00:00:00
Was vermisst du am meisten an Mönchengladbach?
00:00:18
Das ist schwierig, weil eigentlich bin ich sehr froh, nicht mehr in Mönchengladbach zu
00:00:25
wohnen. Das Einzige, was ich wohl vermisse, ist das Leben mit meiner Familie und das hat
00:00:30
nicht so richtig was mit der Stadt zu tun. Ansonsten gibt es tatsächlich eher Sachen,
00:00:34
die ich nicht vermisse an Mönchengladbach, wie zum Beispiel den hässlichsten Bahnhof
00:00:40
aller Zeiten, schlechte Restaurants und dass ich auch häufig einfach nur die Schwester
00:00:50
davon war. Also wenn ich feiern war zum Beispiel, kam immer die Frage, bist du nicht die Schwester
00:00:56
von Julian Wohlers? Und warum? Weil dein Bruder so ein Stadtbekannter Draufgänger war oder was?
00:01:02
Ja, das könnte man schon so sagen. Immerhin warst du nicht als die Sklavin von Julian Wohlers
00:01:09
bekannt. Da kommt sie wieder, die kleine Dienerin. Das bin ich dann jetzt. Aber lustig ist, dass
00:01:17
mein Bruder mir jetzt letztens erzählt hat, dass ihn jemand bei einem seiner Jobs angesprochen hat und
00:01:21
gefragt hat, ob er der Bruder von Laura Wohlers wäre.
00:01:25
Ach, jetzt ist es also andersrum. Sieh mal einer an, Julian.
00:01:30
Richtig, jetzt stehst du im Schatten deiner kleinen Bediensteten. Hm? Wie fühlt sich das an?
00:01:36
Ja, aber um auf deine Frage zurückzukommen, viel vermisse ich nicht an Mönchengladbach. Aber das ist bei dir
00:01:43
wahrscheinlich ganz ähnlich, oder? Oder was vermisst du an Uetersen?
00:01:46
Also Uetersen und generell Kreis Pinneberg, die haben schon viel Hässliches. Ja. Ich vermisse am meisten
00:01:55
Kroc-Essen. Also nicht dieses französische überbackene Toastbrot, sondern dieses lange,
00:02:02
heiße, knusprige Baguette mit Knoblauchsoße, was man außerhalb von Schleswig-Holstein gefühlt
00:02:08
nirgends findet. In Berlin gibt es keinen einzigen Kroc-Laden, was ich eine Frechheit finde.
00:02:14
Hast du schon mal gegessen, Kroc?
00:02:16
Oh Gott, das will.
00:02:17
Was ich aber auch nicht so vermisse, ist das Dörfliche.
00:02:20
Wenn ich nach Uetersen komme, dann sehe ich halt auch meistens an einem Tag mindestens einen Ex-Freund.
00:02:26
Und dabei habe ich gar nicht so viele. Und dann ist mir neulich auch aufgefallen, so, ich
00:02:33
habe so einige Freundinnen, die da halt nie weggegangen sind. Und die haben selbst natürlich
00:02:39
einen Freundeskreis. Und in diesem Freundeskreis sind meistens irgendwelche Personen, die sie
00:02:44
nicht richtig leiden können. Also die regen sich dann ständig über eine bestimmte Person
00:02:49
auf. Und ich bin dann immer so, aber warum macht ihr denn was miteinander, wenn dich schon
00:02:54
nervt, wie diese Person die Pommes ist? Und das sage ich dann aber so in meiner Großstadt-Großkotzigkeit
00:03:02
natürlich, weil in Uetersen und generell in Kleinstädten mangelt es natürlich voll an Alternativen.
00:03:10
Also das sind eher so Zwangsgemeinschaften.
00:03:14
Richtig. Und Berlin ist ja so unverbindlich. Hier kannst du ja jeden sofort aus deinem Leben
00:03:20
jagen. Dann wirst du die Person nie wiedersehen. Und das finde ich auch richtig so.
00:03:25
Wie kann ich mir denn Mönchengladbach so vorstellen? Wie sieht das aus? Ich war noch nie da.
00:03:30
Du kannst dir das vorstellen wie eine typische Stadt in Nordrhein-Westfalen, die, weil sie so
00:03:36
nah an anderen Großstädten ist, nicht so wirklich was aus sich macht. Also wenn du
00:03:40
dann da zum Beispiel mal gut essen gehen willst oder feiern gehen willst oder auch ins
00:03:45
Theater, dann würdest du halt eher die 20 Minuten nach Düsseldorf fahren oder die Stunde
00:03:51
nach Köln, je nachdem auf welcher Seite du dann stehen würdest, als irgendwas in Mönchengladbach
00:03:57
zu machen oder selbst da etwas aufzubauen. Aber ich habe mir ja schon gedacht, dass du mich
00:04:03
nach meiner Heimatstadt fragst. Und deshalb habe ich mir auch etwas Kurzes aufgeschrieben.
00:04:10
Das ist jetzt kein Gedicht oder so. In Gladbach kennt gefühlt jeder jeden. Gegrüßt wird
00:04:17
trotzdem nicht. In Gladbach geht man nicht zu Fuß. Auch 200 Meter werden mit dem Auto zurückgelegt.
00:04:23
In Gladbach sitzt man in der Kneipe, trinkt Bier und guckt Fußball. Auch wenn man nicht mal
00:04:28
abseits erklären kann, ist man als Gladbacher natürlich Borussen-Fan. In Gladbach kauft man sich
00:04:34
morgens am Kiosk-Brötchen, ruft an Karneval statt Alarv, halt Pol. Und wenn ich irgendwo Gladbacher
00:04:40
platt höre, dann fühle ich mich doch irgendwie zu Hause.
00:04:43
Was ruft man da?
00:04:47
Frag mich nicht, was das heißt.
00:04:51
Also wenn ich mir Uetersen jetzt vorstelle, dann ist es so optisch sehr klein und graurötlich.
00:04:58
Also da sind mir definitiv zu viele Backsteinhäuser. Es gab da nämlich nur eine Baufirma in der
00:05:05
Zeit, wo viele Häuser hochgezogen wurden. Und die hatten gefühlt nur eine Bauingenieurin.
00:05:11
Und das war meine Mutter. Und die hatte eine Vorliebe für roten Backstein. Deswegen sehen
00:05:16
jetzt alle Häuser in Uetersen gleich aus. Und ich merke, dass ich in Uetersen bin, wenn sich
00:05:22
meine Autofahrweise verändert. Weil in Uetersen ist man während der Fahrt ständig damit beschäftigt,
00:05:29
auf die Kennzeichen von den anderen Autos zu gucken oder in die Windschutzscheibe zu glotzen.
00:05:35
Weil man jeden Dritten kennt hinter dem Steuer. Und deswegen fährst du langsam.
00:05:41
Wie man fährt normal, das lernt man schon bei der Fahrschule. So Autofahren und die
00:05:47
anderen Menschen in den Autos auschecken. Das fällt einem ja in der Großstadt nicht
00:05:51
ein. Da ist es ja egal. Aber das ist für mich auch so typisch Uetersen.
00:05:54
Also man kann festhalten, wir sind beide nicht so die Heimatfans.
00:05:59
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast von Funk, gemacht von zwei Dorfpomeranzen
00:06:06
offenbar. Wir beide reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe. Mein Name ist Paulina
00:06:11
Kraser. Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge beleuchten wir ein spezielles Thema. Dazu
00:06:16
erzählen wir zwei wahre Kriminalfälle nach, diskutieren diese und sprechen mit ExpertInnen.
00:06:22
Wenn wir hier mal etwas lockerer reden, dann hat das nichts mit fehlender Ernsthaftigkeit zu tun. Das ist
00:06:27
unser Comic Relief, damit wir alle mal durchatmen können. Das ist aber natürlich nie despektierlich
00:06:32
gemeint. Heute geht es bei uns wie versprochen um Heimatfälle, also wahre Verbrechen aus unserer Stadt,
00:06:39
unserem Viertel oder der direkten Nachbarschaft.
00:06:42
Wir hatten euch ja auch aufgefordert, uns Heimatfälle zu schicken. Die kommen auch später. Aber weil wir das
00:06:47
ganze Thema trotzdem etwas analytisch angehen wollten, möchten wir uns einmal noch mal damit auseinandersetzen,
00:06:53
warum uns die Heimatfälle eigentlich so nahe gehen. Denn viele von euch haben uns schon im Laufe
00:06:58
unserer Podcast Monate immer mal wieder Fälle geschickt, von denen sie gesagt haben, die berühren
00:07:04
uns ganz besonders, weil sie eben hier gleich nebenan passiert sind. Und wir wollten wissen, warum ist das
00:07:10
eigentlich so? Also warum berühren uns diese Fälle meist mehr als andere? Hast du da eine Überlegung zu, Laura?
00:07:19
Also wenn ich jetzt an meinen Heimatfall denke, den ich jetzt gleich erzählen werde, dann hatte ich sofort
00:07:26
Gedanken wie, sowas kann da nicht passieren. Also da, wo ich aufgewachsen bin, da, wo ich meine schöne
00:07:34
Kindheit hatte und wo ich mich auch sicher gefühlt habe. Man möchte ja nicht wahrhaben, dass man in einer
00:07:40
Blase gelebt hat und man möchte nicht, dass diese zerplatzt. Und wenn das dann doch so ist, dann denke ich, ist man
00:07:49
umso mehr geschockt und umso mehr berührt. Und deswegen gehen einem solche Fälle so nah.
00:07:54
Weil Heimat so ein Gefühl von Geborgenheit hat und das eben noch gegensätzlicher zu den Verbrechen ist.
00:08:02
Ich hatte ja auch die Mitglieder unserer Facebook-Gruppe Mordlust Stammtisch gefragt, warum sie denken, warum das
00:08:09
so ist. Und ein Punkt war zum Beispiel die ausführliche und permanente Berichterstattung in den lokalen Medien.
00:08:14
Also je öfter etwas berichtet wird, jetzt generell beispielsweise über Jugendkriminalität, desto eher gehen wir ja
00:08:21
davon aus, dass es häufiger passiert, als es vielleicht eigentlich der Fall ist. Und wenn nun aber dauernd so präsent über
00:08:29
ein Fall berichtet wird in meiner Heimatstadt von den Medien, die natürlich daran ein gesteigertes Interesse
00:08:35
haben, darüber zu berichten, als jetzt andere Medien, dann hat man das natürlich auch präsenter und immer im
00:08:42
Kopf. Und noch dazu kommt natürlich, dass man nicht nur von den Medien den Input bekommen, sondern von
00:08:47
Freunden, Bekannten, von Familie, weil die natürlich auch alle irgendwas gehört haben. Also dieser Klatsch und
00:08:54
Tratsch. Bei meinem Heimatfall zum Beispiel habe ich auch ziemlich viele Sachen im Hinterkopf, die ich
00:09:00
natürlich jetzt gar nicht mit reinnehmen konnte, weil das alles Hörensagen ist. Dann ist es auch
00:09:06
natürlich so, dass man alle Orte selbst kennt. Man kann sich die Tat vielleicht dann auch besser
00:09:10
vorstellen, weil man ja selbst den Einkaufsmarkt, wo das vielleicht passiert ist, kennt. Man weiß, wo was
00:09:16
steht. Du weißt, wie die Umgebung aussieht, wie es sich anfühlt, da langzugehen. Also man hat ein viel
00:09:21
konkreteres Bild vor Augen.
00:09:23
Und es ist doch auch so, dass man dann eher das Gefühl hat, also noch eher das Gefühl hat, das könnte mir
00:09:28
passieren, weil man eben in dieser Stadt wohnt.
00:09:32
Na eben auch besonders dann, wenn es sich um ein Zufallsopfer gehandelt hat. Manche haben auch
00:09:37
geschrieben, dass sie von den Auswirkungen der Tat unmittelbar betroffen waren. Also sie haben
00:09:41
miterlebt beispielsweise, wie die Schulen für einen Tag geschlossen wurden, man die Straße nicht mehr
00:09:46
befahren konnte oder erst mal nicht mehr rausgehen sollte, weil der Täter oder die Täterin noch nicht
00:09:51
geschnappt wurde. Und eine Zuhörerin hat auch geschrieben, dass sie erlebt hat, wie viele Männer aus
00:09:56
ihrem Ort zum DNA-Test gebeten wurden.
00:09:59
Und es ist ja auch so, wenn es jetzt in deiner Heimatstadt und vielleicht in deinem Umkreis sogar
00:10:03
passiert, nicht unbedingt die Leute wirklich kennst, aber so in dem Umkreis, in dem du dich auch
00:10:08
aufhältst, passiert, dann hast du vielleicht auch mehr Empathie, weil es deiner Lebenswelt gleicht.
00:10:16
Und es ist jetzt nicht irgendein Drogenmord in Italien oder ein Mafiamord oder halt irgendwie
00:10:22
sowas, sondern was viel näher gefühlt dran ist.
00:10:25
Genau, weißt du, was das ist? Das ist der Similar-to-me-Effekt. Also es ist im Prinzip der
00:10:31
gleiche Reflex, wie wenn man in den Nachrichten hört, dass bei einem Flugzeugabsturz drei Deutsche
00:10:36
dabei waren. Je mehr Gemeinsamkeiten man hat, desto mehr Empathie empfindet man. Uns hat
00:10:42
ein Zuhörer dazu geschrieben, das ist natürlich etwas überspitzt, aber er meinte, ist eigentlich
00:10:46
echt heuchlerisch. Darum interessieren sich so wenig für leidende Menschen in weit entfernten
00:10:52
Teilen der Welt. Sowas trifft einen hier eh nicht und ist daher abstrakt und keine Sorge wert. Aber
00:10:58
es ist nicht ungewöhnlich, dass wir mehr Empathie mit Leuten empfinden, mit denen wir viele
00:11:03
Gemeinsamkeiten haben und die Heimat ist natürlich eine große Gemeinsamkeit, die verbindet. Dann hat
00:11:09
uns jemand geschrieben, das Böse ist nur faszinierend, solange man sich aus der Ferne damit beschäftigt.
00:11:15
Und wenn es so nah ist, ist es halt einfach nur erschreckend und deswegen für die Menschen dort eben ja auch noch schlimmer. Und das sollten wir hier natürlich auch immer in unserem Hinterkopf behalten. Wir analysieren das hier alles, ordnen das ein aus der Ferne. Aber für die Betroffenen ist es halt ganz was anderes. Es ist einfach nur was Schlimmes, was von heute auf morgen ihr Leben verändert hat.
00:11:37
Bevor wir jetzt mit den Fällen anfangen, wollten wir noch auf die Fotos in den Kapitelmarken hinweisen. Vielleicht ist das ja schon einigen von euch in der letzten Folge aufgefallen, dass während des Podcasts Fotos auf euren Bildschirmen eingeblendet wurden. Das haben wir jetzt neu eingeführt, um euch womöglich die Geschichten durch Bilder noch ein bisschen näher zu bringen.
00:11:58
Beispielsweise, wenn wir uns auf Bücher beziehen, dann könnten wir das Cover davon reinstellen, dann könnt ihr euch ein Screenshot machen für die Leute, die nicht so lange warten möchten, bis wir das auf unserer Instagram-Seite mordlos der Podcast posten. In der heutigen Folge wird es auch einige Bilder geben, vielleicht auch ein, zwei witzigere.
00:12:17
Das Anzeigen von Fotos kann aber nicht jeder Player. Spotify zum Beispiel unterstützt das noch nicht. Also falls ihr jetzt nichts seht, dann Player wechseln oder Fantasie einschalten.
00:12:27
Meine Geschichte, diese Folge, ist kein Kriminalfall, wie wir ihn sonst erzählen.
00:12:32
Dennoch geht es um ein Verbrechen und es zeigt, was passieren kann, wenn sich niemand wirklich für einen Menschen verantwortlich fühlt.
00:12:40
Es ist der 29. April 2017 in München-Gladbach. Einer Stadt, die fast jeder in Deutschland kennt. Nicht, weil sie besonders groß oder besonders schön ist, eher das Gegenteil ist der Fall, sondern weil sie einen Fußballverein hat, der in der Bundesliga bei Zeiten ziemlich weit oben mitgespielt hat und derzeit wieder spielt.
00:12:59
Das ist nicht nur der Grund für Gladbachs Bekanntheit, sondern auch der Grund, weshalb ich in dieser Stadt aufgewachsen bin, weil mein Vater lange Zeit für die Borussia tätig war.
00:13:10
Als Heimat sucht man sich diese Stadt meiner Meinung nach nämlich nicht unbedingt aus, wenn man dort nicht geboren wurde.
00:13:15
Aber das wurde, glaube ich, schon deutlich.
00:13:18
Wenn man aber nun doch aus irgendwelchen Gründen, sei es der Liebe wegen oder eben des Jobs wegen, nach München-Gladbach zieht, dann sieht man vielleicht eher in einer der schöneren Gegenden, wie den Bunten Garten im Norden der Stadt,
00:13:29
der seinen Namen dank des anliegenden großen blumenbepflanzten Park hat, oder den daran anschließenden Stadtteil Windberg, in dem ich aufgewachsen bin und in dem die heutige Geschichte spielt.
00:13:40
Ein Stadtteil, der zentral und dennoch ruhig liegt, in dem es einen Fußball-, Tennis- und einen Turnverein gibt und viele Eltern ihre Kinder auf das katholische Gymnasium um die Ecke schicken.
00:13:51
In dem sich die Nachbarn untereinander kennen und Kinder draußen auf der Straße bis spätabends spielen können.
00:13:57
In Windberg fühlen sich die Menschen sicher, eigentlich in ganz Gladbach, denn obwohl sie fast 260.000 Einwohner zählt, ist sie einer der sichersten Großstädte in ganz Deutschland.
00:14:07
Und trotzdem wird hier an diesem Samstag ein furchtbar tragisches Verbrechen offenbart.
00:14:12
Es ist kurz vor zwölf, als Herr Schmidt mit seinem Hund Polly den Steinberg entlang spaziert.
00:14:17
Eine Straße in Windberg, die direkt auf den großen Wasserturm der Stadt zuführt.
00:14:22
Versunken schaut er in den Himmel und hoch zu einer großen Eibe, die von einem Grundstück bis auf den Gehweg ragt.
00:14:28
Trotz des kalten Winters ist die Krone grün und dicht bewachsen.
00:14:32
Doch zwischen den Ästen und Nadeln meint Herr Schmidt etwas zu erkennen.
00:14:37
Eine Puppe vielleicht? Oder ein Mensch?
