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#37 Gehirnwäsche

2020. Neues Jahr, neues Glück. Und das bedeutet, neue Chancen, alles besser zu machen. Fangen
wir mit dir an.
Große Baustelle.
Was willst du, Paulina, dieses Jahr besser machen? Was sind deine Vorsätze?
Oh. Im Restaurant nicht mehr ausstehen, ohne zu merken, dass der Knopf noch auf ist? Oder ich möchte dieses Jahr bitte keinen Brief bekommen, wo drin steht, dass das Kleidungsunternehmen, wo ich was bestellt habe, mir eine letzte Mahnung wegen 2,40 Euro schickt, weil ich die Mahngebühr von davor schon nicht bezahlt habe, bevor mein Fall dann an den Inkasso-Partner geht.
Das finde ich gut.
Ja, ich habe noch einen richtigen, da habe ich neulich drüber nachgedacht. Vorm Jahreswechsel saßen wir beide ja mit ein paar Kollegen zusammen und wir haben nochmal über Gladbeck gesprochen, also von unserer Berichterstattungsfolge.
Und da fiel der Satz, das musste passieren, damit es nicht wieder passiert. Und ich kann das in Teilen natürlich nachvollziehen, aber so rechtfertigt man ja ganz viel, besonders in Richtung Verbrechen natürlich auch.
Mein Fall heute geht auch wieder so in die Richtung, aber natürlich auch im privaten Umfeld. Und ich hoffe, dass ich oder auch wir beide Dinge, die absehbar sind, erkennen und dann handeln, bevor das Kind im Brunnen gefallen ist. Das wäre so mein Vorsatz, wenn ich einen hätte, was ich nicht habe, weil das Quatsch ist.
Und du?
Ich habe keine.
Lässt mich hier aber ein Striptease machen.
Nee, nee, ich habe auch eine Sache, die ich mir wirklich vornehme, und zwar weniger Screentime. Es ist ja auch peinlich, was mir da jede Woche angezeigt wird.
Du weißt, dass du damit arbeitest.
Trotzdem. Ich bin halt dreieinhalb Stunden pro Tag am Handy. Das finde ich schon ein bisschen pathologisch.
Ey, ich habe gestern meine Auswertung bekommen, da stand 22 Minuten.
Quatsch!
Da dachte ich, das kann ja nicht sein. Jetzt kommt es raus. Laura arbeitet viel mehr als ich.
Naja, wir sind uns ja einig, dass wir unsere Vorsätze eh nicht einhalten. Und damit herzlich willkommen zu Mordlust.
Dem Funk-Podcast, wo wir über Verbrechen und ihre Hintergründe reden. Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers. Wir erzählen hier jedem einen wahren Kriminalfall nach, den ihr andere nicht kennt. Und deshalb bekommt ihr auch unsere ungefilterten Reaktionen zu hören.
Wir reden hier auch mit ExpertInnen und wir sagen hier unsere Meinung zu den verschiedenen Themen. Die hat natürlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.
Soll sie auch gar nicht. Sonst kann man nachher ja nicht darüber diskutieren oder sich darüber aufregen. Nicht despektierlich gemeint.
Heute geht es bei uns um Manipulation. Und eigentlich wollte ich diese Folge thematisch damit starten, dass ich dich manipuliere.
Glaube ich nicht. Wann? Würde ich merken.
Deswegen habe ich nach Tricks gegoogelt und bin dabei auf Seiten gestoßen, die mich so ein bisschen verstört haben.
Wie beispielsweise, wie manipuliere ich meinen Partner, damit er das tut, was ich will?
Oder neun Tricks, um Frauen zu manipulieren.
Habe ich mir natürlich alles durchgelesen.
Und heute fandst du deinen Freund auf einmal viel toller als sonst.
Nee, angewandt habe ich es noch nicht. Aber mir ist eingefallen, dass ich auch schon mal von einem Typen manipuliert wurde.
Und zwar beim Flirten.
Ich habe es damals auch nur gerafft, weil er es mir danach gesagt hat.
Und zwar, jetzt kommt es, er hatte ein Buch zu dem Thema gelesen, was ich schon irgendwie seltsam finde.
Mein Vater hat das auch gemacht.
Und ich glaube, dass ich in der Erziehung auch darunter ein bisschen gelitten habe.
Wie man Frauen manipuliert beim Flirten.
So, das probiere ich jetzt mal an meiner eigenen Tochter aus.
Auf jeden Fall heißt die Art der Manipulation, die bei mir angewandt wurde, Nagging.
Kennst du das?
Dabei macht der Mann Kommentare, mit denen er die Frau unterschwellig beleidigt.
Und das Ziel ist es halt, die Frau zu verunsichern, um dann Macht auf sie ausüben zu können.
In meinem Fall meinte der Typ, also es war kein Date oder so, ja, es war in einem Club.
Und er meinte dann so im Laufe des Gesprächs so von wegen, ja, also er findet mich voll nett.
Aber mehr würde da ja auf jeden Fall nicht entstehen können.
Also das sehe er jetzt schon, weil ich halt einfach nicht sein Typ wäre und er mich eher so als Kumpel haben wollen würde.
Weil du voll der Kumpeltyp bist.
Ja, und ich habe mir dann ehrlich gesagt schon gedacht, das muss ich ändern.
Ja, man ist dann so, du wirst schon sehen, dass du dich in mich verlieben wirst.
Ja, ja, ganz schlimm war es jetzt nicht.
Er hat es ja auch dann gesehen, dass ich halt irritiert war und mir dann erklärt, dass er diesen Trick aus einem Buch hat.
Also ich gehe mal davon aus, dass es so ein Pick-up-Artist-Buch war.
In dem stand zum Beispiel auch, dass man der Frau unterschwellig erzählen soll, wie kinderlieb man ist und dass man besonders gut halt mit Frauen umgehen kann.
Also wenn man Schwestern hat, dann sollte man immer wieder von denen reden und quasi zeigen, wie man sich um die sorgt und sich kümmert.
Hashtag seit fünf Jahren zusammen.
Nee, um Gottes Willen.
Mir ist das auch mal passiert in einem Club.
Da hat jemand zu mir gesagt, ich wäre eine arrogante Zicke.
Und du so, Entschuldigung, ich bin die netteste Person.
Nee, ich so, du hast sehr gute Menschenkenntnisse.
Lass uns bitte den ganzen Abend reden.
Wir haben uns tatsächlich dann auch ganz gut verstanden und er hat mir später auch gebeichtet,
dass er das auch nur gesagt hat, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
Es ist halt eigentlich voll eine billige Nummer, die man ja auch super leicht durchschauen kann, ja.
Aber irgendwie zieht es dann halt manchmal doch.
Ja, aber es ist doch interessant, wie viel Arbeit sich manche machen.
Ich habe tatsächlich heute auch ein paar solcher Artikel gelesen und bin hängen geblieben bei einem,
der in der Überschrift hieß, Frauen sind so einfach zu manipulieren, Punkt, Punkt, Punkt, nach dem Sex.
Den Artikel hat eine Frau geschrieben und im Grunde geht es da um Männer,
die das Sicherheitsbedürfnis von Frauen nach dem Sex ausnutzen,
weil sie wissen, dass bei Frauen ja auch dieses Bindungshormon ausgeschüttet wird
und sich manche danach in so einer anhänglichen Phase befinden.
Die Männer, von denen da die Rede ist, melden sich dann in dieser Zeit absichtlich nicht,
weil sie die Frauen so auf Entzug setzen wollen.
Sie wollen die Frauen aber halt auch eigentlich wiedersehen und sie halt so dann an sich binden.
Erstens, was für ein Aufriss?
Zweitens, der Körper ist ein mieser Verräter.
Naja, aber warum denn dem eigenen Körper die Schuld geben?
Der Typ verdient die Schuld.
Darum geht es bei mir heute übrigens auch.
Na dann fangen wir an.
Meine Geschichte zeigt, dass Mauern, die einem die Freiheit nehmen,
nicht immer für andere sichtbar sein müssen.
Den Namen der Person habe ich geändert.
Mit Karchen kann sie über alles reden.
Heißt eigentlich schreiben, denn das ist, was die beiden hauptsächlich tun.
Karchen hat immer Verständnis für Nele.
Er ist ihr Verbündeter.
Im Gegensatz zu ihrer Mutter macht ihr ihr Internetfreund keine Vorwürfe,
weil sie etwas nicht richtig macht, sondern Komplimente, weil sie so toll ist.
Er kommandiert sie auch nicht rum.
Das ist ein schönes Gefühl.
Jetzt aber tippt Karchen etwas ins Chatfenster, mit dem Nele nicht gerechnet hat.
Und Nele sagt auch nichts.
Mit ihrem Vater hat sie nicht so viel Kontakt.
Er ist schwer krank und mit ihrer alleinerziehenden Mutter Evelyn gerät sie eh manchmal aneinander.
Sicher würde sie es nicht verstehen.
Auch Karchen darf von ihren Chats nichts erzählen.
Er ist nämlich verheiratet.
Das weiß Nele auch.
Das erste Mal Kontakt mit Karchen, der eigentlich Jürgen heißt und Elektriker ist, hatte sie im April 2011.
Da war Nele gerade elf Jahre alt.
Damals stellte er sich als 14-Jähriger vor, den es nicht stören würde, dass Nele ein paar Jahre jünger ist.
Nachdem er sein wahres Alter gestanden hat, treffen sich die beiden sogar in echt.
Er sagt ihr, dass er sie liebt.
In einem früheren Gespräch hatte er ihr erklärt, dass es Liebe ist, wenn man sich freut, mit jemandem zusammen zu sein.
Nele schließt daraus, dass sie ihn dann wohl auch liebt.
Ein paar Wochen später klingelt es bei Nele zu Hause an der Tür.
Nele öffnet.
Vor ihr stehen Polizeibeamtinnen.
Sie sagen der Zwölfjährigen, dass sie ein paar Fragen haben und ihre Mutter dabei sein sollte.
Nele ist aber gerade alleine zu Hause.
Nachdem sie die Polizei verabschiedet hat, schreibt sie Jürgen gleich, was gerade passiert ist.
Jürgen trägt ihr auf, alle Chatverläufe mit ihm zu löschen.
Sie tut, was er sagt.
Am nächsten Tag sitzt Nele mit Evelyn auf dem Polizeirevier.
Sie erzählen Nele und ihrer Mutter, dass Neles Chatpartner vermutlich pädophil ist.
Sie sagen, dass er Familienvater und verheiratet ist und dass seine eigene Ehefrau ihn angezeigt hat.
Sie hätte Nacktbilder von einer Zwölfjährigen bei ihm gefunden.
Außerdem soll er sich seiner Stieftochter unsüttlich genähert haben, als sie noch ein Kind war.
Evelyn fällt aus allen Wolken.
Von dem, was Nele im Internet so treibt, wusste sie bisher gar nichts.
Dann gesteht Nele, dass sie sich mit dem Mann aus dem Internet sogar getroffen hat.
Es wäre aber seine Idee gewesen.
Er hätte sie auf die Wange geküsst und sie hätten auch Händchen gehalten.
Ihre Mutter wird sauer.
Bist du wahnsinnig?
Der hat mich halt verstanden, sagt Nele.
Als sie ihn getroffen hat, habe sie aber festgestellt, dass er ganz alt ist und einen dicken Bauch hat.
Evelyn lässt sich damit etwas zufriedenstellen.
Trotzdem verhängt sie ein Internetverbot und nimmt Nele das Handy weg.
Am besten, bis du volljährig bist, sagt sie ihr noch.
Die Polizei hält danach vor Jürgen eine Gefährderansprache.
Er soll wissen, dass er jetzt auf dem Radar der Beamtinnen ist.
Er versichert, den Kontakt zu Nele abzubrechen.
Und tatsächlich schreiben die beiden auch nicht mehr.
Erstmal.
Evelyn hält die Sache schon bald für erledigt.
Sie glaubt, dass der Mann den Sprung von der Internetbeziehung in Neles reales Leben nicht geschafft hat.
Einen Monat nach dem Treffen auf dem Revier darf Nele auch schon wieder ins Internet.
Doch die Pause der beiden hält nur zwei Monate an.
Danach lässt Jürgen Nele über eine Freundin ein neues Handy zukommen.
Sie fangen wieder an zu schreiben.
Auf jede ihrer Fragen, so scheint es, hat er Antworten.
Er kann toll Dinge erklären.
Einmal schickt er ihr ein Bild von sich.
Darauf zu sehen, ist er im Anzug.
Es ist ein Wahlplakat der Republikaner.
Einer rechtsgerichteten Partei.
Nele beeindruckt, dass es Jürgen sogar auf ein Wahlplakat geschafft hat.
Das sind aber nicht die einzigen Bilder, die er ihr schickt.
Auch Nacktfotos sind dabei.
Bald kommt es zu weiteren Treffen.
Jedes Mal fährt Jürgen 550 Kilometer, um Nele zu sehen.
Wenn er in Freiburg ist, holt er sie von der Schule ab,
raucht mit ihr und ihrer Freundin Shisha und geht mit ihr spazieren.
Er sagt ihr, ich habe mich in deine Worte verliebt,
deswegen kann ich auch nicht mehr bei meiner Frau wohnen.
In der Zeit sehen Klassenkameraden Nele oft mit ihrem kräftigen Freund,
der sichtlich älter ist und eine Halbglatze hat.
Dass die Beziehung zu einem 40 Jahre älteren Mann nicht normal ist,
darauf kommt offenbar niemand.
Nele ist sogar ein wenig stolz, dass ihr Freund schon erwachsen ist
und sie im Auto umherfährt.
Jürgen hat auch schon einen Plan für sie beide.
Wenn sie 14 ist, will er mit ihr zusammenziehen.
Mit 16 will er ihr einen Antrag machen.
