00:00:00
Hast du mitbekommen, dass Selena Gomez versucht hat, einen Mordfall zu lösen?
00:00:17
Ich bin ein bisschen verwirrt darüber.
00:00:19
Also hier gibt es ja auch sowas wie Comic-Con oder Tin-Con, also halt so Conventions.
00:00:23
Und in den USA gibt es mittlerweile auch die Crime-Con.
00:00:27
Und da ging es um den Mord und den Mord.
00:00:31
Der verschwand im Oktober 1981 nach einer Partynacht.
00:00:35
Und seine Leiche wurde fünf Tage später gefunden.
00:00:38
Und bei dieser Crime-Con sollte dann dieser Code-Case noch einmal aufgerollt werden.
00:00:43
Und da saßen dann so KriminalkommissarInnen, ExpertInnen zusammen und der Bruder des Getöteten.
00:00:49
Der hatte nämlich längst aufgegeben, dass der Fall nochmal behandelt wird, weil sich seiner Meinung nach niemand mehr um Kurt scheren würde.
00:00:55
Und bei dieser Veranstaltung hat dann auch ein sogenanntes Crowdsoft stattgefunden.
00:01:00
Also das heißt, viele Menschen, um die 100 waren das da.
00:01:03
Und darunter auch Kriminologie-StudentInnen, arbeiten dann mit diesen ExpertInnen zusammen an diesem Fall, um den nochmal aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten.
00:01:12
Und da war eben auch Selina Gomez mit dabei.
00:01:15
Okay, aber die arbeiten dann nur einen Tag an dem Fall?
00:01:17
Oder wie lange geht diese?
00:01:18
Ich glaube nur einen Tag.
00:01:20
Selina war offenbar nur einen Tag mit dabei.
00:01:23
Und die ErmittlerInnen hoffen halt eben so zu neuen Erkenntnissen zu kommen.
00:01:26
Dieser zuständige Kriminalkommissar, der jetzt auch da war, der hatte jetzt nicht wirklich gehofft, den Fall dadurch zu lösen, aber halt wenigstens an ein paar neue Hinweise oder Herangehensweisen zu kommen.
00:01:37
Ja, kann ich mir aber schon vorstellen, dass da einfach auch mal ganz anderer Input reinkommt, wenn da jetzt jemand sitzt wie Selina Gomez, die normalerweise eben nichts damit zu tun hat.
00:01:46
Aber hat man irgendwas dadurch geschafft?
00:01:50
Ja, man hat dadurch was geschafft und zwar, dass der Bruder sehr berührt von dieser Anteilnahme war.
00:01:57
Also die haben jetzt, soweit ich weiß, keinen neuen Hinweis herausarbeiten können.
00:02:01
Aber der Bruder war so gerührt davon, dass so viel Aufmerksamkeit wieder auf seinem Bruder lag, der ja schon längst vergessen war eigentlich für die Öffentlichkeit.
00:02:11
Ja, und manchmal ist es ja auch so, einfach nur dadurch, dass Leute wieder darüber sprechen, erinnern sich Leute an etwas und das kann dann vielleicht helfen.
00:02:19
Ja, also solange die Familie damit fein ist und der Bruder war ja auch dabei, finde ich es auch sehr in Ordnung.
00:02:24
Herzlich willkommen bei Mordlust, einem True-Crime-Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:02:29
Hier reden wir über wahre Kriminalfälle und ihre Hintergründe.
00:02:31
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:02:33
Und ich bin Laura Wohlers.
00:02:34
Wir haben in jeder Folge ein spezielles Oberthema und dazu erzählen wir zwei wahre Kriminalfälle nach, diskutieren die und sprechen auch mit ExpertInnen darüber.
00:02:43
Manchmal reden wir hier auch ein bisschen lockerer miteinander.
00:02:46
Das hat aber nichts mit fehlender Ernsthaftigkeit dem Thema gegenüber zu tun.
00:02:49
Das ist einfach unser Comic-Relief, damit wir zwischendurch dann vor allem am Anfang und am Ende auch mal durchatmen können.
00:02:55
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
00:02:57
Heute geht es bei uns um das Thema Verantwortung.
00:03:01
Hier nochmal eine kleine Erinnerung.
00:03:02
Trägerwarnung jetzt immer in der Beschreibung der Folge.
00:03:06
In letzter Zeit haben uns einige Nachrichten zum Thema rechtsextremer Gewalt in Deutschland erreicht.
00:03:13
Und wir wurden gefragt, ob wir das mal behandeln können, das Thema.
00:03:16
Und wenn wir uns alleine die Zahlen ansehen, wissen wir, wir haben da Probleme in Deutschland.
00:03:21
Die Bundesregierung kommt im Zeitraum von 1990 bis Ende 2019 auf knapp 100 Todesopfer durch rechtsextreme Gewalt.
00:03:28
Andere Quellen, andere Zahlen, der Tagesspiegel und die Zeit, die kommen da auf 169 beispielsweise im gleichen Zeitraum.
00:03:35
Seit dem 19. Februar dieses Jahres sind neun weitere Personen dazugekommen, wie wir alle wissen.
00:03:41
Ein Mann tötete aus rassistischer Gesinnung heraus neun Menschen mit Migrationshintergrund in und vor Shisha-Bars.
00:03:48
Rechtsextremismus ist was, das unsere Gesellschaft erschüttert.
00:03:51
Und es ist natürlich wichtig, darüber zu reden.
00:03:54
Wir sind jetzt kein aktuelles Medium.
00:03:56
Wir erzählen Fälle ja eher rückblickend nach.
00:03:59
Und Teil dessen ist aber auch immer ein Blick auf den Täter oder die Täterin zu werfen.
00:04:04
Und wir halten das zum jetzigen Zeitpunkt für nicht richtig in Bezug auf Hanau und unseren Podcast.
00:04:12
In Folge 29 haben wir ja nämlich mal über die Folgen von Berichterstattung geredet.
00:04:16
Und auch darüber, dass sich JournalistInnen nicht freimachen können von ihrer Verantwortung, wie und wann sie über was berichten.
00:04:23
Und ganz sicher werden wir uns rechtsextremistischen Gewalttaten auch mal widmen.
00:04:27
Garantiert, das ist auch unsere Aufgabe.
00:04:29
Eventuell auch Hanau.
00:04:31
Aber nicht in einer Zeit, in der die Wahrscheinlichkeit für Nachahmungstaten höher ist als sonst, oder?
00:04:37
Ja, noch einmal kurz zu der tatsächlichen Berichterstattung.
00:04:40
Du hast ja schon gesagt, es ist wichtig, sich auch den Täter anzuschauen.
00:04:44
Aber eben nicht nur.
00:04:45
Mir ist nämlich aufgefallen, dass nach der Tat erstmal wieder viele Augen nur auf den Täter gerichtet waren.
00:04:51
Manches Medium hat ja sogar sein Foto wieder ganz offen gezeigt.
00:04:56
Aber es ist ja auch so wichtig, sich eben auch den Opfern zu widmen, was ja im Fall Hanau dann auch gemacht wurde.
00:05:03
Denn bei einer Berichterstattung, in der Opfer keine Gesichter und keine Lebensgeschichten bekommen, wird es für Unbeteiligte halt viel schwieriger, das Ausmaß und auch die Konsequenzen solch einer Tat zu begreifen.
00:05:16
Ja, aber mal ganz abgesehen davon, dass es auch Hinweise darauf gab, dass der Täter möglicherweise schuldunfähig gewesen war und sein Bild dann eh nichts auf Titelseiten zu suchen hat.
00:05:28
Vor allem, wenn man weiß, dass Menschen mit ähnlichen Gedanken den Täter eh schon glorifizieren und das dadurch dann noch verstärkt wird.
00:05:37
Ja, und das ist halt einfach verantwortungslos.
00:05:39
Aber mit so einem Verhalten beschäftigen wir uns ja jetzt auch in dieser Folge.
00:05:44
Mein Fall erzählt von Menschen, die durch zu viel Druck von oben sterben mussten und von der Katastrophe nach der Katastrophe.
00:05:53
Die Namen einiger Beteiligte habe ich geändert.
00:05:56
Wichtig ist an der Stelle zu sagen, dass die Informationen, die ihr gleich hört, dem derzeitigen Kenntnisstand entsprechen.
00:06:03
Als gesichert dürfen sie erst nach Abschluss des Prozesses oder einem möglichen Untersuchungsausschuss gelten.
00:06:08
Anfangen möchte ich mit einem Statement aus der Spiegel-TV-Dokumentation.
00:06:13
Eine amtlich genehmigte Katastrophe, die Love Parade von Duisburg.
00:06:17
Er stammt von Björn Köln, dem Pressesprecher der Lopavend, dem Veranstalter der Love Parade 2010 in Duisburg
00:06:23
und wurde kurz vor Beginn der Großveranstaltung aufgezeichnet.
00:06:28
Am 24. Juli 2010 steht Eike gegen 11 Uhr auf.
00:06:46
Seine Mutter Stefanie wundert sich, denn wenn ihr Sohn am Abend zuvor feiern war, kommt er eigentlich nicht so früh aus den Federn.
00:06:53
Doch als der 21-Jährige die Treppe herunterkommt, hat er die Erklärung für sie.
00:06:57
Mama, kannst du uns zum Bahnhof fahren? Wir wollen zur Love Parade.
00:07:01
Selbstverständlich macht Stefanie das für ihren jüngsten Sohn.
00:07:04
Eike ist ihr Sonnenschein.
00:07:06
Er hat ein jugendliches Gesicht, blonde Haare und blaue Augen.
00:07:09
Gerade studiert er im zweiten Semester Politik und Geschichte.
00:07:12
Sein Traum ist es, Journalist zu werden.
00:07:15
Seitdem er an der Uni ist, ist Eike ständig unterwegs.
00:07:18
Und an diesem Tag soll es eben nach Duisburg gehen.
00:07:21
Stefanie fährt ihren Sohn und seine Freunde Justus, Merle und Linus, also gegen 12 Uhr, zum Bahnhof.
00:07:26
Es wird sich schnell verabschiedet.
00:07:29
Wie man das eben macht, wenn man sich sicher ist, dass man sich am nächsten Tag wieder sieht.
00:07:33
Während die vier Freunde noch auf dem Weg sind, startet in Duisburg die 19. Love Parade.
00:07:38
Die hatte eigentlich schon letztes Jahr stattfinden sollen, und zwar in Bochum.
00:07:42
Doch die Stadt hatte überraschend abgesagt.
00:07:45
Es hätte kein geeignetes Gelände gegeben und der Bahnhof sei zu klein.
00:07:49
Damals sagte der Bochumer Polizeipräsident, überleben ist wichtiger als der Spaßfaktor.
00:07:54
Jetzt rollen eben in Duisburg die 16 Paradewagen an, die sogenannten Floats,
00:08:00
die den alten Güterbahnhof, das Veranstaltungsgelände, umkreisen.
00:08:04
Das Wetter ist toll, die Stimmung ausgelassen.
00:08:07
Aus den Boxen dröhnt laute Musik und die Menge rastet aus.
00:08:11
Schon morgens waren Zehntausende Feierwütige in der Stadt.
00:08:14
Weit mehr als eine Million werden es am Ende des Tages sein, tönt der Veranstalter Rainer Schaller.
00:08:20
Unter ihnen Eike und seine Freunde.
00:08:23
Gegen 14 Uhr kommen sie am Duisburger Bahnhof an und folgen der Menschenmasse Richtung Veranstaltungsgelände.
00:08:28
Doch weit kommen sie nicht.
00:08:30
Auf der zwei Kilometer langen Strecke werden sie mehrere Male von der Polizei und Sicherheitskräften gestoppt.
00:08:36
Der Weg zur Party entwickelt sich zur Odyssee.
00:08:39
Und die Stimmung aller BesucherInnen heizt sich auf.
00:08:43
Die ersten Leute schimpfen über die Organisation.
00:08:45
Viele kennen die Love Parade aus Berlin.
00:08:48
Da hatte man nie so lange warten müssen.
00:08:50
Auch Eike, Linus Merle und Justus sind genervt.
00:08:53
Schließlich haben sie bis dahin schon eine fast zweistündige Zugfahrt hinter sich.
00:08:57
Irgendwann erreichen sie dann einen Tunnel, der das Partyvolk auf die Rampe zum Festivalgelände führt.
00:09:02
Also dieser Zugang wird Rampe genannt.
00:09:05
Das muss man sich aber eher wie eine Straße vorstellen,
00:09:08
die halt die BesucherInnen auf das Gelände bringt,
00:09:11
das höher gelegen ist als diese Straße und die Tunnel.
00:09:15
Aber diese Seiten dieser Rampe sind von hohen Betonwänden eingefasst.
00:09:19
Und alle müssen halt diese Rampe entlang gehen,
00:09:22
um am Ende auf das Gelände zu kommen.
00:09:24
Wenn ihr jetzt eine Podcast-App habt, die Bilder anzeigen kann,
00:09:28
dann seht ihr das.
00:09:29
Und ansonsten gibt es das Foto in den nächsten Tagen auf Instagram,
00:09:33
damit ihr euch das ein bisschen besser vorstellen könnt.
00:09:35
Doch auch im Tunnel werden die vier und mit ihnen hunderte andere gestoppt.
00:09:41
Doch dann geht's auf einmal ganz schnell.
00:09:43
Ungefähr 50 Meter werden sie nach vorne geschoben.
00:09:46
Jetzt sind sie fast da, stehen schon auf der Rampe
00:09:49
und können die Musik und die Feiernden gut hören.
00:09:52
Doch auch hier kommt es wieder zum Stillstand.
00:09:54
Es scheint, als würden gerade keine Leute mehr auf das Gelände gelassen.
00:09:57
Von hinten strömen trotzdem immer mehr Menschen auf die Rampe.
00:10:02
Es ist Viertel nach vier, als schließlich zwei Besucher einen Zaun überklettern,
00:10:06
der auf der Rampe steht und der so eine kleine Steintreppe absperren soll.
00:10:10
Die zwei Männer steigen die Treppe hinauf zum Festivalgelände.
00:10:14
Dafür werden sie von der Menge unten gefeiert.
00:10:16
Und so setzt sich die Menschenmasse langsam in Bewegung, um es den beiden gleich zu tun.
00:10:26
Zäune werden umgeschmissen und auf den Boden gedrückt.
00:10:28
Und Eike, Merle, Justus und Linus werden mitgesogen mit dem Strom, der die Menschen zur Treppe und gegen Wände und Zäune schiebt.
00:10:36
Der Druck auf die BesucherInnen vorne wird so immer größer.
00:10:40
So schnell wie die Menschen nachkommen, können sie gar nicht alle die kleine Treppe hoch.
00:10:44
Sie haben keinen Platz mehr, kriegen keine Luft mehr.
00:10:47
Sie fangen an zu schreien und zu weinen.
00:10:49
Die Clique wird auseinandergerissen.
00:10:51
Linus denkt sich, du darfst jetzt auf keinen Fall umfallen.
00:10:54
Dann kommst du nicht mehr hoch.
00:10:55
Da merkt er, dass er gar nicht mehr auf seinen eigenen Füßen steht,
00:10:58
sondern auf denen von Fremden oder zeitweise überhaupt keinen Boden mehr unter sich hat.
00:11:03
Es wird gedrängt, gedrückt, gequetscht.
00:11:06
Diejenigen, die die Treppe irgendwie erreichen, versuchen hochzuklettern, um sich zu retten.
00:11:11
Andere ziehen sich an einem Container oder an Straßenslaternen hoch, die auf der Rampe stehen.
00:11:16
Von oben werden Kabel in die Menge geworfen.
00:11:19
Rettungsseile, die wegen der glatten Betonwände keine sind.
00:11:23
Von oben sieht man ein Meer an Köpfen, das stetig hin und her wiegt.
00:11:27
Dann fallen die Ersten.