00:14:40
Um sicher zu gehen, ruft der 59-Jährige die Polizei und nur kurze Zeit später steht Herr Schmidt umringt von Feuerwehrleuten,
00:14:47
PolizistInnen und Rettungskräften auf dem Gehweg am Steinberg.
00:14:51
Schnell ist klar, es handelt sich nicht um eine Puppe, die dort oben im Baum sitzt, sondern um eine Leiche.
00:14:57
Mit einer großen Säge werden die Äste der Eibe zerschnitten, um den Körper zu bergen.
00:15:03
Der Leichnam wird zum Hauptfriedhof gefahren, der direkt mit dem bunten Garten verbunden ist
00:15:08
und neben dem ich mit meiner Familie 18 Jahre meines Lebens gewohnt habe.
00:15:12
Dort wird der Körper eingefroren, damit er untersucht werden kann.
00:15:16
Die Ermittlungen der Polizei ergeben, dass es sich bei der Leiche um einen männlichen Jugendlichen handelt.
00:15:21
Tim war sein Name und Tim ist nur 17 Jahre alt geworden.
00:15:25
Aus den Untersuchungen der Gerichtsmedizin geht hervor, dass Tim irgendwann Ende Januar gestorben sein musste.
00:15:32
Der Junge saß also drei Monate lang in der Eibe, bis ihn Herr Schmidt entdeckte.
00:15:35
Nur knapp einen Meter über den Köpfen der Menschen, die hier täglich am Steinberg entlang gingen,
00:15:41
nichts bemerkten und Tim auch nicht zu vermissen schien.
00:15:44
Um zu verstehen, wie Tim in diesem Baum enden konnte, müssen wir drei Jahre zurück in der Zeit,
00:15:49
in das Jahr 2014, genauer zum 24. Januar.
00:15:54
Damals wohnt Tim noch mit seiner Familie in Rheindalen, einem Stadtteil im Westen von Mönchengladbach.
00:15:59
Zusammen mit seinen Eltern Holger und Edith und seiner zwölfjährigen Schwester Nina
00:16:03
lebt er in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus.
00:16:06
In dieser Zeit interessiert sich der 14-Jährige für amerikanische Autos und Sneakers,
00:16:10
schaut im Fernsehen Spongebob und Spider-Man an.
00:16:13
Außerdem liebt Tim es, auf Bäume zu klettern.
00:16:17
Selbst als er noch viel kleiner war und die anderen Kinder auf dem Spielplatz miteinander spielten,
00:16:21
saß er lieber alleine hoch oben auf den Ästen und beobachtete das Treiben aus sicherer Entfernung.
00:16:26
An diesem Freitagmorgen will Tim seine Mutter ins Krankenhaus begleiten, weil es ihr nicht gut geht.
00:16:32
Seine Schwester ist an diesem Tag nicht zu Hause und sein Vater hat die letzte Nacht,
00:16:36
wie so oft, in seiner Hollywood-Schaukel im Keller geschlafen.
00:16:39
Dorthin wird Holger ausquartiert, wenn er mal wieder zu viel getrunken hat und unerträglich wird.
00:16:45
Dann muss auch öfter die Polizei vorbeikommen.
00:16:47
Manchmal, weil Holger besonders laut ist, durchs Haus läuft und Heil Hitler oder Ich bin Adolf Hitler schreit.
00:16:54
Manchmal aber auch, weil er seiner Frau Gewalt antut.
00:16:57
Bis zu diesem Freitag war Holger seiner Frau gegenüber jedoch nie vor den Augen der Kinder handgreiflich geworden.
00:17:03
Heute kommt es anders.
00:17:05
Als er an diesem Morgen nach oben kommt und sich versöhnen will, kann Edith nicht mehr.
00:17:09
Sie sagt zu ihm, dass er sie in Ruhe lassen und abhauen soll.
00:17:12
Tim kommt dazu und versucht zu schlichten.
00:17:15
Er sagt, lass doch, der tut doch nichts.
00:17:17
Holger, der die ganze Zeit über im Flur stand, verschafft sich Zugang zur Wohnung, geht auf seine Frau zu und hält sie fest.
00:17:23
Edith versucht, sich aus seinem Griff zu befreien.
00:17:26
Er erklärt ihr, dass er sie noch liebt und fragt, ob sie ihn denn nicht auch noch liebe.
00:17:30
Nein, antwortet Edith bestimmt.
00:17:35
Dann schlägt sie ihrem Mann mit ihrem Schlüssel gegen die Lippe und schafft es so, sich aus seinem Griff zu befreien.
00:17:39
Edith geht ins Elternschlafzimmer und lässt Ehemann und Sohn stehen.
00:17:43
Tim versucht, seinen Vater zu beruhigen.
00:17:46
Was soll ich denn jetzt tun, flüstert Holger.
00:17:48
Dann geht er in die Küche und greift sich ein Messer.
00:17:51
Tim versucht, ihn aufzuhalten, doch sein Vater bahnt sich einen Weg ins Schlafzimmer und stürzt sich auf seine Frau.
00:17:57
Tim will seiner Mutter helfen und springt Holger von hinten an.
00:18:01
Der Vater schleudert ihn ab und sticht auch auf ihn ein.
00:18:03
Holger trifft Tim am Arm und durchstößt seine Lunge.
00:18:07
Der 14-Jährige begreift, dass er und seine Mutter dringend Hilfe brauchen.
00:18:11
Er rennt über die Straße zum gegenüberliegenden Versicherungsbüro, wo ihm ein Mitarbeiter die Tür öffnet.
00:18:16
Der ist total geschockt, als er den Jungen mit blutverschmiertem T-Shirt und angstverzerrtem Gesicht vor sich sieht.
00:18:22
Tim schreit, mein Vater will mich umbringen.
00:18:25
Der Versicherungsbeamte bringt Tim in die Bürotoilette und drückt ihm ein Handtuch auf die Brust,
00:18:30
um die Blutung zu stoppen.
00:18:31
Dann ruft er die Polizei.
00:18:33
Tim sackt zusammen.
00:18:35
Wie ein Säugling hält er Hände und Füße ganz eng an seinen Körper.
00:18:38
Währenddessen fährt auf der Straße vor dem Büro die Polizei vor.
00:18:43
Tims Vater läuft den Beamtinnen entgegen.
00:18:46
Dabei hält er in der einen Hand das Messer, in der anderen ein Beil.
00:18:49
Die PolizistInnen rufen Holger zu, er solle die Waffen fallen lassen und stehen bleiben.
00:18:54
Doch der reagiert nicht.
00:18:55
Als auch der Einsatz von Pfefferspray nicht hilft,
00:18:58
wird Holger durch drei Schüsse in den Unterkörper gestoppt.
00:19:01
Tims Mutter hat den Angriff ihres Mannes nicht überlebt.
00:19:04
Ihr Sohn nur knapp und mit ganz viel Glück.
00:19:08
Hätte das Messer seines Vaters ihn nur ein Zentimeter weiter rechts und zwei Zentimeter tiefer getroffen,
00:19:13
wäre Tim seiner Mutter gefolgt.
00:19:15
So bleibt er zurück und kommt ins Krankenhaus.
00:19:17
Dort wird Tim zwei Wochen lang behandelt.
00:19:20
In dieser Zeit trägt er seine Mutter zu Grabe.
00:19:22
Betreut wird der Junge dabei von ÄrztInnen, Pflegekräften und einem Krankenhausfahrer.
00:19:27
Außerdem kümmert sich das Jugendamt jetzt um ihn, das unter anderem dafür zuständig ist, ihm ein neues Zuhause zu finden.
00:19:34
Tim hat noch zwei erwachsene Geschwister und auch Verwandte,
00:19:37
doch niemand von denen sieht sich in der Verantwortung oder ist in der Lage, ihn und seine Schwester aufzunehmen.
00:19:42
Und so kommen beide in ein Heim.
00:19:44
In das Jugendhaus am Steinberg.
00:19:46
Keine 200 Meter von der Eibe entfernt, in der Tim drei Jahre später tot aufgefunden wird.
00:19:51
Acht Monate nach der Tat beginnt der Prozess gegen Tims Vater.
00:19:56
Es ist nicht Holgers erstes Verfahren.
00:19:59
Schon einmal hatte er zum Messer gegriffen.
00:20:01
Mit Anfang 20 stach er auf seine damalige Freundin ein, bei die sich von ihm trennen wollte.
00:20:06
Damals war es nicht so weit gekommen wie bei Edith.
00:20:09
Trotzdem wanderte Holger ins Gefängnis.
00:20:11
Doch weil dies mittlerweile 30 Jahre her ist, wird es vor Gericht nicht mehr erwähnt.
00:20:15
Die Parallelen sind dennoch nicht zu leugnen.
00:20:18
Auch in diesem Fall soll Holger aus Angst vor dem Verlassenwerden gehandelt haben.
00:20:21
Tim wird in den Prozess als Zeuge geladen.
00:20:24
Es ist das erste Mal, dass er seinen Vater seit dem 24. Januar wieder sieht.
00:20:29
Doch nur über einen Bildschirm.
00:20:31
In einem Raum muss er nicht mehr mit dem Mann sein, der seine Mutter getötet und ihm das Zuhause genommen hat.
00:20:37
Tim sagt gegen seinen Vater aus, erzählt detailliert,
00:20:41
was an dem Morgen passiert ist.
00:20:42
Holger selbst sagt nichts.
00:20:44
Am Ende der kurzen Verhandlungen steht das Urteil.
00:20:47
Ein Mann, der 33 Mal auf seine Frau einsticht, weil diese ihn verlassen will, wird in Deutschland meist nicht wegen Mordes verurteilt.
00:20:55
Auf diese Thematik gehen wir aber in einer anderen Folge nochmal genauer ein.
00:21:00
Tims Vater muss für zwölf Jahre in Haft.
00:21:02
Zwölf Jahre dafür, dass er seine Frau getötet, seinen Kindern die Mutter geraubt und die ganze Familie jahrelang tyrannisiert hat.
00:21:09
Dass Holger ein Haustyrann war, wussten die Nachbarn schon lange vor dem Prozess.
00:21:14
Kurz vor der Tat hatten sie sogar Unterschriften gesammelt, um Holger zum Ausziehen aufzufordern.
00:21:18
Und obwohl die Polizei oft genug wegen Ruhestörung und häuslicher Gewalt in die Straße nach Rheindalen kam,
00:21:24
hat das Jugendamt sich bis kurz vor der Tat nicht um Tim gekümmert.
00:21:29
Normalerweise gibt die Polizei nach solchen Einsätzen beim Jugendamt Bescheid,
00:21:32
auch wenn die Kinder im Hause schon Teenager sind.
00:21:34
In Mönchengladbach ist es in diesem Fall anders.
00:21:37
Erst als Edith elf Tage vor der Tat beim Familiengericht erwirkt, dass Holger die Wohnung verlassen muss, wird reagiert.
00:21:44
Und obwohl Edith den Antrag zwei Tage später wieder zurückzieht, lässt das Jugendamt die Eheleute vorladen.
00:21:50
Als sie vor der Sachbearbeiterin sitzen, erklären sie, dass solche Streitereien nun mal vorkommen würden,
00:21:55
wenn man viele Jahre verheiratet sei.
00:21:57
Auf die Beamtin wirken die beiden harmonisch.
00:22:00
Zwei Tage später ist Edith tot.
00:22:03
Jetzt ist das Jugendamt für Tim und seine Schwester zuständig.
00:22:06
Die Behörden kriegen quasi eine zweite Chance, sich richtig um diese Kinder zu kümmern
00:22:10
und entscheiden, dass das Jugendhaus am Steinberg die richtige Unterkunft sei.
00:22:14
Doch für Tim wird der Aufenthalt dort zur Hölle.
00:22:17
Er hat Albträume, ist schnell gereizt und hat Angst, die Kontrolle zu verlieren.
00:22:22
Ihm fällt es schwer, über das Geschehene zu sprechen
00:22:24
und immer wieder muss er es in seinen Gedanken erneut durchleben.
00:22:27
Außerdem macht er sich große Vorwürfe, seine Mutter nicht habe retten zu können.
00:22:32
Erst Monate nach der Tat wird bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
00:22:37
Um Tim zu helfen, wird eine Therapeutin herangezogen.
00:22:40
Diese sagt später, dass Tim noch nicht therapiebereit war,
00:22:44
dass er nicht in der Lage war, das Ausmaß seines Leids zu ertragen.
00:22:48
Manchmal habe er ihr schon eine Frage gestellt, das Gespräch dann aber kurz darauf wieder abgebrochen.
00:22:53
Bei Jugendlichen ist diese psychische Erkrankung oft noch stärker ausgeprägt als bei Erwachsenen.
00:22:58
Das liegt daran, dass sich die Probleme der Pubertät mit denen des Traumas mischen.
00:23:02
Und so geht Tim bald schon nicht mehr zur Therapie und seine Situation im Heim wird noch schlechter.
00:23:07
Tim findet keinen Anschluss, eckt an und provoziert.
00:23:10
Als er sich einmal bedroht fühlt, greift er sogar zum Messer.
00:23:13
Tim muss immer wieder die Gruppe im Kinderheim wechseln, weil er überall für Unruhe sorgt.
00:23:18
So wird er irgendwann auch von seiner Schwester getrennt.
00:23:22
Der Alltag ist für ihn anstrengend.
00:23:24
In die Schule geht er so gut wie nicht mehr.
00:23:25
Er schafft es nicht.
00:23:27
Die Schulleitung und seine BetreuerInnen haben ausgemacht,
00:23:29
dass Tim jeden Tag nur kurz in den Unterricht muss
00:23:32
und ihm, auch wenn er selbst das nicht packt,
00:23:34
kein Verfahren wegen Verletzung der Schulpflicht droht.
00:23:37
So geht es mit Tim weiter, bis sein Vater im Februar 2015 stirbt.
00:23:42
Holger hat sich im Gefängnis suizidiert und seine Kinder damit zu Vollweisen gemacht.
00:23:47
Für Tim geht es weiter bergab.
00:23:50
Er erklärt seinen BetreuerInnen, dass er Menschen nicht mehr aushält
00:23:53
und auch keine geschlossenen Räume.
00:23:55
Niemand lässt er mehr an sich heran.
00:23:57
Es wird so schlimm, dass er im April 2015 zum ersten Mal in eine Psychiatrie eingeliefert wird.
00:24:02
Für ihn ist die Enge der Einrichtung und das Isoliertsein von der Außenwelt der absolute Albtraum.
00:24:08
Man pumpt ihn voll mit Beruhigungsmitteln und entlässt ihn nach zwei Tagen wieder.
00:24:12
Danach kommt Tims Ausraster in immer kürzeren Abständen,
00:24:16
sodass das Jugendhaus im Mai 2015 feststellt,
00:24:19
Tim ist nicht mehr tragbar.
00:24:21
Er soll längerfristig in eine Kinder- und Jugendpsychiatrie.
00:24:24
Der richterliche Beschluss zur Zwangsunterbringung liegt bereits vor.
00:24:27
Doch als Tim dort untersucht wird, lehnen die ÄrztInnen ihn ab.
00:24:31
Es bestehe keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung, heißt es.
00:24:34
Außerdem spricht ein unabhängiges Gutachten von extremem Freiheitsentzug,
00:24:39
den eine stationäre Aufnahme für Tim mit sich bringen würde.
00:24:42
Dies wäre keine echte Hilfestellung und ungeeignet für einen therapeutischen Fortschritt.
00:24:48
Also kommt Tim in die pädagogische Ambulanz.
00:24:50
Das ist eine Einrichtung, die darauf spezialisiert ist,
00:24:52
Jugendlichen in akuten Krisen zu helfen.
00:24:55
Tim könnte hier auch eine gewisse Zeit wohnen, vorübergehend.
00:24:58
Doch das möchte er nicht.
00:25:00
Und so verlässt er die Ambulanz noch am selben Tag.
00:25:02
Ohne einen Ort, an den er gehen kann,
00:25:05
und ohne ein wirkliches Zuhause bleibt ihm nur die Straße.
00:25:08
Und so ist Tim mit 15 Jahren obdachlos.
00:25:12
Weit weg treibt es ihn aber nicht.
00:25:13
Tim bleibt in Windberg, in der Nähe des Heims, wo seine kleine Schwester noch immer wohnt.
00:25:17
Mit der Zeit lernt Tim auf der Straße zu überleben.
00:25:20
Immer trägt er mehrere Schichten Klamotten übereinander.
00:25:23
Meistens als oberste Schicht ein Pullover, dessen Kapuze er tief ins Gesicht zieht.
00:25:28
Alles, was Tim besitzt, hat er entweder an oder in seinem Rucksack.
00:25:31
Und wenn er unterwegs ist, ist er meistens allein.
00:25:34
Das berichten Nachbarn und AnwohnerInnen später.
00:25:37
Sie sehen Tim auf dem Spielplatz, bei den Schrebergärten
00:25:40
oder vor der Bäckerei um die Ecke, vor der eine kleine weiße Bank steht.
00:25:43
Wie er auf der Treppe des Gesundheitsamts oder auf dessen Flachdach sitzt,
00:25:48
wie er auf dem Dach der Aral-Tankstelle schläft
00:25:50
oder auf die große Albe am Steinweg klettert.
00:25:53
Der alte Baum wird zu Tims Lieblingsort.
00:25:56
Immer häufiger schläft er auch in dessen Krone, bindet sich dafür mit Seilen fest,
00:25:59
damit er nachts nicht herunterfällt.
00:26:01
Die Albe steht zwar auf einem Privatgrundstück,
00:26:04
aber über einen Stromkasten kann man gut hinaufklettern.
00:26:07
Auch heute steht der Baum noch.
00:26:08
Als ich vor kurzem da war, um Fotos zu machen,
00:26:11
war er grün und dicht bewachsen, was ihn zu einem so guten Versteck macht.
00:26:15
In Tims Zeit auf der Straße schauen seine BetreuerInnen und StreetworkerInnen nach ihm,
00:26:20
geben ihm Geld, Essen und bieten Hilfe an.
00:26:22
Es gibt feste Uhrzeiten und Tage, an denen er sie treffen kann.
00:26:26
Und wenn er denn mal zu einem von diesen Treffen kommt,
00:26:28
gibt es manchmal Momente, an denen einer seiner Betreuer das Gefühl hat, zu ihm durchzudringen.
00:26:33
Doch dann blockt Tim wieder ab.
00:26:35
Wer es schon von ihm kennt, seitdem er 2014 in das Heim am Steinberg gekommen war.
