00:00:00
Ganz ehrlich, wie findest du meine Frisur gerade?
00:00:15
Ja, sie ähnelt meiner und sie sagt, ich habe die letzten drei Tage nicht meine Haare gewaschen und habe auch keine Bürste.
00:00:30
Danke und gehen wir davon aus, ich hätte sie jetzt frisiert. Wie würdest du sie dann so finden vom Schnitt her?
00:00:37
Schön, schick und trendy.
00:00:39
Wow, okay, weil ich war jetzt schon länger nicht mehr beim Friseur und das macht mich ein bisschen nervös, musst du wissen, weil ich habe so ein Ding mit meinen Haaren, die müssen für mich immer gut aussehen, weil ich zu Schulzeiten mal eine ganz schlimme Frisur hatte und das war dann der Auslöser dafür, dass ich gemobbt wurde.
00:00:59
Damals hatte man noch Hänseln dazu gesagt.
00:01:02
Welche Frisur hattest du da?
00:01:04
Das war die, bei der man die Haare vorne so bis zum Kinn lang getragen hat und hinten dann so stachelig mit Haargegeln.
00:01:13
Also hinten waren die quasi relativ kurz.
00:01:16
Ja, ja. Und ich hatte das bei meiner Cousine gesehen und die sah richtig cool damit aus, aber die kam auch aus McPomm und da lief jede zweite so rum. Und in Schleswig-Holstein war das nicht so ein Ding. Und das war dann sehr erschreckend für mich, dass das ausgereicht hat, um zur Zielscheibe zu werden. Und weil ich finde, dass du und Fussel sehr gut frisiert seid, hoffe ich, dass unser Verhältnis hier weiterhin auf einer guten Ebene läuft.
00:01:44
Auch wenn du erstmal keinen Friseurtermin kriegst?
00:01:46
Hm. Warten wir mal ab, wie sich das noch entwickelt wird.
00:01:51
Verstehst du meine Sorge dahinter? Also wurdest du auch mal gemobbt? Weißt du, wie sich das anfühlt?
00:01:58
Ich hatte zumindest als Jugendliche mal das Gefühl, gemobbt worden zu sein. Ich weiß jetzt, dass das gar kein Mobbing war, aber es war trotzdem schlimm für mich. Und zwar hatten meine Freundin und ich eine Homepage erstellt. Und dort hatten wir natürlich auch ein Gästebuch. Und da hatte dann jemand ein paar gemeine Einträge reingepostet.
00:02:20
Und einer war zum Beispiel so von wegen, ja, wir würden uns ja Socken und Butterbrotdosen in den Ausschnitt stecken, um das halt auszu…
00:02:30
Butterbrotdosen!
00:02:32
Ja, und als ich das gelesen habe, habe ich direkt meine Freundin angerufen und gesagt, wir müssen diese Homepage löschen, ja. Sie hat nicht so richtig meine Aufregung nachvollziehen können. Aber für mich war das schon schlimm. Und ich glaube, ich habe das immer noch so ein bisschen in mir. Deswegen lese ich auch keine Bewertung über unseren Podcast im Internet.
00:02:53
Ja, das war dann halt echt kein Mobbing, sondern dein erster Hater.
00:02:57
Und den ersten Hater vergisst man nicht. So wie wir unseren ersten Mordlust-Hater auch niemals vergessen werden. Du weißt nicht mehr, wie er hieß, ne?
00:03:06
Er hieß Kevin. Und wir hatten am Anfang ganz nett geschrieben eigentlich. Der hatte da so ein paar Kritikpunkte. Aber irgendwie artete das dann ein bisschen aus.
00:03:16
Und unser Verdacht war dann, dass er auch noch andere mobilisiert hat, weil wir plötzlich noch weitere negative Kommentare von Personen aus seinem beruflichen Umfeld bei uns auf Instagram hatten.
00:03:28
Und damals, als das alles noch neu war für uns, da war das schon so eine Erfahrung, die mich ein bisschen beschäftigt hat.
00:03:37
So, dass ich nie vergessen werde, wie Kevin aussieht. Weil er eben der Erste war. Und deswegen habe ich ihn auch sofort erkannt, natürlich, als wir ihm mal zufällig über den Weg gelaufen sind. Wie hoch ist die Chance?
00:03:51
Ja, und Paulina dann so, da ist Kevin! Und ich hatte schon wieder ganz vergessen, wer eigentlich Kevin ist, weil ich das da irgendwie wohl schon überwunden hatte.
00:04:00
Ja, so wie das mit den Brotdosen.
00:04:03
Und damit euch allen. Und vielleicht ist Kevin ja auch wieder dabei. Herzlich willkommen zu Mordlust, einem True-Crime-Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:04:13
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe. Mein Name ist Paulina Kraser.
00:04:16
Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge beleuchten wir ein spezielles Thema.
00:04:20
Und dazu erzählen wir zwei wahre Kriminalfälle nach, diskutieren die und sprechen auch mit Expertinnen darüber.
00:04:27
Wir reden hier auch manchmal ein bisschen lockerer miteinander. Das hat aber nichts mit einer fehlenden Ernsthaftigkeit dem Thema gegenüber zu tun, sondern das ist für uns so eine Art Comic-Relief, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
00:04:39
Und das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
00:04:41
Heute geht's bei uns um das Thema Mobbing.
00:04:45
Wovon man ja aktuell ziemlich viel hört, weil das gerade als Thema an sich sehr präsent ist, weil Comedian Oliver Pocher angeblich Influencer mobbt.
00:04:56
Zumindest schreiben das ja so einige Zeitungen.
00:04:58
Der hat sich in der Quarantäne nämlich mal ein paar Instagram-Kanäle der Influencer angeschaut.
00:05:04
Und angefangen hat er das eigentlich damit, dass einige von diesen Influencern noch in der Welt hin und her getingelt sind, obwohl es schon einige Corona-Fälle in Deutschland gab.
00:05:14
Und dann sind ihm aber auch noch diese Rabattcode-Videos aufgefallen, die er ein bisschen unangemessen zu diesem Zeitpunkt fand.
00:05:22
Und jetzt ist daraus ein ganzes Format entstanden. Pochers Bildschirmkontrolle heißt das.
00:05:27
Und einige haben da ja gleich von Anfang an erstmal laut Mobbing geschrien.
00:05:31
Und da muss ich sagen, das hat mich zu Beginn, als der Pocher jetzt erst zwei oder drei Videos gemacht hat, wirklich so ein bisschen aufgeregt.
00:05:42
Ja, weil ich finde, dass jetzt erstmal nur darauf aufmerksam zu machen, dass man zu Corona-Zeiten nicht im Dubai am Strand rumhängen soll oder jetzt beispielsweise, dass man seine Kinder nicht ins Netz stellen sollte.
00:05:56
Das finde ich jetzt an sich erstmal völlig legitim.
00:05:59
Und das hat ja schon fast was von Gesellschaftssatire.
00:06:02
Und die muss, wie Tuchholzki ja auch damals schon gesagt hat, übertreiben und sie muss auch ungerecht sein.
00:06:09
Und ich finde, dass man sich Kritik an sich auch immer gefallen lassen muss, wenn man Inhalte erstellt.
00:06:14
Also wir beide fühlen uns ja jetzt auch nicht gemobbt, nur weil wir jetzt immer noch richtig unfreundliche Nachrichten wegen des Genderns kriegen.
00:06:21
Ich finde, da muss man einfach aufpassen, dass man nicht immer sofort Mobbing schreit und der Begriff dann nicht inflationär verwendet wird.
00:06:29
Also wie gesagt, das war wirklich jetzt nur anfangs meine Meinung dazu.
00:06:33
Die hat sich jetzt deutlich, deutlich gewandelt.
00:06:36
Ja, ich glaube, dass Pocher eine gewisse Gesellschaftskritik auch gerne vorschiebt, um eben seine Comedy zu rechtfertigen.
00:06:44
Weil seine Witze bestanden ja schon immer eigentlich daraus, sich über andere Menschen lustig zu machen.
00:06:51
Ja, und dann kam halt jetzt in letzter Zeit auch noch diese Slutshaming-Sachen dazu.
00:06:56
Immer wieder und auf die immer wieder gleichen Personen dann einzuhauen, das ist schon echt richtig übel.
00:07:02
Ja, und das ist übrigens ein Merkmal von Mobbing.
00:07:05
Da gibt es ja keine einheitliche Definition, aber in dem Punkt sind sich die ForscherInnen schon einig,
00:07:10
dass halt Mobbing Verhaltensmuster beschreibt und nicht einzelne Handlungen.
00:07:14
Und deswegen war diese Butterbrot-Affäre bei mir zum Beispiel auch kein Mobbing.
00:07:19
Weil das eben öfters passieren muss.
00:07:20
Und der Psychologe und Pionier in der Mobbing-Forschung, Heinz Leimann,
00:07:24
der spricht da von systematischen Angriffen, die über einen längeren Zeitraum immer wieder passieren.
00:07:30
Und das haben wir ja bei Pocher, oder?
00:07:33
Und um als Mobbing zu gelten, müssen diese Angriffe feindlicher Natur sein.
00:07:37
Das heißt, Beschimpfung, Ausgrenzung, aber auch zum Beispiel gezielt Gerüchte verbreiten, um eine Person zu denunzieren.
00:07:45
Und natürlich auch körperliche Angriffe.
00:07:47
Gut, die findet man jetzt bei Pocher nicht.
00:07:50
Aber bei ihm verschwimmen ja schon immer mehr die Grenzen zwischen diesem
00:07:55
Ich mache mich jetzt über jemanden lustig oder FD nach und eben dieser öffentlichen Denunzierung.
00:08:01
Aber was noch ein Merkmal für Mobbing ist, ist ein ungleiches Machtverhältnis zwischen TäterInnen und Opfer.
00:08:07
Also das heißt, die Beteiligten haben unterschiedlichen Einfluss.
00:08:11
Also zum Beispiel jetzt der Chef und der Mitarbeiter oder die beliebteste in der Klasse und die neue.
00:08:17
Oder einfach, weil auf einer Seite mehr stehen als auf der anderen.
00:08:21
So, und darüber kann man sich bei Pocher ja irgendwie streiten.
00:08:24
Weil einige Blogger haben mehr Follower als er und andere dann wieder weniger.
00:08:28
Aber ich glaube, was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass er halt viel spitzzüngiger ist als die Blogger
00:08:37
und sie in einer verbalen Auseinandersetzung dann halt einfach unterlegen sind.
00:08:43
Ja, das Problem sind aber ja auch vor allem die Leute, die sich wegen seiner Videos halt animiert fühlen,
00:08:51
den Influencern fiese Nachrichten zu schreiben.
00:08:54
Und Pocher meinte dazu, er fordert niemanden dazu auf, Hasskommentare zu schreiben oder zu mobben.
00:09:00
Und klar, damit hat er natürlich recht, er fordert niemanden direkt dazu auf.
00:09:04
Aber dieses Statement zeigt ja, dass er ganz genau weiß, dass seine Videos in manchen Fällen andere zum Mobbing animieren.
00:09:11
Richtig, und dafür trägt er ja auch irgendwie teilweise eine Verantwortung, finde ich.
00:09:15
Aber ich finde auch, dass man ihm da nicht uneingeschränkt für die intellektuellen Unzulänglichkeiten seiner Follower verantwortlich machen kann.
00:09:24
Ja, ob das jetzt Mobbing ist, so wie es ForscherInnen definieren oder nicht,
00:09:29
es ist auf jeden Fall mittlerweile einfach ganz und gar nicht mehr lustig,
00:09:32
sondern einfach nur unter der Gürtellinie.
00:09:37
Die Angriffe in der Geschichte, die jetzt kommt, gehen aber noch weit über sowas hinaus.
00:09:43
Mein Fall erzählt von wiederholter Gewalt an einem Ort, an dem man sich eigentlich sicher fühlen sollte
00:09:50
und von der Angst, diese zu stoppen, um nicht selbst zum Opfer zu werden.
00:09:55
Die Namen der Beteiligten habe ich geändert.
00:09:59
Die Werner-von-Siemens-Berufsschule in Hildesheim ist ein schmuckloser Kasten,
00:10:04
direkt an einer fehlbefahrenen Kreuzung.
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Das Bauwerk aus den 60er Jahren ist groß und hell.
00:10:10
Es finden sich keine Schmierereien oder Graffiti an den Wänden.
00:10:13
Trotzdem wirkt die Schule nicht einladend und irgendwie unpersönlich.
