00:00:00
Ich frage mich, was bleibt von unserer komischen neuen Welt?
00:00:18
Du meinst langfristig?
00:00:20
Ja, halt, ob danach immer noch alle weiterhin Bananabread backen, puzzeln und Angst vor ihren Mitmenschen haben.
00:00:30
Ich hoffe sehr auf die anderthalb Meter Abstand zu anderen Menschen, dass das bleibt.
00:00:37
Das wäre mein Wunsch.
00:00:38
Das sollten wir sowieso, mal abgesehen davon, eine Zeit lang noch so machen.
00:00:42
Das glaube ich dir, dass dich das freuen würde.
00:00:46
Ich habe ein bisschen Angst davor, dass ich, wenn man dann irgendwann wieder alles machen darf, irgendwie alles nachholen will, was ich halt jetzt verpasst und eigentlich vorhatte.
00:00:56
Und dass ich dann irgendwie so eine Art Burnout kriege und mich dann am Ende freiwillig zurück in die Isolation flüchte von meinem Backofen und meinem 3000-Teile-Puzzle.
00:01:08
Wenn du das tust, versprich mir nur, das nicht auf Instagram jedem zu erzählen.
00:01:13
Aber ja, so einen sozialen Burnout, ich weiß, was du meinst, kann sein.
00:01:19
Ich glaube, man muss dann schon aufpassen, dass man nicht am Anfang zu viel will und sich dann so in alle Richtungen zerreißt.
00:01:26
Meine Freundin hat gestern zu mir gesagt, dass sie durch Corona erfahren hat, was ihre eigentlichen Freuden im Leben sind.
00:01:36
Und das ist auswärts essen, Sport und shoppen.
00:01:40
Und sie meinte, sie findet das traurig.
00:01:44
Ich finde es nicht traurig.
00:01:49
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem True-Crime-Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:01:55
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:01:58
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:01:59
Und ich bin Laura Wohlers.
00:02:00
In jeder Folge beleuchten wir ein spezielles Thema.
00:02:03
Dazu erzählen wir zwei wahre Kriminalfälle nach, diskutieren die und sprechen auch mit ExpertInnen.
00:02:08
Wir reden hier auch ein bisschen lockerer mal miteinander.
00:02:11
Das hat aber nichts mit einer fehlenden Ernsthaftigkeit dem Thema gegenüber zu tun,
00:02:15
sondern das ist unser Comic-Relief, damit wir auch mal durchatmen können.
00:02:19
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint.
00:02:22
Heute sind wir zumindest geistig in einem Land, welches viele berühmte Persönlichkeiten hervorgebracht hat,
00:02:29
wie Wolfgang Amadeus Mozart und Sigmund Freud.
00:02:32
Aber noch viel wichtiger, Kaiserschmarrn und eine ganz spezielle Kräuterlimonade.
00:02:38
Wir sind nämlich heute in Österreich.
00:02:43
Normalerweise hätten wir natürlich gerne vor Ort Recherche betrieben.
00:02:47
Aber da kommen wir ja jetzt leider gerade erst mal nicht hin,
00:02:49
weil ja auch Österreich mit Corona kämpft und wie andere Länder auch mit einer ansteigenden Zahl von bestimmten Delikten.
00:02:59
Also so Betrugsmaschen zum Beispiel mit angeblichen Wundermitteln, die gegen das Virus helfen sollen.
00:03:04
Und gerade im Internet steigen die Zahlen im Bereich Cybercrime,
00:03:08
weil auch darüber natürlich angebliche Tests verkauft werden und so.
00:03:13
In Salzburg standen aber auch schon kostümierte Verbrecher vor der Tür,
00:03:16
die sich dann als Mitarbeiter der Stadt ausgegeben haben und dann so in die Wohnungen kommen wollten von den Leuten.
00:03:22
Generell ist das aber gerade so, dass die Kriminalität in vielen Ländern angeblich zurückgeht.
00:03:27
Also gerade halt so Straßen, Kriminalität und Einbrüche.
00:03:30
Was ja kein Wunder ist, weil natürlich alle zu Hause sind und die Grenzen auch dicht gemacht wurden.
00:03:34
Angeblich sollen aber auch die Zahlen von Sexualverbrechen in Italien und Spanien zurückgegangen sein.
00:03:40
Was mich so ein bisschen wundern würde, weil wir ja wissen, TäterInnen kommen meist aus dem eigenen Umfeld
00:03:47
und oft ist der Tatort die eigene Wohnung.
00:03:50
Und deswegen frage ich mich, werden die momentan vielleicht einfach nur weniger angezeigt als vorher?
00:03:56
Vielleicht geht die Kriminalität mancherorts aber auch zurück,
00:04:01
weil Kriminelle zur Abwechslung mal auf die Polizei hören.
00:04:05
In einer Stadt irgendwo im US-Bundesstaat Washington hat die Polizei nämlich via Twitter die lokalen VerbrecherInnen gebeten,
00:04:14
ihre üblichen Tätigkeiten bis auf weiteres einzustellen, weil die Polizei wegen Corona so viel zu tun hat.
00:04:24
Die wollen die Solidarität auch von den Kriminellen.
00:04:27
Ja, haben sich schon mal bedankt im Voraus bei denen.
00:04:30
Und sie sagen dann auch Bescheid, wenn die ihre Tätigkeiten wieder aufnehmen dürfen.
00:04:35
Wenigstens hat man das Gefühl, dass noch zumindest so eine Art Humor,
00:04:43
wenn es auch manchmal Galgenhumor, momentan immer noch besteht.
00:04:48
Das ist ja schön.
00:04:49
Bevor wir zu den Fällen kommen, hier nochmal der Hinweis.
00:04:52
Unsere Triggerwarnung findet ihr immer in der jeweiligen Folgenbeschreibung mit entsprechendem Timecode.
00:04:58
Mein Fall, diese Folge zeigt, dass man, wenn man will, spurlos verschwinden kann
00:05:04
und dass das Leben tatsächlich die unglaublichsten Geschichten schreibt.
00:05:08
Es ist 6.50 Uhr am 14. März 1986 in Linz und ungewöhnlich kalt.
00:05:16
Wie eigentlich schon das ganze Jahr.
00:05:17
Der Februar war einer der kältesten seit Wetteraufzeichnung.
00:05:21
Dick angezogen stehen an diesem Freitagmorgen mehrere PolizistInnen neben den Gleisen der Westbahn.
00:05:28
Sie waren gerufen worden, nachdem ein Mann um kurz nach halb sieben aus dem Fenster eines Zuges
00:05:33
ein Menschen auf dem Boden hat liegen sehen.
00:05:35
Auf der Strecke zwischen Wien und St. Pölten, irgendwo in der Nähe des Barbara-Friedhofs.
00:05:40
Dieser Mensch ist eine junge Frau, die nun zu Füßen der BeamtInnen liegt.
00:05:45
Halb nackt und tot.
00:05:47
Er mordet durch einen Schuss in das Gesicht, unterhalb ihres linken Auges, notiert sich ein Polizist.
00:05:54
Aus nächster Nähe erschossen.
00:05:55
Von einer Hinrichtung schreibt die Presse, die kurz nach der Polizei am Fundort eingetroffen ist.
00:06:01
Die Leiche ist außerdem mit zahlreichen Wunden und blauen Flecken übersät.
00:06:05
In der Gerichtsmedizin wird später festgestellt, dass ihr auch Knochen gebrochen wurden.
00:06:11
Es dauert nicht lange, bis die Identität der Toten festgestellt ist.
00:06:15
Es handelt sich um Tanja H. aus Traun, 23 Jahre alt.
00:06:19
Eine Frau mit kindlichem Gesicht, Dauerwelle und eigentlich breitem Grinsen.
00:06:24
Nur ca. 200 Meter vom Fundort entfernt liegt ihre Arbeitsstätte.
00:06:28
Ein Bordell auf der Goethe-Straße.
00:06:32
Wer tötet eine Prostituierte, fragen sich die ErmittlerInnen.
00:06:35
Ein Freier, der nicht zufrieden war, der von Tanja nicht bekam, was er wollte und ausgerastet ist?
00:06:41
Oder ein Zuhälter, den Tanja um sein Geld gebracht und der sie dafür bestraft hat?
00:06:46
Es deutet zumindest alles auf eine Milieutat hin.
00:06:49
Auf einen Mord, der schnell aufgeklärt werden kann, weil die Szene in Linz nicht allzu groß und bereits Polizei bekannt ist.
00:06:56
Als erstes geht es deshalb für die BeamtInnen ins Rotlichtviertel und dort werden sie auch schnell fündig.
00:07:02
In einer Hausdurchfahrt, in der Goethe-Straße, entdecken sie einen großen Blutfleck auf dem Boden.
00:07:07
Schräg gegenüber dieser Durchfahrt liegt der Bunny Club, eine Bar, in welcher die Polizei seit einiger Zeit illegale Prostitution vermutet.
00:07:15
Besitzer der Bar ist Tibor Foko, ein 29-jähriger ehemaliger Motorrad-Champion.
00:07:21
Er und eine seiner MitarbeiterInnen werden für eine Befragung mit auf die Wache genommen.
00:07:26
Tibor bestreitet, etwas mit dem Mord zu tun zu haben.
00:07:29
Er gibt an, zur Tatzeit mit seiner Frau Anna zusammen gewesen zu sein.
00:07:32
Anna Foko bestätigt das Alibi ihres Ehemannes.
00:07:35
Auch Georgina Wu, die Dame, die mit Tibor zusammen auf die Wache gebracht wurde, weist alle Schuld von sich.
00:07:41
Die 22-Jährige erzählt den BeamtInnen aber, dass Tibor ihr Geliebter ist.
00:07:46
Obwohl sie ihn nicht Geliebter, sondern Meister nennt.
00:07:51
Auch andere Zeugenaussagen aus dem Umfeld deuten darauf hin, dass Tibor ein Mann ist, der Frauen gerne unterwirft und manipuliert.
00:07:57
Das ist natürlich kein Beweis für die Schuld an einem Mord.
00:08:01
Doch nach einer weiteren Vernehmung zieht Tibors Ehefrau Anna ihre Aussage zurück, sie sei mit ihm zum Tatzeitpunkt zusammen gewesen.
00:08:08
Tibors Alibi bröckelt.
00:08:11
Und dann fängt auch noch Georgina an zu reden und ihren Chef schwer zu belasten.
00:08:16
Du meinst ihren Meister?
00:08:18
Chef und Meister.
00:08:21
Sie erzählt den BeamtInnen, dass Tibor, Tanja, das Opfer, in der Garage, die zum Bunny Club gehört, schwer misshandelt und mit einer Getriebewelle auf den Kopf geschlagen habe.
00:08:32
Dann habe er sie zu den Gleisen geschleppt und sie, also Georgina, dort genötigt, Tanja zu erschießen.
00:08:40
Er habe ihr gesagt, wenn sie Tanja nicht töte, müsse sie selbst sterben.
00:08:44
Der Grund dafür?
00:08:45
Tanja habe nicht für Tibor arbeiten wollen und deshalb wollte er sie als Konkurrentin aus dem Weg haben.
00:08:52
Einige Wochen später nennt Georgina dann noch einen weiteren Namen im Zusammenhang mit dem Mord an Tanja.
00:08:57
Jan Philipp M., ein Bekannter von Tibor und Lederwarenhändler aus Linz.
00:09:03
Er habe Tibor dabei geholfen, die schwer verletzte Tanja von der Garage bis zu den Gleisen zu befördern.
00:09:09
Auch Jan Philipp beteuert, genauso wie Tibor weiterhin, seine Unschuld.
00:09:13
Doch für die Staatsanwaltschaft reichen die Aussagen der Zeugin und die Blutspuren in der Nähe des Bunny Clubs.
00:09:19
Am 23. Februar 1987 beginnt also der Prozess gegen Tibor, Jan Philipp und Georgina.
00:09:26
Begleitet wird er von zahlreichen JournalistInnen.
00:09:29
Die Presse liebt die Geschichte aus dem Rotlichtmilieu, die von Sex, Gewalt und Intrigen erzählt.
00:09:35
Und im Prozess gibt es für sie auch einiges zu sehen bzw. zu berichten.
00:09:39
In 20 Verhandlungstagen werden 77 ZeugInnen und 5 Sachverständige gehört.
00:09:44
Die meiste Zeit geht es dabei um sexuelle Praktiken und Vorlieben der Angeklagten.
00:09:50
An einem Tag begeben sich dann alle an den Fundort der Leiche zum Lokal-Augenschein.
00:09:54
Dort zeigt Georgina, wie Tibor ihr die Waffe in die Hand gegeben und geholfen haben soll zu zielen.
00:10:01
Als der Gerichtsmediziner dann noch die präparierte Gesichtshaut des Opfers präsentiert, können die BoulevardjournalistInnen ihr Glück kaum fassen.
00:10:11
Ja, man fragt sich das bis heute, wieso diese Gesichtshaut gezeigt werden musste.
00:10:14
Es hätten ja auch die Bilder gereicht und heute würde sowas auch nicht mehr zugelassen.
00:10:19
Und die Gesichtshaut zeigt dann da was, wo die Einschussstelle war.
00:10:24
Und die können ihr Glück kaum fassen, weil was?
00:10:28
Das war natürlich meine sarkastische Übertreibung, was ich den BoulevardjournalistInnen unterstelle, dass sie sich darüber gefreut haben, weil sie darüber berichten konnten.
00:10:38
Das ist nicht sonderlich journalistisch von dir, das einfach so zu unterstellen.
00:10:48
Naja, zu dieser Gesichtshaut gab es so einige Artikel.
00:10:52
Daher würde ich das schon mit gutem Gewissen unterstellen.
00:10:55
Kurz danach ziehen sich die Geschworenen für die Beratung zurück.
00:11:00
Und am 31. März steht fest, sieben der acht Geschworenen halten die Schilderungen von Georgina für glaubwürdig.
00:11:06
Somit muss Tibor lebenslang Jan Philipp 18 Jahre in Haft.
00:11:10
Georgina hingegen wird als Kronzeugin freigesprochen, und zwar wegen entschuldigten Notstands.
00:11:17
Das war der Fall.
00:11:21
Nein, der fängt ja jetzt erst richtig an.
00:11:24
Denn schon kurz nach dem Urteil gibt es erste Zweifel an der Schuld der Verurteilten.
00:11:29
Beide Verteidiger gehen in Berufung, und die Presse, die nach Urteilsspruch Akteneinsicht erhält, erhebt schwere Vorwürfe gegen das Gericht.
00:11:36
Mit der Zeit werden grobe Ermittlungspannen und Verfahrensfehler bekannt.
00:11:40
Die Geschworenen wenden sich sogar an den Justizminister, weil sie das Gefühl haben, in die Irre geführt worden zu sein.
00:11:47
Also, was war im Prozess schiefgelaufen?
00:11:49
Dazu müssen wir uns das wichtigste Beweismittel genauer anschauen, die Kronzeugin Georgina.
00:11:55
Georgina hatte ja angegeben, Tibor habe das Opfer in der Garage schwer misshandelt und dann zusammen mit Jan Philipp zu den Gleisen transportiert, wo sie Tanja dann erschossen habe.
00:12:05
In dieser Version sind also drei Menschen an der Tat beteiligt.
00:12:08
Auf dem blutgetränkten Mantel von Tanja wurden allerdings Spermaspuren gefunden, die weder von Tibor noch von Jan Philipp stammen, sondern von zwei unbekannten Männern.
