu den Personen gehören,
die in bestimmten Lebenssituationen eher anfällig für sowas wären.
Und deswegen wollte ich das Seminar auch nicht mehr mitmachen,
weil ich keine Lust hatte, mich indoktrinieren zu lassen,
weil das natürlich auf eine ganz plumpe Weise verlockend ist,
dass dir jemand sagt,
hey, wir können alle deine Probleme gemeinsam lösen
und du bist hier genau auf dem richtigen Weg.
Natürlich sprechen Leute darauf an,
wenn die gerade in einer fiesen Phase sind.
Ja genau, dabei sollten solche Menschen
sich ja nicht an Organisationen wie Scientology wenden,
sondern sich professionelle Hilfe holen,
also bei Psychologen oder Psychologinnen.
Denn wenn man erst einmal Mitglied in solch einer Gruppe ist,
dann kann es dazu kommen,
dass man von außen betrachtet
unhaltbare Zustände durchlebt und trotzdem bleibt.
Und da stellt sich die Frage dann für Außenstehende,
warum das so ist.
Und da gibt es unterschiedliche Hypothesen
und die zentrale ist wohl die Verhaltenshypothese.
Und da wird nämlich davon ausgegangen,
dass die Lehre der Sekte das Verhalten der Anhänger beeinflusst.
Also, dass die Anhänger immer weiter indoktriniert werden
und deshalb nicht aussteigen wollen.
Und das kann auf ganz unterschiedliche Art und Weise passieren.
Zum Beispiel jetzt bei meinem Fall mit der Kolonia Dignitat,
da war das halt durch Folter, ja.
Also durch körperliche Bestrafung,
also durch körperliche Bestrafung, Isolation, Schlafentzug und rund um die Urbeschäftigung
waren die Mitglieder quasi gezwungen, ihre Situation anzunehmen, ja.
Die hatten gar keine Kraft und auch keine Zeit,
irgendwie Distanz aufzubauen oder zu reflektieren.
Und um aus deren Ohrmacht jetzt in die Schäfer sie gedrängt hat herauszukommen,
mussten sie sich dann mit seiner Lehre und ihm irgendwie identifizieren,
um die Zustände 40 Jahre lang zu ertragen sozusagen.
Ja, und ein großer Teil von ihrem Glauben hat ja auch mit Angst zu tun.
Also, dass die Gruppe die Anhänger in dem Glauben lässt, dass der Untergang naht.
Und damit ist jetzt gar nicht gemeint, dass man nicht ins Paradies kommt,
wie bei den Zeugen Jehovas angenommen, wenn man nicht das tut, was die Sekte sagt,
sondern dass du als Mensch auch gefallen bist, wenn du dich von der Gruppe entfernst.
Du bist ja nur in der Sekte auf dem richtigen Weg und da draußen wirst du halt untergehen.
Ob das jetzt ist wie bei den zwölf Stämmen, weil Gott dich dann nicht mehr erlöst
oder du halt in deine alten Verhaltensmuster zurückfällst, wie bei so Psychogruppen.
Du bist da draußen ja niemand mehr, weil sich dein Wert ja bisher immer über die Gemeinschaft definiert hat.
Lea Remini, die Schauspielerin von King of Queens, die ja auch bei Scientology groß geworden ist,
die hat halt auch gesagt, sie wollte halt auch mehr sein.
Sie wollte mehr sein als nur eine Schauspielerin.
Und in ihrer Zeit bei der Sekte dachte sie halt wirklich, dass sie anderen Menschen helfen würde.
Und das soziale Umfeld hält einen auch.
Oft ist es ja so, dass die AnhängerInnen mit Menschen außerhalb der Gruppe nichts mehr zu tun haben.
Ja, und dafür sorgt die Gruppe ja auch, eben genau um das eben zu erreichen.
Um diesen Druck aufzubauen, dass man halt eben mit nichts daraus gehen würde.
Bei Lea Remini war das so, dass sie sich mit der gesamten Familie von der Sekte getrennt hat.
Larry King fragt sie nämlich in einem Interview danach, wenn man schon anfängt, das alles zu realisieren,
warum man dann trotzdem so lange braucht, bis man denn da rausgeht.