Irgendwann übernachtet sie auch bei ihm im Hotel.
Dort kommt es das erste Mal zum Sex.
Da ist sie gerade zwölf.
Neles Mutter ahnt davon nichts.
Freundinnen von Nele müssen oft als Alibi herhalten.
Jürgen gibt Nele das Gefühl, nicht allein zu sein.
Den Anker, von dem sie meint, ihn zu Hause nicht zu haben,
den bietet er ihr.
Und noch vieles mehr.
Irgendwann hat sie das Gefühl, dass er für sie unersetzlich ist.
Es ist aber nicht so, dass Nele so richtig in Jürgen verliebt ist.
Sie findet das Verstecken irgendwann anstrengend,
hat Angst aufzufliegen und denkt sich,
eigentlich wäre es ja auch einfacher ohne ihn.
Aber verletzen wir sie ihn nicht.
Immerhin hat er ihr gesagt, er hätte ihretwegen seine Familie verlassen.
Das ist ja jetzt ihre Verantwortung.
Ohne sie hätte es diese Trennung gar nicht gegeben.
So sieht Nele das.
Am 4. Mai 2013, da ist wieder so eine Nacht,
in der Nele vorgibt, bei ihrer Freundin zu schlafen.
Natürlich ist es eine Lüge.
Doch diesmal fliegt sie auf.
Evelyn findet heraus, dass ihre Tochter nicht dort ist,
wo sie vorgibt zu sein.
Sie versucht, Nele zu erreichen.
Sie geht aber nicht ans Telefon.
Nele ist mit Jürgen gerade in einem Restaurant
und hat ihr Handy im Auto liegen lassen.
Als Nele ihre Mutter zurückruft, ist die total sauer.
Sie habe zehn Minuten, um nach Hause zu kommen,
sagt Evelyn.
Danach legt ihre Mutter auf.
Die Minuten verstreichen,
aber Nele kommt nicht.
Zwei Stunden später erreicht Evelyn Nele ein zweites Mal.
Nele sagt, mach dir keine Sorgen.
Dann legt diesmal Nele auf.
Danach ist das Handy ausgeschaltet.
Nicht mal eine Stunde später
meldet Evelyn ihre Tochter als vermisst.
Die Polizei fragt Evelyn,
ob Neles Internetbekanntschaft
vielleicht etwas damit zu tun haben könnte.
Evelyn verneint das.
Ihres Wissens nach haben die beiden ja lange keinen Kontakt mehr.
Erst am nächsten Tag erfährt Evelyn,
dass sie mit ihrer Vermutung so völlig falsch lag.
Der Jürgen hat die Nele,
sagt Neles beste Freundin.
Evelyn wird klar, wie naiv sie die letzten Monate war.
Seitdem suchen die Kripo, das LKA, das BKA
und Interpol nach Nele und Jürgen.
Aber es gibt keine Spur.
Evelyn verlässt die nächsten drei Wochen die Wohnung nicht,
aus Sorge, dass sie einen Anruf von Nele verpassen könnte.
Sie drückt Flyer, lässt bei einer großen Aktion Luftballons
mit Neles Namen draufsteigen,
erstellt eine Internet- und eine Facebook-Seite,
die Bitte findet Nele heißen.
Tausende machen mit bei der Suche,
schicken ihr Hinweise und Fotos, auf denen sie Nele vermuten.
Nie ist sie es wirklich.
Aber selbst Evelyn guckt manchmal so lange auf die Bilder,
bis sie selbst meint, ihre Tochter darin zu erkennen.
Einfach, weil sie es sich so sehr wünscht.
Im Juni 2013 ist Evelyn bei Aktenzeichen XY zu sehen.
Dort wird ein Video gezeigt,
in dem sich Evelyn direkt an Jürgen wendet.
Man sieht ihr an,
dass die letzten Monate an ihr gezerrt haben.
Herr H., meine Tochter ist 13 Jahre alt
und hatte bestimmte Vorstellungen davon,
wie sie ihr Leben gestalten mag.
Diese Vorstellungen zerstören sie gerade.
Bitte bringen Sie mein Kind nach Hause.
Nach der Sendung gehen etwa 50 Hinweise bei der Kripo ein.
Aber es ist wieder keiner dabei,
der die ErmittlerInnen weiterbringt.
Viel Hoffnung, dass sie Nele jetzt noch finden,
haben sie nicht mehr.
Evelyn fühlt sich im Stich gelassen und hilflos.
Sie hat den Verdacht, man würde einfach abwarten,
bis sich Nele von selbst meldet.
Aber vielleicht kann sie eben genau das nicht.
Evelyn stellt sich tausend Fragen.
Es gibt quasi keine Sorge,
die sie sich nicht macht.
Während Evelyn darum kämpft,
ihre Tochter wieder zu bekommen,
werden auch kritische Stimmen an der Mutter laut.
Ein Blog im Internet fordert auf
OneNeleOne
und zieht dort über die feministisch gesteuerten Medien her,
die über den Schmerz der Mutter berichten.
Für den Blogger ist das ein sexualfeindlicher Mob.
Nele hätte alles selbst entschieden
und die Berichterstattung wäre unfair,
weil Herr H. dazu ja jetzt nichts sagen könne.
Der Schreiber hat nach eigenen Angaben
selbst eine Internetbeziehung
zu einem Mädchen in Neles Alter,
während er so alt sein soll wie Jürgen.
Einzelne Medien berichten jetzt von der Liebesflucht.
Neles Halbschwestern melden sich auch zu Wort.
Die Jüngere sagt, sie wäre mit 16 freiwillig
zu Hause ausgezogen und ins Heim gegangen.
Die Beziehung zu Evelyn sei schon immer schwierig
und recht kühl gewesen.
Auch Nele habe davon gesprochen, ins Heim zu wollen.
Bei Facebook schreiben Menschen,
vielleicht geht es dem Mädchen ja jetzt besser
als bei der Mutter.
Es würde einiges dafür sprechen,
dass Nele freiwillig mit Jürgen mitgegangen sei.
Evelyn kann die Aussage nicht nachvollziehen.
Immerhin könne man mit etwas Anstrengung
auch ein Kleinkind vom Spielplatz weglocken.
Und das geht dann auch freiwillig mit, oder wie.
Kinder sind Kinder,
weil sie die Verantwortung für sich selbst
noch nicht tragen können
und leicht zu beeinflussen sind.
Und so vergehen Weihnachtsfeste,
Jahreswechsel und Geburtstage ohne Nele.
Der Fall verschwindet weitestgehend
aus der öffentlichen Wahrnehmung.
Evelyn kämpft jetzt allein
und es wird leiser um sie.
Zu Neles 17. Geburtstag
schreibt sie in ihrem Blog
Nele wird seit 1438 Tagen vermisst.
Ihr 17. Geburtstag.
Was schreibt man, wenn man sprachlos ist?
Alles Liebe zum Geburtstag,
wo immer du auch bist.
Deine Mom.
Es ist der 31. August 2018
um 2 Uhr morgens.
Im Treppenhaus in Freiburg
hört man einen Schrei.
Nele?
Eine fremde Frau hat gerade bei Evelyn geklingelt
und ihr gesagt,
dass ihre Tochter unten im Treppenhaus steht.
Sie hört, wie jemand die Treppe zu ihr hochläuft.
Es war ein Wiedersehen wie im Film,
wird Nele später sagen.
Evelyn weint.
Sie sucht noch eine Weile nach dem Kind von damals.
In ihrem Arm liegt jetzt eine junge Frau.
Ich hab dich fast nicht erkannt,
sagt Evelyn.
Aber auch sie ist älter geworden.
Die Zeit zieht nicht spurlos vorbei.
Fünf Jahre war Nele fort.
Ihre Jugend hat sie nicht verbracht
wie andere Mädchen in ihrem Alter.
Statt mit Schule, Sport und Jungs
hat sie sich mit ihrer Schuld,
mit Verantwortung
und mit dem Überleben beschäftigt.
Erst jetzt mit 18 Jahren
gelang es ihr,
sich zu befreien und zu fliehen.
Rückblick zum 4. Mai 2013,
also dem Tag des Verschwindens.
Nele hat Angst vor ihrer Mutter
und vor dem Ärger zu Hause.
Jetzt sind sie aufgeflogen.
Nele sagt Jürgen,
dass sie jetzt nicht mehr nach Hause kann.
Jürgen versichert ihr,
sie nicht allein zu lassen.
Die beiden wissen nicht wohin.
Berlin fällt es Nele ein.
Dort war sie vor kurzem
erst mit ihrer Mutter
und mit ihrem Bruder.
Also fahren sie dorthin.
In Berlin schmiedet Jürgen
den Plan,
in Polen unterzutauchen.
Nele stimmt zu.
Endlich kann sie mal
was selbst entscheiden,
was sie tut
oder was sie bleiben lässt.
In Golitsche,
einer kleinen Stadt in Polen,
machen die beiden
das erste Mal Halt seit Berlin.
Nachts schlafen sie im Auto.
Dann wird Jürgen
das mit dem Wagen
plötzlich zu gefährlich.
Er kauft zwei gebrauchte Fahrräder,
ein Zelt und Isomatten.
Auf den Rädern
sollen die beiden
jetzt bis nach Sizilien fahren.
Dort hat er sich
einen Ort als Ziel ausgesucht.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt
verändert sich die Stimmung.
Nele ist nicht gut
mit dem Rad unterwegs
und Jürgen ermahnt sie ständig.
Sie solle gefälligst aufpassen.
Wenn sie sich jetzt verletzt,
dann haben die beiden
ein Riesenproblem.
Fast wie zu Hause,
denkt sich Nele.
Jetzt hat sie die eine Person,
die sie rumkommandiert,
gegen eine andere getauscht.
Um die 40 Kilometer
fahren die beiden am Tag.
Nele sagt später,
dass sie Jürgen
in dem Moment dafür gehasst hat.
Ernsthaft darüber nachdenken,
abzuhauen,
tut sie aber nicht.
Jürgen hat ihr eingetrichtert,
dass sie ins Heim kommt,
wenn sie jetzt zurück
nach Hause geht,
bevor sie 18 Jahre alt ist
und er dann für mindestens 15 Jahre
ins Gefängnis muss.
Das schüchtert sie ein.
In ihrer Beziehung
dreht es sich,
ihrer Ansicht nach,
jetzt hauptsächlich nur noch
um die Befriedigung
von Jürgens Bedürfnisse.
Mindestens zweimal die Woche.
Nele sagt jetzt über die Zeit,
dass sie sich schlecht
und benutzt gefühlt habe.
Dass sie aber Angst davor hatte,
was passiert,
wenn sie sagt,
dass sie keinen Sex
mit Jürgen haben will.
Er war ja das Einzige,
was sie hatte.
Sie wollte lieber nicht riskieren,
dass er sauer wird
und sie dann im Stich lässt.
Sie sagt,
so hart das klingt.
Lieber fünf Minuten
die Augen zu und durch,
anstatt jetzt so ein großes Fass
aufzumachen deswegen.
Es sei eh alles wegen ihr,
das hätte Jürgen immer wieder gesagt.
Hätte sie damals nicht
das Handy im Auto vergessen,
hätten sie nicht abhauen müssen.
So ruft er in ihr
ein tiefes Schuldgefühl hervor,
das sie an ihn bindet.
Jürgen braucht keine Zäune,
keine Fesseln
und auch kein Verlies,
um sie gefangen zu halten.
Er baut die Mauern
an ihrem Kopf.
Ihr Weg führt die beiden
über die Slowakei,
Ungarn, Slowenien
und schließlich
durch Italien nach Sizilien.
In einer kleinen Hafenstadt
namens Lizzata
lassen sie sich nieder.
Jürgen erzählt Nele
von seiner Kindheit.
Sein Vater habe sich umgebracht,
seine Mutter hatte
einer Sekte angehört
und ein Bekannter von ihr
habe ihn als Kind missbraucht.
Die beiden schlagen sich
mit Betteln
und Schwarzarbeit durch.
Nele muss immer dabei sein,
auch wenn Jürgen allein arbeitet.
Er will nicht,
dass sie von seiner Seite weicht.
Im Winter 2016
beziehen die beiden
eine Wohnung
mit einigen Möbeln drin.
Jürgen hat sich inzwischen
in der Umgebung
einen Namen
als fleißiger Arbeiter
und Helfer gemacht.
Und Nele hat Freundschaft
mit einer älteren Dame
geschlossen.
Magdalena heißt sie.
Sie hat Arbeit für Jürgen.
Während er Unkraut jätet
und Olivenbäume schneidet,
lehrt Magdalena Nele,
wie man einen Haushalt schmeißt
und bringt ihr italienisch bei.
Im Dorf denken alle,
dass Jürgen und Nele
Vater und Tochter sind.
Keine Ahnung was
von der Beziehung,
die die beiden zueinander haben.
Es gibt keine versteckten Gesten
oder Zärtlichkeiten
vor anderen.
Und irgendwann
gibt es die auch nicht mehr,
wenn sie allein sind.
Als Nele 14 Jahre alt ist,
hört,
so sagte später die Anklage,
der sexuelle Missbrauch auf.
Ob es jetzt daran liegt,
dass Nele langsam zur Frau wird
oder an der Erektionsstörung,
die Jürgen vorgibt zu haben,
weiß man am Ende nicht.
Magdalena sagt zu Nele,
dass sie sich auch irgendwann mal
von ihrem Vater lösen müsse,
wenn sie eine Zukunft haben will.
An ihrem 18. Geburtstag
hat sich Nele mittlerweile
gedanklich so weit von Jürgen entfernt,
dass sie sich traut,
ihm zu sagen,
dass sie nach Hause will.
Aber Jürgen will nicht.
Sie können das beide
doch jetzt nicht alles aufgeben.
