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#45 Femizid

Mordlust
Fussel ist stink-sauer.
Warum?
Er hat ja gerade wenig sozialen Kontakt, wie wir alle.
Und seine Wiese, auf der er immer rumpieselt, ist abgesperrt.
Oha. Und nun?
Ja, da ist so ein Zaun drumherum und der ist jetzt zu und der Köterich versucht da jetzt immer seinen dicken Kopf durch die Gitterstäbe durchzustecken und guckt mich dann immer so total enttäuscht an, wenn ich die Tür nicht aufmache, weil der ja nicht weiß, dass ich die Tür jetzt nicht mehr aufmachen kann, weil da so ein Schloss vor ist.
Und eben gerade jetzt waren wir Gassi und plötzlich trainieren da Menschen auf dieser Wiese und sitzen auf der Bank und sonnen sich und da haben die doch das Tor aufgebrochen.
Oder dieses Schloss kaputt gemacht. Auf jeden Fall war dieses Absperrband aber noch davor.
Also die haben das Tor irgendwie geöffnet und sind dann aber über das Absperrband drüber.
Und du kannst dir Fussels Reaktion darauf vorstellen wahrscheinlich?
Er ist da reingerannt in den Park?
Das ging ja nicht. Der war ja an der Leine. Aber er ist natürlich hin und hat mich angeguckt und dachte, jetzt geht's los, jetzt kann wieder gepieselt werden.
Aber mal abgesehen davon, dass ich das gerade nicht machen würde, fuhr auch schon das Polizeiauto die Straße runter.
Und ja, der hat das total als Affront aufgefasst, dass jetzt alle da wieder ihren Spaß haben dürfen, nur er nicht.
Und dann hat er auf das Absperrband gepieselt. Aus Protest.
Fusse.
Und jetzt ist er beleidigt im Schlafzimmer. Sonst ist er ja bei jeder Aufnahme dabei. Aber heute hat er sich gesagt, nö, soll der Podcast sehen, wie er ohne mich zurechtkommt.
Gut, ich kann Fussels Ärger schon nachvollziehen. Aber auf der anderen Seite sollte er doch jetzt gerade sein Best Life leben.
Ich meine, Mutti ist immer zu Hause und es werden übertrieben lange Spaziergänge gemacht, die er vielleicht gar nicht so gewohnt ist.
Also eigentlich kann er sich gar nicht so beschweren. Mutti ist ja auch sonst immer zu Hause und Fusse geht nicht so gerne überlange spazieren.
Von daher, er wartet auch darauf, dass die Krise vorbei ist.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem True Crime Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe. Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge beleuchten wir ein spezielles Thema.
Und dazu erzählen wir zwei wahre Kriminalfälle nach, diskutieren die und sprechen auch mit ExpertInnen darüber.
Wir beide reden hier ein bisschen lockerer miteinander. Das hat aber nichts mit einer fehlenden Ernsthaftigkeit dem Thema gegenüber zu tun.
Sondern das ist für uns so eine Art Comic Relief, damit alle auch mal währenddessen durchatmen können.
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
Heute geht es bei uns um Femizide.
Und Anfang der letzten Folge hattest du mir ja vom Anstieg einiger Delikte in Zeiten Coronas erzählt.
Und was neben den Betrugsdelikten mittlerweile auch in ganz Europa zugenommen hat und ganz gut zu unserer Folge passt, ist häusliche Gewalt.
Du hattest ja den Rückgang von Sexualdelikten zu Recht in Frage gestellt.
Wir wissen ja, dass wir Frauen statistisch gesehen das eigene Zuhause einer der gefährlichsten Orte der Welt ist.
Und wir kennen den jährlichen Anstieg an häuslicher Gewalt um die Weihnachtszeit.
Hashtag Stay Home heißt also für Frauen in gewaltsamen Partnerschaften einfach nur Gefahr.
Verlässliche Zahlen zu bekommen ist aber schwer.
Die Telefone der Opferschutzorganisationen und Notrufstellen vermelden noch, Stand Mitte April, keinen bundesweiten Anstieg.
Das kann aber eben damit zusammenhängen, dass eine Frau schwerer Hilfe rufen kann, wenn der Mann halt den ganzen Tag zu Hause ist.
Dabei zeigt ein Blick nach Wuhan in China, wie realistisch ein hoher Anstieg der Gewalt ist.
Dort verzeichneten Frauenorganisationen während der strikten Ausgangssperre nämlich dreimal so viele Notrufe wegen häuslicher Gewalt als sonst.
Dass es so eine Tendenz auch in Europa gibt, zeigen die vermehrten Sofortnachrichten im Internet an entsprechende Hilfsorganisationen, die halt ohne Telefon möglich sind.
Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen, sagt Jörg Zierke, Bundesvorsitzender des Weißen Rings.
Um gewappnet zu sein, hat Bundesfrauenministerin Franziska Giffey mit den Gleichstellungs- und FrauenministerInnen der Länder Maßnahmen vereinbart.
Und zwar sollen die Hilfstelefone weiter am Laufen gehalten werden, auch die Beratung für Schwangere.
Und im Internet sollen neue Hilfsangebote aufgebaut werden, also wie zum Beispiel Chatforen.
Außerdem sollen die Behörden prüfen, ob leerstehende Hotels oder Ferienwohnungen für Opfer angemietet werden können, wenn dann die Frauenhäuser überfüllt sind.
Aber die Opferschutzorganisationen, die appellieren auch ganz konkret an uns.
Also wir sollen Augen und Ohren offen halten.
Wenn wir zum Beispiel als NachbarInnen etwas mitbekommen, sind nun mal auch wir gefragt, Hilfe zu rufen.
Die Nummern für die entsprechenden Ansprechpartner packen wir euch in die Shownotes.
Da findet ihr auch einen Link zur Seite des Netzwerks Pro Beweis.
Und da kann man als Opfer von häuslicher Gewalt anonym Beweise sichern lassen.
Und wenn man zum Beispiel sich jetzt gerade nicht in der Lage sieht, eine Anzeige zu stellen, dann kann man so dafür sorgen, dass die Beweise nicht verloren gehen.
Mein Fall erzählt von einer Tat, die in Deutschland jährlich mehr als hundertmal geschieht und bei der sich immer dieselbe Frage gestellt wird,
obwohl die Antwort meist schon vorher klar ist.
Die Namen einiger Beteiligter habe ich geändert.
Es ist kurz vor ein Uhr nachts, am 27. Oktober 2016, und Alexandra überglücklich.
Das Baby ihres Bruders ist wohl auf und sie mit 42 Jahren noch einmal Tante geworden.
Das Kind ist um 0.43 Uhr auf die Welt gekommen, schreibt sie ihrer Tochter Lisa noch in der Nacht.
Die hat jetzt also eine kleine Cousine.
Auf ihre WhatsApp-Nachricht bekommt Alexandra nach kurzer Zeit einen Smiley mit Herzenaugen als Antwort und den Text
Ich besuche sie, wenn ich wieder zu Hause bin.
Nur weiß Alexandra nicht, dass diese Worte nicht Lisa geschrieben hat, sondern ihr Mörder.
Mutter und Tochter haben ein gutes Verhältnis und viel Kontakt.
Beide wohnen nicht weit entfernt voneinander, in der kleinen Stadt Freyung in Niederbayern.
Alexandra lebt mit ihrem Mann und den Söhnen aus zweiter Ehe in einem großen Haus mit Garten.
Lisa besucht ihre Mutter und ihre kleinen Halbrüder dort gerne.
Ein- bis zweimal die Woche kommt die 20-Jährige mit ihrem Sohn Max vorbei, mit dem sie Alexandra vor eineinhalb Jahren zur stolzen Oma machte.
Selten ist bei diesen Besuchen auch der Vater des Kindes dabei, Mark.
Wenn dann alle im Garten grillen und zusammensitzen, zieht sich der 22-Jährige aber am liebsten zurück und spielt Computer.
Mit ihm versteht sich Alexandra nicht gut.
Als Lisa ihn im Sommer vor zwei Jahren kennenlernte und zum ersten Mal mit zum Kaffee brachte, fand Alexandra ihn eigentlich ganz nett.
Doch nach und nach erfuhr sie von Marks dunkler Seite.
Von seiner kriminellen Vergangenheit, seiner Spielsucht, davon, dass Elisa das Geld für ihren Führerschein geklaut und damit in die Spielhalle gegangen ist
und davon, dass Elisa in den Bauch getreten hat, als sie mit Max schwanger war.
Wenn ihre Tochter nun mit blauem Auge oder geschwollenem Unterarm bei ihr ankommt,
erzählt sie, sie sei gegen einen Schrank gefallen oder habe vor Wut über ein Blitzerfoto aufs Lenkrad gehauen.
Ja, man kann eigentlich sagen, Mark ist mittlerweile ein unerwünschter Gast bei Alexandra.
Er ist nicht der Partner, den sie sich für ihre einzige Tochter gewünscht
und auch nicht der Vater, den sie sich für ihren Enkelsohn erhofft hatte.
Schon oft hat Alexandra in den letzten zwei Jahren versucht, ihr Mark auszureden.
Doch Lisa nimmt ihn immer in Schutz.
Als dann irgendwann Sätze kamen wie
Wenn du dich da immer einmischst, dann besuche ich dich nicht mehr,
hörte Alexandra auf, offen gegen den Partner ihrer Tochter anzukämpfen.
Ganz aufgeben wollte sie aber nicht.
Deshalb hatte sie sich vor ein paar Monaten Rat bei einer Psychologin geholt.
Sie sagte, Alexandra müsse ihre Tochter loslassen.
Seit kurzem wohnen Lisa und Mark wieder zusammen.
Ihre Beziehung ist ein reines Auf und Ab.
Mit Trennungen und Versöhnungen als Mutter kommt man da oft nicht mehr hinterher.
Doch die letzte Beziehungspause war irgendwie anders.
Länger.
Und erstmals hatten sich beide anderen Menschen zugewandt.
Lisa, ihrem allerersten Freund Thilo, noch aus Schulzeiten, und Mark, einer neuen Bekannten.
Alexandra war sehr glücklich über diese Entwicklung, hat sie Lisa doch endlich wieder lachen gesehen und in ihr die alte Lisa wiedererkannt.
Alexandra hoffte, dass Thilo sie vielleicht von Mark lösen könne.
Doch jetzt ist Mark wieder bei Lisa und dem Kleinen eingezogen.
Voraussetzung war, dass er nur so lange dort bleibt, bis er seine Therapie gegen die Spielsucht beginnt.
Dafür habe er schon einen Termin, hat Lisa ihrer Mutter erzählt.
Alexandra möchte das glauben.
Doch sie hat ein komisches Gefühl.
Nach der Nachricht zur Geburt ihrer kleinen Cousine vor ein paar Tagen hat sich Lisa nicht mehr bei ihr gemeldet.
Wenn Alexandra anruft, geht nur die Mailbox ran.
Als sie ihr schreibt, wo Lisa steckt, gibt es doch eine Antwort.
Sie sei mit Mark und dem Kleinen in den Urlaub gefahren.
Und kurze Zeit später postet Lisa auf Facebook ein Foto von Mark und Max vor dem Eiffelturm,
schreibt dazu, danke für den schönen Urlaub.
Doch einfach wegzufahren, ohne vorher etwas zu sagen, das hört sich überhaupt nicht nach Lisa an.
Als Alexandra sie mehr als zehn Tage telefonisch nicht erreichen kann,
geht sie zur Polizei und meldet ihre Tochter als vermisst.
Zusammen mit zwei Beamten lässt sie sich vom Hausmeister die Tür zu Lisas Wohnung aufsperren.
Sofort schlägt ihr ein fieser Gestank entgegen.
Ein kurzer Blick in die Wohnung genügt, um zu wissen, woher das kommt.
Das Katzenklo und auch der Windeleimer quälen förmlich über.
Doch von Lisa, Mark und dem Kleinen keine Spur.
Alexandra kann nicht glauben, dass sie wirklich im Urlaub sind.
Lisa würde die Wohnung in diesem Zustand nie zurücklassen.
Beunruhigt fährt Alexandra nach Hause.
Am nächsten Morgen will sie noch einmal zurück, den Müll wegbringen.
Ihr Mann begleitet sie.
Beim Hinausgehen aus Lisas Wohnung will Alexandra noch kurz in die Ofennische schauen,
weil sich dort oft die Katzen verstecken.
Als sie die kleine Tür im Flur öffnet, fällt ihr Blick zunächst nur auf Kartons und Unmengen an Katzenstreu.
Sie schiebt die Kartons beiseite und sieht einen großen blauen Müllsack in der Ecke liegen.
Da muss ein alter Teppich drin sein, denkt sie.
Oh mein Gott.
Als ihr ihr Mann über die Schulter schaut und den mit Klebeband zugeschnürten, länglichen Müllsack entdeckt, zieht er seine Frau von der Tür weg und sagt, wir rufen jetzt die Polizei.
In dem Moment realisiert Alexandra, was das bedeuten muss.
Sie schreit.
So laut, dass es die Nachbarn hören und so lang, bis Alexandra schwarz vor Augen wird.
Lisa ist tot.
Die Obduktion ergibt, dass sie getötet wurde, mit immenser Gewalteinwirkung erstochen.
Die zierliche junge Frau hatte sich zwar gewehrt, das bezeugen die Schnittwunden an ihren Händen, doch vergeblich.
Lisa ist in ihrem eigenen Bett verblutet.
Vor zwei Wochen schon.
Genauer in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober.
Als ihre kleine Cousine geboren wurde, war Lisa also bereits tot.
Sie hatte Alexandra den Smiley mit den Herzenaugen nicht geschickt.