00:10:18
Im Jahr 2003 werden hier mehr als 1700 junge Menschen in den Bereichen Metall,
00:10:24
Fahrzeug, Elektro- und Informationstechnik ausgebildet.
00:10:27
Die Schule ist ein Lehrinstitut ganz im Sinne der Bundesbildungsministerin.
00:10:33
Denn in der Werner-von-Siemens-Berufsschule lernen alle unter einem Dach.
00:10:37
Die AbiturientInnen zusammen mit den Real- und den HauptschülerInnen.
00:10:41
Auf der Homepage finden sich die dazugehörigen Karrieremöglichkeiten.
00:10:46
Die SchülerInnen können entweder auf die Berufseinstiegsschule,
00:10:49
die Berufsfachschule, die Berufsschule oder in die Fachschule,
00:10:53
die Fachoberschule oder auf das berufliche Gymnasium.
00:10:56
Im Sekretariat bekommt jeder Neuankömmling dann eine Skizze,
00:11:00
um ihm oder ihr den richtigen Weg zur Ausbildungsstätte zu weisen.
00:11:03
Von dort aus führen dann alle Treppen nach oben.
00:11:06
Nur für 35 Jugendliche geht es nach unten.
00:11:10
Die SchülerInnen des Berufsvorbereitungsjahrgangs müssen in den Keller.
00:11:14
Dort ist ihr Bereich.
00:11:16
Abgeschnitten von allen anderen.
00:11:18
Nicht nur räumlich.
00:11:19
Denn dort im Keller, so wird es später in der Presse formuliert, sitzt der Haufen an Verlierern.
00:11:26
Junge Menschen ohne Schulabschluss, die bisher keinen Ausbildungsplatz bekommen haben
00:11:30
und nun hier ihre Zeit absitzen.
00:11:32
Geparkt werden, bis sie die vorgeschriebenen zwölf Jahre Schulpflicht hinter sich haben.
00:11:38
Die meisten von ihnen kommen aus schwierigen Verhältnissen, sind frustriert über ihre bisherige Laufbahn und blicken ohne Hoffnung in die Zukunft.
00:11:45
In der 3b läuft es besonders schlecht.
00:11:49
Sie gilt inoffiziell als Vorbereitungsklasse für zukünftige Arbeitslose.
00:11:54
Die zwölf Schüler, allesamt männlich und zwischen 16 und 18 Jahren, wurden von den meisten LehrerInnen bereits aufgegeben.
00:12:01
Unbeschulbar und erziehungsresistent steht in einigen Zeugnissen.
00:12:06
Für sie gibt es nur noch eine Chance, sich daraus zu kämpfen.
00:12:11
Nach der Hälfte des Schuljahres bekommen die 12 bis 15 Besten des gesamten Jahrgangs, also der insgesamt 35 SchülerInnen,
00:12:17
die Möglichkeit, doch noch ihren Hauptschulabschluss zu machen.
00:12:20
Kevin hat seinen Hauptschulabschluss bereits.
00:12:23
Kevin heißt eigentlich Klaus Kevin, doch seine Mutter ruft ihn bei seinem zweiten Namen.
00:12:28
Er ist 17 Jahre alt und kommt aus Nordstemm, einem kleinen Dorf in der Nähe von Hildesheim.
00:12:33
Dort ist er zusammen mit seinen drei älteren Brüdern bei seiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen.
00:12:39
Kevin ist ein unauffälliger und schmächtiger Typ.
00:12:42
Er ist schüchtern und still.
00:12:43
Im örtlichen Jugendzentrum wurde er vor kurzem zum Jugendleiter ausgebildet.
00:12:48
Dort arbeitet er hinter dem Tresen und legt Musik auf.
00:12:51
Am liebsten Songs seiner Lieblingsband Metallica.
00:12:54
Doch wenn andere abends lieber Hip-Hop hören wollen, gibt Kevin schnell nach.
00:12:58
Er geht Konflikten aus dem Weg.
00:13:00
Nachdem er seinen Hauptschulabschluss auf der Marienbergschule in Nordstemm mit Ach und Krach besteht,
00:13:06
soll er sein Glück auf der Werner-von-Siemens-Schule in Hildesheim versuchen.
00:13:09
Denn Kevin möchte gern Elektrotechniker werden.
00:13:12
Doch auch an der neuen Schule gibt es Probleme.
00:13:15
Er kommt nicht mit.
00:13:17
Kevin wird aus dem Berufsgrundbildungsjahr herabgestuft und landet im September in der 3B.
00:13:24
Doch hier passt er eigentlich gar nicht so richtig hin.
00:13:27
Im Gegensatz zu den anderen hat Kevin ja einen Abschluss, ist gut in Deutsch und interessiert sich für Politik.
00:13:32
Weil er anders ist, fällt Kevin auf.
00:13:35
Akin hat ihn ins Visier genommen.
00:13:39
Akin ist eine Art Klassenchef der 3B.
00:13:41
Nicht so etwas wie ein Klassensprecher, sondern eher so etwas wie ein Klassendiktator.
00:13:46
Er ist 16 Jahre alt und wegen vorsätzlicher Körperverletzung bereits vorbestraft.
00:13:51
Vor ihm haben andere Angst, denn er ist nicht nur aggressiv und gewalttätig, sondern auch intelligent.
00:13:57
Schon mit 14 Jahren hat Akin seine damalige Schule terrorisiert, im Unterricht gepöbelt, andere MitschülerInnen angegriffen und drangsaliert.
00:14:04
Er ist der typische Anführer, wenn es darum geht, andere zu mobben.
00:14:08
In der 3B umgibt er sich mit seinesgleichen.
00:14:11
Mit Jungs, die Konflikte lieber mit Fäusten als mit Worten lösen.
00:14:15
Einer von ihnen ist der 18-jährige Sascha.
00:14:18
Er ist erst vor 3 Jahren aus Sibirien nach Deutschland gekommen und noch immer kann er so gut wie kein Wort Deutsch.
00:14:24
Dafür kann er besonders gut boxen.
00:14:26
Der 3. im Bunde ist der 17-jährige Jan.
00:14:29
Ein Kiffer, der auch schon Erfahrungen mit der Polizei gemacht hat.
00:14:33
Bei seinem ersten Verfahren wegen Sachbeschädigung mit 14 wurde von einer Strafverfolgung abgesehen.
00:14:38
Das zweite wurde eingestellt.
00:14:40
Als Kevin zu ihnen in die Klasse kommt, kühren die 3 ihn zu ihrem neuen Mobbing-Opfer.
00:14:47
Akin hatte herausgefunden, dass Kevin auf seiner alten Schule eine Zeit lang Springerstiefel und eine türkisfarbene Bomberjacke trug.
00:14:53
Akin, dessen Eltern aus der Türkei stammen, fühlt sich angegriffen oder möchte sich so fühlen.
00:14:59
Deshalb geht er zusammen mit Sascha und Jan auf Kevin zu, fragt, bist du ein Nazi?
00:15:05
Doch auf eine Antwort warten sie nicht, schlagen gleich zu und markieren damit den ersten Angriff auf Kevin.
00:15:12
Einem, dem noch viele weitere folgen.
00:15:16
Tatort ist meist der Materialraum der Metallwerkstatt im Keller.
00:15:19
Ein kleiner Raum mit gekacheltem Fußboden, grellem Neonlicht und vollgestellt mit Regalen.
00:15:25
Hier lagern Eisenrohre, Metallleisten und alles, was die Schüler der 3B sonst so in der Werkstatt brauchen könnten.
00:15:32
Jeden Mittwoch und Donnerstag gehen Akin, Sascha und Jan mit Kevin während des Unterrichts in diesen Raum,
00:15:38
um angeblich Materialien zu holen.
00:15:41
Sobald die große Eisentür hinter ihnen zufällt, ist Kevin gefangen und den dreien ausgeliefert.
00:15:46
Auf diesen paar Quadratmetern wird er die schlimmste Zeit seines Lebens verbringen.
00:15:50
Kevin wird gedemütigt, beklaut, geschlagen und getreten.
00:15:55
Am Anfang nur gegen den Körper, nicht ins Gesicht oder gegen den Kopf.
00:15:59
Es soll ja keiner sehen, beziehungsweise keine der Aufsichtspersonen.
00:16:02
Mitschüler sollen schon mitbekommen, was die 3 Kevin antun und so dürfen nach und nach immer mehr Klassenkameraden dabei sein,
00:16:10
wenn sie ihn in den Materialraum bringen.
00:16:13
In den darauffolgenden Wochen sind sie mal zu siebt, mal zu neunt, immer in anderen Konstellationen.
00:16:18
Insgesamt elf gegen einen, die ganze 3B gegen Kevin.
00:16:22
Besonders beliebt ist bei ihnen das sogenannte Eimerspiel.
00:16:26
Dazu wird Kevin ein Eimer über den Kopf gestülpt und dann mit Stahlrohren und Fäusten auf ihm herumgetrommelt.
00:16:31
Und jede Woche gibt es ein neues, schreckliches Spiel.
00:16:35
So wird Kevin zum Beispiel gezwungen, auf die Bodenfliesen zu starren und dabei zu zählen, wie oft das Licht an und aus geht.
00:16:42
Um die Aufgabe schwieriger für ihn zu machen, schlagen die anderen gleichzeitig in einem anderen Rhythmus als das Licht auf ihn ein.
00:16:48
Irgendwann muss Kevin Jan die Schuhe küssen.
00:16:51
Als Dank tritt Jan ihm danach ins Gesicht.
00:16:53
Mit einem Arbeitsschuh mit Stahlkappe.
00:16:56
Jeden Mittwoch und Donnerstag dieselbe Prozedur.
00:16:59
Kevin wehrt sich nicht.
00:17:00
Die Angst vor noch mehr Schmerz und Demütigung sind zu groß.
00:17:04
Er traut sich auch nicht, seinen Brüdern oder seiner Mutter davon zu erzählen.
00:17:08
Und die Lehrerschaft bekommt scheinbar nichts mit.
00:17:11
Selbst der Lehrer nicht, der während der Werkstunden Aufsicht führt, wenn die Jungs für teilweise 20 Minuten im Materialraum verschwinden.
00:17:18
Auf die SchülerInnen der Parallelklassen kann Kevin auch nicht zählen, die nach kurzer Zeit auch vom offenen Geheimnis wissen.
00:17:26
Denn die mobben entweder mit oder sehen sich nicht in der Pflicht, ihm zu helfen.
00:17:29
Auf dem Schulhof wird Kevin nämlich wie eine Trophäe herumgezeigt.
00:17:33
Er soll seine blauen Flecken und Blutergüsse präsentieren.
00:17:37
Zeig mal deinen Arm, ruft einer.
00:17:38
Da schiebt Kevin seinen Ärmel hoch, sodass man seinen blau-lila gefärbten Arm sehen kann.
00:17:44
Selbst Kevin lacht mit, damit er nicht weinen muss.
00:17:48
Mit der Zeit werden die Demütigungen und Misshandlungen immer schlimmer.
00:17:52
Nach den Weihnachtsferien beginnt dann eine neue Eskalationsstufe.
00:17:56
Jan bringt die Digitalkamera seines Vaters mit in die Schule.
00:17:59
Kevin soll jetzt vor der ganzen Klasse die Hose runterlassen.
00:18:02
Das alles wird gefilmt und später per E-Mail rumgeschickt.
00:18:06
Insgesamt entstehen 17 Videos.
00:18:09
Kevins Qualen dauern da bereits vier Monate an.
00:18:12
Und obwohl das in dem Jahrgang mittlerweile alle wissen, bricht niemand das Schweigen.
00:18:17
Und er ist immer weiter zur Schule gegangen?
00:18:22
Ende Januar hält Kevin es dann nicht mehr aus.
00:18:26
Jeden Tag mit Angst zur Schule zu kommen.
00:18:28
Jeden Tag neue Schmerzen zu spüren.
00:18:30
Aus Verzweiflung besucht er seine frühere Klassenlehrerin von der Marienbergschule
00:18:34
und fragt sie, ob er nicht an seine alte Schule zurückkehren dürfe.
00:18:38
Die Lehrerin fragt ihn warum, doch Kevin bringt es nicht über sich, ihr von der Gewalt zu erzählen.
00:18:43
Er schämt sich zu sehr.
00:18:45
Doch nur einige Tage später sorgt ein Zufall dafür, dass die wahren Gründe doch rauskommen.
00:18:51
Im Politikunterricht der 3C geht es an diesem Donnerstag nämlich um das Thema Zivilcourage.