00:12:18
Dieses Sperma wurde auf dem Blut gefunden, was laut Gutachten dafür spricht, dass das Sperma zeitlich gesehen nach den Verletzungen auf das Kleidungsstück gelangt sein muss.
00:12:28
Dadurch, dass auch im Opfer eine relativ große Menge dieses Spermas gefunden wurde, liegt das Gutachten außerdem nahe, dass Tanja kurz vor oder kurz nach ihrem Tod auf dem Boden liegend vergewaltigt wurde.
00:12:40
Doch zwei weitere Männer hatte die Kronzeugin Georgina ja mit keiner Silbe erwähnt.
00:12:47
Dass dies auf eine mögliche Falschaussage hinweist, wurde von Richter und Staatsanwalt im Verfahren aber nicht weiter beachtet.
00:12:53
Was die Vermutung einer Falschaussage außerdem stützt, ist die Spurenlage in der Garage.
00:12:58
Dort wurden nämlich keine Spuren von Tanja gefunden, genauso wenig wie sich Spuren aus der Garage auf der Opferkleidung nachwiesen ließen.
00:13:05
Dazu hatte der Sachverständige vor Gericht gesagt, wenn das Opfer in der Garage war, dann kann ich nicht erklären, warum an seinem Mantel keine dort reichlich vorhandenen Eisenspäne und Hundehaare waren.
00:13:17
Auch auf der Getriebewelle, die ja laut Zeugin von Tibor dazu genutzt worden war, Tanja immer wieder zu schlagen, sodass sie davon sogar offene Knochenbrüche erlitt,
00:13:27
wies weder Blutspuren noch Rückstände von Haaren oder Haut auf.
00:13:30
Und gereinigt worden war das Tatwerkzeug nicht, das bezeugte dennoch vorhandene Rost.
00:13:35
Es fanden sich aber zum Beispiel auch keine Schmauchspuren an der Hand, mit der Georgina den Schuss abgefeuert haben will.
00:13:42
Und auch keine Pistole.
00:13:43
Noch mehr Ungereimtheiten finden sich in der Chronologie ihrer Vernehmung.
00:13:48
So war es ja anfangs so gewesen, dass sie ihre Beteiligung am Mord bestritt.
00:13:51
Als sie direkt nach ihrer Festnahme von einem Arzt untersucht wurde, stellte der keine Verletzungen an ihr fest.
00:13:57
Also an Georgina.
00:13:59
Nach dieser Untersuchung wurde sie aber mehrere Male, teils mit, teils ohne Protokoll, teils von mehreren, teils von nur einem Beamten, vernommen und gab dann schließlich sechs Tage später an, Tibor habe sie mit Gewalt dazu gezwungen, Tanja zu erschießen.
00:14:14
Anschließend wurde sie erneut von einem Polizeiarzt untersucht.
00:14:17
Diesmal fand man dann an ihr Schürfwunden am Schädel, Platzwunden an der Unterlippe, Würgemale am Hals und einige Verletzungen mehr.
00:14:24
Hatte der erste Arzt diese übersehen?
00:14:27
Vor Gericht wurden diese Unstimmigkeiten nicht weiter ausgeführt.
00:14:31
Richter und Staatsanwalt akzeptierten die Erklärung, dass ihr die Verletzungen vor der Verhaftung zugefügt worden seien.
00:14:36
Der Verdacht, dass Georgina die Verletzungen auch zwischen den Untersuchungen erlitten haben könnte, war für die Anwesenden wohl zu absurd.
00:14:44
Was aus den Akten weiterhin hervorgeht, ist, dass Georgina in ihren Vernehmungen nicht nur Tibor und Jan Philipp belastet hatte, sondern auch noch einen Zuhälter namens Andreas Weil.
00:14:53
Dieser wurde dreimal vernommen, doch daran konnten sich die beteiligten Beamten vor Gericht nicht mehr erinnern, obwohl ihre Unterschriften unter den Protokollen zu finden sind.
00:15:05
Und was zu diesen ganz offensichtlichen Mängeln noch hinzukommt, sind private Beziehungen, die so ein bisschen einen komischen Beigeschmack hinterlassen.
00:15:14
So ist nämlich einer der beteiligten Polizisten der Lebensgefährte von Tibors Schwiegermutter, die ihre Abneigung zu Tibor nie versteckt hat.
00:15:24
Ein anderer ist kurz nach der Verhaftung mit Tibors Ehefrau Eva zusammengezogen.
00:15:29
Die hatte Tibor ja anfangs noch ein Alibi gegeben, doch erst nachdem sie von ihrem späteren Lebensgefährten vernommen wurde, wieder zurückgenommen.
00:15:36
Und nach dem Urteil und einer gescheiterten Berufung sucht sich Tibor einen neuen Anwalt.
00:15:42
Der bemüht sich dann auch gleich um ein Wiederaufnahmeverfahren, doch auch das scheitert.
00:15:47
Was möglicherweise daran liegen könnte, dass der beteiligte Staatsanwalt den Antrag prüft.
00:15:52
Also der, der vorher im Prozess, ne?
00:15:56
Ob es legal sei, dass ein Mensch sich und seine Handlungsweise selbst prüfen muss, fragen die Geschworenen den Justizminister.
00:16:02
Eine Antwort bleibt aus.
00:16:04
1992 erreicht der Verteidiger von Jan Philipp dann eine Wiederaufnahme für seinen Mandanten und die Ermittlungen beginnen von vorne.
00:16:13
Das ist ja quasi der Komplize von Tibor.
00:16:16
Bei diesen Ermittlungen kommen dann noch ein paar mehr Pannen ans Licht, unter anderem, dass bei der damaligen Sachverständigen eingebrochen und Beweismaterial gestohlen und dies erst Jahre später angezeigt wurde.
00:16:28
Im Zuge der neuen Erkenntnisse und durch den Druck der Öffentlichkeit meldet sich im März 1993 die Kronzeugin höchstpersönlich zu Wort, die sich in den letzten Jahren ein schönes Leben in Florida gemacht hat.
00:16:40
Sie schreibt in einem offenen Brief, dass sie damals zu ihrer Aussage gezwungen wurde.
00:16:44
Die Ermittler hätten sie mit Gewalt dazu genötigt.
00:16:47
In einem Fernsehinterview schildert sie die Situation.
00:16:49
Bitte mit österreichischem Dialekt vorstellen.
00:16:53
Dann war ich alleine in einem Raum und dann hat er ohne Vorwarnung auf mich eingeschlagen.
00:16:58
Geschlagen, geschlagen, geschlagen.
00:17:00
Ich habe schon gar nicht mehr gewusst, wo ich meine Schmerzen habe.
00:17:04
Er hat mir solche Magenstampe gegeben, dass ich niedergeflogen bin.
00:17:09
Außerdem entlastet sie Tibor und Jan Philipp.
00:17:11
Zeitlich gesehen hätte Tibor Tanja gar nicht töten können, sagt sie.
00:17:16
Nach Georginas neuer Aussage machen die Verletzungen, die der zweite Polizeiarzt bei ihr festgestellt hatte, nun möglicherweise doch Sinn.
00:17:24
Ermittlungen dazu werden allerdings ohne Ergebnis eingestellt.
00:17:28
Aber mit diesem Auftritt ist 1993 das Hauptbeweismittel für die Verurteilung von Tibor vom Tisch.
00:17:37
Zu dieser Zeit sitzt Tibor seit mittlerweile sechs Jahren in der Justizanstalt Stein.
00:17:41
Während außerhalb der Gefängnismauern von vielen seine Unschuld programmiert wird, kämpft auch er an vorderster Front für seine Gerechtigkeit.
00:17:48
Um besser zu verstehen, wie er gegen sein Urteil angehen kann, studiert er Jura an der Linzer Universität, besucht dort auch Vorlesungen.
00:17:55
Der Professor des Instituts für Strafrecht ist Tibors neuer Anwalt.
00:18:00
Wie besucht er da Vorlesungen aus dem Knast heraus?
00:18:02
Also der darf da hingehen, auch ohne Handschellen, aber zwei BeamtInnen sind dann immer dabei, um aufzupassen.
00:18:09
Tibor, der aus einer wohlhabenden jüdischen Familie mit ungarischen Wurzeln stammt, ist intelligent.
00:18:14
Doch seinen Kopf dafür zu benutzen, Paragrafen zu lernen, das wäre ihm vor seiner Inhaftierung niemals eingefallen.
00:18:21
Früher war Motorradfahren das Einzige, was ihm wichtig war.
00:18:24
Und als seine sportliche Karriere vorbei war, wollte er Fuß im Rotlichtmilieu fassen.
00:18:29
Eine Entscheidung, die ihn in die Situation gebracht hat, in der er jetzt steckt.
00:18:33
Aber Tibor bleibt stark.
00:18:35
Er ist sehr diszipliniert, hat schon vor dem Urteil keinen Alkohol getrunken und täglich Sport gemacht.
00:18:40
Auch in der Zelle ist jeder Tag komplett durchgeplant.
00:18:43
Morgens um vier Uhr aufstehen, dann mehrere Stunden trainieren, dann eine Stunde PR und Prozessarbeit,
00:18:48
eine Stunde als Hausarbeiter im Gefängnis arbeiten und der Rest ist für Uni und den Kontakt zu Freunden und Familie eingeplant.
00:18:55
Denn immer noch stehen viele Menschen hinter ihm, allen voran seine Eltern.
00:18:58
Aber es gibt auch neue Kontakte.
00:19:00
Viele junge Frauen schicken dem gutaussehenden und durchtrainierten Mann Briefe ins Gefängnis.
00:19:05
Alle glauben an seine Unschuld.
00:19:07
Selbst der Gefängnisdirektor hat Zweifel am Urteil des Gerichts.
00:19:11
In einem Interview mit dem ORF sagt er damals,
00:19:13
im Falle Foko kommen mir also doch gewisse Bedenken.
00:19:16
Ich möchte es auf gar keinen Fall unterschreiben, ihn unbedingt für schuldig zu halten.
00:19:21
Aber es gibt auch Tage, an denen es Tibor verzweifelt.
00:19:25
Zum Beispiel dann, wenn erneut ein Wiederaufnahmeantrag abgelehnt wurde.
00:19:29
Denn im Gegensatz zu Jan Philipp, bei dem ja schon ein neues Ermittlungsverfahren läuft, hat er weniger Glück.
00:19:34
In solchen Momenten denkt Tibor auch über Suizid nach und weint.
00:19:39
In einem ORF-Interview sagt er,
00:19:41
Um bei einer lebenslangen Haftstrafe entlassen zu werden, ist es notwendig, gewisse Bedingungen zu erfüllen.
00:19:46
Und unter anderem auch das Bereuen und das Gestehen seiner Tat.
00:19:50
Aber wie kann ich etwas bereuen oder gestehen, wenn ich es nicht gemacht habe?
00:19:56
So ziehen noch zwei weitere Jahre an Tibor vorbei.
00:19:58
Als Anfang 1995 dann alle juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind,
00:20:03
weil auch der dritte Antrag abgelehnt wurde und ein Verfahren von Jan Philipp noch nicht in Sicht ist,
00:20:08
entscheidet sich Tibor, auf anderem Wege für seine Gerechtigkeit zu sorgen.
00:20:12
Er entscheidet sich zur Flucht.
00:20:14
Und wie alles in seinem Leben geht er auch diese Planung sehr gewissenhaft an.
00:20:19
Er weiß, dass seine Chance auf eine erfolgreiche Flucht am höchsten an der Uni ist.
00:20:22
Dort darf er sich ohne Handschellen auch relativ frei bewegen.
00:20:25
Der Fluchtort ist also schnell klar.
00:20:27
Als nächstes braucht Tibor Fluchthelfer in.
00:20:30
Auch das ist nicht schwer, hat er doch viele Menschen, denen er vertraut und die alles für ihn tun.
00:20:34
Eine davon ist Trudi.
00:20:37
Trudi ist 24 Jahre alt und BWL-Studentin der Uni Wien.
00:20:40
Sie hatte Tibor geschrieben, nachdem sie von seinem Prozess und den Ermittlungspannen gelesen hatte.
00:20:45
Sie war es auch, die ihm 1993 sein erstes Handy in den Vollzug schmuggelte.
00:20:50
Trudi wird also jetzt eingesetzt, um den Campus der Uni auszuspähen.
00:20:54
Zusammen mit einer anderen Freundin Tibors, Viktoria, einer Arztgattin, Mitte 40, aus Oberösterreich,
00:21:00
fotografiert sie einen Weg zur deutschen Grenze für ihn ab.
00:21:03
Ein befreundeter Mechaniker kümmert sich um ein Fluchtfahrzeug.
00:21:07
Ein Motorrad, genauer eine Kawasaki, in der Proviant, Schlafsack und Kosmetika deponiert werden.
00:21:13
Um nicht mit irgendeinem gestohlenen Nummernschild Aufmerksamkeit zu erzeugen,
00:21:18
fotografiert Trudi ein Kennzeichen auf der Straße ab.
00:21:20
Tibors Vater, der gelernter Fotograf ist, vergrößert das Bild und klebt es auf eine Blechplatte,
00:21:26
die am Motorrad befestigt wird.
00:21:28
In der Nähe der Uni wird dann eine Garage angemietet, in der die Kawasaki vollgetankt abgestellt wird.
00:21:34
Der Garagenschüssel wird dann zusammen mit einem Tränengasspray im Spülkasten einer der Unitoiletten versteckt.
00:21:40
Insgesamt acht Personen sind an der Vorbereitung zur Flucht beteiligt.
00:21:45
Ich wollte gerade sagen, das ist ja eine ganze Mannschaft, die ja da um sich scharrt.
00:21:51
Und sich da so sicher sein, dass da alle schön den Mund halten, ist ja schon riskant.
00:21:58
Am Donnerstag, den 27. April, ist es dann soweit.
00:22:01
Um 8.25 Uhr kommt Tibor zusammen mit zwei Vollzugsbeamten an der Uni an.
00:22:06
Tibor erklärt den beiden, dass er vor der ersten Vorlesung noch einmal kurz ins Hauptgebäude möchte,
00:22:10
um im Hörsaal Nummer 1 etwas nachzuschauen.
00:22:13
Auf dem Weg dorthin plaudert er mit einem der beiden, während immer mehr Studierende ins Gebäude strömen.
00:22:19
Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen und Tibor verschwindet in der Menschenmenge.
00:22:23
Er sprintet zum Juridikum, ins dritte Stockwerk und in die Toilettenräume.
00:22:27
Er schnappt sich den Schlüssel und innerhalb von weniger als acht Minuten ist er auf seiner Kawasaki Richtung Westen unterwegs.
00:22:34
Eine Großfahndung wird eingeleitet.
00:22:37
Übers Radio hören Tibors FluchthelferInnen von der erfolgreichen Aktion.
00:22:41
Denn der Flüchtende wird nicht gefunden.
00:22:43
Erst nach einer ganzen Zeit lässt Tibor seinen Eltern ein Lebenszeichen zukommen.
00:22:49
Auch seinem Anwalt und einigen JournalistInnen schickt er Briefe.
00:22:52
Seinen Aufenthaltsort verrät er daran natürlich nicht, aber er beteuert weiterhin seine Unschuld.
00:22:57
Während das österreichische BKA und Europol nach Tibor suchen,
00:23:01
kommt es ein Jahr nach der Flucht endlich zum zweiten Prozess gegen Jan Philipp,
00:23:05
bei dem dieser freigesprochen wird.