Vermutlich war es Marc, denn von dem und Max fehlt immer noch jede Spur.
Die Polizei weiß bisher nur, dass Lisas Konto leer geräumt und ihr Schmuck verkauft wurde.
Außerdem steht ihr Auto nicht mehr vor der Tür.
Weil die Fotos auf Lisas Facebook-Seite Marc in Paris zeigen, wird ein internationaler Haftbefehl ausgestellt.
Es dauert sieben Tage, bis die Polizei seinen Standort ausfindig machen kann.
Sieben Tage, in denen Alexandra um das Leben ihres kleinen Enkels fürchtet,
während sie gleichzeitig versucht, den Tod ihrer Tochter zu begreifen.
Am 19. November wird Marc in einem Hotel im spanischen Loret de Mar verhaftet.
Spanische Einsatzkräfte hatten sein Zimmer gestürmt und ihn zusammen mit seinem Sohn im Hotelbett vorgefunden.
Auf der Polizeiwache werden Fotos von ihm gemacht, die an die deutschen Behörden geschickt werden.
Darauf ein Indiz, welches Marc's Täterschaft nahelegt.
Denn Marc hatte sich vor kurzem ein Tattoo stechen lassen.
Auf seinem linken Oberarm steht jetzt der Name Lisa, ihr Geburts- und ihr Todesdatum.
Darunter der Satz, gracias por todo.
Also danke für alles.
Mit für alles meint er das leer geräumte Konto und den Schmuck, den er dann noch verkauft hat?
Gute Frage.
Max wird unterdessen den spanischen Behörden übergeben, die ihn in ein Kinderheim bringen.
Als Alexandra von der Festnahme erfährt, fliegt sie sofort nach Spanien.
Für sie ist klar, dass sie jetzt stark sein muss.
Für Max.
Als sie ihn in der Eingangshalle des Kinderheims zum ersten Mal wieder sieht, ist er ausgemergelt und erschöpft.
Und als sie ihn in die Arme nimmt, spürt sie, wie sein kleiner, angespannter Körper langsam weicher wird.
Der 18 Monate alte Junge schläft ein und wacht die nächsten drei Stunden nicht auf.
In Alexandras Kopf kreisen Fragen.
Was hat Max von der Tat mitbekommen?
Musste Lisa lange leiden?
Hat sie an mich gedacht in ihren letzten Minuten?
Und hätte ich ahnen müssen, dass Marc zu so etwas fähig ist?
Die Antworten auf diese Fragen hofft sie vor Gericht zu bekommen.
Am 22. August 2017 startet der Prozess vor dem Passauer Landgericht.
Marc ist wegen Mordes angeklagt.
Zwei Mordmerkmale sieht die Staatsanwaltschaft erfüllt.
Das Mordmerkmal der Heimtücke und das der niedrigen Beweggründe.
Als niedriger Beweggrund wird Eifersucht angeführt.
Marc sei eifersüchtig auf Thilo gewesen, mit dem Lisa in ihrer Beziehungspause zusammen war und für den sie noch Gefühle hatte.
Marc habe Angst gehabt, dass Lisa ihn bald ganz aus ihrem Leben verbann,
ihm den Sohn entziehen und Thilo seine Vaterrolle einnehmen könnte.
Deshalb habe er sie ermordet.
Dabei sei er heimtückisch vorgegangen, weil er Lisa nachts im Schlafzimmer attackiert habe.
Die Verteidigung sieht den Tatbestand Mord nicht gegeben.
Ihrer Ansicht nach sei es nach einem Streit zur Tötung im Affekt gekommen.
Um die Frage aller Fragen, war es Mord oder Totschlag, zu klären, sind 13 Verhandlungstage angesetzt.
Dazu mehr als 40 Zeuginnen und vier Gutachterinnen geladen.
Am ersten Prozestag wird Marc in Handschellen in den Saal geführt.
Seine Statur, die eines Boxers.
Sein Schädel kurz geschoren, die Bartkanten millimetergenau rasiert.
Er trägt eine kurze Hose.
Wahrscheinlich, um allen Anwesenden die Message mitzuteilen, die er sich auf die rechte Wade hat tätowieren lassen.
Fick den Richter.
Nur Gott kann mich richten.
Das sieht das Gericht auch.
Herzlichen Glückwunsch, da hat er sich Freunde mitgemacht.
Das ist aber auch das Einzige, was an diesem Tag vom Angeklagten kommt.
Auf die Frage des Vorsitzenden, ob er eine Erklärung zu den Vorwürfen abgeben wolle, antwortet er nicht.
Nein, keine Erklärung, sagt sein Verteidiger für ihn.
Und so endet der erste Prozestag schon nach Verlesung der Anklage.
Alexandra war an diesem Tag gar nicht erst im Gerichtssaal.
Sie will erst zu ihrer Befragung kommen.
Ihr ist es wichtig, ihre Angaben ohne Wertung und ohne Beeinflussung der anderen Aussagen machen zu können.
Als sie dann am fünften Prozestag im Zeugenstand sitzt, versucht sie alles so neutral und sachlich wie möglich zu schildern.
Doch als es dann um den Tag geht, an dem sie Lisa fand, kann sie nicht mehr an sich halten.
Alexandra muss weinen und im Saal herrscht Totenstille.
Am Nachmittag wird noch ein anderer wichtiger Zeuge gerufen, Tim.
Tim ist ein guter Freund von Marc und der Einzige, dem er die Tat gestanden haben soll.
Nachdem Tim über die Presse erfahren hatte, dass Lisa tot ist, hat er Marc angerufen.
Insgesamt haben die beiden an diesem Tag fünfmal telefoniert, zusammengerechnet 146 Minuten.
In diesen Telefonaten soll Marc Tim erzählt haben, Lisa getötet zu haben.
Vor Gericht soll es heute darum gehen, was genau gesagt wurde.
Doch der Zeuge scheint nicht gerade freiwillig anwesend zu sein.
Er antwortet kurz angebunden, vage und lässt sich alles aus der Nase ziehen.
Tim sagt, Marc habe ihm nicht erzählt, wie er Lisa getötet hat.
Er habe ihm nur gesagt, dass er eifersüchtig war und Angst um Max hatte.
Dass es dann, wie so oft zum Streit kam, bei dem Marc ziemlich betrunken war und dass er nach der Tat zwei Tage lang putzen musste.
Nach einer Zeit ist der vorsitzende Richter die Befragung leid.
Er sagt, noch nie hatte ich einen so nervigen Zeugen wie sie.
Ich kann nicht verstehen, wieso sie behaupten, dass sie von den Zick-Telefonaten mit Marc und dem Geständnis, das er ihnen machte, nicht mehr alles wissen.
So etwas erlebt man doch nicht alle Tage.
Doch mehr bekommt der Richter aus Tim nicht heraus.
Wer sich vier Tage später aber dann doch überraschend äußert, ist der Angeklagte.
Marc lässt von seinem Verteidiger doch noch ein ausführliches Geständnis verlesen.
Darin erklärt er, dass es zu einem Streit zwischen Lisa und ihm kam, weil Lisa eifersüchtig war und zwar auf die Frau, mit der Marc in der Beziehungspause zusammen war.
Lisa habe vermutet, dass die Frau von Marc schwanger sei und sei deshalb ausgerastet.
Sie habe ihm gedroht, Max nicht mehr sehen zu dürfen.
Schon öfter habe sie den gemeinsamen Sohn im Streit als Druckmittel eingesetzt.
Marks Liebe für Lisa hätte er zu dem Zeitpunkt schon überwunden gehabt.
Ihm sei es nur um Max gegangen und um die andere Frau.
Zu ihr wolle er nämlich wieder zurück.
Das hört diese Frau an diesem Tag vor Gericht allerdings zum ersten Mal.
Der Streit sei ausgeartet und Marc habe zu dem Zeitpunkt schon eine ganze Flasche Wodka in Tuss gehabt.
Ey, aber sorry, wenn ich das so höre.
Das ist doch, wie haue ich meinen Mandanten raus?
Das kleine ABC für JuristInnen oder was?
Also er hat Alkohol getrunken, sie hat ihm gedroht.
Und der Zeuge weiß angeblich nicht genau, wie die Tat abgelaufen sein soll.
Ja, und der Zeitpunkt ist ja auch so durchschaubar.
Also dass Marc erst nach der Beweisaufnahme das Geständnis macht.
Also erst nachdem seine Verteidiger alle Infos haben und ein perfektes Geständnis formulieren können.
Weiter zu seiner Version.
Es sei dann zu Handgreiflichkeiten beider Seiten gekommen und Lisa habe über Marks Mutter geschimpft.
Sorry, den Punkt habe ich noch verletzt.
Dann habe sie ein Messer genommen und ihm an den Hals gehalten.
Da habe Mark gesagt, bring mich um, ich habe nichts zu verlieren.
Lisa darauf, das bist du nicht wert.
Dann sei sie mit dem Messer ins Schlafzimmer gerannt.
Dort kam es zu einer lauten Auseinandersetzung und Marc habe zugestochen.
Am Ende seines Geständnisses erklärt er noch, dass er die Tat zutiefst bedaure und sich schäme.
Die Angehörigen von Lisa bittet er von Herzen um Vergebung.
Einen Tag später folgen die Plädoyers.
Die Staatsanwaltschaft fordert eine Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen oder besonders schwerem Fall von Totschlags.
Das Mordmerkmal der Heimtücke hatte man im Prozess nicht beweisen können,
da alle Aussagen zur Tatnacht eben vom Angeklagten selbst stammen und der sagt, der Tat sei ein Streit vorausgegangen.
Der Staatsanwalt erklärt dazu, er hat auf verachtenswerte Art und Weise in Anwesenheit des Sohnes diesen Streitpunkt ein für allemal beendet.
In einer typischen Streitsituation hat er Lisas Leben ein Ende gesetzt,
getrieben davon, sein Recht auf Kontakt mit dem Kind über das Leben der Kindesmutter zu setzen.
Er wettet die Aussage von Marc, Lisa habe das Messer zuerst genommen als Schutzbehauptung.
Er sagt dazu, es ist vollständig unvorstellbar, dass Lisa mitten in der Nacht mit einem Messer ins Schlafzimmer läuft.
Ihr Sohn war für Lisa heilig und er war im Schlafzimmer.
Warum sollte Lisa ihren Sohn, der einen leichten Schlaf hat, einem Streit mit Marc aussetzen, noch dazu mit einem Messer in der Hand?
Dafür gibt es keine Erklärung.
Die Verteidigung hingegen fordert eine Verurteilung wegen Totschlags zu zwölf Jahren.
Am elften Tag wird das Urteil verkündet.
Bei Gesamtbetrachtung der Umstände stellt das Tötungsdelikt eine Beziehungstötung dar.
Die Motivation aus Sicht der Kammer sei ein Streit gewesen, der wahrscheinlich letzten Endes um Max ging, den Marc nicht verlieren wollte.
Dennoch sagt der Vorsitzende zum Marc-Gewand noch,
Das gesamte Nachtatverhalten von ihnen wirft kein gutes Licht auf sie.
Wie sie ihre getötete Freundin auch noch in Plastiksäcke gesteckt, sie versteckt und mit Klebebändern zugebunden,
gebündelt in die Ofennische gesteckt haben.
Das Ganze war schon ganz schön kaltschnäuzig.
Bezüglich des Strafmaßes folgt das Gericht auch den Forderungen der Verteidigung und verurteilt Marc zu zwölf Jahren Haft.
Alexandra ist geschockt über das in ihren Augen milde Urteil.
Was muss ein Mensch noch tun, damit er ein Mörder ist und lebenslang ins Gefängnis kommt, fragt sie sich.
Und nicht nur Lisas Familie, auch viele andere im Zuschauerraum haben an diesem Tag Tränen in den Augen, als das Urteil verlesen wird.
Doch zwei Jahre nach der Verurteilung gibt es plötzlich Hoffnung für Alexandra.
Hoffnung auf ein härteres Urteil für den Mörder ihrer Tochter.
Denn es stellt sich heraus, dass Tim, der 2017 vor Gericht ausgesagt hatte,
Marc habe ihm am Telefon nicht gesagt, wie Lisa gestorben ist, eine Falschaussage gemacht hat.
Seine Freundin hatte dies herausgefunden und der Polizei gemeldet.
Im Dezember 2019 wird Tim deshalb wegen Strafvereitelung und Falschaussage zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.
Strafvereitelung deswegen, weil das Urteil für Marc möglicherweise anders ausgefallen wäre, hätte Tim damals die Wahrheit gesagt.
Was hat er denn falsch ausgesagt?
Nach seiner neuen Aussage habe ihm Marc sehr wohl erzählt, wie er Lisa getötet habe, und zwar im Schlaf.
Die Staatsanwaltschaft hatte das ja schon damals vermutet, konnte Marc dies aber nicht nachweisen.
Also eventuell doch heimtückisch.
Genau, jetzt wird der Fall möglicherweise neu aufgerollt, also es ist noch nicht so weit,
aber es bestehe eine große Chance auf ein Wiederaufnahmeverfahren, erklärt der Oberstaatsanwalt Ende 2019.
Wenn man Max heute im Garten seiner Oma mit seinen zwei Onkeln spielen sieht, könnte man meinen,
er wäre Alexandras Sohn und der Bruder der beiden älteren Jungs.
Ein kleiner Nachzügler eben.
Und als wären sie eine große, glückliche Familie.
So beschreibt es die Stern-Redakteurin Nina Pölchau, die Alexandra Ende 2018 besucht
und mit ihr ein langes Interview geführt hat.
Eine große, glückliche Familie.