00:11:29
Und weil die Leute von hinten weiter auf die Rampe strömen,
00:11:33
werden andere wie eine Welle nach vorne und auf diejenigen am Boden geschwappt.
00:11:36
Darunter auch Merle.
00:11:38
Sie verliert die Kontrolle über ihren Körper, landet auf fremden Menschen und andere wiederum auf ihr.
00:11:43
Und die, die ganz unten liegen, bekommen immer weniger Luft.
00:11:48
Es wird gekratzt, gekrallt und gebissen, um auf sich aufmerksam zu machen,
00:11:54
damit die, die auf ihnen stehen oder liegen und ihnen die Luft nehmen, verschwinden.
00:11:58
Doch vergeblich.
00:12:00
Der Druck wird immer größer.
00:12:02
Für diejenigen am Boden ist er ungefähr so groß,
00:12:05
als würden zehn Menschen direkt auf deinem Brustkorb stehen.
00:12:09
Dadurch setzt ihre Atmung immer wieder aus.
00:12:12
Die Muskeln können nicht mehr richtig arbeiten.
00:12:15
Auch Merle spürt ihre Beine irgendwann nicht mehr.
00:12:17
Fast eine Stunde kämpft sie um ihr Leben,
00:12:20
während 100 Meter Luftlinie entfernt gefeiert wird.
00:12:23
Was für ein Bild.
00:12:25
Dann endlich löst sich das Gedränge vor der Treppe auf.
00:12:28
Für die Rettungskräfte und freiwilligen HelferInnen,
00:12:31
die sich einen Weg zum Unglücksort bahnen,
00:12:33
bietet sich ein Bild des Grauens.
00:12:34
Es sind aufgelöste, verdreckte Menschen, die ihnen entgegenkommen
00:12:38
und denen der Schock ins Gesicht steht.
00:12:40
Je näher die Rettungskräfte der Treppe kommen,
00:12:42
desto mehr Verletzte entdecken sie
00:12:44
und Menschen, die versuchen, erste Hilfe zu leisten
00:12:47
oder ihre Liebsten mit Worten am Leben zu halten.
00:12:49
Und dahinter liegen Dutzende Menschen am Boden.
00:12:53
Einige davon sind blau angelaufen,
00:12:55
regungslos, mit offenen Augen, in den Himmel starnt.
00:12:59
Irgendwo zwischen den herumwusenden Rettungskräften ist Justus.
00:13:03
Er ist bei der Freiwilligen Feuerwehr und hilft, wo er kann.
00:13:06
Unter den Regungslosen am Boden erkennt er schließlich Eike.
00:13:09
Justus versucht, ihn zu reanimieren, bis ein Sanitäter übernimmt.
00:13:13
Dann sucht er weiter.
00:13:14
Er hat Angst, dass noch mehr seiner Freunde schwer verletzt sind.
00:13:17
Nach und nach finden sich die drei anderen wieder.
00:13:20
Allen geht es den Umständen entsprechend gut.
00:13:22
Merle kann mittlerweile ihre Beine wieder bewegen.
00:13:25
Als Justus sie zurück zu der Stelle führt, an der er Eike zum letzten Mal gesehen hat,
00:13:30
Zur selben Zeit sieht Stefanie, Eikes Mutter, im Fernsehen die Nachricht,
00:13:34
Panik in Duisburg, zehn Tote über dem Bildschirm laufen.
00:13:38
Sie reagiert gelassen, denkt sich,
00:13:40
dort sind so viele Menschen,
00:13:42
wieso sollte gerade Eike unter den Toten sein.
00:13:44
Sie erzählt ihrem Mann Klaus-Peter davon und gemeinsam entscheiden sie sich,
00:13:48
ihrem Sohn vorsichtshalber doch mal ein SMS zu schicken.
00:13:51
Doch keine Antwort.
00:13:52
Stefanie redet sich ein, dass es dort ja sicher sehr laut ist und ihr Sohn das Handy deshalb nicht hört.
00:13:58
Aber so richtig Ruhe kommt nicht auf.
00:14:00
Deshalb rufen sie ihren Sohn an.
00:14:02
Doch kein Durchkommen.
00:14:03
Irgendwann klingelt ihr Telefon.
00:14:06
Es sind Eikes Freunde.
00:14:07
Sie erzählen, dass sie alle gemeinsam auf der Rampe waren und sich wiedergefunden haben.
00:14:11
Alle außer Eike.
00:14:13
Um 23 Uhr klingelt erneut das Telefon.
00:14:16
Es ist der Vater eines Freundes von Eike.
00:14:18
Er ist Polizist und sagt, dass er aus inoffizieller Quelle weiß,
00:14:21
dass die 15 Toten bereits identifiziert wurden und kein Eike darunter sei.
00:14:25
Aufatmen bei den Eltern.
00:14:27
Dann ist er wahrscheinlich im Krankenhaus, denken sie.
00:14:30
Es gilt also zu warten, auf das nächste Klingeln, auf ein Lebenszeichen.
00:14:34
Doch das Telefon bleibt still.
00:14:36
Stefanie hat sich mittlerweile ans Fenster gestellt.
00:14:39
Sie schaut geistesabwesend auf die Straße
00:14:41
und hofft bei jedem vorbeikommenden Auto, dass es nicht stehen bleibt.
00:14:44
Sie hat Angst, dass es PolizeibeamtInnen sein könnten,
00:14:48
die ihr sagen, dass ihr Sohn tot ist.
00:14:50
Um 1 Uhr nachts bleibt dann ein Wagen stehen.
00:14:52
Eike ist im Krankenhaus verstorben.
00:14:55
Neben Eike sterben weitere 20 Menschen im Alter zwischen 17 und 38 Jahren.
00:15:01
Durch den Druck der Masse wurden ihre Organe gequetscht, ihre Rippen gebrochen.
00:15:05
Es kamen zu inneren Blutungen, Erstickungen und Genickbrüchen.
00:15:09
Menschen aus Deutschland, China, Australien, Spanien, Italien und den Niederlanden,
00:15:15
die an diesem Tag nach Duisburg gekommen waren,
00:15:17
um das Leben und die Liebe zu feiern, sind gestorben.
00:15:20
Erste Erklärungsversuche werden schon am Abend des 24. Julis geäußert.
00:15:26
Während im Krankenhaus noch um das Leben von Verletzten gekämpft wird,
00:15:30
treten Oberbürgermeister Adolf Sauerland und Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe vor die Presse.
00:15:36
Sie sind also, wenn ich das jetzt in meinen eigenen Worten vom derzeitigen Kenntnisstand etwas einfach erläutern darf,
00:15:51
Einfach einen Weg, der abgezäunt und der zu erklettern war, über diese Barriere hochgeklettert und dabei abgestürzt.
00:15:57
Auf die Frage nach der Sicherheit der Veranstaltung antwortet Sauerland,
00:16:02
Ich glaube, keine Love Parade ist so von Sicherheitskonzepten hinterlegt worden wie diese.
00:16:06
Dieses Sicherheitskonzept hat so lange gegriffen, wie man sich, so unsere Erkenntnis, eben so verhält, wie man sich normal verhält.
00:16:15
Statt Trauer und Bestürzung zu äußern, werden also von oberster Stelle bereits Schuldzuweisungen gemacht.
00:16:20
Und zwar Richtung der Opfer.
00:16:23
Und in den Tagen danach geht es genauso weiter.
00:16:25
Veranstalter, Polizei, Behörden und Sicherheitsexperten schieben sich gegenseitig die Schuld zu,
00:16:32
während sich in der Bevölkerung immer mehr Wut unter die Trauer mischt.
00:16:35
Denn nach und nach wird deutlich, dass die Katastrophe sehr wahrscheinlich hätte verhindert werden können.
00:16:43
Schon Anfang 2009 gibt es erste kritische Stimmen gegen das Wunschprojekt des Oberbürgermeisters.
00:16:49
Der damalige Polizeipräsident Rolf Zebin stellt die Love Parade wegen Sicherheitsbedenken infrage.
00:16:54
Er sagt, dass es problematisch ist, ein geeignetes Gelände zu finden.
00:16:58
Für diese Haltung wird er offen kritisiert.
00:17:01
Von einigen sogar zum Rücktritt aufgefordert.
00:17:04
Im Oktober des selben Jahres entscheiden sich die Stadt Duisburg, der Veranstalter und die Ordnungsbehörde
00:17:09
trotzdem dafür, die Love Parade auszurichten.
00:17:11
Und zwar auf dem Gelände des alten Güterbahnhofs.
00:17:14
Obwohl nicht nur die Polizei, sondern auch die Feuerwehr und Verwaltungsbeamtinnen das Gelände für zu klein und daher zu gefährlich halten.
00:17:22
Die Warnungen werden nicht ernst genommen.
00:17:24
Und durch den Druck von oben, das Event durchzuführen, verstummen die kritischen Stimmen.
00:17:29
Zehn Tage vor Veranstaltungstermin wird dann deutlich, dass beim Veranstalter Lopavend Planungschaos herrscht.
00:17:34
Dem städtischen Bauamt fehlen wichtige Unterlagen, um eine finale Genehmigung für das Gelände zu erteilen.
00:17:40
Zehn Tage vorher.
00:17:42
Auf Drängen hin wird ein Konzept für die Besucherführung nachgereicht.
00:17:46
Aus diesen Papieren geht hervor, dass der Veranstalter mit einer maximalen Besucheranzahl von 485.000 rechnet.
00:17:53
Die Zahlen der BesucherInnen, die gleichzeitig auf und vom Gelände runter wollen, schwanken im Modell des Veranstalters je nach Uhrzeit erheblich.
00:18:02
Zwischen 17 und 18 Uhr rechnet Lopavend zum Beispiel stündlich mit bis zu 90.000 Zugängen und 55.000 Abgängen.
00:18:08
Zu- und Abgänge über die Rampe, die der Haupt-Ein- und Ausgang ist.
00:18:13
Das heißt, es gibt nur einen Aus- bzw. Eingang.
00:18:17
Also laut diesem Modell soll es noch einen weiteren Ausgang geben, eine kleinere Rampe.
00:18:22
Allerdings werden am Veranstaltungstag nur wenige SicherheitsmitarbeiterInnen davon wissen, weshalb diese zunächst geschlossen bleiben wird.
00:18:31
Also über die Hauptrampe, die der einzige Eingang ist, sollen laut Lopavend bis zu 145.000 Menschen pro Stunde geführt werden.
00:18:40
Über einen Zugang, der statt der rechtlich vorgesehenen 18 Metern an der engsten Stelle nur 10 Meter breit ist.
00:18:47
Und auf dem Zäune, Absperrungen und einen Container stehen, die den Zugang aufs Gelände halt erschweren.
00:18:54
Also du musst dir vorstellen, erstmal steht da dieser große Container, dann noch die verschiedenen Bauzäune an der Seite,
00:19:00
um halt die Leute zum Beispiel von dieser Steintreppe abzuhalten.
00:19:04
Aber es liegt auch am Ende dieser, also in der Nähe dieser Treppe, da wo die meisten Opfer gefunden wurden,
00:19:10
ein Bauzaun auf dem Boden.
00:19:11
Und zwar weil, der soll einen eingestürzten Gullideckel und eine 30 Zentimeter hohe Wurzel sichern.
00:19:18
Das sichert doch gar nichts.
00:19:20
Das ist doch eine zusätzliche Sicherheitslücke.
00:19:22
Ja, das wird da nämlich zur Stolperfalle.
00:19:26
Obwohl bis zuletzt ein Entwurf fehlt, der eine etwaige Stauung im Tunnelbereich regeln soll,
00:19:32
wird die Veranstaltung vom Bauamt genehmigt.
00:19:34
Drei Tage vor dem 24. Juli.
00:19:38
In dieser Genehmigung wird die Anzahl der Menschen, die gleichzeitig auf diesem Gelände sein dürfen,
00:19:41
auf 250.000 beschränkt.
00:19:44
Diese Zahl überschreitet aber schon die Grenze der gesetzlich zugelassenen Personen für ein Gelände dieser Größe.
00:19:50
Und somit ist diese Genehmigung rechtswidrig.
00:19:53
Und wer sich jetzt über die ganzen Zahlen wundert, richtig, der Veranstalter Rainer Schaller,
00:19:58
spricht am Tag der Veranstaltung von einer Besucherzahl von weit über eine Million.
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Doch diese Zahl findet sich nirgends in den internen Unterlagen.
00:20:05
Denn mit solchen Zahlen hätte die Lopawendt niemals eine Genehmigung bekommen.
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Eigentlich sollten doch 485.000 kommen dürfen.
00:20:13
Genau, das ist die Gesamtzahl an...
00:20:16
Über den ganzen Tag.
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Genau, aber gleichzeitig auf diesem alten Güterbahnhof dürfen nur 250.000 laut der Genehmigung,
00:20:24
aber das ist eigentlich auch nicht richtig.
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Und der Veranstalter sollte das ja eigentlich wissen, aber spricht von einer Million.
00:20:29
Also mehr als doppelt so viele, wie eigentlich kommen sollten.
00:20:33
Genau, und aus einem Dokument, der Lopawendt, geht halt hervor,
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dass diese internen Zahlen auf keinen Fall an die Öffentlichkeit dringen sollten.
00:20:43
Warum das denn nur?
00:20:44
Das würde ja dem Image der Love Parade immensen Schaden zufügen.
00:20:48
Am Tag der Veranstaltung geht das Planungschaos weiter.
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Als sich drei Stunden vor Beginn der Krisenstab trifft,
00:20:55
fehlen wichtige Personen, wie zum Beispiel der leitende Notarzt.
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Er ist nicht eingeladen.
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Als der später auf dem Festivalgelände ankommt und nach einem mobilen Funkgerät fragt,
00:21:05
wird ihm gesagt, er habe doch ein Gerät im Auto.
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Dass ein Notarzt aber nicht nur im Auto unterwegs ist,
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ist den Verantwortlichen vor Ort scheinbar nicht klar.
00:21:13
Auf erneute Nachfrage wird ihm gesagt, er solle dazu doch sein Handy benutzen.
00:21:17
Ja, weil wir wissen, dass das bei Großveranstaltungen immer super funktioniert mit dem Netz.
00:21:22
Zur selben Zeit, als auch der Notarzt ankommt, treffen die ersten Raver am Duisburger Hauptbahnhof ein.
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4.000 PolizistInnen und 1.000 OrdnerInnen sollen laut Lopawendt-Modell den Besucherstrom regeln.
00:21:34
Am Ende sind aber nur 774 OrdnerInnen tatsächlich vor Ort, die die Menschen über zwei Richtungen leiten sollen.
00:21:41
Also die meisten Leute kommen an diesem Tag mit dem Zug an.
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Und vom Hauptbahnhof werden sie dann in zwei verschiedene Richtungen geleitet.
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Also die eine Hälfte vorne raus und die andere Hälfte hinten.
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Und dann um das Festivalgelände herum.
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Also von beiden Seiten.
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Und dann müssen beide Ströme jeweils durch einen Tunnel.
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Die einen halt durch den Ost und die anderen durch den Westtunnel.
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Und dann treffen sie sich auf dieser Rampe wieder.
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Weil das ist ja der einzige Eingang.
00:22:09
Und auch Ausgang.
00:22:11
Das heißt, die wollen da auch raus oder was?
00:22:13
Auf dem gleichen Weg?
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Und die sind nicht voneinander getrennt, die die raus und die die rein wollen?
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Wie soll das denn funktionieren?
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Also die strömen sich entgegen?
00:22:24
Und auf beiden Seiten sind Tunnel, ja.
00:22:27
Auf der Seite, wo man dann, bevor man zu der Rampe kommt.
00:22:29
Also beide Ströme von beiden Seiten müssen einmal erstmal durch so einen Tunnel.
00:22:33
Und dann treffen die sich vor dem Tunnel sozusagen.