Bis jetzt weiß Nele nicht,
was seit ihrem Verschwinden
zu Hause passiert ist.
Sie weiß nicht,
wie die Mutter nach ihr sucht
oder wie ihre Familie
fast daran zerbricht.
Jürgen hatte ihr verboten,
nach sich zu googeln.
Die Polizei würde sie sofort orten.
Aber an diesem einen Tag,
da tut sie es doch.
Mit einem Handy,
das sie von einer Nachbarin
geschenkt bekommen hat.
Sie gibt bei Google
ihren Namen ein.
Vor ihr reihen sich
etliche Suchergebnisse
zu ihrem Verschwinden.
Nele beginnt zu weinen,
als sie die Internetseite
ihrer Mutter sieht,
Interviews mit ihr liest
und begreift,
was für ein Schaden
zu Hause entstanden ist.
Sie liest auch die Dinge,
die über ihre Mutter
geschrieben werden.
Das stimmt doch gar nicht,
denkt sich Nele.
Immer wenn Jürgen
jetzt nicht da ist,
surft sie im Netz.
Sie meldet sich bei Facebook an
und schreibt ihrem Vater.
Zusammen schmieden sie einen Plan,
wie sie zu ihrer Mutter
nach Freiburg kommen kann.
Dann,
an einem Tag,
auf dem Nele
eine gefühlte Ewigkeit
warten musste,
geht Jürgen allein zur Arbeit.
Sie holt sich
ihre gepackte Reisetasche
und hinterlässt Jürgen
einen Brief,
den sie schon vorher
geschrieben hat.
Hey du,
es tut mir leid,
dass du es so erfährst,
aber ich habe keine Kraft,
es dir persönlich zu sagen.
Es ist klar,
dass es so nicht weitergehen kann.
Ich habe lange darüber nachgedacht.
Ich weiß,
was ich zu tun habe.
Wir können nicht warten,
bis es von alleine besser wird.
Ich habe beschlossen,
dir dein Leben zurückzugeben.
Die Schuld,
in der ich stehe,
halte ich nicht mehr aus.
Wenn alles geregelt ist,
bist du frei
und kannst gehen,
wohin du willst.
Vielleicht werden wir dann
wieder zusammenfinden
und glücklich sein,
wie wir es einmal geplant hatten.
Dann macht sie sich auf
und steigt in einen Bus,
der Richtung Norden fährt.
Ihre zweite Flucht.
In Mailand wird sie
von Freunden
ihres Vaters abgeholt.
Wegen seiner Krankheit
kann er nicht selbst kommen.
Als Nele in Freiburg
bei ihrer Mutter ankommt,
fällt eine enorme Last von ihr ab.
Ewig reden die beiden.
Doch die Geschichte,
die Nele zuerst erzählt,
ist eine andere als die,
die wir gerade gehört haben.
Kurz nach ihrem Heimkommen
behauptet sie,
die Wege von ihr und Jürgen
hätten sich schon in Polen getrennt.
Nele denkt,
dass sie ihn so schützen kann.
Sie versteht nicht so recht,
wieso er allein
an der ganzen Sache
schuld sein soll.
Sie haben doch beide etwas gemacht.
Bei ihrer Aussage
vor der Polizei
verrät sie ihnen zwar,
wo Jürgens Aufenthaltsort ist.
Sie sagt aber auch,
dass es bei ihrer Geschichte
keinen Täter
und kein Opfer gab.
Nele hat große Schuldgefühle.
Sie denkt,
es ist ihre Schuld,
dass sein Leben jetzt kaputt ist.
Evelyn hat sich jahrelang
mit dem Thema Entführung
und Missbrauch beschäftigt.
Und trotzdem wird auch ihr
erst jetzt klar,
in welchem Ausmaß
ihre Tochter manipuliert wurde.
Bis Nele begreifen kann,
was sie eigentlich
widerfahren ist,
das ist ein langer Weg.
Nele muss generell
einiges aufholen.
Dadurch,
dass sie über Jahre
nur Brot gegessen
und Wasser getrunken hat,
leide sie an Mangelernährung.
Außerdem hat Nele
Strafstörungen.
Die ersten Tage
hat Evelyn immer Sorge gehabt,
dass ihre Tochter
wieder weggeht,
sobald Evelyn die Wohnung verlässt.
Wenn Evelyn vom Gassi
mit ihren Hunden wiederkommt,
dann ruft sie gleich immer
in die Wohnung,
ob Nele noch da ist.
Im Mai 2019,
also letztes Jahr,
sitzt Jürgen
auf der Anklagebank.
Er hält sich
einen Aktenordner
vor seinem Gesicht.
Darauf zu sehen
ist ein Foto
von zwei Händen,
die ein Herz
vor einem Sonnenuntergang formen.
Man kann ja mal vermuten,
was er damit sagen möchte.
Nele meidet es,
ihn anzusehen.
Sie und ihre Mutter
treten als Nebenklägerinnen auf.
Nele hat inzwischen begriffen,
was eigentlich mit ihr passiert ist.
Aber es fällt ihr schwer.
In einem Fernsehinterview
sagt sie,
dass sie sich immer wieder
klar darüber sein muss,
dass Jürgen
auf der Anklagebank sitzt,
weil man ihm etwas
vorzuwerfen hat.
Nicht ihr.
Vor Gericht sagt Jürgen
dass seine Arme
immer offen sein werden
für Nele.
Er wisse nur nicht,
wie es mit den beiden
jetzt weitergehen soll.
Es scheint also,
als hätte nicht nur
Nele Probleme
damit die Realität
zu erkennen.
Auch sein Blick darauf
ist wohl etwas verklärt.
Jürgen wird
Kindesentführung
und schwerer sexueller
Missbrauch
eines Kindes
zur Last gelegt.
Über 100 Missbrauchstaten
sollen es gewesen sein.
Der Staatsanwalt
fordert sieben Jahre
und drei Monate Haft
und eine anschließende
Sicherungsverwahrung
für Jürgen.
In seinen Befragungen
gesteht er seine Taten an Lele,
betont aber immer wieder,
dass er im Laufe seines Lebens
auch Beziehungen
zu Erwachsenen hatte
und nicht Pädophil sei.
Das Material,
das die Polizei
auf seinem Computer fand,
erzählt,
so könnte man meinen,
eine andere Geschichte.
380 Kinder- und Jugend pornografische Fotos
haben die ErmittlerInnen
darauf gefunden.
Auch sein Suchverlauf
spricht Bände.
Vor Gericht
soll auch seine Stieftochter
aussagen,
die er als Kind
unsittlich berührt haben soll.
Zweimal
versuchen sie,
sie anzuhören,
aber sie schafft es
aus gesundheitlichen Gründen
nicht.
Sie bekommt beide Male
eine Panikattacke.
Somit kann diese Behauptung
nicht für das Urteil
berücksichtigt werden.
Trotz des Missbrauchs an Nele
und des Materials,
das er auf seinem PC geladen hatte,
bescheinigt ihm ein Gutachter
keine pädophile Nebenstörung.
Er hätte Interesse an Frauen,
wobei eine gewisse Neigung
nicht auszuschließen sei.
Jürgen erzählt dem Gericht
von seiner schweren Kindheit
und dass sein Bruder
in Peru ermordet wurde.
Nachfragen zu der Geschichte
kann er aber nicht
wirklich standhalten.
Ihm geht es vor allem darum,
zu zeigen,
dass es die Welt
nicht gut mit ihm gemeint hat.
Am 9. Juli 2019
verkündet das Gericht
sein Urteil.
Jürgen muss für sechs Jahre
ins Gefängnis
ohne anschließende
Sicherungsverwahrung.
Außerdem muss er
Neles Mutters Schmerzensgeld zahlen.
Die Höhe wird
ein Zivilgericht festlegen
und nicht in diesem
Verfahren beziffert.
Der Richter hält Jürgen zugute,
dass er ausgesagt hat,
auch wenn er das,
was er tat,
nicht bereuen würde.
Nele habe zwar deutlich gemacht,
dass Jürgen nie
gegen ihren Willen
mit ihr Sex hatte.
Jegliches Verschulden
liegt hier aber
allein bei ihm.
Jürgen hätte nicht
darauf Rücksicht genommen,
dass es sich bei Nele
um ein Kind handelte
und deswegen egozentrisch
und verantwortungslos gehandelt.
Von Beginn an
hätte er ein
mutterfeindliches Bild
aufgebaut,
das Nele von ihrer Familie
entfremden sollte.
Dass Neles Familienverhältnisse
der Auslöser
für die Flucht waren,
das glaubt die Kammer
aber nicht.
Jürgen habe schon
im Sinn gehabt,
eine dauerhafte Trennung
herbeizuführen.
so war sie sexuell
halt immer für ihn
verfügbar.
Außerdem hatte sie
sich auf der Flucht
in einem Abhängigkeitsverhältnis
zu ihm befunden.
Er hatte das Auto
und er hatte
die finanziellen Mittel.
Dass es ihm bei der Beziehung
immer nur um die Liebe
zu Nele ging,
das nimmt ihm das Gericht
nicht ab.
Immerhin habe er schon
von Beginn an
von verbotenen Sachen,
die er gern mit Nele
machen würde,
geschrieben.
Während der Richter
seine Urteilsbegründung
ausführt,
fängt Nele an zu weinen.
Irgendwie ist für sie
jetzt alles zu Ende.
Sie meint jetzt,
den wahren Jürgen
erkannt zu haben,
dem es eben nicht
nur um sie ging.
Der Prozess hat bei Nele
die Mauern im Kopf
eingerissen,
die Jürgen
über Jahre
aufgebaut hatte.
Nele hat während
des Prozesses
ihren Hauptschulabschluss
gemacht und will jetzt
noch weiter zur Schule
gehen.
Sie kann jetzt
dafür kämpfen,
dass sie wieder
Normalität gewinnen kann.
Ihre Jugend aber
hat sie verloren.
Wie konnte so ein Fall
an mir vorbeigehen?
Es sah an mir
auch tatsächlich.
Aber auch vor
fünf Jahren
musste er ja dann
schon mal in der Presse
ganz groß gewesen sein.
Ja, war er auch.
Also es ist wirklich
alles voll davon.
Bevor wir jetzt
nochmal über das Urteil
reden,
muss ich nochmal kurz
zurück zur
Berichterstattungsproblematik.
Das regt mich
schon wieder so auf,
dass irgendwelche
Menschen schreiben,
dass es sich um
eine Liebesflucht
gehandelt hat.
Da wollte ich eben
schon losschreien,
als ich das gehört habe.
Das ist so gefährlich.
Sowas darf man nicht
schreiben und das ist
so unverantwortlich.
Nicht nur,
was das mit der Mutter
macht, sondern was
das mit dem Opfer
am Ende macht,
wenn sie sowas liest
und überhaupt,
was ist denn das
für ein Signal?
Also was es mit dem
Opfer, also mit Nele
ja gemacht hätte
in dem Moment,
wäre vermutlich
folgendes.
Es hätte sie
in dem Gedanken
bestärkt,
dass sie
ein Liebespaar
auf der Flucht
sind,
was ja einfach
nicht stimmte
in diesem
Machtverhältnis.
Ja und zu der,
zum Urteil,
also sechs Jahre hat er
jetzt bekommen,
ohne Sicherungsverwahrung,
richtig?
Mhm.
Dafür, dass er
fünf Jahre
Jugend
eine Mädchen
weggenommen hat
und Jahre,
wenn nicht
ihr ganzes Leben lang
ja beeinträchtigt, ja.
Naja,
es ist ganz interessant
zu sehen,
dass er
sechs Jahre
bekommen hat
und er
ihr
auch fast
sechs Jahre
genommen hat.
Ja.
Also eins
zu eins
in diesem Fall.
Ich meine,
sechs Jahre,
das ist einfach so
wenig für das,
was er getan hat,
Kindesentführung
und schwerer
sexueller Missbrauch.
Also dadurch,
dass er vorher
nicht straffällig war,
wurde ihm das
natürlich zugute gehalten.
Ich fand den Fall
deswegen auch so spannend,
weil ich ja eher
so ein Typ bin,
also mit mir jetzt
was passiert,
mir jemand jetzt
was antut,
ja.
Dann sagen andere,
oh, der hat doch
das und das mit dir gemacht,
ja.
So ein Tu-nicht-Gut.
Und ich sage dann aber immer,
ja,
aber ich habe das ja
auch mit mir machen lassen,
weil ich immer denke,
es liegt ja auch
in meiner Verantwortung,
Dinge abzuwenden
und dafür zu sorgen,
dass sie halt
nicht passieren.
Aber es gilt natürlich
immer nur,
wenn du alles weißt,
also genug Informationen hast,
um das selbst
einschätzen zu können.
Und deswegen gilt es halt
überhaupt nicht
für Kinder
oder wenn man jetzt
psychisch beeinträchtigt ist
oder so, ja.
Und mein Aha
mache ich heute
über eine besondere Art
der Manipulation,
und zwar die Manipulation
beim Cyber-Grooming.
Noch einmal kurz
zur Begriffserklärung,
weil das vielleicht auch
nicht allen Leuten
so geläufig ist.
Also Cyber-Grooming ist,
wenn Erwachsene
im Internet
den Kontakt
zu Kindern suchen,
und zwar wirklich
mit dem Ziel,
sie sexuell
zu missbrauchen.
Und sie versuchen dann,
das Vertrauen
der Kinder zu gewinnen
und bringen sie dann
durch wirklich
so strategisches Vorgehen
in eine Abhängigkeit,
aus der sich die Kinder
nur ganz, ganz schwer
selbst befreien können.
Aber wie schaffen
die Erwachsenen das?
Thomas Gabriel Rüdiger
ist Cyber-Kriminologe
und hat mir erzählt,
dass man beim Grooming
zwischen zwei
primären Tätertypen
unterscheidet.