00:23:07
Daraufhin verklagt Jan Philipp den österreichischen Staat auf Entschädigung für die fünf Jahre,
00:23:12
die er unschuldig im Gefängnis saß.
00:23:14
Umgerechnet erhält er rund 230.000 Euro.
00:23:19
In der Folge wird auch das Urteil gegen Tibor aufgehoben und der Fall neu aufgerollt.
00:23:23
Der internationale Haftbefehl wird zurückgezogen und Tibor freies Geleit zugesprochen.
00:23:27
Das heißt, die Justiz verspricht ihm, während der Ermittlungen auf freiem Fuß bleiben zu dürfen.
00:23:32
Da kann man sich ja aber denken, dass er nicht mehr das Vertrauen ins Rechtssystem hat
00:23:36
und erst mal wartet, bis die Ermittlungen abgeschlossen sind.
00:23:40
Von ihm gibt es nämlich keine Reaktion auf dieses Angebot.
00:23:45
1998 werden dann alle acht FluchthelferInnen vom Landgericht Linz wegen Befreiung eines Gefangenen
00:23:52
zu Haftstrafen auf Bewährungen und Geldstrafen verurteilt.
00:23:55
Zwei Jahre später, mit dem Ende der Ermittlungen, kommt es zu einer erneuten Überraschung.
00:24:02
Tibor wird wieder wegen des Verdachts des Mordes an Tanja angeklagt.
00:24:06
Am Vorwurf hat sich letztendlich nichts verändert, erklärt der Linzer Staatsanwalt im Jahr 2000 gegenüber dem ORF.
00:24:13
Somit wird ein neuer internationaler Haftbefehl ausgestellt und die Fahndung wieder aufgenommen.
00:24:18
Denn ohne Angeklagten kein Verfahren.
00:24:21
Deshalb versucht die Staatsanwaltschaft auch über Tibors Eltern an ihn heranzukommen.
00:24:25
Doch die wollen den Aufenthaltsort ihres Sohnes natürlich nicht preisgeben.
00:24:29
Gleichzeitig wünscht sie sich ihren Tibor aber zurück in Österreich.
00:24:32
Deshalb gehen sie in Verhandlungen.
00:24:34
2005 liegt schließlich ein Angebot der Justizministerin auf dem Tisch der Fokus.
00:24:39
Bis zum Abschluss eines neuen Verfahrens müsste Tibor, obwohl er des Mordes verdächtigt wird, nicht in U-Haft.
00:24:46
Seine Eltern wollen aber eine Einstellung des Verfahrens und lehnen das Angebot ab.
00:24:51
Ich halte das Ganze für einen ausgemachten Blödsinn.
00:24:53
Unser Tibor hat überhaupt keinen Grund, nach Österreich zurückzukommen, sagt seine Mutter gegenüber dem Standard.
00:24:58
Auch Tibor äußert sich.
00:25:00
Seinem Anwalt schreibt er, dass er sich trotz der Zugeständnisse des Gerichts nicht stellen wird,
00:25:05
weil er nicht an ein zweites faires Verfahren glaubt.
00:25:08
Also das wäre dann ja ein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Gunsten gewesen.
00:25:13
Genau, weil das erste Urteil aufgehoben wurde, war es ja quasi so, als wäre er nie verurteilt worden.
00:25:20
Aber man weiß natürlich am Ende nicht, ob es überhaupt zu seinen Gunsten ausfällt dann.
00:25:25
Bald ist Tibor seit 25 Jahren spurlos verschwunden.
00:25:29
Wo sich der mittlerweile 63-Jährige auffällt, wissen nur sehr wenige.
00:25:33
In einem Interview mit dem Standard hatte seine Mutter 2008 gesagt, Tibor würde in den USA leben.
00:25:38
Ob das stimmt, weiß man natürlich nicht.
00:25:40
Mittlerweile sind beide Elternteile verstorben, bis zum Schluss von der Unschuld ihres Kindes überzeugt.
00:25:46
So wie viele andere Menschen in Österreich, darunter viele PressevertreterInnen.
00:25:50
Die Staatsanwaltschaft Linz ist hingegen immer noch anderer Meinung, lässt Europol weiter nach Tibor suchen.
00:25:56
Doch will die Linzer Staatsanwaltschaft, Austrias Most Wanted, wirklich finden?
00:26:02
Ein zweiter Prozess wäre ohne Zweifel das einzig Richtige in diesem Fall.
00:26:05
Egal, ob Tibor schuldig oder unschuldig ist.
00:26:08
Aber die Wahrscheinlichkeit für einen Freispruch ist nicht gerade gering, bedenkt man die lange Zeit, die vergangen ist,
00:26:14
die verstorbenen ZeugInnen und die verschwundenen Beweismittel.
00:26:18
Letztendlich hat sich Tibor aber ja seine Gerechtigkeit bereits ein Stück weit selbst geholt.
00:26:22
Lebt er doch irgendwo auf diesem Planeten auf freiem Fuß?
00:26:26
Naja, die Frage ist, wie frei lebt er da wirklich?
00:26:30
Wenn man immer Angst hat, dass irgendwie gleich Behörden einen aufgreifen und ich kann mir vorstellen,
00:26:36
dass er das immer im Hinterkopf haben wird, dann ist das auch nicht wirklich die pure Art von Freiheit.
00:26:43
Ich weiß nicht, weil er hätte ja auch zurückkommen können.
00:26:47
Er hat ja zweimal freies Geleit bekommen und hat auch gesehen, dass sein Komplize, der ja nicht sein Komplize dann im Endeffekt war,
00:26:55
freigesprochen wurde, dass ganz viele Beweise zerstört wurden.
00:27:01
Also es ist ja wirklich nicht so unwahrscheinlich, dass er freigesprochen würde, wenn die das jetzt nochmal machen würden.
00:27:06
Deswegen, er hätte sich ja auch dafür entscheiden können, zurückzukommen.
00:27:10
Deswegen kann ich mir auch vorstellen, dass sein Leben nicht jetzt mit ständiger Angst zusammenhängt
00:27:15
oder nicht so schlecht ist, wie man das vielleicht denken würde.
00:27:18
Naja, also ich denke mir, wenn die mich so verknackt haben und ich bin jetzt wirklich unschuldig,
00:27:24
dann würde ich einen Keks drauf geben, dass die mir nochmal ein faires Verfahren zustehen.
00:27:30
Ja, also ich meine jetzt, wenn er nur mit Angst jeden Tag, also wenn er so ein Leben hätte, ja.
00:27:34
Nö, das glaube ich ja gar nicht. Ich glaube aber, dass das was ist, was man schwer abschalten kann.
00:27:39
Ich meine, du kannst ja niemandem eigentlich so richtig vertrauen.
00:27:42
Bei ihm hat es jetzt offenbar bei seiner Flucht sehr gut geklappt und danach haben die Leute offenbar auch dicht gehalten.
00:27:48
Aber sich ein neues Leben aufzubauen, theoretisch muss der seine Vergangenheit da komplett ausklammern.
00:27:56
Und dann bist du vielleicht ja nie wirklich du.
00:28:00
Weißt du, wenn du niemandem dich so richtig anvertrauen kannst?
00:28:05
Für mich hat das nicht so viel von kompletter Freiheit.
00:28:07
Nee, nee, auf keinen Fall. Aber er hat sich ja eine Freiheit geholt, die er in Österreich möglicherweise noch viele, viele Jahre nicht bekommen hätte.
00:28:18
Ich finde es traurig um die Eltern.
00:28:21
Dass er die ja wahrscheinlich auch nie wieder gesehen hat.
00:28:24
Ich habe ja eben gesagt, dass Europol nach Tibor sucht. Aber was genau heißt das, habe ich mich gefragt.
00:28:33
Und dazu muss ich mir erst mal anschauen, was Europol eigentlich genau ist und was die eigentlich so machen.
00:28:38
Kurz steht das für European Police Office, also Europäisches Polizeiamt.
00:28:43
Und Aufgabe von Europol ist es, die Arbeit der nationalen Polizeibehörden, also beispielsweise des deutschen und österreichischen BKA's, bei der Kriminalitätsbekämpfung zu unterstützen.
00:28:54
Vor allem im Bereich der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität.
00:28:58
Also Hauptaufgabenbereiche sind Terrorismus, illegaler Waffenhandel, Drogenhandel, Kinderpornografie und Geldwäsche.
00:29:05
Also ein verdächtiger Mörder, wie Tibor jetzt einer ist, stellt eher so einen kleinen Fisch dar.
00:29:11
Man kann sich Europol aber nicht wie eine normale Polizeibehörde vorstellen.
00:29:15
Also da gibt es jetzt keine PolizistInnen, die eigenständig ermitteln oder irgendwen verhaften.
00:29:20
Also es ist momentan keine Gruppe unterwegs, die irgendwo in den USA an Türen klopft und nach Tibor fragt.
00:29:26
Die Menschen, die nach ihm suchen, sitzen vor dem PC.
00:29:30
Denn die größte Waffe von Europol sind Daten.
00:29:33
Da die Behörde Zugriff auf die unterschiedlichsten Datenbanken hat,
00:29:36
Informationen aus allen EU-Mitgliedsstaaten von Interpol und anderen Partnerländern erhält,
00:29:42
ist ihr Job, Daten sammeln, verarbeiten und analysieren.
00:29:45
Und so können sich die MitarbeiterInnen dort ein größeres Bild machen als andere lokale Polizeibehörden.
00:29:52
Von beispielsweise Drogenhandel, also dann dem Weg der Drogen nach Deutschland,
00:29:57
können Punkte verbinden und ihre Ergebnisse dann an die zuständigen Behörden weitergeben.
00:30:04
Für die Suche nach Tibor ist ja eigentlich das österreichische BKA zuständig.
00:30:08
Also das ist die ermittelnde Behörde.
00:30:10
Wenn dort jetzt beispielsweise ein Ermittler oder eine Ermittlerin durch das Abhören von Telefonen mitbekommt,
00:30:15
dass Tibor sich in Frankreich aufhält, dann wird das an Europol weitergegeben.
00:30:20
Die können dann gezielt Informationen mit französischen Datenbanken abgleichen
00:30:25
und dann über ihre sogenannten VerbindungsbeamtInnen,
00:30:28
das sind Abgesandte von der französischen Polizei, die dann in Den Haag bei Europol sitzen,
00:30:33
die Behörden vor Ort mit den Informationen versorgen und auch auffordern zu ermitteln,
00:30:38
also nach Tibor zu suchen.
00:30:39
Das sind dann aber französische BeamtInnen, keine von Europol.
00:30:43
Und das wird von vielen in Politik und Presse kritisiert.
00:30:47
Schon lange gibt es Rufe nach einem sogenannten europäischen FBI,
00:30:51
also einer Behörde, die eigenständig über Grenzen hinweg ermitteln darf.
00:30:55
Hauptargument dafür ist, dass Kriminelle in Europa ja ungehindert agieren können,
00:31:01
während die Strafverfolgungsbehörden weiterhin an den Grenzen Halt machen müssen.
00:31:06
Ja, ich denke mir nur, nicht ansässige ErmittlerInnen, die kennen sich in dem Land nicht aus,
00:31:12
die kennen möglicherweise die Sprache nicht.
00:31:15
Also müsstest du aus allen verschiedenen Ländern da Leute sitzen haben,
00:31:20
die dann aber auch nur für das Land zuständig sind und dann sich aber trotzdem in der jeweiligen Region auch nicht auskennen.
00:31:27
Ja, es ist auch relativ unwahrscheinlich, dass das in nächster Zeit passiert.
00:31:32
Was aber hauptsächlich daran liegt, dass dafür ein europäisches Strafrecht und Strafprozessrecht existieren müsste.
00:31:40
Ja, also ein Rechtssystem, mit dem alle Mitgliedstaaten zufrieden sind.
00:31:45
Und ich denke, dass man da relativ unwahrscheinlich auf einen Nenner kommt.
00:31:49
Wie wir gleich in unserer Diskussion sehen, gibt es da allein im Strafrecht zwischen Österreich und Deutschland große Unterschiede.
00:31:55
Aber auch die Richtlinien bei der Strafverfolgung sind von Land zu Land verschieden.
00:32:00
Beispielsweise ist die Blutabnahme bei Verdächtigen in Deutschland auch gegen ihren Willen möglich, in Frankreich hingegen nicht.
00:32:07
Aber kommen wir zurück zu der tatsächlichen Arbeit von Europol.
00:32:09
Eine Möglichkeit, neben den Datenbanken an Hinweisen zu Tibor zu kommen, ist die Öffentlichkeit.
00:32:16
Auf der Internetseite eumostwanted.eu sind deshalb die derzeit 46 meistgesuchten Verbrecher in Europas abgebildet.
00:32:25
Und darunter sind neben Tibor übrigens auch noch andere uns bekannte Gesichter.
00:32:30
Wie zum Beispiel die beiden Russen, die verdächtigt werden, den Anschlag auf den Ex-Doppelagenten Skripal verübt zu haben.
00:32:37
Und von Tibor sind da alte Fotos zu sehen, also relativ viele.
00:32:42
Aber auch solche, die mit einem Computerprogramm einen gealterten Tibor zeigen.
00:32:48
Außerdem eine Stimme und eine Schriftprobe.
00:32:51
Für Hinweise, die zur Verhaftung von ihm führen, ist eine Belohnung von 20.000 Euro ausgeschrieben.
00:32:57
2017 startete Europol eine Aktion, um mehr Menschen zur Mithilfe zu motivieren.
00:33:02
Und dazu veröffentlichte die Behörde eine Ansichtskarte mit folgendem Text.
00:33:06
Servus Tibor. Wir haben dich lange nicht gesehen.
00:33:10
Ein Platz auf unserem Skitrip ist noch frei.
00:33:13
Komm doch bitte wieder zurück und genieß unsere wunderschönen Alpen.
00:33:17
Die Website gibt es seit 2016.
00:33:19
Und innerhalb des ersten Jahres wurden 36 der Gesuchten festgenommen.
00:33:23
11 davon aufgrund von Hinweisen nach der Veröffentlichung auf der Seite.
00:33:29
Mein Fall ist ähnlich unglaublich wie deiner.
00:33:33
Und er zeigt, dass eine Person es schaffen kann, in zwei Welten gleichzeitig zu leben,
00:33:39
ohne dass die eine von der anderen etwas mitbekommt.
00:33:43
Es ist der 19. Mai 1993, als im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses eine Box aus Pappe liegt.
00:33:51
In der Box befindet sich ein handgeschriebener Brief.
00:33:56
Es ist neun Monate alt.
00:33:59
Als Rosemarie, die in diesem Haus wohnt, den Brief zu lesen bekommt, kann sie es nicht fassen.
00:34:05
Er ist von ihrer Tochter.
00:34:06
So lange hatte sie nichts von ihr gehört.
00:34:10
Und jetzt diese Zeilen.
00:34:11
Liebe Eltern, ich übergebe euch meine kleine Tochter Lisa.
00:34:16
Passt mir gut auf die Kleine auf.
00:34:18
Ich habe ihr sechseinhalb Monate die Brust gegeben.
00:34:20
Sie schreibt, dass sie schon eine Tochter Kerstin und einen Sohn namens Stefan hat.
00:34:26
Um ein drittes Kind könne sie sich nicht kümmern.