Und sie sagt, normalerweise trennen sich Anhänger nicht unbedingt nur von der Sekte,
sondern von ihrer Mutter, von ihrem Vater, von einem Ehemann oder einer Ehefrau teilweise auch
und vielleicht auch von ihren Kindern.
Und da kann der Gruppenzwang auch eine große Rolle spielen.
Denn wenn alle um dich herum sich auf eine bestimmte Art und Weise verhalten,
dann ist es für dich als Einzelperson ja schwer, dich nicht konform zu verhalten.
Weil es auffällt und weil die aber auch überwacht werden, also sie sich gegenseitig überwachen.
So war das bei Robert von den zwölf Stämmen.
Bei ihm war das sogar so, dass wenn er sich zusammen mit Shaloma nicht konform verhalten hat,
dann wusste er am nächsten Tag der Ältestenrat davon.
Und ihm ist erst sehr viel später aufgefallen, dass seine Frau die beiden halt verraten hat,
weil sie Angst davor hatte, was passiert, wenn sie nicht beichtet.
Weil das war ja eben der Druck dahinter, dass wenn man was nicht beichtet,
dann wird Gott sich an einem rächen.
Und deswegen hat sie ihre ganze Beziehung eigentlich überwacht.
Ja, und so kann man halt kontrollieren, ja.
Und wenn dann auch mal Zweifel aufkommen sollten, also doch mal bei jemandem,
dann weiß man ja ganz genau, weiß das sofort jeder.
Und dann geht es halt ganz schnell, diese Zweifel wieder zu relativieren.
Denn wenn jeder zu dir dann sagt, das sind nicht deine Gedanken,
das sind die Gedanken des Teufels oder was weiß ich, oder in der Psychogruppe,
du bist einfach noch nicht so weit, du hast dich noch nicht genug angestrengt oder so,
dass man dann selber auch wieder an seinen Zweifeln zweifelt.
Und wenn man die Gruppe verlassen will, dann ist man ja wieder auf sich gestellt.
Weil dadurch, dass viele Sekten halt so eine Art Anführer haben, so eine Leitfigur,
die halt eben diese Erleuchtungserfahrung hatte und damit den Weg für diese gesamte Gemeinschaft vorgibt,
orientiert man sich ja daran in einer untergebenen Haltung.
Und man projiziert auf die Person ja unfassbar viel und man gibt seine komplette Verantwortung an die Gemeinschaft oder den Anführer ab.
Weil man muss sich ja nur an dem orientieren, was die Person sagt oder gesagt hat oder was die Gruppe macht.
Und deswegen ist es für Aussteiger halt nachher so schwer, wieder komplett Entscheidungen für sich alleine zu treffen.
Dass ein Mensch überhaupt so viel Kontrolle haben kann, beziehungsweise ihm so viele AnhängerInnen hörig sind,
liegt neben der Lehre des Führers oder der Anführerin auch an seinem oder ihrem Auftreten.
SektenführerInnen sind in der Regel nämlich sehr charismatische Personen und auch gute RednerInnen.
Sie haben ein Gespür für Menschen und ihre Bedürfnisse, was aber nicht heißt, dass sie auch empathisch sind.
Große Sektenführer wie zum Beispiel Charles Manson oder Jim Jones,
die wurden nämlich im Nachhinein als Psychopathen und Narzissten eingestuft, die wenig Reue und Schuld kennen.
Denn wenn man jetzt zum Beispiel mal an Jim Jones denkt, das war der Anführer der Sekte People's Temple.
Und der hat über 900 Menschen dazu gebracht, Suizid zu begehen.
Und Charles Manson, der hat die Mitglieder seiner Sekte dazu gebracht, Menschen zu töten.
Und um Menschen von solchen Gruppen und solchen AnführerInnen zu lösen, gab es besonders in Amerika,
als der Sektenboom kam, also so 70er, 60er Jahre, dann die ersten Angebote für die teilweise echt verzweifelten Familien,
die nicht wussten, wie sie ihre Angehörigen da wieder rausholen sollen.
Der Autor Ted Patrick hat daraufhin die sogenannte Deprogrammierung erfunden.
Das bedeutet so viel wie, den Betroffenen wieder zu neutralisieren,
also sein Gedankengut und die ideellen Werte der Sekte und so weiter zu löschen und umzuprogrammieren.