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Und da ist dann die Rampe, die hochführt.
00:22:39
Und das ist, wie gesagt, der einzige Weg, auf dieses Gelände zu kommen.
00:22:43
Weil das auch sonst mit Zäunen umrahmt ist.
00:22:46
Und das ist was Neues für die Love Parade, die ja auch kostenlos ist.
00:22:50
Also man muss ja nicht irgendwo Karten abgeben oder so.
00:22:52
Und die Zäune haben halt einen einfachen Grund.
00:22:55
Bei einem eingezäunten Gelände gilt die Versammlungsstättenverordnung.
00:22:59
Dann ist für die Kosten auf dem Gelände der Veranstalter verantwortlich.
00:23:02
Also Müll, Entsorgung, Rettungskräfte und so weiter.
00:23:06
Wenn alles frei zugänglich ist, wie zuvor in Dortmund oder auch in all den Jahren in Berlin,
00:23:10
dann ist die Stadt für die Kosten verantwortlich.
00:23:12
Doch das wollte man hier nicht.
00:23:14
Duisburg darf wegen des Haushaltssicherungsgesetzes solch hohe Kosten nämlich nicht übernehmen,
00:23:19
weil die Stadt seit Jahren hoch verschuldet ist.
00:23:22
Die Zäune machten die Love Parade also erst möglich.
00:23:25
Dass durch diese Absperrungen Rettungskräfte schwierig zu ihren Einsatzorten kommen, war offenbar das kleinere Übel.
00:23:33
Schnell wird an dem Tag deutlich, dass die Besucherzahl für Duisburg zu groß ist.
00:23:37
Bereits vor offizieller Eröffnung muss die Polizei eingreifen, um den großen Andrang abzubremsen,
00:23:43
damit die Leute, die vorne am Eingang des Festivalgeländes stehen, nicht zu Schaden kommen.
00:23:48
Denn dort geht es nicht weiter, weil der Veranstaltungsort noch nicht bereit ist.
00:23:53
Eigentlich sollte um 11 Uhr geöffnet werden.
00:23:56
Doch wegen bis zuletzt andauernder Planierarbeiten öffnen sich die Tore erst um 12 Uhr.
00:24:01
Eine Durchsage, wie es im Sicherheitskonzept geplant war,
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um BesucherInnen an der Rampe zu informieren und dann gegebenenfalls umzuleiten, erfolgt nicht.
00:24:10
Eine Anlage für solche Durchsagen war zwar eine Auflage der Genehmigung,
00:24:14
aber vom Veranstalter nicht installiert worden, weil technisch nicht umsetzbar und zu teuer.
00:24:20
Als dann ab 14 Uhr diese großen Paradewagen über das Gelände fahren,
00:24:25
wirken die dann wie so eine Sperre.
00:24:27
Also für die Leute, die von der Rampe hochkommen, um weiter auf das Gelände zu kommen,
00:24:32
ist das ja wie so eine Sperre gewesen, weil die daran immer wieder vorbeigefahren sind.
00:24:36
Und deswegen staut es sich im Eingangsbereich gegen 15 Uhr erneut.
00:24:41
Um 15.30 Uhr wird die Polizei dann vom sogenannten Crowdmanager,
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der sitzt in diesem Container und beobachtet alles,
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gebeten zu helfen bei der Steuerung von den Besucherströmen.
00:24:53
Doch die Polizei reagiert nicht rechtzeitig, weil gerade ein Schichtwechsel stattfindet.
00:24:58
Auf der Rampe halten sich deswegen zu dieser wichtigen Zeit zu wenig handlungsbefugte Polizistinnen auf.
00:25:05
Somit kommt es erst ab 15.45 Uhr zu einer Reaktion,
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und zwar zu Polizeiketten im Eingangsbereich.
00:25:12
Das heißt, die Polizisten stellen sich alle nebeneinander auf,
00:25:16
damit die keine Besucher durchlassen mehr.
00:25:18
Und während die das machen, setzt die Kommunikation zwischen Zentrale und Polizei vor Ort immer wieder aus.
00:25:24
Um 16.16 Uhr stürzt dann eine Polizeikette im Osttunnel ein.
00:25:29
Und das ist der Moment, als Eike und seine Freunde in dem Tunnel sind
00:25:33
und dann diese 50 Meter plötzlich nach vorne geschoben werden.
00:25:36
Mit ihnen strömt die ganze Masse aus dem Osttunnel ungehindert auf die Rampe
00:25:41
und der Polizeikette, die im Westtunnel eingerichtet wurde, in den Rücken,
00:25:45
weshalb die dann auch nach wenigen Minuten einstürzt.
00:25:50
Auf der Rampe wird es schließlich so voll, dass sich auf einem Quadratmeter acht bis zehn Menschen drängen.
00:25:56
Oh Gott, das geht ja auch nur übereinander.
00:25:59
Ja, und dann kommt es zur Katastrophe.
00:26:02
Und wer genau die zu verantworten hat, soll die Staatsanwaltschaft klären.
00:26:06
Im Rahmen ihrer Ermittlungen zieht sie einen britischen Crowd-Science-Forscher hinzu.
00:26:11
Und seinem Gutachten zufolge hätten Verantwortliche bei der Planung fehlerhaft gehandelt,
00:26:16
weil das Versagen des Modells halt schon vorhersehbar war,
00:26:21
wie es auch bei dir gerade schon vorhersehbar war,
00:26:24
weil du dich gefragt hast, wie sollen Leute im gleichen Weg rein- und rauskommen.
00:26:28
Und auf Grundlage der Ergebnisse dieses Forschers
00:26:32
hebt die Staatsanwaltschaft im Februar 2014 dann Anklage
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wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung gegen zehn Personen.
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Darunter vier leitende Loper-Wend-MitarbeiterInnen
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und sechs MitarbeiterInnen der Stadt.
00:26:45
Nicht darunter Loper-Wend-Chef Rainer Schaller und Oberbürgermeister Adolf Sauerland.
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Nachdem für die beiden klar ist, dass sie nicht belangt werden,
00:26:53
melden sie sich noch einmal zu Wort.
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Schaller gibt an, dass er als Veranstalter eine moralische Verantwortung habe,
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denn ohne die Veranstaltung wäre ja niemand gestorben.
00:27:02
Er sagt, Menschen hätten Fehler gemacht
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und diese sollen von der Justiz aufgedeckt werden.
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Auch Sauerland übernimmt moralische Verantwortung, sagt er.
00:27:11
Eigene Fehler räumt er aber, genau wie Schaller, nicht ein.
00:27:14
An vieles, was die Planung im Vorfeld angeht, können sich die beiden aber auch gar nicht erinnern,
00:27:21
Doch zum Prozess kommt es nicht.
00:27:24
Das Landgericht lehnt die Eröffnung des Hauptverfahrens Ende März 2016 ab.
00:27:28
Der Grund, das Gutachten enthalte inhaltliche Mängel.
00:27:32
Daraufhin kümmert sich die Staatsanwaltschaft um einen zweiten Gutachter.
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Das alles kostet Zeit.
00:27:38
Aber auch er kommt zu dem Ergebnis,
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wenn das Konzept im Vorfeld mit Fachverstand überprüft worden wäre,
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hätte man den Gefahren ganz anders begegnen
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oder die Veranstaltung absagen müssen.
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Für ihn habe aber auch die Polizei mit Schuld.
00:27:51
Die Polizeiketten im Eingangsbereich hätten die Stauungen weiter verschärft.
00:27:54
Doch von der Polizei sitzt niemand auf der Anklagebank.
00:27:57
Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens ein.
00:28:02
Am 8. Dezember 2017 beginnt endlich der Mammutprozess.
00:28:06
Sieben Jahre nach der Love Parade.
00:28:09
Für die Hinterbliebenen der Opfer ist diese Verhandlung extrem wichtig.
00:28:13
Dabei geht es ihnen nicht unbedingt um die Verurteilung der Angeklagten,
00:28:17
sondern um die Antwort auf die Frage, die sie sich seit sieben Jahren stellen.
00:28:21
Warum mussten unsere Liebsten sterben?
00:28:23
In den folgenden 13 Monaten werden 96 von 111 angelegten Verhandlungstage absolviert,
00:28:31
8 Sachverständige und 58 Zeugen und Zeuginnen gehört.
00:28:34
Mitte Januar 2019 gibt das Gericht dann bekannt,
00:28:38
dass es die Schuld der Angeklagten nach einer vorläufigen Einschätzung
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als im unteren Bereich angesiedelt sehe
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und deshalb eine Einstellung des Verfahrens unter näher auszuhandelnden Bedingungen befürworte.
00:28:49
Der Vorsitzende Richter Mario Plein führt als Argument dafür an,
00:28:53
dass letztendlich viel mehr Personen als nur die zehn Beschuldigten
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für die Katastrophe verantwortlich seien.
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Ein kollektives Versagen vieler Personen am Veranstaltungstag
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sei mitverantwortlich gewesen.
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Tatsächlich ging es in der letzten Zeit nicht mehr so sehr um die Schuldfrage,
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sondern um einen Deal, um die Verhandlung einstellen zu können.
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Zwar habe sich im Laufe der Verhandlung vieles im Sinne der Anklage bestätigt,
00:29:16
allerdings müsste man noch mehr als 500 weitere Zeugen und Zeuginnen hören,
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um zu einem Urteil zu gelangen.
00:29:22
Und das ist wohl auch gar nicht machbar,
00:29:24
weil die Taten am 24. Juli 2020 verjähren.
00:29:29
Anfang Februar stimmt die Staatsanwaltschaft dann einer Einstellung des Verfahrens zu.
00:29:33
Auch sie sieht keine Chance,
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das erforderliche Beweisprogramm bis dahin zu absolvieren.
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Das gibt's ja nicht.
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Sieben der zehn Angeklagten stimmen der Einstellung ohne Auflagen zu.
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Für drei Mitarbeiter von Lopavend,
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denen eine etwas größere Schuld unterstellt wird,
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geht der Prozess weiter.
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Sie wollten eine Geldauflage in Höhe von etwa 10.000 Euro nicht zahlen
00:29:53
und hoffen auf Freispruch.
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Für Eikes Familie und viele andere Hinterbliebene und Betroffene
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ist dieses Ergebnis die Katastrophe nach der Katastrophe.
00:30:02
Nachdem die Staatsanwaltschaft der Einstellung im Februar 2019 zustimmt,
00:30:06
tritt Eikes Vater Klaus-Peter vor die Presse,
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um seinem Unmut Luft zu machen.
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Für ihn handelt es sich um einen Justizskandal,
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durch den sein Sohn ein zweites Mal stirbt.
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eine Einstellung wegen geringer bis mittlerer Schuld
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kommt einem strafrechtlichen Freibrief für die Eventbranche
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und die Genehmigungsbehörden gleich.
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Je mehr Personen an einem Event mitwirken,
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desto schneller und häufiger verflüchtigen sich
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die dem Individuum zu rechnenden Anteile.
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Desto geringer scheint die individuelle Verantwortung.
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Der Prozess zeigt also,
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dass man Entscheidungen offenbar nur auf möglichst viele Köpfe verteilen muss
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und Strukturen undurchschaubar gestalten,
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um im Ernstfall ungeschoren davon zu kommen.
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Richter Plein hat Eikes Familie versprochen,
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dass egal wie der Prozess endet,
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das Gericht am Schluss Feststellungen zur Schuld treffen wird.
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Dass dabei aber konkrete Namen genannt werden,
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ist unwahrscheinlich.
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Dass Eikes Familie eine fundierte und ausführliche Antwort auf ihre Frage bekommt,
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Abschließend möchte ich mit einem Zitat,
00:31:03
das ich sehr treffend finde für diesen Fall.
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Es stammt von der deutschen Sozialpädagogin Helga Schäferling und lautet,
00:31:10
Auch derjenige, der zulässt, trägt seinen Teil der Verantwortung.
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Also wenn die drei, die jetzt noch auf der Anklagebank sitzen,
00:31:17
freigesprochen werden,
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dann war am Ende niemand wirklich schuld.
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Ja, zumindest trägt juristisch keiner die Verantwortung.
00:31:24
Der Richter hat ja gesagt,
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dass er am Ende Aussagen über Schuld treffen will.
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Aber wie er das machen will, frage ich mich halt auch.
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Also am Ende heißt das dann,
00:31:34
diese zwölf Gewerke tragen die Schuld daran.
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Aber es wird nicht dafür reichen,
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bestimmte Personen schuldig zu sprechen.
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Das könnten sie ja dann sagen.
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Und wem ist dann damit geholfen?
00:31:44
Ja, also für die Hinterbliebenen und die Betroffenen und Geschädigten,
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also für die ist das der absolute Super-GAU, ja.
00:31:52
Ich meine, das hat ja auch sieben Jahre gedauert,
00:31:55
bis es überhaupt erst angefangen hat.
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2014 wurde Anklage erhoben.
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2016 wird gesagt, machen wir nicht,
00:32:03
weil die ja dann gesagt haben,
00:32:05
dass das Gutachten fehlerhaft ist
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und dass so kein genügender Verdacht ist sozusagen,
00:32:11
also dass es sich nicht lohnen würde.
00:32:12
Und da hätte man aber auch früher schon äußern können,
00:32:16
dass man Zweifel hat an dem Gutachten und so weiter.
00:32:20
Weil dann hätte die Staatsanwaltschaft ja schon früher reagieren können mit dem zweiten Gutachter.
00:32:24
Das war ja dann erst zwei Jahre zu spät sozusagen.
00:32:28
Also ist der GAU auch ausgemacht?
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Ja, also mit Schuldzuweisung ist das ja auch schwer.
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Also man hätte auch möglicherweise diese Verjährung aussetzen können.
00:32:39
Also es hätte schon Möglichkeiten gegeben,
00:32:41
dass man das noch verlängern kann.
00:32:44
Aber das Gericht sieht auch nicht unbedingt Erfolgschancen.
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auch wenn sie das jetzt ganz durchziehen werden,
00:32:49
machen sie ja möglicherweise auch.
00:32:52
Ich habe bei deiner Erzählung alleine schon Herzrasen bekommen,
00:32:56
weil ich sowieso ja viele Menschen nicht so auf einem Haufen kann.
00:33:02
Aber das muss ja so furchtbar sein,
00:33:05
wenn du einfach nur Menschen um dich herum siehst
00:33:08
und du weißt, es gibt keinen Ausweg.
00:33:10
Du kannst nirgends hin.
00:33:12
Und es kommen immer mehr.
00:33:13
Und im Rahmen meiner Recherche habe ich ja auch einige Videos angeguckt,
00:33:18
aber irgendwann musste ich dann auch stoppen.
00:33:21
Das ist so schlimm.
00:33:22
Und was man ja auch dazu sagen muss,
00:33:24
es sind nicht 21 Tote.
00:33:27
Es sind 21 Tote und mehr als 650 Verletzte
00:33:30
und mehrere hundert Traumatisierte, ja.
00:33:34
Die bis heute nicht arbeiten können,
00:33:36
die nicht rausgehen können,
00:33:37
keine öffentlichen Verkehrsmittel fahren können.
00:33:41
Ja, und wenn man an die Love Parade in Duisburg denkt,
00:33:43
dann kommt einem ja auch schnell das Wort Massenpanik in den Sinn.
00:33:47
Warum dieser Begriff aber missverständlich sein kann
00:33:50
und auch die Verantwortlichkeit auf die Falschen lenken kann,
00:33:53
dazu komme ich immer im Aha.
00:33:55
Der Begriff Massenpanik bezeichnet erstmal ein Unglück
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mit einer großen Anzahl von Menschen auf engem Raum,
00:34:01
wobei diese Begrenztheit des Raumes mit zum Unglück beiträgt.
00:34:06
Und die Menschenmasse gerät in Panik
00:34:08
und dadurch kommt es dann zu unkontrollierten Fluchtbewegungen.