00:26:40
Im Juli 2016 wird Tim dann noch einmal in die Psychiatrie eingeliefert,
00:26:44
nachdem er in einem sehr schlechten Zustand aufgelesen wurde.
00:26:48
Doch nach nur wenigen Stunden wird er wieder entlassen.
00:26:50
Wieder bestehe keine akute Selbst- und Fremdgefährdung.
00:26:53
Irgendwann kommt Tim dann gar nicht mehr zu den Treffen mit den SozialarbeiterInnen
00:26:57
und sucht andere Wege, um zu überleben.
00:26:59
Tim bricht in Garagen und Geschäfte ein,
00:27:02
klaut für seine kleine Schwester eine Tasche und für sich selbst ein Handy.
00:27:05
Im September 2016 wird ein Haftbefehl wegen verschiedener Delikte gegen ihn erlassen
00:27:10
und Tim muss in Untersuchungshaft.
00:27:12
Für ihn ist die Zeit dort unerträglich.
00:27:14
Die Enge und Ausweglosigkeit machen ihn fast verrückt.
00:27:17
Im November gibt es dann endlich den Prozess.
00:27:20
Das Urteil lautet, ein Jahr und sechs Monate Jugendstrafe auf Bewährung.
00:27:24
Tim darf also wieder raus.
00:27:26
Doch er hat Auflagen.
00:27:27
Er soll in die pädagogische Ambulanz ziehen,
00:27:29
sich um einen Therapieplatz kümmern und Kontakt zur Bewährungshilfe halten.
00:27:33
Doch Tim möchte oder kann nicht.
00:27:36
Er geht wieder zurück auf die Straße, klettert auf Dächer und in die Albe.
00:27:40
Er fängt an Drogen zu nehmen und sieht bald immer mehr aus wie jemand,
00:27:43
der schon lange Zeit auf der Straße lebt.
00:27:44
Die angesetzten 17 Termine in der Psychiatrie nimmt er nicht wahr.
00:27:48
Als man ihn deshalb sucht, ist er nicht aufzufinden.
00:27:51
Tim wird als vermisst gemeldet.
00:27:53
Erst Mitte Januar 2017 sieht ihn ein Betreuer wieder.
00:27:58
Er will ihn überreden, drinnen zu schlafen.
00:28:00
Sei doch viel zu kalt draußen.
00:28:03
Als das Auto vorfährt, das ihn in eine Unterkunft bringen soll,
00:28:07
geht Tim auf den Wagen zu, doch dann einfach daran vorbei.
00:28:10
Seine BetreuerInnen sehen ihn nach diesem Abend nicht wieder.
00:28:13
Ende Januar wird dann erneut Haftbefehl erlassen,
00:28:16
diesmal wegen des Verstoßes gegen die Bewährungsauflagen.
00:28:19
Doch der Befehl wird nicht vollstreckt,
00:28:22
weil Tim wieder nicht zu finden ist.
00:28:24
Ein paar Tage später klettert er ein letztes Mal in sein Versteck in die Albe.
00:28:28
Als Tim drei Monate später aus dem Baum geborgen wird,
00:28:31
kann die Todeszeit durch die Obduktion noch bestimmt werden,
00:28:35
die Todesursache hingegen nicht.
00:28:37
Tim könnte erfroren sein,
00:28:39
was in Anbetracht der Außentemperaturen im Januar nahe liegt.
00:28:43
Er könnte aber auch an einer Vergiftung durch Alkohol, Drogen
00:28:46
oder im Gift der Albe gestorben sein
00:28:49
oder einem Zusammenspiel dessen.
00:28:51
Gift der Albe, weil ...
00:28:54
Die ist super giftig.
00:28:56
Das war ja ganz tragisch,
00:28:58
wenn das, was für ihn offenbar zumindest zu dem Moment Heimat,
00:29:04
irgendetwas Heimatliches und Schutz dargestellt hat,
00:29:08
ihn dann nachher tötet.
00:29:11
Ich habe dann auch darüber gelesen,
00:29:14
weil mich das so gewundert hat.
00:29:16
Aber dieser Baum ist hochgiftig,
00:29:20
aber eher, wenn du jetzt die Nadeln irgendwie in den Mund bekommst zum Beispiel.
00:29:26
Aber was ja sein kann, wenn du da so viel Zeit verbringst und da schläfst.
00:29:31
Was die finale Ursache für seinen Tod war,
00:29:34
ist für die meisten Menschen, die diese Geschichte hören, aber nebensächlich.
00:29:37
Die Frage, die sie und auch die Presse nach dem Tod stellen,
00:29:40
ist die nach den Schuldigen.
00:29:42
Ist Tim nicht eher daran gestorben,
00:29:44
dass niemand wirklich Verantwortung für ihn übernommen hat?
00:29:47
Niemand aus seiner Familie, der Psychiatrie oder den Behörden?
00:29:50
Die Journalistin Elisa Britzelmeier von der Süddeutschen Zeitung
00:29:54
hat bei der Stadt nachgefragt,
00:29:56
Tim nicht hätte zwangseingewiesen werden müssen.
00:29:58
Der Leiter der Sozialarbeiter, der für Tim zuständig war,
00:30:01
gibt der Reporterin gegenüber an,
00:30:03
dass er so ein Vorgehen für fragwürdig hält.
00:30:05
Auch die MedizinerInnen und ÄrztInnen,
00:30:07
die ihn damals beraten haben,
00:30:09
seien der Meinung gewesen,
00:30:10
dass es Tim nicht geholfen hätte,
00:30:11
weil ihm das Eingesperrtsein
00:30:13
so große Qualen bereitet hatte.
00:30:16
dass Tim in seiner eigenen Welt gefangen war,
00:30:19
dass ihm niemand helfen konnte,
00:30:21
weil er sich nicht helfen lassen wollte.
00:30:22
Der Münchengladbacher Jugendamtsleiter
00:30:25
schiebt die Verantwortung im Interview mit der SZ hingegen auf Tims Umfeld.
00:30:29
Das Jugendamt könne am Ende nur versuchen zu korrigieren,
00:30:32
was davor durch die Eltern schiefgelaufen sei.
00:30:35
Ja, super, aber es muss doch trotzdem irgendwie möglich sein,
00:30:39
ein Kind aufzufangen,
00:30:40
wenn die Eltern es fallen lassen
00:30:43
oder nicht können,
00:30:45
weil ein Teil tot ist
00:30:47
und das andere im Gefängnis sitzt.
00:30:48
Ja, in vielen Fällen hat er wahrscheinlich auch recht.
00:30:52
In Folge 32 haben wir schon mal darüber gesprochen,
00:30:55
wie wichtig quasi diese Bezugspersonen am Anfang sind,
00:30:59
deren Aufmerksamkeit und Liebe,
00:31:01
um selbst mal ein normales Leben
00:31:03
und eine stabile Identität zu entwickeln.
00:31:06
Und sowas haben eben viele StraftäterInnen nicht erlebt,
00:31:10
wie wir aus vielen unseren Geschichten
00:31:12
aus diesem Podcast wissen.
00:31:14
und das haben wir auch schon oft betont,
00:31:16
werden nicht alle Menschen mit furchtbarer Kindheit
00:31:19
oder die solche Traumata erleben,
00:31:21
Sie können ja auch ein ganz normales
00:31:23
und glückliches Leben führen.
00:31:24
Aber manche können sich auch wie Tim entwickeln,
00:31:28
wenn man sich nicht richtig um sie kümmert.
00:31:32
Ja, dann kann man aber ja nachher nicht sagen,
00:31:34
ja, da wurde vorher zu viel verpatzt,
00:31:37
dann ist es halt so.
00:31:40
Und heute liegt Tim auf einem Friedhof in München-Gladbach
00:31:43
direkt neben seiner Mutter.
00:31:44
Auf seinem Stein steht nur sein Vorname,
00:31:49
Ich finde es so tragisch,
00:31:53
weil dieses ganze Leid
00:31:55
die ganze Zeit direkt vor ihren Augen
00:31:58
und später direkt über ihren Köpfen zu sehen war.
00:32:04
Also als ich von diesem Fall zum ersten Mal gehört habe,
00:32:07
hat er mich so berührt,
00:32:08
obwohl ich da ja auch schon sieben Jahre nicht mehr wohne.
00:32:12
Aber es ging einfach nicht in meinen Kopf,
00:32:14
wie ein Junge drei Monate in einem Baum hängen kann
00:32:17
und eben, wie du sagst,
00:32:19
es überhaupt dazu kommen konnte.
00:32:21
Und während ich jetzt diese Recherche gemacht habe,
00:32:25
habe ich auch über diese Fragen wieder nachgedacht
00:32:28
und habe mich auch dabei ertappt,
00:32:30
und vielleicht ist das bei dir gerade auch so,
00:32:32
dass solch ein Ende bei Tims Lebenslauf
00:32:35
ja fast vorhersehbar war.
00:32:38
Also niemand hatte sich um ihn gekümmert,
00:32:39
er war immer allein,
00:32:41
und keiner fühlte sich wirklich verantwortlich.
00:32:44
Aber wieso eigentlich?
00:32:45
Man wusste doch,
00:32:46
dass er Probleme hat
00:32:48
und wieso hat man ihn eigentlich
00:32:49
nicht in der Psychiatrie aufgenommen?
00:32:51
Man hätte doch vorhersehen können,
00:32:52
dass er sonst verloren war.
00:32:54
Und solche Gedanken
00:32:56
sind nach einer Tragödie wie diese ganz normal.
00:32:59
Sie beruhen aber auf einem Fehler,
00:33:01
den wir Menschen machen.
00:33:02
Und damit komme ich zu meinem Aha,
00:33:04
dem sogenannten Rückschaufehler
00:33:06
und warum der gefährlich sein kann.
00:33:08
Der Rückschaufehler ist ein Phänomen
00:33:10
aus der Gedächtnisforschung,
00:33:12
bei dem man dazu neigt,
00:33:13
nachdem ein Ereignis eingetreten ist,
00:33:15
die Vorhersehbarkeit dieses Ereignis zu überschätzen.
00:33:18
Das kennt gerade die Frau Wohlers mit mir,
00:33:20
weil ich habe nämlich alles am Ende
00:33:22
immer schon vorher gewusst.
00:33:25
Weshalb Laura mittlerweile auch schon zugegeben hat,
00:33:29
dass sie der Meinung ist,
00:33:29
dass ich hellseherische Fähigkeiten habe.
00:33:32
Da gab es aber wirklich einige Situationen.
00:33:36
Also man überschätzt die Vorhersehbarkeit,
00:33:38
unterschätzt die Zufälligkeit
00:33:40
und passt selbst getroffene Vorhersagen
00:33:42
an das tatsächliche Ereignis an.
00:33:44
Es handelt sich also quasi um eine Art
00:33:47
kognitive Verzerrung.
00:33:48
Und die Menschen erinnern sich dann
00:33:50
systematisch falsch an ihre früheren Aussagen
00:33:52
und an ihre früheren Gedanken
00:33:56
die halt passen,
00:33:57
zu dem tatsächlich eingetroffenen Ereignis
00:34:00
Und so etwas geschieht zum Beispiel
00:34:01
häufig bei Fällen von Kindesmissbrauch
00:34:03
oder Kindesvernachlässigung
00:34:05
die vom Jugendamt betreut wurden.
00:34:07
Familie X stand seit Jahren
00:34:09
unter Beobachtung,
00:34:10
alle Dienstvorschriften
00:34:11
wurden eingehalten und so weiter.
00:34:12
Trotzdem stirbt dort ein Kind.
00:34:14
Und dann kommt sofort die Frage,
00:34:16
wie konnte so etwas
00:34:17
trotz Beobachtung des Amts passieren?
00:34:19
Und dann werden Informationen,
00:34:21
die man vor dem Tod des Kindes hatte,
00:34:23
plötzlich anders gedeutet
00:34:24
und Aussagen wie
00:34:26
»Das muss denen doch klar gewesen sein«
00:34:30
geht es einer Anwohnerin ähnlich.
00:34:32
Sie erzählt der Presse nach Tims Tod,
00:34:34
dass sie ihn einmal
00:34:35
auf dem Spielplatz beobachtete,
00:34:36
wie er Joghurt mit den Fingern
00:34:38
aus einem Becher aß
00:34:39
und den Becher dann einfach
00:34:40
auf den Boden geschmissen hat,
00:34:42
wo auch schon andere leere Becher lagen.
00:34:44
Und die Nachbarin ist dann zu ihm
00:34:46
und hat den Becher aufgehoben
00:34:47
und in den Müll geschmissen,
00:34:48
ohne ein Wort zu sagen.
00:34:50
Daraufhin fragte Tim sie
00:34:51
»Warum machen Sie das?«
00:34:53
»Sie, wenn ich dir sagen würde,
00:34:55
du sollst ihn aufheben,
00:34:56
würdest du es sowieso nicht tun.«
00:34:58
Tim sah die Frau daraufhin
00:35:00
verletzt an, stand auf
00:35:01
und warf die restlichen Becher
00:35:02
in den Mülleimer.
00:35:03
Dann fragte die Nachbarin ihn noch,
00:35:06
in seinem Alter auf der Straße lebt.
00:35:08
»Das wollen sie nicht wissen,
00:35:10
so etwas Schlimmes«,
00:35:12
Als dieselbe Nachbarin
00:35:13
einige Tage später
00:35:14
vor einem großen Fenster stand
00:35:17
warf Tim kleine Steinchen
00:35:20
Ein paar Tage später
00:35:21
wiederholte sich das.
00:35:23
Heute ist sich die Anwohnerin sicher,
00:35:25
dass es Tims Art war,
00:35:27
Kontakt zu ihr aufzunehmen,
00:35:28
dass es ein Hilferuf von ihm war,
00:35:30
den sie damals falsch verstanden hatte.
00:35:32
Die Frau meint heute,
00:35:34
das hätte sie eigentlich wissen müssen.
00:35:37
Ist aber nicht so.
00:35:39
Aber warum begehen Menschen
00:35:40
den Rückschaufehler?
00:35:41
Eigentlich ist es ganz logisch,
00:35:43
denn das Wissen über das Ereignis
00:35:45
verändert die Deutung und Wertung
00:35:48
aller Informationen,
00:35:49
die wir vorher hatten.
00:35:50
und somit verschiebt sich
00:35:51
quasi die komplette Wahrnehmung.
00:35:53
Die später dazugekommenen
00:35:54
Informationen überlagern
00:35:56
die älteren Informationen.
00:35:58
wenn es um Schuld
00:35:59
und Verantwortung geht,
00:36:00
spielt der Rückschaufehler
00:36:02
Der Mensch sucht nämlich
00:36:04
und nach Schuldigen,
00:36:05
nach Bestätigung
00:36:06
und halt seiner eigenen Weltsicht.
00:36:09
So zeigen zum Beispiel zwei Studien
00:36:10
der US-amerikanischen
00:36:12
Sozialpsychologin Linda Carley,
00:36:13
dass Menschen einer Person,
00:36:15
die vergewaltigt wurde,
00:36:16
im Nachhinein häufiger vorwerfen,
00:36:18
selbst mit ihrem Verhalten
00:36:19
dazu beigetragen zu haben,
00:36:20
obwohl sie das Verhalten
00:36:22
vorher nicht so einschätzten.
00:36:24
Also das Verhalten des Opfers
00:36:26
soll daran schuld sein?
00:36:27
Das Opfer ist ja wohl bitte nie schuld
00:36:29
an so einer Tat.
00:36:30
Natürlich nicht.
00:36:32
Und besonders häufig
00:36:33
zeigt sich dieses Phänomen
00:36:34
übrigens bei Menschen
00:36:35
mit einem ausgeprägten Bedürfnis
00:36:37
nach Sicherheit,
00:36:39
die irgendwie eine ganz
00:36:40
geordnete Weltsicht haben,
00:36:42
bei denen es quasi
00:36:43
gar nicht ins Bild passt,
00:36:44
wenn sie etwas nicht
00:36:45
kommen gesehen haben.
00:36:46
Ach ja, Fachkenntnis
00:36:48
hat keinen Einfluss
00:36:49
auf das Phänomen.
00:36:51
bei vielen verschiedenen
00:36:54
Rückschaufehler festgestellt,
00:36:55
also auch bei ÄrztInnen
00:36:56
und RichterInnen zum Beispiel.
00:36:57
Und wir können uns ja vorstellen,
00:36:59
warum dieser Fehler
00:37:01
besonders problematisch ist,
00:37:02
zum Beispiel bei der Frage
00:37:04
nach der Fahrlässigkeit.
00:37:05
Denn da wird ja erst geurteilt,
00:37:07
wenn ein Ereignis
00:37:07
bereits eingetreten ist.
00:37:09
Es soll aber die Vorhersehbarkeit
00:37:11
vor dem Ereignis
00:37:12
beurteilt werden,
00:37:13
unabhängig von dessen Ausgang.
00:37:16
Konnte der Raser
00:37:18
dass eine Person
00:37:19
wenn er mit 180 kmh
00:37:21
durch die Innenstadt fährt?
00:37:22
Besonders für JuristInnen
00:37:24
ist es also wichtig,
00:37:25
dieses Phänomen zu kennen,
00:37:27
richtig beurteilen zu können.
00:37:28
Aber auch für uns alle
00:37:33
darüber zu haben,
00:37:35
für jeden gefährlich sein.
00:37:36
Wenn man sich nämlich
00:37:39
dass man sowieso
00:37:40
alles schon vorher gewusst hat
00:37:41
beziehungsweise eigentlich
00:37:42
ja hätte wissen müssen,
00:37:43
wird es schwierig,
00:37:46
die zu dem Ereignis
00:37:48
richtig zu beurteilen
00:37:49
und aus ihnen zu lernen
00:37:51
und möglicherweise
00:37:55
in irgendeinem Kabarett
00:37:57
Das sind die Hellseher,
00:37:59
immer erst rückwirkend
00:38:01
vorhersagen können.
00:38:02
Bei mir geht es heute
00:38:05
um eine sexuell motivierte Tat,
00:38:08
auch wenn ich davon
00:38:09
jetzt keine Szenen
00:38:10
beschreiben werde.
00:38:10
Ihr findet im Übrigen
00:38:13
in unseren Beschreibungen
00:38:15
eine Triggerwarnung,
00:38:16
wenn es um Sexualdelikte
00:38:19
an Kindern geht.
00:38:20
Mein Fall zeigt,
00:38:23
eine Kleinstadt sein kann,
00:38:25
ihrer Mitglieder
00:38:28
habe ich geändert.