Das sind sie meist auch.
Max wohnt jetzt bei Alexandra.
Doch manchmal merkt sie, dass seine Kinderseele belastet ist.
Dann nämlich, wenn er nachts aufwacht und Mama Aua ruft.
Oder als er an seinem Geburtstag plötzlich anfing zu schreien, als Alexandra ein Messer für seinen Kuchen holte.
Oder als ihre Nichte einmal auf der Couch lag und sich nicht bewegte und der Kleine zu ihr stürmte und losweinte.
Alexandra versucht alles, um ihm jetzt die unbeschwerte Kindheit zu bereiten, die er verdient hat.
Was dem aber in ihren Augen im Weg steht, ist Marc.
Er hat ein Recht auf seinen Sohn, auch wenn er dem Kind die Mutter genommen hat.
Und er will dieses Recht nutzen und Kontakt zu Max.
Alle sechs Monate bekommt er deshalb vom Jugendamt einen Bericht zugeschickt, in dem steht, wie sich Max entwickelt.
Ein Foto muss auch immer dabei sein.
Beim ersten Mal hatte Alexandra ein Passbild von Max dazu gelegt.
Doch das hatte nicht gereicht, wurde ihr gesagt.
Es muss ein Foto sein, bei dem der Vater einen Gesamteindruck vom Kind bekommt.
Das ist ja nur schlimm, dass man weiß, man muss jetzt ein Foto knipsen, für den, der die Tochter umgebracht hat.
Und deswegen ist sie jetzt quasi auch immer darauf bedacht, das Foto von Weitem zu machen und dass es bestenfalls Max im Profil zeigt.
Wenn für Marc alles gut läuft und es auch kein Wiederaufnahmeverfahren gibt, dann könnte er freikommen, wenn Max elf Jahre alt ist.
Dann wird er vermutlich vor Alexandras Tür stehen.
Wenn sie daran denkt, dreht sich ihr Magen um.
Davor hat sie große Angst.
Sie möchte Max beschützen, ihn niemals loslassen.
Also sollte es wirklich so sein, dass er sie heimtückisch im Schlaf ermordet hat, dann kann man ja wirklich nur hoffen, dass das neue Verfahren dann zu dem Schluss kommt, dass er wegen Mordes verurteilt werden muss.
Und dass er dann eben nicht schon, wenn sein Sohn elf Jahre ist, schon wieder so einen großen Teil in seinem Leben einnehmen kann.
Ja, absolut.
Was mir bei der Geschichte so ein bisschen klar geworden ist, worüber man nicht nachdenkt, wenn man keine Kinder hat, ist, dass du ja als Mutter oder als Vater einfach hilflos bist, was die Beziehung deiner Kinder angeht.
Also wenn sich jetzt deine Tochter einen kriminellen Partner aussucht, dann kannst du ja nichts machen, außer das, was Alexandra eben auch versucht hat, auszureden.
Aber wenn du sie damit gänzlich von dir wegschiebst, dann kannst du nicht mehr das machen.
Wie schlimm ist es, sich das mit ansehen zu müssen, sozusagen.
Vor Gericht ging es in dem Fall von Lisa ja primär darum, ob die Tat jetzt als Totschlag oder Mord gewertet wird.
Für Mord braucht man mindestens ein Mordmerkmal, das wissen wir bereits.
Und mit den neuesten Entwicklungen in dem Fall, also dieser Falschaussage des einen Zeugen, ist jetzt dieses Mordmerkmal der Heimtücke ja möglicherweise gegeben, wie du eben schon gesagt hast.
Aber gehen wir zur Ausgangsposition zurück und wir gehen jetzt davon aus, der Zeuge sei bei seiner Aussage geblieben.
Dann hätte man diese Info nicht gehabt und nur die Aussage des Angeklagten, dass der Tötung ein Streit vorausgegangen sei.
Ein Streit schließt das Mordmerkmal der Heimtücke in dem Fall aus.
Das zweite Mordmerkmal, das die Staatsanwaltschaft angeführt hatte, war das der niedrigen Beweggründe.
Und das wird häufig bei sogenannten Trennungs- oder Beziehungstötungen angeführt, wenn kein anderes Mordmerkmal im Raum steht.
In Folge 14 haben wir ja schon einmal darüber gesprochen, dass dieses Mordmerkmal problematisch ist, weil es einfach sehr vage definiert ist.
Denn unter niedrigen Beweggründen versteht man alle Gründe für eine Tat, die nach allgemeiner rechtlich-sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen,
durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verachtenswert sind.
Ja, und welche Gründe das sind, ist mehr oder weniger Auslegungssache.
Vor allem, wenn es um Tötungen innerhalb von Beziehungen geht.
Welche Gründe für eine Tötung wären denn jetzt zum Beispiel für dich persönlich besonders verachtenswert?
Na, alles, was sich so völlig meinem Verständnis entzieht.
Ja, also beispielsweise eine Tötung eines anderen Menschen, weil die Person homosexuell ist.
Und wäre die Angst, das eigene Kind zu verlieren, also den Umgang mit dem eigenen Kind, wäre das auch so ein Beweggrund für dich?
Nein. Also wenn du nur das für sich nimmst, dann nicht. Weil ich glaube, dass die Angst stark nachvollziehbar ist. Und das rechtfertigt natürlich gar nichts. Aber als Beweggrund, glaube ich, ist das nicht besonders verachtenswert.
Und was ist mit der Eifersucht auf einen neuen Partner oder eine neue Partnerin?
Ja, also wie wir Juristinnen und Juristen sagen, kommt darauf an, woher dieses Gefühl rührt.
Nee, aber ich sage dir, was ich damit problematisch finde, dass die Rechtsprechung niedrige Beweggründe in der Vergangenheit teilweise bejaht hat bei maßloser Eifersucht ohne verständlichen Grund.
Und das ist etwas, das ist mir schon öfter übel aufgestoßen. Und jetzt aussehe ich mich natürlich als totale Nicht-Juristin. Denn ich finde das schon fragwürdig, dass unsere Rechtsprechung einen Unterschied macht, ob es tatsächlich Anlass zu einer Eifersucht gegeben hat oder halt eben nicht.
Das kann man ja nämlich auch auf das Verhalten des Opfers beziehen. Und das hat für mich schon wieder so einen Geschmack von, die hatte ja einen Rock an.
Ja, genau, weil wenn man sagt, der Mann war eifersüchtig, weil die Frau fremdgegangen ist, dann impliziert das ja eine gewisse Mitschuld nach dem Motto, wäre sie treu gewesen, wäre es halt so weit niemals gekommen.
Naja, es sagt zumindest, wenn sie Grund zur Eifersucht gegeben hat, dann fällt seine Strafe dementsprechend niedriger aus. Und das finde ich schon problematisch, das Strafmaß an ihrem Treueverhalten auszumachen, spitz gesagt jetzt. So als wäre das eine Provokation.
Ja, ich sehe das persönlich genauso. Aber ich kann auch für mich so eine Abstufung schon ausmachen. Also zum Beispiel finde ich jede Art von Eifersucht, ob sie jetzt ein Anführungszeichen nachvollziehbarer ist, weil es wirklich eine Untreue gegeben hat, whatever, finde ich beispielsweise noch verachtenswerter als die Angst, das eigene Kind zu verlieren.
Darin sieht man einfach, wie subjektiv das ist. Für den einen ist es so und für den anderen ist es eben so. Und ich glaube, oder da kommen wir später auch nochmal drauf, dass es ja auch sehr kulturell bedingt sein kann, welche Gründe man so sieht oder anders sieht.
Mich wundert ein bisschen deine Einstellung dazu, weil du hast ja schon sehr rot gesehen, als du die Jeansjacke im Tour hast hängen sehen, von der du dachtest, das wäre die Jacke einer fremden Frau.
Und dein Freund hat eine Affäre, dabei war es deine eigene.
Bin nicht überrascht, dass du da das nicht so empathisieren kannst, aber ich bin positiv überrascht.
Siehst du, es gibt auch noch Hoffnung für mich.
So, und da nicht nur wir, sondern auch RichterInnen Probleme damit haben, niedrige Beweggründe einzuschätzen, halten sie sich häufig an die Rechtsprechung, also an Urteile, wie zum Beispiel die des Bundesgerichtshofs.
Und da gab es 2008 so einen Fall, der eine Art Paradebeispiel einer Trennungstötung zeigt.
Und zwar ging es um einen Mann, der seiner Ex-Partnerin bis zur Wohnung ihres neuen Freundes gefolgt war und sie dort dann in Tötungsabsicht mit einem Messer attackierte.
Der Mann habe vor der Tat schlecht geschlafen und kaum etwas gegessen und außerdem habe er sich wie in einem Tunnel gefühlt und seine Gedanken haben nur um diese gescheiterte Beziehung gekreist.
In der Zeit vor der Tat habe er seiner Ex-Freundin bereits einmal mit dem Tod gedroht und sich ernsthaft überlegt, sie zu töten, falls er es nicht schaffen sollte, sie zurückzuerobern.
Der Mann wurde wegen dieser Aussagen vom Landgericht des Mordes verurteilt.
Das Gericht hatte in dem Fall das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen.
Doch der BGH widersprach, Grund, das Landgericht habe nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte der Tat und der inneren Verfassung des Angeklagten gewürdigt.
Es wäre zu bedenken gewesen, dass nicht jede Tötung, die geschieht, weil sich der frühere Partner oder die frühere Partnerin vom Täter oder der Täterin abwenden will, zwangsläufig auf niedrigen Beweggründen beruhe.
Vielmehr können in solch einem Fall auch Gefühle der Verzweiflung und der inneren Ausweglosigkeit tatauslösend und tatbestimmend sein.
Und diese Gefühle könnten eine Bewertung als niedrig fraglich erscheinen lassen, wenn die Trennung vom Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.
Zitat Ende.
Mit anderen Worten, bedeutet dieses BGH-Urteil, dass niedrige Beweggründe nicht zwingend vorliegen, wenn sich die Frau vom Mann trennt und er darüber so verzweifelt ist und keinen anderen Ausweg sieht, als die Frau zu töten.
Was sind deine Gedanken dazu?
Also das Gericht macht ja einen Unterschied, wenn getötet wird, weil das Opfer keinem anderen gegönnt wird oder weil man beispielsweise einfach keinen Ausweg mehr sieht.
Und das finde ich an sich völlig richtig. Wir können ja jetzt nicht anfangen, alle Eifersuchts-Taten gleich zu bewerten.
Also natürlich muss da eine Einzelfallprüfung stattfinden und auch auf die Umstände geschaut werden.
Das Problem ist mal wieder, wie ausgedrückt wird, was Sache ist.
Und zwar, dass dieses Urteil ja impliziert, dass die Frau dem Mann vorher gehört hat.
Da steht ja wörtlich, wenn der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will, dann legt das einen Besitzanspruch offen, weil man ja quasi nicht verlieren kann, was man vorher nicht besessen hat.
Ja, aber wenn du jetzt davon ausgehst, dass das hier ein Verhältnis beschreibt oder ein Gefühl, was er in Zukunft nicht verlieren möchte.
Ja, aber er will sie nicht verlieren als Frau.
Ja, aber mit ihr kommen ja noch ein paar Sachen einher.
Ich glaube, das ist schwierig, der Rechtsprechung da jetzt zu unterstellen, dass die davon ausgeht, also dass die auch davon ausgeht, dass die Frau dem Mann gehört hat.
Ach so, ja, es geht nicht unbedingt darum, denen das jetzt zu unterstellen, sondern eher darum, wie andere das aufgefasst haben.
Viele KritikerInnen sehen diese Formulierung nämlich patriarchalisch geprägt und dann dadurch sozusagen eine Diskriminierung der Opfer.
Und sie fürchten, dass halt sobald diese zwei Sachen bei einer Beziehungstötung zutreffen, dass man dann halt wegen dieses BGH-Urteils schneller auf Totschlag sich einschießt und dann die niedrigen Beweggründe gar nicht erst richtig geprüft werden.
Und genau so war es ja in dem Fall von Lisa auch.
Marc war verzweifelt und sah keinen anderen Ausweg mehr.
So hat es zumindest dann am Ende das Gericht gesehen, als Lisa zu töten, um die Trennung von ihr und dem gemeinsamen Kind zu verhindern.
Und dafür bekam er dann Totschlag.
Also ganz ähnlich, wie das 2008 der Fall war.
Und das Entscheidende ist ja, dass Strafmaß durch diesen Urteilspruch kann es nämlich sein, dass Marc am Ende halt eben nur die Hälfte von dem absitzt, was er beim Mord mindestens hätte absitzen müssen.
Und wo man außerdem noch ganz eindeutig sieht, was für einen Unterschied diese Voraussetzungen für Mord machen können, zeigt der Fall Franziska.
Die 26-Jährige ist vor rund 25 Jahren spurlos verschwunden.
Und 2014 wurde der vermissten Fall schließlich neu aufgerollt und rauskam, dass ihr Ehemann sie erwürgt und ihre Leiche danach in einem Metallfass eingeschweißt hatte.
Da der Mann aber heute nur vage Angaben zu den Hintergründen der Tat macht, muss die Staatsanwaltschaft von Totschlag ausgehen.
Und wie so oft ist es halt so, dass die Informationen nur von einem einzigen Zeugen kommen, der gleichzeitig der Täter ist.
Und weil Totschlag aber nach 20 Jahren verjährt, wird der Mann wahrscheinlich niemals zur Verantwortung gezogen.
Und das ist, warum wir bei Tötungsdelikten der Meinung sind, dass sie nicht verjähren sollten.
Wir sind doch der Meinung, oder?