00:34:12
Und die können dann dazu führen,
00:34:14
dass Menschen erdrückt werden,
00:34:15
dass gequetscht wird
00:34:16
und dass, ja, teilweise auch Leute tödlich verletzt werden.
00:34:20
Massenpaniken können überall dort entstehen,
00:34:22
wo viele Menschen aufeinander treffen,
00:34:23
wie zum Beispiel bei Fußballspielen,
00:34:25
auf Konzerten oder im Rahmen religiöser Veranstaltungen.
00:34:29
Und Auslöser sind häufig Brände, Explosionen
00:34:32
oder auch nur das Verhalten Einzelner.
00:34:34
So kann Panik zum Beispiel entstehen,
00:34:36
wenn Angst vor einer Bombenexplosion herrscht.
00:34:39
Das gab es zum Beispiel 2010 in Amsterdam.
00:34:41
Da gibt es jährlich eine Schweigeminute für gefallene Soldaten
00:34:46
und dabei sind tausende Menschen gleichzeitig auf so einem Platz zusammen.
00:34:50
Und dort brach Panik aus,
00:34:52
weil ein Mann einen Koffer hat fallen lassen
00:34:54
und eine Frau neben ihm Bombe schrie.
00:34:56
Und die herumstehenden Menschen
00:34:58
versuchten dann eben in Panik davon zu rennen.
00:35:02
Hat sie das wirklich gedacht?
00:35:03
Das kannst du doch nicht machen.
00:35:05
Das machen manche ja auch aus Spaß, ne?
00:35:07
Irgendwer hat mir mal erzählt,
00:35:09
dass der bei einer Veranstaltung,
00:35:11
der hat aus Spaß einen Rucksack in die Menge geworfen
00:35:14
und Bombe geschrien.
00:35:15
Nein, das ist so gefährlich.
00:35:17
Da war das ja dann auch,
00:35:19
es war ja falscher Alarm
00:35:21
und die Leute sind dann halt weggerannt
00:35:23
und es kam halt zu so einer Massenpanik,
00:35:25
weil die halt Todesangst haben,
00:35:27
weil die dachten, die explodiert gleich die Bombe.
00:35:30
Und so ging das auch hunderten Teenagern 2018
00:35:33
in einem italienischen Nachtclub.
00:35:35
Da hatte nämlich jemand mit Reizgas gesprüht
00:35:37
und die ClubbesucherInnen haben halt gedacht,
00:35:40
es brennt wegen dem Geruch
00:35:41
und sind dann halt in Panik zu dem Ausgang gelaufen,
00:35:44
der aber viel zu klein war für die ganzen Leute.
00:35:46
Und dabei sind sechs Menschen gestorben.
00:35:49
Und durch teilweise auch nur so kleine Auslöser
00:35:52
können dann einzelne Menschen in Panik geraten
00:35:54
und die können dann andere damit anstecken.
00:35:56
Forscher des Max-Planck-Instituts
00:35:58
haben das Phänomen der Gruppendynamik untersucht
00:36:00
und gezeigt, dass Menschen bei engem und unter hohem Stress
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soziale Signale einer Gruppe stärker ausgesetzt sind
00:36:06
als in weniger stressigen Situationen.
00:36:08
Also die nehmen dann viel intensiver wahr,
00:36:11
wohin sich eine Gruppe bewegt,
00:36:13
was sie tut und wie sie sich fühlt
00:36:15
und es somit stärker beeinflusst.
00:36:17
Und dann kommt es eher dazu,
00:36:19
dass Einzelne der Gruppe folgen,
00:36:21
die das normalerweise vielleicht gar nicht machen würden.
00:36:23
Und dann kann es zu diesem gedrängten Herdenverhalten führen
00:36:27
und auch halt zu Unfällen.
00:36:28
Doch bei der Love Parade
00:36:31
findet sich ja gar kein richtiger Auslöser einer Panik.
00:36:34
Also niemand hatte Angst vor einer Bombe
00:36:36
und es hat ja auch nicht gebrannt.
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Deshalb halten viele Experten den Begriff Massenpanik
00:36:41
für Unglücke wie dem in Duisburg für falsch.
00:36:45
Empirisch ist nämlich nicht nachgewiesen,
00:36:46
dass durch das bloße Zusammenkommen
00:36:48
einer großen Anzahl von Menschen
00:36:50
dann Panik ausgelöst werden kann.
00:36:52
Der US-amerikanische Geograf Paul Torres
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sagt die Vorstellung einer hysterischen Masse
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Er sagt, dass eine Masse
00:37:00
einzelne Unruheherde
00:37:02
sehr effektiv beruhigen kann.
00:37:04
Und verschiedene Untersuchungen haben gezeigt,
00:37:06
dass die meisten Menschen in solchen Situationen
00:37:08
wie der in Duisburg
00:37:09
weder egoistisch noch unüberlegt reagieren.
00:37:12
Im Gegenteil zeigen sich viele Menschen hilfsbereit.
00:37:15
Und es neigt auch nur ein Prozent aller Menschen
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in Notsituationen zu panikartigem
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und irrationalen Verhalten.
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Der deutsche Physiker Michael Schreckenberg
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hat nach einer Analyse von 127 solcher Fälle
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Panik als Ursache ausgeschlossen.
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Vielmehr seien physikalische Prozesse
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Schuld an Todesfällen bei Menschenansammlungen.
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Das zeigen auch die Studien
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des Soziophysikers Professor Dirk Helbing.
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Der hat nämlich Videoaufnahmen
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der Love Parade ausgewertet.
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Und ist zu dem Ergebnis gekommen,
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dass die Ursache für die Todesfälle
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keine wild gewordene Menschenmenge war,
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sondern die zu große Dichte an Menschen.
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Und er nennt dieses Phänomen Massenbeben.
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Denn wenn immer mehr Menschen
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auf einen begrenzten Raum strömen,
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dann berühren sich ihre Körper ja irgendwann.
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Und es kommt dann zu unbeabsichtigten Bewegungen,
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die sich wie eine Welle fortsetzen.
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Panisches und rücksichtsloses Verhalten
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habe Helbing nur von sehr wenigen auf den Videos gesehen.
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Und auch erst in der allerletzten Phase.
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Denn in Panik geraten Menschen eigentlich erst,
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wenn sie bereits lebensbedrohlichen Kräften ausgesetzt sind.
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Und deswegen ist der Begriff Massenpanik halt problematisch
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für solche Fälle wie der Love Parade.
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Weil es halt den Menschen eine Mitschuld gibt.
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Und das ist gefährlich,
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wie man ja auch an Duisburg gesehen hat,
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weil der Oberbürgermeister und der Sicherheitsdezernent
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am Abend noch den Opfern quasi die Schuld gegeben hat.
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Also was das für die Opfer und die Hinterbliebenen
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und deren Psyche bedeutet, ist gefährlich.
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Aber so eine Mitschuld erschwert ja auch,
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die richtigen Konsequenzen zu ziehen aus so etwas
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und dann bei künftigen Veranstaltungen anders zu handeln.
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Also und wer da nun wirklich halt gar nichts für kann,
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sind die Leute, die da auf das Gelände gelassen wurden.
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Das ist ja absurd.
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Bei meinem Fall konnte bisher juristisch auch noch niemand
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wirklich zur Verantwortung gezogen werden.
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Er zeigt, dass Sicherheitslücken, die man schließen will,
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manchmal für ganz neue Sorgen.
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Sie hatte so gehofft, dass sie dabei sein kann.
00:39:15
Und jetzt ist es doch nichts geworden.
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Linda ist traurig.
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Sie wollte auch so gern mit nach Renaz de Valles,
00:39:22
eine kleine Stadt, die in der Nähe von Barcelona liegt.
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Gerade erst waren zwölf spanische Schüler bei ihr auf der Schule
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und nun wollte sie gerne sehen, wie die so leben,
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wie sie unterrichtet werden.
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Aber auf den acht-tägigen Sprachaustausch
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hatten sich 40 Schülerinnen und Schüler beworben.
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Es gibt aber nur 16 Plätze.
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Also hat das Los entschieden, wer von ihnen mit darf.
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Und Lindas Name ist nicht dabei.
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Das ist ein Rückschlag,
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denn die 15-Jährige will raus in die Welt und sie erkunden.
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Dafür will sie jede Möglichkeit nutzen, die sie hat.
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Deswegen macht die Zehnklässlerin auch noch während der Schulzeit
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einen Auslandsaufenthalt in Houston, Texas.
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Bald werden die Gastfamilien dafür zugeteilt.
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Lindas Sehnsucht nach der weiten Welt sieht man auch in ihrem Kinderzimmer.
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Paris, London, New York.
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Von diesen Städten hat sie gemalte Bilder in schwarzem, dünnen Rahmen in ihrem Zimmer aufgehängt.
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An der rot gestrichenen Wand gegenüber kleben etliche Fotos von ihr und ihren Freundinnen.
00:40:18
Sie zeigen die Mädchen mit ihren langen Haaren auf Ausflügen, beim Grimassenschneiden, beim Lachen.
00:40:24
Jetzt ist Linda aber nicht zum Lachen zumute.
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Sie wäre so gern mitgefahren.
00:40:30
Aber Linda hat Glück.
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Einige Zeit später gibt es Nachrückverfahren.
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Und plötzlich ist sie doch dabei.
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Als sie am Dienstagmorgen des 17. März 2015 aus ihrem Zimmer im Dachgeschoss kommt,
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freut sie sich auf die Reise.
00:40:44
Auch, wenn sie dann für einige Zeit von ihrer Familie getrennt ist.
00:40:47
Linda hat einen jüngeren Bruder, Christian.
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Er ist neun und hat ganz hellblonde Haare.
00:40:52
Auch Mutter Steffi und Vater Willi werden in der Zeit ihre Teenie-Tochter vermissen.
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Aber es sind ja immerhin nur acht Tage.
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Acht Tage, in denen Linda ihre Spanischkenntnisse vertiefen und eine andere Kultur entdecken kann.
00:41:05
Tschüss, tschüss, ruft Linda noch, als sie das Haus verlässt und in das Auto steigt,
00:41:08
dass sie Richtung Flughafen Düsseldorf fahren soll.
00:41:11
Hallo Maus, wie war der Flug?
00:41:13
Alles okay bei dir?
00:41:14
Schreibt Steffi ihrer Tochter bei WhatsApp.
00:41:16
Lindas Antwort, kannst du zu Aldi fahren und mir Guthaben holen?
00:41:20
Typisch Teenager.
00:41:21
Die nächsten Tage steht ein straffes Programm auf dem Plan.
00:41:24
Die beiden begleitenden Lehrerinnen haben festgelegt,
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erst die Gastfamilien vor Ort kennenlernen,
00:41:30
dann gibt es jeden Tag Unterricht in der Partnerschule,
00:41:32
Ausflüge in andere Städte, zum Strand, ins Theater.
00:41:35
Eine Woche voller Eindrücke.
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Am Abflugtag bringen die Gastfamilien ihren Besuch aus Deutschland noch zum Bahnhof.
00:41:41
Von dort aus fällt der Zug zum Flughafen.
00:41:44
Die Jugendlichen liegen sich in den Armen, hoffen auf ein baldiges Wiedersehen.
00:41:47
Ein Kellner aus einem Café beobachtet die Szene,
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wie sich die Schülerinnen und Schüler voneinander verabschieden.
00:41:53
Auf ihn wirkt das Bild lustig.
00:41:55
Die Jugendlichen aus Deutschland sind alle viel größer und blonder als die von der örtlichen Schule.
00:42:01
Als Linda im Zug sitzt, bekommt sie eine Nachricht von ihrer Mutter Steffi.
00:42:04
Da ist es kurz vor acht.
00:42:05
Hallo Maus, seid ihr schon unterwegs?
00:42:07
Wie war Barcelona?
00:42:10
Linda antwortet, dass sie schon im Zug sitzen und sie nachher Fotos zeigen wird,
00:42:14
wenn sie nach Hause gekommen ist.
00:42:15
Okay, gute Fahrt.
00:42:17
Eine Schülerin fällt auf den Weg auf,
00:42:19
dass sie ihren Ausweis bei der Gastfamilie hat liegen lassen.
00:42:21
Aber die Spanier fahren ihn mit dem Auto hinterher
00:42:24
und bringen ihr Dokument noch zum Flughafen.
00:42:27
Es ist halb zehn, als Linda und ihre MitschülerInnen boarden.
00:42:30
Um kurz nach zehn Uhr mit etwas Verspätung startet der German Rings Flug 4U9525 mit 150 Menschen an Bord.
00:42:38
Steffi macht heute Homeoffice.
00:42:41
Lindas Bruder Christian ist in der Schule.
00:42:44
Um zwölf Uhr zwanzig schickt Steffi Linda nochmal eine WhatsApp.
00:42:46
Hallo Maus, seid ihr gut gelandet?
00:42:48
Wann und wo sollen wir dich abholen?
00:42:50
Aber die Nachricht kommt nicht durch.
00:42:53
Steffi ist gerade am Telefon, als Willi zu ihr ins Zimmer gerannt kommt.
00:42:57
Das Flugzeug ist abgestürzt.
00:43:00
Steffi bekommt nicht wirklich mit, was ihr Mann ihr da entgegenschreit.
00:43:04
Zwei Tage, nachdem das Flugzeug in den französischen Alpen zerschellte,
00:43:08
gibt die französische Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz.
00:43:11
Schon vor einigen Stunden häuften sich die Vermutungen,
00:43:14
dass der Co-Pilot das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht haben könnte.
00:43:18
Staatsanwalt Breis-Robin aus Marseille bestätigt dies nach Auswertung des Stimmrekorders
00:43:23
an diesem Donnerstagnachmittag.
00:43:25
Er sagt, dass die neuen Erkenntnisse jetzt wohl zur Ermittlung wegen fahrlässiger Tötung führen werden.
00:43:31
Von den 31 Minuten, die der Stimmrekorder aufgenommen hatte,
00:43:35
konnten sie rekonstruieren, das offenbar in den letzten Minuten passierte.
00:43:40
Der Pilot, Patrick S., entschuldigt sich bei den Passagieren für den verspäteten Start.
00:43:44
Kurz nach dem Abflug teilt der Kapitän dem Co-Piloten Andreas L. mit,
00:43:48
dass er es nicht mehr geschafft hat, auf Toilette zu gehen.
00:43:51
Um ca. halb elf, als sie die Reiseflughöhe erreichen,
00:43:54
bittet er Andreas L. zu übernehmen.
00:43:56
Der 27-Jährige antwortet darauf,
00:43:59
du kannst jetzt gehen.
00:44:00
Danach ist zu hören, wie
00:44:02
vermutlich der Pilot Patrick S. seinen Sitz verstellt,
00:44:05
den Sicherheitsgurt löst und seinem Kollegen mitteilt,
00:44:08
dass er jetzt die Kontrolle über die Maschine hat.
00:44:10
Darauf antwortet Andreas L.
00:44:14
Kurz darauf verschließt er von innen die Kabinentür,
00:44:17
sodass von außen niemand mehr herein kann.
00:44:20
Dann programmiert er den Autopiloten für den Sinkflug.
00:44:23
Das fällt der französischen Duftüberwachung auf.
00:44:26
Sie versuchen daraufhin per Funk die Maschine zu erreichen.
00:44:29
Aber im Flug 4U9525 reagiert keiner.
00:44:33
Vier bis fünf Minuten, nachdem der Pilot die Kabine verlassen hat,
00:44:37
hört man von außen erst ein leises, dann ein lauteres Klopfen
00:44:41
Mach die Tür auf, ich bin's.
00:44:43
Kurze Zeit später klickt etwas Metallendes gegen die Tür.
00:44:46
Wahrscheinlich ein Feuerlöscher oder ein Sauerstofftank.
00:44:49
In der Zwischenzeit sinkt das Flugzeug weiter.