00:38:29
Am 20. März 2014
00:38:34
in meinem Facebook-Feed
00:38:35
den ersten geteilten Post
00:38:37
von meinen Freunden.
00:38:38
Es geht um eine junge Frau,
00:38:40
die von ihrer Familie
00:38:41
als vermisst gemeldet wurde.
00:38:44
stammt aus Thornisch,
00:38:45
das ist genau genommen
00:38:46
die Nachbarstadt
00:38:47
von meiner Heimatstadt Uetersen.
00:38:48
Aber wenn du jetzt
00:38:49
in Uetersen lebst,
00:38:50
dann fährst du auch
00:38:52
immer mal durch Thornisch.
00:38:56
ein Bilderbuchkind,
00:38:58
sagt ihre Mutter
00:39:02
und wohnt mit ihrer
00:39:02
vier Jahre jüngeren
00:39:04
noch bei ihren Eltern.
00:39:07
nennt Lisa Marie
00:39:08
und für Vater Nico
00:39:09
ist sie manchmal
00:39:13
Lisa hat blond-rötliches Haar,
00:39:16
sauviele Hobbys.
00:39:19
in allen Gassen,
00:39:20
sagt Mutter Ilona.
00:39:24
dann ihre Ausbildung
00:39:25
als medizinische
00:39:26
Fachangestellte,
00:39:27
aber allem voran
00:39:28
der Rettungsdienst
00:39:29
beim Arbeiter-Samariter-Bund
00:39:31
bei der Freiwilligen Feuerwehr.
00:39:34
das macht sich Lisa
00:39:35
immer zur Aufgabe.
00:39:36
Sie sorgt sich um andere,
00:39:40
wo sie sich bewegt,
00:39:41
findet sie Freunde.
00:39:41
Sie ist eine von den Personen,
00:39:43
die man schnell lieb gewinnt.
00:39:45
So ging es auch Simon,
00:39:47
einen ihrer Kameraden
00:39:48
beim Rettungsdienst.
00:39:49
Mittlerweile sind die beiden
00:39:53
das sich aufeinander
00:39:54
Sie verbringen auch
00:39:56
privat viel Zeit
00:39:57
Mit einem anderen Kollegen
00:39:59
vom Rettungsdienst
00:40:00
kommt Lisa weniger gut klar.
00:40:01
Ich nenne ihn Moritz.
00:40:03
Moritz ist unsterblich
00:40:05
in Lisa verliebt.
00:40:06
Das hat er ihr auch
00:40:06
schon gestanden.
00:40:07
Lisa aber hat kein Interesse
00:40:10
hat ihm aber angeboten,
00:40:11
freundschaftlich mit ihm
00:40:13
Mit der Abfuhr lebt Moritz
00:40:15
aber nicht gern.
00:40:15
Er kann nicht akzeptieren,
00:40:18
für die er so starke
00:40:20
diese nicht erwidert.
00:40:21
Er wird aufdringlich,
00:40:23
schreibt ihr ständig
00:40:23
Nachrichten bei WhatsApp,
00:40:25
wartet vor ihrem Zuhause
00:40:26
im Auto auf sie.
00:40:27
Sogar Lisas Familie
00:40:28
fühlt sich davon schon genervt,
00:40:29
so penetrant ist er.
00:40:30
Manchmal fährt er Lisa
00:40:32
auch im Auto hinterher.
00:40:33
Der Zustand ist irgendwann
00:40:34
nicht mehr zu ertragen.
00:40:36
Die Familie bewirkt
00:40:37
eine einstweilige
00:40:38
Verfügung gegen Moritz.
00:40:39
Jetzt darf er Lisa
00:40:40
nicht näher als 50 Meter
00:40:42
sonst muss er eine
00:40:43
Geldstrafe bezahlen.
00:40:44
Trotzdem lässt es sich
00:40:45
nicht ganz vermeiden,
00:40:47
Moritz auch noch
00:40:47
manchmal zu sehen.
00:40:48
Er und Lisa arbeiten
00:40:50
ja immerhin gemeinsam
00:40:50
im Rettungsdienst.
00:40:52
Allerdings scheint es
00:40:53
als hätte die Verfügung
00:40:55
Früchte getragen.
00:40:56
Moritz' Annäherungsversuche
00:40:59
ein mulmiges Gefühl
00:41:01
So einen Verehrer
00:41:03
Lisa hat übrigens
00:41:04
einige Verehrer.
00:41:07
tatsächlich auch.
00:41:08
Das ist der Jan.
00:41:09
Die beiden kennen sich
00:41:11
von einer Feuerwehrübung.
00:41:13
Nachbarsgemeinde tätig.
00:41:14
Die beiden lernen
00:41:15
sich kennen und lieben.
00:41:19
erster richtiger Freund.
00:41:20
Ihre Liebe ist so
00:41:21
intensiv und innig,
00:41:22
dass Jan schon nach
00:41:23
vier Wochen Beziehung
00:41:24
ins Elternhaus zieht.
00:41:26
Ihre Eltern mögen Jan.
00:41:27
Er ist aufmerksam,
00:41:29
lieb und kümmert sich
00:41:30
um ihre Tochter.
00:41:31
auch Vater Niko sieht,
00:41:34
Die beiden kleben
00:41:36
nahezu aneinander.
00:41:37
Manchmal denkt Ilona,
00:41:38
mittlerweile zu einer
00:41:39
Person verschmolzen sind.
00:41:41
Aber leider ist Jan
00:41:42
auch ziemlich eifersüchtig.
00:41:44
Ihm gefällt es nicht,
00:41:45
wenn Lisa alleine
00:41:46
loszieht oder er mitbekommt,
00:41:48
wenn andere Jungs
00:41:48
ihr Aufmerksamkeit schenken.
00:41:50
Das stört Ilona.
00:41:51
Jan gefällt es auch nicht,
00:41:53
wenn Lisa Kontakt
00:41:54
zu anderen aus der
00:41:55
Jugendfeuerwehr hat.
00:41:56
Aber Lisa ist nun mal
00:41:57
ein Gemeinschaftsmensch
00:41:58
und mag ihr Team.
00:41:59
So viele unterschiedliche
00:42:01
Da ist zum Beispiel
00:42:03
der ist 16 Jahre alt,
00:42:05
ein bisschen mopbelig
00:42:06
und eher der Außenseiter-Typ.
00:42:07
Bei einem Gruppenabend
00:42:08
hat sich Lisa mal länger
00:42:09
mit ihm unterhalten.
00:42:10
Oder Jogi zum Beispiel.
00:42:12
Er ist Anfang 50
00:42:13
und der Gerätewart
00:42:13
der Jugendfeuerwehr.
00:42:14
Alle lieben Jogi,
00:42:16
um die angehenden
00:42:17
Feuerwehrmitglieder kümmert.
00:42:18
Für einige Mädchen
00:42:19
hat er sogar einen
00:42:21
im Feuerwehrauto
00:42:23
Am 7. Februar 2014
00:42:25
wird Lisa endlich volljährig.
00:42:27
Darauf hat sie lange gewartet,
00:42:28
denn jetzt muss sie nicht mehr
00:42:29
nur bei der Jugendfeuerwehr
00:42:31
sondern ist eine richtige
00:42:33
und darf mit zu den
00:42:34
Löschzügen fahren.
00:42:35
Aber ihre Freude
00:42:36
über ihre neue Aufgabe
00:42:38
wird bald getrübt.
00:42:40
ist es ein Mittwoch,
00:42:42
total durcheinander
00:42:43
aus ihrem Zimmer
00:42:44
und erzählt ihrer Mutter,
00:42:45
was sie gerade erfahren hat.
00:42:46
Jogi ist gestorben.
00:42:48
Es war ein Herzinfarkt
00:42:51
Lisa kann es nicht fassen.
00:42:53
Auch Finn aus der Feuerwehr
00:42:54
hat die Nachricht
00:42:55
völlig umgehauen.
00:42:56
Die beiden schreiben sich
00:42:57
bei WhatsApp darüber.
00:42:58
Finn hat gefragt,
00:42:59
ob Lisa mal vorbeikommen kann.
00:43:01
Ihm geht es nicht gut.
00:43:02
Sein Vater erzählt,
00:43:03
er sei den Rettungswagen
00:43:04
in dem Jogi lag.
00:43:05
Und natürlich will Lisa
00:43:07
ihrem Kameraden helfen.
00:43:08
So ist sie halt.
00:43:09
Sie packt ihre Sachen
00:43:11
und sagt ihrer Mutter,
00:43:12
dass sie in einer Stunde
00:43:12
sogar wieder zu Hause sein würde.
00:43:15
bei Finn vorbeischauen.
00:43:16
Bei uns im Kreis Pinneberg,
00:43:19
dass du zusiehst,
00:43:22
auf jeden Fall schon
00:43:22
deinen Führerschein hast,
00:43:24
weil man sich da ohne Auto
00:43:25
einfach kaum fortbewegen kann,
00:43:27
weil es so wenig Möglichkeiten gibt.
00:43:29
Und auch Lisa hat
00:43:31
zu diesem Zeitpunkt
00:43:32
ihren Führerschein schon.
00:43:33
Sie ist aber natürlich
00:43:34
noch Fahranfängerin.
00:43:35
Und deswegen lässt sie
00:43:36
das Auto ihrer Mutter
00:43:37
auf dem Parkplatz
00:43:38
der Feuerwehr stehen.
00:43:39
Finn wohnt dann nämlich
00:43:41
und sie hat zu große Sorge,
00:43:42
wenn sie bei Fins Eltern
00:43:44
auf die Einfahrt fährt,
00:43:45
nachher wieder rückwärts
00:43:46
auf die Hauptstraße fahren muss.
00:43:51
fängt die Überwachungskamera
00:43:53
der Feuerwehr Lisa ein,
00:43:54
wie sie über den Parkplatz geht.
00:43:55
Es ist kurz nach 16 Uhr,
00:43:58
ein ungutes Gefühl überkommt.
00:44:00
Lisa sagte doch,
00:44:01
sie wolle in einer Stunde
00:44:03
Als Jan von der Berufsschule
00:44:05
ist er genauso besorgen.
00:44:06
Er hätte ihr schon mehrmals
00:44:08
bei WhatsApp geschrieben,
00:44:09
sie hätte aber nicht reagiert.
00:44:10
Ilona versucht es
00:44:11
nochmal über Facebook.
00:44:12
Da erreicht sie Lisa
00:44:13
eigentlich immer.
00:44:16
Auch telefonisch nicht,
00:44:18
ihr Handy ist aus.
00:44:19
Das ist total ungewöhnlich
00:44:21
Sie ist immer erreichbar.
00:44:24
Ilona merkt aber,
00:44:25
dass da auch ein bisschen
00:44:26
Eifersucht mitschwingt.
00:44:28
dass sie vorher zu Finn wollte.
00:44:29
Die beiden fahren los,
00:44:31
um Lisa zu suchen
00:44:32
und finden das Auto
00:44:33
auf dem Parkplatz der Feuerwehr.
00:44:35
Also denken sie,
00:44:36
ist sie vielleicht
00:44:37
doch noch bei Finn.
00:44:39
dass sie noch ein wenig warten.
00:44:42
finden sie auch keine Ruhe
00:44:43
und es gibt weiterhin
00:44:44
keine Rückmeldung von Lisa.
00:44:45
Nachdem Ilona die Nummer
00:44:47
von Finn herausgefunden hat,
00:44:48
versucht sie es bei ihm.
00:44:50
dass Lisa sich schon um
00:44:53
auf dem Nachhauseweg gemacht hat,
00:44:54
weil sie Kopfweh hatte.
00:44:55
Ilona bittet Finn sich zu melden,
00:44:58
falls er was hört.
00:44:59
Jetzt sind Ilona und Jan
00:45:01
Ist dir vielleicht etwas
00:45:02
auf dem Weg passiert?
00:45:03
Ilona denkt aber auch wieder
00:45:06
Ist der Albtraum doch nicht vorbei?
00:45:08
Sie rufen bei der Polizei an
00:45:11
und melden Lisa als vermisst.
00:45:12
Die Polizei sagt ihnen aber,
00:45:14
dass sie erstmal noch
00:45:14
keine öffentliche Suche
00:45:16
Immerhin ist Lisa ja jetzt 18
00:45:18
und erst ein paar Stunden weg.
00:45:20
Dann müssen sie eben
00:45:21
selbst aktiv werden,
00:45:22
denkt sich Lisas Familie.
00:45:23
Mittlerweile ist auch Vater Nico
00:45:25
von der Arbeit nach Hause gekommen.
00:45:27
Zusammen mit Simon
00:45:28
und Lisas Schwester
00:45:29
bildet er einen Suchtrupp.
00:45:30
Sie gehen die Gegend
00:45:31
von Fins zu Hause
00:45:32
bis zum Auto ab.
00:45:33
Vielleicht ist sie ja irgendwo
00:45:34
umgekippt und braucht Hilfe.
00:45:36
Auch der Arbeiter Samariter
00:45:38
bunt weiß inzwischen,
00:45:39
dass Lisa gesucht wird.
00:45:41
eine Hundestaffel
00:45:42
zur Verfügung haben,
00:45:43
fordert ein Mitarbeiter
00:45:45
einen Mantrailer-Hund an.
00:45:46
Mit einer Haarbürste
00:45:47
und einer Zahnbürste
00:45:49
soll der ihren Geruch verfolgen.
00:45:52
schnüffelt nur längere Zeit
00:45:53
an der Eingangstür
00:45:54
vor Fins Elternhaus.
00:45:55
Das ist ja auch kein Wunder,
00:45:57
immerhin war Lisa
00:45:58
dort ja auf jeden Fall.
00:45:59
Danach laufen sie
00:46:01
mit dem Hund einmal
00:46:01
um das Haus herum
00:46:02
und dann zur Straße.
00:46:03
Über drei Kilometer
00:46:05
legen sie zurück,
00:46:06
bis sie die Suche
00:46:06
abbrechen müssen.
00:46:08
keine Fährte aufnehmen.
00:46:09
Während das Team
00:46:10
mit dem Hund abbricht,
00:46:12
suchen mittlerweile über 50
00:46:13
Freunde und Bekannte
00:46:14
Bis in die frühen Morgenstunden
00:46:16
sind sie mit Taschenlampen
00:46:19
Donnerstag, 20. März 2014.
00:46:24
In meinem Facebook-Feed
00:46:26
dass meine Freundin
00:46:27
und Kerstin, mit der ich in den USA war,
00:46:29
einen Post teilt.
00:46:31
Polizei sucht 18 Jahre alte
00:46:33
Tornischerin Lisa Marie B.
00:46:34
Die junge Frau kam gestern
00:46:36
nicht nach Hause
00:46:36
und heute nicht zur Arbeit.
00:46:38
Es ist der Morgen,
00:46:39
einen Tag nach Lisas Verschwinden.
00:46:41
Bisher fehlt immer noch
00:46:43
jede Spur von ihr.
00:46:44
Bekannte, Freunde und Familie
00:46:46
haben sich mittlerweile organisiert.
00:46:48
Mit der freiwilligen Feuerwehr
00:46:49
sind es ca. 200 Leute,
00:46:51
die nur ein Ziel haben,
00:46:53
Lisa Marie zu finden.
00:46:56
eine unglaubliche Solidarität.
00:46:58
Jeder hilft, wo er kann.
00:46:59
Jens Vater war mal bei der Bundeswehr
00:47:01
und koordiniert die Sucher.
00:47:02
Er teilt die Gegend
00:47:04
in einzelne Abschnitte ein.
00:47:05
Ilona organisiert derweil
00:47:07
die Suche im Netz.
00:47:08
Sie starten einen Aufruf,
00:47:10
der tausende Male geteilt wird.
00:47:11
Auch viele meiner Freunde
00:47:13
beteiligen sich daran.
00:47:14
Bei YouTube stellen die Sucher
00:47:16
ein Video mit der Vermisstenmeldung
00:47:17
von Lisa Marie ein.
00:47:18
Sie drucken Flyer mit Fotos von Lisa
00:47:20
und verteilen sie in ganz tornisch.
00:47:22
Nicos Chef besorgt für seinen Mitarbeiter
00:47:24
extra einen Hubschrauber,
00:47:25
sodass sie das Gebiet
00:47:26
zusätzlich von oben absuchen können.
00:47:28
Ganz tornisch weiß mittlerweile
00:47:31
Alle halten die Augen offen.
00:47:32
Wieder suchen Bekannte,
00:47:34
Freunde und Familie
00:47:35
bis spät in die Nacht.
00:47:36
Was keiner weiß,
00:47:39
sucht nicht wirklich nach Lisa Marie.
00:47:41
Eine Person weiß, wo sie ist
00:47:44
und spielt die Sorge nur.
00:47:48
Freitag, 21. März 2014.
00:47:51
Meine Facebook-Freundin Emilia
00:47:53
teilt den Beitrag
00:47:53
der Feuerwehr tornisch.
00:47:55
Licht an für Lisa.
00:47:56
In Seemanns Familien ist es Brauch,
00:47:59
ein Licht im Fenster stehen zu haben,
00:48:00
bis die Seeleute wieder nach Hause kommen.
00:48:02
Wir möchten euch daher bitten,
00:48:04
abends im Raum tornisch
00:48:05
eine Lampe für Lisa
00:48:06
ins Fenster zu stellen.
00:48:07
Bitte keine Kerzen
00:48:09
Dies soll ein Zeichen sein,
00:48:11
dass wir an sie denken
00:48:12
und auf ihre Heimkehr warten.
00:48:15
und sorgt dafür,
00:48:15
dass tornisch nachts
00:48:16
für Lisa leuchtet,
00:48:17
bis sie wieder bei uns ist.
00:48:18
Als sich alle am Freitag,
00:48:20
Lisas Verschwinden
00:48:21
zur Suche treffen,
00:48:23
auch schon auf den Beinen.
00:48:24
Mittlerweile suchen
00:48:25
die BeamtInnen auch offiziell.
00:48:27
Ein Hubschrauber
00:48:28
mit Wärmebildkamera
00:48:30
Man-Trailer-Staffeln
00:48:30
sind im Einsatz,
00:48:31
während tornisch
00:48:32
im Regen versinkt.
00:48:33
Die Polizei beginnt jetzt
00:48:35
Lisas Umfeld zu befragen.
00:48:39
die ErmittlerInnen fragen,
00:48:40
welche Probleme Lisa hatte,
00:48:42
mit jemandem gestritten hat.
00:48:44
Auch Moritz wird
00:48:45
von der Polizei befragt,
00:48:46
also der Stalker.