Ja.
Wenn nicht, sollten wir sie jetzt ändern.
Laura und ich haben gerade großes Fernweh.
Deswegen spielt der Fall, mit dem ich mich beschäftigt habe, ausnahmsweise mal nicht in Deutschland, sondern in Italien.
Er hätte aber genauso gut überall passieren können.
Und deswegen sind uns Ländergrenzen heute mal egal.
Mein Fall erzählt von einem Beziehungsdrama, das keins war, was viele aber unbedingt als das ansehen wollten.
Und davon, dass es Zeit braucht, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.
In der Nähe der Nähe der Gemeinde tenno in Norditalien gibt es einen Aussichtspunkt, von dem aus man einen Panoramablick auf die kleinen Dörfer hat.
Den Aussichtspunkt erreicht man über kleine Wandelfahrt-Pfaden und nicht weit davon steht eine alte Burg.
Dort oben gibt es eine Gedenktafel.
Sie sieht aus wie eine Art Stehpult aus Bronze.
Das obere Ende der Säule, auf der die Tafel angebracht ist, ist nach hinten geneigt, sodass man gut lesen kann, was auf dem Plexiglas steht.
In geschwungener Schrift liest man dort, das Leben ist das kostbarste Geschenk und es muss respektiert werden.
Darüber steht ein Gedicht.
Unten rechts sieht man das Foto einer jungen Frau, die eine lilafarbene Blume im Haar trägt und lächelt.
Gedenktafeln sind dazu da, um, wie das Wort schon sagt, etwas zu gedenken.
Doch in dem Dorf tenno, auf das man von dem Aussichtspunkt teilweise blickt, würden einige nichts lieber tun als vergessen.
Was man von hier oben nicht sehen kann, ist, dass tenno teilweise gespalten ist.
Die 2000 Einwohner sind in zwei Lager geteilt.
Und der Grund dafür ist eben jene Gedenktafel.
Es ist der 31. Juli 2017, als das Ende von tenno, wie man es bisher kennt, beginnt.
Um ca. 14 Uhr rasen Polizeiautos und Krankenwagen durch das kleine Dorf.
Jemand hatte den Notruf gewählt, weil er Schüsse im Haus nebenan hörte.
Tenno sieht aus, als hätte man es als Kulisse für einen kitschigen Film mit möglichst viel italienischem Flair gebaut.
An manchen Orten fühlt man sich fast ins Mittelalter zurückversetzt.
Die schmalen Gassen aus Kopfsteinpflaster, die vielen Rundbögen, unter denen man durchgehen muss, und die Steinhäuser haben etwas sehr Ursprüngliches.
Das Dorf ist außerdem bekannt für seinen atemberaubenden See mit der kleinen Insel in der Mitte.
Das Wasser ist so türkis, dass man meinen könnte, der See wäre künstlich angelegt worden.
Im Herbst sieht es hier spektakulär aus, wenn sich die Bäume auf den Hängen, die den See umgeben, orange, gelb und rot färben und man die mit schneebedeckten weißen Spitzen der Berge im Hintergrund sieht.
Mittlerweile ist das natürlich auch schon ein beliebter Instagram-Spot.
Wobei tenno nicht so wirkt, als wäre die digitale Welt hier schon angekommen.
Mehr als Instagram-Follower zählt hier die Gemeinschaft.
Das Miteinander ist den Menschen hier wichtig.
Ansehen kann man sich hier hauptsächlich dadurch verschaffen, dass man was zur Gemeinde beiträgt, sich engagiert.
Wenn hier Krankenwagen und Polizeiautos durch die Straßen fahren, dann spricht sich schnell rum, wieso.
Die Schüsse kamen aus dem Haus der Familie Stanggar.
Die Familie ist fest in der Gemeinde integriert.
Fast jeder kennt sie.
Vater Lucio hat zusammen mit seinem Bruder eine Baufirma und die Dächer von vielen Häusern hier neu gemacht.
Die Familie ist zu viert.
Lucio und Claudia, das Ehepaar, und die beiden Söhne Michelle und Mattia.
Mattia ist 24 Jahre alt, arbeitet in einer Papierfabrik und ist seit Jahren in der Freiwilligen Feuerwehr aktiv.
Er unterrichtet da auch den Nachwuchs.
Er ist groß, hat braune kurze Haare und ein offenes, freundliches Lächeln.
Seit sechs Jahren ist er mit Alba Chiara Baroni zusammen.
Auch sie und ihre Eltern kommen aus der Gemeinde Tenno.
Alba Chiara hat blond gefärbte Haare, ein Nasenpiercing, grüne Augen und ein wenig Pausbacken, in denen sich Grübchen bilden, wenn sie lächelt.
Alba Chiara ist 22 Jahre alt und macht gerade eine Ausbildung zur Schmuckdesignerin und arbeitet in einem Hotel als Kellnerin.
Sie ist künstlerisch begabt und fällt äußerlich, im Gegensatz zu ihrem Freund Mattia, auf.
Sie kleidet sich ausgefallen und probiert neue Frisuren aus, behängt sich mit Schmuck.
Eine durchsetzungsstarke junge Frau, die es in ihrer Hockeymannschaft sogar zur Kapitänin geschafft hat.
Alba Chiara und Mattia kennen sich schon seit ihrer Kindheit.
Sie sind ein glückliches Paar, unternehmen viel gemeinsam.
Mattia fährt seine Freundin auch oft noch nach seiner Nachtschicht in der Fabrik zu ihren Hockeyspielen.
Einige Freunde sagen, dass er manchmal eher wie ihr Anhang wirkt.
In seinem Leben dreht sich viel um Alba Chiara und er tut einiges, damit es ihr gut geht.
Ganz zur Freude von Alba Chiaras Eltern.
Für sie ist Mattia der perfekte Schwiegersohn.
Zuverlässig, liebevoll und aufmerksam.
Schon lange ist er fester Teil ihrer Familie.
Und eigentlich spricht auch alles dafür, dass das so bleiben wird.
Die beiden hatten schon den Plan, zusammen eine gemeinsame Wohnung zu ziehen.
Umso überraschter ist Alba Chiaras Vater Massimo, als sie ihm im März 2017 sagt, dass die beiden jetzt kein Paar mehr sind.
Für Massimo ist das auch deshalb überraschend, weil Alba Chiara und Mattia trotzdem noch viel Zeit miteinander verbringen.
Nach außen wirken sie also nicht wirklich, als seien sie getrennt.
Massimo hat das Gefühl, dass seine Tochter sich vielleicht auch wegen ihrer Mutter noch nicht ganz von Mattia lösen will.
Sie leidet an Krebs und vielleicht will Alba Chiara ihr nicht noch zusätzlich mit einer Trennung zur Last fallen.
Weil auch Massimos Konzentration hauptsächlich auf der Genesung seiner Frau liegt, erspart er seiner Tochter ein ausgiebiges Verhör.
Alba Chiara und Mattia treffen sich also weiterhin, manchmal übernachtet sie auch bei ihm.
Alba Chiaras Mutter bekommt von der Trennung gar nichts mit.
Es ändert sich also nicht wirklich großartig was.
Massimo guckt auch weiterhin manchmal bei Mattia und seinen Eltern vorbei, wenn Alba Chiara dort ist.
Und so ist es auch an dem 31. Juli, einem heißen Sommertag.
Bevor Massimo seine Frau Loredana aus dem Krankenhaus abholen will, raucht er noch eine Zigarette mit seiner Tochter.
So erzählt es der Vater der Journalistin Margareta Bertoni vom Magazin Reportagen.
Dann setzt sich Massimo in sein Auto und fährt zu seiner Frau.
Nur ca. eine Viertelstunde, nachdem er seine Tochter allein lässt, hört man die Schüsse aus dem Hause Stanggar.
Ein Nachbar ruft gleich die Polizei.
Eine Frau, die nebenan wohnt, versucht bei Mattia anzurufen.
Aber auf der anderen Leitung ertönt nur der monotone Piepton.
Als die Rettungskräfte eintreffen, finden sie im zweiten Stock des Familienhauses die Leichen von Alba Chiara und Mattia.
Oh Gott.
Alba Chiara wurde dreimal in den Oberkörper und einmal in den Kopf geschossen.
Mattia hat einen Schuss ebenfalls im Kopf.
Die Waffe liegt bei ihm.
Massimo weiß noch nicht, was nur wenige Minuten passiert ist.
Nachdem er seiner Tochter auf Wiedersehen gesagt hat.
Erst am späten Nachmittag stößt Alba Chiaras Schwester Aurora auf einen Online-Eintrag,
der von einer Tragödie eines jungen Paares in Tenno berichtet.
Zu sehen ist auch ein Foto vom Haus der Familie Stanggar.
Die Baronis können gar nicht glauben, was sie da sehen.
Was ist denn passiert?
Eben haben Massimo und Alba Chiara doch noch zusammen Qualm auf einer Bank ausgestoßen und ins Tal geschaut.
Und plötzlich hat die Familie alles verloren.
Schmerz macht sich breit und überdeckt alle anderen Gefühle.
Auch einige Tage nach der Tat sind die Baronis noch nicht in der Lage, richtig zu sortieren.
Die Trauer hindert daran, Gedanken zu ordnen.
Alles ist irgendwie konfus.
Einer der wenigen Anker der Baronis sind die Stanggas.
Keiner versteht ihren Schmerz so sehr wie sie.
Auch sie haben ein Kind verloren.
Und so trauern die Familien gemeinsam.
Nicht nur um ihr eigenes Kind, sondern auch um das der anderen Familie.
Die Baronis haben Mattia geliebt und die Stanggas Alba Chiara.
Für beide ist es ein doppelter Verlust.
Der Pfarrer der Gemeinde hat die Idee, Alba Chiara und Mattia gemeinsam zu beerdigen.
Zusammen im Leben, zusammen im Tod.
Doch irgendwas in Massimo wehrt sich gegen diese Art der Beisetzung.
Er möchte seine Tochter ohne Mattia zu Grabe tragen.
Wenn auch nicht ohne Mattias Familie.
Natürlich erweisen die Stanggas Alba Chiara die letzte Ehre und die Baronis Mattia.
Bei den Beisetzungen halten sich Loredana und Claudia, also die Mütter der beiden, die Hände.
Es möchten sich so viele Menschen von Alba Chiara verabschieden, dass sie gar nicht in die kleine Kirche passen.
Schon hier sieht man, wie sehr das Dorf um den Verlust zweier Gemeindemitglieder trauert.
Tenno ist tief getroffen.
Dass so etwas, so eine furchtbare Liebestragödie, wie die Zeitung Schreiben, hier passieren kann,
damit hat keiner gerechnet.
Als Zeichen dafür, dass die Baronis und die Stanggas gemeinsam durch diese Zeit gehen,
schreiben sie einen Brief, der in der Lokalzeitung abgedruckt wird.
Die Familien möchten nicht, dass man ihre Tragödie dazu instrumentalisiert, Lügen zu verbreiten.
Man solle Rücksicht auf ihre Situation nehmen.
Der Pfarrer und der Bürgermeister von Tenno, Gianluca Frizzi, laden zu einem Treffen ein
und auch dort signalisiert man Zusammenhalt.
Für ein Dorf wie Tenno, dem schon immer die Idylle wichtig war, ist die Einheit der Familien
wie ein Pflaster für eine frische Wunde.
Doch so schnell können die Angehörigen nicht heilen und ihren Verlust überwinden.
Bei einem Treffen mit Hockey-Mitgliedern, so erzählt es Massimo später der Journalistin
und Margarita Bertoni, haben die Anwesenden die Idee, ein Spiel zu gedenken von Alba Chiara auszurichten.
Mutter Loredana, die selbst auch in der Mannschaft spielt, will es auch zu Ehren von Mattia stattfinden lassen.
Da wendet sich eine der anwesenden Frauen Massimo zu und äußert Bedenken.
Warum ein Turnier für beide?
Mattia hat Alba Chiara immerhin erschossen.
Das war keine Liebestragödie.
Sie hatte sich doch nicht ausgesucht zu sterben.
Und jetzt macht sich ein Gefühl in Massimo breit, das ihm bisher fremd war.
Er empfindet Ungerechtigkeit.
Bisher überdeckte der Schmerz wie dichter Nebel die klare Sicht auf das, was hier eigentlich passiert ist.
Aber nun hat jemand gewagt, es auszusprechen.
Und einmal in den Raum gestellt, ist diese Erkenntnis schwer zu ignorieren.
Das war kein großes Unglück, dass Alba Chiara und Mattia da widerfahren ist.
Mattia hat Alba Chiara getötet.
Aus welchem Grund genau?
Wird man sich ja nie erfahren, denn die beiden sind tot.
Sie können uns den Grund nicht mehr nennen.
Was aber unbestritten ist, ist, dass Mattia eine Entscheidung für beide getroffen hat.
Es gibt einen Unterschied zwischen dem Tod von Alba Chiara und dem Tod von Mattia.
Alba Chiara hatte keine Wahl.
Die Baronis fangen an, sich über ähnliche Fälle zu informieren.
Dabei stoßen sie immer wieder auf ein Wort.
Femizid.
Das haben sie in der lokalen Berichterstattung zu Alba Chiara nur in manchen Zeitungen gelesen.
Andere haben von einem Beziehungsdrama oder einer Tragödie gesprochen.
Eine Lokalzeitung hatte von Mattia sogar als fast perfekten Schwiegersohn berichtet.
Widerstand regt sich in Massimo, Loredana und Alba Chiaras jüngerer Schwester Aurora.
Ein Mord begangen, weil ein junger Mann offenbar nicht ertragen konnte, dass seine Freundin sich langsam von ihm trennte.