Der eine ist der
hypersexualisierte Tätertyp,
der ganz aggressiv
versucht,
Kinder im Netz
zu sexuellen Handlungen
zu überreden,
also zum Beispiel
vor einer Webcam
was zu machen oder so.
Und der andere
ist der
Intimitätstätertyp,
der versucht,
ein Vertrauen aufzubauen,
das Kind dann zu treffen
und dann da
den sexuellen Missbrauch
durchzuführen,
also in der Realität.
Der Missbrauch
beschränkt sich also
hier nicht
auf das Netz.
Der Manipulierende
oder die Manipulierende
weiß dann
in kürzester Zeit,
wie das Kind tickt,
was seine Bedürfnisse sind
und wonach es sich sehnt.
Manchmal helfen dafür
schon die Informationen,
die die Kinder
bei den sozialen Netzwerken
hinterlegen.
Also die TäterInnen
investieren viel Zeit
in die Beziehung
zu dem Kind
und sorgen dann dafür,
dass sich das Kind
so schnell
dann nicht mehr
rauswenden kann.
Und das machen sie
laut Cyber-Kriminologe
so.
Die Täter
bereiten alles
darauf vor,
dass sie in eine
sogenannte Geheimnisphase
treten können.
Sobald sie also
das Kind so weit
an sich gebunden haben,
dass sie sagen können,
ich teile mit dir
ein Geheimnis,
dann ist dieses
Geheimnis-Teilen
schon so besonders,
dass meistens die Kinder
daraus nicht mehr
herauskommen.
Zum Beispiel du,
ich muss dir das sagen,
ich finde dich so toll,
du bist so lange dabei,
aber ich bin doch
älter,
als ich gesagt habe.
Ich hoffe,
das ist kein Problem,
aber ich finde dich
einfach toll,
du verstehst mich.
Und wenn die Kinder
aus dieser Geheimnisphase
nicht herauskommen,
dann ist es meistens so,
bis der restliche Weg
vorgegeben ist.
Für die Kinder
ist nämlich in dem Moment
viel wichtiger,
dass da ein erwachsener
Mensch sitzt,
der in ihren Augen
ja Autorität hat
und sich aber auf
freundschaftlicher Basis
mit ihnen bewegt
und ihnen Recht gibt.
Und wir alle wissen ja,
wie unfair man sich
als Kind oder Teenie
behandelt führte
von den Erwachsenen damals.
Und jetzt ist mal
einer von denen da,
der sagt,
dass die nicht immer
Recht haben.
Also dieses Gefühl
löst das dann
in denen aus.
Und noch ein Gefühl
wird durch dieses
ein Erwachsener
redet mit mir ausgelöst.
Ich hatte das
in der Schule auch.
Da habe ich mich
mit einem recht älteren
Typen gedatet,
nachdem mich
mein erster Freund
abserviert hat.
Und da habe ich mich
halt gefühlt
wie Königin Revenge,
ja,
weil du hast mich
zwar mit der
aus der A betrogen,
aber ich habe jetzt
einen Freund,
der schon
Autofahren darf.
Ja,
also für
jüngere Menschen
fühlt sich das
besonders an,
dass man jemanden hat,
der älter ist
und der reifer ist,
als jetzt beispielsweise
die Partner der Freundinnen.
Typisch für Cyber-Grooming
ist übrigens,
dass die TäterInnen
versuchen,
ihre Opfer
meist ganz schnell
in private Messenger
zu locken,
damit sie da
ungestört sind.
Das ist für sie ja
eben auch der Vorteil,
also dass sie im Netz
sind und da
eigentlich niemand sieht,
wie sie sich
an die Kinder ranmachen.
Da haben sie halt
viel mehr Gelegenheiten
als im echten Leben.
Ziel der TäterInnen
ist es dann ja,
sich an der Kontaktperson
sexuell zu vergehen
und dass die Kinder
dabei missbraucht werden,
das merken sie halt
oft gar nicht,
weil sie sich gar nicht
in der Opferrolle sehen,
sagt Thomas Gabriel Rüdiger.
Bei den Opfern
von Intimitätstätern
muss man sagen,
dass ich nicht glaube,
dass viele Kinder
erkennen,
dass das jetzt
tatsächlich
Missbrauchshandlungen sind,
weil bei diesen Tätern
es häufig so ist,
dass es sich schaffen,
dass das Kind
den Täter
als Freund
Vertrauten ansieht
und so als erste Erfahrung
und deswegen
diesen Missbrauchscharakter
gar nicht immer
so richtig erkennt.
Es gibt halt auch Fälle,
wo man dann
die Täter rausholt
und die Kinder dann sagen,
wieso nehmt ihr mir
meinen Freund weg?
Also das ist ganz schwierig.
Die haben eine ganz feste Bindung
teilweise bei diesen
Intimitätstätern,
wo man nichts machen kann.
In der letzten Folge
hatte ich bei der
gefühlten Schuldverteilung
ja kurz davon geredet,
dass auch wenn man
die Schuld vorauseilend
immer auf sich nimmt,
dass das eine Art
Schutzmechanismus ist.
Und das war bei Nele
auch der Fall,
sagt Jörg Feigert,
Direktor der
Kinder- und Jugendpsychiatrie
im Universitätsklinikum Ulm
in einem Interview
mit der Zeit.
Kinder kommen auch deswegen
nicht so schnell
wieder aus diesen Beziehungen
heraus,
weil sie die andere Person
selbst ja auf eine Art
Sockel gestellt haben,
also ähnlich wie Eltern
oder andere Autoritätspersonen.
Und sich dann wieder
von ihnen zu trennen,
heißt für sie halt oft
alles zu hinterfragen,
was die Person ihnen gesagt hat.
Nach außen
erwecken solche Taten
bei manchen Personen,
wie wir ja auch
in meinem Fall gesehen haben,
den Eindruck,
sie hätten das ja
frei entscheiden können
und es wäre
ihr eigener Wille gewesen.
Aber Kinder
sind ja nicht umsonst
Kinder
bis zu einem gewissen Alter.
Wir tun so,
als wenn ein Kind
eine freiwillige Entscheidung
in so einem Prozess
machen kann.
Zunächst ist das so,
strafrechtlich ist ganz klar
geregelt,
dass bis 14 Jahren
da gar nichts ist
mit hier sexueller
Weiterentwicklung,
sondern es ist immer
strafbar,
wenn ältere Personen
in irgendeiner Form
mit einem Kind
interagiert.
Das ist zunächst mal
das Erste.
Der zweite Aspekt ist,
dass diese Täter
halt so emotional
intelligent sind,
dass sie die Kinder
so Sachen vorgaukeln
und sie in eine
emotionale Abhängigkeit bringen,
dass sie das
gar nicht erkennen.
Und wir tun jetzt so,
als wenn eine 13-Jährige
die Machtmechanismen
von einem Erwachsenen
beherrschen müsste
oder auch ein 13-jähriger Junge.
Es sind ja nicht nur
Mädchenopfer,
sondern es sind auch
viele Jungs.
Das sind nun mal Kinder.
Sie haben doch nicht
dieses Wissen,
dieses Erfahrungsschatz,
um sich sowas
entgegenzustellen.
Ja,
vollkommen richtig.
Woher sollen denn
Kinder das auch wissen?
Wurdest du als Kind
mal cybergegroomt?
Ich glaube nicht.
Obwohl ich bei Knuddels
unterwegs war,
wo sich ja viele
solcher Menschen
rumgetrieben haben.
Ja,
ich wollte auch
darauf hinaus,
also ich war auch
bei Knuddels.
Und wenn man mal
jetzt so
retrospektiv
darüber nachdenkt,
was man da auch
so gefragt wurde
und so,
kann ich ehrlich gesagt
nicht
jetzt mit Sicherheit
sagen,
dass da immer
der 13-Jährige
Thomas
auf der anderen
Seite stand,
ja,
oder nicht vielleicht
der 50-Jährige
Herbert.
Ja,
oder so wie bei
meiner ersten
Online-Liebe
mit Deo-Spray.
Deo-Spray
sollte Ben heißen
und mit Deo-Spray
hatte ich bestimmt
ein Ja,
irgendwie was
am Laufen
in Anführungsstrichen
und dann habe ich
den einfach mal
auf seiner
Handynummer
angerufen,
stellte sich heraus,
war ein Mädchen.
Nee.
Doch.
Also das war so
eine Enttäuschung.
Ja,
oh nein,
ja.
Ist ja auch voll
der Vertrauensmissbrauch.
Ich weiß nur noch immer,
wie das halt war so
Hi,
Hi,
M oder F.
Das war immer das Erste
und dann halt wie alt
und dann war irgendwie
die dritte Frage,
welche BH-Größe
und ich war natürlich
immer mit einer Freundin
oder so unterwegs
und dann sind wir
zum Schrank
der Mutter gerannt,
wie so irre,
weil wir überhaupt
nicht wussten,
was gibt es denn
überhaupt für Größen
oder so
und dann schnell
das zurückgeschrieben.
Ja so,
mittelgroße Grapefruit
mit normalem
Unterbrustumfang
plus Babyspeck.
Nee,
jetzt mal Spaß beiseite,
das ist super gefährlich
und auch von uns
eine Bekannte,
davon die Tochter,
die ist glaube ich 13,
die hat vor kurzem
Nacktbilder
verschickt
und die Mutter
wusste auch gar nicht,
dass sie die Tochter
auch mit Fremden
überhaupt chattet.
Das war für alle
ganz schlimm
in der Familie,
ja und an allererster Stelle
natürlich für die Tochter,
der das super unangenehm war,
aber die ja auch
so tief drin gesteckt hatte
und dachte,
ja das ist normal
oder ich mag ihn ja auch
und er schickt mir ja auch
Bilder oder so.
Ja das ist eben
bei diesen hypersexualisierten Tätern
halt oft der Fall,
dass die natürlich
die Kinder dann
unter Druck setzen,
wenn du einmal was geschickt hast,
dann ist das natürlich,
was sie dann in der Hand haben,
um dann halt mehr zu fordern.
Ja und deshalb ist es so wichtig
aufzuklären,
die Kinder zu schützen
und darauf zu achten,
was sie im Internet so machen,
damit sie halt
nicht manipuliert werden.
Bei meinem Fall haben wir es mit jemandem zu tun,
der nicht nur eine Person,
sondern eine ganze Stadt getäuscht hat.
Versuchen Sie nicht,
mich zu hypnotisieren,
sagt der Staatsanwalt zur Angeklagten,
die ihn durchdringend ansieht.
Es ist noch früh an diesem 12. Juni 1925 in Mötling,
in der Nähe von Wien,
als die 28-jährige Martha
einen lauten Schrei hört.
Es ist die Stimme von Emil,
ihrem Ehemann
und sie kommt von draußen.
Martha rennt in den Garten
und sieht dort Emil
zwischen abgehackten Holzstümpfen
auf dem Boden liegen.
Um ihn herum
ist alles voller Blut
und sein linkes Bein
hängt nur noch an wenigen,
halb durchtrennten Seen.
So erzählt es Martha den Helfern,
als sie mit ihrem Ehemann
im Rettungswagen ins Krankenhaus fährt.
Ihrem Mann sei beim Holzhacken
die Axt aus der Hand
direkt ins Bein geglitten.
Emil kommt daraufhin
in die Notaufnahme
und wird operiert.
Als der junge Mann
aus dem OP-Saal geschoben wird,
hat er nur noch ein Bein.
Das Pärchen ist fassungslos.
Nur ein paar Tage später
kommt der nächste Schock.
Emils Unfallversicherung
weigert sich,
die Versicherungssumme auszuzahlen.
Die Firma ist nach Sichtung
der ärztlichen Befunde
der Meinung,
es hätte sich nicht
um einen Unfall,
sondern um Eigenverstümmelung
gehandelt.
Daraufhin wird dann
die Polizei eingeschaltet,
um zu prüfen,
ob es sich um einen
Versicherungsbetrug handelt.
Im Rahmen der Ermittlungen
wird unter anderem
der behandelnde Arzt befragt,
der aussagt,
dass Emils Bein
drei verschiedenen
angesetzte Hiebwunden aufwies,
als er zu ihm in den OP kam
und dass er glaubt,
dass sich der Unfall
zumindest nicht so zugetragen hat,
wie von der Ehefrau angegeben.
Für Marthas Version
spricht allerdings ein anderer Zeuge,
der sich kurze Zeit später
bei der Polizei meldet.
Ein Krankenpfleger gibt an,
er habe überhört,
wie der behandelnde Arzt
mit anderen Ärzten darüber sprach,
den ärztlichen Befund
im Auftrag der Versicherung
zu manipulieren,
damit es so aussieht,
als hätte Emil
sich selbst verletzt.
Im Frühjahr 1927
kommt es dann zum Prozess
am Wiener Landgericht.
Junges, armes und attraktives Pärchen
gegen große, mächtige
und gierige Versicherungsgesellschaft.
Dieses Bild malt die Presse,
die den Fall von Anfang an begleitet
und Fotos des Ehepaares
auf ihren Titelseiten druckt.
Der berühmte Schriftsteller
und Journalist Felix Salten
schreibt zum Prozessauftakt über Martha,
Hochblonden Blondinen, wow.
Gleich zu Beginn des Prozesses
wird der Gerichtsmediziner geladen.
Der erklärt,
dass es sich seiner Meinung nach
nicht um einen Unfall,
sondern um absichtlich
herbeigeführte Verletzungen
gehandelt hat.
Ob Emil sich diese
selbst zugefügt hat,
kann er aber nicht
mit Sicherheit sagen.
Ein herber Schlag
für die Angeklagten.
Auch der Krankenpfleger
kann nicht mehr als Zeuge
der Verteidigung gesehen werden.