00:18:56
Es bietet sich die Gelegenheit, endlich über die Taten ihrer Parallelschüler zu sprechen,
00:19:01
auf die manche von ihnen seit Anfang des Jahres ohnehin einen Groll haben.
00:19:05
Denn drei aus der 3B sind unter den besten 15 des Jahrgangs und deshalb wurden sie ausgewählt,
00:19:11
ihren Hauptschulabschluss nachmachen zu dürfen.
00:19:14
Gerade diejenigen, die seit Monaten einen anderen Schüler quälen.
00:19:18
Als sich also die Möglichkeit ergibt, sie von der Liste streichen zu lassen und endlich über die andauernde Gewalt zu sprechen,
00:19:24
wird die Vertrauenslehrerin eingeweiht und Kevins Martyrium auf einen Schlag beendet.
00:19:29
Denn nach der Politikstunde sucht die Vertrauenslehrerin den Schüler auf und befragt ihn zu den Anschuldigungen seiner Klassenkameraden.
00:19:36
Nach einem langen Gespräch öffnet sich Kevin ihr und das ganze Ausmaß seines Leids wird deutlich.
00:19:43
Sofort wird die Polizei eingeschaltet und Kevin ausführlich vernommen.
00:19:46
Am Montag wird dann die komplette 3B von BeamtInnen aus dem Unterricht geholt.
00:19:50
Auf der Wache befragen sie alle Schüler einzeln und bekommen bestätigt, was sie von Kevin schon wussten,
00:19:56
nämlich dass es drei Haupttäter gab, Akin, Jan und Sascha.
00:20:00
Das sind auch diejenigen, die nach der Vernehmung bleiben müssen.
00:20:03
Sie kommen wegen Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft.
00:20:07
Ihre Mitschüler hatten nämlich ausgesagt, dass die Clique ihnen gedroht hat,
00:20:11
dass mit ihnen dasselbe passieren würde wie mit Kevin, wenn sie nicht die Klappe halten würden.
00:20:15
Sie haben die anderen so massiv unter Druck gesetzt,
00:20:18
dass ein Zeuge während der Vernehmung vor Angst zusammengebrochen ist.
00:20:22
Doch zu ihren Taten stehen die drei zunächst nicht.
00:20:25
Es dauert Stunden, bis sie gestehen.
00:20:27
Doch die Schuld schieben sie jeweils den anderen zu.
00:20:30
Zum Motiv können sie nichts sagen.
00:20:33
Sie wüssten nicht, warum Kevin hatte leiden müssen.
00:20:36
Einen Tag später ruft der Direktor seine Schülerschaft zusammen.
00:20:40
Um 8 Uhr morgens hält er eine Ansprache in der großen Aula der Werner-von-Siemens-Schule.
00:20:44
Es spricht von einer Bestialität und schrecklichen Vorfällen.
00:20:48
Von Stärkerinnen, die sich einen vermeintlich Schwächeren als Opfer gesucht haben.
00:20:52
Das hat nichts mit Stärke zu tun, sagt er bestimmt.
00:20:56
Nichts mit Männlichkeit.
00:20:58
Das ist einfach erbärmlich, feige und niederträchtig.
00:21:02
Am Ende seiner Rede ruft der Direktor die Jugendlichen dazu auf, mutig zu sein, sich einzumischen, statt wegzusehen.
00:21:08
Und obwohl gerade noch Zivilcourage gefordert wurde, läuft ein Schüler der 3b kurze Zeit später über den Schulhof und schüchtert seine Mitschüler ein.
00:21:17
Wir werden das alles nach der Gerichtsverhandlung klären oder klären lassen, sagt er zu ihnen.
00:21:22
Auf dem Schulhof stehen mittlerweile auch etliche Kameras und ReporterInnen.
00:21:26
In der Zeitung liest man an diesem Morgen von der Hildesheimer Terrorschule und in Fernsehsendungen werden Ausschnitte aus den Videos gezeigt.
00:21:34
Obwohl vorher niemand etwas mit Kevin zu tun haben wollte, scheint er, sobald eine Fernsehkamera auf seine MitschülerInnen gerichtet ist, plötzlich doch beliebt zu sein.
00:21:43
Die Jugendlichen geben ein Interview nach dem anderen.
00:21:45
Die meisten beteuern nichts gewusst zu haben.
00:21:48
Andere zucken nur mit den Schultern und sagen, der hätte doch auch mal was sagen können.
00:21:53
Auch der Schulleiter muss sich nach seiner Ansprache der Presse stellen.
00:21:56
Auf die Frage, warum keiner etwas bemerkt habe, nimmt er sein Kollegium in Schutz.
00:22:01
Man könne ja nicht immer alle SchülerInnen im Blickfeld haben.
00:22:04
Doch diese Antwort stellt die Presse nicht zufrieden.
00:22:08
Unverständnis schlägt ihm entgegen.
00:22:09
Da wird der Direktor laut.
00:22:11
Wissen Sie, was das einjährige Berufsvorbereitungsjahr ist?
00:22:15
Ohne auf eine Antwort zu warten, erklärt er, dass es sich dabei um SchülerInnen handele,
00:22:20
die allesamt an ihren alten Schulen nicht mehr gewollt sein.
00:22:23
Um Aussiedler aus osteuropäischen Ländern ohne Perspektiven, ohne Chancen,
00:22:28
die nur wegen der Schulpflicht im Unterricht säßen.
00:22:31
Als wäre das eine Art Rechtfertigung für die Gewalt, die Kevin erleben musste.
00:22:36
Das finde ich hat ja mehr als Geschmäckle.
00:22:41
Am 25. Mai beginnt der Prozess gegen die Hildesheimer Folterschüler
00:22:47
vor der Jugendkammer des Landgerichts Hildesheim.
00:22:50
Aus dem Lehrerkollegium wurde niemand angeklagt,
00:22:53
die Ermittlungen wegen Mangel an Beweisen eingestellt.
00:22:56
Die elf jungen Angeklagten erscheinen an diesem Dienstagmorgen
00:23:00
mit gelangweiltem Gesichtsausdruck und Zigaretten im Mundwinkel.
00:23:03
Dabei sehen sie nicht aus wie Folterschüler, was auch immer das sein soll,
00:23:07
sondern wie ganz normale Jugendliche.
00:23:09
Sie werden unter anderem der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung,
00:23:14
Nötigung und räuberischen Erpressung beschuldigt.
00:23:17
Einigen von ihnen drohen Jugendstrafen von bis zu fünf Jahren.
00:23:20
Sie alle hatten von Kevins Qualen gewusst.
00:23:23
Alle hatten sie mit ihren eigenen Augen gesehen und keiner hat die Gewalt gestoppt.
00:23:28
Es war ein offenes Geheimnis, sagt der Staatsanwalt.
00:23:31
Das war eigentlich gar keine Klasse, sondern eine Bande.
00:23:34
Jeder wollte dazugehören und deshalb hat auch jeder zugeschlagen, sagt einer der Verteidiger.
00:23:41
Einer der Schüler hatte Kevin vor kurzem einen Brief geschrieben.
00:23:43
Darin steht, dass er sich noch heute schäme, weil er aus Angst,
00:23:47
dass mit ihm sonst genau so umgegangen würde, irgendwann mitgemacht habe.
00:23:51
So erging es einigen seiner Klassenkameraden.
00:23:54
Doch Angst schützt vor Strafe nicht.
00:23:56
Insgesamt 26 Einzeltaten wirft die Staatsanwaltschaft den Angeklagten vor,
00:24:00
begangen in immer anderen Konstellationen.
00:24:03
Tatsächlich waren es wohl weitaus mehr.
00:24:06
Um zu klären, wer wie viel Schuld auf sich geladen hat, sind vier Verhandlungstage angesetzt.
00:24:10
Aufgrund des Alters der Beteiligten wird die Öffentlichkeit von dem Prozess ausgeschlossen,
00:24:15
weshalb es dazu so gut wie keine Informationen gibt.
00:24:18
Nur, dass sich während der Verhandlung alle bei Kevin persönlich entschuldigen
00:24:22
und Jan, Akin und Sascha alle Taten, bei denen sie dabei waren, zugeben,
00:24:26
sodass Kevin eine detaillierte Aussage vor Gericht erspart bleibt.
00:24:30
Am 7. Juli wird dann das Urteil verlesen.
00:24:34
Sascha und Jan werden wegen gefährlicher Körperverletzung,
00:24:37
räuberischer Erpressung und Nötigung zu jeweils eineinhalb Jahren jugendhaft verurteilt.
00:24:41
Der ein Jahr jüngere Akin bekommt ein Jahr und drei Monate.
00:24:44
Ihre Achtklassenkameraden dürfen an diesem Tag wieder nach Hause gehen.
00:24:48
Gegen zwei von ihnen war das Verfahren schon nach zwei Tagen eingestellt worden,
00:24:52
da sie als reine Zuschauer gelten.
00:24:54
Zwei andere bekommen Jugendstrafen von neun Monaten und einem Jahr,
00:24:58
die zur Bewährung ausgesetzt werden.
00:25:00
Sie müssen genauso wie noch ein anderer Schüler außer dem 200 Stunden gemeinnützige Arbeit,
00:25:04
einen Erste-Hilfe-Kurs und ein Anti-Gewalt-Training absolvieren.
00:25:08
Zwei weitere müssen für zwei Wochen in Dauer Arrest und ein Wochenendseminar besuchen.
00:25:13
Ein Schüler, der nicht zum Prozess erschien, muss 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
00:25:18
Nach der Urteilsverkündung erklärt der Staatsanwalt,
00:25:22
man habe sich nicht von dem öffentlichen Druck leiten lassen
00:25:25
und kein Signal zur Abschreckung setzen wollen.
00:25:27
Es ging darum, die individuelle Schuld und Persönlichkeit individuell zu würdigen,
00:25:33
Gleichzeitig sollte der Prozess aber schon deutlich machen,
00:25:36
dass solche Dinge nicht unter den Teppich gekehrt werden dürfen.
00:25:39
Daher sei es gut gewesen,
00:25:41
dass Verteidigung und Staatsanwaltschaft an einem Strang gezogen
00:25:44
und sich schon zu Beginn auf einen Strafrahmen geeinigt hatten.
00:25:48
Kevin ist über den Abschluss des Verfahrens erleichtert.
00:25:51
Seine Anwältin erklärt gegenüber der Presse,
00:25:53
dass es ihm gut tat, dass sich alle bei ihm entschuldigt haben.
00:25:56
Als Kevins ehemalige Lehrerin durch die Medien von der Tat erfährt,
00:26:00
schreibt sie ihm einen Brief und lädt ihn ein,
00:26:03
wieder an die Marienbergschule zurückzukommen.
00:26:05
Doch Kevin wird vorerst auf gar keine Schule gehen.
00:26:08
Er hat Depressionen, braucht psychologische Hilfe.
00:26:13
Warum bekommt jetzt der Akin weniger als Sascha und Jan?
00:26:19
Es gab ja nicht so viele Informationen zu dem Prozess,
00:26:22
aber ich kann mir das nur erklären, weil er halt jünger war.
00:26:25
Ja, weil an sich wirkte das eigentlich ja eher so,
00:26:29
als ob er diese Anführerrolle inne hatte.
00:26:31
Und da würde man ja eigentlich davon ausgehen,
00:26:33
dass er zumindest dann auch eine höhere Strafzumessung bekommt.
00:26:36
Was ich so furchtbar finde an diesem Fall ist,
00:26:39
dass es halt vier Monate gedauert hat,
00:26:42
bis ein Mensch da mit der Sprache rausgerückt ist.
00:26:46
Also sowas macht mir Angst.
00:26:49
Und auch, dass kein Lehrer und keine Lehrerin
00:26:51
das irgendwie mitbekommen hat oder mitbekommen haben wollte.
00:26:57
Das ist sowieso was, was mich in den Fällen,
00:27:00
die wir hier diskutiert haben, schon oft erschreckt hat,
00:27:04
dass so viele Straftaten unter den Augen von so vielen ZeugInnen stattfinden.
00:27:10
Also auch Entführungsfälle oder so hatten wir ja schon auf offener Straße.
00:27:17
Ja, nachdem rauskommt, was Kevin während der Unterrichtsstunden erleiden musste,
00:27:23
ist der Schock natürlich überall groß.
00:27:25
Und das Thema Gewalt an Schulen ganz oben auf der öffentlichen Agenda.