Ich habe jetzt keine Studien dazu gefunden, aber angeblich soll diese Form der Heilung recht erfolgreich gewesen sein.
Zwei Drittel der Betroffenen sollen sich danach der Sekte abgewandt haben.
Allerdings werden bei so einer Deprogrammierung drastische Maßnahmen getroffen, um ans Ziel zu kommen.
Erstmal beinhaltet die nämlich in den meisten Fällen eine Entführung der Personen und eben somit auch eine Freiheitsberaubung,
um sie von der Sekte zu isolieren.
Und dann startet die Konfrontationsphase, in der sich der Deprogrammierer vor allem den Sektenführer vornimmt
und diesen Versuch zu desillusionieren.
Außerdem hilft den Personen, dass man ihnen andere manipulative Sekten zeigt,
damit sie selber die Parallelen zu ihrer eigenen ziehen können.
Und wenn dann erstmal die Tür einen Spalt offen steht, dann hört die betroffene Person auch zu
und das ist wichtig, um ihr die Realität fortzuführen.
Und wenn es gut geht, dann identifiziert sich die Person irgendwann eher mit der Deprogrammierung als mit der Sekte
und beginnt zu begreifen, was da eigentlich mit ihr gemacht wurde.
Leah Remini sagt, dass für sie die schnellste Deprogrammierung war, als sie angefangen hat hinzusehen.
Also als sie angefangen hat, Dinge zu hinterfragen und du dann plötzlich die Wahrheit erkennst.
Die war auch bei so einem Deprogrammierer, oder wie?
Nee, in den USA wird das auch als Begriff dafür verwendet, wenn man beginnt, sich von der Sekte abzuwenden.
Leah Remini ist selbst auf den Trichter gekommen, nachdem ihre Freundin Shelley Miscavige plötzlich verschwunden war.
Als Shelley 2006 ihren Mann, den Chef von Scientology übrigens, nicht zur Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes begleitete,
wurde Leah dann stutzig und wollte natürlich wissen, was los ist.
Andere Mitglieder haben ihr dann gesagt, dass sie nicht den Status hätte, das zu erfragen, was mit ihr ist.
Und daraufhin wurde Leah dann jahrelang verhört von Scientology und überprüft,
während sie aber weiterhin natürlich wissen wollte, was mit ihrer Freundin passiert ist.
Und 2013 hatte sie dann die Nase voll und ist dann ausgestiegen.
Und dann meldete sie ihre Freundin auch als vermisst und die Polizei ging dem auch nach, gab dann aber an, dass der Aufenthaltsort von Shelley Miscavige bekannt sei.
Und die Frau ist aber bis heute nicht wieder aufgetaucht.
Remini und andere AussteigerInnen vermuten, dass sie in einem Straflager arbeiten muss.
Also, dass ihr Mann sie dahin verbannt hat.
Also, Remini hat diese Art von Deprogrammierung nicht bekommen und ja offenbar auch nicht gebraucht.
Und obwohl Ted Patrick auch einige Mitglieder der zwölf Stämme erfolgreich von der Gemeinschaft gelöst hat,
stand er schon mehrmals wegen dieser Methode vor Gericht, eben weil sie halt unter Umständen brutal und illegal ist.
Und deswegen arbeitet man gerade hier in Deutschland und auch jetzt schon gar nicht mehr so, sondern eher mit Ausstiegsberatern.
An die können sich auch Mitglieder einer Sekte wenden, wenn sie aussteigen wollen, aber sich halt noch nicht so richtig trauen.
Hilfe gibt es zum Beispiel bei der Leitstelle für Sektenfragen in Berlin.
Die sieht sich eben als erste Anlaufstelle.
Und Christiane Dietrich von der Leitstelle hat mir erzählt, wie sie Aussteigern helfen.
Dann ist der erste Schritt erstmal, sich zu entlasten, über die Erfahrung zu reden
und auch nochmal aus einer anderen Perspektive sich zu informieren über diese Gruppe.
Vielleicht auch mit anderen Betroffenen sich darüber auszutauschen.
Wir würden dann zum Beispiel eben auch vermitteln
und wir bieten dann eben auch kurzfristig auch Beratung an, wo wir mit den Menschen dann auch nochmal darüber sprechen,
wie ist es geschehen, dass ich überhaupt in diese Gruppe gekommen bin, was hatte ich für Bedürfnisse.