Der nämlich hat seine Aussage
zurückgenommen,
Ärzte hätten den Befund manipuliert
und gibt als Entschuldigung an,
dass er von Martha
Geld angeboten bekommen habe,
um die Falschaussage zu machen.
Die Verteidigung hingegen
spricht von einem Komplott
und einer Versicherung,
die mit allen Mitteln versucht,
ihrer Pflicht nicht nachkommen zu müssen.
Martha versichert ihre Unschuld
und erklärt,
dort steht das Kruzifix.
Ich hebe die Finger der rechten Hand
und ich schwöre,
dass hier ein Unfall vorliegt
und kein Betrug,
so wahr mir Gott helfe.
Die Presse steht hinter ihr.
Mit ihrer charmanten
und freundlichen Art
hat Martha nicht nur
die anwesenden Journalistinnen
im Gerichtssaal überzeugt.
So wird sie durch diese Verhandlung
zum blonden Engel von Wien.
Und das Gericht?
Das schließt sich trotz des Gutachtens
dieser Meinung an
und spricht Emil und Martha
des Versicherungsbetrugs frei.
Dazu schreibt Journalist Salten,
Ein anderes Urteil als der Freispruch
konnte nicht gefällt werden.
Es war eine Sache des Herzens,
eine Forderung der Menschlichkeit.
Er entsprach dem Rechtssinn des Volkes,
das sich mit einer Verurteilung
nie und nimmer beruhigt hätte.
Der Freispruch gilt allerdings
nur für die Anklage
wegen Versicherungsbetrugs.
In zwei Nebenanklagepunkten
wird das Ehepaar
doch schuldig gesprochen.
Martha und Emil
müssen wegen Verleumdung
und Verleitung zur Falschaussage
jeweils kurze Haftstrafen antreten.
Von der Versicherung
bekommt das Ehepaar
aber letztendlich
doch noch eine große Auszahlung.
Nachdem Emil und Martha
ein paar Monate später
aus dem Gefängnis kommen,
zahlen sie von diesem Geld
Schulden zurück
und machen sich ein schönes Leben,
kaufen sich Autos,
Luxuskleidung
und gehen auf Reisen.
Gucci-Pullover?
In dieser Zeit
bekommen sie zwei Kinder,
Alfons und Ingeborg
und gründen ein Taxi-Unternehmen.
Doch innerhalb von ein paar Jahren
ist das Geld
der Versicherung aufgebraucht
und ihre Firma pleite,
woraufhin sie ihr großes Haus
verkaufen müssen.
1932 lebt Martha
dann mit zwei Kindern
und einem invaliden Ehemann
in einem Schrebergartenhäuschen
im Westen Wiens.
Das zehrt an ihren Nerven.
Immer wieder schreit sie Emil an,
beleidigt ihn als Krüppel
und Verbrecher
und lässt ihre Launen
an den Kindern aus.
Zu den Finanziellen
kommen dann auch noch
gesundheitliche Probleme.
Emil beginnt zu kränkeln.
Erst klagt er über Magen
und stechende Fußschmerzen,
dann kann er sich
nicht mehr richtig bewegen,
nicht mehr ordentlich sehen
und sprechen.
Als Nachbarn irgendwann mitbekommen,
wie schlecht es Emil geht,
drängen sie Martha
mit ihm ins Krankenhaus zu fahren.
Dort erklärt sie den Ärztinnen
mit tränenerstickter Stimme,
dass ihr Mann
an einer Blinddarmentzündung
erkrankt ist.
Ein paar Tage später
ist Emil tot.
Laut den Ärztinnen
ist er aber nicht
an einem entzündeten
Blinddarm,
sondern an einer
entzündeten Lunge
gestorben.
Als Emil beerdigt wird,
schreit und weint
Martha so sehr,
dass die anwesenden
Trauergäste
den Pfarrer kaum hören können.
Sie ist jetzt mit Anfang
30 Witwe und alleinerziehende Mutter.
Und als wäre das
noch nicht schlimm genug,
erkrankt nur wenige Wochen später
die neun Monate alte Ingeborg.
Am 2. September
folgt sie ihrem Vater.
Auch bei ihr
wird als Todesursache
eine Lungenentzündung festgestellt.
Als dann auch noch
Alfons ähnliche Symptome
wie sein Vater entwickelt,
von den Ärztinnen
aber rechtzeitig gerettet werden kann,
wird die Presse hellhörig.
Durch den Prozess
vor einigen Jahren
war Martha
zu einer lokalen Berühmtheit geworden,
sodass ihre neue Leidensgeschichte
viel Aufmerksamkeit einbringt.
Die schöne und charmante Martha
bekommt großes Mitleid
aus der Bevölkerung
und viele Menschen
spenden ihr Geld.
Auch ihre Großtante
möchte der jungen Witwe helfen.
Susanne,
zu der Martha bisher
so gut wie keinen Kontakt hatte,
ist ebenfalls Witwe
und wohnt mit 67 Jahren
alleine
in einer großen Villa in Wien.
Sie bittet Martha an,
mit Alfons bei ihr einzuziehen.
Für beide
eine Win-Win-Situation,
denn Martha ist mittellos
und alleinerziehend
und Susanne einsam.
So leben die drei gemeinsam
über ein Jahr lang
in dem großen Haus,
bis Susanne
ganz plötzlich erkrankt.
Ihr fallen die Haare aus
und sie kann sich
nicht mehr richtig bewegen.
Obwohl sich Martha
aufopferungsvoll
um ihre Tante kümmert,
stirbt Susanne
am 11. Juli 1934.
Auf der Beerdigung
ist Martha
von Trauer gezeichnet.
Doch der Tod
macht sie reich,
denn sie steht
als Universalerbin
im Testament von Susanne,
das die alte Dame
kurz vor ihrem Tod
noch hatte ändern lassen.
Mit dem geerbten Geld
kauft sich Martha
ein großes Haus
im Wiener Stadtteil Hitzing
und zieht dort
mit ihrem Sohn ein.
Ein Zimmer vermietet sie
bald darauf
an einen Versicherungsmakler,
ein anderes
an die arbeitslose Schneiderin
Frau Kittenberger,
die bei ihr
als Haushälterin anfängt.
Monatelang läuft
alles reibungslos,
doch im Sommer 1936
kann Frau Kittenberger
plötzlich nicht mehr arbeiten.
Ihr geht es schlecht,
sie leidet unter Schmerzen
in den Füßen
und Lähmungserscheinungen.
Als ihr Sohn Herbert
sie besucht und sieht,
wie schlecht es seiner Mutter geht,
bringt er sie ins Krankenhaus.
Dort kann man ihr
aber nicht mehr helfen.
Am 2. Juni
stirbt die 53-Jährige
vermutlich an einem Hirnschlag,
so der Arzt.
Als Herbert
nach dem Tod
seiner Mutter erfährt,
dass diese eine Lebensversicherung
abgeschlossen
und als begünstigte
Martha eingetragen hatte,
konfrontiert er
die ehemalige Hausherrin
seiner Mutter.
Die ruft daraufhin
die Polizei,
die Herbert des Hauses verweist.
Als habe Frau Kittenberger
Martha angesteckt,
entwickelt die
in der Folgezeit
ganz ähnliche Symptome.
Martha geht es irgendwann
so schlecht,
dass ihr Untermieter
einen Arzt ruft.
Der hat keine guten Nachrichten.
Lange wird Martha
wohl nicht mehr machen.
Ein halbes Jahr später
geht dann bei der Polizei
in Wien ein Anruf ein.
In einem Haus
in Hitzing
sei eingebrochen worden.
Als ein Polizist
vor dem großen Haus steht,
öffnet ihm eine blonde Frau
mittleren Alters.
Sie führt ihn durch das Haus,
um ihm zu zeigen,
welche Gegenstände
entwendet wurden.
Dabei humpelt sie
und hält sich
immer wieder an Möbeln
und der Einrichtung fest.
Die Frau erzählt,
dass sie seit einiger Zeit
an Lähmungserscheinungen
und Sehstörungen leide.
Außerdem,
dass sie alleine zu Hause war,
als die Diebe kam.
Wertgegenstände
in einem Gesamtwert
von umgerechnet
mehreren Tausend Euro
seien weg,
so die Frau.
Die Frage,
ob die Sachen versichert seien,
beantwortet sie mit Ja.
Als der Polizist
zurück auf die Wache fährt,
hat er ein komisches Gefühl.
Die Frau hatte ihm erzählt,
dass große, teure Teppiche
gestohlen wurden.
Im Haus hatte er viele
kleine wertvolle Gegenstände gesehen,
die er als Diebär mitgenommen hätte,
als so auffällig und schwer
zu transportierende
Gegenstände wie Teppiche.
Außerdem wundert er sich,
dass er keine
Einbruchsspuren
hatte finden können.
Als er seinen Vorgesetzten trifft,
äußert er ihm gegenüber
Zweifel an der Version
der blonden Frau.
Der schlägt vor,
die Dame mal genauer
unter die Lupe zu nehmen.
Dazu spricht der Beamte
unter anderem mit einer Nachbarin,
die angibt, dass ihre Nachbarin Martha
eigentlich gar nicht so krank sei
und auch ganz normal gehen könne.
Überzeugt, dass der gemeldete Einbruch
ein Versicherungsbetrug ist,
überprüft die Polizei
auch die Vergangenheit der Frau.
In ihren Akten
finden sie eine Aussage
von Herbert Kittenberger,
der einige Monate zuvor
bei der Polizei
die Vermutung angestellt hatte,
die Frau mit dem Namen Martha
hätte seine Mutter vergiftet.
Damals war nicht ihm,
sondern der charmanten,
kränklichen Frau geglaubt worden.
Jetzt aber wird die Exhumierung
der Leiche von Frau Kittenberger
beantragt.
Die Obduktion ergibt,
dass ihr Tod durch eine schwere
Thalliumvergiftung eingetreten ist.
Nachdem dieses Gutachten
der Staatsanwaltschaft vorliegt,
werden auch Emil,
Ingeborg und Susanne untersucht.
Bei allen dreien
kann Thallium nachgewiesen werden.
Ein Gift,
das in der Drogerie erhältlich ist,
und zwar in Form von
Schädlingsbekämpfungsmitteln.
Martha wird also festgenommen
und am 2. Mai 1938
wegen vierfachen Giftmordes
versuchten Mordes an ihrem Sohn
und zweifachen Betrugs
vor Gericht gestellt.
In diesem Prozess
werden fast 100 Zeugen gehört
und mehr als 1400 Seiten
Beweise präsentiert,
die deutlich machen,
wie Martha ihre Mitmenschen
manipuliert hat.
Denn schon früh hatte sie erkannt,
wie sie andere für sich nutzen kann.
So lernte sie als Jugendliche
einen wohlhabenden
Textilgroßhändler kennen,
mit dem sie eine Beziehung anfing.
Kurz darauf erpresste Martha ihn,
erklärte, dass sie ihn wegen Unzucht
mit einer Minderjährigen
anzeigen würde,
wenn er ihr kein Geld geben
und sie nicht als Erbin
in sein Testament aufnehmen würde.
Als der Herr dann mit 74 Jahren
ganz plötzlich verstarb,
wurde Martha mit Anfang 20
auf einen Schlag reich.
Nur vier Monate später
heiratete sie den Studenten Emil,
mit dem sie zusammen
in der Villa des Verstorbenen lebte
und das Geld
mit vollen Händen ausgab.
Als ihr Vermögen
dann zur Neige ging,
suchte sie nach neuen Wegen,
an Geld zu kommen und schaffte es irgendwie,
ihren Mann zu überzeugen,
bei ihrem Plan mitzumachen.
So schickte sie Emil
zu einem Versicherungsagenten
und ließ ihn eine Lebensversicherung
abschließen,
die für den Todesfall
umgerechnet ca. 90.000 Euro
für den Fall einer Behinderung
360.000 Euro vorsah.
Hä?
Als Begünstigte wurde
Martha eingetragen.
Und nur einen Tag
später
kam es
zu dem
Unfall
mit der Aktion.
Nein!
Emil war Martha
so hörig gewesen,
dass er sich für sie
ein Bein
abhackte.
Mit seinem manipulativen
Geschick
hatte der blonde Engel
von Wien
auch die Presse
auf seine Seite gebracht,
die nur Positives
über ihn zu berichten hatte
und während des ersten Prozesses
unter den Tisch fallen ließ,
dass Martha
einen Krankenpfleger
bestochen hatte.
Und letztlich
passierte dasselbe
vor Gericht,
das sie vom Betrug
freigesprochen hatte.
In ihren drei Monaten
im Gefängnis
lernte Martha übrigens
die verurteilte
Giftmörderin
Leopoldine Lichtenstein
kennen,
die ihren Mann
mit einer
Rattengiftpaste
getötet hatte.
Die wurden dann
Best Buddies
oder was?
Genau.
Inspiriert von dieser Frau
vergiftete Martha
dann ihre eigene Familie.
Zuvor hatte sie
auf ihren Mann
noch eine neue
Lebensversicherung
abgeschlossen,
der dies scheinbar
nicht verdächtig fand.
Das Vertrauen
ihrer Tante zu erschleichen
ging dann nicht so schnell.
Mehr als ein Jahr
hatte sie sie bearbeiten
müssen,
ehe die alte Dame
sie als Universalerbin
in ihr Testament eintrug
und ihr kurze Zeit später
einen großen Geldsegen
bescherte.
Den Versicherungsmakler,
den Martha
ganz uneigennützig
ein paar Monate später
bei sich einziehen ließ,
konnte sie dann
für ihren nächsten
Mord einsetzen.
Auch er tat alles,
was Martha ihm sagte
und so überzeugte
er die Haushälterin
Frau Kittenberger
eine Versicherung
abzuschließen
und als Begünstigte
ihre großzügige
und liebenswürdige
Chefin einzutragen.