00:27:30
Der Ruf nach mehr Sicherheit an deutschen Schulen wird laut
00:27:33
und so kommt kurz nach der Tat Bernd Busemann,
00:27:35
der damalige niedersächsische Kultusminister,
00:27:38
nach Hildesheim, um seine Lösungen vorzustellen.
00:27:41
Er fordert das Thema überall im Unterricht zu behandeln
00:27:44
und schlägt vor, dass jede Schule ein individuelles Sicherheitskonzept erarbeiten soll.
00:27:49
Außerdem könne man an schlecht einsehbaren Stellen,
00:27:51
da spricht er auf Orte wie eben diesen Materialraum an,
00:27:55
Überwachungskameras aufstellen.
00:27:57
Mit diesen Maßnahmen sollen bereits vier Schulen in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg
00:28:01
die Gewalt eingedämmt haben, heißt es.
00:28:03
Einer dieser Schulen ist die Handelsschule Berliner Tor im Hamburger Stadtteil St. Georg,
00:28:07
die ein Jahr zuvor 14 Kameras installiert hatte.
00:28:09
Gewalt eingedämmt bedeutet hier allerdings,
00:28:13
dass seit der Installation weniger Sachbeschädigungen durch Graffiti entstanden ist
00:28:17
und ein Einbruch verhindert werden konnte.
00:28:21
Und mal vom Datenschutz abgesehen,
00:28:23
wird der Erfolg von Überwachungskameras im Kampf gegen Gewalt an Schulen
00:28:27
von ExpertInnen aber auch infrage gestellt.
00:28:30
Ein Fall, der nur wenige Tage nach den Schlagzeilen zur Hildesheimer Terrorschule in der Presse ist,
00:28:36
zeigt Schwachstellen auf.
00:28:37
Nämlich im bayerischen Erding war ein 14-Jähriger über zwei Wochen lang
00:28:41
von seinen MitschülerInnen terrorisiert worden, und zwar auf der Schultoilette.
00:28:46
Dass, wie die Überwachung an so einem Ort ausgeschlossen ist,
00:28:50
muss man ja eigentlich nicht sagen.
00:28:51
Und außerdem kennen wir auch aus anderen Kontexten die Wirkung von Überwachung.
00:28:55
Es kommt nämlich zu einer Verlagerung der Kriminalität
00:28:58
und im Fall von SchülerInnen könnte das halt eben möglicherweise dann auf dem Nachhauseweg passieren.
00:29:03
Aber die Idee, das Thema Gewalt an Schulen im Unterricht aufzunehmen, ist ja eine gute Idee von Herrn Busemann.
00:29:09
Und das wird 2003 auch schon mancherorts gemacht,
00:29:12
spätestens nach dem Amoklauf in Erfurt überall in Deutschland versucht.
00:29:15
Die Schulen setzen auf Prävention,
00:29:17
mit immer neuen Projekten, Seminaren mit Rollenspielen,
00:29:20
Selbstverteidigungskursen und so weiter.
00:29:24
Also die Kinder und Jugendlichen sollen soziale Kompetenzen entwickeln
00:29:27
und sie sollen lernen hinzuschauen und Konflikte mit Worten zu lösen.
00:29:32
Wir hatten solche Projekte nicht in der Schule.
00:29:36
Wie war das bei dir? Kannst du dich da noch erinnern?
00:29:41
Nein, nicht, dass ich wüsste.
00:29:43
Ich könnte mich wenn dann daran erinnern, dass mein Polizist da war,
00:29:46
aber ich weiß auch nicht mehr, worüber er geredet hat.
00:29:48
Über den Straßenverkehr wahrscheinlich.
00:29:50
Wahrscheinlich war es in der Grundschule und es war dieses Fahrradabzeichen.
00:29:55
Aber diese Präventionsfine, die scheint schon zu fruchten.
00:29:58
Zumindest geht die Gewalt an Schulen in Deutschland jahrelang zurück.
00:30:01
Andere Gründe dafür können aber auch die allgemein steigende Schulbildung sein,
00:30:06
weniger Gewalt im Elternhaus und rückläufige Arbeitslosigkeit.
00:30:09
Doch seit 2015 ist die Zahl der schweren und gefährlichen Körperverletzungen
00:30:13
an Schulen deutlich gestiegen.
00:30:15
Möglich ist, dass dies an der größeren Bereitschaft liegt,
00:30:18
Vorfälle zu melden, weil wir halt viel sensibler mittlerweile mit dem Thema umgehen.
00:30:23
Trotzdem zeigt es ja aber, dass weiterhin Gewalt angewandt wird,
00:30:27
weshalb ExpertInnen heute die Intervention fast wichtiger finden als die Prävention.
00:30:32
Also es gilt früh einzugreifen, wenn SchülerInnen nicht gänzlich von Mobbing abgehalten werden können.
00:30:38
Aber dafür braucht es eben mehr Personal, mehr Geld, mehr Zeit.
00:30:42
Denn viele LehrerInnen erkennen Anzeichen von Mobbing gar nicht,
00:30:45
weil sie nicht ausreichend geschult werden oder bei einer Klasse mit 30 Kindern einfach auch schlichtweg überfordert sind.
00:30:52
Und wir haben schon in Folge 6 mal in Zusammenhang mit Amokläufen über den Mangel an SchulpsychologInnen gesprochen.
00:30:58
Und das ist jetzt auch schon eineinhalb Jahre her fast, aber es hat sich auch nicht wirklich was geändert.
00:31:05
Ein Psychologe oder eine Psychologin kommt heute bundesweit durchschnittlich auf knapp 7.000 SchülerInnen.
00:31:11
Also um dem Thema Gewalt an Schulen zu begegnen, gibt es noch sehr viel zu tun.
00:31:18
Ja, und gerade da sollte man ja damit anfangen.
00:31:20
Denn das legt ja für so viele Menschen Baustein, wie die auch im späteren Leben miteinander umgehen.
00:31:27
Ja, und was man ja auch daran sieht, dass es halt trotzdem immer noch Gewalt gibt, ist ja, dass Prävention nicht alles ist.
00:31:34
Weil ich meine, die meisten Kinder wissen auch vorher, vor einem Präventionskurs, dass Mobbing schlecht ist.
00:31:41
Das wird aber trotzdem gemacht.
00:31:44
Und deswegen ist es halt so wichtig, dass man diese Intervention hat, also dass LehrerInnen und PsychologInnen wissen, wie Mobbing aussieht, dass sie halt früh eingreifen können und den SchülerInnen beibringen können, wie man damit umgeht.
00:31:55
Weil es wird auch später im Leben nochmal möglicherweise passieren und dann ist man sensibilisiert dafür, einzuschreiten und auch Hilfestellung zu geben.
00:32:06
Ja, und wie man das macht, ja.
00:32:10
Mein Fall handelt von einer Person, die einst erleben musste, was es heißt, nicht selbst über ihr Leben bestimmen zu können und die dann nur kurze Zeit später nochmal, aber diesmal auf ganz andere Weise, die Kontrolle verlor.
00:32:25
Es ist kurz vor 13 Uhr, am 23. August 2006.
00:32:29
Eine junge Frau rennt panisch durch Schrebergärten, auf der Suche nach Schutz.
00:32:34
Ist er schon hinter ihr?
00:32:35
Hat er sie eingeholt?
00:32:37
Da sieht sie eine alte Frau in einem der Häuser und hieft sich über den Zaun.
00:32:42
Bitte helfen Sie mir, rufen Sie die Polizei, jappst sie der alten Frau entgegen.
00:32:47
Sie hat Angst und kann sich nicht beruhigen.
00:32:50
Die Zeit, die sie warten muss, fühlt sich wie eine Ewigkeit an.
00:32:54
Plötzlich aber sieht sie das Blaulicht.
00:32:56
Zwei Polizisten steigen aus dem Auto und kommen auf sie zu.
00:33:00
Bleiben Sie, wo Sie sind und heben Sie die Arme.
00:33:03
Eingeschüchtert tut sie, was der Beamte sagt und bewegt sich auf die Polizisten zu.
00:33:08
Sie sagt, mein Name ist Natascha Kampusch.
00:33:11
Sie müssen von meinem Fall gehört haben.
00:33:13
Ganz Österreich ist in Aufruhr.
00:33:18
Die junge Frau, der die Flucht gelungen ist, ist als Zehnjährige von einem Mann auf dem Schulweg in einen weißen Kastenwagen gezogen und entführt worden.
00:33:26
Acht Jahre lang hielt Wolfgang P. Natascha Kampusch in einem Kellerverlies, das er unter seiner Garage gebaut hatte, gefangen.
00:33:33
So einen Fall gab es in Österreich bisher noch nicht.
00:33:36
Die Gefangenschaft von Elisabeth Fritzl, von der ich vorletzte Folge erzählt habe, endete erst zwei Jahre später.
00:33:45
In 2096 Tage hatte Natascha Kampusch ihren Peiniger wie eine Leibeigene gehorchen, für ihn putzen und kochen müssen.
00:33:52
Er befahl ihr ihn mit, mein Gebieter anzusprechen, verprügelte sie, wenn sie nicht richtig putzte oder ihr Verhalten ihm gerade nicht passte.
00:34:00
Und er kontrollierte penibel genau ihre Essensportionen und damit auch ihr Gewicht, bis sie nur noch knapp über 40 Kilo wog.
00:34:08
Kurz nach ihrer Flucht wirft sich Wolfgang P. vor einen Zug.
00:34:12
Auf den ersten Fotos, die direkt nach Nataschas Vernehmung gemacht werden, hat sie eine Decke über dem Kopf.
00:34:17
Noch möchte sie sich nicht zeigen.
00:34:19
Die ersten Tage nach ihrer Flucht verbringt Natascha im Wiener Allgemeinen Krankenhaus.
00:34:24
Ein Team aus Expertinnen und Experten der Psychologie, Medien und Rechtsberatung schadet sich um sie.
00:34:30
Die ganze Welt hat Interesse an Natascha und ihrem Fall.
00:34:33
Über 300 Medienanfragen gehen bei dem Team ein.
00:34:37
Gleichzeitig überschwemmt Natascha eine Welle der Hilfsbereitschaft.
00:34:41
Fremde Menschen schicken ihr Klamotten, senden ihr Briefe, sprechen Zuspruch und Bewunderung aus, wünschen ihr in ihrem neuen Leben alles Glück der Welt.
00:34:51
In dieser Zeit schreibt Natascha einige Gedanken handschriftlich auf kleine Zettel.
00:34:55
Ihr Psychiater liest diese in einer Pressekonferenz am 30. August vor.
00:34:59
Er hat sie mit Natascha für die Öffentlichkeit zu einem Brief zusammengeschustert.
00:35:04
Er war nicht mein Gebieter, ich war gleich stark.
00:35:07
Er hat mich symbolisch gesprochen auf Händen getragen und mit Füßen getreten.
00:35:12
Das teilt sie der Öffentlichkeit mit.
00:35:14
Sie bittet darum, ihre Privatsphäre zu akzeptieren.
00:35:17
Intime Fragen werde sie nicht beantworten.
00:35:20
Sie weiß um die Ungeduld der Journalistinnen und Journalisten und wünscht daher,
00:35:25
Lasst mir Zeit, bis ich selbst berichten kann.
00:35:28
An Spekulationen ändert das aber nichts.
00:35:31
Medien meinen zu wissen, wie es Natascha gerade geht, mit welchen psychischen Folgen sie zu kämpfen hat
00:35:36
und erstellen sogar Animationen, wie sie heute vermutlich aussieht.
00:35:40
Sie schreiben über den angeblichen Sadomaso-Keller, geben sich Sextheorien hin.
00:35:45
Natascha versteht nicht, warum andere Menschen versuchen, ihre Geschichte zu erzählen.
00:35:50
Und obwohl sie weitestgehend von der Außenwelt abgeschirmt ist, bekommt sie das natürlich alles trotzdem mit.
00:35:56
Auf dem Klinikgelände tummeln sich täglich FotografInnen und JournalistInnen, die hoffen, Natascha erspähen zu können.
00:36:03
In einem Fahrstuhl hat jemand schon eine Notiz hinterlassen, auf welcher Station Natascha untergebracht ist.
00:36:09
Für das erste Foto von ihr werden den Paparazzis horrende Summen geboten.
00:36:14
Am 3. September folgt auf Nataschas Bitte an die Medien, ihr Zeit zu lassen, eine Antwort.
00:36:22
Also eigentlich schreibt Feuilleton-Redakteur Harald Staun, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung,
00:36:28
eine Medienkritik in Form eines Antwortschreibens an Natascha.