Der für sich keinen anderen Weg sah, als sich selbst zu töten, weil er sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen konnte.
Ein Arbeitskollege von Massimo schlägt der Familie vor, für Alba Chiara eine Gedenktafel zu errichten.
Da die Baronis das Gefühl haben, dass Tenno langsam versucht, Alba Chiara und das, was ihr widerfahren ist, zu vergessen, finden sie das eine tolle Idee.
Und noch sind sie der festen Überzeugung, dass sie bei ihrem Vorhaben auch unterstützt werden.
Vor allem von der Familie Stanga.
Bisher habe man sich ja an allen Angelegenheiten geholfen.
Doch die Stangas sind gar nicht so einverstanden mit dem Plan der Baronis.
Der Ort, an dem die Tafel stehen soll, finden sie nicht okay, da wäre man ständig damit konfrontiert.
Noch weniger aber wollen sie dem zustimmen, was darauf stehen soll.
Neben dem Foto von Alba Chiara soll ein Gedicht stehen und dahinter Alba Chiara, Opfer eines Femizids.
Abgesehen davon, dass sie Probleme mit dem Wort Femizid haben, bedeutet ein Opfer natürlich auch immer, dass es einen Täter oder eine Täterin gibt.
Und es scheint ein wenig, als würden die Stangas sich winden anzuerkennen, dass ihr Matthias das war.
Obwohl die beiden Familien sich bei der Gedenktafel uneinig sind, versuchen sie doch weiterhin, ihre Beziehung aufrechtzuerhalten.
Die Baronis wissen um den Schmerz der Stangas.
Dass ihr Matthias Täter war, macht ihre Trauer ja nicht weniger furchtbar.
Mittlerweile weiß man in Tenno vom Vorhaben der Baronis.
Doch so richtig dahinter, was die Familie mit so einer Gedenktafel bezwecken will, kommt man nicht.
Viele Einwohner und Einwohnerinnen fühlen außerdem mit den Stangas.
Die Familie ist in Tenno fast bei jedem bekannt.
Und sie verstehen nicht, warum man jetzt Mattia als Sündenbock hinstellen sollte.
Zwar sprechen sich auch einige für die Gedenktafel aus,
aber die meisten wollen eine Unterscheidung zwischen Mattia und Alba Chiara nicht machen.
Und haben das Narrativ der Beziehungstragödie geschluckt.
Und damit wäre es dann jetzt doch auch gut.
Aber das ist es nicht für die Baronis.
Sie wenden sich mit ihrem Vorhaben an Bürgermeister Gianluca Fritzi und den Stadtrat
und bitten darum, die Gedenktafel für Alba Chiara abzusegnen.
Kurze Zeit später erhalten der Bürgermeister und der Stadtrat Nachricht von Familie Stanga.
Man hoffe darauf, dass man einen Weg finden würde, der es ermöglicht,
beiden, Mattia und Alba Chiara, gemeinsam zu gedenken.
Bürgermeister Fritzi weiß, dass von ihm eine Entscheidung erwartet wird.
Und er will sie gemeinsam mit dem Stadtrat treffen.
Doch dessen Mitglieder scheinen es nicht sonderlich eilig zu haben,
sich für die Seite der Stangas oder der Baronis zu entscheiden.
Denn die Stimmung in der Gemeinde Tenno ist bereits aufgeheizt.
Man könnte meinen, Tenno ist in zwei Lager gespalten.
Plötzlich sehen sich die Leute gezwungen, eine Seite zu wählen.
Auf der einen diejenigen, die anerkennen, dass Alba Chiara Opfer eines Femizids wurde.
Und auf der anderen jene, die sich gegen die Erkenntnis wehren,
dass einer aus ihren Reihen, einer, der von vielen geschätzt wurde, zu einem Mord fähig war.
So etwas darf hier einfach nicht passieren.
Margareta Bertoni kommt selbst aus der Gegend von Tenno,
hat diese Geschichte für das Magazin Reportagen aufgeschrieben.
Und da habe ich auch das erste Mal von dem Fall gelesen.
Und sie hat mir in einem Interview erzählt,
dass sie die angespannte Stimmung in Tenno ähnlich wie die Baronis wahrgenommen hat.
Und die Eltern hatten oft das Gefühl sozusagen,
das Dorf hält eher zu der Familie des Täters zusammen,
weil sie auch eine Rolle in der Gemeinde haben.
Ich glaube, dass für die Eltern das Problem in der Tat war,
dass sie von Anfang an eben dieses Gefühl hatten,
die Leute wollen nicht drüber sprechen.
Es ist zum Beispiel passiert, dass manche Menschen sich abgewandt haben,
so zum Beispiel nicht mit ihnen sprechen wollten oder sie nicht begrüßt haben.
Dadurch, dass ich aus der Gegend komme und diese Gemeinde,
und viele Menschen da kenne, hatte ich das Gefühl,
dass ich nicht gleich die gesamte Gemeinde in eine Ecke stellen möchte und sagen möchte,
die böse Gemeinde, die akzeptiert Femizide nicht als solche,
die will nicht darüber sprechen.
Aber in der Tat musste ich vor Ort schon feststellen,
dass sehr viele Leute ein Problem haben, über das Thema zu sprechen.
Margarete Bertoni hat mir auch erzählt, dass sich diese ablehnende Haltung gegen die Gedenktafel,
auch teilweise gegen die Baronis, richtete.
Also es gab Leute, die ihr Zustimmung signalisiert haben
und dann auch viele Leute im Dorf, die eher dagegen waren.
Die Mutter von Alba Chiara erzählte mir zum Beispiel sogar von der eigenen Familie,
ich glaube, das war eine Tante von ihr,
die ihr gesagt hat, schmutzige Wäsche,
Wäschmann zu Hause, wieso wollt ihr unbedingt öffentlich gehen mit dieser Geschichte,
wieso kommt ihr nicht mit eurer Trauer?
Klar, jetzt ein bisschen salopp formuliert, zu Hause in euren vier Wänden.
Dann habe ich tatsächlich mit mehreren Leuten leider gesprochen,
die wirklich versuchten zu argumentieren.
Also das war zum Beispiel ein Gespräch mit zwei Männern an der Bar, an der Dorfbar,
die haben mit mir gesprochen und dann haben sie gesagt,
Naja, so in einem Paar ist man immer zu zweit, jahrzehntgemäß.
Und man müsste ja wissen, was sie ihm angetan hat.
Sozusagen, also es muss ja einen Grund geben,
wieso der Täter durchgedreht ist und sie umgebracht hat.
Zusammen im Leben, zusammen im Tod.
Teile von Tenno sehen also Alba Chiara und Mattia immer noch als Einheit,
obwohl er ihr das Kostbarste genommen hat.
Er hat ihr Leben nicht respektiert.
Und Alba Chiara hatte Freude daran.
Sie hatte viel vor.
Bei einer Veranstaltung, die Massimo und Loredana für Alba Chiara organisieren,
kommen kaum Leute aus dem Dorf.
Eher Leute von außerhalb.
Die Familie realisiert, dass sie fast allein dasteht
und die Idylle in Tenno mehr zählt als die Wahrheit.
Das Gerede, die Zurückweisung, die fehlende Unterstützung,
all das zehrt an den Baronis.
Ihre Tochter wurde ermordet und sie haben das Gefühl,
dass von ihnen erwartet wird, dass sie das so hinnehmen.
Als Gianluca Frizzi vor seinen Stadtrat tritt, weiß er,
dass heute ein folgenschwerer Beschluss gefällt wird
und dass seine Wahl wohlmöglich richtungsentscheidend sein wird.
Die letzten Monate sah er, wie sich Tenno veränderte,
wie seine Einwohner und Einwohnerinnen müde wurden, über das Thema zu sprechen.
Egal, wie die Wahl ausfällt, eine Familie wird sich vor den Kopf gestoßen fühlen.
Gianluca Frizzi hat lange mit sich gehadert.
An diesem Tag weiß er aber, dass nur eine Entscheidung die richtige sein kann
und dass er daraus eine Konsequenz ziehen muss.
Vergessen oder erinnern.
Gianluca Frizzi entscheidet sich für Erinnern
und damit für den Willen der Baronis.
Für ihn ist es keine Entscheidung für eine der beiden Familien,
sondern eine für Alba Chiara.
Weil Alba Chiara die ist, die keine Wahl hatte,
weil sie nicht selbst entscheiden konnte.
Doch Frizzi weiß, dass er sich damit gegen einen Großteil seiner Gemeinde stellt.
Er verkündigt, dass er seine Unterschrift unter das Dokument
für die Gedenktafel setzen und danach als Bürgermeister zurücktreten wird.
Er hofft so, den Stadtrat hinter sich versammeln zu können.
Denn wenn dann durch Tenno ein Aufschrei gehen sollte,
dann ist der Kopf schon gerollt und ein Schuldiger ausgemacht.
Und obwohl es von Mitgliedern des Stadtrats vorher Widerstand gab,
sie Zweifel äußerten, geht Frizis Plan auf.
An diesem Tag unterschreiben alle das Dokument.
Fast auf den Tag genau sechs Monate später
steht Gianluca Frizis Nachfolger vor der Gedenktafel auf dem Berg,
von dem Osman auf einen Teil Tennus blicken kann.
Es sind auch einige aus der Gemeinde gekommen.
Alba Kiaras Hockey-Mitspielerinnen zum Beispiel.
Ein rotes Tuch bedeckt das, was für immer daran erinnern soll,
dass auch in der schönsten Idylle die schrecklichsten Dinge passieren können.
Eigentlich wollten die Baronis, dass diese Zeremonie am Internationalen Tag
gegen Gewalt an Frauen stattfindet.
Als Zeichen.
Aus terminlichen Gründen konnte die Stadt das nicht bewerkstelligen
und zog sie einen Tag vor.
Am Ende seiner Ansprache möchte der neue Bürgermeister noch darauf aufmerksam machen,
dass es zwei Frauen in letzter Zeit besonders schwer hatten.
Die Schwester von Alba Kiara, Aurora, und die Mutter von Mattia.
Alba Kiaras Mutter nimmt das Stillschweigen zur Kenntnis.
Warum?
Für sie zählt heute hauptsächlich, dass man mit dieser Gedenktafel das anerkennt, was es war.
Als die Eltern das rote Tuch abziehen, können nun alle lesen, worum die Baronis so lang gekämpft haben.
Das Leben ist das kostbarste Geschenk und es muss respektiert werden.
Darunter der Name Alba Kiara Baroni, 1995 bis 2017.
Opfer eines Femizids.
Daneben das Bild von ihr, wie sie mit der Blume im Haar in die Kamera lächelt.
Gianluca Fritzi ist an diesem Tag nicht hier.
Durch seinen Rücktritt haben noch mehr PressevertreterInnen von dem Fall erfahren.
Er wollte, dass dieser Tag Alba Kiara gehört.
Der ehemalige Bürgermeister hat durch die Entscheidung, seinen Platz in der Politik aufzugeben,
Platz für etwas gemacht, was ihm wichtiger erschien.
Die angemessene Trauer von einer Familie, der ein Mensch genommen wurde,
und das Recht darauf, etwas zu benennen, wie es war.
Und damit am Ende auch für die Wahrheit.
Boah, also, man muss ja sagen, dass dieser Bürgermeister, dass er sich das getraut hat und dass er seine Karriere hinten angestellt hat,
Für etwas, woran er geglaubt hat, was das Richtige ist, zu tun.
Ich glaube, das hätten nicht so viele gemacht.
Ja.
Und es ist aber so wichtig, dass er das gemacht hat und dass es letztendlich auch dazu gekommen ist,
weil es eben gefährlich ist, es nicht zu benennen.
Ein Teil, den ich an der Geschichte total besonders fand, ist die Rolle, die die Gemeinde gespielt hat.
Ja, einmal die Gemeinde, aber was ich besonders komisch fand, war, dass diese beiden Familien zusammen getrauert haben, als wären sie eine.
Auf der einen Seite denkt man sich, gut, die sind ja befreundet und die haben beide jetzt so etwas Schreckliches erlebt und halten irgendwie zusammen, weil die Trauer ist bei denen ja die maßgebliche Emotion.
Aber dass es dann so lange gedauert hat, bis sie dann verstanden haben, dass sie ja trauern und dass Matti dafür verantwortlich ist, das finde ich irgendwie komisch.
Ich glaube, wenn du diese Umgebung hast, wo dieses Verhalten auch von dir erwartet wird, dann ist das total schwierig, sich dahingehend das erste Mal zu äußern.
Und so wie ich das verstanden habe, kam ja auch der erste Anschub eher von außen, obwohl der Vater ja wohl auch bei den Beerdigungen schon dieses Gefühl hatte, ich möchte diese beiden nicht zusammen zu Grabe tragen.
Deswegen, ich glaube, ein Gefühl war schon da, aber ich glaube, dass es unfassbar schwierig ist, so etwas auch auszusprechen, weil diese Trauer alles umnebelt.
Und sie haben ja auch um Mattia getrauert, also Alba Kiaras Eltern.
Deswegen, glaube ich, hat das einfach eine Weile gedauert, bis die erkannt haben, was das hier eigentlich war.
Und ich glaube auch, dass irgendwas in ihnen sich auch davor gesträubt hat, das anzuerkennen.
Ja.
In Tenno wussten relativ schnell alle, was in der Gemeinde passiert war.
Und das liegt natürlich daran, dass die Gemeinde sehr klein ist, aber zum anderen auch daran, dass die lokale Presse viel darüber berichtet hat.
Allerdings haben die zwei dort ansässigen Zeitungen das auf recht unterschiedliche Weise getan.