Als Martha
dann selber
krank spielte,
ließ sich
sogar ein Arzt
von ihr täuschen,
der ihr ein baldiges
Ende diagnostizierte.
Nur der Polizist,
der wegen des
vermeintlichen Einbruchs
in ihr Haus kam,
war misstrauisch geworden.
Zuvor
hatten alle
ihr ihre Rollen
abgekauft.
Die,
der jungen Ehefrau,
die von einer Versicherung
über den Tisch
gezogen werden sollte,
die,
der aufopferungsvollen
Pflegerin
und die,
der tief trauernden
Angehörigen.
Selbst bei der Festnahme
hat es Martha noch
vollbracht,
die Menschen um sich
herum zu manipulieren,
sodass sie anstatt
in U-Haft
im Gefängniskrankenhaus
auf ihren Prozess
warten konnte.
Bei ihrer Verhandlung
sitzt Martha nun
in einem eigens
für sie gebauten
Krankenstuhl
und beteuert
wieder einmal
ihre Unschuld.
Um diese
beweisen zu können,
lässt sie über
ihren Verteidiger
beantragen,
sich in Hypnose
versetzen
oder die Wirkung
von Thallium
an ihr selbst
testen zu lassen.
Die Anträge
werden allerdings
abgelehnt.
Der geladene
Gutachter
bescheinigt
Martha eine
psychopathische
Persönlichkeit
mit hysterischen
Zügen.
Eine
Geisteskrankheit
liege aber
nicht vor.
Auch
keine
körperliche.
Martha hingegen
gibt weiterhin vor,
Sehstörungen und
Lähmungserscheinungen
zu haben,
obwohl sie
während der
Verhandlung
mehrere Male
von ihrem
Stuhl
aufspringt.
Der Staatsanwalt
versucht mit
allen Mitteln,
sie zu einem
Geständnis zu bringen,
doch Martha
starrt ihn nur an.
Oh Gott.
So durchdringend,
dass er sie warnt,
versuchen sie nicht,
mich zu hypnotisieren.
Martha aber bleibt
bei ihrer Aussage.
Ich kann das Bewusstsein
mit mir nehmen,
dass ich nicht dazu
beigetragen habe,
das Leben eines Menschen
zu verkürzen.
Diese Aussage
kommentiert der
Richter mit den Worten
Theater bis zum
letzten Augenblick.
Auch die Presse
kauft Martha
den Bonnenengel
nicht mehr ab
und ist schockiert
über ihre
Kaltblütigkeit.
Anlässlich
der großen
Beweislast
wird Martha
schließlich
des Mordes
an vier Menschen
schuldig gesprochen
und zum Tode
verurteilt.
Allerdings
geht niemand
davon aus,
dass sie
wirklich sterben
muss.
Normalerweise
wird einer Frau
in Österreich
damals Gnade
erteilt
und die Strafe
in eine
lebenslange
Haftstrafe
umgewandelt.
Doch vor
kurzem
war Österreich
von Deutschland
annektiert
worden,
sodass Adolf Hitler
Staatsoberhaupt
von Österreich ist
und sich
für den Tod
von Martha
entscheidet.
Am 6.
Dezember
1938
wird Martha
dann in einem
Rollstuhl
im Hof
des Wiener
Landgerichts
zur Guillotine
gefahren,
da sie immer noch
vorgibt,
gelähmt zu sein.
Als zwei Männer
sie aus ihrem
Stuhl heben,
kämpft sie aber
trotzdem gegen
ihr Schicksal an
und tritt dem
Scharfrichter
sogar ins
Gesicht.
Einige Minuten
später
ist Martha
tot.
Das ist das Ende?
Ja,
sie ist tot.
scheint tatsächlich
als wären
alle in ihrer
Umgebung
für sie
wirklich wie
Schädlinge
gewesen.
Also mehr
hat sie denen
ja gar nicht
zugestanden
zu sein.
Was ist
denn aus
ihrem Sohn
geworden?
Dazu
habe ich
nichts
gefunden,
nur
dass
der
mit
68
Jahren
gestorben
ist.
Also hat
er sie
ja zumindest
überlebt.
Ja,
das auf jeden Fall.
Was ich so
bemerkenswert
fand ist,
wie lange
Martha
unentdeckt
blieb,
obwohl sie
ja eigentlich
gar keine
sonderlich
gute
Kriminelle
war.
Also
wie kommt
man auf
die Idee,
diese
Versicherung
abzuschließen
und einen
Tag
später
diesen
Unfall
zu
inszenieren?
Also
möglicherweise
hätte man
einfach ein
bisschen
warten
können,
das nicht
ganz so
auffällig
zu machen.
Ich meine,
sie ist ja
jetzt damit
durchgekommen,
aber
wahrscheinlich
hatten das
noch nicht
so viele
Menschen
vor ihr
gemacht
oder man
wusste
halt
nicht
davon,
dass sie
dachte,
das ist
eine ganz
kluge
Idee
und war
es ja
dann
irgendwie
auch.
Ja,
leider.
Zumindest
hat sie
geschafft,
alle irgendwie
in ihren
Bann
zu ziehen,
sodass es
niemand
verdächtig
fand oder
gemerkt
hat.
Wahnsinn.
Wäre
Martha
nicht so
unvorsichtig
bei ihrem
letzten
Versicherungsbetrug
gewesen,
wären ihre
Morde ja
möglicherweise
nie entdeckt
worden.
Und das
liegt wohl
an ihrer
Mordwaffe,
womit ich
zu meinem
Aha komme,
dem
Giftmord.
Einer
einer der
ältesten
Arten
des
Tötens,
die
mit ganz
unterschiedlichen
Substanzen
durchgeführt
werden kann.
So haben
sich zum Beispiel
Menschen in der
Antike mit
Pilzen oder
Pflanzen
vergiftet
und später
dann mit
chemischen
Stoffen
wie
Arsen
zum Beispiel.
Im
19.
Jahrhundert
wurde das
übrigens als
Erbfolgepulver
bezeichnet,
weil es in
dieser Zeit öfter
mal in Adelsfamilien
dazu genutzt wurde,
ein bisschen
schneller an
sein Erbe
zu kommen.
Erst 1838
wurde ein
Verfahren
entwickelt,
mit dem man
die Tötung
durch Arsen
dann eindeutig
toxikologisch
nachweisen konnte,
wodurch dieses
Mittel zum Morden
dann auch erstmal
nicht mehr
eingesetzt wurde.
MörderInnen
mussten auf
andere Gifte
umschwenken
und Alkaloidpflanzen
wurden wieder
populär.
Für diese
gab es damals
nämlich noch
keine
Nachweismethoden
und den
ÄrztInnen waren
die Vergiftungssymptome
auch nicht bekannt.
Mit immer mehr
chemischen
Experimenten
kamen aber auch
neue Mordwaffen
dazu,
wie beispielsweise
die Blausäure,
die später dann
in Form von
Zyankali
eingesetzt wurde.
Nach dem
Ersten Weltkrieg
gab es dann
die Thaliumsalze,
zu denen ja auch
Martha griff,
und später das
Pflanzenschutzmittel
E605
oder auch radioaktive
Stoffe,
wie zum Beispiel
das Polonium.
Und oft wird
ein Gift
als Mordwaffe
nur entdeckt,
weil die TäterInnen
es nicht bei einem
Mord belassen,
sondern so oft
töten,
dass es dann
irgendwann verdächtig
wird.
Es war und ist
also immer
ein Wettrennen
zwischen
vermeintlich cleveren
TäterInnen,
die hoffen,
dass sie halt
durch die Verwendung
neuer Substanz
nicht entdeckt werden
und der Wissenschaft
auf der anderen Seite,
die ständig ihre Methoden
verfeinert
und auch aufklärt.
Heute sind die
Tatwaffen bei
Giftmorden
meist sehr unauffällig,
weil es sich um
moderne Arzneimittel
handelt,
die auch leicht
zugänglich sind.
Insgesamt muss man
aber sagen,
dass der Giftmord
ein seltenes Phänomen
unter den Tötungsdelikten
ist und seine
Häufigkeit auch in den
letzten Jahrzehnten
immer weiter abgenommen
hat.
Je nach Literaturangaben
liegt die relative
Häufigkeit zwischen
0,17 und 6,5 Prozent.
Auf der anderen Seite
glaubt man,
ExpertInnen werden
tausend Tötungsdelikte
pro Jahr gar nicht
erst bemerkt.
Burkhard Madea,
Rechtsmediziner an der
Uni Bonn und Experte
für ungeklärte
Todesursachen,
ist der Meinung,
dass ein Großteil
davon Giftmorde
sind.
Und das Klischee,
dass vor allem
Frauen auf diese
Mordwaffe zurückgreifen,
bestätigen übrigens
viele Forschungsarbeiten.
Dr. Erika Eickermann,
die ihre Dissertation
zum Thema
Giftmorde geschrieben hat,
führt das nicht etwa
auf charakterliche,
sondern kulturelle
Gründe zurück.
Da es eben
die traditionelle
Aufgabe der Frau war,
sich ums Essen
zu kümmern
und um die Pflege
von Alten und Kranken,
hatten Frauen
einfach besseren Zugang
und auch bessere
Kenntnisse
zu Stoffen
aus der Natur
oder dem
Arzneischrank.
Da die Frau
dem Mann
in der Regel
körperlich
unterlegen ist,
sind Mordwaffen
wie das Gift
für sie auch
einfach leichter
in der Anwendung.
Der Giftmord
ist übrigens
meist eine
Beziehungstat
und tatsächlich
ist es ja auch
eine sehr perfide
Art,
jemanden umzubringen,
weil es einfach
in einem sehr
intimen Umfeld
passieren kann.
Beim
Abendessen zum Beispiel.
Und wenn ich
dich jetzt
vergiften will,
ja,
dann kann ich dir
ganz nett
ins Gesicht grinsen,
wenn du die
vergiftete Suppe
isst.
Ja,
ob Skripal
das so intim
fand in dem
Moment,
weiß man nicht.
Nee,
die waren ja
nicht dabei.
Aber bei den
meisten handelt es
sich ja um
eine Beziehungstat.
Dann wird zum Beispiel
das Essen
vergiftet und dann
nimmt die Täterin
oder der Täter
das zusammen
mit dem Opfer
ein.
Und das ist ja
sehr perfide,
wenn man drüber
nachdenkt,
weil es so
heimtückisch ist.
Ja,
wie wird denn das
dann eigentlich
gewertet?
Ist das denn
auch ein Mord
aus Heimtücke?
Das ist oft
ein Mord
aus Heimtücke,
genau deswegen,
ja.
Aber bei diesen
großen Fällen
von Giftmorden
ist es halt
wirklich immer so
gewesen,
dass es
eine Serie gab,
das wirklich,
das dann halt
irgendwann aufgefallen
ist, weil alle
rund um diese
Person gestorben
sind, ja.
Naja,
wenn man beim
ersten Mal
merkt,
wie leicht
es geht,
man macht sich
halt auch
nicht großartig
die Finger
schmutzig
dabei.
Ja,
und es ist
natürlich auch
eine Macht,
die TäterInnen
dann haben.
Martha hat sich ja
offenbar auch sehr
mächtig gefühlt,
sonst wäre sie
vielleicht etwas
vorsichtiger
gewesen und hätte
sich nicht nur
auf ihre
Manipulationskünste
verlassen,
auch wenn die
natürlich gut waren,
keine Frage.
Also Manipulation
heißt ja erst mal
nichts anderes
als eine
gezielte
Einflussnahme.
Also manipuliert
wird man,
wenn man von
anderen Menschen
irgendwo hingelenkt
wird,
weil sie
beispielsweise
davon einen
Vorteil haben.
Ja,
wie zum Beispiel
Geld jetzt gerade
beim
Martha.
Dabei merkt man
aber selbst
nicht,
dass man gerade
in eine
bestimmte
Richtung
beeinflusst
werden soll.
Und im
Zusammenhang
mit dem
Thema wird
gerade im
Crime-Bereich
oft der
Begriff
Gehirnwäsche
benutzt.
Das steht
aber nicht
synonym
füreinander.
Also
Gehirnwäsche,
wenn man das
so nennen
will,
ist eine
besonders
starke
Form
der
Manipulation.
Dabei
sollen dann
alte
Einstellungen,
Wertvorstellungen
Ideen abgelegt
und durch
neue ersetzt
werden.
Und das
kann passieren,
indem man das
Opfer psychisch
unter Druck
setzt oder,
so wie das
früher eher
vorgekommen ist,
es versucht wird,
durch körperliche
Misshandlungen
zu brechen.
Gehirnwäsche
ist natürlich
kein
wissenschaftlicher
Begriff.
Also der wäre
jetzt
Mentizid.
Zid ist ja
oft ein
Wortbildungselement,
was für
Tötung steht.
Also zum Beispiel
wie bei
Suizid oder
Genozid.
Und das
Phänomen der
Gehirnwäsche
kam aus der
Kriegsgefangenschaft,
als im
Koreakrieg
nämlich amerikanische
Soldaten im
Gefangenenlager zum
Kommunismus
übertraten.
Das amerikanische
Verteidigungsministerium
hatte dann einen
Psychiater beauftragt,
über drei Jahre lang
nach der Ursache
der Gedankenumkehrung
zu forschen,
weil sie sich das
nicht vorstellen konnten,
wie das jetzt
passieren konnte.
Und es kam heraus,
es gab keine
Gewaltanwendung,
wie die Amerikaner
bisher gedacht hatten.
Die Soldaten
wurden eher
neu erzogen.
Die GIs
wurden von den
Kommunisten,
die viel
gebildeter waren
als sie,
bearbeitet.
Und zwar in
Gesprächen und
Diskussionen.
Und das ging auch
deswegen so gut,
weil die
amerikanischen
Soldaten zu Hause
keine Werte
vermittelt bekommen
hatten.