00:36:33
Sehr doll gekürztes Zitat.
00:36:35
Sie appellieren an unsere Moral und für den Moment mag es so aussehen, als hätte ihre Bitte Erfolg.
00:36:42
Täuschen Sie sich nicht.
00:36:44
Wir machen uns aus den wenigen Details ein Bild.
00:36:47
Wir machen aus jedem Satz eine Geschichte.
00:36:49
Der Lebensalltag, schreiben Sie, fand geregelt statt.
00:36:53
Wir machen daraus eine organisierte Hölle.
00:36:57
Wir lesen zwischen den Zeilen, bis wir finden, was wir suchen.
00:37:01
Wir warten geduldig, bis Sie sagen, was Sie nicht sagen wollen.
00:37:05
Wir legen Ihnen die Worte in den Mund, die Ihnen fehlen.
00:37:08
Sie wollen wissen, warum wir so sind?
00:37:10
Die raffinierte Antwort lautet,
00:37:12
wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat, ihre Geschichte zu erfahren.
00:37:16
Ob Sie das wollen oder nicht.
00:37:19
Sie hatten gehofft, dass außerhalb Ihres Gefängnisses die Wirklichkeit wartet.
00:37:23
Jetzt stehen dort Kameras und Reporter.
00:37:25
Die Flucht vor Ihnen führt Sie erneut in die Isolation.
00:37:28
Sie wollen nicht an die Öffentlichkeit, aber Sie haben keine Wahl.
00:37:31
Ihre Freiheit heißt Öffentlichkeit.
00:37:34
Ihre Geschichte ist unsere Geschichte.
00:37:37
Also das ist jetzt nicht ernst gemeint von ihm, oder doch?
00:37:44
Also es ist von ihm nicht ernst gemeint in Nataschas Richtung.
00:37:48
Es ist aber insofern ernst gemeint, dass es ja wahr ist.
00:37:51
Und das bekommt er ja auch damals schon mit.
00:37:54
Und deswegen verstehe ich es als Medienkritik.
00:37:57
Harald Staun fasst sehr gut in Worte, worüber sich Natascha die ganze Zeit schon Gedanken macht.
00:38:04
Nachdem sie all die Jahre von einem Mann kontrolliert wurde, will sie jetzt wenigstens die Kontrolle über ihre eigene Geschichte behalten.
00:38:10
Der Druck wird zu groß.
00:38:12
Knapp zwei Wochen nach der Flucht wird bekannt, dass Natascha Kampusch ein aufgezeichnetes Fernsehinterview geben wird.
00:38:18
Dabei soll sie hinter einer Schattenwand sitzen oder nachträglich verpixelt werden, mutmaßen die Medien.
00:38:23
Als am 6. September um 20.15 Uhr das Interview gesendet wird, schaut die Welt auf Österreich.
00:38:30
Der Moderator Christoph Feuerkelch kennt sich gut mit dem Fall aus.
00:38:34
Natascha und ihr Team haben ihn auch deswegen ausgesucht.
00:38:37
Entgegen aller Spekulationen sitzt ihm gegenüber aber keine verschleierte Natascha,
00:38:42
sondern eine junge, freundliche Frau, die lediglich ihre Haare mit einem Tuch verdeckt hat.
00:38:47
In Fliederfarben gekleidet und mit einer Kette geschmückt, antwortet sie auf die erste Frage, wie es ihr denn gehe.
00:38:54
Den Umständen entsprechend gut.
00:38:56
Bei dem 20-minütigen Interview wird sie ihre Worte überlegt,
00:38:59
denkt manchmal einige Zeit nach, bevor sie spricht.
00:39:02
Sie wirkt etwas kurzatmig, schließt oft die Augen, aber sie ist wortgewandt.
00:39:08
Von jemandem, der acht Jahre nur Kontakt zu einer Person hatte, die noch dazu etwas einfältig war, erwartet man das nicht.
00:39:15
Aber Natascha hat sich belesen, sich selbst weitergebildet.
00:39:19
Feuerstein spricht sie auf die Notiz an, sie sei stärker gewesen als ihr Peiniger.
00:39:23
Dann sagt sie, nach Luft dringend, ich finde ja eher, dass ich stärker war.
00:39:28
Dann schluckt sie und macht, hm, als ob sie selbst noch einmal bestätigen wolle, was sie gerade gesagt hat.
00:39:34
Der Moderator fragt, inwiefern?
00:39:39
Naja, er hatte einfach eine labile Persönlichkeit.
00:39:41
Ich hatte eine liebevolle Familie, also beide Eltern haben mir immer wieder glaubhaft versichern können, dass sie mich lieben.
00:39:48
Und er hatte sowas nicht.
00:39:49
Ihm fehlte in gewisser Weise sowas wie Selbstsicherheit.
00:39:53
Diese Geborgenheit hat ihm gefehlt.
00:39:55
Sie sagt, dass sie diese Erkenntnis schon sehr früh gewonnen hatte und ihr das half, manchmal die psychische Oberhand über ihn zu gewinnen.
00:40:02
Sie erzählt auch von ihrer aktuellen Therapie und dass sie sich momentan etwas bevormundet fühlt.
00:40:09
Dieses Interview ist nicht das gewesen, was viele erwartet haben.
00:40:12
Denn Natascha sitzt dort nicht und verzweifelt.
00:40:16
Sie lacht manchmal, fängt sich dann schnell wieder, erzählt von ihren Zukunftsplänen.
00:40:20
Auf dieses Interview hat sie sich Jahre vorbereitet.
00:40:23
Im Keller machte sie nämlich Frage-Antwort-Spiele mit sich selbst.
00:40:27
Tat damals schon so, als würde sie mit Medien reden.
00:40:29
Für sie war es nämlich immer wichtig, davon auszugehen, dass ihr irgendwann mal eine Flucht gelingen würde.
00:40:35
Für einen großen Teil der Zusehenden ist dieser Auftritt nicht greifbar.
00:40:40
Dass da kein gebrochenes Opfer sitzt, das von seinem Leid berichtet, sondern eine zuversichtliche junge Frau, die Pläne hat, sich ihrer Stärke bewusst ist,
00:40:48
das kriegen viele mit ihrer eigenen Vorstellung von ihr nicht unter einen Hut.
00:40:52
Feuerstein ist nach dem Interview zuversichtlich.
00:40:55
Er meint, wir hoffen, dass die Menschen sagen, jetzt haben wir ihr Gesicht gesehen, sie hat ihre Geschichte erzählt, jetzt lassen wir Natascha Kampusch ins Leben gehen.
00:41:03
Aber er soll sich irren.
00:41:05
Die meisten Österreicher und Österreicherinnen, die an diesem Abend vor dem Fernseher sitzen, haben das Interview verfolgt.
00:41:12
Über 80 Prozent Marktanteil.
00:41:15
Viele loben Natascha für ihre Stärke, so schnell schon über ihr Schicksal berichten zu können.
00:41:25
Aber es gibt auch andere Stimmen.
00:41:27
KritikerInnen nehmen ihren Auftritt auseinander.
00:41:29
Vermeintliche Psycho-ExpertInnen sagen im Fernsehen, sie würde die Selbstsicherheit nur spielen.
00:41:34
Andere fragen sich, warum lacht sie?
00:41:37
Jemand, der so etwas erlebt haben soll, der kann doch unmöglich so fröhlich sein.
00:41:42
Einen Tag vor P's Beisetzung besucht Natascha gemeinsam mit ihren Betreuern das Wiener Institut für Gerichtsmedizin.
00:41:49
Sie will sich verabschieden.
00:41:51
Kurze Zeit später melden die Medien, dass Natascha dabei geweint habe.
00:41:55
Auch das trifft wieder auf Unverständnis.
00:41:58
Wer weint denn um seinen Entführer?
00:42:01
So recht weiß man mit diesem Fall nicht umzugehen.
00:42:04
Natascha füttert die Medien immer nur häppchenweise.
00:42:07
Auf Fragen, ob sie missbraucht wurde, antwortet sie gar nicht und sagt, es ging nicht um Sex.
00:42:13
Das sind nicht die Antworten, die sich Medien erhofft hatten.
00:42:16
Sie sind frustriert, dichten, wie Harald Staun vorhergesagt hatte, teilweise Dinge dazu.
00:42:21
Versuchen alles, um an Informationen zu kommen, die Natascha nicht preisgeben will.
00:42:26
Schreiben sie bei Social Media an, um eine freundschaftliche Atmosphäre entstehen zu lassen.
00:42:32
Das Verhältnis zwischen ihr und den Medien ist angeknackst.
00:42:35
Sie distanziert sich, gibt immer weniger Preis.
00:42:38
Das wird ihr als Arroganz ausgelegt.
00:42:41
Dann wird bekannt, dass P. mit Natascha in den Skiurlaub gefahren ist.
00:42:45
Zuvor hatte sie genau das bestritten.
00:42:48
Sie hatte Sorge, dass man nicht verstehen werde, warum sie sich bei einer Verkehrskontrolle nicht mehr getraut hatte,
00:42:53
als den Polizisten nur zuzuzwinkern.
00:42:55
Dass sie Angst hatte, dass man ihren Entführungsfall verharmlosen würde.
00:42:59
Und genau das passiert.
00:43:02
Das Bild des unterdrückten Opfers beginnt in der Öffentlichkeit zu bröckeln.
00:43:07
Anfang 2007 gibt es im Internet ja schon einige Foren, in denen man sich austauscht.
00:43:15
Und auch Natascha liest darin.
00:43:17
Dort finden sich Einträge wie dieser hier aus dem Januar 2007.
00:43:22
Ich wollte hier heute eigentlich nur Zitate verwenden, die sie selbst schon mal erwähnt oder vorgelesen hat.
00:43:27
Aber inhaltlich kennt sie genau diese Art von Anfeindung.
00:43:31
Deswegen lese ich den jetzt trotzdem vor.
00:43:35
Wie denkt ihr über Natascha Kampusch?
00:43:38
Ich habe anfangs Mitleid gehabt.
00:43:40
Jedoch zurzeit kann ich gar nicht so wirklich glauben, dass das alles wahr ist.
00:43:43
Eine junge Frau, die das Radio als Schule benutzt.
00:43:46
Sie kennt Wörter, die habe ich noch nie in meinem Leben gehört.
00:43:50
Doch sie benutzt diese ständig.
00:43:53
Kann ja schon sein, dass wenn das Radio sagt, Hans Weber artikuliert, Punkt, Punkt, Punkt, sagen die dann auch, artikulieren bedeutet, mit Artikulation bezeichnet man im linguistischen Sinne die Bildung menschlicher Sprechlaute, also den Sprechvorgang.
00:44:08
Irgendwas stimmt meiner Meinung nach an der Sache überhaupt nicht.
00:44:12
Wie denkt ihr darüber?
00:44:14
Die direkte Antwort darunter.
00:44:15
Nun ja, die wusste was mit ihrer Freizeit anzufangen.
00:44:19
Ich finde es eher erschreckend, wie dick die geworden ist und wie sehr sich ihr Aussehen verändert hat.
00:44:24
So wie ein Luftballon ist die aufgequollen.
00:44:28
Natascha hat in den Wochen nach ihrer Flucht zugenommen.
00:44:31
Nachdem sie jahrelang Hunger hat leiden müssen, ist ja auch nicht sonderlich verwunderlich.
00:44:36
Ihr Körper kann Kalorien jetzt aber nicht mehr richtig verarbeiten.
00:44:39
Bis heute hat sie ein problematisches Essverhalten, erklärt sie später in einem Interview.
00:44:44
Natascha liest solche Kommentare.
00:44:48
Sie sieht auch, wie eine Komikerin ein Video auf YouTube postet, die darin so tut, als wäre sie die heimliche Kellermitbewohnerin von Natascha, die mit ihr Gespräche führt.
00:44:58
Ich denke, man kann sich ungefähr vorstellen, wie das für jemanden ist, der acht Jahre nur mit einer Person reden durfte, die Herrscher über dein Leben war.
00:45:06
Heute tut der Frau das Video leid.
00:45:09
Auch im realen Leben beginnen die Leute zu tuscheln, wenn sie Natascha sehen.
00:45:12
Manchmal ruft man ihr auch Beleidigungen hinterher.
00:45:15
Einmal sagt ihr jemand ins Gesicht, dass es grausam von ihr war, von P wegzurennen, weil sie ihn damit in den Suizid getrieben hätte.
00:45:23
Sie kann darauf nichts sagen.
00:45:25
Sie dreht sich nur um.