Die eine berichtete von dem, was es war, ein Femizid, und die andere handhabte das etwas anders, wie Margareta Betoni mir erzählte.
Mich hatte vor allem die Berichterstattung von der Zeitung Ladice etwas gewundert.
Also in der Erstberichterstattung, es war so ein zweiseitiger Artikel und groß drauf stand eben die Tragödie.
Also das wurde sozusagen als Tragödie geframed.
Auf einer der beiden Seiten sozusagen gab es eine Seite über Mathia, die den Titel trug, ein fast perfekter Junge.
Und die Seite von Alba Chiara hatte den Titel seit sechs Jahren mit ihrem Mathia.
Und ich fand mehrere Sachen etwas schief an dieser Berichterstattung.
Erstmal ganz oben die Tragödie.
Eine Tragödie ist für mich, wenn Mathia mit Alba Chiara bei einem Autounfall gestorben wäre.
Ein Mord ist nicht wirklich eine Tragödie.
Ein Femizid ist keine Tragödie.
Und ich fand so vor allem dann auch ein fast perfekter Junge.
Mag ja sein, ich will dem Täter gar nichts wegsprechen von all dem Gutes, was er im Leben gemacht hat.
Dennoch, ob man wirklich ihn fast perfekt nennen muss, nachdem er jemanden umgebracht hat, stelle ich jetzt in Frage.
Und noch mehr fand ich problematisch die Objektivisierung von Alba Chiara, in dem man schreibt, seit sechs Jahren mit ihrem Mathia.
Ich meine, sie war Künstlerin, sie war Hockey-Spielerin, sie war Kellnerin, sie hat super Cocktails gemixt, erzählte mir Freundinnen.
Also man hätte so viele Sachen über ihre Persönlichkeit sagen sollen und dabei wird sie objektivisiert und sie ist die eine, die seit sechs Jahren mit ihrem Mathia zusammen war.
Und tatsächlich ist das auch ein Problem, was wir in Deutschland haben, die Berichterstattung über Femizide.
Und davon handelt jetzt mein Aha.
Die Wörter Familientragödie, Beziehungsdrama oder Eifersuchtstat findet man oft in Beiträgen über Fälle, bei denen ein Mann seine Frau, Freundin oder seine Ex-Frau oder Ex-Freundin getötet hat.
Und das ist deswegen problematisch, weil Familientragödie, Beziehungsdrama und Eifersuchtstat eine Mitschuld der Frau implizieren und den Eindruck verstärken, dass es sich hier um einen Konflikt handeln würde.
Dabei geht es oft um einseitig ausgeübte häusliche Gewalt.
Das war aber bei Alba Chiara und Mathia nach allem, was wir wissen, nicht so. Er galt als liebevoller Freund.
Beispiel. Ein typisches Beziehungsdrama ist für mich Romeo und Julia. Also die Umstände sind sehr dramatisch für beide und jeder trifft für sich selbst eine Wahl.
Das war bei Alba Chiara aber nicht so. Sie hatte keine Wahl treffen dürfen. Mathia nahm sie ihr.
Mal abgesehen davon, dass der Begriff aus dem Schauspiel kommt und ein Mord nicht in einem Theaterkontext gesetzt werden sollte.
Auch das Wort Tragödie gibt einem Gewaltverbrechen etwas Schicksalhaftes.
Wenn man liest, vier Tote bei Familiendrama, dann denken die wenigsten daran, dass ein Ehemann seine gesamte Familie ausgelöscht hat, weil die Ehefrau ihn mit den Kindern verlassen hat, weil er seit Jahren gewalttätig war.
Wenn man von einer Eifersuchtstat liest, dann fragen sich einige, was wird denn da vorgefallen sein, dass er eifersüchtig war?
Hatte sie eine Affäre? Hat sie die Tat möglicherweise provoziert?
Und genau diese Fragen hat man sich bei Alba Chiara ja auch gestellt.
Und das Wort Streit ruft Bilder hervor, wie sich Menschen auf Augenhöhe fetzen.
Das ist natürlich in den meisten Fällen einer Tötung auch völlig irreführend.
Bei einem Femizid geht es nicht um Eifersucht oder einen Streit, sondern es geht um den Besitzanspruch,
den der Mann gegenüber der Frau erhebt.
Das ist das eigentliche Motiv.
Woher das kommt, darüber reden wir später nochmal.
Wie wir über Femizide reden und über sie berichten, das ist wichtig,
denn wenn man es nicht als das ausspricht, was es ist, dann verharmlost man mit der Sprache Tötungen an Frauen.
Wenn wir statt Beziehungstat, nämlich Frauenmord oder Frauentötung sagen würden,
dann würde in den Köpfen präsenter sein, dass bei diesen Taten Frauen die Opfer sind.
Und einen vorbildlichen Schritt hat im November letzten Jahres die dpa gemacht.
Der Chef Roben Homburger hat via Twitter verkündet,
in der Berichterstattung über Gewaltverbrechen in Familien und partnerschaftlichen Beziehungen
wird dpa künftig Begriffe wie Familientragödie oder Beziehungsdrama nicht mehr als eigene Formulierung verwenden.
Und das ist deswegen auch so wichtig, weil die dpa die größte deutsche Presseagentur ist
und viele Medienmeldungen der dpa eins zu eins bei sich einbetten.
Also das heißt, wie sie formulieren, das wird auch über die anderen Medien verbreitet.
Jetzt ist es aber so, dass die Berichterstattung über Femizide nicht nur auf der sprachlichen Ebene ein Problem hat.
Margarita Bertoni hat mir erzählt, dass Massimo auch die Fotos, die von seiner Tochter abgedruckt wurden, schwierig fand.
Was ihm auch zum Beispiel sehr gestört hat, ist, dass ihm viele Zeitungen tatsächlich Fotos erschienen,
wo Alba Chiara zusammen mit Mattia war.
Und er hatte dieses Gefühl, dass es für die Würde seiner Tochter,
also für das, was seiner Tochter zugestoßen ist,
falsch sei, dass sie auch nach ihrem Tod gemeinsam mit Mattia dargestellt wird,
als seien sie sozusagen eine einzige Einheit gewesen.
Er hatte das Gefühl, in die Einzigartigkeit seiner Tochter ein bisschen da verloren gehe.
Hier greifen an sich natürlich die gleichen Gründe wie bei dem Begriff Beziehungsdrama.
Also man vermischt Dinge, die man nicht vermischen darf.
Wir wissen, dass es komplexe Erklärungen gibt, warum jemand zum Täter oder zur Täterin wird.
Aber das herauszufinden ist halt erst der zweite Schritt.
Medien, und damit sind ja auch wir gemeint,
dürfen nicht vergessen, dass es zunächst wichtig ist, erst mal zu benennen und klar zu machen,
dass es ja ein Opfer gibt.
Wie nimmst du das so in der deutschen Berichterstattung wahr?
Also vor der Folge habe ich ehrlicherweise gar nicht so sehr darauf geachtet.
Und deshalb habe ich nochmal explizit nach solchen Begriffen gesucht und war dann auch ein bisschen geschockt.
Das Wort, was mich eben am meisten triggert, ist, was du eben auch schon genannt hast, diese Tragödie, Familientragödie.
Und dazu habe ich einen Artikel vom 2. April gefunden, also gar nicht so lange her.
Und die Überschrift ist, Dortmund, Familientragödie.
Vater bringt Ehefrau und drei Kinder um.
Dann tötet er sich selbst.
In einem anderen Artikel habe ich auch gelesen, Polizei geht von Familientragödie aus.
Also dann auch nochmal so von dieser offiziellen Seite nochmal gewordet sozusagen.
Genau.
Da hatte der DPA-Chef aber schon eine Sache zugesagt.
Wenn die Polizei das sagt und sie die Indirekt zitieren, können sie es nicht ändern.
Solange das auch nicht bei der Polizei in den Köpfen vorherrscht, dass sowas keine Familientragödie ist, werden sich die Medien teilweise immer darauf berufen, weil das halt ihre Quelle ist.
Ja, und das ist halt dann so ein Teufelskreis.
Und das hört sich dann jetzt ja auch schon wieder so nach diesem Schimpfen auf die Presse an, was wir manchmal machen.
Weil ich da auch sagen muss, dass ich auf jeden Fall niemandem unterstellen will, der solche Begriffe benutzt, dass er oder sie die Tat irgendwie verharmlosen will.
Das will ich ja gar nicht unterstellen.
Und ich kann auch nicht die Hand für mich ins Feuer legen, dass ich noch nicht bei so einer Tat von einer Beziehungstat oder einem Drama gesprochen habe.
Das kann ich nicht.
Aber was diese Nutzung der Begriffe ja zeigt, ist, dass diese Besitzansprüche, die du eben schon mal genannt hast, ja, tief bei uns irgendwie verankert sind.
Und dass durch diese Begriffe die Tat auf eine private Ebene gehoben wird, ja, so, das war bei denen in der Familie und das ist quasi irrelevant für die Öffentlichkeit und mich als Leserin.
Ich meine, ich beschäftige mich jetzt damit beruflich und habe ein Bewusstsein, aber einige LeserInnen denken sich dann wahrscheinlich ja, ach, ein Familiendrama, wie dramatisch und sowas würde uns nie passieren.
Naja, es grenzt das mehr von der Masse ab.
Aber ich habe auch das Gefühl, dass sich was tut.
Ich meine, du hast das eben erzählt von der dpa, aber jetzt bei der Recherche hat man ja auch viele Artikel gefunden, gerade zu dem Thema, zu der Problematik der Begrifflichkeit.
Aber es wird sicher immer welche geben, die einen Femizid als Familiendrama bezeichnen werden, also auch in Zukunft.
Und deshalb ist es halt wichtig, dass wir als LeserInnen diese Denkleistung selber erbringen.
Was mich nur ein bisschen verwundert hat, ist, dass man hier bei der Verwendung des Begriffs gar nicht unterscheiden kann zwischen Boulevardmedien und, sag ich jetzt mal, seriöseren Medien.
Weil wir generell im Journalismus dafür noch nicht genug sensibilisiert sind.
Aber ich glaube, das ist eine Aufgabe, die man in Zukunft meistern kann.
Nur finde ich es blöd, dass es bisher mehr Artikel darüber gibt, warum man diese Begriffe nicht mehr verwenden sollte, wie Familiendrama oder Beziehungstat, als dass Artikel tatsächlich die richtigen Begriffe verwenden.
Weil so habe ich das bisher wahrgenommen.
Stimmt.
Wenigstens sind wir jetzt wachsamer, was die Begrifflichkeiten angeht und unsere Hörerinnen und Hörer ab jetzt sicher auch.
Also den Begriff, den man am besten verwenden sollte für solche Taten oder der da zumindest nie falsch ist, ist der Femizid.
Also die geschlechtsbezogene Tötung von Frauen.
Wobei der Begriff teilweise auch weitergefasst wird und dann Frauenmorde im Allgemeinen bezeichnet.
Nach der Weltgesundheitsorganisation kann man da verschiedene Typen unterscheiden.
Und der, der am häufigsten vorkommt, ist der sogenannte intime Femizid.
Bei dem eben Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern getötet werden.
Wobei die Trennung der häufigste Grund für diese Taten sind.
Aber auch Ehrenmorde zählen dazu.
Bei denen Frauen getötet werden, weil sie die sogenannte Familienehre verletzt haben.
Und auch den sexuellen Femizid, den gibt es auch.
Und dabei werden sexuelle Aggressionen gegen Frauen ausgelebt.
Und diesen Typ kennen wir auch schon aus einigen Fällen sexualisierter Gewalt aus unserem Podcast.
Ja, zum Beispiel, wenn ein Serienmörder nur Frauen tötet, weil er einen Hass auf die hat.
Das würde zum Beispiel auch darunter fallen.
Es gibt auch die Art der Tötung von weiblichen Föten, also die selektive Abtreibung.
Darauf gehen wir jetzt hier heute aber nicht ein.
Könnt ihr aber die Tage dazu was auf unserem Instagram-Kanal Mordlust, der Podcast, lesen.
Und ich bin für diese Aufschlüsselung, die du jetzt gemacht hast, dankbar.
Und mit der Definition sehr einverstanden.
Weil es gibt nämlich einige Medien, die Femizid mit Hass auf Frauen erklären.
Also einfach so, das ist deren Definition.
Und das ist natürlich viel zu kurz gegriffen.
Weil nicht jeder Partner, der seine Frau oder Ex-Frau umbringt, weil er nicht verlassen werden will,
hatten generell einen Hass auf alle Frauen.
Also Mattia zum Beispiel hatte das nach allem, was wir wissen, nicht.
Sondern in den meisten Fällen hat es, wie schon gesagt, was mit einem Besitzanspruch zu tun, den jemand hegt.
Und wiederum ist nicht jede Tötung einer Frau gleich ein Femizid.
Sondern die, die aus hierarchischen Geschlechterverhältnissen hervorgehen.
Ich finde es schon wichtig, eine konkrete Definition in Deutschland zu haben, auf die sich alle einigen.
Und das dann auch mit in die PKS, also in die polizeiliche Kriminalstatistik mit aufzunehmen.
Wie wir das ja bei Partnerschaftstötungen schon haben.
Ja, aber ohne das alles zu vereinheitlichen.
Also wir brauchen natürlich nach wie vor Unterscheidungen.
Aber nur so könnte man Femizide dann auch auswerten und entsprechend auch zum Thema machen.
Damit das Bewusstsein für Frauenmorde gestärkt wird.
Und wo uns das ja ganz gut gelingt, sind die von dir eben angesprochenen Ehrenmorde.