00:34:28
Sie hofft, dass Lisa von ihren Großeltern adoptiert wird und sie ihnen nicht zu viele Umstände macht.
00:34:34
Neun Jahre ist es her, dass die damals 18-jährige Elisabeth ihre Familie verlassen hat.
00:34:40
Sie ist gegangen, ohne ein Wort zu sagen.
00:34:43
Nur einen Abschiedsbrief hatte sie geschrieben.
00:34:45
Elisabeth ist ein Problemkind, sagte ihr Vater schon lange, bevor sie abhaute.
00:34:51
Rosemarie und ihr Mann beschließen, die Enkeltochter aufzunehmen.
00:34:55
Vorher will er aber mit Elisabeths alten Schreibunterlagen zu einem Graphologen gehen und die mit dem Brief vergleichen.
00:35:02
Nicht, dass ihnen hier einfach irgendjemand ein Kind unterjubeln will.
00:35:05
Wenn es wirklich das Kind von Elisabeth ist, dann adoptieren sie es.
00:35:09
Weit weg von der Mutter auf Abwägen soll das Kind bei Oma und Opa dann aufwachsen.
00:35:14
Doch was Rosemarie nicht weiß, ist, dass das kleine Kind in dem Pappkarton
00:35:20
nicht nur die Enkeltochter von ihr und ihrem Mann ist.
00:35:23
Es ist gleichzeitig auch seine Tochter.
00:35:25
Josef Fritzl wurde schon in Amstetten geboren.
00:35:31
Rosemarie lernte er damals in einem Kaffeehaus kennen.
00:35:34
Da ist er 21 und sie 17 Jahre alt.
00:35:38
Ein Jahr später heiraten die beiden.
00:35:40
Josef sieht immer adrette aus, wie ein Diplomat, denken seine Kolleginnen und Kollegen.
00:35:46
Der Mann mit dem akkurat gestutzten Schnäuze hat Wirkung auf Frauen.
00:35:49
Josef ist ein Bastler und Tüftler.
00:35:52
Ein intelligenter Mann.
00:35:53
Ein Kollege beschreibt ihn als grenzgenial.
00:35:56
Ein richtiger Macher.
00:35:57
Rosemarie hingegen ist einfach gestrickt.
00:36:01
Eine Lehre macht sie nicht.
00:36:02
Sie arbeitet als Küchenhilfe.
00:36:04
Außer Josef hat sie nie einen anderen Mann gehabt.
00:36:08
Und deswegen weiß sie vielleicht auch nicht, dass nicht alle Männer ihre Frauen behandeln,
00:36:12
wie es Josef tut.
00:36:13
Josef wiederum hat sich bewusst eine Frau ausgesucht, die ihm nicht widerspricht.
00:36:18
Rosemarie muss spuren, dem Despoten daheim gehorchen.
00:36:22
Die meiste Zeit steht sie für ihn in der Küche oder räumt auf.
00:36:25
Dass Josef dafür mal in irgendeiner Form Dankbarkeit zeigt, kommt so gut wie nie vor.
00:36:30
Er ist furchtbar geizig, außerdem herrisch und unverschämt.
00:36:34
Beim Essen sagt er zu ihr, friss nicht zu viel, du bist eh schon zu fett.
00:36:39
Auch vor ihrer Familie benimmt er sich ekelhaft, macht schlechte, chauvinistische Sexwitze
00:36:44
und legt sich mit Rosemaries Schwester an.
00:36:48
Josef selbst ist Einzelkind gewesen und hat sich immer eine große Familie gewünscht.
00:36:53
Auch diesem Wunsch kommt Rosemarie nach.
00:36:55
Die beiden bekommen sieben Kinder.
00:36:57
Aus diesem Konstrukt sieht Rosemarie keinen Ausweg.
00:37:00
Sie ist völlig mittellos ohne ihren Mann.
00:37:02
Sie nimmt ihn sogar wieder zurück, als er nach einem Jahr Gefängnisaufenthalt wieder vor
00:37:07
ihrer Tür steht.
00:37:08
Er hatte eine Frau vergewaltigt.
00:37:10
Josef ist seinen Kindern kein guter Vater.
00:37:14
Er ist nicht liebevoll oder beschützend.
00:37:16
Das hat er selbst auch nie erlebt.
00:37:19
Sein Vater wurde von der Mutter verscheucht, als Josef vier Jahre alt war.
00:37:22
Seine Mutter war eine gewalttätige Frau.
00:37:25
Sie prügelte ihren einzigen Sohn, bis er grün und blau war.
00:37:28
Nie hat er mal einen Bussi bekommen oder wurde von ihr gedrückt.
00:37:31
Dass er damals nie gelernt hat, was es heißt, geborgen aufzuwachsen, bekommen heute seine eigenen
00:37:37
Kinder zu spüren.
00:37:38
Wenn er einen Raum betritt, haben die Kinder den Mund zu halten.
00:37:42
Ansonsten gibt es Schläge.
00:37:43
Und zwar mit der Faust.
00:37:45
Und das kommt nicht selten vor.
00:37:47
Alles lebt nach seinen Regeln.
00:37:49
Ganz besonders schlimm hat es aber das vierte Kind, Elisabeth, getroffen.
00:37:54
Weil sie nicht ist wie die Mutter.
00:37:56
Weil sie sich nicht so leicht unterordnen kann.
00:37:59
Auch wenn sie auf Außenstehende im ersten Moment schüchtern, fast scheu wirkt, hat sie ihren eigenen Willen.
00:38:05
Im Grunde ähnelt sie dem Vater am meisten mit ihrer eigenständigen Art.
00:38:10
Und genau das duldet er nicht.
00:38:13
Später heißt es, sie war elf, als er sie das erste Mal vergewaltigt.
00:38:17
Aber sagen tut sie es niemandem.
00:38:20
Er ist der aggressive Tyrann mit Allmachtsfantasien und sie nur ein kleines Mädchen, das ihm nichts entgegensetzen kann.
00:38:27
Über Jahre geht das so.
00:38:29
Er nimmt sich, was er will, wann er es will, während Elisabeth langsam zu einer jungen Frau heranwächst.
00:38:36
Sie beginnt eine Ausbildung in der Gastronomie, hat die Möglichkeit auch mal auswärts bei ihrer Lehrstelle zu schlafen.
00:38:41
Alles Dinge, die dem Vater überhaupt nicht gefallen.
00:38:45
Kontrollverlust über die Person, die er doch am liebsten besitzen will.
00:38:49
Mit 17 aber hält Elisabeth es Zuhause nicht mehr aus und reist mit einer Freundin nach Wien aus.
00:38:55
Dort ziehen sie um die Häuser, hängen am Bahnhof rum, bis sie von Polizisten aufgegabelt werden.
00:39:01
Die beiden Beamten informieren die Eltern der Ausreißerinnen.
00:39:05
Josef Fritzl holt seine Tochter persönlich aus Wien ab.
00:39:08
Zuhause beginnt das Martyrium nach einer Zeit erneut.
00:39:12
Ihr einziger Lichtblick.
00:39:14
Wenn sie nur endlich ihre Lehre beendet hat und sie eine Anstellung findet, dann kann sie ausziehen.
00:39:19
Sie schreibt in Briefen an einen Freund.
00:39:21
Am Montag fahre ich nach Traun.
00:39:23
Ich habe mir nämlich alle freien Stellen herausgeschrieben und die muss ich der Reihe nach abklappern.
00:39:28
Hoffentlich finde ich das Richtige.
00:39:30
Drück mir die Daumen.
00:39:31
Widerstand regt sich in ihr.
00:39:34
Als sie 18 ist, sieht es gut für sie aus.
00:39:36
Sie hat eine Aussicht auf eine Stelle.
00:39:38
Aber nur ein paar Wochen, bevor es soweit ist, am 29. August 1984, soll sie ihrem Vater helfen, eine Tür in den Keller zu bringen.
00:39:48
Als sie ihm nichts anzuhand gehen will, betäubt er sie mit Äther und bringt sie runter in eine Unterwelt, die er nur für sie gebaut hat.
00:39:55
Ein Verlies, das er angefangen hatte, zu planen, circa um die Zeit der ersten Vergewaltigung.
00:40:01
Damals stellte er einen Bauantrag für ein unterkellertes Hinterhaus.
00:40:04
Hier hat er ein paar Jahre, dass er ein paar Jahre alt war, hatte er den Behörden und auch seiner Familie vorenthalten.
00:40:15
Nie durfte jemand in den Keller, nicht mal Rosemarie.
00:40:18
Hinter den normalen Kellerräumen hatte Fritze hinter einem Regal den 83 cm hohen Zugang versteckt.
00:40:26
Der Zugang zu dem Gefängnis, in dem seine Tochter von jetzt bis in alle Ewigkeit leben soll.
00:40:33
Hier im Keller ist alles dunkel.
00:40:36
Es gibt kein Fenster, durch das Sonnenstrahlen einfallen könnten.
00:40:40
Keine Frischluft.
00:40:41
Elisabeth ist gefangen in dem 18 Quadratmeter großen Raum, von dem der meiste Platz zugestellt ist.
00:40:47
Mit einem Bett, einer Toilette, einem Waschbecken und einer Kochplatte.
00:40:51
Die Decken sind niedrig, an manchen Stellen nur 1,70 hoch.
00:40:55
Das macht die unerträgliche Enge hier nur noch beklemmender.
00:40:59
Dazu kommt noch die kaum auszuhaltende Feuchtigkeit.
00:41:02
Hier unten ist es so nass, dass Elisabeth das Wasser von der Decke mit Handtüchern aufsaugen muss.
00:41:08
Die Wände sind mit Gummimatten schalldicht gemacht.
00:41:11
Alle drei Tage kommt Fritze hier runter, bringt Essen und vergewaltigt seine Tochter.
00:41:16
Manchmal bleibt er auch über Nacht.
00:41:18
Sie hat keine Chance, hier rauszukommen.
00:41:21
Der Keller, in dem Elisabeth lebt, ist zu den anderen Räumen durch eine 300 Kilo schwere Eisentür getrennt.
00:41:27
Die lässt sich nur durch einen elektrischen Schließmechanismus öffnen
00:41:31
und der kann wiederum nur mit einem Code betätigt werden.
00:41:34
Die Mutter ahnt davon währenddessen nichts und macht sich Sorgen um ihr Kind.
00:41:38
Gleich am Tag nach ihrem Verschwinden hat sie sie als vermisst gemeldet.
00:41:42
Doch kurze Zeit später trifft ein Brief von Elisabeth ein.
00:41:46
Er trägt einen Stempel von Braunau am Inn.
00:41:49
Darin schreibt Elisabeth, dass sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat.
00:41:53
Sie würde jetzt bei einem Freund leben und bittet ihre Eltern nicht nach ihr zu suchen.
00:41:57
Es ist ihre Handschrift.
00:41:59
Elisabeth hat den Brief wirklich geschrieben.
00:42:01
Ihr Vater hat sie dazu gezwungen.
00:42:03
Den Behörden tischt er noch eine Geschichte von einer Sekte auf, der sich Elisabeth angeschlossen haben soll.
00:42:09
Nach einer kurzen und erfolglosen Suchaktion ist der Fall für die Behörden abgehakt.
00:42:14
Eine Volljährige, die schon öfter mal ausgerissen ist, hat sich jetzt halt einer Sektengemeinschaft angeschlossen.
00:42:20
Während ihre Freunde und Freundinnen alle älter werden, die Welt entdecken und für sich einen Lebensweg einschlagen,
00:42:26
kauert Elisabeth in ihrem ewigen Gefängnis.
00:42:30
So vergehen Wochen, Monate, Jahre.
00:42:32
Oben mimt Josef Fritzl den Familienvater, unten zeigt er sein anderes Gesicht.
00:42:38
Wenn er Elisabeth bestrafen will, dann stellt er ihr einfach den Strom ab.
00:42:42
Einmal muss sie zehn Tage ohne Licht ausharren.
00:42:46
Mittlerweile hat Fritzl ihr einen Fernseher unten reingestellt.
00:42:49
Ihre einzige Möglichkeit zu erfahren, wie sich die Welt draußen weiter bewegt.
00:42:53
Bei den Vergewaltigungen benutzt Fritzl kein Kondom.
00:42:59
Ungefähr vier Jahre, nachdem Fritzl Elisabeth in das Verlies geschleppt hat, bleibt ihre Periode aus.
00:43:04
Ob Kerstin 1988 oder 1989 zur Welt gekommen ist, man kann es heute nicht mehr so genau sagen.
00:43:11
Aber Elisabeth muss die Geburt alleine durchstehen.
00:43:14
Fritzl hat ihr zur Vorbereitung Bücher gegeben und ein paar Handtücher.
00:43:17
Für Josef Fritzl ist die Geburt seiner Tochter ein Segen.
00:43:21
Genau das wollte er.
00:43:22
Eine Familie oben und eine Familie unten, an die niemand herankommt.
00:43:27
Die er wie in einem Safe gefangen hält.
00:43:29
Elisabeth gerät in der normalen Welt langsam in Vergessenheit,
00:43:33
während nur drei Meter über ihr, Untermieter des Vaters, manchmal Partys schmeißen.
00:43:38
Fritzl vermietet die Wohnung in dem Haus, in dem er auch selbst mit Rosemarie wohnt.
00:43:42
Allen Untermietern und Untermieterinnen droht er mit fristloser Kündigung,
00:43:46
sollten sie seine privaten Bereiche betreten.
00:43:49
Dazu gehört natürlich nicht nur die Wohnung seiner Familie, sondern auch der Garten und selbstverständlich der Keller.
00:43:56
Elisabeth bringt unten ihr zweites Kind zur Welt.
00:43:58
Diesmal ist es ein Sohn.
00:44:00
Sie nennt ihn Stefan.
00:44:01
Für die beiden Kinder ist der Keller ihre Normalität.
00:44:05
Sie kennen die Welt da draußen nicht, haben nie eine Sonne gesehen, außer mal im Fernsehen.
00:44:10
Elisabeth kümmert sich aufopferungsvoll um ihre Kinder.
00:44:14
Als im Jahr 1992 die kleine Lisa zur Welt kommt, gibt es aber ein Problem.
00:44:18
Die Enge ist mit so vielen Menschen nicht mehr auszuhalten.
00:44:21
Anfangs war es nur Elisabeth und manchmal der Vater.
00:44:24
Jetzt sind sie teilweise zu fünft.
00:44:27
Fritzl überlegt sich, wie er Platz schaffen kann.
00:44:29
Er will den Keller weiter ausbauen.
00:44:31
Aber das reicht nicht.
00:44:33
Eines der Kinder muss nach oben.
00:44:35
Seine Wahl fällt auf Lisa.
00:44:37
Immerhin hat sie am wenigsten von dem Keller mitbekommen.
00:44:41
Elisabeth soll einen Brief schreiben.
00:44:44
Ich habe ihr ca. 6,5 Monate die Brust gegeben und jetzt trinkt sie nur noch die Milch aus dem Fläscherl.
00:44:49
Alles andere ist sie schon brav vom Löffel, diktiert Fritzl.
00:44:53
Dann packt er das Baby in den Packkarton, legt den Brief bei und spielt oben den Überraschten.
00:44:59
Für die Behörden ist die Geschichte schlüssig und Nachforschung nicht notwendig,
00:45:04
denn immerhin sind die Fritzls bereit, das Findelkind zu adoptieren.