00:45:27
Mittlerweile ist der Hass aus dem Netz in die Realität geschwappt.
00:45:30
Sie empfindet das als Spießrutenlauf.
00:45:32
Die Chance, sich einfach zurückzuziehen, besteht bei Natascha nicht wirklich.
00:45:37
Denn immer wieder tauchen neue Gerüchte und Lügen auf.
00:45:41
Nicht nur von den Medien, auch PolitikerInnen und ErmittlerInnen äußern sich immer wieder zu Verschwörungstheorien.
00:45:47
Es soll Sexfilme von Natascha geben und hinter der Entführung steckt eigentlich ein Kinderporno-Ring und auch einen zweiten Täter habe es gegeben.
00:45:56
Sie hätte ihre Entführung selbst geplant.
00:45:58
P suizidierte sich gar nicht.
00:46:01
Und außerdem sei sie auch noch schwanger von ihm gewesen.
00:46:03
Dieses Ammenmärchen taucht auf, weil ein Ermittler preistrieb, dass sie im Keller ein Buch zur Geburtsvorbereitung gefunden hatten.
00:46:12
Ständig müssen Natascha selbst oder ihr Team mit diesen Verleumdungen aufräumen, die Hoheit über die Erzählung zurückgewinnen.
00:46:19
Wobei ihr die zu diesem Zeitpunkt schon längst aus den Händen gerissen wurde.
00:46:24
Aber nicht nur damit füllen Zeitungen ihre Seiten.
00:46:27
Auch die ständig neu aufgerollten Ermittlungsverfahren zur lückenlosen Aufklärung sorgen für Schlagzeilen.
00:46:33
Und damit auch für eine Dauerpräsenz von Natascha in den Medien.
00:46:38
Erst recht, als sich dann auch noch der Chefermittler 2010 mutmaßlich suizidiert, nachdem er sich nicht hinter das Untersuchungsergebnis seiner eigenen Ermittlungen stellen wollte.
00:46:48
Er war der Meinung, dass es zwei Täter gab.
00:46:51
Bei der Pressekonferenz wird aber verkündet, dass diese Vermutung ausgeschlossen werden kann.
00:46:55
Trotzdem fordert selbst der ehemalige Präsident des Obersten Gerichtshofs, Natascha noch danach, auf endlich Stellung zu beziehen.
00:47:03
Auch er glaubt an einen Mittäter, den Natascha schützen will.
00:47:07
Dabei beruft er sich vor allem auf die Zeugenaussage eines kleinen Mädchens, das die Entführung damals mit angesehen und angeblich zwei Männer im Wagen gesehen hatte.
00:47:17
Natascha hat immer beteuert, nur einen Täter gesehen zu haben.
00:47:20
Auf angebliche Filme mit sexuellem Inhalt angesprochen, sagt sie, das sei nur eine weitere Fantasie, die diese Zwei-Täter-Theorie untermauern soll.
00:47:30
Zu einem Kinder-Porno-Ring, da gehört natürlich auch ein Film dazu.
00:47:35
In der Fantasie.
00:47:39
Es wurde damals bei den Untersuchungen geklärt, dass es keinen zweiten Täter gab.
00:47:44
Und trotzdem denunzieren Einzelpersonen später immer noch weiter.
00:47:48
Das ist das Jahr, von dem Natascha selbst sagt, dass sie die ganzen Verleumdungen richtig treffen.
00:47:53
Dass sie retraumatisiert wird von dem Umgang mit ihr.
00:47:56
Von den Anfeindungen.
00:47:58
Nicht nur von der Politik und den Medien, sondern auch von ganz normalen Menschen, die sie im Leben nie gesehen hat.
00:48:06
Natascha löst irgendetwas in ihnen aus, das sich in massiven Aggressionen entlädt.
00:48:11
Viele nehmen sie gar nicht mehr als Opfer wahr, sondern als Starlet.
00:48:15
Sie vergessen, was ihr passiert ist und sehen nur noch eine Medienfigur, die aus ihrer Geschichte Profit schlagen will.
00:48:23
In Wirklichkeit ist sie aber eigentlich nur damit beschäftigt, die ganzen Anschuldigungen abzuwehren und Lügen klarzustellen.
00:48:28
Trotzdem liest sie die Kommentare, die sagen, sie lasse sich alles hinten reinschieben oder sei Garagen gepflegt.
00:48:36
Eine gut genährte junge Dame auf Staatskosten, wie sie später in einem Interview vorliest.
00:48:42
Dabei hat Natascha vom Staat nur Hilfe bekommen, um ihren Schulabschluss nachzuholen.
00:48:46
Anfang Mai 2011 lehnt Österreich nämlich ihren Antrag auf eine finanzielle Entschädigung für ihren jahrelangen Freiheitsentzug ab.
00:48:53
Im Jahr 2012 leitet ein Polizist eigenständige Ermittlungen ein.
00:48:58
Er ist überzeugt, dass Natascha damals von P. schwanger war und ihre Tochter unter anderem Namen lebt, um sie der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
00:49:08
Ein klagter Polizist versucht dann während der Schulzeit, die Herkunft einer Achtjährigen auszumachen, von der er ausgeht, dass es sich dabei um Nataschas Tochter handelt.
00:49:17
Angeblich soll er auch versucht haben, eine DNA-Probe zu entnehmen.
00:49:22
Er bestreitet das.
00:49:23
Zu diesem Zeitpunkt gehen einige Menschen also immer noch davon aus, dass Natascha etwas Wichtiges verheimlicht.
00:49:31
Bis dann im April 2013 ein internationales Experten-Team, bestehend unter anderem aus FBI und BKA, final die Einzeltäter-Theorie bestätigt.
00:49:42
Es gab keine Hinweise auf weitere Täter, nur auf schlampige Ermittlungsarbeit.
00:49:48
Die ganze Zeit hatten KritikerInnen Natascha aufgefordert, die ganze Wahrheit zu erzählen.
00:49:54
Dabei hatte sie alle Fragen, die sie beantworten konnte, ja schon beantwortet.
00:49:59
Das Einzige, was sie sich erbeten hatte, ist ein paar intime Details für sich zu behalten.
00:50:05
Aber offenbar ist das für einige zu viel.
00:50:09
Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie 2013 bei der Talkshow von Günter Jauch mit ihrem Schwur bricht.
00:50:15
Sie ist unter anderem dort, um über den Film 3096 Tage, der auf ihrem eigenen Buch beruht, zu reden.
00:50:22
In dem Film gibt es Szenen, in denen P. sie nachts an sich fesselt und sie missbraucht.
00:50:27
Im Buch hatte sie geschrieben, dass es ihm nicht um Sex ging, sondern darum, mit ihr zu kuscheln.
00:50:32
Natascha erklärt, dass die Informationen über den Missbrauch, damals von den Vernehmungsprotokollen kamen,
00:50:38
die irgendwie an die Presse gelangt waren.
00:50:40
In ihrem Buch wollte sie über ihre Gedanken und Gefühle schreiben.
00:50:44
Aber der Film jetzt solle auch bewirken, dass sich die Leute in ihre Lage reinversetzen können.
00:50:49
Günter Jauch fragt, ist das jetzt das Signal für die Öffentlichkeit?
00:50:54
So ist es gewesen, das können sie jetzt sehen, aber lassen sie mich jetzt damit in Ruhe?
00:51:00
Natascha antwortet, genau so.
00:51:02
All die Zeit hatte Natascha sich dieses Detail bewahren wollen.
00:51:06
Aber man sieht, wozu das beigetragen hat.
00:51:09
Jauch erklärt seinen ZuschauerInnen, dass Natascha am selben Tag der Kronenzeitung ein Interview gegeben hat.
00:51:16
Die Jauch-Redaktion hat zwischen 9.19 Uhr und 9.21 Uhr in die Kommentarfunktion unter dem Online-Beitrag geschaut.
00:51:23
Dabei haben sie in dieser Reihenfolge folgende Einträge gefunden.
00:51:30
In diversen Puffs suchen's eh immer Mädels.
00:51:33
Erfahrung hätte sie ja.
00:51:37
Wer immer wieder Kasper aus der Kiste auftaucht, ist Natascha Kampusch.
00:51:41
Daher ist sie völlig unglaubwürdig.
00:51:43
Sie jammert immer wieder, wie unfrei und verfolgt sie sei.
00:51:47
Dann rede einmal.
00:51:48
Sag einmal die Wahrheit und keiner wird sich mehr für dich interessieren.
00:51:52
Du kannst frei leben, nur wirst du dann dein Geld mit Arbeiten verdienen müssen.
00:51:58
Ich bin ja heilfroh, dass wir dich studieren haben lassen.
00:52:01
Die Zeitung musste dann die Kommentarfunktion abstellen.
00:52:04
Jauch fragt Natascha, welche Erklärung sie für diesen ungeheuren Hass hat.
00:52:10
Sie antwortet, dass sie denkt, dass die Leute kein Verständnis haben und dass die Leute sicher Selbstverletzungen im Leben hatten, die unbearbeitet sind.
00:52:18
Natascha hat in ihrem Leben viel darüber nachgedacht, warum sie immer wieder Opfer solcher Anfeindungen wurde.
00:52:25
Eine Erklärung, warum sie es zumindest immer wieder wurde, sieht sie darin, dass zu lange ermittelt wurde.
00:52:32
Die Leute waren die Dauerbeschallung mit dem Fall irgendwann leid.
00:52:35
Aber sie denkt auch, dass Neid ein großer Faktor ist.
00:52:39
Eigentlich kommt ihr der Gedanke absurd vor, denn niemand kann wirklich neidisch auf jemanden sein, der acht Jahre in einem Keller eingesperrt war.
00:52:47
Und dann denkt sie, doch, wahrscheinlich beneiden mich die Menschen, um meine Stärke, das alles durchzuhalten.
00:52:54
Denn Natascha lacht in Kameras, obwohl sie das alles erlebt hat.
00:52:57
Ist trotz dessen zuversichtlich, hat sich ein eigenes Leben aufgebaut.
00:53:01
Andere Leute scheitern selbst daran, obwohl ihnen gar nicht zugestoßen ist.
00:53:06
Bei Jauch sitzt damals auch der Psychotherapeut Georg Pieper.
00:53:10
Er sagt, Natascha Kampusch ist ein leuchtendes Beispiel dafür, dass sie sich nicht als Opfer darstellt,
00:53:16
wie die Öffentlichkeit das oft gern sehen möchte, sondern als aktive Überlebende.
00:53:23
Harald Staunen, also dieser Frouilleton-Redakteur, hatte so unfassbar erschreckend vorhergesagt, was passieren wird.
00:53:30
Und zwar nicht nur in dem, was ich vorhin schon erzählt habe.
00:53:34
Er schrieb nämlich in Bezug auf die Medien auch,
00:53:37
Wir wollen einordnen, werten, analysieren.
00:53:41
Das ist unser Job.
00:53:43
Und dazu brauchen wir stabile Kategorien.
00:53:46
Das Gute, das Böse, den Sieger, den Verlierer, das Opfer, den Täter.
00:53:52
Ihre Stärke irritiert uns.
00:53:54
Sie stellt unser ganzes Weltbild in Frage.
00:53:57
Sie relativiert die Grausamkeiten, die sie erlitten haben.
00:54:02
Natascha Kampusch war nie das typische Opfer.
00:54:04
Sie wollte sich nicht verstecken.
00:54:06
Sie wollte nicht schweigen.
00:54:08
Sie wollte auch nicht verzweifeln, sondern den Menschen das zeigen, was sie im Keller hat überleben lassen.
00:54:14
Für einige Menschen hat ein Opfer so nicht zu sein.
00:54:19
Ich habe in Vorbereitung auch den Podcast in extremen Köpfen mit Dr. Leon Winscheidt gehört,
00:54:23
der ja auch bei uns schon einige Male Experte war.
00:54:26
Und er interviewt sie da.
00:54:27
Und die Frage, was das Schlimmste von allem war, das kann sie gar nicht richtig beantworten.
00:54:34
Sie meint, es wäre alles zusammen gewesen.
00:54:36
Als sie damals aus Pees Garten geflohen ist, hatte sie gedacht,
00:54:40
dass sie der feindlichen Umgebung davon und in eine weltvolle Anteilnahme rennt.
00:54:47
Aber es fühlte sich über die Jahre für sie so an, als wäre sie von einer Welt mit einem Feind
00:54:52
in eine Welt mit vielen Feinden gelaufen.