Also sie hatten kaum
ein Gefühl von
Gemeinschaft,
zueinander und
Ehre.
Und deswegen waren
sie viel
anfälliger für
eine
Umprogrammierung,
wenn man es denn
so nennen will.
Und tatsächlich
ist es so,
dass diese Art
von Manipulation
auf Dauer
viel
wirksamer
ist als die
mit
Gewaltanwendung.
Ja,
vor allem,
wenn du halt
eben gar nicht
weißt,
dass irgendwas
mit dir gerade
passiert,
wenn es nachher
auch nicht
aufgeklärt wird.
Weil du es bei einer
Gewaltanwendung ja immer
mitbekommst,
wenn irgendwas
äußerlich auf dich
einwirkt.
Das hast du da halt
nicht.
Also da benutzt man
den Begriff dann
erstmals geläufig.
Und die Gehirnwäsche
zeichnet sich vor allem
dadurch aus,
dass durch die
Bearbeitung
ein Verlust der
eigenen
Persönlichkeit
mit einhergeht.
Das muss halt
bei einer normalen
Manipulation jetzt
nicht unbedingt
der Fall sein.
Und hinter
jeder
massiven
psychischen
Beeinflussung
stehen
manipulative
TäterInnen.
Egal,
ob es sich
jetzt um
SektenführerInnen
handelt,
Gurus
oder
Sexualstraftäter
wie Jürgen
aus deinem Fall.
Allen ist gemein,
dass sie verschiedene
manipulative Strategien
anwenden,
ob jetzt bewusst
oder unbewusst.
Und die erste
ist gleich
die Auswahl
des Opfers.
In der Regel
suchen sich
solche TäterInnen
Menschen aus,
die schwächer sind
als sie,
vor allem was
so das Selbstbewusstsein
und die eigene
Identität angeht.
Also Menschen,
die sich an Kindern
vergreifen,
suchen sich zum Beispiel
gezielt solche aus,
die noch keine
starken sozialen
Beziehungen haben
oder zum Beispiel
von ihren Eltern
irgendwie vernachlässigt
werden.
Und dann
studieren sie ihre Opfer.
Das hattest du eben
schon mal gesagt
bei dem
Cyber-Grooming.
Also sie gucken,
was mögen sie,
wie verhalten sie sich
und wen kennen sie
und dann
binden sie sich an sie.
Entweder über
eine Liebesbeziehung
oder mithilfe einer
Freundschaft
oder auch eben
durch so eine Art
Abhängigkeitsverhältnis,
wie es zum Beispiel
zwischen
Mentor und Schüler ist
oder eben
Guru und Schüler
oder Chefin
und Angestellter.
Und diese Beziehung
baut der Täter
oder die Täterin
langsam auf
und bezieht häufig
dann die ganze
Familie mit ein
oder Freunden
und Kolleginnen
und geht auch
sehr
bedacht dabei vor,
also ist oft
sehr charmant
und so vorkommend
und lockt die Opfer
mit dem,
was sie triggert.
Also ganz plump
bei Kindern
zum Beispiel
das neue
Computerspiel
oder bezogen
auf Gläubige
zum Beispiel
der direkte
Kontakt
zu Gott,
den dann zum Beispiel
die Sektenführer
oder Sektenführerinnen
haben.
Und in solchen
sozialen Geflechten
ist das Opfer
dann arglos,
weil es einfach
nicht damit rechnet,
von einer
Vertrauensperson
manipuliert zu werden.
Und diese Mischung
aus Selbstunsicherheit
und emotionaler Bindung
macht es dann
diesen manipulativen
Menschen
erst möglich,
überhaupt
über einen langen
Zeitraum
und in extremer Form
zu beeinflussen.
Und das häufigste
Mittel,
das sie dabei
verwenden,
ist Lügen.
Und nicht nur,
dass die Täter
in sich Sachen
komplett ausdenken,
wie
ich kann mit Gott
sprechen
oder
deine Eltern
sind gar nicht
deine Eltern
oder deine Mutter
ist so und so
oder was weiß ich.
Sie lassen auch gezielt
Informationen aus
und leugnen.
Um ihr Verhalten
glaubhaft zu machen,
rationalisieren sie.
Also sie haben dann
stets eine gut klingende
Erklärung für alles
parat,
die dann von ihrer
Schuld ablenkt.
Beim Stichwort
Schuld,
das hattest du auch
eben schon mal
mit deinem Fall
eigentlich gezeigt,
ist es so,
dass die Täter
und Täterinnen
oft die Schuld
abgeben
an das Opfer.
Also nach dem Motto
schau zu was
du mich
gebracht hast
oder du bist
an allem schuld.
Und wenn das Opfer
trotzdem merkt,
dass es belogen wird
oder sonst irgendwie
benutzt wird,
dann wird auch
erniedrigt
und eingeschüchtert.
Und was wir auch
bei den Sekten
gesehen haben
oder was auch
bei Kriegsgefangenen
der Fall ist,
ist das Mittel
der Isolation.
Also wenn Menschen
von ihrem sozialen
Umfeld abgeschnitten
werden,
ist es halt
für die Täterinnen
noch leichter,
sie zu kontrollieren
und zu manipulieren.
Wichtig ist aber,
dass man das nicht
verallgemeinern kann,
weil es gibt nicht den
oder die
manipulative Täter
oder Täterin
und nicht alle
wenden dieselben
Strategien an.
Weil zum Beispiel
in meinem Fall
von Martha
war einer
ihrer Strategien,
die Opferrolle
einzunehmen,
um zu bekommen,
was sie will
und auch zum Beispiel
Personen,
die das
Münchhausens
Stellvertreter-Syndrom
haben,
das haben wir
in Folge 17
mal vorgestellt,
auch die wenden
diese Strategien an.
Also Menschen,
die ihre nahen Angehörigen
mit Absicht
krank machen,
um Mitleid zu bekommen
von anderen Menschen,
Aufmerksamkeit
oder auch
finanzielle Mittel.
Und wir hatten
erst vor kurzem
einen Fall,
in dem es auch
um manipulative
Täterinnen ging.
Da bin ich aber
nicht so sehr
drauf eingegangen,
weil ich wusste,
dass wir jetzt
in dieser Folge
uns damit
nochmal intensiver
beschäftigen.
Aber in der letzten Folge
habe ich ja über Höxter
geredet und auch
das Höxter-Paar
war ein manipulatives Paar.
Sie haben nämlich
Gaslighting
mit ihren Opfern
gemacht.
Das ist eine Form
der emotionalen
Manipulation.
Und dabei bringt dann
eine Person gezielt
die andere dazu,
massive Selbstzweifel
zu entwickeln,
um dann deren
Selbstbewusstsein
zu zerstören.
Und ein Aspekt
davon ist,
dass diejenigen,
bei denen das
angewandt wird,
ständig denken,
sie wären
schuld an etwas,
an dem sie gar
nicht schuld sind.
So war das halt eben
bei Angelika und
Wilfried,
weil ihre ständigen
Erniedrigungen und
Beleidigungen und auch,
dass die beiden immer so
abwertend über die
Frauen geredet haben
in deren Anwesenheit,
sollte halt die Opfer
regelrecht mürbe machen.
Und das war
deswegen möglich,
weil die Frauen
Wilfried ja zunächst
vertrauten und sich
ihm zu ihm hingezogen
fühlten.
das ist nämlich
eine der
Voraussetzungen.
Also ein Fremder,
den du nicht magst,
der könnte das jetzt
bei dir nicht
einfach anwenden.
Es muss immer
diese Vertrauensbasis
da sein.
Und die beiden
haben die Frauen
so massiv
verunsichert
und ihr Selbstwertgefühl
so zerstört,
dass das Gericht
halt das auch
als einen
der Gründe
ansah,
warum die Frauen
halt entweder
nicht wegliefen
oder sie
danach
nichts sagten.
In diesem Fall
kann man das ja
irgendwie als
Täter-Opfer-Beziehung
sehen,
aber auch
in Partnerschaftsbeziehungen
kommt das manchmal vor.
Wir kennen das zum Beispiel
auch aus dem Buch
oder aus dem Film
Girl on the Train.
Da hatte der Mann
seiner alkoholabhängigen
Frau eingeredet,
sie würde die
schlimmsten Dinge tun,
wenn sie betrunken ist
und sie konnte sich
wegen ihrer Blackouts
nicht mehr daran erinnern,
aber sie tat diese Dinge
gar nicht
und er kreierte
quasi eine komplett
andere Welt
als die,
in der die beiden
wirklich lebten.
Der Name
kommt übrigens
von einem Theaterstück,
in dem verändert
ein Ehemann
immer kleine Sachen
im Haus,
zum Beispiel
dimmt er heimlich
das Licht
einer Gaslampe
und immer wenn
seine Frau
sagt,
ihr wäre das aufgefallen,
weil es jetzt dunkler ist,
dann sagt er immer,
dass sie sich das ja wohl
einbilden würde
und dass sie spinnen würde,
bis er sie irgendwann
damit in den Wahnsinn treibt,
weil er ihre Realität
immer verneint.
Das ist fies.
Das ist super fies.
in dem Buch
zu Sadisten
von Lydia Benicke
habe ich auch
eine Geschichte gelesen,
in der sie halt
von einer Patientin erzählt,
die eben auch
Gaslighting erlebt hat
durch ihren Partner.
Der hatte sie dann
irgendwann auch so weit,
dass sie geglaubt hat,
eine komplett
falsche Wahrnehmung
zu haben
und sie hat geglaubt,
dass sie grundlos
eifersüchtig ist,
weil er ihr das
immer eingeredet hat,
obwohl er ihr
immer fremd gegangen ist.
Also sie hatte
immer einen Grund,
aber er hat
ihr das halt
immer wieder
aufs Neue erzählt
und das,
was sie denkt,
falsch ist
und Dinge,
die sie erlebt hat,
dass die nie
wirklich passiert sind
und es hat richtig
lange gedauert,
bis sich die Frau
von diesem Mann
lösen konnte.
Und zum Thema
Manipulation
habe ich gestern
auch mit Lydia
telefoniert
und was ich besonders
interessant fand,
war,
dass sie meint,
dass sich der Mann
in dieser Geschichte,
würde der heute
ihr Buch lesen,
würde er sich
nicht erkennen.
Ja, das glaube ich.
Und warum,
hat sie mir erklärt.
Die Annahme,
dass manipulative Täter
immer einen ausgeklügelten
Plan verfolgen würden,
die ist meiner Erfahrung
nach nicht immer zutreffend.
Es gibt natürlich Täter
wie beispielsweise
Betrüger,
die sich sehr genau
überlegen,
wie sie andere Menschen
um den Finger wickeln können
und dazu bringen können,
zu tun,
was sie wollen.
Aber es gibt auch
andere Täter,
die sehr manipulativ sind
und die sich ihrer
manipulativen Fähigkeiten
gar nicht so bewusst sind.
Ein Beispiel aus meiner Arbeit
wären zum Beispiel
Kindesmissbrauchstäter,
die häufig ein gutes
Gespür dafür haben,
welche Kinder eher
selbst unsicher sind,
auch irgendwie bedürftig sind
und die dann intuitiv
sehr, sehr nett
zu genau solchen Kindern
sein können.
Und diese Täter
manipulieren dann
nicht nur die Opfer,
sondern auch das Umfeld,
also auch die Familien
der Kinder
sehr gezielt.
Das ist denen aber,
während sie es tun,
häufig gar nicht
oder nicht im ganzen
Umfang klar
und die verstehen erst
in der Therapie,
dass sie maximal
erfolgreich manipuliert haben.
Ja, das ist einfach
diese fehlende Einsicht,
gepaart mit einer
ganz hohen
sozialen Intelligenz,
die die meisten
TäterInnen haben,
die so Opfer
manipulieren.
Häufig ist
solch extremes
manipulatives Verhalten
auch Teil
von Persönlichkeitsstörungen.
Und manche Störungsbilder
sind besonders gefährdet,
wie die sogenannten
Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen,
von denen schon einige
bei TäterInnen
in unserem Podcast
vertreten waren.
Darunter fallen
die narzisstische,
die antisoziale,
die emotional instabile
und die histrionische Störung.
Und die haben alle
ganz unterschiedliche Motive
und Vorgehensweisen
innerhalb ihrer Manipulation.
Ein narzisstischer Mensch,
der würde zum Beispiel
sehr strategisch
manipulieren,
er würde sich genau
überlegen,
zu wem er nett ist
oder wen er nicht
nett behandeln muss.
Ein antisozialer Mensch,
der würde wahrscheinlich
sehr offensiv vorgehen,
auch deutlich dominant
und aggressiv
seinen Bedürfnissen
Ausdruck verleihen
und auch sehr dominant
nach außen
sich darstellen.
Ein histrionischer Mensch,
der würde vordergründig
sehr, sehr nett wirken
und sehr charmant,
würde aber dann
Aufmerksamkeit generieren,
häufig durch dramatische
Geschichten,
also immer wieder
ganz dramatische
Erlebnisse,
die sich häufen
und die dann auch
das Mitgefühl
anderer Menschen erwecken
und Menschen mit einer
emotional instabilen
Persönlichkeitsstörung,
die auch als
Borderline-Persönlichkeitsstörung
bekannt ist,
die manipulieren teilweise,
ohne sich selbst darüber
im Ganzen,
im Klaren zu sein.
Zum Beispiel senden sie
sehr offensiv Signale
an Bezugspersonen,
dass sie ohne diese
nicht leben können
oder dass diese
sie retten sollen
und sie drohen teilweise
auch mit Selbstverletzung
oder Suizid.
Bei Martha
hatte der Gutachter
ja eine psychopathische
Persönlichkeit
mit hysterischen
Zügen
attestiert.
Heute würde man das
eher als
histrionische
Persönlichkeitsstörung
bezeichnen.