00:48:47
Eine verdächtige Person
00:48:49
kann aber nicht festgemacht werden.
00:48:51
Dennoch stößt die Polizei
00:48:53
auf eine interessante Information.
00:48:54
Finn erzählt ihnen,
00:48:56
dass Lisa ihm gegenüber
00:48:58
dass sie sich morgens
00:48:59
noch mit Jan gestritten hat.
00:49:00
Weshalb weiß er nicht,
00:49:02
aber vielleicht war es mal
00:49:04
wieder seine Eifersucht.
00:49:05
Die wurde immerhin immer schlimmer
00:49:06
im Laufe der Beziehung.
00:49:08
Lisa hat sich manchmal
00:49:09
richtig eingeengt gefühlt,
00:49:10
das ist ihrer Mutter
00:49:11
auch aufgefallen.
00:49:12
Auf Nachfrage behauptet Jan,
00:49:14
sich mit Lisa morgens
00:49:15
nicht gestritten zu haben.
00:49:16
Mittlerweile berichtet
00:49:17
auch die Presse von dem Fall.
00:49:18
Weil Finn offenbar
00:49:20
der Lisa Marie gesehen hat,
00:49:22
wird auch er interviewt.
00:49:23
Er erzählt der Hamburger
00:49:25
dass Lisa ihm gegenüber
00:49:26
Stress mit ihrem Freund
00:49:28
Dann sagt er noch,
00:49:29
dass sie so eine Stunde
00:49:31
gequatscht haben,
00:49:31
bevor sie wieder gegangen ist
00:49:33
und dass er sich
00:49:33
große Vorwürfe macht,
00:49:35
sie nicht zum Auto
00:49:35
begleitet zu haben.
00:49:36
Während Finn das erzählt,
00:49:38
fängt er an zu weinen
00:49:39
Lisa, komm bitte zurück.
00:49:41
Es ist mein allergrößter Wunsch.
00:49:46
findet sich in meinem
00:49:48
kein Eintrag zur Suche
00:49:49
der geteilt wird.
00:49:50
Und das liegt vor allem daran,
00:49:52
dass man einfach
00:49:53
nicht vorankommt.
00:49:54
Also die Polizei
00:49:55
keine verdächtige Person
00:49:56
ins Auge fassen können
00:49:57
und die Suchaktion
00:49:59
bleibt auch ergebnislos.
00:50:01
Mittlerweile wird aber
00:50:02
in alle Richtungen ermittelt.
00:50:05
haben jetzt fast drei Tage
00:50:06
durchgehend nach ihrer Tochter
00:50:09
sie haben kaum gegessen,
00:50:10
keinen Schlaf finden können.
00:50:11
Alles, was sie wollen,
00:50:13
ist, ihre Tochter
00:50:13
wieder in die Arme zu schließen.
00:50:14
Auch diese Nacht
00:50:16
stellen die Tornischer
00:50:16
Kerzen aufs Fensterbrett,
00:50:19
nach Hause zu leuchten.
00:50:20
Sonntag, 23. März.
00:50:24
aus der Feuerwehr Tornisch
00:50:25
teilt über ihren Account
00:50:27
Ich soll euch von Lisas
00:50:28
Mama Grüße ausrichten
00:50:30
und ihren Dank an alle,
00:50:31
die an sie und ihre Familie denken
00:50:33
und Lisa Kraft geben,
00:50:34
das alles zu überstehen.
00:50:35
Schon morgens um sieben
00:50:37
meldet sich eine Frau
00:50:39
Polizeirevier in Tornisch.
00:50:41
Sie hat eine beunruhigende
00:50:42
Entdeckung am Vorabend gemacht.
00:50:44
Nachdem ihr erst
00:50:45
eines der Flugblätter
00:50:46
in die Hand gefallen ist
00:50:47
und sie dann auch noch
00:50:48
den Bericht in der
00:50:49
Hamburger Morgenpost las,
00:50:50
surfte sie ein bisschen
00:50:52
Sie landete auf YouTube
00:50:54
und entdeckte dort
00:50:55
den Account einer Person,
00:50:57
im Zusammenhang mit Lisa
00:50:58
schon bekannt war.
00:50:59
Diese Person hatte
00:51:00
zwei Videos hochgeladen.
00:51:01
Darin ging es um
00:51:03
selbstgedrehte Videos
00:51:04
von Einsatzfahrzeugen
00:51:06
Aber der Accountinhaber
00:51:07
hatte auch mehrere Videos
00:51:09
Und diese Videos
00:51:11
zeigen nachgespielte Szenen
00:51:12
wie Frauen sterben.
00:51:14
Dort sind Männer zu sehen,
00:51:15
die Frauen beispielsweise
00:51:16
in der Badewanne erwürgen.
00:51:18
Alle Videos hatten gemeint,
00:51:19
dass man während des Todeskampfes
00:51:21
die Füße der Frauen zeigte.
00:51:22
Der Account mit den Videos
00:51:24
verbarg sich nicht
00:51:25
hinter einem Alias.
00:51:26
Es war der Name von Finn.
00:51:28
Montag, 24. März.
00:51:32
ich nenne ihn jetzt mal Farid,
00:51:34
aus dem persischen Restaurant,
00:51:36
in dem ich damals gearbeitet habe,
00:51:37
teilt auf Facebook
00:51:39
Leiche gefunden.
00:51:40
Lisa Marie vermutlich getötet.
00:51:43
Meine Freundin und Kollegin,
00:51:45
auch aus dem Restaurant,
00:51:46
teilt den gleichen Artikel
00:51:47
und schreibt darunter
00:51:49
Die Polizei hatte
00:51:51
einen Durchsuchungsbeschluss
00:51:52
erwirken können.
00:51:53
deswegen versammeln sich
00:51:54
an diesem Montagmorgen
00:51:55
einige Beamtinnen
00:51:56
vor Fins Elternhaus,
00:51:57
während zwar andere
00:51:58
ihn von der Schule abholen.
00:52:00
Finn zeigt darauf kaum Reaktionen.
00:52:02
Auf dem Weg zur Wache
00:52:04
fahren sie an seinem Zuhause vorbei.
00:52:06
Polizeiautos davor
00:52:08
scheinen nichts in ihm auszulösen.
00:52:09
Bei seiner Vernehmung
00:52:10
leugnet er weiterhin zu wissen,
00:52:12
was mit Lisa Marie passiert ist,
00:52:13
verstrickt sich aber zunehmend
00:52:14
in Widersprüche.
00:52:15
Gerade was die Zeit angeht,
00:52:17
wann sie gegangen ist
00:52:18
oder gekommen ist.
00:52:19
Nahezu zeitgleich
00:52:21
findet das Team in Tornisch
00:52:22
nur wenige Meter
00:52:23
hinter Fins Haus
00:52:24
Lisas entkleidete Leiche.
00:52:25
Sie wurde unter einem blühenden
00:52:27
Strauch abgelegt.
00:52:29
als Lisas Familie
00:52:30
von der Nachricht erfährt,
00:52:31
beschreibt Vater Nico so.
00:52:33
Ich hätte gerne meine Frau
00:52:35
in den Arm genommen,
00:52:36
mit ihr zusammen geweint.
00:52:38
war es wie eine Starre gewesen.
00:52:40
Ich konnte mich nicht bewegen
00:52:41
im ersten Moment.
00:52:42
Es war alles weg.
00:52:43
Es war alles leer.
00:52:46
Mittlerweile konfrontieren
00:52:47
die ErmittlerInnen Finn
00:52:49
mit den Gewaltvideos
00:52:50
von seinem YouTube-Kanal.
00:52:51
Die Vernehmung zieht sich
00:52:53
und die BeamtInnen
00:52:54
machen nur langsame Fortschritte.
00:52:55
Dann aber gesteht er,
00:52:57
Lisa unter einem Vorwand
00:53:00
und sie dann umgebracht zu haben.
00:53:02
Sein Vater hatte den Rettungswagen
00:53:03
von Jogi gar nicht gefahren.
00:53:05
Finn war an diesem Mittwoch erkältet,
00:53:07
ging also nicht zur Schule
00:53:09
und saß schon früh vorm PC,
00:53:10
um sich durch seine YouTube-Liste
00:53:12
Als Lisa dann kam,
00:53:14
unterhielten sie sich kurz.
00:53:15
Aber Lisa wollte nicht lang bleiben.
00:53:17
Sie zog nicht mal ihre Jacke aus.
00:53:19
sie raus begleiten zu wollen.
00:53:21
Dann gingen sie durch den Flur,
00:53:24
und dann seien da plötzlich
00:53:25
wieder die Videos
00:53:26
in seinem Kopf gewesen,
00:53:28
Als er sie von hinten wirkte,
00:53:30
seien sie umgefallen.
00:53:31
Lisa hatte sich gewehrt,
00:53:32
aber er konnte einfach nicht aufhören.
00:53:34
Dann hat er sich auf sie raufgesetzt
00:53:37
bis es vorbei war.
00:53:38
Er entkleidete ihre Leiche,
00:53:40
packte ihre Klamotten
00:53:41
in einen gelben Sack
00:53:41
und stellte sie auf den Dachboden.
00:53:45
hat er mit einem Bollerwagen
00:53:46
zur Ablegestelle transportiert.
00:53:51
Meine Freundin Katharina
00:53:52
teilt einen Artikel
00:53:53
des Hamburger Abendblatts.
00:53:55
nach dem zweiten Prozestag.
00:53:57
Bevor der 16-Jährige
00:54:00
in Thornisch erwürgte,
00:54:01
kam es zu drei ähnlichen Vorfällen.
00:54:03
dass die Jugendkammer
00:54:04
für den Angeklagten
00:54:05
Sicherheitsverwahrung anordnet.
00:54:07
Ein halbes Jahr nach der Tat,
00:54:09
für so viele Menschen
00:54:10
in Thornisch veränderte,
00:54:11
steht Finn vor Gericht.
00:54:12
Die Öffentlichkeit
00:54:14
ist aufgrund von Fins Alter
00:54:16
Die Klage lautet
00:54:17
Mord aus Heimtücke.
00:54:18
Dafür bekommt er
00:54:19
nach Jugendstrafrecht
00:54:20
maximal zehn Jahre.
00:54:23
tritt als Nebenkläger auf.
00:54:24
Ihnen geht es nicht darum,
00:54:26
möglichst hart bestraft wird.
00:54:27
Vielmehr möchten sie
00:54:28
endlich antworten
00:54:30
die ihnen so lange
00:54:31
unbeantwortet blieben.
00:54:32
Vor allem möchten sie
00:54:34
warum ihre Tochter
00:54:36
Gleich am ersten Prozestag
00:54:39
sein Geständnis.
00:54:40
Während der Verhandlung
00:54:42
und das sage ich jetzt,
00:54:44
über den Rückschaufehler
00:54:45
gesprochen haben,
00:54:45
dass sich die Tat
00:54:46
irgendwie angedeutet hatte.
00:54:48
Zu Hause war Finn
00:54:50
zwar immer höflich,
00:54:51
immer zuvorkommend,
00:54:52
hat nie etwas ausgefressen,
00:54:54
ist er schon auffällig geworden,
00:54:56
weil er andere Kinder wirkte.
00:54:58
Da war er gerade einmal 13.
00:55:01
einen Schulkameraden,
00:55:02
als sie Zusammenhausaufgaben
00:55:04
Ohne ersichtlichen Grund
00:55:05
ging Finn auf ihn los.
00:55:08
war es eine Mitschülerin,
00:55:09
von der sich Finn
00:55:10
vorher gedemütigt fühlte.
00:55:12
unter einem Vorwand,
00:55:14
und attackierte sie dort.
00:55:15
Nur weil eine Passantin
00:55:17
zufällig dazwischen kam,
00:55:18
konnte sich das Mädchen
00:55:19
Als das rauskam,
00:55:21
schleppte seine Mutter
00:55:22
Finn zu einer Therapie.
00:55:23
Die war aber irgendwann
00:55:25
mit der er sprach,
00:55:26
den Job wechselte.
00:55:29
zu dem Zeitpunkt
00:55:30
auf einem guten Weg zu sein.
00:55:31
Finn musste nach den
00:55:33
Vorfällen auch die Schulklasse
00:55:36
Das wurde unter den
00:55:37
LehrerkollegInnen
00:55:37
nicht kommuniziert.
00:55:39
Und so dachte sich
00:55:39
die neue Klassenlehrerin
00:55:41
auch wenig dabei,
00:55:42
als ihr zwei Schülerinnen
00:55:44
dass Finn sie anschrieb
00:55:45
von ihren Füßen fragte.
00:55:48
von den Vorfällen gewusst,
00:55:50
wäre man vielleicht
00:55:51
alarmierter gewesen.
00:55:52
Auch Fins Mutter
00:55:53
bekam von der Fußsache
00:55:55
Heute fragt sie sich,
00:55:57
was sie falsch gemacht hat.
00:55:58
Vielleicht hat sie ihn
00:55:59
zu sehr behütet.
00:56:00
Sie ist immer lang
00:56:01
auf Arbeit gewesen
00:56:02
und nachts haben sie
00:56:03
und Finn dann zusammen
00:56:04
in einem Bett geschlafen
00:56:08
von seinem Leben mit.
00:56:09
Der Vater schlief
00:56:10
übrigens im Kinderzimmer.
00:56:12
Die Gutachter sagen,
00:56:15
ein eingeschränktes
00:56:16
Empathieempfinden
00:56:16
und eine schwere
00:56:17
seelische Abartigkeit.
00:56:21
aber zur Tatzeit
00:56:21
durch seinen Würgedrang
00:56:22
gesteuert gewesen.
00:56:23
Das Gericht verurteilt
00:56:26
Verhandlungstagen
00:56:29
und vorheriger Unterbringung
00:56:30
in einer forensischen
00:56:32
Nur vier Prozesstage
00:56:34
hat das Gericht gebraucht,
00:56:35
um den Fall aufzuarbeiten.
00:56:37
Für Lisas Eltern
00:56:38
ist das zu wenig.
00:56:39
Ihnen hatte man gesagt,
00:56:41
Antworten finden würde.
00:56:43
immer noch nicht,
00:56:44
warum ihre Tochter
00:56:45
Oder warum keiner
00:56:47
die Leiche gefunden hat,
00:56:48
wenn Finn sie wirklich
00:56:49
gleich nach der Tat
00:56:50
am Fundort abgelegt hat.
00:56:52
Sie glauben ihm das nicht.
00:56:53
Vom Hubschrauber aus
00:56:55
konnte man selbst
00:56:55
einzelne Helfer erkennen
00:56:56
und da soll der tote
00:56:57
Körper unentdeckt
00:56:59
Außerdem hätten sich
00:57:00
sicherlich Tiere
00:57:01
daran zu schaffen
00:57:02
Der Gutachter wiederum
00:57:03
stützt Fins Aussage.
00:57:05
Die Leichenflecken
00:57:06
würden zu seiner
00:57:09
Hintergrund hatte,
00:57:17
Hinweise dafür gab es
00:57:19
aber das Gericht
00:57:21
ausdrücklich nicht aus.
00:57:22
Mit ihren offenen
00:57:24
Fragen werden die Eltern
00:57:29
sitzt noch lange tief.
00:57:30
Keiner kann fassen,
00:57:34
einer von ihnen zu sein,
00:57:35
zu so etwas fähig ist.
00:57:36
Als Lisa beerdigt wird,
00:57:38
kommen so viele Menschen
00:57:39
zur Trauerfeier,
00:57:40
dass sie nicht einmal
00:57:41
in die Kapelle passen.
00:57:42
Die Menschen tragen
00:57:45
sondern normale Klamotten,
00:57:46
weil sich die Eltern
00:57:47
das so gewünscht haben.
00:57:48
Sie spielen Diamonds
00:57:50
und lassen Ballons
00:57:51
für Lisa steigen.
00:57:53
den sie für Lisa
00:57:54
ausgesucht haben,
00:57:55
der ist so zweigeteilt.
00:57:56
Eigentlich ergänzen
00:57:58
sich die beiden Teile,
00:57:59
sie würden zusammenpassen,
00:58:04
Und mich erinnert das
00:58:06
irgendwie an Lisa
00:58:07
und ihre Familie.
00:58:10
Lisas bester Freund
00:58:13
gemeinsame Gedenkseite
00:58:15
Und dort lassen sie
00:58:19
an Ereignissen teilhaben.
00:58:20
Sie erinnern zum Beispiel
00:58:21
an dieses Geburtstag
00:58:22
oder posten Bilder
00:58:24
Und Simon lässt sich
00:58:25
zwei Jahre nach ihrem Tod
00:58:27
und ihr Geburtsdatum
00:58:29
und ihr Sterbedatum
00:58:31
immer bei sich tragen,
00:58:32
so wie ihre Familie
00:58:35
Ich kann nicht fassen,
00:58:38
auch noch mit der Presse
00:58:40
Sowas ist ja öfter
00:58:41
schon mal vorgekommen,
00:58:44
Interviews gegeben haben
00:58:48
zumindest augenscheinlich
00:58:51
oder bei der Aufklärung
00:58:53
Und das finde ich
00:58:55
Ich nehme mal an,
00:58:58
straffverschärfend
00:59:00
nachher gewirkt hat,
00:59:01
weil er ja auch noch
00:59:02
die Schuld versucht hat,
00:59:03
auf ihren Freund
00:59:06
auf ihn zu lenken.
00:59:09
hast das sozusagen
00:59:10
so hinterm Bildschirm
00:59:14
warst du bei der Beerdigung
00:59:15
oder hast du auch sonst
00:59:15
irgendwie das mitbekommen?
00:59:18
Also ich kannte sie ja
00:59:22
ich habe da ja schon
00:59:24
in Berlin gewohnt
00:59:25
und habe gesehen,
00:59:26
dass meine Freunde
00:59:27
Ich kenne aber natürlich
00:59:30
ganz viele Menschen,
00:59:32
die irgendwie mal
00:59:33
mit Lisa zu tun hatten,
00:59:34
die in der Feuerwehr waren.
00:59:35
Meine eine Freundin
00:59:37
hat den und weißt du,
00:59:38
dann hat mal jemand
00:59:39
neben jemandem gesessen,
00:59:40
immer dieses Ganze.
00:59:41
Also ich habe heute
00:59:42
erst so eine Art
00:59:43
geschäftliches Gespräch
00:59:44
mit einer aus Uetersen gehabt.
00:59:45
Die hat mir dann auch erzählt,
00:59:47
dass mittlerweile
00:59:48
beide Elternpaare
00:59:50
weggezogen sind.