00:44:52
Während Patrick S. von draußen jetzt offenbar versucht,
00:44:55
mit einem Brecheisen die Panzertür aufzuhebeln,
00:44:57
hört man im Cockpit die Alarmsignale
00:44:59
Sink, wait, pull up.
00:45:01
Innerhalb des Cockpits ist es ansonsten still.
00:45:04
Nur das gleichmäßige Atmen von Andreas L. hört man.
00:45:07
Er hat sich wohl eine Sauerstoffmaske aufgesetzt.
00:45:10
Von draußen hört man jetzt lautere Hintergrundgeräusche.
00:45:13
Öffne die scheiß Tür, schreit der Pilot von außen.
00:45:17
Als die Maschine mit einem Flügel einen Felsen touchiert,
00:45:20
wird es noch lauter im Flugzeug.
00:45:22
Um 10.41 Uhr und sechs Sekunden ist alles vorbei.
00:45:26
Das Flugzeug zerschellt in den französischen Alpen bei Levanais.
00:45:30
Die Rekordaufnahme endet.
00:45:32
Eine Journalistin will wissen, warum Staatsanwalt Robin in seinen Ausführungen
00:45:37
nicht von einem Suizid spricht.
00:45:38
Für den Staatsanwalt ist Suizid ein individueller Akt.
00:45:42
Das Wort zu benutzen, findet er unpassend, wenn jemand die Verantwortung für das Leben von 149 Menschen trägt.
00:45:48
Freunde kommen und unterstützen Lindas Familie,
00:45:51
kümmern sich um Lindas kleinen Bruder, der vieles nicht versteht.
00:45:54
Wenn Steffi schläft und isst, fragt sie sich danach, wie das geht.
00:45:59
Alles ist vernebelt.
00:46:01
Manche Dinge erlebt Steffi und fühlt sich dabei gar nicht, als wäre sie so richtig dabei.
00:46:05
Einem Freund berichtet sie von einem Gottesdienst, bei dem sie war.
00:46:10
Der Freund hatte währenddessen neben ihr gesessen.
00:46:12
Bei der spanischen Austauschschule ging noch nach Bekanntwerden des Absturzes eine Weile das Gerücht rum,
00:46:18
dass es die Gastfamilie mit dem Ausweis vielleicht nicht mehr rechtzeitig geschafft hatte
00:46:22
und deswegen nicht alle geflogen sind.
00:46:25
Darauf hatten sie gehofft.
00:46:26
Umso schmerzhafter war es nachher zu erfahren, dass es alle rechtzeitig ins Flugzeug geschafft hatten.
00:46:32
Für manche ist es schwer zu akzeptieren, dass es der Zufall war,
00:46:36
der entschied, wer an diesem Tag Opfer dieser Tat wurde.
00:46:39
Schon auf seinem Hinflug hatte L, während sein Kollege auf Toilette war,
00:46:43
die Höhe des Flugs auf 100 Fuß gestellt, korrigierte sie danach aber gleich wieder.
00:46:47
Als der Pilot zurückkam, gewährte er ihn durch den Öffnungsmechanismus im Cockpit wieder zutritt.
00:46:52
Die Willkür schmerzt, macht das Warum für einige noch größer.
00:46:57
Die Antworten auf die Frage, warum sich der Co-Pilot nicht allein das Leben nahm, scheinen ferner denn je.
00:47:02
Die anderen im Flugzeug kannte er nicht, aber den Piloten doch, denkt sich Lindas Mutter.
00:47:09
Er wusste doch, wer er war, dass er Familienvater war und zwei Kinder und eine Frau zu Hause auf ihn warteten.
00:47:15
Die Besatzungsmitglieder waren keine Fremden.
00:47:18
Und dennoch nahm er sie mit in den Tod.
00:47:20
Am 3. April wird bekannt, dass die Ausweitung des Flugdatenschreibers die bisherige Theorie unterstützt.
00:47:26
Die verbleibende Person im Cockpit hatte den Autopiloten so eingestellt,
00:47:30
dass der Flieger auf 100 Fuß sinkt und dabei gleichzeitig die Geschwindigkeit erhöht.
00:47:34
Andreas L. hatte schon seit Jahren mit Depressionen zu kämpfen.
00:47:38
Er unterbrach sogar seine Ausbildung bei der Lufthansa zwischen 2008 und 2009 deswegen.
00:47:43
Die Fluggesellschaft wusste davon.
00:47:45
Nach seiner erfolgreichen Behandlung setzte er seine Ausbildung fort und schloss sie ab.
00:47:49
Andreas L. war ein guter Schüler.
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Seine Ausbilder bescheinigten ihm damals überdurchschnittliche Fähigkeiten.
00:47:55
Seitdem verlängerten ihm Lufthansa-ÄrztInnen regelmäßig seine Tauglichkeitszeugnisse.
00:48:00
Sie wussten von seiner Vorerkrankung und, dass er damals nur durch eine Sondergenehmigung die Ausbildung beenden konnte.
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Bei L. wurden aber danach von Seiten des Flugkonzerns bei den Untersuchungen und Gesprächen keine Auffälligkeiten mehr festgestellt.
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Das spätere toxikologische Gutachten ergibt, dass L. am 24. März 2015 Medikamente einnahm.
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In den Haaren fand man Rückstände von Zolpidem.
00:48:23
Das Schlafmittel dämpft die Wahrnehmung.
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Außerdem nahm er zwei Antidepressiva.
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Medikamente, die bei Beginn der Behandlung die Suizidgedanken erhöhen können.
00:48:33
Einer seiner Ärzte, die er privat aufsuchte, hatte ihn vorher außerdem wegen einer Psychose eine Überweisung für eine stationäre psychiatrische Behandlung ausgestellt.
00:48:41
Zum Zeitpunkt des Absturzes war er sogar von einem Arzt für 19 Tage und von einem anderen für fünf Tage arbeitsunfähig geschrieben.
00:48:48
Aber nur er wusste davon. Also er hatte das nirgends sonst erzählt.
00:48:53
Genau. Er leitet das nicht an den Konzern weiter und geht halt trotzdem zur Arbeit.
00:48:59
In den letzten fünf Jahren vor dem Absturz suchte L. mehr als über 40 ÄrztInnen auf.
00:49:05
Dass ihn einige von ihnen für labil und fluguntauglich hielten, behielt er für sich.
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Und die ÄrztInnen wiederum behielten wegen ihrer Schweigepflicht ihre Einschätzung ebenfalls für sich.
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Allerdings suchte L. nicht nur wegen seiner Psyche nach ärztlicher Hilfe.
00:49:18
Er war nämlich davon überzeugt, an einer Augenkrankheit zu leiden.
00:49:22
Er sah schwarze Punkte und flimmern.
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Eine organische Ursache konnte man aber nicht feststellen.
00:49:27
L. hatte große Angst, wegen dieser Augenkrankheit zu erblinden und seinen Job zu verlieren.
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Das wäre für ihn eine Katastrophe gewesen.
00:49:34
Fliegen war das, was er immer machen wollte.
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Bei den Ermittlungen wird auch L.'s Suchverlauf im Internet angesehen.
00:49:41
Dieser zeigt, dass er in der Zeit vor dem Absturz nach Behandlung von Sehstörungen suchte.
00:49:45
Aber auch, wie man sich mit Medikamenten das Leben nehmen kann.
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Außerdem suchte er Informationen über Patientenverfügung.
00:49:52
Und er schaute wenig zuvor ein Video über die Sicherheitstüren in Flugzeugen.
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Denn seit dem 11. September hatte man sicherstellen wollen, dass Personen ohne Befugnis nicht ins Cockpit kommen können.
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Deswegen sind die Türen jetzt nicht nur von innen verschließbar, sondern auch so gebaut, dass sie sogar Schüsse oder kleinere Explosionen aushalten.
00:50:11
Aber damit hatte man eben auch ein Sicherheitssystem geschaffen, das nicht unbedingt nur Lücken geschlossen hat,
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sondern vor allem Türen, durch die man im Notfall nicht mehr hindurchkommt.
00:50:20
Patrick S. hatte mit einem Sicherheitscode versucht, wieder in das Cockpit zu gelangen.
00:50:25
Sein Co-Pilot blockierte den Öffnungsmechanismus, aber mit einem Kippschalter, der extra eingeführt wurde,
00:50:31
um bei möglichen Terroranschlägen den Zugang zu verweigern.
00:50:34
Bei der Konzipierung dieses Systems kann man aber nicht darauf, dass durch das Schließen dieser Sicherheitslücke eine weitere geschaffen wurde,
00:50:42
die dann aber von den Personen im Cockpit ausgeht.
00:50:45
Ja, auf sowas kommt man halt nicht.
00:50:48
Hätte man aber können.
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Denn im November 2013 hat bereits ein Pilot in Namibia eine Personenmaschine absichtlich zum Absturz gebracht.
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Auch ein erfahrener Pilot, er hatte 9.000 Flugstunden.
00:51:00
Und der 49-Jährige schloss dann seinen Co-Piloten aus, nachdem er das Cockpit verlassen hatte und setzte dann auch zum Sinkflug an.
00:51:08
30 Menschen starben dabei.
00:51:10
Was bleibt von den Opfern?
00:51:13
Die Hinterbliebenen können ihre Liebsten nicht so beerdigen, wie man das normalerweise tut.
00:51:18
Einige bekommen Rucksäcke, Klamottenteile oder Laptops zurückgeschickt, die ihre Liebsten im Flugzeug dabei hatten.
00:51:25
Das meiste davon ist in einem katastrophalen Zustand.
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An allem haftet der Geruch von Kerosin.
00:51:30
Erst zehn Wochen nach dem Absturz können die sterblichen Überreste der ersten Opfer endlich nach Deutschland gebracht werden.
00:51:37
Ein Trauerzug aus weißen und schwarzen Limousinen, in denen die Särge geborgen sind, zieht von Düsseldorf in Linders Heimatstadt.
00:51:43
Begleitet werden sie von Polizei und Autos, in denen die Angehörigen mitfahren.
00:51:47
In einem von ihnen sitzt Linders Familie.
00:51:50
Der Konvoi fährt Richtung Gymnasium, in dem die Schülerinnen und Schüler unterrichtet wurden.
00:51:55
An den Straßenseiten stehen Menschen mit Grablichtern, Blumen.
00:51:59
Einige legen ihre Rosen auf die langsam fahrenden Limousinen.
00:52:03
Eine letzte Ehre für die, über die das Los entschied.
00:52:06
Während die Autos vorbeiziehen, halten sich Linders Schulkameradinnen und Kameraden die Hände und verneigen sich.
00:52:12
Die Stimme von Linders Vater wird brüchig, als er die Szene in einem Bericht dem WDR beschreibt.
00:52:19
Steffi, Willi und Christian haben Linda einen Stein aus Schweden ausgesucht.
00:52:24
Es ist kein gewöhnlicher Stein.
00:52:26
An diesem einen Ort gab es so einen Felsenvorsprung, wo Linda gern war.
00:52:30
Sie sagte mal, das sei ihr Lieblingsort.
00:52:32
Von dort haben sie den Stein mitgenommen und ihren Namen, ihr Geburts- und Sterbedatum in Linders eigener Handschrift darauf gravieren lassen.
00:52:40
Linda liegt jetzt zusammen mit vier anderen Jugendlichen aus ihrer Klasse auf einem Friedhof.
00:52:44
Manchmal treffen sich die Familien dort.
00:52:47
Gleich daneben gibt es auch eine Gedenkstätte für die insgesamt 16 Schülerinnen und Schüler und ihre Lehrerin, die bei dem Absturz ums Leben kamen.
00:52:54
Doch zu ihrer immensen Trauer kommt schon wenige Wochen später auch noch Wut dazu.
00:52:59
Die Lufthansa hatte den Hinterbliebenen bisher 50.000 Euro Soforthilfe.
00:53:04
25.000 Euro sogenanntes vererbbares Schmerzensgeld für das Leiden eines jeden Opfers während des Absturzes und jeweils 10.000 Euro an jeden nahen Angehörigen gezahlt.
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Wenn es um einen Alleinverdiener oder eine Alleinverdienerin ging, dann ist die Zahlung höher.
00:53:20
Hinzu kommt bei manchen noch der individuelle Schadensersatz.
00:53:24
25.000 Euro für das Leid der Passagiere.
00:53:27
Ein Anwalt der Betroffenen nennt das ein Brotkrum.
00:53:31
Ein anderer sagt, so ein niedriges Angebot wäre ihm in seiner Laufbahn noch nicht untergekommen.
00:53:36
Die Eltern der Teenager vom Schüleraustausch und die Angehörigen der Lehrerinnen wenden sich in einem Brief direkt an den Konzernchef Carsten Spohr.
00:53:45
Ich habe den Brief jetzt etwas gekürzt.
00:53:47
Sie schreiben darin
00:53:48
Sehr geehrter Herr Spohr, wir wenden uns an Sie, um Ihnen unsere Enttäuschung über das Verhalten der Lufthansa mitzuteilen, seitdem ein Pilot Ihres Konzerns unsere Kinder getötet hat.
00:53:59
Zur Trauerfeier in Köln haben Sie große Anzeigen in vielen Zeitungen veröffentlicht.
00:54:04
Mit uns gesprochen haben Sie nicht.
00:54:07
Sie haben uns gesehen, im Trauergottesdienst, bei der Trauerfeier in Köln.
00:54:11
Ein paar persönliche Worte im Gespräch mit Ihnen hätten uns gezeigt, dass sie nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für uns da sind.
00:54:19
Wir hatten erwartet, irgendwann in diesen schweren Tagen eine Entschuldigung von der Lufthansa zu hören.
00:54:24
Eine Entschuldigung dafür, dass von Ihrem medizinischen Dienst bei den Kontrollen der Aktenvermerk über die Vorerkrankung des Piloten nicht beachtet worden ist.
00:54:32
Was Sie uns Eltern als Anerkennung unseres Leids angeboten haben, ist kein Dafür-Grade-Stehen.
00:54:38
Das Leben eines jeden unserer Kinder und unseren Schmerz mit 45.000 Euro zu bemessen, beleidigt uns und vor allem unsere Kinder zutiefst.
00:54:48
Eine Zahlung der Lufthansa kann uns unsere Kinder nicht zurückgeben.
00:54:52
Sie können uns aber ein wenig der alltäglichen Lebenssorgen nehmen, die uns in unserem Schmerz zusätzlich belastet.
00:54:58
Jeden Morgen ist der gewaltsame Tod unserer Kinder unser erster Gedanke, jeden Abend unser letzter.
00:55:05
Jeder sucht seinen Weg, das Andenken der Kinder zu bewahren und das eigene Leben neu zu ordnen.
00:55:10
Sie können uns ein wenig dabei helfen, so wie jeder Firmenchef zu seiner Verantwortung stehen muss.
00:55:15
Stehen Sie zu Ihrer Verantwortung.
00:55:18
Darauf antwortet ein Sprecher der Lufthansa, dass der Konzern Verständnis für die Wut der Betroffenen hat.
00:55:23
Wir bedauern sehr, dass nun eine Verschärfung des Tons eingebracht wird.
00:55:27
Eine Antwort von Lufthansa-Chef Carsten Spohr werde es nicht geben.
00:55:31
Im März 2016 veröffentlicht die französische Untersuchungsbehörde BEA ihren Abschlussbericht.
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Demnach habe der Co-Pilot das Flugzeug wissentlich und absichtlich zum Absturz gebracht.
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Vieles deutet darauf hin, dass L. seit Ende 2014 wieder an einer psychotisch-depressiven Episode litt, die bis zum Absturztag andauerte.
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Die BEA spricht in ihrem Bericht die Empfehlung aus, psychisch auffällige PilotInnen zukünftig strenger zu beobachten und damit potenzielle Gefahren eher zu erkennen.