00:45:07
Seine damalige Vergewaltigung steht ihm hierbei nicht im Weg.
00:45:11
Nach über 15 Jahren ist der Eintrag aus seiner Akte gelöscht.
00:45:14
In der Zwischenzeit erweitert Fritzl unten den Keller auf 55 Quadratmeter.
00:45:20
Es gibt mehr Platz für Betten, eine Waschmaschine und er baut eine Dusche ein.
00:45:24
Auch wenn die nur 1,22 Meter hochhängt.
00:45:28
In einem Schlafzimmer hängen Elisabeth und ihre Kinder selbst gebastelte Sterne an die Wand.
00:45:33
Wenn Fritzl größere Einkäufe für seine Zweitfamilie erledigen muss, fährt er in die Nachbarstädte.
00:45:38
Während hier unten nur das erlaubt ist, was Fritzl für lebensnotwendig hält,
00:45:42
fährt er oben Mercedes und lässt sich Anzüge nach Mars schneidern.
00:45:46
Abends setzt er sich im Bas und schaut Frauen hinterher.
00:45:49
Aber nur den Schlanken.
00:45:51
Die Fritzls sind wohlhabend.
00:45:54
Er und Rosemarie betreiben einen Gasthof und einen Campingplatz.
00:45:57
Nebenbei hat er noch 5 Häuser in Niederösterreich, die er vermietet.
00:46:01
In einem davon wohnt er selbst.
00:46:04
Dass eine Menge des Geldes für eine zweite Familie draufgeht, bemerkt Rosemarie offenbar nicht.
00:46:09
Auch, dass ihr Mann allein das Vermögen verwaltet, lässt sie ihm anstandslos durchgehen.
00:46:14
1994 taucht erneut ein Baby bei den Fritzls auf.
00:46:18
Es ist die 10 Monate alte Monika.
00:46:21
Jemand hat sie in Lisas Kinderwagen gelegt.
00:46:24
Kurz darauf klingelt das Telefon.
00:46:26
Rosemarie hebt ab.
00:46:27
Sie glaubt, am anderen Ende der Leitung spricht Elisabeth, die ihm mitteilt, dass sie schon wieder ein Baby abgelegt hat.
00:46:33
Sie könne aber nicht sagen, wo sie sich aufhält.
00:46:36
Rosemarie erleidet fast einen Zusammenbruch.
00:46:39
Auch, weil sie sich nicht erklären kann, woher Elisabeth die neue Telefonnummer hat.
00:46:44
Gerade erst hatte die Familie den Anschluss gewechselt.
00:46:47
Wahrscheinlich war es so, dass Fritzl entweder seine Stimme verstellt hat
00:46:52
oder er hat Elisabeths Stimme vorher mit einem Rekorder aufgenommen und das dann halt abgespielt.
00:46:57
In all den Jahren fahren die Fritzls oft mit Freunden übers Wochenende weg.
00:47:02
Meist in ihr Gasthaus am Mondsee.
00:47:05
Aber auch Urlaub macht Fritzl, als hätte er keine zweite Familie im Keller zu versorgen.
00:47:10
Zweimal fällt er mit seinem besten Freund nach Thailand.
00:47:13
Vier Wochen reiner Pattaya-Party-Urlaub.
00:47:16
Sein Freund Paul hält einige Erlebnisse mit einer Kamera fest.
00:47:20
Auf einem dieser Videos sieht man, wie sich Fritzl von einer Einheimischen am Strand massieren lässt.
00:47:26
Als sie sich von ihm abwendet, streicht er ihr über den Rücken.
00:47:30
Auf einem anderen sieht man, wie er in Pattaya auf dem Markt ein Abendkleid und Dessous kauft.
00:47:34
Viel zu klein für Rosemarie.
00:47:37
Als Fritzl merkt, dass sein Einkauf von seinem Freund auf Video aufgenommen wird, wird er sauer.
00:47:42
Das sei für seine Freundin, aber wehe, er erzähle seiner Frau was davon.
00:47:47
Zu dem Zeitpunkt ist es bereits 15 Jahre her, dass Elisabeth Sonne gesehen hat.
00:47:52
Sie musste Fritzl um eine UV-Lampe und Vitamin D für die Kinder bitten.
00:47:56
In der Zeit, in der sich Fritzl auf Pattaya vergnügt, stapelt sich der Abfall im Verlies.
00:48:02
Durch die hohe Luftfeuchtigkeit entsteht Fäulnis.
00:48:05
Elisabeth und die Kinder haben mit Pilzbefall zu kämpfen.
00:48:08
Aber auch andere gesundheitliche Probleme haben sie.
00:48:11
Das ständige Liegen und Sitzen geht auf die Knochen.
00:48:15
Mittlerweile hat Elisabeth kaum noch Zähne im Mund.
00:48:17
Ein weiteres Kind kommt zur Welt.
00:48:20
Aber auch er wird der Mutter entrissen.
00:48:23
Fritzl zieht seinen Findelkind-Theater zum dritten Mal ab.
00:48:26
Er beschwert sich sogar bei seinem Urlaubsfreund und dessen Frau über die abgelegten Kinder.
00:48:31
Die sagen ihm, wenn das jetzt nicht auffört, kriegst du bald einen Kindergarten zusammen.
00:48:36
Deswegen bleibt das letzte Kind, Felix.
00:48:40
Das Elisabeth bekommt unten.
00:48:42
Ein weiteres Findelkind will Fritzl Rosemarie nicht zumuten.
00:48:45
Oben drei, unten drei.
00:48:48
Manchmal witzeln die Freunde von den Fritzls, dass Alexander dem Josef wie aus dem Gesicht geschnitten ist.
00:48:54
Dass hier nicht nur die Gene des Großvaters durchschlagen, ahnt niemand.
00:49:00
Seine Kinder oben nennen Fritzl Papa, obwohl sie eigentlich im Glauben gelassen werden, er sei ihr Opa.
00:49:07
Seine Kinder unten hingegen nennen ihn Opa, obwohl sie über all die Jahre hinweg die vielen Vergewaltigungen von Elisabeth mitbekommen.
00:49:16
Sie geschehen nur ein paar Meter von ihnen entfernt.
00:49:19
Türen gibt es unten nicht.
00:49:21
Während den Kindern oberhalb der Erde Sportvereine und Musikunterricht geboten wird.
00:49:26
Lisa lernt Querflöte spielen, Monika und Alexander Trompete.
00:49:30
Das alles hätte ewig so weitergehen können.
00:49:33
Und wäre es vermutlich auch, wenn nicht plötzlich am 16. April 2008 etwas passierte, mit dem keiner mehr rechnete.
00:49:41
Die mittlerweile 19-jährige Kerstin bekommt einen schweren epileptischen Anfall.
00:49:45
Sie krampft und beißt sich so doll auf die Zunge, dass ihr Mund voller Blut ist.
00:49:50
Es steht so schlecht um sie, dass Elisabeth Fritzl überzeugen kann, Kerstin ins Krankenhaus zu bringen.
00:49:56
Doch sie ist schon nicht mehr in der Lage, die Treppen hochzulaufen.
00:49:59
Fritzl allein, der mittlerweile über 70 Jahre alt ist, schafft es nicht.
00:50:04
Das erste Mal also, nach 24 Jahren, lässt Elisabeth die modrige Hölle hinter sich und steigt die Treppen hinauf in die reale Welt.
00:50:12
In ihrem Arm ihre schwächelnde Tochter.
00:50:15
Aber so nah die Freiheit auch scheint, so schnell wird ihr die Chance darauf wieder genommen.
00:50:20
Elisabeth muss zurück in den Keller, zu ihren anderen Kindern, während Fritzl Kerstin ins Krankenhaus bringt.
00:50:26
Dort kommt sie bewusstlos und mit Multiorganversagen an.
00:50:30
Ihre Lage ist lebensbedrohlich.
00:50:32
Die Ärztinnen und Ärzte versetzen sie ins künstliche Koma.
00:50:35
Da die junge Frau keinerlei Papiere hat, gerät Fritzl in Bedrängnis.
00:50:41
Er hat sie gebracht, macht aber keine genauen Angaben zu ihr.
00:50:44
Den Ärztinnen und Ärzten fällt auf, dass die Frau total verwahrlost aussieht.
00:50:49
Fritzl greift zu der Geschichte, die ihm die Behörden bisher schon dreimal abgekauft haben.
00:50:55
Die junge Frau hätte an diesem frühen Morgen vor seiner Haustür gestanden und einen Zettel in der Hand gehabt.
00:51:01
Von seiner verschollenen Tochter Elisabeth.
00:51:03
Glaubhaft erscheint das den Ärztinnen und Ärzten nicht.
00:51:07
Sie brauchen außerdem dringend die Mutter, um weitere Informationen zu bekommen.
00:51:11
Sie haben nämlich Schwierigkeiten herauszufinden, was die Ursache für Kerstins Anfall war.
00:51:15
Und so wird fast ein Vierteljahrhundert, nachdem Elisabeth verschwunden war, das erste Mal wirklich nach ihr gesucht.
00:51:23
Flüchtlingsgemeinschaften werden durchforstet, ihre Briefe analysiert und Nachrichten berichten im Fernsehen von der in Lebensgefahr schwebenden Frau und appellieren an die Mutter.
00:51:31
Elisabeth sieht das auf dem Fernseher im Keller und bittet ihren Vater, sie zur Tochter zu lassen.
00:51:36
Der weiß sich nicht mehr anders zu helfen.
00:51:40
Die Ärztinnen und Ärzte glauben ihm die Geschichte nicht, dass er die Frau noch nie gesehen haben will.
00:51:44
Eine Woche hadert er mit sich.
00:51:46
Dann lässt er sie gehen.
00:51:49
Als sich Elisabeth an der Rezeption meldet, ist die Polizei schnell informiert.
00:51:53
Ein paar Stunden später sitzen Elisabeth und Josef Fritzl getrennt voneinander auf der Polizeiwache.
00:51:59
Elisabeth zögert, sich zu öffnen, aber als sie die Polizistinnen versichern, dass ihr Vater ihr nichts mehr anhaben kann, beginnt sie zu reden.
00:52:07
Innerhalb von zwei Stunden erzählt sie die letzten 24 Jahre.
00:52:11
Ab da beginnen die Spurensicherungen am Tatort.
00:52:16
40 Beamtinnen und Beamte sind dafür zuständig, den Keller genauestens zu untersuchen.
00:52:20
Zwölf Tage brauchen sie dafür.
00:52:22
Danach bekommen sie psychologische Betreuung.
00:52:25
Die Ermittlungen hätten das Toleranzlimit an Körper und Seele überschritten.
00:52:30
Gerade die Feuchtigkeit da unten machte ihn zu schaffen.
00:52:34
Man stellt sich jetzt mal vor, die Leute waren ja nur ein paar Stunden da unten.
00:52:40
Sagen, welche Gegenstände sie dort gefunden haben, möchten sie nicht, sagt ein Polizeisprecher.
00:52:46
Aus Respekt der Familie gegenüber.
00:52:48
Als Elisabeth von ihrem Vater in den Keller verdammt wurde, war sie 18 Jahre alt und hatte braunes Schulterlanges Haar.
00:52:56
Jetzt, 8516 Tage später, ist sie 42 Jahre alt, hat schneeweiße Haare und fahle Haut.
00:53:06
Die Welt hat sich um 180 Grad gedreht.
00:53:09
Jetzt ist es ihr Vater, der in Gefangenschaft lebt.
00:53:13
Als er sich im März 2009 vor Gericht verantworten muss, hält er sich einen blauen Aktendeckel vor das Gesicht, obwohl das mittlerweile die ganze Welt kennt.
00:53:23
Angesetzt sind nur vier Verhandlungstage.
00:53:25
Man will kurz einen Prozess mit ihm machen.
00:53:27
Über 3000 Vergewaltigungen, Blutschande, wie Inzest in Österreich heißt, Sklaverei, schwere Nötigung, Freiheitsentzug und Mord durch Unterlassen stehen im Raum.
00:53:39
Elisabeth hatte nämlich nicht nur sechs Kinder geboren, sondern sieben.
00:53:43
Alexander, das vorletzte Kind, war ein Zwilling.
00:53:46
Sein Bruder Michael starb ein paar Tage nach der Geburt.
00:53:50
Elisabeth hatte bei der Polizei ausgesagt, dass sie Fritzl um Hilfe gebeten hatte, weil sie sah, dass es dem Kind nicht gut ging.
00:53:57
Der soll daraufhin, wie es kommt, so kommt es, gesagt haben.
00:54:03
Danach hat er den Leichnam beseitigt.
00:54:05
Fritzl und sein Verteidiger setzen alles daran, das Bild des Sexmonsters, wie die Presse ihn nennt, zu entkräften.
00:54:13
Er habe seine Tochter nur retten, sie vor ihrem falschen Weg beschützen wollen.
00:54:18
Er hätte keinen anderen Weg gesehen, als die Welt mit all ihren Versuchungen vor ihr fernzuhalten.
00:54:23
Nach Fritzls Version habe er sich vorher nicht an ihr vergangen.
00:54:28
Der Gedanke, sie zu vergewaltigen, wäre ihm erst nach ein paar Monaten gekommen.
00:54:33
Er bezeichnet die Beziehung, die er zu ihr hatte, übrigens als Verhältnis.
00:54:38
Er gibt aber zu, dass er ganz genau gewusst habe, dass sie es nicht wollte und dass er ihr wehtat.
00:54:44
Sie hätte dabei leise geschrien.
00:54:46
Seinem Trieb, wie er es nennt, habe er nicht widerstehen können.
00:54:50
Aber er hätte mit seinen Kindern gemeinsam fern gesehen, ihnen Spielzeug zum Geburtstag und Weihnachten geschenkt.
00:54:56
Elisabeth habe er Blumen mitgebracht.
00:54:59
Was wäre gewesen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre?
00:55:03
will das Gericht wissen.
00:55:04
Fritzl behauptet, dafür hätte er Sicherheitsvorkehrungen getroffen.
00:55:08
Beispielsweise hätte man die Tür mit einiger Anstrengung auch von innen öffnen können.
00:55:12
Außerdem habe er eine Zeitschaltuhr eingebaut.
00:55:15
Beides konnte nicht nachgewiesen werden.
00:55:19
Zweimal hat sich die Staatsanwältin in den Keller gewagt.
00:55:21
Sie hat den Geschworenen eine Schachtel mitgebracht.
00:55:23
Darin liegen Gegenstände aus dem Keller.
00:55:26
Die Geschworenen sollen sich eine Vorstellung davon machen können, wie es in dem Keller war.
00:55:30
Sehen kann man es auf den Bildern.
00:55:33
Als psychiatrische Gutachterin ist Heidi Kastner bestellt worden.
00:55:40
27 Stunden hat sie Fritzl zugehört.
00:55:43
Sie hält ihn für emotional invalide.
00:55:47
Die Emotionen, die er kennt, sind das Gefühl des Triumphs, wenn er jemanden dominiert.
00:55:52
Alle feineren, positiv besetzten Emotionen kann er nicht richtig nachvollziehen, sagt sie.
00:55:58
Er hätte die Fähigkeit gehabt, die Welt unten komplett von der Welt oben abzuspalten.
00:56:02
Wenn er die Tür zum Keller schloss, setzte er sich damit nicht mehr auseinander.
00:56:07
Das sei auch der Grund gewesen, warum er sich all die Jahre nicht einmal verraten hat.