00:59:53
ein Jahr nach der Tat
00:59:54
einen interessanten
00:59:56
und zwar hat der
00:59:57
beide Mütter porträtiert
01:00:01
aus ihrer Sicht erzählt,
01:00:02
weil zu dem Zeitpunkt
01:00:05
noch in Thornisch gewohnt haben,
01:00:07
vier Kilometer auseinander,
01:00:09
also direkt am anderen Ende
01:00:12
diesen Fall erzählt
01:00:13
und was danach passiert ist,
01:00:15
wie die Familien
01:00:16
danach damit umgehen,
01:00:18
an diesem Ort wohnen.
01:00:20
Fand ich ganz spannend,
01:00:22
eine andere Seite beleuchtet hat auch.
01:00:24
Und wie sind die Familien
01:00:25
damit umgegangen?
01:00:26
Also es gab auch
01:00:28
zur Täterfamilie
01:00:29
und natürlich gab es
01:00:31
Am Ende kann man aber
01:00:33
eigentlich nur sagen,
01:00:34
dass diese Situation so,
01:00:36
also beide Familien
01:00:38
halt nicht lange
01:00:39
auszuhalten war.
01:00:41
meiner Informationen
01:00:42
von der RTL-Serienreihe
01:00:47
auch um den Fall
01:00:51
ging es ja nicht darum,
01:00:53
weggesperrt wird.
01:00:54
Sie wollten vor allem,
01:00:56
nicht nochmal passiert.
01:00:58
Dass er sich nun
01:00:59
erst in der forensischen
01:01:01
behandeln lassen muss
01:01:03
seine Haftstrafe
01:01:06
zufriedenstellend.
01:01:09
Facebook-Timeline
01:01:11
Und dabei kratzt
01:01:13
ja eigentlich schon
01:01:15
weshalb ich jetzt
01:01:16
zu meinem Aha komme.
01:01:18
Wäre Finn erwachsen
01:01:21
keinen Strafrahmen
01:01:22
Also das Gericht
01:01:24
die Freiheit gehabt
01:01:26
angemessen gewesen wäre,
01:01:27
sondern er hätte
01:01:29
lebenslänglich bekommen.
01:01:31
Jugendstrafrecht
01:01:32
aber etwas anders.
01:01:33
für die man nach
01:01:34
allgemeinem Strafrecht
01:01:36
eine Höchststrafe
01:01:37
von über zehn Jahren
01:01:38
bekommt man nach
01:01:39
Jugendstrafrecht
01:01:40
maximal zehn Jahre.
01:01:41
Das gilt übrigens
01:01:42
nicht für Heranwachsende,
01:01:43
die rechtlich gesehen
01:01:44
18 bis einschließlich
01:01:45
20 Jahre alt sind.
01:01:47
Weil beim Jugendstrafrecht
01:01:49
Resozialisierungsgedanke
01:01:51
im Vordergrund steht,
01:01:52
sind die Strafen
01:01:53
auch deswegen milder,
01:01:54
damit die Jugendlichen
01:01:55
quasi noch eine zweite
01:01:56
Chance bekommen können.
01:01:57
Es geht hier also
01:01:59
Erziehungsgedanken.
01:02:01
Weil sich die Boulevardpresse
01:02:03
auf sowas stürzt,
01:02:06
für heimtückischen Mörder,
01:02:08
gab es auch schon öfter
01:02:10
Jugendstrafrecht
01:02:11
verschärfen wollten.
01:02:12
Viele JuristInnen,
01:02:14
die sich mit dem
01:02:14
Jugendstrafrecht
01:02:16
sprechen sich aber
01:02:19
ein 16-Jähriger,
01:02:20
der beispielsweise
01:02:22
ins Gefängnis geht,
01:02:23
mehr als die Hälfte
01:02:24
seines bisherigen Lebens.
01:02:26
was passieren kann,
01:02:29
in den Knast steckt,
01:02:31
macht Jugendliche
01:02:33
Das sagt Volker Ruhe
01:02:35
in einem Interview
01:02:39
mit 18 Jahren ein
01:02:41
wie schwer es ist,
01:02:42
nachher wieder Arbeit
01:02:44
Anschluss zu finden.
01:02:45
Und jetzt stellen wir uns
01:02:46
mal einen 16-Jährigen vor,
01:02:48
nicht beendet hat,
01:02:49
der nie auf eigenen
01:02:52
noch bei seiner Mutter
01:02:53
im Bett schlief.
01:02:53
Und der kommt dann nach,
01:02:55
sagen wir jetzt mal,
01:02:56
drei Jahren forensischer
01:02:59
noch neun Jahren
01:03:02
Natürlich hat er es danach
01:03:03
trotz Hilfsangeboten
01:03:05
nicht leicht im Leben.
01:03:06
Und das ist ja auch
01:03:07
irgendwie okay so,
01:03:08
er hat ja noch eins,
01:03:09
Lisa Marie hat Iris
01:03:11
durch ihn verloren.
01:03:12
Ja, also wir jetzt hier
01:03:13
keine Position beziehen.
01:03:14
Aber bei uns geht es hier
01:03:17
um die Rückfallgefahr.
01:03:18
Denn wenn jemand
01:03:19
keine Arbeit findet
01:03:20
und auch kaum Freunde
01:03:23
Stabilisierungsfaktoren.
01:03:26
die wegen Mordes
01:03:27
verurteilt wurden,
01:03:28
wird fast jeder Dritte
01:03:29
oder jede Dritte
01:03:30
wieder straffällig,
01:03:32
bezieht sich jetzt nicht
01:03:32
auf Mord und Totschlag,
01:03:33
sondern generell
01:03:34
werden sie wieder straffällig.
01:03:36
Und deswegen hat unsere Justiz
01:03:38
für weniger schwerwiegende
01:03:40
Delikte vorgesehen,
01:03:41
dass jugendliche
01:03:42
Erziehungsmaßregeln,
01:03:43
wie in einem Heim zu wohnen
01:03:45
oder eine Ausbildung zu machen,
01:03:47
auferlegt werden können
01:03:48
oder Zuchtmittel
01:03:50
angewendet werden.
01:03:51
Dazu könnte man die Zahlung
01:03:54
oder dass sie in den
01:03:54
Jugendarrest gehen.
01:03:55
Jugendarrest muss man
01:03:56
maximal vier Wochen absitzen
01:03:58
und bekommt dann eben
01:04:00
ins Vorstrafenregister.
01:04:01
Das ist wichtig,
01:04:03
bei einer Bewerbung
01:04:05
die Chance bekommen,
01:04:07
alles noch machen zu können.
01:04:10
ist die Jugendstrafe,
01:04:11
also die Freiheitsstrafe,
01:04:13
im Jugendstrafrecht so,
01:04:15
die Jugendstrafe,
01:04:16
wirklich das allerletzte Mittel,
01:04:21
Wir haben ja auch in Folge 7
01:04:23
schon mal über die Resozialisierung gesprochen
01:04:26
und ich finde es auch richtig,
01:04:27
dass es ein Jugendstrafrecht gibt.
01:04:29
Was ich aber irgendwie schwierig finde,
01:04:32
ist, dass man sagt,
01:04:33
bei Jugendlichen steht der
01:04:34
Resozialisierungsgedanke
01:04:36
noch mehr im Fokus
01:04:37
als bei Erwachsenen.
01:04:39
da schwingt doch so ein bisschen mit,
01:04:42
bei den Erwachsenen
01:04:43
ist Hopfen und Mals eh verloren.
01:04:45
Weißt du, was ich meine?
01:04:46
Ja, ich weiß, was du meinst,
01:04:48
aber Jugendliche
01:04:50
sind ja halt nun mal
01:04:52
bedingt strafmündig.
01:04:53
Also sie können ihre Taten
01:04:56
ja einfach weniger einschätzen
01:04:57
das jetzt beispielsweise können.
01:04:59
Und insofern finde ich das
01:05:01
mehr als gerechtfertigt,
01:05:03
die jetzt in ihrer Entwicklung
01:05:04
noch nicht so weit sind
01:05:05
und noch nicht die Reife haben,
01:05:06
dass man denen dann später
01:05:08
eher nochmal eine zweite Chance gibt
01:05:09
als jetzt Erwachsenen,
01:05:10
die ihre Taten halt
01:05:13
aufgrund ihrer Entwicklung
01:05:14
und deren Folgen
01:05:16
schon einschätzen können sollten.
01:05:18
Aber ich finde halt,
01:05:21
jeder sollte eine echte
01:05:23
zweite Chance bekommen können
01:05:25
und das ist halt irgendwie
01:05:26
im Erwachsenenstrafrecht
01:05:28
und der Art und Weise
01:05:29
des Vollzugs hier
01:05:31
nicht so wirklich immer gegeben.
01:05:34
Ich glaube aber auch nicht,
01:05:36
dass das im Jugendstrafrecht
01:05:38
Ich denke zum Beispiel jetzt auch nicht,
01:05:39
dass ein 16-Jähriger,
01:05:41
der noch bei Mutti
01:05:42
im Bett geschlafen hat,
01:05:44
das dann später leicht haben wird,
01:05:45
wenn er seine Strafe
01:05:47
Andererseits ist es ja auch
01:05:50
irgendwie wieder verständlich,
01:05:51
immerhin hat er noch ein Leben
01:05:53
und das Opfer eben nicht.
01:05:57
die Diskussion führt
01:05:57
hier jetzt an der Stelle
01:05:59
Wir machen bestimmt nochmal
01:06:03
zu Gefängnis und Resozialisierung.
01:06:04
Resozialisierung.
01:06:05
Kommen wir also zum nächsten Heimatfall.
01:06:08
Wie wir euch ja versprochen haben,
01:06:10
werdet ihr diese Folge
01:06:12
und zwar mit euren
01:06:14
entweder durch uns,
01:06:15
weil wir sie halt vorlesen
01:06:17
oder weil ihr sie selbst
01:06:18
eingesprochen habt.
01:06:19
Und an der Stelle
01:06:21
ganz herzlich bei euch bedanken
01:06:23
für all die E-Mails
01:06:24
und die Riesenmühe,
01:06:26
die ihr euch gemacht habt.
01:06:27
Für die viele Arbeit für uns.
01:06:30
Wir haben wirklich
01:06:32
Also wir haben wirklich
01:06:33
alle Fälle gelesen.
01:06:34
Und im Journalismus-Jargon
01:06:38
kill your darlings.
01:06:41
gutes Material hast,
01:06:43
dann musst du dich
01:06:44
von deinen Babys trennen.
01:06:45
Ja, da waren ja teilweise
01:06:48
die waren besser geschrieben
01:06:49
und besser eingesprochen
01:06:50
als das, was wir machen.
01:06:57
das ist eine Mutter
01:06:59
und ihre zwei Töchter,
01:07:00
über Weihnachten
01:07:02
sich das zum Projekt gemacht
01:07:04
Heimatfall aufgenommen.
01:07:06
mit so viel Liebe
01:07:07
und so sorgfältig gemacht,
01:07:09
dass mir das total leidtut,
01:07:11
dass wir den nicht
01:07:12
mit reinnehmen konnten jetzt.
01:07:13
Aber es war leider
01:07:15
Aber vielleicht passt
01:07:16
die Aufnahme dann ja
01:07:17
nochmal in eine andere Folge
01:07:18
oder auf Social Media
01:07:20
Übrigens haben Paulina
01:07:21
und ich das Lesen
01:07:22
der Fälle aufgeteilt.
01:07:24
wir wissen jetzt auch nicht,
01:07:25
welche die jeweils
01:07:26
andere vorstellt.
01:07:27
Der erste Heimatfall
01:07:30
kommt von einer Hörerin,
01:07:31
die sich Mala nennt.
01:07:32
Sie schreibt in ihrer E-Mail
01:07:37
das PDF zu meinem
01:07:38
Heimatfall aus Lea,
01:07:40
auf eure Reaktionen
01:07:41
und alle Heimatfälle,
01:07:42
die euch so erreichen.
01:07:43
Zwar habe ich die Geschichte
01:07:44
einmal eingesprochen,
01:07:46
knapp vier Minuten.
01:07:47
Allerdings habe ich
01:07:48
einen schlimmen Fall
01:07:51
und überlasse das Vorlesen.
01:07:53
Deshalb lieber euch.
01:07:55
zwar nicht Mala,
01:07:56
aber jetzt lese ich ihn eben vor.
01:07:59
wie es uns geht?
01:08:00
Es ist Mittwoch,
01:08:02
am 20. Februar 2008
01:08:04
und ich bin spät dran.
01:08:06
Die CND schreibt
01:08:07
in den ersten beiden Stunden
01:08:08
ihre letzte Chemie-Klasur
01:08:11
Ich bin wirklich
01:08:12
schlecht vorbereitet
01:08:13
und generell mies,
01:08:14
was Naturwissenschaften angeht.
01:08:15
Ich werfe einen letzten Blick
01:08:17
auf die Formelsammlung
01:08:18
und stopfe sie zusammen
01:08:19
und anderen Büchern
01:08:20
in meinen Rucksack.
01:08:21
Brotdose nicht vergessen.
01:08:23
Die Tür fällt ins Schloss
01:08:24
und ich zerre das klapprige Rad
01:08:26
aus dem Schuppen.
01:08:27
geht die Schule los.
01:08:28
Ich brauche fünf
01:08:29
bis zum Schulhof.
01:08:30
Wie jeden Morgen
01:08:31
steige ich am Zebrastreifen
01:08:32
vor der Bäckerei nicht ab
01:08:34
und gehe steil in die Kurve,
01:08:35
um von der Pferdemarktstraße
01:08:37
in die Süderkreuzstraße
01:08:39
Mein Plan wird behindert,
01:08:41
die Straße ist gesperrt.
01:08:43
Polizei und Feuerwehr
01:08:44
blockieren und erleuchten
01:08:46
die ganze Straße.
01:08:46
Ich zerre das Rad
01:08:48
rückwärts aus der Straße,
01:08:49
und fahre die deutlich
01:08:50
längere Strecke zur Schule.
01:08:52
Ich komme natürlich zu spät,
01:08:54
und nuschel ein,
01:08:54
da war irgendwas
01:08:55
in der Süderkreuz,
01:08:59
setz dich halt bitte einfach
01:09:03
wissen dann alle,
01:09:04
durch welchen Tatort
01:09:05
ich fast geradelt wäre.
01:09:07
heimlich Bilder gezeigt,
01:09:09
jeder weiß natürlich
01:09:10
immer ein bisschen mehr
01:09:11
Der Onkel einer Freundin
01:09:13
auf der Nachbarschule
01:09:14
hat einen Freund
01:09:16
was passiert ist.
01:09:17
Der Typ hatte Bomben,
01:09:18
das war ein Psychopath,
01:09:20
Was wirklich passiert ist,
01:09:22
der 32-jährige Matthias S.
01:09:24
hat in der Nacht
01:09:25
von Dienstag auf Mittwoch
01:09:26
seine 27-jährige Geliebte
01:09:28
in seiner Wohnung erwürgt
01:09:30
anschließend zerteilt.
01:09:31
Während der Lebensgefährte
01:09:34
noch eine Vermisstenanzeige
01:09:35
zu seiner Partnerin stellt,
01:09:36
dekoriert der Industriemechaniker
01:09:38
Matthias den leblosen Körper
01:09:40
für skurrile Fotos,
01:09:41
die er bei MySpace
01:09:44
Dort hinterlässt er
01:09:46
auch seinen Abschiedsbrief.
01:09:49
die ich umgebracht habe,
01:09:51
eine Person umgebracht,
01:09:52
stellen für mich
01:09:54
die Gesellschaft dar.
01:09:55
Sie sind die Angehörigen
01:09:57
die mich ungerecht behandelt haben.
01:09:59
Für mich gibt es keine Zukunft.
01:10:00
Ich möchte nicht
01:10:01
in einer Gesellschaft leben,
01:10:02
wie wir sie jetzt haben.
01:10:03
Ohne Computerspiele
01:10:05
schon viel früher
01:10:07
Weiterhin beschreibt er
01:10:10
und exzessiven Computerspieler.
01:10:12
Er hat wirre Theorien
01:10:13
zum Nationalsozialismus
01:10:15
dass ihm zu Unrecht
01:10:16
die Stütze gestrichen wurde.
01:10:18
Mit einem Benzinkanister,
01:10:19
den die Polizisten
01:10:20
im Anschluss finden,
01:10:21
steckt Matthias S.
01:10:22
am Mittwochmorgen
01:10:23
die Wohnung in Brand
01:10:25
mit seinem roten Ford Escort.
01:10:26
Nachbarn bemerken
01:10:29
und den wegfahrenden Wagen.
01:10:31
Sie notieren sich
01:10:33
der Autobahnpolizei
01:10:34
damit die Fahndung.
01:10:36
Süderkreuzstraße
01:10:37
die Feuerwehr eintrifft,
01:10:38
verfolgen Polizisten
01:10:39
auf der Autobahn
01:10:40
Es ist etwa 7.30 Uhr,
01:10:43
auf der Bundesstraße
01:10:45
in einen Lkw rast.
01:10:49
finden die Polizisten
01:10:50
Teile der Leiche
01:10:53
in der Süderkreuzstraße
01:10:54
war durch den Brand
01:10:55
und erst nach fünf Jahren
01:10:57
hat sich ein neuer Käufer
01:10:58
der das gesamte Haus
01:11:00
Noch etwa drei Wochen
01:11:02
war der gesamte Fußweg
01:11:06
Nachdem ich diese
01:11:07
Geschichte gelesen hatte,
01:11:09
noch einmal geschrieben
01:11:10
und sie gefragt,
01:11:12
Und da hat sie geantwortet,
01:11:14
zum Zeitpunkt der Tat
01:11:15
war ich 16 Jahre alt
01:11:16
und war in Sachen Crime
01:11:17
total grün hinter den Ohren.
01:11:19
Am Tattag selbst
01:11:20
war ich durch meine
01:11:21
anständige Chemieklausur
01:11:22
einfach nur genervt
01:11:23
den ich fahren musste
01:11:24
und habe den restlichen Tag
01:11:26
keine Gedanken mehr
01:11:26
an den Morgen verloren.
01:11:27
Erst als wir nachmittags
01:11:29
wieder schreiben konnten,
01:11:30
wurde meinen Klassenkameraden
01:11:33
was dort passiert war.
01:11:35
haben wir auch in der Klasse
01:11:36
ganz kurz darüber gesprochen,
01:11:37
da überregionale Nachrichten
01:11:39
aus Ostfriesland
01:11:40
eben doch recht selten sind.