00:54:55
Also solche Hasskommentare, die irgendwelche Leute im Internet veröffentlichen,
00:55:02
machen mich einfach so wütend.
00:55:06
Und dass man ihr auch nicht gönnt, dass sie das halt in dieser Weise überlebt und ja überwunden hat.
00:55:13
Ich habe sowieso das Gefühl, dass viele Menschen in Deutschland schwerer gönnen können als andere.
00:55:19
Also in den USA gibt es ja zum Beispiel diese Show, über die wir auch schon mal geredet haben,
00:55:24
und da werden Menschen, die solche Verbrechen überlebt haben, ja gefeiert.
00:55:29
Und das habe ich bei Natascha Kambusch irgendwie total vermisst.
00:55:34
Also das gab es auf jeden Fall auch.
00:55:36
Aber im Laufe der Zeit wirkt das so wenig im Vergleich zu dem, was man so mitbekommen hat,
00:55:43
was ja alles vorgeworfen wird.
00:55:44
Und ich finde, das ist ja einfach so unfassbar, oder?
00:55:48
Also das ist eine so starke Frau und Persönlichkeit.
00:55:52
Und ich bewundere die total dafür, also für die Flucht, dass sie das geschafft hat
00:55:56
und auch diesen Umgang danach mit ihr gut gemeistert hat.
00:56:00
Weil das kam ja jetzt auch noch dazu, das musste sie ja auch noch verarbeiten.
00:56:04
Und sie ist genau das, was sie von sich behauptet zu sein.
00:56:10
Sowas halten halt nur wenige Menschen aus und nur wenige tragen ihr Schicksal mit so einer Fassung.
00:56:16
Und ich verstehe nicht, warum man dann sagt,
00:56:19
nee, das ist aber nicht, wie ich mir das vorstelle, kann nicht sein.
00:56:22
Das ist doch irre.
00:56:24
Ja, und es tut einem so leid.
00:56:26
Man denkt sich irgendwie, wäre sie doch bloß vor der Presse geschützt oder gewarnt worden.
00:56:31
Aber das hatte es ja auch noch nie gegeben.
00:56:34
Und man hätte das ja wahrscheinlich gar nicht einschätzen können,
00:56:37
was das so mit sich bringen kann.
00:56:39
Aber ich kann mir auch vorstellen, dass jetzt BeraterInnen von Elisabeth Fritzel
00:56:44
ihr wegen dieser ganzen Sache mit Natascha Kampusch dann geraten haben,
00:56:49
sich eben nicht der Presse zu stellen, auch wenn man seine Geschichte eben am liebsten
00:56:54
halt selber erzählen würde.
00:56:55
Ja, auf Elisabeth Fritzel komme ich gleich in meinem Aha auch nochmal.
00:56:59
Und ich habe mir genau die gleichen Gedanken gemacht.
00:57:02
Elisabeth Fritzel hatte ja auch einen Fernseher und hat das sicher mitverfolgt.
00:57:06
Und es kann natürlich sein, dass sie auch vor allem das für ihre Kinder nicht wollte.
00:57:13
Ja, und jetzt so im Nachhinein, hat sie das denn auch mal bereut, an die Öffentlichkeit gegangen zu sein?
00:57:19
Nee, bereut sie nicht.
00:57:21
Sie meint, sie glaubt, dass es dann noch schlimmer geworden wäre, wegen dieser ganzen Spekulationen.
00:57:25
Und ihre Eltern waren damals ja auch schon so bekannt, weil die haben ja öffentlich nach ihr gesucht.
00:57:32
Das ist natürlich der Unterschied zum Fall Fritzel.
00:57:35
Und hätte sie einen neuen Namen annehmen müssen, dann hätten ihre Eltern es auch tun müssen.
00:57:39
Und dann hätten sie weggehen müssen.
00:57:41
Und das wollte sie halt alles nicht.
00:57:42
Sie wollte selbst entscheiden, halt auch darüber, wo sie wohnen will.
00:57:46
Ja, einmal wieder nach acht Jahren selbst über ihr Leben entscheiden.
00:57:50
Natascha wurde von den Menschen ja abgewertet und ihr wurde sogar eine Teilschuld zugeschrieben.
00:57:57
Und das kommt immer wieder mal vor, tatsächlich.
00:57:59
Und davon handelt jetzt mein AHA.
00:58:01
Außenstehende suchen nämlich oft nach Gründen für diese Opfersituation, um ihr Vertrauen in eine gerechte Welt nicht zu verlieren.
00:58:10
Denn Menschen haben ein starkes Bedürfnis, Gerechtigkeit herzustellen.
00:58:15
Und wenn sie aber machtlos sind, dann setzen kognitive Verarbeitungsprozesse ein.
00:58:20
Und die bewirken dann, dass man eine Kausalität zwischen Opfer und Tat sucht.
00:58:25
Das hat den Vorteil, dass man dann nämlich kein Mitgefühl aufbringen muss.
00:58:30
Das ist nämlich immer auch mit Schmerz verbunden.
00:58:32
Das heißt, wenn ich der anderen Person meine Empathie entziehe, weil ich mir weins machen will,
00:58:39
dass sie das irgendwie schon verdient hat, in einem übergeordneten Rahmen gesehen,
00:58:45
dann geht es mir besser.
00:58:46
Und weil für Menschen es sehr schwer zu ertragen ist, dass die Situation etwas Unkontrollierbares hat,
00:58:53
interpretiert man dann so etwas Kontrollierbares in die Situation rein.
00:58:59
Ich kann dann die Situation, die vom Opfer erlebt wurde, für mich rechtfertigen, wenn ich das Opfer abwerte.
00:59:04
Und oft passiert das auch durch negative Beurteilung von äußeren Merkmalen oder halt von Charaktereigenschaften.
00:59:11
Der Sozialpsychologe Melvin Lerner und die Sozialpsychologin Carolyn Simmons haben schon 1966 ein Experiment durchgeführt,
00:59:18
in dem sie ihre Versuchskaninchen, Opfer beobachten ließen, die Aufgaben lösen mussten und für Fehler angeblich Elektroschocks erhielten.
00:59:28
Das kennen wir ja schon so ähnlich aus dem Milgram-Experiment.
00:59:31
Nur waren die ProbandInnen bei diesem Experiment aufgefordert, die Opfer zu beschreiben.
00:59:36
Und es kam heraus, die Opfer wurden von den meisten Menschen abgewertet.
00:59:42
Und zwar mehr, wenn sie davon ausgingen, dass die Bestrafungen noch weiter anhalten würden und sie keinen Einfluss darauf hatten.
00:59:48
Die Abwertung fiel milder aus, wenn die ProbandInnen in der Position waren, auf das Geschehen auf irgendeine Art einwirken zu können,
00:59:56
also ein wenig Kontrolle hatten.
00:59:57
Und das nennt man Gerechtigkeitsparadoxon.
01:00:00
Man will eigentlich den Gerechtigkeitsgedanken aufrechterhalten,
01:00:05
sorgt aber mit dieser jeder kriegt, was er verdient-denkweise für mehr Ungerechtigkeit.
01:00:11
Und mittlerweile wurde das Experiment auch vielfach bestätigt.
01:00:14
Man neigt übrigens eher dazu, wenn der Glaube an eine gerechte Welt stark ausgeprägt ist.
01:00:20
Also ob man so reagiert und das Opfer abwertet, hängt auch von deiner Persönlichkeitsstruktur ab.
01:00:26
Also nicht jeder reagiert jetzt so.
01:00:28
Es sorgen aber auch noch andere Dinge dafür, dass man so unfair mit Opfern umgeht wie mit Natascha Kampusch.
01:00:35
Der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Michael Schulte-Marquardt hatte bei Markus Lanz einmal gesagt,
01:00:41
dass man nicht ertragen kann, dass sowas zu unserer Normalität dazugehört.
01:00:45
Denn das würde heißen, das gibt es bei uns Menschen.
01:00:48
Und weil wir das nicht wahrhaben wollen, projizieren wir negative Gefühle auf das Opfer oder halt natürlich auch auf TäterInnen.
01:00:57
Was meinst du denn, sind noch Faktoren im Fall von Natascha Kampusch, die dazu beigetragen haben, ihre Rolle so in Frage zu stellen?
01:01:06
Ja, zum Beispiel auf jeden Fall der Fakt, dass sie mit ihm zum Beispiel in den Skiurlaub gefahren ist oder mal draußen mit ihm war und sie aber nichts getan hat.
01:01:17
Dass Leute dann einfacher sagen können, selber schuld oder sowas blöd ist.
01:01:23
Was ja auch total unfair ist, weil er ihr auch gedroht hatte, sie umzubringen und allen, die ihr helfen, wenn sie sich irgendwie bemerkbar machen würde.
01:01:32
Ja, und dann hat sie sich natürlich nicht selbst bemitleidet und war nicht traurig in der Öffentlichkeit.
01:01:39
Weil alleine, dass wir jemanden als Opfer bezeichnen, schreibt der Person ja schon eine Rolle zu, die man mit Wehrlosigkeit oder Unterlegenheit und Schwäche assoziiert.
01:01:49
Und wenn Natascha sich jetzt aber hinstellt und sagt, eigentlich war ich stärker als er, dann passt sie halt nicht mehr in dieses typische Opferbild.
01:01:56
Außerdem hat sie dann ja die Öffentlichkeit gesucht.
01:02:00
Also die Leute wurden auch regelmäßig über einen längeren Zeitraum mit ihr konfrontiert.
01:02:04
Das heißt, sie mussten sich das auch immer ansehen.
01:02:06
Sie hat nicht alles preisgeben wollen.
01:02:09
Das heißt, die Sensationsgier mit dieser sexuellen Komponente wurde nicht befriedigt, was offenbar ein krasses Ding ist in den Medien.
01:02:16
Und der Täter lebt nicht mehr.
01:02:19
Und damit projiziert man ausschließlich alles auf sie.
01:02:22
Weil auf ihn kann man das nicht mehr.
01:02:24
Und das steht im krassen Gegensatz zu der Fritzel-Geschichte.
01:02:28
Weil erstens bei Fritzel Opfer verschwindet.
01:02:32
Sexuell wurde viel offengelegt.
01:02:36
Wir wissen gefühlt viel zu viel von den furchtbaren Dingen, die da im Keller passiert sind.
01:02:40
Und der Täter lebt noch.
01:02:42
Und bei Fritzel wäre doch niemals jemand auf die Idee gekommen, Elisabeth eine Schuld zu geben.
01:02:48
Ja, überhaupt nicht.
01:02:49
Natascha hat über ihre Erfahrungen mit Mobbing auch ein Buch geschrieben.
01:02:54
Das heißt Cyberneider.
01:02:56
Das habe ich auch in Vorbereitung zu der Folge gelesen.
01:02:58
Und sie erzählt da zum einen von eigenen Erfahrungen.
01:03:01
Und sie gibt aber auch so eine Art allgemeinen Überblick darüber, wo im Internet überhaupt überall gemobbt werden kann.
01:03:09
Ja, und das Wort Mobbing, das kennen wir in Deutschland noch gar nicht so lang.
01:03:14
Erst seit Ende der 90er Jahre.
01:03:16
Obwohl das Phänomen an sich ja viel älter ist, wurde das davor nicht wirklich ernst genommen.
01:03:21
Und eher als etwas Normales angesehen.
01:03:25
Wie du auch eben schon gesagt hast, war das quasi als Hänseln bekannt.
01:03:29
Und dass es heute anders ist, das haben wir einigen wissenschaftlichen PionierInnen zu verdanken und den Medien.
01:03:35
Und einen dieser Forscher habe ich eben schon mal erwähnt, Heinz Leimann.
01:03:39
Der hat Ende der 70er Jahre angefangen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und dann Anfang der 90er die erste Arbeit dazu veröffentlicht.
01:03:46
Aber so richtig interessierten sich die Menschen in Deutschland nicht dafür.
01:03:49
Erst halt dann, als so richtig extreme Fälle durch die Medien gingen und auch Gewerkschaften reagierten.
01:03:57
Dann kam das öffentliche Interesse für das Thema.
01:04:00
Und heute ist Mobbing Alltag an deutschen Schulen.
01:04:04
Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung erleben mehr als die Hälfte aller Kinder und Jugendliche in der Schule Mobbing.
01:04:10
Aber auch im Arbeitsleben haben nach Schätzungen von Verdi rund 1,8 Millionen Menschen damit zu kämpfen.
01:04:16
Durch die Möglichkeit, heute auch im Internet Mobbing zu betreiben, wie Natascha Kampusch das erlebt hat, steigen die Zahlen jährlich an.