Also auch nochmal die Selbstreflexion auch nochmal anzuregen.
Und dann ergibt es sich manchmal, dass wir dann auch bei der Therapeutensuche unterstützen.
Die Leitstelle hilft auch dabei, Kontakt zu Behörden herzustellen.
Also zum Beispiel, wenn jetzt jemand aus einer Gruppe austritt, bei der er dann auch mit der Gemeinschaft zusammen gelebt hat,
damit er wieder eine Wohnung finden kann oder eine Arbeit finden kann.
Und da koordiniert quasi diese Leitstelle nochmal.
Und Frau Dietrich hat mir noch erzählt, dass es besonders wichtig ist,
dass wenn ein Angehöriger oder ein Bekannter aus einer Gruppe aussteigt,
dass man ihn zwar unterstützt und begleitet, aber nicht unter Druck setzt.
Also wichtig ist, dass der Aussteiger das selber will und auch, soweit es geht, dann auch selbst bewältigt.
Weil nur so wird dieser Ausstiegswillen dann auch nachhaltig.
Also deswegen verstehe ich auch, dass diese Deprogrammierung kritisch gesehen wird,
weil die Leute das ja nicht selber sich ausgesucht haben, sondern weil es sozusagen von außen kam.
Und melden sich auch manchmal die Glaubensgemeinschaften bei der Stelle, bei der Beratungsstelle?
Ja, da meinte Frau Dietrichs, dass das schon immer mal wieder vorkommt.
Und also, dass dann ein Mitglied der Sekte anruft und nochmal seine Sicht der Dinge darstellen will.
Also so, als wäre das, was der Aussteiger oder die Aussteigerin berichtet, als wäre das alles falsch.
Das hat so den Charakter von den Instagram-Nachrichten, die wir manchmal bekommen,
die dann mit, dazu muss ich jetzt auch nochmal was sagen anfangen.
Ja, die haben wir besonders gerne.
Ich frage das auch deshalb, weil ich unter vielen Anti-Scientology-Artikeln Kommentare von offensichtlichen Anhängern gefunden habe.
Die bestreiten dann zum Beispiel, dass Scientology homophob sein soll,
obwohl in Dianetic steht, dass Homosexualität eine sexuelle Perversion sein soll,
die man dann wie eine Krankheit behandelt.
Also die gehen da schon aktiv gegen vor, was über die so verbreitet wird.
Apropos verrückt.
Das sind ja auch unsere Zuhörer und Zuhörerinnen.
Weil jetzt alle Städte ausverkauft sind.
Und das innerhalb von wenigen Minuten.
Es tut uns wahnsinnig leid.
Wir haben hunderte Nachrichten bekommen, ob man da nicht doch noch irgendwie was regeln kann.
Das können wir leider nicht.
Wir werden sicherlich nochmal irgendwann touren.
Jetzt gerade bleibt es bei den Städten.
Und wir freuen uns total darauf, auf die Leute, die kommen,
dass wir mal in eure Gesichter gucken können.
Wir versuchen auch, dass wir nach dem Auftritt noch da bereitstehen für Gespräche und so.
Weil das immer hier, das ist ja immer nur so ein Zwischenspiel zwischen uns beiden.
Ja, genau.
Und das Richtige, also das Feedback kriegen wir eigentlich immer nur sozusagen zeitversetzt über Social Media.
Und so können wir eure Reaktionen direkt sehen und euch vielleicht auch mit einbinden.
Und es werden auch Überraschungsgäste kommen.
Unter anderem Lauras Omi.
Und für die, die nicht bei den Live-Shows dabei sind, die brauchen nicht traurig sein,
denn die werden nichts verpassen.
Weil wir die Folge nachträglich nochmal aufnehmen.
Wir lassen die nicht live mitschneiden, weil das irgendwie fürs Hörerlebnis nicht so schön ist.
Es ist natürlich auch nicht das, was wir dann da auf der Bühne machen,
weil wir natürlich auch das Publikum mit einbeziehen wollen und so.
Aber inhaltlich die Fälle und so, die könnt ihr dann auch nochmal hören.
Dann abschließen.
Oder?
Wie werden wir denn bei den Auftritten abschließen?
Ja, wir schließen den Vorhang.
Ah.
Das war ein Podcast von Funk.