01:11:43
hat sich allerdings
01:11:43
nichts in meinem Alltag geändert,
01:11:45
da auf eine Art klar war,
01:11:47
alleine aus Affekt
01:11:49
und Krankheit gehandelt hat.
01:11:50
Niemand aus meinem
01:11:51
Freundeskreis war
01:11:52
vorsichtiger oder ängstlicher
01:11:55
in der Stadt zu sein.
01:11:55
Im Nachhinein betrachtet,
01:11:58
haben wir das als Teenager
01:11:59
alle überhaupt nicht so realisiert,
01:12:01
was da passiert ist.
01:12:03
es ergibt doch irgendwie Sinn,
01:12:05
dass sich das Leben
01:12:05
der Schüler und Schülerinnen
01:12:06
halt nach der Tat
01:12:07
nicht wirklich verändert hat,
01:12:10
eine Beziehungstat war.
01:12:12
Beziehungstat ja immer
01:12:13
eher in Anführungsstrichen,
01:12:14
aber da ja quasi
01:12:15
der Täter direkt bekannt war
01:12:16
und auch jemand getroffen wurde,
01:12:19
der viel älter war
01:12:23
der jetzt kommt,
01:12:23
den habe ich von Stephanie bekommen
01:12:25
und Stephanie darf uns
01:12:27
gerne vertreten,
01:12:28
wenn wir krank sind
01:12:31
Ihr werdet gleich hören,
01:12:33
Sie hat es nämlich
01:12:34
ganz toll selbst eingesprochen.
01:12:36
und sie hat geschrieben,
01:12:39
ich komme aus einer kleinen Stadt
01:12:41
in der Nähe von Regensburg
01:12:42
namens Schwandorf.
01:12:43
Bei uns in der Ecke
01:12:45
passiert nicht sehr viel
01:12:48
dann ist es sofort
01:12:49
Und so war es auch
01:12:51
bei Maria Baumer,
01:12:52
die hier im Landkreis
01:12:54
aufgewachsen ist.
01:12:55
Es ist der 26. Mai 2012,
01:13:00
Hochzeitseinladungen
01:13:01
verschicken wollten.
01:13:02
Als Christian in die gemeinsame
01:13:04
Wohnung in Regensburg zurückkehrt,
01:13:05
trifft er seine Verlobte
01:13:07
Ihr Verlobungsring
01:13:08
liegt auf dem Tisch.
01:13:09
Gegen neun Uhr morgens
01:13:11
erhält er einen Anruf
01:13:12
Sie brauche eine Auszeit
01:13:14
und sei auf dem Weg
01:13:15
Später wolle sie
01:13:17
für ein paar Tage weiter
01:13:18
zu ihren Verwandten
01:13:20
nie ankommen wird,
01:13:21
weiß Christian noch nicht.
01:13:23
Maria ist eine bodenständige,
01:13:25
fröhliche und vor allem
01:13:26
gläubige junge Frau.
01:13:28
Erst vor einigen Tagen
01:13:29
wurde sie zur Landesvorsitzenden
01:13:31
des katholischen
01:13:32
Landesjugendverbandes
01:13:33
Sie hat vor kurzem
01:13:35
Geoökologie abgeschlossen
01:13:36
und bereits eine Stelle
01:13:37
als Windkraftwerkinspektörin
01:13:40
Denn die 26-Jährige
01:13:43
ist gerne in der Natur
01:13:44
Auch die Ausritte
01:13:46
genießt sie sehr.
01:13:47
Und dann ist da noch
01:13:50
schon lange ein Paar
01:13:51
und wollen im September
01:13:52
endlich heiraten.
01:13:53
Als Maria drei Tage später
01:13:55
am Pfingstmontag
01:13:56
nicht nach Hause kommt
01:13:57
und Christian auch sonst
01:13:58
kein Lebenszeichen
01:14:00
Vermisstenanzeige
01:14:01
bei der Polizei auf.
01:14:02
Eine groß angelegte
01:14:04
Suchaktion wird gestartet
01:14:05
und obwohl der Fall
01:14:06
durch alle Medien geht
01:14:07
und sowohl der Landkreis
01:14:09
in die Maria und ich
01:14:10
aufgewachsen sind,
01:14:10
als auch der Landkreis
01:14:12
Regensburg die Augen
01:14:13
nach der jungen Frau
01:14:14
bleibt die lebenslustige
01:14:15
Maria spurlos verschwunden.
01:14:16
Ein halbes Jahr später
01:14:18
entscheidet sich die Familie
01:14:20
für die Teilnahme am
01:14:21
Aktenzeichen XY-Spezial
01:14:23
Wo ist mein Kind?
01:14:24
Sie ist sich sicher,
01:14:26
noch am Leben ist.
01:14:27
Nach der Sendung,
01:14:28
bei der Zwillingsschwester
01:14:29
Barbara und verlobter
01:14:30
Christian zu Gast sind,
01:14:31
gehen knapp 70 Hinweise ein.
01:14:33
Einige wollen die gläubige
01:14:35
Maria auf dem Jakobsweg
01:14:36
nach Santiago de Compostela
01:14:38
oder bei einer Wahlfahrt
01:14:39
nach Međugurje in
01:14:40
Bosnien-Herzegowina
01:14:42
Die Hinweise führen
01:14:43
durch halb Europa,
01:14:44
aber eine heiße Spur
01:14:45
ist nicht dabei.
01:14:48
darauffolgenden Jahres
01:14:49
durchkämmt die Polizei
01:14:50
ein Waldstück bei
01:14:51
Bernhardswald im
01:14:51
Landkreis Regensburg,
01:14:52
in dem Maria am Abend
01:14:53
vor ihrem Verschwinden
01:14:54
noch mit dem Pferd
01:14:56
Die Leichenspürhunde
01:14:58
schlagen bellend an,
01:14:59
aber gefunden wird nichts.
01:15:02
Kripo Regensburg
01:15:03
Maria dort vermutet,
01:15:04
wird nicht öffentlich
01:15:05
bekannt gegeben.
01:15:05
Nur wenige Wochen
01:15:09
entdecken Pilzsammler
01:15:11
in eben jenem Waldstück
01:15:13
Es sind die sterblichen
01:15:14
Überreste von Maria
01:15:16
Ein Jahr, drei Monate
01:15:18
und 13 Tage nach
01:15:20
ihrem Verschwinden
01:15:20
hat man sie endlich
01:15:22
Trotz aufwändiger
01:15:24
Spurenanalyse und
01:15:24
forensischer Untersuchungen
01:15:25
bleiben die Umstände
01:15:27
ihres Todes im Dunkeln.
01:15:29
dass es sich nicht um
01:15:31
einen natürlichen Tod
01:15:31
handelt und dass
01:15:33
jemand versucht hat,
01:15:33
die Leiche zu beseitigen.
01:15:34
Tagelang dringen
01:15:36
keine Informationen
01:15:37
an die Öffentlichkeit.
01:15:40
Marias verlobter
01:15:41
Christian festgenommen.
01:15:44
forensische Abteilung
01:15:45
eine ungewöhnliche
01:15:46
Entdeckung gemacht.
01:15:51
wird normalerweise
01:15:52
in der Brandbekämpfung
01:15:54
den Verwesungsprozess
01:15:55
von körperlichen
01:15:56
Überresten beschleunigen.
01:15:58
entdeckt die Polizei
01:15:59
unweit vom Fundort
01:16:02
und eine Getränkeflasche,
01:16:04
Verbindung bringt.
01:16:05
Dieser holt sich
01:16:06
sofort Rechtsbeistand
01:16:07
und macht zu den
01:16:10
tatsächliche Verbindung
01:16:11
zum Verschwinden
01:16:12
seiner mittlerweile
01:16:13
verstorbenen Verlobten
01:16:14
nicht nachgewiesen
01:16:16
wenige Wochen später
01:16:17
Untersuchungshaft
01:16:18
Die Ermittlungen
01:16:19
geraten in Stocken
01:16:21
2018 wird der Fall
01:16:23
sogar ganz geschlossen.
01:16:26
Christians Leben
01:16:28
untersucht worden.
01:16:29
Hinweise bezüglich
01:16:31
nicht gefunden werden,
01:16:36
Ungereimtheiten,
01:16:36
die mit Straftaten
01:16:40
gegen ihn eingeleitet.
01:16:41
So soll Christian,
01:16:43
der als ausgebildeter
01:16:44
Krankenpfleger tätig ist,
01:16:46
Patientin betäubt
01:16:48
vergangen haben.
01:16:50
Kindesmissbrauchs
01:16:50
wird er verdächtigt.
01:16:51
Einige Jahre zuvor
01:16:53
soll der mittlerweile
01:16:55
gegenüber zwei Jungen
01:16:56
des Domspatzen-Gymnasiums,
01:16:58
selbst besuchte,
01:16:58
übergriffig geworden sein
01:17:02
Zwei ganze Jahre
01:17:03
dauert das Ermittlungsverfahren
01:17:04
an, bis Christian
01:17:05
schließlich im Dezember
01:17:08
Kindesmissbrauch
01:17:09
und Körperverletzung
01:17:10
zu zwei Jahren Haft
01:17:11
verurteilt wird.
01:17:12
Die Milde des Urteils
01:17:13
verursacht einen
01:17:14
hellen Aufschrei
01:17:15
in der Öffentlichkeit.
01:17:15
Zu Ende ist die Geschichte
01:17:18
damit aber nicht.
01:17:20
im Dezember 2019,
01:17:22
also sieben Jahre
01:17:24
wird der Cold Case
01:17:25
wieder geöffnet.
01:17:26
Durch neue Möglichkeiten
01:17:27
in der chemisch-toxikologischen
01:17:29
wurden weitere Erkenntnisse
01:17:30
zu den Haarbüscheln der Leiche
01:17:32
und den Überresten des Lips
01:17:36
nachgewiesen werden.
01:17:36
Ein Betäubungsmittel,
01:17:38
das im Krankenhausalltag
01:17:41
Betäubungsmittel,
01:17:42
das Christian verwendet hat,
01:17:44
um seine ehemalige Patientin
01:17:45
gefügig zu machen.
01:17:48
etwas Entscheidendes
01:17:49
Durch die Tötung
01:17:50
und der Betäubung
01:17:51
wird die Arg- und
01:17:52
Wehrlosigkeit des Opfers
01:17:54
Bei diesem Umstand
01:17:56
um ein Mordmerkmal
01:17:58
wird gegen Christian
01:17:59
wegen Totschlags ermittelt,
01:18:01
sondern wegen Mordes.
01:18:02
Neben diesem Betäubungsmittel,
01:18:04
zu dem Christian
01:18:05
als Krankenpfleger
01:18:05
natürlich leicht Zugriff hatte,
01:18:07
sprechen noch andere
01:18:08
Indizien gegen ihn.
01:18:10
hat er einige Zeit
01:18:11
vor Marias Verschwinden
01:18:12
nach den Begriffen
01:18:13
der perfekte Mord,
01:18:16
und letale Dosis,
01:18:18
also tödliche Dosis,
01:18:20
kaufte er drei Tage zuvor
01:18:24
identisch mit dem,
01:18:25
der bei der Leiche
01:18:26
Dass dieser Spaten
01:18:27
in seinem Haushalt
01:18:28
nicht mehr aufzufinden ist,
01:18:29
macht die Polizei
01:18:30
ebenfalls stutzig.
01:18:31
Wie die ganze Sache ausgeht,
01:18:33
bleibt also zunächst ungewiss.
01:18:36
seit dem 16. Dezember
01:18:37
wieder in Untersuchungshaft.
01:18:38
Erst gegen Ende Februar 2020
01:18:41
ist mit einer Anklageschrift
01:18:42
der Staatsanwaltschaft
01:18:44
Warum musste Maria Baumer sterben?
01:18:46
Wann genau hat ihr Leben
01:18:47
ein Ende gefunden?
01:18:48
Wie ist sie zu Tode gekommen?
01:18:50
All das wissen wir nicht.
01:18:52
Denn es ist trotz
01:18:53
gefundener Leiche,
01:18:54
trotz jeder Menge Indizien
01:18:57
einem einzigen Verdächtigen
01:18:58
noch niemandem gelungen zu klären,
01:19:00
was an Pfingsten 2012
01:19:02
wirklich geschah.
01:19:03
Erstmal zu der Stimme.
01:19:06
Das war ja wie ein Hörbuch.
01:19:08
Wie toll hat sie das eingesprochen?
01:19:09
Ich hatte ein bisschen
01:19:10
Tränen in den Augen auch,
01:19:12
als ich es gehört habe.
01:19:13
Und jetzt einmal
01:19:15
zu dem Tatverdächtigen.
01:19:19
aber der perfekte Mord.
01:19:21
Also wenn er schon
01:19:22
nach dem perfekten Mord sucht
01:19:24
und sich den überlegt,
01:19:26
dann sucht er doch nicht
01:19:27
mit seinem eigenen PC
01:19:30
nach dem perfekten Mord.
01:19:32
also das sind alles ja Sachen,
01:19:35
auch schon vorher wusste.
01:19:37
Es hat aber offenbar tatsächlich
01:19:39
ja nicht gereicht,
01:19:40
um ihn festzuhalten.
01:19:41
Ja, willst du mal
01:19:43
meinen Suchverlauf sehen?
01:19:44
Da würde man auch denken,
01:19:46
ich habe irgendwas,
01:19:52
Irgendwann stehen sie
01:19:54
vor eurer Wohnung
01:19:55
und sagen zu deinem Freund,
01:19:57
ja, bla bla bla,
01:19:59
sie sind in großer Gefahr.
01:20:00
Bitte kommen sie mit.
01:20:03
Dieser Heimatfall
01:20:05
kommt von einem Zuhörer,
01:20:06
der sich Mr. T nennt.
01:20:12
aus der sächsischen Provinz,
01:20:14
und alle Mietparteien
01:20:16
in ihrem Wohnhaus
01:20:18
erschaudern ließ.
01:20:21
und der schlimme Enkel.
01:20:22
Ich war damals erst neun,
01:20:24
kann mich aber noch
01:20:25
ziemlich genau dran erinnern,
01:20:26
was da im Nachbardorf
01:20:27
im Wohnort meiner Oma
01:20:31
kurz nach der Wende,
01:20:33
dass über der Wohnung
01:20:34
in dem kleinen Nest Taurer
01:20:36
in der Nähe von Chemnitz
01:20:37
eine Wohnung frei wurde.
01:20:38
Nach einer Weile
01:20:39
zog ein älteres Ehepaar
01:20:41
und sie freundeten sich an.
01:20:44
und die ältere Dame
01:20:44
wurden beste Quatschfreundinnen,
01:20:47
und jeden tratschten.
01:20:49
Im Dezember 1991,
01:20:50
kurz nach Weihnachten,
01:20:54
einen Riesenrummel.
01:20:55
Meine Mutter kam
01:20:56
vom Friseur nach Hause
01:20:57
von einem Aufgebot
01:20:59
und Rettungsdienst
01:21:00
vor einem herrschaftlichen
01:21:01
Haus im Nachbarort.
01:21:02
In der alten Fabrikantenvilla
01:21:04
neben dem Textilwerk
01:21:05
musste etwas passiert sein,
01:21:06
was in so einem Nest
01:21:07
nicht jeden Tag passiert.
01:21:09
Alle möglichen Nachbarn
01:21:10
raunten und mutmaßten
01:21:11
und spekulierten.
01:21:12
Es sei wohl jemand
01:21:13
umgebracht worden.
01:21:16
gab es ja keine Verbrechen.
01:21:17
Und jetzt ein Mord?
01:21:19
Wie sich ein paar Tage
01:21:20
später herausstellte,
01:21:21
waren die Gerüchte
01:21:22
nicht so weit hergeholt.
01:21:23
Die Polizei veröffentlichte
01:21:24
wenige Tage später
01:21:25
in der lokalen Presse
01:21:26
mehrere Berichte.
01:21:27
In den späten Abendstunden
01:21:31
und eine 70-Jährige
01:21:33
in dem Haus umgebracht.
01:21:37
war nach einem Sturz
01:21:38
an ihren Verletzungen
01:21:41
nach dem ersten Mord
01:21:43
und flüchtete dann.
01:21:45
er wollte flüchten.
01:21:47
Wie das aber so ist
01:21:50
Die 70-Jährige Mieterin,
01:21:51
die unter der Tatwohnung
01:21:53
hatte Geräusche gehört.
01:21:54
Diese ließen sie
01:21:55
aus der Tür spähen.
01:21:56
Dummerweise bekam
01:21:57
der Täter das mit,
01:21:58
als er durch das
01:21:59
Treppenhaus eilte.
01:22:00
Er versetzte der Dame
01:22:02
der sie blutend,
01:22:03
sehr unglücklich
01:22:03
auf den Boden beförderte.
01:22:07
Die spähte doch...
01:22:09
gar nicht durch den Türspion.
01:22:10
Sie hat die Tür aufgemacht.
01:22:15
immer durch diesen Spion.
01:22:18
mehrere Stunden am Tag.
01:22:19
sie hat die Tür aufgemacht.
01:22:20
Die beiden Leichen
01:22:21
wurden erst am nächsten Vormittag entdeckt.
01:22:23
Da der Täter scheinbar
01:22:24
unbemerkt ins Haus kam,
01:22:25
war man sich sicher,
01:22:26
dass er die beiden Damen
01:22:27
irgendwie kennen musste.
01:22:29
ermittelte man dann
01:22:32
der 84-Jährigen,
01:22:33
als dringend tatverdächtig.
01:22:34
Er brauchte wohl Geld
01:22:35
und zwar schnell.
01:22:36
Dafür musste dann
01:22:37
die Großtante weichen,
01:22:38
als sie sich der Zahlung verweigerte.
01:22:39
Die 70-jährige Frau R.
01:22:42
ein dummer Zufall.
01:22:43
war seit der Tat
01:22:45
und wurde per Phantombild
01:22:46
Ziemlich absurd,
01:22:47
wenn man bedenkt,
01:22:48
wie bekannt man eigentlich
01:22:48
in so einem Nest ist.
01:22:49
So ziemlich jeder zweite
01:22:51
der Dorfbewohner
01:22:51
konnte den damals
01:22:52
21-Jährigen einordnen.
01:22:54
Gefühlt seien jeder
01:22:56
der Dorfbewohner
01:22:56
die nächsten zwei Wochen
01:22:59
an der Tankstelle
01:23:00
und beim Spazierengehen.