00:56:12
Nur zum Einschlafen und zum Aufwachen habe er sich manchmal schuldig gefühlt.
00:56:16
Fritzl hat Kastner erzählt, dass er der Meinung ist, dass er zum Vergewaltiger geboren wurde.
00:56:22
Das gestörte Verhältnis zu seiner Mutter hätte ihn dazu gemacht.
00:56:26
Sie hatte ihren Sohn nur bekommen, um sich selbst die Fruchtbarkeit zu beweisen.
00:56:30
Ihr Sohn an sich und auch ihr Mann seien ihr egal gewesen.
00:56:33
Die fehlende Liebe, die Unterdrückung und die Demütigung, all das kehrte Fritzl um, als er selbst dazu in der Lage war.
00:56:41
Er nahm die Rolle seiner eigenen Mutter ein, tauschte die Machtverhältnisse.
00:56:45
Elisabeth sagt beim Prozess übrigens nicht persönlich aus.
00:56:49
Elf Stunden haben sie ihre Aussage auf Video aufgezeichnet.
00:56:53
Und in der Zeit muss die Presse den Saal verlassen.
00:56:56
Deswegen weiß man darüber kaum etwas.
00:56:59
Fritzl bekennt sich schuldig zum Vorwurf der Blutschande, der Freiheitsberaubung und der schweren Nötigung.
00:57:04
Teilweise schuldig für die Vergewaltigung und zum Vorwurf des Mordes durch Unterlassen und der Sklaverei nicht schuldig.
00:57:11
Er sagt noch dazu,
00:57:13
Ich bereue es aus ganzem Herzen, was ich meiner Familie angetan habe.
00:57:17
Ich kann es leider nicht mehr gut machen.
00:57:19
Ich kann nur schauen, den Schaden nach Möglichkeit zu begrenzen.
00:57:22
Den Vorwurf, seinen Sohn absichtlich sterben gelassen zu haben, streitet er ab.
00:57:28
Ich weiß nicht, warum ich nicht geholfen habe.
00:57:30
Ich war der Meinung, dass er es durchsteht.
00:57:32
Ich hätte etwas tun müssen.
00:57:34
Ich habe es einfach übersehen.
00:57:35
Ich war der Meinung, der Kleine wird überleben, sagt er.
00:57:39
Nach Elisabeths Videoaussage habe er nun eingesehen, dass sein Handeln falsch war.
00:57:44
Fritzl steht als Einzeltäter vor Gericht.
00:57:47
Das macht die Vorsitzende Richterin noch mal deutlich.
00:57:49
Auch, weil in der Zeit vor dem Prozess von Medien immer wieder die Frage gestellt wurde, was wusste die Ehefrau?
00:57:56
Also, ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich dachte halt auch so, ich wäre sicherlich nicht der Typ, der das Verschwinden meiner Tochter und das Auftauchen von vier Enkelkindern halt einfach so hinnehmen würde.
00:58:12
Ja, ich auch nicht.
00:58:15
Und ich hätte mich wahrscheinlich auch gefragt, wo das ganze Geld ist und warum er immer so viel Geld für Einkäufe ausgibt, die ich nicht sehe und was er immer die ganzen Stunden im Keller macht und da auch schläft und das 24 Jahre lang.
00:58:33
Also, ich hätte mich wahrscheinlich ein paar mehr Sachen gefragt.
00:58:38
Oder vielleicht hat sie sich die gefragt, aber ich wäre denen auch nachgegangen.
00:58:42
Also, das mit dem Geld, das scheint sie ja nicht gewusst zu haben, weil sie ja offenbar überhaupt keinen Überblick über diese Finanzen hatte und so.
00:58:48
Und ich meine, wir wissen ja auch, in was für einer Beziehung sie sich befunden hat.
00:58:53
Also, der war ja ein misshandelnder Charakter, ja.
00:58:57
Und selbst wenn ihr dann doch vielleicht was seltsam vorkam, weil das wissen wir ja am Ende nicht, ob ihr nicht seltsam vorkam, dann hat sie halt bestimmt oder hoffentlich nicht daran gedacht, dass es sowas ist.
00:59:10
Weil auf sowas kommt ja halt keiner.
00:59:14
Und hoffentlich hat sie das keinmal gedacht, weil wenn sie es gedacht hätte, dann hätte sie was machen müssen, ja.
00:59:21
Aber Fritze selbst sagt auch, dass er alleine war und alleine die Schuld tragen muss.
00:59:26
Und ihr konnte auch nie was nachgewiesen werden, obwohl sie sogar mal von einem deutschen Anwalt wegen Mittäterschaft angezeigt wurde.
00:59:34
Aber eigentlich, finde ich, ist sie eine super traurige Rolle in dieser Geschichte, weil, und das sagt auch ihre Schwester immer wieder, die Leute möchten sie nicht als Opfer sehen.
00:59:45
Mittlerweile ist sie auch komplett mittellos und die Kinder haben sich abgewandt, also zumindest Elisabeth wollte sie nicht sehen und hat ihr laut Rosemarie auch weitestgehend den Kontakt zu den Enkeln verboten.
01:00:00
Zur Urteilsverkündung sind hunderte JournalistInnen angereist.
01:00:04
Aus der ganzen Welt.
01:00:05
Alle wollen wissen, wie das geschworene Gericht entscheidet.
01:00:08
Das Gericht spricht Fritze in allen Anklagepunkten für schuldig.
01:00:12
Josef Fritze wird sein Leben lang im Gefängnis sitzen müssen.
01:00:16
Und so wendet sich das Blatt.
01:00:18
Rechtsmittel will er nicht gegen das Urteil einlegen.
01:00:22
Man wird schauen, ob Fritze therapierbar ist.
01:00:26
Generell ist man auch bei SexualstraftäterInnen in Österreich darauf aus, sie irgendwie wieder in die Gesellschaft einzugliedern.
01:00:33
Allerdings wird er mindestens 15 Jahre in Haft bleiben.
01:00:37
Und Josef Fritze ist zum Zeitpunkt seiner Verurteilung 73.
01:00:41
Also wird er wahrscheinlich nicht mehr wieder rauskommen.
01:00:46
Alle Fritzls haben mittlerweile neue Namen bekommen.
01:00:50
Und deswegen habe ich hier heute auch die richtigen verwendet.
01:00:52
Elisabeth und die Kinder, die mit ihrem Keller waren, müssen einiges nachholen.
01:00:57
Sie sprechen nicht wie andere, weil sie da unten einen anderen Dialekt entwickelt haben.
01:01:02
Sie haben gesundheitliche Probleme.
01:01:03
Von Elisabeth spricht man als Unbesiegbare, die all die Jahre für ihre Kinder ausgehalten hat und daran scheinbar nicht zerbrochen ist.
01:01:12
Kerstin ist nach sieben Wochen aus dem Koma zurückgeholt worden.
01:01:15
Soweit man weiß, geht es ihr heute wieder gut.
01:01:18
Auf der Fahrt damals ins Krankenhaus sind Stefan und der damals fünfjährige Felix aus dem Staunen gar nicht mehr rausgekommen.
01:01:24
Auch lange danach sind sie völlig überwältigt von der Welt, die ihnen so lang verborgen blieb.
01:01:30
Wenn eine Wolke vorbeizieht, dann bleiben ihre Augen daran haften.
01:01:34
So schön finden sie das.
01:01:38
Ich habe das Gefühl, dass man das immer verdrängt, weil man weiß ja um diese Geschichte.
01:01:44
Man weiß das auch, dass das so viele Jahre waren.
01:01:47
Und trotzdem, wenn man das dann nochmal hört, denkt man sich, das kann nicht sein.
01:01:53
Und deswegen glaube ich, dass man das, weil man das so schrecklich findet, weil man das nicht, man kann das nicht begreifen.
01:01:59
Und deswegen schiebt man das einfach weg und tut so, als würde man das nicht wissen.
01:02:04
Was ich mich frage ist, diesen halt, was du gesagt hast, diesen Unterschied zwischen diesen beiden Familien und zwischen diesen beiden Welten, der ja so unglaublich groß war.
01:02:13
Und bei drei Kindern es entschieden wurde, die kommen hoch und haben eine komplett andere Realität erlebt.
01:02:21
Und was für eine, weil man hört das ja oft, dass Leuten, denen so schlimme Schicksale oder die dem Tod entkommen sind oder irgendwie, dass die so unglaubliche Schuldgefühle bekommen, wenn andere gestorben sind oder sowas.
01:02:34
Wie das denen gehen muss, das sind ja ihre Geschwister und dass sie, nur weil da jetzt gerade zu wenig Platz war oder weil das jetzt schon zu oft passiert ist oder was weiß ich, es halt irgendwie entschieden wurde, du bleibst da und du gehst nach oben.
01:02:48
Das finde ich, oh, das finde ich so schrecklich.
01:02:50
Und gleichzeitig mussten die Kinder oben, aber auch ohne ihre Mutter klarkommen.
01:02:54
Die waren die ganze Zeit in dem Glauben, dass die Mutter die ausgesetzt hat.
01:03:00
Hast du den Film The Room oder Room, hast du den gesehen?
01:03:04
Und da geht es darum, da wird auch eine Frau entführt, nicht von dem eigenen Vater, aber entführt, in einen Raum gesperrt und da kriegt sie auch ein Kind.
01:03:13
Und dieses Kind gibt ihr einen Sinn zu leben, das merkt man voll.
01:03:20
Und ihre ganze Kraft und Motivation steckt sie in die Förderung des Kindes.
01:03:29
Und ich kann mir vorstellen, dass das halt das auch war, dass man das nachvollziehen kann.
01:03:34
Und dass Elisabeth das deswegen durchgestanden hat, weil sie ihre Kinder hatte.
01:03:39
Ja, weil das darf man ja auch nicht vergessen.
01:03:42
Sie war ja immerhin die Einzige, die weiß, wie die Welt eigentlich ist.
01:03:45
Die anderen haben das ja nicht gewusst.
01:03:49
Wie ich schon sagte, wurde Fritzl ja auch wegen Blutschande schuldig gesprochen, was wir in Deutschland ja Inzest nennen.
01:03:57
Wir schauen jetzt einmal auf das Rechtliche.
01:03:59
Also wie handhaben wir Inzest rechtlich in Deutschland und in Österreich, wobei Inzest wirklich super selten vorkommt.
01:04:07
In Deutschland gibt es gerade mal zwölf Verurteilungen pro Jahr.
01:04:11
Natürlich zum einen, weil es gesellschaftlich völlig verpönt ist und auch unserem moralischen Empfinden widerstrebt.
01:04:19
Aber zum anderen auch, weil wir wohl schon von der Natur aus eine Art Schutz gegen diese Art von familiären Beziehungen mitgegeben bekommen haben.
01:04:29
Wir können Verwandte nämlich nicht so gut riechen, angeblich, weil sie ähnlich riechen wie wir selbst.
01:04:36
Und weil wir in unserer Natur darauf ausgelegt sind, möglichst gesunde Nachkommen zu produzieren, soll es ebenso einen inneren Abwehrmechanismus geben.
01:04:45
Und dazu forschte auch schon ein Team der amerikanischen Wayne University.
01:04:48
Und der Gesetzgeber hat das unter Strafe gestellt, wegen der Bewahrung der familiären Ordnung beispielsweise
01:04:54
oder zum Schutz der unterlegenen Personen innerhalb einer inzestiösen Beziehung.
01:04:59
Auch zur Vorbeugung von Diskriminierung von Kindern, die eventuell aus so einer Beziehung hervorgehen.
01:05:05
Und wegen der Gefahr genetisch bedingter Erbkrankheiten bei Kindern aus familiären Beziehungen in gerader Linie.
01:05:12
Inzest als solcher wird bei uns in § 173 StGB aufgeführt.
01:05:18
Und er bezeichnet den Geschlechtsverkehr zwischen Verwandten, die halt in gerader Linie zueinander stehen.
01:05:25
Also so wie bei Fritzl, weswegen er auch verurteilt wurde.
01:05:29
Und in Deutschland ist es so, dass Menschen, die mit Verwandten in der Linie nach unten schlafen,
01:05:34
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft werden.
01:05:39
Das geht jetzt aber erstmal nur für den Inzest.
01:05:42
Also jetzt nicht für sexuellen Missbrauch, sondern nur Inzest an sich.
01:05:47
Die Kinder aus diesen Beziehungen, also die die Beziehung zu den Teilen nach oben pflegen,
01:05:53
würden mit bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft werden.
01:05:56
Also die bekommen dann weniger.
01:05:58
Gleiches gilt für Geschwister.
01:06:00
Inzest ist übrigens auch dann noch verboten, wenn man adoptiert wurde
01:06:04
und man damit eigentlich nicht mehr offiziell in diese Familie gehört.
01:06:08
Wenn Geschwister minderjährig sind, werden sie nicht bestraft.
01:06:11
Aber jetzt kommt's.
01:06:12
Welche Art von Beischlaf wird denn überhaupt unter Strafe gestellt?
01:06:17
Nur der vaginale Geschlechtsverkehr.
01:06:20
Heißt also, alle anderen fallen nicht unter 173.
01:06:25
Heißt, gleichgeschlechtlicher Sex fällt auch nicht darunter.
01:06:29
Also das ist ja eigentlich auch Inzest, aber nicht strafbar.
01:06:33
Ja, also Vater mit Sohn wäre jetzt nicht strafbar.
01:06:37
Das ist ja Quatsch.
01:06:39
Und das bestätigte hier in Deutschland 2018 der BGH auch nochmal.
01:06:43
Und das ist doch völlig absurd, oder?
01:06:45
Ja, da ist die Gleichberechtigung in dem Paragraph noch nicht angekommen.
01:06:51
Weil man privilegiert gleichgeschlechtlichen Sex innerhalb der Familie.
01:06:55
Also daran sieht man aber auch, dass das Gesetz veraltet ist,
01:06:59
weil das also meiner Meinung nach auch unter Strafe gestellt werden sollte.
01:07:03
Dass man noch mit aufnimmt, dass auch alles Beischlafähnliche da mit reingehört.
01:07:08
Man kann sich hierbei ja auch nicht so richtig auf die Argumentation berufen,
01:07:13
dass Kinder, die aus inzestiösen Beziehungen entstehen,
01:07:16
eine höhere Wahrscheinlichkeit auf Erbkrankheiten haben.
01:07:20
Also das kann auch kein Argument gegen diese gleichgeschlechtliche Beziehung sein,
01:07:24
weil ja auch geschützter Verkehr unter Strafe gestellt ist.
01:07:28
In Österreich ist die Blutschande ähnlich geregelt wie in Deutschland.
01:07:32
In Paragraph 211 StGB.
01:07:34
Nur, dass die Geschwister, die untereinander Sex haben,
01:07:37
mit maximal sechs Monaten Freiheitsstrafe bestraft werden.
01:07:40
Es gibt aber eben auch Kritik an 173.
01:07:43
Erstmal, weil er veraltet erscheint.
01:07:46
Homosexuelle Geschwisterpaare, wie wir gerade erfahren haben, diskriminiere.
01:07:50
Die sexuelle Selbstbestimmung einschränke und Schutzbefohlene
01:07:53
würden eh durch andere Gesetze geschützt werden.
01:07:56
Also halten ihn auch manche einfach für überflüssig.
01:07:59
2014 hat sich der Ethikrat mit dem Thema befasst.