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Unter anderem sollte die Bundesärztekammer beispielsweise die ÄrztInnen daran erinnern, dass sie ihre Schweigepflicht brechen und die Behörden informieren können,
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wenn die Gesundheit eines Verkehrspiloten oder einer Verkehrspilotin möglicherweise die öffentliche Sicherheit gefährdet.
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Wie konnte es zu dieser Katastrophe kommen?
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Wie konnte ein suizidaler Pilot das Vertrauen von so vielen Menschen missbrauchen?
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Wie konnte er überhaupt fliegen dürfen?
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Die Antworten auf diese Fragen sind nicht immer einfach.
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Wer trägt hier letztendlich dafür die Verantwortung?
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Wenn man das Elmar Gimulla im Jahr 2016 fragt, dann ist seine Antwort darauf, dass man schauen muss, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist.
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Der Jurist vertritt nämlich die Interessen von einigen Hinterbliebenen.
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Zu einer Entschädigung, findet er, gehört auch eine angemessene Zahlung seitens des Flugkonzerns.
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Jetzt nicht, dass man damit irgendetwas wieder gut machen könne, aber es ist nun mal das Einzige, was noch streitbar ist.
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Weil sowas in Deutschland aber schwer durchzusetzen ist, gibt es hier für die Hinterbliebenen nur die Möglichkeit, Schmerzensgeld zu erhalten, wenn sie selbst dadurch gesundheitlich geschädigt wurden.
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Und so einen Schaden nachzuweisen, der über die normale Trauer hinausgeht, ist schwer.
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Und deswegen will Gimulla nun neben dem Geld, das die Lufthansa bisher gezahlt hat, noch die Flugschule in Arizona, auf der Andreas Elmar, auf Schadensersatz verklagen.
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Denn seine Ausbildung dort konnte er ja immerhin nur beenden, weil die dortige Flugbehörde ihm eine Sondergenehmigung erteilte.
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Dabei hatte die französische Ermittlungsbehörde herausgefunden, dass die Depression, die er während seiner Ausbildung hatte, hauptsächlich berufliche Ursachen hatte.
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Er beschrieb damals, dass ihn beispielsweise sein Umzug nach Bremen stresste und er in der neuen Wohnung keine Ruhe fand, weil da der Lärmpegel so hoch war.
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Aber das sind ja alles Dinge, die man als Pilot oder als Pilotin öfter im Beruf mal erleben würde.
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Also jetzt Ortswechsel, manchmal weniger Schlaf, Stress, Lärm.
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Und er schloss mit seinem damaligen Psychiater Nicht-Selbstmord-Pakte.
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Und der gleiche bescheinigte ihm dann im Juli 2009 eine vollständige Genesung, sodass er seine Ausbildung fortsetzen konnte.
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Gimullas Klage in Arizona wird abgewiesen.
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Man solle sich an ein deutsches Gericht wenden.
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Das macht Gimulla und reicht vor dem Landgericht Essen Klage ein.
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Die Lufthansa aber fordert das Gericht auf, die Klage abzuweisen.
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Denn die Passagiere des Flugs 4U9525 hätten keine Todesangst gehabt, die eine weitere Zahlung von Schmerzensgeld rechtfertigen würde, sagt sie.
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Der Sinkflug sei von ihnen gar nicht bemerkt worden und die Zeit vor dem Aufprall zu kurz gewesen.
00:58:34
Also gibt es bestimmte Zeitangaben für Todesangst?
00:58:38
Was ist das denn für eine Aussage?
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Ja, also es gibt natürlich keine Zeitangaben, die ein Schmerzensgeld dann rechtfertigen würden.
00:58:46
Aber ja, sie meinen, also selbst wenn wäre es so kurz gewesen, dass das nicht rechtfertigen würde.
00:58:53
Und sie können doch aber gar nicht mit Sicherheit sagen, dass das keiner mitbekommen hat.
00:59:01
Natürlich nicht.
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Okay, das sagen sie dann einfach.
00:59:04
Das sagen sie, ja.
00:59:05
Okay, und du hattest ja gesagt, der Pilot war rausgegangen um halb und um 41 ist die Maschine aufgebreitet.
00:59:13
Das heißt, es ist doch elf Minuten, das ist doch eine lange Zeit.
00:59:16
Elf Minuten war der Pilot nicht im Cockpit, der Sinkflug ging aber wohl nur so sieben Minuten.
00:59:22
Und dann ist es ja auch noch so, dass man schon fünf Tage nach dem Absturz Erkenntnisse von dem Stimmrekorder ja hatte.
00:59:30
Und darauf waren auch Schreie der Passagiere zu hören.
00:59:34
Die riefen, mein Gott, ja.
00:59:36
Also spätestens als das Flugzeug das erste Mal diesen Felsen berührte.
00:59:41
Ja, spätestens, aber du hast ja auch gesagt, man hat doch auch ihn gehört, also den Piloten, wie er gesagt hat, scheiße macht die, also da hat er schon lauter gesagt, dann scheiße macht die Tür auf.
00:59:51
Und dann mit einem Brecheisen dagegen gedonnert.
00:59:54
Ja, genau. Und wahrscheinlich, als er das erste Mal geklopft hat, leise hat das noch keiner mitbekommen, aber beim zweiten Klopfen, die erste Reihe, hat das möglicherweise schon mitbekommen.
01:00:05
Ja, also es wurde ja auch immer lauter im Hintergrund. Das ist schon anzunehmen, dass man das auch mitbekommen hat, ja.
01:00:11
Der Anwalt Gemuller sagt auch zu RP Online, in dem Schriftsatz spricht die Lufthansa von einem unauffälligen Flugverlauf und es wäre aber angesichts eines Sinkfluges, der dreimal schneller war als gewöhnlich, eine Zumutung.
01:00:29
Beschämend, so beschreibt es einer der Hinterbliebenen.
01:00:33
Dieses Jahr verhandelt das Essener Landgericht am 6. Mai die Klage von 25 Angehörigen, die sich gegen Lufthansa und die Flugschule in Arizona richtet.
01:00:41
Allerdings sei noch nicht ganz klar, ob überhaupt ein Anspruch der Angehörigen besteht.
01:00:46
Es könnte sein, dass die Überwachung eines psychisch kranken Menschen, von dem bekannt war, dass er mal suizidale Absichten hatte, in so einem verantwortungsvollen Beruf staatlicher Aufgabe gewesen sei.
01:00:59
Einige sehen in diesem Brief der Lufthansa, wo sie das sagen, dass sie keine Todesangst hatten, da sehen sie halt eher so einen juristischen Schachzug drin.
01:01:08
Die Hinterbliebenen geben ihr Bestes, um irgendwie mit dem Leben, was sie jetzt haben, umzugehen.
01:01:14
Auch schöne Momente wieder zuzulassen.
01:01:16
Manchmal funktioniert das, manchmal weniger.
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An Weihnachten oder zum Geburtstag tut ein leerer Platz mehr weh als an anderen Tagen.
01:01:24
Auch Willi und Steffi erleben das, was ich in der Heimatfolge schon erzählt habe.
01:01:29
Irgendwann ist es doch mal genug mit der Trauer.
01:01:31
Aber jedes Mal, wenn beispielsweise das eine Lied von Annie McDonald irgendwo zu hören ist, werden sie sofort wieder zu Linda geworfen.
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Einige Eltern, deren Kinder vom Spanisch-Austausch nicht zurückgekommen sind, sitzen zusammen beim Stammtisch.
01:01:46
Jeder weiß, was der andere durchmacht.
01:01:48
Sie teilen das gleiche Schicksal, den gleichen Schmerz.
01:01:52
Einige von ihnen haben sich aus alten Klamotten ihrer liebsten Puppen gebastelt.
01:01:56
Manchmal sitzen die jetzt auf dem leeren Platz am Esstisch.
01:01:59
Bei Veröffentlichung dieser Folge ist es fast fünf Jahre her, dass ihnen ihre Liebsten genommen wurden.
01:02:06
Und für sie hat bisher keiner wirklich die Verantwortung übernommen.
01:02:10
Sie wissen, dass man das, was die Opfer in den Minuten vor dem Aufprall durchleiden mussten, nicht in Geld umrechnen kann.
01:02:18
Aber wenn man es könnte, dann wären es sicherlich nicht 25.000 Euro.
01:02:25
Nee. Und es ist ja aber auch nicht so, dass ein Konzern wie die Lufthansa nicht mehr hätte zahlen können.
01:02:31
Bei der Love Parade sind die Zahlungen an die Opfer sehr unterschiedlich.
01:02:35
Also manche haben da auch so 20.000 von der Stadt bekommen, andere aber nur 2.500 von der Versicherung.
01:02:42
Aber auf eine Entschuldigung vom Oberbürgermeister mussten die Angehörigen auch ein Jahr warten.
01:02:48
Und persönlich war die Entschuldigung dann auch nicht.
01:02:52
Ja. Und sowas hätte den Familien ja aber sicherlich sehr geholfen.
01:02:59
Ich meine, man muss ja nicht da hingehen und alles auf seine Kappe nehmen.
01:03:01
Aber wenigstens das Leid der Menschen anerkennen und irgendwie alles tun, damit es ihnen besser geht.
01:03:08
Hm. Ja. Und so sehen die Hinterbliebenen das halt auch.
01:03:13
Die hatten halt das Gefühl, dass sich eher um die Kunden gekümmert wird, als um sie.
01:03:18
Aber was sagt denn die Lufthansa generell dazu?
01:03:21
Also hat die sich in Bezug auf die Verantwortung mal geäußert?
01:03:26
Also in einem Interview mit dem WDR sagt der Lufthansa-Chef Carsten Spohr,
01:03:30
dass die Frage im juristischen Sinne Behörden beantworten müssen
01:03:35
und die sich den Untersuchungen aber mit großer Transparenz stellen wollen.
01:03:38
Aber dass es natürlich schwerfällt zu sagen, dass alles ideal gelaufen ist,
01:03:43
wenn 150 Menschen tot sind.
01:03:45
Nee, also ideal ist es nicht gelaufen.
01:03:49
Für die Angehörigen ist das natürlich unfassbar frustrierend,
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weil sie natürlich gucken müssen, wer jetzt eigentlich noch verantwortlich ist.
01:03:57
Weil der, der die Hauptverantwortung dafür trägt, der ist ja tot.
01:04:00
Welche Umstände ihn auch immer dazu gebracht haben, so viele Menschen mit in den Tod zu reißen.
01:04:05
Aber das ist natürlich kein Rechtfertigungsgrund.
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Ja, und das ist vielleicht wichtig nochmal zu betonen.
01:04:10
Primär ist natürlich Andreas L. für dieses Unglück verantwortlich.
01:04:15
Viele meiner Informationen habe ich aus der WDR-Doku Hautnah, Leben lernen mit dem Schmerz.
01:04:20
Und die verlinke ich euch nochmal in den Shownotes.
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Ich möchte aber nochmal sagen, wenn ihr unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Suizidgedanken leidet,
01:04:28
dann verweisen wir an dieser Stelle nochmal auf die Telefonseelsorge.
01:04:31
In meinem AHA geht es jetzt um die Reaktion nach der Germanwings-Katastrophe.
01:04:57
Denn wenige Tage danach haben europäische Airlines als Reaktion darauf die Zwei-Personen-Regel eingeführt.
01:05:04
Also es ist so, dass eine dritte Person in das Cockpit kommen muss,
01:05:08
bevor die eigentlich zweite Person dann das Cockpit verlassen kann.
01:05:14
Und das würde die Hemmschwelle für mögliche weitere geplante Abstürze verhindern.
01:05:19
Wie findest du die Regel?
01:05:21
Also ich gehe mal davon aus, dass diese Regelung in Kraft getreten ist,
01:05:25
weil man halt schnell reagieren wollte.
01:05:27
Und so konnte man das ja dann, weil es dafür keine technischen Umbauten oder so am Cockpit geben musste.
01:05:34
Und um zu zeigen, wie reagieren hier, war das sicher okay.
01:05:40
Auch weil wir ja alle wissen, dass es durch die Berichterstattung erstens möglicherweise Nachahmer hätte geben können.
01:05:48
Und zweitens, dass sich Menschen danach möglicherweise im Flugzeug nicht mehr sicher gefühlt hätten.
01:05:54
Und das war ja auch tatsächlich so bei einigen, vielen.
01:05:58
Wusstest du, dass diese Regel im Mai 2017 wieder abgeschafft wurde?
01:06:05
Ja, weil diese Zwei-Personen-Regel unter den meisten ExpertInnen schon immer als Placebo-Pille für die Passagiere galt.
01:06:14
Diese Abschaffung, die geschah nämlich nach einer Empfehlung der Europäischen Luftfahrtbehörde, die kamen zwei Jahre nach der Einführung, nämlich zu dem Ergebnis, dass das neue Prinzip nur zusätzliche Sicherheitslücken schafft.
01:06:26
Wobei PilotInnen die auch schon immer kritisch sahen.
01:06:30
Dadurch, dass erst eine dritte Person das Cockpit betreten muss, bevor ein Pilot oder eine Pilotin herausgeht, würde die Tür viel zu lange geöffnet bleiben.
01:06:39
Und ich habe mit einer Pilotin und mit einem Piloten gesprochen.
01:06:42
Und die haben mir gesagt, dass wir schon Systeme haben, die einen Flugabsturz durch krasse Manöver zu verhindern wissen.
01:06:50
Aber 100% sicher sind die natürlich nicht.
01:06:54
Auch eben nicht, wenn eine zweite Person mit im Cockpit sitzt.
01:06:58
Die Europäische Luftfahrtbehörde empfiehlt viel eher PilotInnen schon beim Eignungstest psychologisch zu prüfen.
01:07:06
Eine bessere psychologische Beratung, Absicherung seitens des Arbeitgebers, falls Pilot oder Pilotin aus psychischen Gründen ihre Fluglizenzen verlieren.
01:07:15
Und eine aktivere Diskussion über die psychische Belastung von Piloten und PilotInnen.
01:07:21
Ich weiß aber von der Pilotin, mit der ich geschrieben habe, dass seit dem Absturz lediglich jetzt medizinische Daten gespeichert werden können.
01:07:28
Das war vorher nicht möglich.
01:07:29
Aber Veränderungen bei den medizinischen Untersuchungen soll es jetzt nicht gegeben haben, weil sie laut Luftfahrtbundesamt nicht sinnvoll wären.
01:07:38
Weil solche Probleme, wie Andreas Elsey jetzt beispielsweise hatte, nur bei einer ausführlichen psychologischen Untersuchung auffallen würden.
01:07:45
Nicht mal bei einem Einstellungstest wäre sowas erkennbar, laut Informant.
01:07:50
Es gab aber auch noch andere Ansätze.
01:07:53
Der Bundestag hatte nämlich beschlossen, dass Fluggesellschaften in Deutschland verdachtsunabhängig auf Medikamente, Alkohol und Drogen testen sollen.
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Also, dass sowas wie die Einnahme von Antidepressiva dann auch auf dem Schirm wäre, dann würden PilotInnen sich vielleicht eher in der Verpflichtung sehen, mitzuteilen, wenn sie mit einer medikamentösen Behandlung anfangen.
01:08:14
Die Airlines und die Luftfahrtbehörden haben sich also schon in der Verantwortung gesehen, dafür Sorge zu tragen, dass sowas nicht nochmal passiert.
01:08:21
Und im Zuge dieser Überlegung haben sie auch über Notfallsysteme gesprochen, die per Fernsteuerung ein Flugzeug vom Boden aus lenken könnten.
01:08:30
Im Jahr 2015 fanden sich mehrere Artikel dazu, dass die Flugsicherung prüfen will, ob und wie das machbar ist.
01:08:36
Also, dass das machbar ist, ist schon klar, aber wie das dann auch funktionieren würde.
01:08:41
Aber Meldungen dazu, was daraus geworden ist, gibt es seitdem nicht.