01:23:01
Diese Bekanntheit
01:23:03
wurde ihm dann auch
01:23:04
Und nach mehreren Tipps
01:23:05
aus der Bevölkerung
01:23:06
wurde er in der Nähe
01:23:07
von Chemnitz festgenommen
01:23:08
und schließlich verurteilt.
01:23:11
für die beiden Morde.
01:23:11
Was hat das nun alles
01:23:13
mit dem älteren Ehepaar
01:23:14
über meiner Oma zu tun?
01:23:15
Der Mörder hatte eine Oma
01:23:17
und die wohnte nun zusammen
01:23:20
Als die Täteroma
01:23:22
meiner Oma erzählte,
01:23:23
dass es tatsächlich
01:23:25
egelte sich meine Oma ein
01:23:26
und das ganze Haus
01:23:27
verbarrikadierte sich.
01:23:28
Selbst ich als Neunjähriger
01:23:30
musste mir die Schlüssel
01:23:31
aus dem Fenster werfen lassen.
01:23:32
Alle hatten Angst,
01:23:34
dass der Großtantenmörder
01:23:35
auch die Oma noch umlegt.
01:23:36
Die Tratschfreundschaft
01:23:37
meiner Oma hielt dennoch
01:23:38
und es passierte
01:23:39
mehrere Jahre nichts.
01:23:41
nach circa 10 Jahren
01:23:42
wieder auf freiem Fuß war
01:23:43
und nun seine Oma
01:23:44
mit seiner neuen Frau,
01:23:46
einer ehemaligen Wärterin,
01:23:48
traf auch meine Oma
01:23:49
im Treppenhaus auf ihn.
01:23:50
Irgendwie sah er aus
01:23:52
wie ein stinknormaler Kerl,
01:23:54
Danach sagte mir meine Oma,
01:23:56
wenn du mal dringend
01:23:58
einfach Bescheid.
01:23:59
Diese Formulierung,
01:24:03
ich liebe diesen Text,
01:24:05
wir sagen ja nicht Wärter
01:24:10
möchte es so ausdrücken,
01:24:11
das ist in Ordnung.
01:24:11
aber ich finde auch
01:24:15
und Großtantenmörder
01:24:16
Vielleicht solltest du
01:24:18
einmal eine Mitarbeit
01:24:20
bei der Bild anstreben.
01:24:22
mit Kusshand nehmen.
01:24:23
Weil das zeitlich
01:24:27
hier sprengen würde,
01:24:28
stellen wir euch
01:24:31
die ihr jetzt hier
01:24:32
nicht gehört habt,
01:24:34
Die könnt ihr dann
01:24:35
die Tage da hören.
01:24:38
den ich dir unbedingt
01:24:39
erzählen möchte.
01:24:41
kommt er von Natascha.
01:24:42
Natascha hat uns geschrieben,
01:24:46
erst einmal wollte ich euch
01:24:47
sagen, dass euer Podcast
01:24:48
definitiv mein Favorit ist.
01:24:52
nonstop zuhören.
01:24:53
Macht weiter so.
01:24:54
Nun zu meinem Heimatfall.
01:24:56
Mein persönlicher Bezug
01:24:57
dazu ist sehr stark,
01:24:58
denn ich war das Opfer.
01:25:00
Passiert ist das Ganze
01:25:03
am 29. Juli 2012.
01:25:07
Natascha und ich
01:25:08
sind sehr auf deine
01:25:09
Reaktion gespannt.
01:25:10
Nach einem schönen Abend
01:25:12
mit meiner Freundin
01:25:13
auf den Heimweg.
01:25:17
am Arsch der Welt.
01:25:18
Kein Zug hält dort
01:25:20
und so musste ich,
01:25:21
um von der Stadt
01:25:22
nach Hause zu kommen,
01:25:24
Hirschtal fahren
01:25:25
und von dort aus laufen.
01:25:26
Eigentlich würde
01:25:28
von überall her abholen
01:25:29
und nach Hause fahren.
01:25:31
entschied ich mich
01:25:34
Meine Freundin und ich
01:25:35
fuhren also nach Hirschtal.
01:25:37
trennten sich unsere Wege.
01:25:39
einen etwa 15-minütigen
01:25:40
Fußweg der Hauptstraße
01:25:42
entlang vor mir,
01:25:42
welchen ich schon
01:25:43
tausendmal gegangen war.
01:25:47
dass jemand hinter mir lief.
01:25:48
Nichts Besonderes,
01:25:50
gehen hier lang,
01:25:52
an einem Sonntagmorgen
01:25:54
nicht so viele waren.
01:25:55
Trotzdem ging ich schneller,
01:25:57
einfach weil ich
01:25:58
meine Ruhe wollte.
01:25:59
Die Person hinter mir
01:26:00
hielt aber Schritt.
01:26:01
Nun wurde ich unruhig.
01:26:04
Ich drehte die Lautstärke
01:26:05
meiner Kopfhörer herunter
01:26:06
und ballte die Fäuste.
01:26:07
Ich schaute genug Krimis
01:26:09
und war schon damals
01:26:10
großer True-Crime-Fan,
01:26:11
also startete sofort
01:26:13
und ich überlegte,
01:26:14
was ich denn nun tun würde,
01:26:15
wenn die Person hinter mir
01:26:17
mir etwas antun würde.
01:26:18
Zu diesem Zeitpunkt
01:26:19
glaubte ich daran aber kaum
01:26:21
und trotzdem wurde ich
01:26:22
immer unruhiger.
01:26:23
Nun sah ich den Schatten
01:26:24
der Person hinter mir,
01:26:28
Und plötzlich spürte ich
01:26:30
einen extrem heftigen Schlag
01:26:32
auf meinen Hinterkopf.
01:26:34
blieb aber stehen
01:26:35
und dann kam die Wut
01:26:37
Was fällt diesem Arschloch ein?
01:26:38
Ich drehte mich um,
01:26:41
ihn aufs Übelste
01:26:43
Ich sprang mit meinen Händen
01:26:45
in sein Gesicht.
01:26:45
Zusammen fielen wir
01:26:47
Er kniete auf mir,
01:26:48
legte seine Hände
01:26:51
Ich krallte meine Fingernägel
01:26:54
und riss an seinem Ohr.
01:26:55
Ich wollte ihm einfach
01:26:56
nur seine Augen rausreißen.
01:26:57
Einen solchen Hass
01:26:59
hatte ich noch nie gespürt,
01:27:00
was fiel ihm ein,
01:27:01
mir wehtun zu wollen.
01:27:02
Langsam wurde mir
01:27:04
schwarz vor Augen.
01:27:06
hörte ich eine Stimme
01:27:08
Das hört sich jetzt
01:27:10
sehr esoterisch an
01:27:11
und das bin ich überhaupt nicht,
01:27:12
aber so war es halt.
01:27:14
Die Stimme sagte zu mir,
01:27:15
wenn du jetzt nicht wach wirst,
01:27:18
Ich schlug meine Augen auf,
01:27:19
schrie nochmals,
01:27:20
so laut es eben ging
01:27:21
mit seinen Händen am Hals
01:27:22
und drückte meine Nägel
01:27:23
nochmals in seine Augen.
01:27:25
Er ließ von mir ab,
01:27:26
stand auf und rannte weg.
01:27:27
Ich stand auch ganz langsam auf,
01:27:30
Ich war nur wenige Meter
01:27:31
von meinem Elternhaus weg.
01:27:32
Im ersten Moment dachte ich,
01:27:34
shit, wo ist mein Handy?
01:27:35
Gleich gefolgt von dem Gedanken,
01:27:37
scheiß auf dein Handy,
01:27:39
Und ich lief los,
01:27:41
Ich schrie immer noch.
01:27:42
Überall waren hier Häuser.
01:27:43
Warum hörte mich denn niemand?
01:27:45
Ich überquerte die Straße
01:27:47
und meine Mutter
01:27:47
öffnete schon die Tür.
01:27:48
Sie hatte mich gehört.
01:27:50
Die Polizei traf rasch ein
01:27:52
und fasste kurz darauf den Typen.
01:27:54
Er war an den Tatort zurückgekehrt,
01:27:56
weil er seine Pistole
01:27:58
bei unserem Kampf verloren hatte.
01:28:00
Ja, seine Pistole.
01:28:03
Der Schlag auf meinen Hinterkopf,
01:28:06
war nämlich eigentlich
01:28:09
das auf meinen Schädel traf.
01:28:11
Er schoss auf mich.
01:28:13
Da die Pistole nicht richtig funktionierte,
01:28:15
wurde das Projektil nicht richtig abgefeuert
01:28:18
und blieb in meiner Kopfhaut stecken.
01:28:23
Ich konnte mein Glück kaum fassen.
01:28:25
Er sagte später aus,
01:28:27
sein Plan war es,
01:28:29
und sich anschließend
01:28:30
an meiner Leiche zu vergehen.
01:28:31
Er hatte mich schon öfters beobachtet
01:28:33
und in dieser Nacht
01:28:34
hatte er nun endlich genug Mut,
01:28:36
es durchzuziehen.
01:28:37
Er wurde zu einer 20-jährigen Haftstrafe
01:28:40
mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
01:28:42
Das kann ich auch nicht glauben.
01:28:44
Nee, ich erst auch nicht.
01:28:46
Aber in der Schweiz
01:28:48
war das zu der Zeit
01:28:49
auch in einigen Medien.
01:28:50
Und ich habe mit Natascha
01:28:51
auch viel hin und her geschrieben.
01:28:52
Sie hat mir auch das Urteil
01:28:54
zum Beispiel Auszüge davon geschickt.
01:28:56
Das liest sich auch noch mal gruselig,
01:28:59
wie die beschreiben,
01:29:00
was da so sein Gedankengang war.
01:29:02
Der wollte nämlich eigentlich schon,
01:29:03
hatte der schon gedacht,
01:29:04
das mache ich heute nicht.
01:29:05
Und dann lief die Natascha
01:29:06
da lang und dann dachte er sich,
01:29:08
Ich habe sie dann noch gefragt
01:29:10
wegen der Kugel.
01:29:12
dass die das ja nicht wussten,
01:29:14
dass sie da eine Kugel drinstecken hatte.
01:29:17
Das haben sie erst im Krankenhaus gemerkt,
01:29:20
nachdem sie die ganzen Würgemale
01:29:22
untersucht hatten und so.
01:29:23
Und auch die Polizei
01:29:24
hatte schon Fotos von der Wunde gemacht
01:29:26
und da fiel das noch nicht auf.
01:29:27
Erst in diesem Krankenhauslicht
01:29:29
hat die Mutter gesehen,
01:29:31
dass da so was blitzte dazwischen.
01:29:33
Und dann hat der Arzt geguckt
01:29:35
und dachte sich,
01:29:36
und dann hat sie das halt beschrieben,
01:29:40
wie der Arzt mit der Pinzette
01:29:42
die Kugel aus dieser obersten Kopfhautschicht
01:29:48
Dann schreibt sie noch dazu,
01:29:50
Ich kann mit dem Ganzen sehr offen umgehen
01:29:52
und habe, wie man sieht,
01:29:53
kein Problem darüber zu sprechen.
01:29:56
mittlerweile bin ich froh,
01:29:57
dass es mir passiert ist.
01:29:58
Jemand anders hätte vielleicht anders reagiert
01:30:00
und nicht überlebt
01:30:01
oder hätte viel schwerer,
01:30:03
mit den Folgen zu kämpfen.
01:30:05
Wie krass ist das?
01:30:06
Aber das kann ich verstehen,
01:30:07
was sie da sagt,
01:30:08
weil das am Anfang hat mich ja voll daran erinnert
01:30:10
an mich und diesen Typen,
01:30:12
der mir da gefolgt ist.
01:30:14
Genau, und als ich mich umgedreht habe
01:30:15
und ihn halt laut angeschrien hat,
01:30:17
dass er sich umgedreht hat
01:30:18
und da habe ich mir auch oft danach gedacht,
01:30:20
natürlich nicht gut,
01:30:22
dass ich das jetzt war,
01:30:22
aber ich habe gedacht,
01:30:23
jemand anderes hätte möglicherweise
01:30:25
sich nicht getraut
01:30:27
so oder nicht so reagiert
01:30:28
und dann wäre vielleicht
01:30:29
was Schlimmes passiert, ja.
01:30:30
Das ist die Reaktion dann darauf,
01:30:34
aber bei ihr ist halt die Verarbeitung damit
01:30:37
ja auch sehr besonders.
01:30:39
Man will nicht sagen,
01:30:40
dass sie stark ist,
01:30:42
weil man nicht sagen kann,
01:30:45
die das nicht so verarbeiten,
01:30:46
nicht stark sind.
01:30:47
Das ist einfach eine andere Form,
01:30:49
wie Leute auf sowas reagieren.
01:30:51
Aber es ist schon sehr besonders
01:30:53
und ich finde es total cool,
01:30:55
dass sie das auch mit uns teilt,
01:30:57
dass man eben sieht,
01:30:58
dass es Leute gibt,
01:30:59
die sehr resilient sind.
01:31:01
Darüber haben wir ja auch schon mal gesprochen.
01:31:02
Und das ist eben bei all diesen Geschichten
01:31:04
auch toll zu sehen,
01:31:05
dass sowas gut ausgeht
01:31:07
und sie damit so klarkommt.
01:31:10
es haben sich mittlerweile
01:31:12
auch einige bei uns gemeldet,
01:31:13
die selbst Opfer
01:31:14
oder Angehörige von Opfern sind.
01:31:16
Wenn ihr mal was erlebt habt,
01:31:18
worüber ihr gerne mit uns
01:31:20
im Podcast sprechen wollen würdet,
01:31:22
dann meldet euch gerne bei uns.
01:31:23
Wir haben ja auch so viele Heimatfesten,
01:31:25
viele zugeschickt bekommen,
01:31:27
von denen wir noch nie was gehört haben.
01:31:31
Und da kam auch so ein bisschen
01:31:33
das Gefühl bei mir auf,
01:31:34
in was für einem Land lebe ich
01:31:36
und wie unsicher ist es hier eigentlich.
01:31:38
Jeder und jedem,
01:31:40
der oder dem es gerade genauso geht,
01:31:42
kein Grund zur Sorge.
01:31:43
Ich habe mir noch mal
01:31:45
die Statistik des BKA angeschaut.
01:31:47
wir haben es schon oft gesagt,
01:31:49
solche Statistiken sind
01:31:50
mit Vorsicht zu genießen.
01:31:51
aber hier die nackten Zahlen.
01:31:53
2018 zum Beispiel
01:31:55
gab es 901 Verurteilung
01:31:57
wegen Mordes nach Paragraph 211.
01:31:59
In Bezug auf unsere
01:32:00
Einwohnerzahl in Deutschland
01:32:12
zum Opfer fällt.
01:32:13
Dass es einen selber
01:32:15
oder jemanden aus dem
01:32:16
Bekanntenkreis trifft,
01:32:17
ist also nicht sehr wahrscheinlich.
01:32:19
Außerdem nimmt die Wahrscheinlichkeit
01:32:20
in Deutschland Opfer
01:32:21
einer Gewalttat zu werden
01:32:22
auf lange Sicht auch ab.
01:32:24
Die Zahl der Menschen,
01:32:25
die durch Mord und Totschlag
01:32:26
ums Leben gekommen sind,
01:32:27
hat sich in den letzten 25 Jahren
01:32:29
nämlich nahezu halbiert.
01:32:30
Das vergisst man aber heute gerne mal,
01:32:32
weil Gewaltverbrechen
01:32:34
im Gegensatz zur Realität
01:32:36
nicht abgenommen haben,
01:32:38
sondern präsenter sind denn je.
01:32:42
Neulich in unserer Weihnachtspause,
01:32:45
als wir mal kurz aufgehört haben,
01:32:47
Angst und Schrecken
01:32:48
in der Gesellschaft zu schüren.
01:32:50
Da war ich einmal in Uetersen
01:32:53
in einem der zwei Bekleidungsgeschäfte,
01:32:55
die wir da haben,
01:32:57
Und da stand drauf
01:33:03
Und da dachte ich mir,
01:33:05
das ist so geschmacklos
01:33:07
und überheblich.
01:33:08
Das passt zu mir.
01:33:09
Und dann bin ich da rein
01:33:12
und kam dann aus dem Kopfschütteln
01:33:14
bei diesem T-Shirt
01:33:15
gar nicht mehr raus, ja.
01:33:16
Und die Verkäuferin
01:33:17
hat das aber irgendwie
01:33:19
als Euphorie gedeutet
01:33:21
und meinte dann so,
01:33:23
ja, das ist fesch, ne.
01:33:26
nur entsetzt gewesen
01:33:28
und ich hab das dann angezogen,
01:33:29
aber hab halt nur gelacht
01:33:31
Und dann meinte die Verkäuferin,
01:33:34
dass man das ja ganz toll
01:33:35
zu so einem schwarzen,
01:33:37
taillierten Blazer tragen könnte.
01:33:42
dann sieht das doch aus,
01:33:43
als würde ich das ernst machen.
01:33:45
Und sie hat's aber
01:33:47
überhaupt nicht verstanden.
01:33:49
ich hab das T-Shirt jetzt natürlich.
01:33:50
Ich würd's aber ohne Blazer tragen.
01:33:53
Aber der Blazer,
01:33:54
den sie mir gezeigt hat,
01:33:56
den müsste sie eigentlich
01:33:58
Denn Laura ist momentan
01:34:02
für unsere Live-Auftritte.
01:34:04
wegen ihrer Oma.
01:34:11
bereits mitgeteilt,
01:34:13
an diesen Live-Shows
01:34:15
ordentlich aussehen soll.
01:34:18
einen schwarzen Bläser,
01:34:19
eine schwarze Hose
01:34:20
oder eine schöne Bluse.
01:34:22
Und die hat das so lange gemacht,
01:34:24
bis ich's wirklich geglaubt habe,
01:34:26
dass ich das jetzt muss.
01:34:30
schon einige Bläser
01:34:34
Man muss ja dazu sagen,
01:34:38
kommt ja zu einem Auftritt,
01:34:39
aber nur zu einem.
01:34:41
du musst den Blazer
01:34:42
auch nur einmal tragen.
01:34:43
Und das ist in Hamburg, ne?
01:34:44
Also wenn ihr euch denkt,
01:34:53
liebes Enkelkind
01:35:00
zumindest die meisten
01:35:03
am sechstundzwanzigsten,
01:35:04
denn da sind wir
01:35:05
bei unserer ersten
01:35:08
die nicht dabei sein können,
01:35:10
posten wir ein paar
01:35:12
von der Live-Show
01:35:17
Das war ein Podcast