01:08:03
Und das, obwohl es wirklich was ist,
01:08:05
mit dem sich unser System zum Glück nur sehr selten auseinandersetzen muss.
01:08:10
Und dazu hat sich der Ethikrat vor allem mit betroffenen Berichten von Geschwistern
01:08:14
oder Halbgeschwisterpaaren auseinandergesetzt,
01:08:16
die getrennt voneinander aufgewachsen sind
01:08:18
und sich dann später verliebt haben.
01:08:21
Und denen ist dann durch das gesetzliche Verbot halt
01:08:24
nicht oder kaum möglich war, eine Beziehung einzugehen.
01:08:27
Sie fühlten sich diskriminiert und natürlich auch
01:08:29
in ihrer sexuellen Selbstbestimmung beeinträchtigt.
01:08:33
Ich hänge euch den Bericht des Ethikrats in die Shownotes.
01:08:35
Ich fand den nämlich super spannend.
01:08:37
Bei einer Abschaffung des Paragrafen
01:08:39
wäre aber beispielsweise der einvernehmliche Geschwisterinzest
01:08:43
mit einem Geschwisterteil, der über 14 Jahre alt ist, erlaubt.
01:08:46
Ja, also der 20-jährige Bruder
01:08:49
darf mit der 16-jährigen Schwester Sex haben.
01:08:51
Dann theoretisch schon.
01:08:53
Das wäre natürlich problematisch,
01:08:55
weil es gerade in Familien ja auch Machtgefälle
01:08:58
zwischen Geschwistern gibt.
01:09:01
Also das fände ich dann halt eben auch völlig absurd.
01:09:04
Und der Ethikrat ist auch zu einem Fazit gekommen.
01:09:07
Würdest du meinen, dass der da Änderungsbedarf
01:09:10
in unserem Gesetz gesehen hat?
01:09:12
Ja, also das bräuchten wir.
01:09:14
Deshalb, weil dieses Gleichgeschlechtliche nicht mit drin ist
01:09:18
und nur dieser vaginale Sex
01:09:20
und sonst keine Art von Beischlaf aufgeführt wird
01:09:24
als Inzest-Tools, ne?
01:09:26
Genau, und das könnte man ja regeln,
01:09:29
in dem man beischlafähnliche Handlungen auch mit aufnimmt.
01:09:33
Der Ethikrat ist aber auch noch zu einem anderen Schluss gekommen.
01:09:36
Und diese Überlegung habe ich mir vorher auch einmal gemacht,
01:09:39
auch wenn ich sie selbst ein bisschen
01:09:41
abscheulich finde.
01:09:46
Ja, und zwar kam der Ethikrat zu dem Schluss,
01:09:49
dass Sex unter volljährigen Geschwistern erlaubt sein soll.
01:09:53
Und diesen Gedanken hatte ich,
01:09:55
nachdem ich diese Erfahrungsberichte gelesen habe,
01:10:00
Weil es um diese Paare ging,
01:10:03
die nicht miteinander aufgewachsen sind,
01:10:05
später kennengelernt haben und dann verliebt haben?
01:10:08
Das stand da drin oder was?
01:10:10
Und weil das Argument,
01:10:13
ja, aber die Gefahr,
01:10:15
dass die Kinder haben mit Erbkrankheiten,
01:10:18
ist ja viel höher oder ist höher,
01:10:20
das zählt halt nicht so wirklich,
01:10:22
weil man verbietet ja auch nicht,
01:10:25
anderen Leuten die Erbkrankheiten auf jeden Fall weitergeben würden,
01:10:28
Kinder zu haben.
01:10:30
Und das ist hier noch nicht mal safe,
01:10:33
dass das dann so ist, ja.
01:10:34
Deswegen finde ich,
01:10:36
zählt das Argument alleine eigentlich nicht.
01:10:40
ich kann es mir auch nicht vorstellen,
01:10:42
aber lest euch mal diese Berichte durch,
01:10:44
vielleicht habt ihr dann mehr Verständnis dafür.
01:10:46
Der Ethikrat sagt,
01:10:48
das Grundrecht der erwachsenen Geschwister
01:10:50
auf sexuelle Selbstbestimmung
01:10:51
ist in diesen Fällen stärker zu gewichten
01:10:53
als das abtrakte Schutzgut der Familie.
01:10:56
Okay, ich werde mir diesen Bericht auf jeden Fall durchlesen.
01:11:00
Es ist aber jetzt nicht so,
01:11:01
dass das irgendwas gebracht hätte.
01:11:02
Denn unser Justizministerium
01:11:05
hat keinen Änderungsbedarf gesehen.
01:11:07
Und deswegen ist Sex unter Vater und Sohn
01:11:10
immer noch kein strafbarer Inzest
01:11:12
und Halbgeschwister,
01:11:12
die nicht miteinander aufgewachsen sind,
01:11:14
dürfen, auch wenn sie 30 sind,
01:11:16
keine Beziehung zueinander führen,
01:11:18
ohne mit Strafverfolgung rechnen zu müssen.
01:11:21
Wenn man zur Kriminalität Österreichs recherchiert,
01:11:25
dann stößt man schnell auf eine Art von Verbrechen,
01:11:27
und zwar Serienmorde.
01:11:30
Bei meiner Recherche hatte ich irgendwie das Gefühl,
01:11:32
im Land der SerienmörderInnen angekommen zu sein.
01:11:35
Und tatsächlich weist Österreich in Relation zu uns
01:11:39
Insgesamt 13 habe ich gefunden.
01:11:41
In Deutschland gab es zwar insgesamt 66,
01:11:43
aber du musst ja bedenken,
01:11:45
Deutschland hat fast zehnmal so viele EinwohnerInnen.
01:11:48
Daher kann man schon sagen,
01:11:50
Österreich hat ungefähr doppelt so viele SerienmörderInnen
01:11:54
Wenn man sich die polizeiliche Kriminalstatistik im Hinblick auf Mord anschaut,
01:12:04
gilt fast derselbe Maßstab.
01:12:06
2018 gab es in Österreich 190 Anzeigen wegen Mordes,
01:12:10
in Deutschland 901.
01:12:12
Doch vergleichen kann man die Zahlen nicht wirklich miteinander,
01:12:15
weil Mord in Österreich was anderes heißt als bei uns.
01:12:19
Aber darauf kommen wir gleich noch zu sprechen.
01:12:22
Um die Anzahl von Tötungsdelikten von EU-Ländern miteinander
01:12:25
doch irgendwie vergleichen zu können,
01:12:27
hat Eurostat die Death-Duty-Assault-Rate eingeführt,
01:12:30
also die Sterbeziffer aufgrund von tödlichem Angriff.
01:12:33
Diese Einteilung berücksichtigt dann auch Delikte mit tödlichem Ausgang,
01:12:38
deren Qualifikationen den Tatbestand Mord
01:12:40
in manchen Ländern eben nicht erfüllen.
01:12:43
Die EU-Behörde gibt nicht so häufig Zahlen raus,
01:12:45
daher jetzt die für 2015.
01:12:47
Da ergaben sich für Österreich 0,57 Todesopfer je 100.000 EinwohnerInnen.
01:12:54
Und damit lag Österreich EU-weit auf Platz 5,
01:12:57
wobei auf Platz 1 logischerweise das Land mit den geringsten Todesopfern lag.
01:13:02
Deutschland lag mit geringem Abstand davor auf Platz 4.
01:13:06
Und verschiedene andere Studien legen ebenfalls nahe,
01:13:09
dass sich Österreich und Deutschland in Sachen Tötungsdelikte,
01:13:12
also zahlenmäßig nicht so groß unterscheiden.
01:13:15
Ja, worin sie sich aber unterscheiden, das sind ihre Gesetze.
01:13:19
Und da gucken wir natürlich erst mal auf den Mordparagraphen.
01:13:22
In Österreich ist jede vorsätzliche Tötung erst mal Mord.
01:13:26
Hier in Deutschland haben wir ja Mord und Totschlag
01:13:29
als vorsätzliche Tötungsdelikte.
01:13:31
Und die unterscheiden sich insofern voneinander,
01:13:34
dass bei einem Mord noch zusätzlich zur vorsätzlichen Tötung
01:13:37
Mordmerkmale erfüllt werden müssen.
01:13:39
Da haben wir ja unter anderem in Folge 1
01:13:41
ausführlich drüber geredet.
01:13:43
Mord gilt als schwereres Delikt, als ein Totschlag
01:13:47
und wird deswegen auch zwingend mit lebenslanger Freiheitsstrafe
01:13:50
bei uns geahndet.
01:13:51
Und noch mal kurz was dazu.
01:13:53
Vorsätzlich handelt, wer weiß, dass er oder sie eine Straftat begeht und das auch will.
01:13:59
Dabei muss aber nicht unbedingt der Tod des Gegenübers gewollt sein,
01:14:02
aber halt billigend in Kauf genommen werden.
01:14:05
Und wenn es keinen Vorsatz gibt, dann spricht man übrigens von fahrlässiger Tötung.
01:14:09
Das ist ja häufig bei Verkehrsunfällen der Fall.
01:14:13
Österreich macht diese Unterscheidung, wie wir sie kennen, nicht.
01:14:16
Da ist erst mal Mord das Grunddelikt einer vorsätzlichen Tötung.
01:14:19
Insofern ist Mord dort auch nicht auf Mordmerkmale beschränkt.
01:14:24
Und das heißt, im österreichischen Recht würden erst mal theoretisch mehr Delikte unter Mord fallen,
01:14:29
weil der Begriff einfach viel weiter gefasst ist.
01:14:32
Totschlag ist da eine sogenannte Privilegierung des Mordes.
01:14:35
Also auch ein vorsätzliches Tötungsdelikt.
01:14:38
Und zwar, wenn man sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung
01:14:44
dazu hinreißen lässt, einen anderen zu töten.
01:14:46
Und das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn man unfassbar wütend oder sehr verzweifelt ist.
01:14:52
Das heißt, dass es im Affekt passiert.
01:14:55
Wichtig ist, dass der Gemütszustand ausgelöst worden sein muss von der Person, die getötet wird.
01:15:01
Also mache ich dich jetzt wütend und du tötest dann deinen Freund,
01:15:04
dann fällt das nicht mehr unter diese Privilegierung.
01:15:07
Das heißt aber nicht, dass du dann nicht mehr vorsätzlich gehandelt hast.
01:15:11
Die tötende Person hielt den Tod des Opfers für möglich und nahm das in Kauf.
01:15:16
Und dafür kriegt man dann fünf bis zehn Jahre.
01:15:18
Und das Besondere ist ja diese allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung,
01:15:23
die eine Tötung zu einem Totschlag macht.
01:15:25
Man fragt sich also in Österreich, ob die heftige Gemütsbewegung,
01:15:30
die ja dann zum Tod eines Menschen geführt hat, begreiflich war.
01:15:33
Also ob die nachzuvollziehen ist.
01:15:35
Also so nach dem Motto, hätte ich auch so reagiert.
01:15:39
Wobei die Österreicher nicht nach dem eigenen Verhalten fragen,
01:15:42
sondern nach dem Verhalten des sogenannten Marsmenschen.
01:15:47
Das finde ich so geil.
01:15:49
Der Marsmensch ist der besonnene und mit Rechten und Werten verbundene Durchschnittsmensch,
01:15:57
an den ein sehr hoher moralischer Anspruch gestellt wird.
01:16:00
Sie fragen also beispielsweise,
01:16:02
hätte auch der Marsmensch seine Frau getötet, weil sie ihn verlassen wollte?
01:16:08
Weil die Antwort darauf dann doch häufig Nein ist,
01:16:10
wird bei solchen Delikten in Österreich dann wegen Mordes anstatt wegen Totschlags verurteilt.
01:16:15
Also anders, als das in Deutschland in vielen Fällen ist.
01:16:20
Und beim Mord bekommt man in Österreich nicht zwingend lebenslang.
01:16:24
Da bewegt man sich in einem Strafrahmen von 10 bis 20 Jahren.
01:16:28
20 Jahre sind übrigens auch die höchste zeitlich bestimmte Gefängnisstrafe.
01:16:32
Und bekommt man lebenslang, dann kann man wie in Deutschland frühestens nach 15 Jahren einen Antrag stellen,
01:16:39
die Strafe zur Bewährung auszusetzen.
01:16:41
Voraussetzung wäre dafür natürlich auch, dass die Person nicht mehr gefährlich ist.
01:16:46
Und danach hat man in Österreich 10 Jahre Bewährungszeit, nicht wie in Deutschland 5.
01:16:51
Lebenslang bedeutet in Österreich aber so durchschnittlich 22 Jahre.
01:16:57
Also obwohl man bei lebenslang schon 5 Jahre vor der maximalen,
01:17:02
zeitlich bestimmten Gefängnisstrafe einen Antrag auf Entlassung stellen kann,
01:17:05
sitzen die meisten dann doch noch länger als 7 Jahre.
01:17:09
Und seit Januar 2020 gilt die maximale Freiheitsstrafe von 20 Jahren
01:17:14
auch für junge Erwachsene, also zwischen 18 und 21 Jahren,
01:17:19
bei besonders schweren Delikten.
01:17:21
Also wenn sie beispielsweise einen Mord begangen haben.
01:17:23
Mord verjährt auch in Österreich nicht.
01:17:26
Mit einer Besonderheit aber, es zitat nämlich 20 Jahre her,
01:17:30
dann kann man nicht mehr lebenslang dafür bekommen.
01:17:33
Und es gibt noch eine Besonderheit in puncto Strafrahmen,
01:17:38
und zwar den Paragraph 41 des österreichischen Strafgesetzbuch.
01:17:42
Die außerordentliche Strafmilderung bei Überwiegen der Milderungsgründe, heißt der.
01:17:48
Und mithilfe dieses Paragraphen kann der oder die Richterin die Strafe unter die Mindeststrafe ziehen.
01:17:54
Also das heißt, auch bei Mord kann der oder die Täterin unter Umständen nach 6 Monaten wieder freikommen.
01:18:02
Dieser Paragraph wird aber nur selten eingesetzt,
01:18:05
deshalb habe ich jetzt auch keinen solchen Fall für euch,
01:18:08
aber einen aus Deutschland zum Vergleich.
01:18:10
In Folge 31, unserer Sterbehilfe-Folge, habe ich ja von Riccardo und seiner Mutter erzählt.
01:18:15
Die Mutter hatte beiden einen Medikamenten-Cocktail gemixt,
01:18:18
ist selber aber gerettet und danach vor Gericht gestellt worden.
01:18:23
Ist ja auch ein bisschen zynisch.
01:18:25
Aber das war ja das, was die SanitäterInnen gemacht haben.
01:18:29
Auf jeden Fall, in Deutschland wurde der Paragraph 60 des Strafgesetzbuches angewandt.
01:18:36
Das ist der, der regelt, dass von einer Strafe abgesehen werden kann.
01:18:41
Und sowas gibt es in Österreich nicht.
01:18:44
Und deshalb könnte man hier mit diesem Paragraph 41,
01:18:48
den könnte man dort anwenden,
01:18:49
um der Angeklagten dann eine lange Haftstrafe zu ersparen.
01:18:53
Dann müsste sie ja nur 6 beziehungsweise 12 Monate in Haft.
01:18:57
Und das alles hat mir übrigens unsere Hörerin Leo erzählt,
01:19:01
die ich in der Facebook-Gruppe Mordlos Stammtisch gefunden habe.
01:19:04
und zu unseren Experten dieser Folge erkoren habe.