01:08:45
Allerdings gab es auch schon damals Bedenken, dass ferngesteuerte Systeme natürlich eine sensible Angriffsfläche für Terrorismus wären.
01:08:52
Die französischen ErmittlerInnen hatten auch dazu geraten, sich nochmal das System anzusehen, das in Deutschland die Schweigepflicht so hoch hält.
01:09:00
Also, es war damals ja zu dem Zeitpunkt auch schon möglich, dass Ärztinnen und Ärzte, sie brechen, wenn Menschen in Gefahr sind.
01:09:08
Die ErmittlerInnen wünschen sich aber klarere Vorgaben dazu, wann sie Auskünfte über ihre Patientinnen und Patienten geben sollen.
01:09:16
Und die Bundesärztekammer stellt sich aber dagegen, man müsste schon darauf vertrauen können, dass die Schweigepflicht gewahrt wird.
01:09:23
Im Falle von Andreas L. hätte es einfach mehr flugmedizinische Untersuchungen bei ihm geben müssen.
01:09:29
Immerhin war ja seine Vorerkrankung bekannt.
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Solche routinemäßigen Kontrollen auch auf psychische Probleme sollten regelmäßig stattfinden, aber ohne dabei die depressiven Kollegen zu stigmatisieren.
01:09:41
Weil davor waren die französischen ErmittlerInnen ausdrücklich.
01:09:45
Sie empfehlen sogar, PilotInnen trotz Depressionen fliegen zu lassen, solange keine Suizidgefährdung vorliegt und sich die Depression nicht verschlimmert.
01:09:54
Das soll auch deswegen so gehandhabt werden, damit man nicht schon leichte Erkrankungen zurückhält und man Krankheiten so besser überwachen kann.
01:10:02
Also ein offener Umgang damit würde bei den Betroffenen das Gefühl von Angst mindern, ihren Job verlieren zu können.
01:10:10
Und von dem, was ich jetzt so mitbekommen habe, ist das für viele PilotInnen auch so, dass das Fliegen halt mehr als nur ein Beruf ist, sondern wirklich auch teilweise Lebensinhalt.
01:10:23
Also es ist ja auch wichtig, dass man hier jetzt nicht in so eine Panik verfällt und sagt, oh Gott, alles, was ansatzweise nach einer Depression aussieht, muss jetzt hier aus dem Flugzeug verbannt werden.
01:10:35
Ja, also ich finde das sehr vernünftig, dass das so gehandhabt wird, weil man ja schon dachte oder das Gefühl hatte nach der Berichterstattung, dass laut dafür plädiert wurde, Menschen mit psychischen Krankheiten, ja solche Jobs fernzuhalten von denen, ja.
01:10:53
Und ich glaube, da macht man es sich dann halt eben zu einfach, weil dann diese Menschen, die darunter eine bestimmte Zeit lang leiden, natürlich viel mehr Hemmungen haben, damit nach außen zu gehen, sich Hilfe zu holen, weil sie so Angst davor haben, ihre Existenzgrundlage zu verlieren.
01:11:10
Und das war ja bei Andreas L. auch der Fall. Also er hatte ja diese nicht organische Augenkrankheit offenbar oder dachte es zumindest und hatte deswegen sicherlich auch noch mehr Stress, weil er Angst davor hatte, nicht mehr fliegen zu können.
01:11:24
Ja, mit unseren beiden Fällen und der heutigen Folge wollen wir zeigen, dass auch Menschen, die an einem Tatort gar nicht anwesend waren, mit ihren Handlungen oder eben Unterlassungen dazu beitragen können, dass Menschen sterben.
01:11:39
Und wir wollen zeigen, dass solche Menschen eine Verantwortung trifft, auch wenn diese juristisch oft schwierig nachzuweisen ist.
01:11:45
Aber nähern wir uns erstmal dem allgemeinen Begriff der Verantwortung, der in vielerlei Hinsicht philosophisch sein kann.
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Laut Definition ist Verantwortung einerseits die mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene Verpflichtung dafür zu sorgen, dass innerhalb eines bestimmten Rahmens alles einen möglichst guten Verlauf nimmt,
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das jeweils notwendige und richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht.
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Und andererseits die Verpflichtung für etwas Geschehenes einzustehen und sich zu verantworten.
01:12:14
Im traditionellen Verständnis setzt die Verantwortung immer Handlungsfreiheit voraus.
01:12:20
Das heißt, der oder die Verantwortliche wird als jemand betrachtet, der eigenständig seiner Vernunft folgend eine bestimmte Entscheidung trifft,
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obwohl er oder sie auch anders hätte handeln können.
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Deshalb ist Verantwortung an allererster Stelle ein Anspruch an sich selbst.
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Und der Maßstab, der da gilt, ist das eigene Gewissen.
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Und an euer Gewissen appellieren wir ja auch manchmal, weil wir sagen euch oft, dass wenn euch jemand auffällig erscheint oder sich eine Person in euren Augen plötzlich sehr anders verhält
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oder wenn ihr ein komisches Gefühl habt, dass ihr da mit jemandem darüber sprechen sollt.
01:12:56
Und das sagen wir ja nicht ohne Grund.
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Neulich saß bei Markus Lanz Olaf Sundermeyer als Journalist und Publizist.
01:13:03
Und jetzt geht es doch nochmal ganz kurz um Hanau.
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Weil er hatte diesbezüglich gesagt, wenn jemand nicht auffällig ist, ist es schwer für die Sicherheitsbehörden, solche Personen zu erkennen.
01:13:14
Aber das private Umfeld muss es tun.
01:13:17
Er hatte eine Familie, Betriebswirtschaft studiert, hatte eine Banklehre gemacht und der Täter schreibt im Manifest auch von Gesprächen mit anderen.
01:13:26
Und Sundermeyer sagt, Rechtsextremisten zu erkennen ist nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
01:13:33
Und ich ziehe das jetzt mal von diesem Rechtsextrem weg.
01:13:36
Das kann man auch auf Amokläufe beziehen oder auf psychische Krankheiten.
01:13:41
Also wenn jetzt jemand in unserem Umfeld sich beispielsweise rechtsradikal äußert oder immer wieder mit Gewalttaten droht,
01:13:47
dann liegt es, wenn wir einen Verdacht haben, in unserer Hand diese Bedenken auch weiterzutragen und nicht still zu sein.
01:13:54
Der Chef des Bundesdeutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler, erwähnt in diesem Gespräch mit Markus Lanz das Beratungsnetzwerk Amokprävention der Universität Gießen.
01:14:05
Die helfen nämlich dabei, Bedrohungen abzuklären und einzuschätzen.
01:14:09
Und da kann man anrufen oder eine E-Mail hinschreiben.
01:14:12
Und das ist deswegen gut, weil viele doch eben Sorge haben, sich gleich bei der Polizei mit einem Verdacht zu melden.
01:14:19
Das ist ja schon vielleicht gefühlt irgendwie ein drastischer Schritt.
01:14:22
Und diese Uni selbst hat aber eine Professur für Kriminologie und daher auch Kontakte in die Polizei und Sicherheitsbehörden.
01:14:30
Und die kann vielleicht besser abwägen, was hier ein Verdachtsmoment sein könnte oder nicht.
01:14:35
Plant übrigens jemand eine Straftat und ihr wisst davon, dann habt ihr auch eine Mitverantwortung,
01:14:40
diese Straftat vorher anzuzeigen, wenn ihr die dadurch verhindern könntet.
01:14:45
Also ihr könnt dafür sogar belangt werden, wenn ihr das nicht macht.
01:14:49
Das finden wir in § 138 bei der Nichtanzeige einer geplanten Straftat.
01:14:54
Wenn also durch euren Hinweis an die Behörden eine der im Gesetz genannten Straftaten noch abwendbar ist,
01:15:00
dann müsst ihr rechtzeitig Anzeige erstatten.
01:15:02
Geplante Straftaten, die ihr anzeigen müsstet, wären beispielsweise Mord, Totschlag, Raub, Brandstiftung etc.
01:15:08
Ansonsten macht ihr euch eines Unterlassungsdelikts schuldig.
01:15:12
Und nur ganz kurz, Verantwortung an sich ist kein juristischer Begriff.
01:15:16
Trotzdem kann man sagen, dass man immer dort für etwas verantwortlich ist,
01:15:20
wo ein Gesetz eine bestimmte Handlung oder ein bestimmtes Verhalten von mir will.
01:15:24
Wenn ich mich entgegen dem verhalte, was von mir verlangt wird,
01:15:28
spricht man im Strafrecht meist von Schuld und im Zivilrecht meist von Haftung.
01:15:33
Wie zum Beispiel bei dem Spruch, Eltern haften für ihre Kinder.
01:15:36
Den gucken wir uns nochmal genauer an.
01:15:38
Vielleicht ist das nämlich gar nicht so.
01:15:40
Wir wissen ja, dass man erst mit 14 schuldfähig ist.
01:15:44
Das heißt, strafrechtlich kann man Kinder im Alter darunter nicht belangen,
01:15:48
zivilrechtlich aber schon, zumindest wenn sie schon sieben und einsichtsfähig sind.
01:15:53
Wenn also ein Zwölfjähriger eine alte Dame schädigt und die deswegen Schmerzensgeld fordert
01:15:58
und es ihr auch zurecht zusteht, dann können die Eltern dafür haftbar gemacht werden,
01:16:02
aber auch nur, wenn sie ihre eigene Aufsichtspflicht verletzt haben.
01:16:06
Wenn sie aber ihrer Verantwortung nachgekommen sind und ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben,
01:16:10
dann haften sie nicht.
01:16:12
Gerade hat das Oberlandesgericht Zelle eine Achtjährige zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt.
01:16:22
Die Achtjährige war mit ihren Eltern gerade im Sommerurlaub.
01:16:26
Und während die Eltern zu Fuß hinter dem Mädchen hergingen, fuhr dieses mit dem Fahrrad ein paar Meter an der Strandpromenade voraus.
01:16:32
Und beim Fahren, da blickte es dann plötzlich nach hinten zu seinen Eltern und schaute dann aber gar nicht mehr nach vorne,
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also guckte nicht, wo es hinfuhr.
01:16:41
Und dabei raste die Kleine dann auf eine Fußgängerin zu.
01:16:44
Und die Eltern, die riefen dann noch, aber die Fußgängerin, die musste dann schon ausweichen, um diesen Zusammentrall zu verhindern.
01:16:51
Und sie stürzte dann.
01:16:53
Und dabei hat sie sich verletzt.
01:16:54
Und weil das Mädchen, seitdem sie fünf Jahre alt war, Fahrrad gefahren ist und sich sehr wohl bewusst war,
01:17:00
dass sie mit dieser Fahrweise andere Menschen in Gefahr bringen kann, hatte das Mädchen auch die erforderliche Einsicht.
01:17:07
Die Verletzte scheiterte zunächst vor dem Landgericht Hannover.
01:17:11
Das Oberlandesgericht Zelle gab ihr aber Recht.
01:17:14
Es entschied aber außerdem, dass die Eltern ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hatten und deswegen nur die Achtjährige haften muss.
01:17:21
Aber nochmal, also es geht nur ums Zivilrecht.
01:17:25
Strafrechtlich sind Kinder immer noch, bis sie 14 sind schuldunfähig.
01:17:28
Also ich weiß ja nicht, was das jetzt für eine Verletzung war, aber ich würde mal davon ausgehen,
01:17:33
dass ich kein Achtjähriges Kind, das mich aus Versehen umgefahren hat.
01:17:37
vor Gericht ziehen würde.
01:17:38
Also aus Versehen ist ja so ein Begriff.
01:17:41
Das Kind war sich ja laut Gericht schon darüber im Klaren, dass es so andere Menschen schädigen könnte.
01:17:47
Vielleicht war es keine Absicht, aber von aus Versehen würde ich hier jetzt auch nicht sprechen.
01:17:52
Also sie hat ja bewusst über einen längeren Zeitraum nach hinten geguckt.
01:17:56
Über einen längeren Zeitraum, also ist sie quasi blind gefahren oder wie?
01:18:04
Aber die Eltern werden jetzt nicht zur Verantwortung gezogen, sondern die Achtjährige und die muss jetzt zahlen oder wie?
01:18:12
Nee, also zu beidem eigentlich nein.
01:18:15
Das übernimmt jetzt die Haftpflichtversicherung der Eltern.
01:18:18
Also die zahlt das jetzt.
01:18:19
Aber wenn sie jetzt keine hätten und die Eltern sagen, wir zahlen das nicht, dann könnte die Achtjährige
01:18:26
Sozialstunden ableisten.
01:18:29
Nein, dann könnte es sein, dass diese Forderungen halt sehr viel später nochmal auf die Achtjährige zukommen.
01:18:34
Und zwar dann, wenn sie halt ihr erstes Geld verdient.
01:18:36
Denn diese Forderungen an Kinder, die sind 30 Jahre lang wirksam.
01:18:41
Bei der juristischen Verantwortung spielt das Gewissen, von dem wir eben geredet haben, übrigens nur eine untergeordnete Rolle.
01:18:48
Wie du eben schon gesagt hast, geht es ja bei der juristischen Verantwortung darum, die Pflicht gehabt zu haben, zum Beispiel Vorschriften einzuhalten und dafür dann die Verantwortung zu übernehmen für deren Konsequenzen.
01:19:01
Also wer hatte bei welcher Aufgabe das Sagen oder welche Rolle inne, wer hat wie entschieden, dass es dadurch dann zum Unglück gekommen ist.
01:19:10
Der subjektive Aspekt, also zum Beispiel jetzt die Reue oder die Übernahme von moralischer Verantwortung, wird dann erst bei der Bemessung des Strafmaßes wichtig.
01:19:19
Also wenn der oder die Beschuldigte sich beispielsweise für seine bzw. ihre Handlung bei den Opfern entschuldigt und einsieht, dass er oder sie Fehler gemacht hat, dann kann sich das strafmildernd auf das Urteil auswirken.
01:19:31
Verantwortung kann einer Person auch nur dann zugeschrieben werden, wenn diese das Handlungsergebnis verursacht hat.
01:19:37
Also es geht nicht um die Handlung, sondern das Ergebnis, das auf die Verantwortlichkeit zurückweist.
01:19:42
Dabei gilt das Sprichwort, Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
01:19:46
Wenn jemand also die Folgen einer Handlung hätte absehen oder verhindern können, so ist das Nichtwissen oder die fehlende Absicht keine Entschuldigung.
01:19:54
Ein Beispiel dafür.
01:19:56
Am 22. September 2006 kamen auf der Transrapid-Versuchsstrecke im Emsland 23 Menschen ums Leben, weil ein Werkstattwagen auf der Strecke vergessen wurde und der Transrapid mit 162 kmh auf diesen Wagen prallte.
01:20:12
Was ist ein Transrapid?
01:20:14
Das ist eine Magnetschwebebahn.
01:20:16
Zwei Fahrdienstleiter hatten sowohl vergessen, dass sich der Wagen noch auf der Strecke befand, als auch versäumt, den entsprechenden Abschnitt für den Transrapid zu sperren.
01:20:27
Am 3. Juni 2011 wurden die beiden verurteilt.
01:20:31
Einer zu 18 Monaten und einer zu einem Jahr Freiheitsstrafe.
01:20:35
Die Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt.
01:20:38
Als Begründung dafür wurde die Reue der Angeklagten und deren psychische Erkrankung sowie Suizidgefährdung angegeben.
01:20:44
Denn, und das darf man ja nicht vergessen und es ist auch keine Entschuldigung,
01:20:49
die Menschen, die Fehler vor ihrem PC machen oder an ihrem Arbeitsplatz oder sonst wo,
01:20:55
die wollen in der Regel natürlich nicht, dass Menschen sterben und haben es vielleicht auch oft gar nicht im Rahmen des Möglichen gesehen.