Weil da kann sich jeder sofort was darunter vorstellen.
Also die Stellung der Frau in der Familie etc.
Und bei den Femiziden, die keine sogenannten Ehrenmorde sind, fehlt uns das total.
Ja, deswegen glaube ich war das auch so, ihr müsst wissen, bevor wir diese Folge aufgenommen haben, war ich eher so ein Gegner des Themas.
Laura war so, was ist das?
Also natürlich hatte ich den Begriff schon mal gehört, aber mir war dann auch nicht ganz klar,
Was für eine Art von Taten sollen wir denn da eigentlich erzählen?
Und wenn ich jetzt Genozid höre, dann weiß ja jeder, was gemeint ist.
Aber das ist eben nicht der Fall.
Und deswegen, ja, eine einheitliche Definition wäre auf jeden Fall sinnvoll.
Und du bist da auch auf jeden Fall nicht alleine, weil ich sage dir, jede Person, der ich erzählt habe,
dass wir diese Folge über Femizide machen, hat gesagt, was ist das?
Auch Juristinnen und Juristen, mit denen ich gesprochen habe, die wussten das nicht.
Also sie kannten den Begriff nicht.
Die kannten natürlich das Problem, aber den Begriff halt nicht.
Ja, bedenklich.
Aber kommen wir mal zu der Situation hier in Deutschland.
Auch hier ist der intime Femizid der Typ, der am häufigsten vorkommt.
Und tatsächlich rangieren wir im europäischen Vergleich zahlenmäßig so auf den mittleren Plätzen.
Im Jahr 2018 wurden nämlich in Deutschland 122 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet.
Die Zeit hat sich da mal die Mühe gemacht und die Geschichten von 116 der 122 getöteten Frauen einmal aufzulisten und auch kurz zu erzählen.
Und also ich konnte vielleicht bis Fall 20 lesen, ehe ich abbrechen musste, weil ich am Heulen war.
Das war einfach nur furchtbar.
Und was ich daran ganz gut sehen konnte an diesen Geschichten war, dass es wirklich jede Frau treffen kann.
Das waren so unterschiedliche Geschichten von Müttern, Omas, Hausfrauen, Karrierefrauen.
Auch alle soziale Schichten waren da vertreten.
Doch obwohl die Frauen an sich sehr unterschiedlich waren, ähnelten sich ihre Geschichten dann doch teilweise extrem.
Denn viele Opfer von Femiziden haben, ja bevor ihnen das Leben endgültig genommen wird, langes Leid hinter sich.
Also die Tötung ist in den meisten Fällen nicht ein isoliertes Ereignis, sondern eben der traurige Höhepunkt von einer kontinuierlichen Eskalation.
Also die Beziehung davor ist meist schon von Gewalt, von Eifersucht und auch von Kontrollverhalten des Mannes geprägt.
Und wenn sich die Frau dann irgendwann logischerweise trennen will, weil sie das nicht mehr ertragen kann,
dann bedeutet das aber oft den Startschuss für noch mehr Eskalationen, wie zum Beispiel Stalking, Selbstmorddrohung oder auch eben erste Mordgedanken.
Und die Tat an sich wird dann letztendlich nur durch einen Schlüsselreiz ausgelöst.
Das kann dann eben die Ankündigung einer Trennung sein oder auch nur ein weiterer Streit von den vielen, die es bisher gab.
Wie das jetzt zum Beispiel auch bei Marc und Lisa der Fall war.
Und weil das so häufig vorkommt, fragen wir uns doch, woher kommt das eigentlich, dass Frauen häufig Opfer, vor allem von ihren Männern oder Ex-Männern werden.
Dazu an dieser Stelle einmal eine Klarstellung.
Männer werden noch häufiger Opfer von Männern als Frauen.
Allerdings ist die Ausprägung bei den Straftaten, Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen marginal, also fast zu vernachlässigen.
Und was man vor allem sagen kann, ist, dass 80 Prozent der tatverdächtigen Personen von Straftaten gegen das Leben auch Männer sind.
Also heißt im Klartext, die überwiegenden Taten gegen das Leben werden von Männern begangen, meistens an Männern, aber fast genauso häufig an Frauen.
Wenn ihr euch über Femizide informieren möchtet, dann werdet ihr ganz oft auf die Begründung strukturelles Problem stoßen.
Und da fragen wir uns auch, was heißt das eigentlich genau?
Und wir haben es vorhin schon mal gesagt, eine Ursache, die immer wieder als Grund von Frauentötung genannt wird, ist der Besitzanspruch, den Männer, die Femizide begehen, meinen zu haben.
Gegenüber ihrer Frau oder auch der Familie.
Also die Vorstellung davon, ein Recht auf eine Person zu haben, ja.
Und wenn diese Männer ihren vermeintlichen Besitz verlieren oder sie sehen das in Gefahr, dass das passiert, dann fühlen sie sich in ihrer Ehre oder Stolz oder was auch immer das sein mag, verletzt.
Ferdinand Sutter-Lütti ist Professor für Soziologie an der Goethe-Universität und kommissarischer Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt.
Und er sagt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass der Grund für die Überzeugung, einen Anspruch auf die Frau zu haben, aus unserer Kultur stammt.
Zitat
Und ein Grund, warum wir gegen die so schwer ankommen, ist die sogenannte toxische Maskulinität oder die toxische Männlichkeit.
Und das ist, wenn man denkt, Männlichkeit definiert sich durch beispielsweise Macht, Dominanz, Härte, breite Schultern, möglichst viele Frauen klarzumachen oder Aggressionen.
Und dass alle, die das nicht erfüllen, unmännlich sind.
Und daraus resultiert dann nämlich auch sowas wie Homophobie.
Und den Grundstein dafür legt man natürlich schon in der Erziehung.
Also wenn man das umgehen will, dann ist es wichtig, dass man die Kinder jetzt mal ganz runtergebrochen auf das Einfachste, nicht nach typischen Rollenbildern erzieht.
Also wie zum Beispiel Jungs sind mutige Abenteurer und Mädchen schöne Prinzessinnen oder so ein Rotz, ja.
Die toxische Maskulinität ist übrigens überhaupt keine Kritik am Mann per se, also so nehme ich das wahr, sondern eher an Teilen unserer Gesellschaft, die Männlichkeit eben immer noch an Stolz, Aggression, Erfolg, bla bla bla ausmacht.
Und da geht es natürlich auch um Frauen, die dieses veralterte Männerbild aufrechterhalten.
Also ich habe in meinem Kreis ja zum Glück recht wenig mit solchen Menschen zu tun, aber von denen, die ich kenne, hängen genauso viele Frauen wie Männer diesem Stereotyp nach.
Ja.
Ein Beispiel.
Schauspieler Terry Crews musste selbst erfahren, was toxische Maskulinität für Folgen haben kann.
Kennst du den?
Nee.
Nein.
Okay.
Wo spielt der so mit?
Der hatte erst eine Football-Karriere und die hat er dann beendet und danach spielte er in einigen Filmen mit, darunter zum Beispiel White Chicks oder Brooklyn Nine-Nine.
Ah.
Daher kennen ihn sicher viele.
Dann kenne ich ihn auch.
Und im Zuge der MeToo-Debatte erklärte er 2017, ein Jahr zuvor von einem hochrangigen Hollywood-Agenten sexuell belästigt worden zu sein.
Bei einer Veranstaltung, auf der er mit seiner Frau war, griff der Agent ihm zwischen die Beine.
In dem Moment habe er sich schrecklich entmannt gefühlt, sagt er.
Er interpretierte den Übergriff so, dass der Agent ihm damit sagen wollte, ich habe dich und deine Eier in der Hand.
Wie er später sagte, entschied er sich den Übergriff aus Scham, nicht zur Sprache zu bringen und weil man es als schwarzer Mann in Amerika eh schon schwer genug hätte und er Konsequenzen fürchtete.
Und wie sie später rausstellen sollte?
Zu Recht.
Crews entschied sich erst dazu, die Geschichte öffentlich zu machen, als mehrere Prominente im Zuge der MeToo-Debatte offenbarten, dass sie schon mal Opfer sexueller Belästigung waren.
Und er wollte mit der Veröffentlichung seiner Geschichte bewirken, dass man sieht, dass jeder Opfer werden kann.
Also auch ein großer, muskulöser Mann wie er.
Später wurde sein Kollege D.L. Hughley in einem Interview gefragt, wie er dem Ganzen gegenüber stünde.
Hughley antwortete, dass er sich nicht vorstellen kann, dass jemand mit so viel Muskel nicht in der Lage sei, einem Agenten zu sagen, dass er die Finger von ihm lassen soll.
Er fügte noch hinzu, hey Motherfucker, Gott hat dir Muskeln gegeben, damit du Nein sagen kannst.
Und auch 50 Cent gab seinen Senf dazu und postete ein Meme von Crews ohne Oberteil, wo man natürlich auch alle seine Muskeln sieht.
Und dann schrieb er, ich wurde vergewaltigt und meine Frau sah nur zu.
Bitte?
Löschte er auch später.
Also, deren Argumentation macht doch auch gar keinen Sinn.
Also, der hat es ja einfach gemacht.
Wie hätte er es jetzt dann, also, die, was ist jetzt deren Argumentation, dass er sich danach hätte wehren sollen oder was?
Oder dass er erst gar nicht dazu kommen sollte?
Nee, er sagt ja, er hat sich da entmannt gefühlt und er hat sich dann auch in dem Moment ja nicht dagegen so richtig gewehrt.
Er sagte aber auch in einem Interview, hieß es, das ging, also es war wohl auch nicht so ein kurzer Übergriff, sondern es ging wohl eine Weide.
Aber das ist ja auch egal, weil das ist ja einfach so ein krasses Victim-Blaming hier.
Furchtbar.
Wie, aber was denken die sich denn auch, so was, so ein Meme dann auch noch zu posten?
Das ist ja einfach nur peinlich, oder?
Oh Gott.
Und ich denke mir so, überlegen die sich nicht, was sie damit machen, wenn 50 Cent sagt, du bist ein oller Schlappschwanz oder was auch immer,
dass das allen anderen Opfern auch signalisiert, dass sie eigentlich lieber den Mund halten sollten.
Das ist ja einfach nur schlimm.
Ja, und jetzt kommt es, der Produzent von der The Expendables-Reihe drohte Cruise, der hatte da nämlich immer mitgespielt.
Und er solle seine spätere Klage gegen den Agenten fallen lassen.
Und das tat Cruise aber nicht, woraufhin er dann im vierten Teil der Reihe nicht mehr zu sehen war.
Und Cruise sagt zu dem ganzen Vorfall, so durchzieht toxische Männlichkeit unsere Kultur.
Als ich meine Geschichte erzählte, wurde mir immer und immer wieder gesagt, das war kein Missbrauch, das war nur ein Witz, das war doch nur herumgeblödel.
Ja, so viel zu einem Beispiel, was toxische Maskulinität alles bewirken kann.
Ja, es führt natürlich nicht automatisch immer zu einer Tötung an Frauen.
Aber in einer Gesellschaft, in der einige Männer und Frauen denken, alle Männer müssten bestimmte Stereotypen erfüllen,
fördern sie halt ein Bild eines Mannes, das halt schon längst überholt sein sollte.
Und welche Bilder vermittelt werden in unserer Kultur, das ist natürlich prägend für die Menschen.
So weitere mögliche strukturelle Ursachen sind Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb einer Beziehung.
Und damit meine ich nicht nur unbedingt die Frau vom Mann, sondern auch die emotionale Abhängigkeit des Mannes,
die der ja genauso hat wie die Frau, so wie das beispielsweise auch bei Alba Kiara war.
Und dass halt bestimmte Rollenbilder in der Gesellschaft dann auch für hohe Femizidraten sorgen können oder verantwortlich sind,
das zeigen die Länder Südamerikas.
Nämlich unter den 25 Ländern mit den höchsten Femizidraten befanden sich laut Small Arms Survey 2016 14 Länder Lateinamerikas.
Und besonders schlimm ist es in Mexiko, da werden pro Tag 10 Frauen getötet.
Und in diesen häufig christlich geprägten Ländern ist der sogenannte Machismo noch weit verbreitet und fest in der Gesellschaft verankert.
Und das ist nämlich diese Idee einer männlichen Überlegenheit.
Also Männer sind dort in der Regel diejenigen, die die Entscheidung treffen und Frauen haben sich zu fügen.
Und das gilt auch in Bezug auf Sex.
Und Männer dürfen dann auch andere Beziehungen haben oftmals, mit denen sie dann vor ihren Freunden angeben.
Und wenn Frauen auf der anderen Seite aber mehrere Männer haben und sexuelle Beziehungen mit denen,
dann gelten die als Huren und Freiwild.
Also Patriarchat at its finest würde ich mal sagen.
Für dasselbe Verhalten wird das eine Geschlecht bewundert und das andere verachtet.
Und wenn da eine Frau ihre Rechte einfordern will, dann lebt sie in Mexiko vielerorts gefährlich.
Denn wenn sie ihre Stimme erhebt, dann kann ihr Mann fürchten, die Kontrolle über sie zu verlieren,
die er ja meint, durch diesen Machismo-Gedanken zu haben.
Und Männer, die meinen das Recht auf Sex oder das Recht darauf zu haben, eine Frau zu dominieren,
die neigen auch eher dazu, tödliche Gewalt anzuwenden.
Daran sehen wir also, dass die Kultur, in der wir uns bewegen und wie wir Frauen wahrnehmen, also insgesamt,
schlägt sich auch in der Anzahl der getöteten Frauen nieder.