01:19:09
Weil sie nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland Jura studiert hat,
01:19:13
beziehungsweise noch studiert.
01:19:14
An dieser Stelle geht Dank raus.
01:19:16
Abgesehen von unseren Gesetzen jetzt unterscheiden sich aber die beiden Länder
01:19:22
beispielsweise auch in der Strafprozessordnung.
01:19:25
In den Gerichten geht es in Österreich nämlich schon anders zu als in Deutschland.
01:19:30
So gibt es in Österreich das Geschworenen-Gericht,
01:19:33
wie ihr ja schon aus unseren beiden Fällen jetzt gehört habt.
01:19:35
Und das ihr auch schon aus unserem England-Spezial aus Folge 12 kennt.
01:19:40
Bei uns in Deutschland gibt es ja auch noch das Schwurgericht.
01:19:44
Da sitzen aber seit 1924 keine Geschworenen mehr, sondern Schöffen,
01:19:48
die es übrigens auch in Österreich gibt.
01:19:50
Allerdings werden die nicht bei den besonders schweren Straftaten eingesetzt.
01:19:55
Bei denen sind es eben die Geschworenen, die über die Schuld der Angeklagten entscheiden.
01:20:00
Und so ein Geschworenengericht besteht insgesamt aus drei BerufsrichterInnen
01:20:05
und acht Geschworenen, der sogenannten Geschworenenbank.
01:20:08
Sie sitzen so auch räumlich abgetrennt,
01:20:10
weil sie während der Verhandlungen nicht wie Schöffen und Schöffenen
01:20:13
dieselben Rechte und Pflichten haben wie RichterInnen.
01:20:16
Bei ihrer Entscheidungsfindung helfen ihnen dann schriftliche Fragen zu dem Fall,
01:20:21
die die RichterInnen eben für sie vorbereitet haben
01:20:23
und die sie dann mit Ja oder Nein beantworten sollen.
01:20:26
Wenn alle Fragen beantwortet sind, kommt es zur Abstimmung.
01:20:30
Im Gegensatz zu den USA müssen die Geschworenen in Österreich
01:20:33
nicht alle einer Meinung sein, um ihren Wahrspruch, so heißt ihr Urteil, zu fällen.
01:20:38
Es reicht eine einfache Mehrheit.
01:20:40
Wenn es am Ende aber 4 zu 4 steht,
01:20:43
dann wird der Angeklagte oder die Angeklagte freigesprochen.
01:20:46
Wenn sie aber zu dem Wahrspruch schuldig kommen,
01:20:49
dann entscheiden sie zusammen mit den RichterInnen über das Strafmaß.
01:20:52
Wenn die RichterInnen aber einstimmig der Meinung sind,
01:20:57
dass die Entscheidung der Geschworenen falsch ist,
01:20:59
dann kann der Fall an ein anderes Geschworenengericht übergeben
01:21:03
und neu verhandelt werden.
01:21:04
Wenn die 8 da dann auch zu diesem Wahrspruch kommen,
01:21:08
dann ist das Urteil aber endgültig.
01:21:10
Und wenn ihr euch jetzt denkt,
01:21:12
doll, das will ich auch mal machen.
01:21:15
In Österreich kann man sich nicht als Geschworene oder Geschworene bewerben,
01:21:20
sondern das entscheidet ein Losverfahren und aus der Nummer kommt ihr dann auch so schnell nicht wieder raus.
01:21:26
Es sei denn, ihr seid beispielsweise vorbestraft, was ich euch nicht raten mag.
01:21:29
Oder über 65 Jahre.
01:21:31
Dann werdet ihr nämlich erst gar nicht in den Genuss kommen.
01:21:34
Hier in Deutschland kann man sich als Schöffe oder Schöffin schon freiwillig vorschlagen.
01:21:38
Man muss aber gewählt werden.
01:21:41
Wärst du denn, wenn du könntest, gern mal Geschworene?
01:21:44
Ich wäre gerne Schöffin.
01:21:46
Ja, mein Onkel war mal Schöffe.
01:21:49
Hatte der denn auch einen coolen, also coole, interessante Fälle?
01:21:53
Nee, der war beim Amtsgericht.
01:21:55
Und das war eher langweilig.
01:21:58
Da musste der dann eher so darüber mitentscheiden, ob die Hecke vom Nachbarn fünf Zentimeter zu weit über das Grundstück war und so.
01:22:06
Das will man dann ja auch nicht.
01:22:10
Aber bei so einem Nachbarschaftsstreit, da geht es auch richtig ab manchmal.
01:22:16
Wir hatten ja schon in Folge zehn Mal über Geschworenengerichte diskutiert, als es um England ging.
01:22:25
Und damals waren wir beide der Meinung, dass ein solches System nicht so geeignet ist.
01:22:30
Jetzt würde ich dich gerne mal fragen, ob das sich geändert hat in den weiteren 30 Folgen, die wir jetzt schon hinter uns haben.
01:22:37
Also ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, was ich damals gesagt habe.
01:22:41
Aber weil wir in den weiteren 30 Folgen meines Wissens nach keine Verfahren mehr hatten mit Geschworenen, hat sich das jetzt nicht großartig geändert.
01:22:50
Also ich finde das Schöffengericht, so wie wir das kennen, besser.
01:22:55
Weil ich denke, dass sie erstens die gleiche Aufgaben haben wie Geschworene.
01:22:58
Also auch Schöffinnen sollen ja eigentlich als Außenstehende ein Auge auf unser Justizsystem haben und sollen Vertrauen in das Justizsystem schenken und so eine Art Bindeglied sein.
01:23:09
Ich persönlich fände es aber halt immer besser, wenn ein Rechtsgelehrter oder eine Rechtsgelehrte dabei sitzt.
01:23:17
Ich habe nämlich bei einigen amerikanischen Crime-Dokus jetzt schon öfter das Gefühl gehabt, dass sich Geschworene eher emotional leiten lassen als ein Schöffengericht.
01:23:28
Und da reicht mir jetzt auch irgendwie so eine Hilfestellung der RichterInnen und Hilfsfragen, das reicht mir da nicht aus.
01:23:34
Und ich finde vor allem fragwürdig, dass sie ihr Urteil nicht schriftlich begründen müssen.
01:23:41
Ja, damals in unserer Diskussion hatten wir tatsächlich gar keine Pro-Argumente für LaienrichterInnen allgemein angeführt.
01:23:49
Aber was man ja ohne Frage sagen kann, was hilfreich ist, ist, dass sie halt unabhängiger sind als BerufsrichterInnen von ihrer Karriere oder ihrem beruflichen Weiterkommen in der Justiz.
01:24:01
Und dass sie auch nicht so schnell betriebsblind werden können.
01:24:03
Dazu schreibt das österreichische Bundesministerium für Justiz übrigens,
01:24:07
Sie, und hiermit sind ChefInnen und Geschworene gemeint, sollen durch ihr natürliches Rechtsempfinden juristischer Routine entgegenwirken
01:24:16
und auf diese Weise sicherstellen, dass dort, wo Urteile der Strafgerichte in besonders einschneidender Weise in das Leben der Menschen eingreifen,
01:24:24
dem Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung Rechnung getragen wird.
01:24:28
Und außerdem soll durch die Laienbeteiligung das Verständnis für die Probleme der Justiz in der Bevölkerung gefördert werden.
01:24:35
Also wir können ja festhalten, wir, weil es sich in Folge 10 so angehört hat, als wären wir gegen LaienrichterInnen, also im Allgemeinen, und das sind wir ja nicht.
01:24:46
Nee, das sind wir nicht.
01:24:48
Das wollen wir selber sein.
01:24:51
Ja, sind wir auch.
01:24:54
Hier in unserem Podcast richten wir gerne über jede Art von Menschen.
01:25:04
Zumindest moralisch, okay?
01:25:06
Seit Januar 2020 ist in Österreich das neue Gewaltschutzpaket in Kraft getreten und das soll strengere Strafen, besseren Opferschutz und aktive Täterarbeit garantieren.
01:25:23
Im Grunde ist es eine Null-Toleranz-Politik TäterInnen gegenüber.
01:25:28
Und mehr als ein Jahr hat die sogenannte Taskforce Strafrecht an dem Gewaltschutzpaket gearbeitet und Maßnahmen vorgeschlagen.
01:25:37
Und hauptsächlich sind Strafverschärfungen dabei rausgekommen.
01:25:40
Wir hatten hier in unserem Podcast ja auch schon öfter mal AnwältInnen, die das kritisiert haben, dass von der Politik immer härtere Maßnahmen gefordert werden, weil, überspitzt gesagt, der Pöbel das so will und damit das Volk schnell mal befriedigt werden soll.
01:25:59
Und deswegen gab es und gibt es auch immer noch viele kritische Stimmen.
01:26:02
Beispielsweise haben Opferschutzorganisationen, RichterInnenverbände, Kinderschutzzentren und noch viel mehr den treibenden Parteien ÖVP und FPÖ vorgeworfen, kurz vor der Regierungswahl ein populistisches Paket durchboxen zu wahlen.
01:26:17
Völlig vorbei an den Interessen der Opfer.
01:26:21
25 Gesetze wurden aufgrund dieser Taskforce Strafrecht geändert.
01:26:26
Beispielsweise wurde die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen von einem Jahr auf zwei Jahre erhöht.
01:26:32
Und hier ist die Kritik beispielsweise, dass die Opfer ja meist aus dem Umfeld des Täters oder der Täterin kommen und diese höhere Strafandrohung eher davon abhalten würde, den Peiniger oder die Peinigerin anzuzeigen.
01:26:44
Eine Strafverschärfung wäre also nicht zielführend, weil die Verurteilungsrate bei Gewaltdelikten eh schon so gering sei und höchstens müsste man das ändern.
01:26:53
Zumal wir ja auch wissen, dass höhere Strafen in den meisten Ländern gar keinen präventiven Charakter haben.
01:27:00
Also außer vielleicht in China, wo man als Drogenhersteller gleich exekutiert wird oder so.
01:27:06
Übrigens ist die Erweiterung des Strafrahmens von jungen Erwachsenen, wovon ich vorhin gesprochen habe, also dass auch Jugendliche jetzt 20 Jahre bekommen können, auch so ein Produkt dieses neuen Gewaltschutzpakets.
01:27:19
Und unsere Meinung, dazu kennt ihr ja, also wir sind ja klar eher auf der Seite von Resozialisierungsmöglichkeiten und im Hinblick darauf ist das natürlich eigentlich ein Schritt Richtung Holzweg, ja, gerade bei Heranwachsenden.
01:27:33
Ja, wenn man sich mal vorstellt, dass ein unter 20-Jähriger eine 20-jährige Haftstrafe bekommt, was ist das denn für eine Ausgangsposition?
01:27:44
Also hoffnungsloser geht es ja eigentlich gar nicht.
01:27:48
Ja, ich meine, ist ja auch nur für besonders schwerwiegende Delikte, aber im Grunde genommen haben sie das, was wir hier als Jugendstrafrecht so hochhalten, haben die da schon krass beschnitten jetzt.
01:27:59
Außerdem gibt es jetzt eine einheitliche Anzeigepflicht für Menschen in Gesundheitsberufen und Expertinnen aus dem Bereich haben kritisiert,
01:28:09
dass eine Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht sogar einen Anstieg der Gewalt verursachen könnte,
01:28:13
weil potenzielle TäterInnen nun Gefahr laufen müssten, von ÄrztInnen oder TherapeutInnen angezeigt zu werden und sich jetzt halt nicht mehr öffnen.
01:28:22
Und außerdem kann man sich ja auch vorstellen, wie ohnmächtig man sich als Frau oder Mann fühlen muss,
01:28:28
wenn die Person gerade Opfer einer Vergewaltigung beispielsweise geworden ist und jetzt zum Arzt oder zur Ärztin geht und die dann gleich nach der Untersuchung wieder so einen Kontrollverlust erlebt,
01:28:40
weil das gar nicht in ihrer Entscheidung liegt, ob das jetzt angezeigt wird oder nicht, sondern der Arzt oder die Ärztin müssen es dann sowieso weitergeben und melden.
01:28:48
Okay, aber heißt das im Umkehrschluss auch, dass ÄrztInnen sich bei der Polizei melden müssen, wenn sie jetzt das Gefühl haben,
01:28:55
ihr Patient oder ihre Patientin sei eine Gefahr für andere Menschen?
01:28:59
Wenn ein begründeter, konkreter Verdacht vorliegt.
01:29:02
Aber ist jetzt nicht alles super schlecht, weil Teil des Pakets ist beispielsweise auch,
01:29:06
dass Opfer von Wohnungseinbrüchen jetzt im Gegensatz zu vorher psychische Behandlungen beantragen können,
01:29:12
die sie bezahlt bekommen und TäterInnen von häuslicher Gewalt müssen beispielsweise verpflichtend zur Beratung gehen,
01:29:19
was ja nicht schlecht sein kann.
01:29:22
Und Gewaltopfer können zukünftig einfacher und kostenfrei ihren Namen ändern und auch eine neue Sozialversicherungsnummer beantragen.
01:29:31
Also dann halt im Zweifel auch ein neues Leben anfangen, wenn sie ihrem Alten da entfliehen möchten.
01:29:36
Okay. Warst du denn eigentlich schon mal in Österreich?
01:29:42
Fussel springt da total gern in Schneehügel, sodass man den dann gar nicht mehr sehen kann.
01:29:46
Und ich will Käsesuppe und gern Knödel und Snowboard fahren.
01:29:52
Ich glaube, für die Österreicher ist das auch so ein Abfuck, dass wir hier immer nur das sehen.
01:29:59
Das ist so, als wenn Österreicher wahrscheinlich irgendwie zu uns sagen, ja, Deutschland geil, Oktoberfest.
01:30:04
Und du denkst dir so im Norden, so, alles klar.
01:30:10
Lange wusste ich auch nicht, dass wir bei den Österreichern gar nicht mal so beliebt sind.
01:30:16
Wahrscheinlich genau deswegen, was ich gerade gesagt habe.
01:30:21
Aber ich habe davon auch eigentlich erst erfahren, als meine Freundin Patty nach Wien gezogen ist.
01:30:27
Sie hat mir nämlich erzählt, dass sie bei der Wohnungssuche extra immer die Unimail-Adresse angegeben hat, weil ihr gesagt wurde, dass sie, wenn sie jemanden mit .de anschreibt, ihr eh keine Antworten würde.
01:30:39
Außerdem wird man in Österreich als Deutscher gerne auch mal als Piefke bezeichnet, was ja so viel heißt wie eingebildeter Angeber.
01:30:46
Aber die Steigerung davon ist Scheipi.
01:30:50
Kannst dir denken, wofür das steht?
01:30:55
Ja, Scheipi ist auch ein Schimpfwort, was sie zu uns Deutschen sagen.
01:30:59
Das ist doch nicht dein Ernst.
01:31:02
Ist es das, was ich denke?
01:31:05
Was denkst du denn?
01:31:07
Das, was ich denke, dann ist es richtig schlimm.
01:31:12
Nein, ich habe doch gesagt, die Steigerung von Piefke.
01:31:16
Scheipi heißt Scheißpiefke.
01:31:19
Ich weiß nicht, was du jetzt gedacht hast.
01:31:28
Daran habe ich auch gedacht.
01:31:37
Das ist Tschüss auf Wienerisch.
01:31:39
Das war ein Podcast von Funk.