01:21:04
Bei dem Beispiel mit dem Transrapid ist die Verantwortung für das Unglück ja relativ leicht auszumachen.
01:21:10
Zwei Menschen haben bei ihrer Arbeit Fehler gemacht.
01:21:13
Doch wenn mehr Leute involviert sind, dann wird es für die Justiz teilweise sehr schwer,
01:21:18
wie man ja auch am Love Parade Prozess gesehen hat.
01:21:22
Der Anwalt vieler Hinterbliebener der Love Parade Katastrophe Gerhard Baum sagt im Interview mit Deutschlandfunk,
01:21:27
dass die deutsche Rechtsordnung auf solche Großverfahren nicht genügend vorbereitet ist und zählt Beispiele auf.
01:21:33
Darunter den Kontergan-Skandal, bei dem das Beruhigungsmittel Kontergan bei ungeborenen Schädigungen in der Wachstumsentwicklung verursacht hat
01:21:41
und dadurch dann eine unbekannte Anzahl von Babys schon im Mutterleib gestorben sind
01:21:47
und 5.000 bis 10.000 Kinder mit teils schweren Fehlbildungen auf die Welt gekommen sind.
01:21:52
Obwohl schon vor 1961 zahlreiche Warnungen über einen Zusammenhang zwischen dem Inhaltsstoff und den Fehlbildungen vorlagen,
01:22:00
nahm das Pharmaunternehmen Grünental Kontergan erst unter hohem Druck der Öffentlichkeit vom Markt.
01:22:06
Im Januar 1968 kam es zum Verfahren wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und wegen schweren Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz.
01:22:14
Angeklagt wurden neun Mitarbeiter von Grünental, darunter der Geschäftsführer und der Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung.
01:22:23
Einer der Staatsanwälte war übrigens Vater eines Kontergan-geschädigten Kinds.
01:22:26
Doch auch dieses Verfahren wird am 283. Tag wegen geringfühliger Schuld der Angeklagten und wegen mangelndem öffentlichen Interesses eingestellt.
01:22:35
Wegen mangelnden öffentlichen Interesses?
01:22:39
Das ist doch nicht deren Ernst.
01:22:40
Soll ich dir mal was sagen?
01:22:42
Ja, bei dem Love Parade-Prozess, der wurde extra nicht in Duisburg verhandelt, sondern in Düsseldorf, weil die da einen größeren Saal hatten.
01:22:49
Erstmal natürlich, weil es so viele Prozessbeteiligte gab, aber ja auch, weil man mit viel Presse und vielen BesucherInnen gerechnet hatte.
01:22:57
Ja, und schon am ersten Tag blieben die meisten Plätze leer. Nur 50 BesucherInnen waren gekommen.
01:23:03
Und dass da so wenig Interesse schon am Anfang bestanden hat, war für die Hinterbliebenen natürlich schlimm.
01:23:09
Das ist ja furchtbar.
01:23:11
Ja, aber was das Problem auch in dem Fall war, war wieder mal dieses kollektive Versagen mehrerer Personen.
01:23:17
Und so war es dem Gericht halt nicht möglich, eine schwere Schuld bei einem der Beteiligten auszumachen.
01:23:23
Du hast ja gerade von dem großen Druck der Öffentlichkeit gesprochen.
01:23:27
Auch das ist ja eine Verantwortung.
01:23:29
Also hätte es jetzt zum Beispiel nicht diesen großen Druck der Öffentlichkeit nach der Wahl in Thüringen gegeben, hätten wir wohl jetzt dort einen Ministerpräsidenten, der nur durch die Stimmen der AfD ins Amt gehoben worden ist.
01:23:42
Stimmt. Und wie gut ist es, dass es das Internet heute gibt.
01:23:45
Denn nur so konnte ja nicht nur die Presse, sondern auch andere Menschen schnell und effektiv diesen Druck aufbauen.
01:23:54
Gerade ist übrigens ein Fall entschieden worden, bei dem man auf den ersten Blick hätte meinen können, dass es schwer wird, da eine verantwortliche Person ausfindig zu machen.
01:24:04
Dem war aber nicht so, meinte zumindest ein Gericht.
01:24:07
Und zwar geht es um einen Fall aus dem Sommer 2016, der gerade verhandelt wurde.
01:24:12
Der spielt in Neukirchen in Nordhessen.
01:24:15
Ein Elfjähriger macht sich auf die Suche nach seinen drei Geschwistern, die über einen längeren Zeitraum verschwunden waren.
01:24:22
Und er fand dann einen seiner Brüder leblos im Dorfteich.
01:24:25
Und dieser Teich wurde eigentlich immer schon viel genutzt zum Baden und zum Grillen und im Sommer, um daran zu sitzen.
01:24:32
Da ist nämlich so eine Wiese drumherum.
01:24:36
Und der Elfjährige alarmiert dann einige Erwachsene bei einem fest.
01:24:39
Und die zogen dann los, den fünfjährigen Jungen aus diesem Teich zu retten.
01:24:45
Und es gab zu dem Zeitpunkt schon die Vermutung, dass die anderen beiden Geschwister, also seine achtjährige Schwester und der neunjährige Bruder, eventuell auch darin ertrunken sein könnten.
01:24:54
Und dem war auch so.
01:24:56
Als die Retter den Teich durchsucht hatten, fanden sie die beiden dann unter Wasser.
01:25:01
Und wahrscheinlich war es so, dass eines der Geschwisterkinder reingefallen ist und die anderen beiden dann versucht hatten zu helfen.
01:25:07
Nun haben einige Zeit vorher aber Baumaßnahmen in dem Teich und drumherum stattgefunden.
01:25:12
Und dann gab es halt diese eine Stelle, die nun sehr steil war und sehr glitschig, also so mit Algen bewachsen und so.
01:25:18
Und die Kinder kamen offenbar genau an der Stelle halt nicht mehr wieder raus.
01:25:23
Und an die anderen Stellen kamen sie nicht, warum auch immer.
01:25:26
Und jetzt musste sich der Bürgermeister vor Gericht dafür verantworten, weil er, wie die Staatsanwaltschaft sagt, seine Verkehrssicherungspflichten verletzt hatte.
01:25:35
Er hätte für Sicherheitsmaßnahmen sorgen müssen, weil er sich seinen Bürgern gegenüber in der Garantenstellung befunden hatte.
01:25:42
Die kennen wir ja schon.
01:25:43
Also bestimmte Personengruppen haben eine besondere Pflicht, anderen zu helfen, beziehungsweise das Eintreten beispielsweise einer Körperverletzung oder des Todes zu verhindern.
01:25:53
Das sind die sogenannten Garanten.
01:25:55
Und für solche Sicherheitsmaßnahmen, die das Unglück hätten verhindern können, hat er aber eben nicht gesorgt, meint das Gericht.
01:26:02
Und deswegen wurde er jetzt wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassenen zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt.
01:26:09
Die wurde aber für zweieinhalb Jahre auf Bewährung ausgesetzt.
01:26:12
4.000 Euro soll er aber an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.
01:26:17
Und der Bürgermeister hat dagegen schon Berufungen eingelegt.
01:26:21
Und es gab auch innerhalb des Dorfes viele Demonstranten, also 150 Leute kamen und haben sich für den ausgesprochen.
01:26:27
Gab es da im Vorfeld denn irgendwelche Überlegungen, den Teich zu sichern?
01:26:32
Also gab es da schon Sicherheitsbedenken?
01:26:34
Nee, offenbar nicht.
01:26:35
Und es gab auch keine Schilder und halt keine Zäune oder sowas.
01:26:39
Und da war jetzt, also dieser Bach oder dieser Teich wurde schon zum Schwimmen genutzt vorher.
01:26:45
Und da steht also kein Schild, dass man da nicht schwimmen darf?
01:26:49
Nein, jetzt steht da ein Schild, dass man auf eigene Gefahr dort baden geht.
01:26:54
Aber vorher stand da nichts, weil es eben auch so viel genutzt wurde vom Dorf.
01:26:58
Also das war richtig so eine Zusammenkunftstelle.
01:27:01
Also das finde ich jetzt, das macht mich ganz sprachlos, dass er da vor Gericht steht.
01:27:08
Weil für was kann man dann als Bürgermeister eigentlich alles verantwortlich gemacht werden?
01:27:17
Ja, und das ist halt jetzt auch die Angst von seinen Kolleginnen und Kollegen, dass die ja nicht auf alles Acht geben können.
01:27:23
Also erst hieß es halt, solche Unfälle würden unter das allgemeine Lebensrisiko fallen.
01:27:28
Aber er und viele aus dem Dorf hoffen halt eben, dass das nicht weiter Bestand hat.
01:27:33
Also das Urteil ist ja jetzt auch noch nicht rechtskräftig.
01:27:35
Und wissen wir, was die Eltern sagen?
01:27:37
Die Eltern hatten sich der Forderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.
01:27:40
Aber gegen die Mutter lief übrigens auch ein Verfahren wegen Missachtung ihrer Aufsichtspflicht.
01:27:47
Es wurde aber eingestellt.
01:27:49
Es ist ja einfach nur ein furchtbar schreckliches.
01:27:52
Also das ist ja nur schlimm.
01:27:55
Und es ist ja auch ein ganz großes Unglück für den Bürgermeister.
01:27:59
Warum ich jetzt auch denke, dass die Familie, also die Eltern sich den Forderungen der Staatsanwaltschaft angeschlossen haben, ist, weil man ja auch als Hinterbliebene, möchte man ja irgendwie einen Verantwortlichen haben.
01:28:15
Und auch wenn die juristische Klärung häufig nicht einfach ist, ist sie eben für Opfer und Hinterbliebene wichtig wegen der Aufarbeitung und der Aufklärung.
01:28:25
Ich glaube aber, dass das natürlich ja auch jeder weiß, dass Menschen, denen gerade sowas Schlimmes passiert ist, das nicht objektiv und nüchtern sehen können.
01:28:34
Ja, aber wie der Love Parade Prozess zeigt, also in solchen Verfahren, da geht es eben in Anführungszeichen nur darum zu klären, ob man den zehn Angeklagten zweifelsfrei eine Schuld für die Todesfälle geben kann oder eben nicht.
01:28:51
Volker Römermann, Verteidiger einer der Angeklagten aus der Firma Lopavend, sagt gegenüber dem Tagesspiegel, es gehe aber bei so einem Strafprozess nicht darum, allgemeine politische, technische oder historische Wahrheiten zu erklären.
01:29:05
Deshalb schlägt er für Fälle wie die Love Parade Untersuchungsausschüsse vor.
01:29:11
Er sagt halt, die wären geeigneter, um solche Katastrophen und Geschehnisse lückenlos aufzuarbeiten, zu klären, wer war für was verantwortlich und was kann man in Zukunft besser machen.
01:29:24
Das wäre für die Hinterbliebenen wahrscheinlich der bessere Weg, an die Antworten auf ihre Fragen zu kommen als der Prozess.
01:29:32
Es ist natürlich unfassbar wichtig, das alles aufzuschlüsseln und diesen Bericht vor Augen zu haben.
01:29:38
Ich verlinke euch den Untersuchungsbericht von der Germanwings-Katastrophe übrigens auch in den Shownotes.
01:29:43
Aber am Ende klärt das für die Angehörigen ja trotzdem nicht, wer steht denn jetzt eigentlich für diese Schuld ein und wer ist denn jetzt am Ende wirklich dafür verantwortlich, weil das benennen sie ja nicht.
01:29:55
Genau, aber sie, was sie machen ist ja, sie versuchen eine lückenlose Klärung zu machen, was ist wann passiert, was ist im Vorfeld passiert und so kriegen Hinterbliebene in manchen Fällen, im Love Parade Fall wäre das so, mehr Antworten auf ihre Fragen als in diesem juristischen Verfahren, wo es halt nur um diese zehn Angeklagten geht.
01:30:21
Ja und so tragisch diese ganzen Katastrophen und Unglücke sind, sie lehren uns auch immer etwas, damit in Zukunft Ähnliches verhindert werden kann.
01:30:30
Da hast du uns in deinem Aha schon erzählt, was das jetzt für die Flugsicherheit bedeutet.
01:30:36
Der Kontergan-Skandal zum Beispiel, der hat in vielen Ländern zu einem strengeren Zulassungsprozess von neuen Medikamenten geführt und in Deutschland zu einem bundeseinheitlichen Verfahren zur Kontrolle, das weitreichende Testverfahren und Versuchungsreihen vorschreibt.
01:30:51
Ein anderes Beispiel war der verheerende Brand einer Textilfabrik 1911 in New York City, bei dem 146 Menschen starben.
01:30:59
Die Menschen dort starben unter anderem, weil Türen abgeschlossen waren. Und zwar war das von den Chefs dort so vorgeschrieben, um nicht genehmigte Pausen und Diebstahl durch die MitarbeiterInnen zu verhindern.
01:31:12
Ja, und diese Katastrophe führte aber dazu, dass in den USA die Brandschutzbestimmungen und Sicherheitsvorschriften verschärft und ausgearbeitet wurden und sich Gewerkschaften bildeten, die sich halt für die Sicherheit und auch Rechte von ArbeitnehmerInnen einsetzen.
01:31:26
Ja, aber das ist auch wieder das, was ich einmal zu Beginn des Jahres gesagt hatte. Es muss immer erst passiert sein, damit dann Vorkehrungen getroffen werden, die sowas verhindern. Also sagt einem, der nicht der gesunde Menschen verstand schon vorher, dass man Menschen nicht einschließen kann, weil die dann nicht raus können, wenn dann was passiert?
01:31:48
Ich meine, es ist ja gut, dass man dann sagt, okay, jetzt schließen wir sie nicht noch ein zweites Mal ein. Aber es hat immer so einen bitteren Beigeschmack.
01:31:55
Zum Schluss hätte ich noch einen Servicebeitrag.
01:31:58
Ich bitte darum.
01:32:00
Und zwar möchte ich gerne die besten Wertsachenverstecke unserer HörerInnen präsentieren.
01:32:05
Also, Schmuck und Geld am besten im Hamsterkäfig, Katzenklo oder im Aquarium verstecken.
01:32:15
Alles, was da so ein bisschen Richtung Klo und Babywindeln ging, hat mich maßlos irritiert, weil zwischen trockene Windeln kann man auch greifen und alles andere möchte ich nicht drüber nachdenken.
01:32:29
Ich finde Aquarium gar nicht so schlecht. Da muss man dann halt dafür sorgen, dass das in einem Behältnis ist, wo kein Wasser reinkommen kann.
01:32:37
Dann gab es ja noch die Vorschläge im Mülleimer oder in einer leeren OB-Verpackung, was besonders abschreckend für männliche Einbrecher sein soll.
01:32:46
Ja, kann ich mir vorstellen. Das ist auch für Männer, die nicht Einbrecher sind, abschreckend. Leider.
01:32:54
Ja, und dann gibt es scheinbar Fake-Sonnencreme-Verpackungen und sogenannte Dosentresore, die als Sauerkrauddosen getan sind.
01:33:04
Mein Favorit war aber in der Gardinenstange.
01:33:08
Also, weil das finde ich wirklich smart. Und da wäre ich jetzt auch als Einbrecherin nicht so schnell drauf gekommen.
01:33:14
Nee, das stimmt. Man braucht, also es muss ja alles sein, was so länger dauert zum Aufmachen oder so sonst, ne?
01:33:20
Ja, und jetzt sind eure Wertsachen sicher oder auch gerade nicht mehr sicher.
01:33:25
Danke übrigens für die vielen Adressen, die wir noch per Privatnachricht zugeschickt bekommen haben. Wir hoffen sehr, dass wir nicht gehackt werden.
01:33:33
Weil Laura wieder auf Phishing-Mails reinfällt oder so.
01:33:37
Und um alles noch besser abzusichern, einmal abschließen.
01:33:44
Das war ein Podcast von Funk.