Wir in Deutschland haben natürlich nicht die Probleme mit dem Frauenbild, wie in manchen Ländern Lateinamerikas.
Und dennoch schreien manche Feministinnen und Organisationen wie TEDEFAM,
die Frauentötung auch rechtlich anzugehen und den Femizid in unsere Gesetze mit aufzunehmen.
Das haben nämlich einige lateinamerikanische Länder, die ihr Problem zumindest erkannt haben, schon gemacht.
Dass das da nicht so viel bringt, ist ein anderes Thema.
Aber bei denen ist das dann entweder als Mord aus geschlechtsspezifischen Gründen, wie in Argentinien,
oder als eigenen Straftatbestand, wie in Costa Rica oder Mexiko, aufgeführt.
Und Spanien hat bereits seit 2004 ein Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt.
Professorin Dr. Christina Wolf, die ist Initiatorin der Petition
Stopp das Töten von Frauen, Hashtag SafeXX, also für X-Chromosom, falls ihr das nicht wisst,
kritisiert schon lange den Umgang mit Frauentötungen in Deutschland.
Und sie betreibt auch eine Instagram-Seite, heißt auch SafeXX Germany,
wo sie Frauentötungen in Deutschland sammelt und da veröffentlicht, wo was passiert ist.
Könnt ihr mal reingucken, falls euch das interessiert.
Auf jeden Fall fordert sie unser Justizministerium und das Familienministerium auf,
härter gegen Frauentötungen vorzugehen.
Beide Ministerien werden ja übrigens von Frauen geführt.
Das sind Christine Lambert und Franziska Giffey.
Und Wolf sagt dazu in einem Interview mit der Welt,
unsere Strafprozessandrohung entspricht in etlichen Punkten nicht mehr den aktuellen gesellschaftlichen Anforderungen.
Vor allem nicht, weil sich die Bundesregierung eigentlich seit 2017 im Zuge der Istanbul-Konvention der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen verpflichtet hat.
Seit dieser Konvention hat Deutschland schon einige Schritte unternommen.
Aber laut Wolf würden wir aktuell nur maximal die Minimalanforderungen umsetzen.
Aber vor allem vermissen Kritikerinnen und Kritiker eine aktive Auseinandersetzung mit Femiziden und natürlich auch die Aufnahme derer in unsere Gesetzgebung.
Okay, aber es sind nicht alle, die dafür sind, Femizide effektiver zu bestrafen, für die Einführung eines neuen Straftatbestands.
Zum Beispiel Leonie Steinel.
Sie ist Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes.
Und mit ihr habe ich für diese Folge ein Interview geführt.
Sie sagt, das Risiko ist groß, dass man nur bestimmte Einzelfallkonstellationen in den Blick nimmt und andere dann außen vor lässt.
Sie glaubt außerdem nicht, dass so ein Straftatbestand in unser Rechtssystem passt.
Wir haben ja auch keine bestimmten Taten als Straftatbestände im Gesetzbuch.
Es gibt keinen Tatbestand des Kindermordes oder des LGBT-Mordes oder des Ehrenmordes.
Die Juristin sagt, dass so ein Gesetz aber auch eigentlich gar nicht nötig wäre,
weil die jetzige rechtliche Situation schon in der Lage ist, Femizide als Morde zu erfassen.
Femizide können als Mord mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden.
Aber das Problem ist, nicht immer geschieht das auch.
Dabei entspricht die Einstufung als Mord auch den Wertungen der Rechtsprechung zu sogenannten Ehrenmorden.
Also wenn wir diese Ehrenmorde mit Trennungstötungen vergleichen,
dann fällt auf, dass die Rechtsprechung bei Ehrenmorden strenger ist und eher niedrige Beweggründe annimmt.
Das heißt, hier wird eine vergleichbare patriarchale Besitzkonstruktion anders gewertet.
Und das ist genau das Problem.
Darin sehe ich nämlich keine gleichmäßige Anwendung des Rechts.
Über Ehrenmorde hatten wir ja auch schon in Folge 17 mal gesprochen
und schon damals erkannt, dass sie sich gar nicht so sehr von den Beziehungstötungen durch deutsche Männer unterscheiden.
Meine Frage war dann, wenn man vergleichbare Fälle als Mord einstuft,
wieso machen es die RichterInnen dann nicht häufiger auch bei deutschen Beziehungstötungen?
Also es liegt vor allem an den Personen, die mit den Gesetzen arbeiten, sie auslegen und anwenden müssen.
Diese haben die gleichen Vorstellungen und teilweise eben auch Vorurteile im Kopf,
was geschlechtsbezogene Gewalt anbelangt, wie andere Menschen auch.
Und deshalb halten wir verpflichtende Fortbildungen zum Thema geschlechtsbezogene Gewalt für Polizei,
Staatsanwaltschaft und Justiz für sehr wichtig.
Denn das ist dringend erforderlich, damit sich die Rechtsanwendungspraxis ändert.
Diese Fortbildung müsste es seit Einführung der Istanbul-Konvention, die du eben angesprochen hast,
theoretisch auch schon längst geben.
Allerdings ist die Konvention noch nicht in der Rechtsprechungspraxis angekommen.
Denn wäre das der Fall, dann würden sich Gerichte bei Trennungstötungen
wahrscheinlich nicht mehr so häufig auf dieses BGH-Urteil von 2008 berufen können,
sondern müssten erst einmal eine Strafschärfung prüfen.
Leonie Steiner sagt also, eigentlich seien alle Voraussetzungen vorhanden,
um Femizide effektiv zu verfolgen.
Erstens ist es laut heutigem Gesetz möglich, in vielen Fällen von Frauentötungen
diese als Morde aus niedrigen Beweggründen einzustufen.
Dazu muss man vielleicht auch einmal kurz sagen, dass das teilweise auch so gemacht wird.
Und zweitens gibt es unterschriebene Verpflichtungen,
Strafschärfungen in solchen Fällen durchsetzen zu können.
Es geht also in Anführungsstrichen nur darum, das auch umzusetzen.
Aber wenn wir eigentlich alle Voraussetzungen hätten, um Femizide stärker zu bestrafen
und es dann aber nicht machen,
frage ich mich ja, ob das dann nicht erst recht ein Grund wäre,
sie als Straftatbestand aufzunehmen.
Ja, also ich sehe ja auch, dass man das theoretisch nicht bräuchte.
Und ich muss auch sagen, dass ich einen eigenen Straftatbestand nicht als perfekte Lösung ansehe,
weil es, auch wenn es jetzt viel weniger Fälle gibt, in denen jetzt eine Frau den Mann umbringt,
keinen Straftatbestand auf dieser Seite geben würde.
Also das würde ja dann quasi so einer Gleichstellung vor Gericht komplett entgegenstehen.
Ja, natürlich, das geht gar nicht.
Also sorry, aber das wird unserem Grundgesetz meiner Meinung nach auch überhaupt nicht vereinbar.
Ja, aber ich glaube jetzt auch nicht, dass beispielsweise Fortbildungen reichen würden,
um so ein wirkliches Umdenken zu bewirken.
Also so ein radikales Umdenken in der Justiz wäre wahrscheinlich mit so einem Straftatbestand Femizid eher gegeben.
Mag sein.
Also ich finde die Einführung des Straftatbestands Femizid als solchen auch überhaupt nicht tragbar.
Und ich wäre eher dafür, ich weiß, wir haben in Deutschland eigentlich kein Gesinnungsstrafrecht, ja,
aber ich wäre schon dafür Verbrechen, die an beispielsweise Minderheiten begangen werden
oder an Menschen, die Merkmale haben, für die sie nichts können,
vielleicht explizit in das Mordmerkmal niedrige Beweggründe mit aufzunehmen.
Was man aber nicht machen wird, weil es teilweise schon so umgesetzt wird
und weil die Gesetze ja flexibel und vor allem kurz formuliert sein sollen deswegen.
Also wahrscheinlich ist sozusagen die realistischste Lösung
und auch das, was am Ende dahin führen würde, was wir uns jetzt wünschen,
dass man da bei den niedrigen Beweggründen genauer hinschauen kann
und durch diese Fortbildung mehr RichterInnen dazu bekommen,
dass sie diesen Frauenmord als das auch ansehen, was er ist.
Aber diese juristischen Maßnahmen, Femizide härter zu bestrafen,
sind ja jetzt auch nur Mittel, die angewendet werden können,
wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.
Genau. Die Frage, die man sich ja eigentlich stellen sollte, ist,
wie können potenzielle Täter gestoppt werden?
Weil die ja häufig schon vorher mal irgendwie gewalttätig ihren Frauen gegenüber waren
oder vielleicht auch schon vorbestraft sind,
ist die Wahrscheinlichkeit ja höher, dass sie bereits auf dem Radar der Behörden sind.
Dann wäre es theoretisch gar nicht so schwer,
ihnen die Hilfe bereitzustellen, die sie brauchen.
Denn so blöd es klingt, Männer, die ihre Frauen schlagen, brauchen Hilfe und zwar psychologische.
Und es ist aber hier in Deutschland so, dass es ja sowas wie gesetzlich verpflichtende Therapien
für gewalttätige Männer nicht gibt, auch nicht für gewalttätige Frauen.
Und deswegen setzen sich Hilfsorganisationen dafür ein, präventiv etwas zu machen.
Und eine Hörerin hat uns da auf ein gemeinnütziges Projekt aufmerksam gemacht.
Und das heißt Gewaltlos stark.
Und das ist ein niedrigschwelliges Angebot, das sich an Männer richtet, die gewalttätig sind.
Oder, und das finde ich so spannend daran, Sorge haben, gewalttätig zu werden.
Also schon ansetzen, bevor das Übel passiert ist.
Und im Gegensatz zu vielen anderen Projekten, bieten die dort Einzelberatung an.
Weil viele natürlich nicht so Bock haben, sich in der Gruppe das erste Mal zu äußern.
Und so könnten die dann auch anonym bleiben.
Und die Infos dazu stellen wir euch auch nochmal in die Shownotes.
Übrigens haben wir noch eine Überraschung für euch.
Heute gibt es, also heute, den 29. April 2020, im Laufe des Tages das Gewinnspiel, auf das ihr so lange gewartet habt, für unseren Mordlust-Merch.
Nämlich die T-Shirts.
Und die könnt ihr auf unserer Instagram-Seite, Mordlust, der Podcast, gewinnen.
Das Spiel geht bis zum 6. Mai.
Und Teilnahmebedingungen seht ihr dann unter unserem Post.
Viel Glück.
Also man hat ja jetzt gerade Zeit, sich über Dinge Gedanken zu machen, über die man sich sonst keine Gedanken macht.
Fällt dir da, also machst du dir über irgendwas Gedanken jetzt gerade?
Jetzt in dem Moment nicht, aber ich habe mir zum Beispiel schon darüber Gedanken gemacht, ob ich jetzt backen oder puzzeln sollte.
Und solche Gedanken habe ich mir vor Corona tatsächlich nicht gemacht.
Okay, aber das ist ja eher so Langeweile vertreiben.
Ja.
Auf was sprichst du da an?
Ja, ich denke schon sehr viel mehr über mein Leben nach, wie ich lebe und hinterfrage Dinge, die ich sonst einfach so hingenommen habe.
Okay.
Wie zum Beispiel meinen Joghurt.
Ich esse ja jeden Tag das gleiche Frühstück.
Du weißt ja auch, dass ich glaube, dass ich einen krassen Nährstoffmangel habe, wenn Corona vorbei ist, weil ich halt immer das Gleiche esse.
Und zuerst habe ich mir darüber Gedanken gemacht, ob ich vielleicht zu wenig risikobereit bin oder so.
Und jetzt habe ich aber heute habe ich mir diesen Vanilleprotein-Pudding, den ich morgens immer esse, einmal angesehen.
Und da sind so schwarze kleine Punkte drin.
Ja.
Und ich bin mir ziemlich sicher, also weil richtige Vanille ist ja sauteuer.
Ach so.
Da ist doch keine richtige Vanille in meinem Joghurt.
Machen die mir da Dreck rein, damit ich denke, das ist Vanille.
Hast du mal auf die Verpackung geschaut?
Ja.
Also da steht weder drin, dass da echte Vanille ist, da steht halt nur so Vanillearoma und so, noch steht da drauf, dass da Dreck drin ist.
Aber ich dachte auch, Dreck ist ja gar nicht...
Ist ja gar keine richtige Zutat.
Ja, ist ja kein richtiger Inhaltsstoff.
Deswegen müssen sie da Dreck vielleicht nicht aufführen.
Wie lange hast du dir darüber Gedanken gemacht?
Schon zehn Minuten ungefähr.
Und ich habe auch mit einer Freundin darüber vorhin schon diskutiert.
Wird der jetzt von dem Speiseplanen denn gelöscht?
Nee, aber vielleicht gibt es ja irgendwelche Joghurt-MacherInnen oder wie heißt das, wenn man sich mit Essen auskennt halt, ja.
Vielleicht können die mir sagen, was da für Punkte in meinem Joghurt sind.
Ich kann mir nicht vorstellen, weil da sind viele Punkte drin.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles von einer Vanilleschote kommen soll.
Es sei denn, die nehmen die ganze Vanilleschote und zerhackseln die und dann ist da auch der Ast oder was weiß ich, wie das heißt, mit drin.
Ja, nee, aber ohne Witz, das interessiert mich jetzt auch.
Also wenn das jemand weiß, dann bitte schreibt uns.
Also ich kann nur dazu aufrufen, schaut euch Dinge genauer an.
Seid wachsam, auch beim Joghurt.
Und wir hören uns bald wieder.
Und das nächste Mal dann auch wieder mit Fussel.
Das war ein Podcast von Funk.