Wie Lydia gerade
schon gesagt hat,
sind solche Menschen
sehr dramatisch,
wie Martha,
die zum Beispiel
bei der Beerdigung
ihres Mannes,
den sie selbst getötet hat,
so laut schreit
und weint,
dass der Pastor
nicht zu Wort kommt
und sich auch immer wieder
in die Öffentlichkeit stellt,
um die größtmögliche
Aufmerksamkeit
zu bekommen.
Mich würde ja interessieren,
glaubt sie das
in dem Moment
auch selbst?
Lydia hat gesagt,
dass der große Unterschied
zwischen diesen
Histrionikern
und den Borderlinern ist,
dass die Borderliner
das wirklich glauben
und die fühlen das auch
und dass die Histrioniker
perfekt sind
im Nachahmen
von Emotionen,
aber sie nicht selber
wirklich fühlen.
Okay.
Wir hatten doch
bei uns auch schon mal
einen Fall von
histrionischer
Persönlichkeitsstörung.
Ja,
das war nämlich
in Folge 17
diese Täterin
Diane Downs,
die hat ja ihre Kinder
angeschossen
und dann erzählt,
dass sie überfallen wurde
und sie hatte doch
dann,
ach, die war doch
so ganz gruselig
und hat auch
alle Aufmerksamkeit
so genossen.
Noch gegrinst
in die Kamera.
Ja, ja, genau.
Ja, Diane Downs
hatte ja für
diese grausamen,
grausamen Taten
lebenslänglich
plus 50 Jahre
oder so bekommen.
also eine sehr lange
Strafe.
Genau,
und sie wurde ja
wegen Mordes
und versuchten
Mordes verurteilt.
Rechtlich gesehen
ist eine Manipulation
nur in manchen Fällen
strafbar.
Also Gaslighting
jetzt zum Beispiel
ist ja kein Delikt,
was man im
Strafgesetzbuch findet.
Und auch
wenn jemand
einen anderen Menschen
dazu bringt,
sich zu suizidieren,
ist es in Deutschland
sehr schwer,
den Täter
oder die Täterin
zur Verantwortung
zu ziehen,
weil,
wie wir bereits wissen,
ist Suizid
keine Straftat.
Einfacher ist es,
Manipulationen
zu bestrafen,
wenn sie,
ich sag mal,
klassisch vorkommt,
also in Betrugsfällen
nach Paragraf 263
des Strafgesetzbuchs.
Wenn jemand
dir im Internet
die große Liebe
vorspielt
wie Deospray
und sich dazu bringt,
ihm Geld zu überweisen,
dann ist das eben
Betrug,
weil es um Geld
beziehungsweise
Vermögen geht.
Und auch
wenn man
einen anderen
Menschen dazu bringt,
eine Straftat zu begehen,
macht man sich
strafbar.
Das haben wir zum Beispiel
im Fall des Katzenkönigs
gesehen,
den ich in Folge 15
behandelt habe.
Barbara und Peter
hatten Michael
eingeredet,
dass es einen Katzenkönig
gibt und dass nur er
die Welt
vor diesem retten könne,
wenn er
die Annemarie
enttötet,
die zufälligerweise
die Nebenbohlerin
von Barbara war.
Ja,
und Barbara und Peter
haben eben
diesen Irrtum
ausgenutzt
und Michael
gezielt gesteuert
und sozusagen
als Werkzeug
eingesetzt.
Obwohl sie selber
bei der Tat
nicht dabei waren
und auch keine
Gehilfen waren,
wurden sie des
versuchten Mordes
verurteilt und zwar
als sogenannte
mittelbare Täter.
Es gibt aber schon
auch Gerichtsurteile
zum Thema
Gehirnwäsche.
Natürlich
nicht hier
in Deutschland.
Lawrence
Wallersheim
war zehn Jahre
lang
Mitglied
bei Scientology,
bis er irgendwann
so einen
hohen Status
dort erreicht
hatte,
dass er gar
nicht mehr
wusste,
wer er selbst
war,
weil die Sekte
ihn halt so
manipuliert hatte,
dass er mehrere
Nervenzusammenbrüche
erlitt.
Und er stand
auch kurz
vor dem Suizid.
Und er ist
dann vor Gericht
gezogen und hat
dann tatsächlich
in einem
jahrelangen
Prozess
eine
Entschädigungszahlung
erstreiten können.
Und in Deutschland
gibt es auch
ein Urteil
zu Scientology
und Gehirnwäsche,
aber ganz anders
geartet.
Man darf
quasi Scientology
offiziell vorwerfen,
Gehirnwäsche
zu betreiben.
Das hatte nämlich
das Verwaltungsgericht
in Köln
1995 entschieden,
weil dieses
Auditing
eben darauf
abziehen soll,
die vorhandenen
Werte der
Mitglieder durch
neue Überzeugung
der Kirche
durch ein
Indoktrinationssystem
zu ersetzen.
Und das
käme so das
Gericht einer
Gehirnwäsche
gleich.
Also man sieht
anhand dieser
Urteile und
unserem
Rechtssystem,
dass Manipulation
nichts ist,
was jetzt
total selten
vorkommt
oder nicht
anerkannt ist.
Das liegt
vor allem
auch daran,
dass wir
alle
manipulierbar
sind.
Aber einige
Menschen sind
dafür halt
auf jeden Fall
anfälliger
als andere.
Ich hatte
ganz am Anfang
glaube ich
hier mal
über
dieses
Sozialexperiment
The Push
gesprochen,
wo jemand
die soziale
Folgebereitschaft
von Probanden
testet.
Und da geht es
ja darum,
ob man jemanden
so manipulieren kann,
dass die Person
einen Mord
begehen würde.
Und das Team
hatte aber für den
Versuch nicht einfach
irgendwelche Leute
genommen,
sondern vorher
getestet,
wer anfälliger
für Einflussnahme
ist.
Und dazu
hatten sie drei
SchauspielerInnen
in einen Raum
gesetzt und
immer eine
nichtsahnde
Person
dazu gepackt
und immer,
also die
Daßen
auf Stühlen
und immer
wenn eine
Glocke
klingelte,
dann sind die
SchauspielerInnen
aufgestanden
und wenn sie
dann wieder
klingelte,
dann haben sie
sich wieder
hingesetzt.
Und wenn
nun die
Versuchsperson
auch
aufgestanden ist
und sich
auch wieder
hingesetzt hat,
wenn sich
die anderen
hinsetzten,
dann war sie
eher geeignet
für den Test,
weil sie
als sozial
verträglicher
eingestuft wurde.
Wenn sie bei
diesem Test
einfach,
wenn sie
quasi einfach
mitgemacht hat,
ohne zu wissen,
warum die Leute
einfach aufstehen.
Ja, genau.
Weil sie
halt nicht
aus der
Reihe tanzen
wollten.
Also sie
haben sich
einfach an
der größeren
Gruppe
orientiert,
was halt
sozial
verträgliche
Menschen
lieber tun,
weil sie
halt gerne
Teil der
Gruppe sind
und nicht
außen stehen
wollen.
Und die
Menschen,
die nicht
aufgestanden
sind,
die haben
sie dann
wieder
entlassen,
weil sie
nicht
interessant
für das
Experiment
waren.
Und was
hat dieses
eigentliche
Experiment
dann nochmal
gezeigt?
Dann
spoilere ich
jetzt kurz,
also falls ihr
das noch
sehen wollt,
haltet euch
kurz die Ohren
zu.
Sie hatten
vier Probanden
und drei
davon
hätten den
Mord begangen.
Also haben
die Person,
die am
Abgrund
saß,
runtergeschubst.
Wow.
Also generell
kann man schon
sagen,
dass es
Hinweise
darauf
gibt,
ob man
leicht
zu
manipulieren
ist oder
nicht.
Zum Beispiel,
wenn man
sich leicht
Dinge
andrehen
lässt
oder
also
besonders
anfällig
ist
für
Werbung
zum Beispiel
auch
oder
wenn
man
Angst
vor
Ablehnung
hat.
Glaubst du,
dass du
leicht
zu
manipulieren
bist?
Also du
meinst
neben dem
Nagging
bin ich
auf jeden
Fall
manipulierbar
in Bezug
auf
Werbung.
Bist
du auch
so
anfällig
für
Packaging?
Was
heißt
das?
Na
wenn
man
sich
so
durch
so
Verpackungen
auch
richtig
krass
zum Kauf
überzeugen
lässt.
Du meinst
so
wie
du?
Wieso?
Ja,
letzte Woche
bist du
in der Drogerie
doch so
zielstrebig
auf die
eine
Gesichtsmaske
zugelaufen.
Das war
ein
sehr
schönes
Vertrauen
erweckendes
Turkis.
Ja,
auf jeden Fall
genau,
man weiß
ja
um diese
psychostrategischen
Mittel,
die die
Werbung
anwendet
und
ich würde
mal
sagen,
so
traditionelle
Werbung
wie
Fernsehwerbung
oder so,
die zieht
bei mir
auch
nicht.
Bei mir
ist es
aber leider
dieses
sogenannte
Influencer
Marketing.
Oh ja,
das ist so
schlimm bei Laura.
Ja,
für die Unternehmen
ist das ja
ein reiner
Segen,
also authentischer
kann eine
Werbung ja fast
gar nicht sein
und ja,
und obwohl
ich das weiß,
ich weiß,
dass dieser
Influencer
oder diese
Influencerin
dafür gerade
bezahlt wird
und nicht
zufälligerweise
dieses Produkt
auch privat
benutzt,
lasse ich
mich davon
immer wieder
manipulieren.
Das ist halt
echt richtig
freudig.
Wo
manipulierst
du denn
im Alltag?
Fast jeden
Tag
mit Fussels
Herrchen.
Fussel ist ja
ein Scheidungskind
und Herrchen
und ich
leben eigentlich
in einer harmonischen
Trennung
und wohnen auch
nicht weit
voneinander
entfernt
und wir
organisieren
das halt
immer so,
dass Fussel
im Grunde
kaum alleine
ist.
Aber wenn
es dann
halt mal
darum geht,
dass wir
beide
frei haben
oder einer
zu viel
Stress hat,
dann
mache ich
vor allem
ihm gerne
ein schlechtes
Gewissen.
So nach dem
Motto,
also der Fussel,
der hatte ich
ja jetzt schon
so lange
nicht gesehen
und der ist
ja auch
ganz traurig
und der
horcht hier
immer,
ob jemand
im Treppenhaus
kommt.
Zieht
auch immer.
Ich habe
bei dir
manchmal das
Gefühl,
dass du
bei mir
Gaslighting
anwendest.
so oft
wie von dir
habe ich
nämlich noch
nie von
irgendwem
die Wörter
gehört.
Habe ich
doch gesagt
oder
nee,
das haben
wir so
besprochen.
Also
entweder
du bist
eine manipulative
Täterin
oder wir
haben einfach
eine
super
schlechte
Kommunikation.
Also
ja,
ich sage
sowas
oft,
aber
ich möchte
auch
daran
erinnern,
dass du
jetzt auch
nicht,
also,
dass du
dich
selber
auch
oft
so
überzeugen
kannst,
dass
irgendwas
genau so
passiert ist,
wie du
denkst
und es
war
nachweislich
nicht so.
Beispiel,
neulich
saßen Laura
und ich
im Restaurant
und ich
erzählte
die Geschichte
wie sie
einmal
auf so
eine
Fishing-Mail
reinfiel,
wo es
hieß,
ja,
sie müssen
das Passwort
jetzt
zurücksetzen,
bla bla bla
und Laura
guckte mich
mit ihren
großen Augen
an und
sagte,
also das
ist genauso
passiert,
aber dir
und ich
so,
nein,
es ist dir
passiert,
also sie
und sie
so,
nee,
das kann
ich mir
ja bei mir
gar nicht
vorstellen,
dass ich
auf sowas
reinfalle.
Ja,
und dann
haben wir
geguckt
und das
war natürlich
doch so.
Also
ist jetzt
nicht so,
dass ich
immer nur
sagen würde,
das haben
wir doch
besprochen
oder das
war aber
so.
Ich glaube,
das ist
hier so
eine
wechselseitige
Sache.
Das ist
so ein
gefährliches
Zusammenspiel
hier.
Ja.
Und zum Schluss
haben wir noch
eine
Doku-Empfehlung
und zwar
Upducted
in Plain
Side
und da
könnt ihr
sehen,
was für
absurde
Auswirkungen
Manipulation
auch noch
haben kann.
Es geht
auch um
Außerirdische.
Wir bereiten
jetzt die
Heimatfälle
vor.
Die sind
ja nächstes
Mal dran.
Abonniert
uns bis dahin
in eurem
Podcast
Player.
Darauf haben
wir noch
nicht aufmerksam
gemacht.
Ihr könnt
dem Kanal
folgen
und dann
kriegt ihr
auch immer
angezeigt,
wenn eine
neue Folge
draußen ist.
Und
wir haben
euch
auf Instagram
aufgefordert,
uns zu schreiben,
was für
Themen ihr
euch für
dieses Jahr
wünscht.
Also
macht das
gern unter
dem
entsprechenden
Bild
in den
Kommentaren.
Und
diesmal
schließen wir
wirklich ab,
das haben wir
nämlich
letztes
Jahr
vergessen.
Das ging
ja gar
nicht.
War die
jetzt
die ganze
Zeit
offen oder
was?
Tatsächlich
stand
ein Tag
später
meine
Haustür
hier
offen.
Habe ich dir
das erzählt?
Nein.
Und ich
hatte meine
Noise-Canceling-Kopfhörer
auf und ich
bin einfach
vom Wohnzimmer
in den Flur
gelaufen und meine
Tür stand
auf.
Das hast du
davon,
dass du
das vergessen hast.
Das war
ein Podcast
von Funk.