01:04:24
Laut einer Studie vom Bündnis gegen Cybermobbing wird jeder dritte Erwachsene in seinem Leben einmal gemobbt.
01:04:31
Ob jetzt online oder offline.
01:04:33
Und das passiert überall dort, wo Menschen in Gruppen zusammenkommen.
01:04:36
Das kommen sie ja im Internet auch irgendwie.
01:04:38
Und egal bei welchem Geschlecht und bei welcher sozialen Schicht.
01:04:42
Das heißt, Mobbing gibt es genauso in Grundschulen wie im Sportverein und in der Politik.
01:04:47
Wie zum Beispiel in der CDU im hessischen Mainz-Kinzig-Kreis.
01:04:52
Dort wurde 2006 nämlich eine detaillierte Mobbing-Anleitung geschrieben mit dem Titel Operation Kaninchenjagd.
01:05:01
Gemobbt werden sollte das Kaninchen Anne Höhne-Weigel, die damals dort Kreisgeschäftsführerin war.
01:05:07
Und da standen dann halt genaue Anweisungen drin, wie sie gemobbt werden soll und auch wie sie schließlich aus ihrem Amt ausscheiden soll, weil man sie da nicht haben wollte.
01:05:16
Man wollte die nämlich zu einem Aufhebungsvertrag drängen, indem man ihr droht, die Tochter zu entlassen.
01:05:22
Die wohl auch irgendwie damit gearbeitet hat.
01:05:24
Und bestenfalls solle dies an einem Freitag geschehen, stand da drin.
01:05:30
Vorteil, weil sie dann zwei Tage niemanden konsultieren könne.
01:05:36
2016 wurde dieses Papier gefunden und zwar von Anne Höhne-Weigel selbst.
01:05:42
Und das wurde dann, ich weiß nicht genau, von wem das geleakt wurde, aber es wurde geleakt und es wurde gesagt, dass es der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber geschrieben hat.
01:05:54
Der gab dann auch irgendwann zu, dass er von diesem Papier gewusst hat, er will es aber nicht geschrieben haben, aber er hat sich entschuldigt, dass er nicht reagiert hat.
01:06:03
Aber ja, man weiß es halt quasi bis heute nicht, wer dieses Papier geschrieben hat letztendlich.
01:06:10
Aber ich dachte mir, als ich das gehört habe, das kann ja wohl nicht sein und die Frau wird da überall als Kaninchen nur bezeichnet.
01:06:19
Es gibt Kaninchen-Pflege-Hinweise und also wie man ihr Arbeit, also Arbeit immer zu viel hergibt und wie man sie halt dazu bringen will, dass sie von alleine geht.
01:06:29
Also erstmal, wie doof kann man sein, dass man das alles aufschreibt?
01:06:34
Täter innen-Shaming.
01:06:37
Kam es denn schon zum Einsatz von diesem Papier und was da drauf stand?
01:06:44
Oder hat sie das vorher gefunden, bevor sie so richtig gemobbt wurde?
01:06:49
Nee, die hat das viel später erst gefunden.
01:06:52
War sie da noch im Amt?
01:06:54
Ja, die haben es auch nicht geschafft, sie rauszumobben oder so, aber sie hat es schon gemerkt, die Anfeindungen ganz deutlich und auch, dass ihr viel zu viel Arbeit aufgehalst wurde.
01:07:06
Ja, Menschen sind doch ekelhaft, oder?
01:07:09
Ja, also sowas hätte man ja vielleicht in der Schule sich vorstellen können, aber in einer Partei, also es ist ja…
01:07:14
Ja, also es wird halt überall gemobbt.
01:07:16
Man denkt dann immer, manche Bereiche sind davon vielleicht ausgenommen, aber dem ist nicht so, wie wir auch gerade toll über den Bildschirm beobachten konnten.
01:07:27
Denn gerade lief Promis unter Palmen, das ist eine Reality-Show auf Sat.1 und da konnte man über den Fernseher dabei zuschauen, wie eine der Teilnehmerinnen, nämlich Claudia Obert, von fast allen anderen gemobbt wurde.
01:07:41
Und dabei wurde sie als Hure, Viech und armselige Kreatur bezeichnet, die man am liebsten wegtreten würde.
01:07:50
Und da gab es ganz erschreckende Szenen, wo sie schlafen wollte und alle anderen, also so wirklich systematisch, sie aus dem Zimmer ekeln wollten, indem sie ständig Geräusche machten und sie wirklich auf übel zu beleidigt haben.
01:08:07
Also ganz schlimm, ich meine, ich weiß, das sind ja auch alles Reality-Darsteller und Darstellerinnen, die auch irgendwie eine Show machen wollen, aber ich meine, diese Frau hat geweint.
01:08:18
Ja, und keiner ist eingegriffen und hat das mal gestoppt.
01:08:22
Ja, und auch danach hat das ja einige Zeit und einigen Shitstorm gebraucht, bis sich mal jemand für sein Verhalten entschuldigt hat überhaupt.
01:08:31
Und was ja auch so ist, ist, dass der Sender das ja unkommentiert über die Bildschirme hat laufen lassen.
01:08:38
Es war ja dann so, dass erst halt die ZuschauerInnen irgendwie eine Stellungnahme gefordert haben und dann hat sich ProSiebenSat.1 erst geäußert, damit, dass sie die gesamte Verantwortung bei den KandidatInnen sehen.
01:08:51
Also was ist das denn bitte für eine Message an das Publikum, dass man Mobbing eben aushalten muss und dass das okay ist, dass niemand eingreift?
01:09:00
Ja, man sagt jungen Menschen ja im Grunde, ja, auch im Erwachsenenalter passiert sowas und dann gibt es halt keine Gerechtigkeit und auch in der Situation jetzt erstmal keine Konsequenzen.
01:09:11
Also ich meine, die haben die Folge halt auch erst nach einer Woche aus der Mediathek genommen.
01:09:16
Und dann sollte diese Aussprache, die es als Zusatzfolge bei Sat.1 gab, das vielleicht nochmal so einordnen, da kam aber jetzt auch nicht so wirklich viel bei rum.
01:09:26
Also eigentlich eher im Gegenteil, weil nach 20 Minuten hat das Mobbing-Opfer einfach erstmal das Studio verlassen und eine andere hat geweint.
01:09:35
So, und wenn man aber selbst nicht für Einordnungen und Konsequenzen sorgt, dann tun es halt eben andere.
01:09:40
Und jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin offenbar gerade gegen den Sender und die Produktionsfirma.
01:09:47
Ja, und die freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen hat wohl auch schon eine Prüfung eingeleitet.
01:10:06
Es ist nämlich so, dass viele in der Sendung eine Verletzung der Menschenwürde sehen.
01:10:12
Ich meine, man tut hier so, als wäre auch das Unterhaltung.
01:10:16
Aber Mobbing kann im echten Leben halt auch echt krank machen.
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Und zwar nachweislich.
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Die Opfer verzweifeln, sind demotiviert, zweifeln an sich selbst oder haben Angstzustände, bekommen sogar Depressionen teilweise.
01:10:29
Ein Fall, bei dem wir alle das erste Mal so richtig gesehen haben, wozu das alles führen kann, ist der von der Kanadierin Amanda Trott.
01:10:37
Sie lernte, als sie in der siebten Klasse war, einen Mann im Internet kennen.
01:10:41
Und der überredete sie dann dazu, ihr Fotos von ihren Brüsten zu schicken.
01:10:46
Und das tat sie.
01:10:47
Damals war man noch nicht so sensibilisiert für die Gefahren im Internet wie heute.
01:10:51
Und dieser Mann, der erpresste sie dann daraufhin damit und schickte es an ihrer ganzen Schule rum.
01:10:57
Auf jeden Fall wurde Amanda dann daraufhin furchtbar angefeindet, auch körperlich angegriffen.
01:11:02
Und die Eltern zogen dann deswegen mehrmals um und versuchten Amanda immer wieder, einen Neustart zu ermöglichen.
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Aber auch in der neuen Schule wurde das Foto dann gezielt von diesem Mann wieder verbreitet.
01:11:14
Amanda bekam daraufhin Depressionen, nahm Antidepressiva, aber ihr Zustand verschlechterte sich immer weiter.
01:11:20
Am 7. September 2012 veröffentlichte sie ein Video.
01:11:25
Zu sehen ist da Amanda, wie sie Zettel hochhält, auf denen sie ihre Geschichte aufgeschrieben hat.
01:11:29
Und sie schreibt davon, dass sie dieses Foto nie zurückbekommt und dass sie all ihre Freunde verloren hat und mittags immer alleine am Tisch sitzen muss.
01:11:38
Und außerdem schreibt sie, ich habe niemanden, ich brauche jemanden.
01:11:42
Und fünf Wochen später beging sie dann Suizid.
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Der Täter war übrigens Niederländer und agierte auch von dort aus.
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Und seine Attacken trafen übrigens nicht nur Amanda, sondern auch andere Mädchen.
01:11:56
Der wurde dann von einem niederländischen Gericht so elf Jahren Haft verurteilt.
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Übrigens mal ein kleiner Hinweis für euch.
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Es gibt auch ähnliche Fälle in Deutschland.
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Wir hätten diese Fälle auch erzählen können.
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Wir wissen aber, wenn wir unsere Fälle hier erzählen, dann machen wir das ja im Hörbuchstil.
01:12:12
Und das heißt, und das wissen wir auch von den Nachrichten, die wir immer von euch bekommen,
01:12:16
dass sich manche da so richtig mitreißen lassen in diesen Geschichten.
01:12:20
Und das ist, wenn wir Suizide behandeln, eh immer schwierig.
01:12:23
Und die Fälle, bei denen wir das machen, die sind dann mit Bedacht ausgewählt.
01:12:26
Aber weil wir wissen, dass Mobbing so viele Menschen trifft,
01:12:31
wollten wir hier nicht den Eindruck erwecken lassen, als wäre das eine Art Ausweg.
01:12:35
Und deswegen sind in diesen Fällen auch unsere Opfer jetzt nicht gestorben.
01:12:40
Ja, der richtige Ausweg ist, das Mobbing halt im Keim zu ersticken.
01:12:47
Also sich so früh wie möglich Hilfe zu holen.
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Das wäre dann zum Beispiel in der Schule eben mit VertrauenslehrerInnen sprechen
01:12:54
oder mit den Eltern und im Betrieb sich irgendwie an den Personalrat wenden
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und dann auch die vorgesetzt mit einzubeziehen.
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Was man aber auf jeden Fall nicht machen sollte, ist zurückmobben oder mitlachen
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oder einfach diese ganzen Schikanen zu ignorieren.
01:13:11
Weil das kann das Mobbing noch verstärken.
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Und wenn man sich traut, dann sollte man sogar die Mobber konfrontieren und sie zur Rede stellen
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und dann da mit denen zeigen, dass halt nicht so mit einem umgegangen werden kann.
01:13:24
Ja, aber so mutig ist halt auch nicht jeder, wenn man ja eh schon so eingeschüchtert ist.
01:13:34
Also deswegen ist es gerade so wichtig, dass halt andere eingreifen, wenn sie das Mobbing mitbekommen.
01:13:40
Weil die sind ja gar nicht so in der Schussbahn und haben deswegen das natürlich auch viel einfacher.
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Das zeigt ja auch dein Fall.
01:13:47
Aber wenn eben niemand eingreift, dann kann Mobbing, wie wir ja auch am Beispiel von Amanda gesehen haben,
01:13:53
halt tödlich enden.
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Menschen brauchen nämlich diese Anerkennung und Beachtung im Leben.
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Und wenn wir keine soziale Akzeptanz bekommen, dann funktionieren unsere Belohnungssysteme nicht richtig
01:14:04
und wir verfallen in Depressionen, erklärt der Neurobiologe und Psychiater Joachim Bauer dem Spiegel in einem Interview.
01:14:10
Außerdem zeigen Untersuchungen, dass bei regelmäßigen Mobbing-Attacken die gleichen Areale im Hirn aktiv sind,
01:14:17
die auch für die Verarbeitung von körperlichen Schmerzen zuständig sind.
01:14:21
Besonders gravierende Folgen kann das haben, wenn Jugendliche gemobbt werden.
01:14:25
Ihr Gehirn befindet sich nämlich noch im Wachstum und merkt sich diesen empfundenen Schmerz dann anders.
01:14:31
Das heißt, dass das Gehirn dann auf einem Stand ist, dass es bei einer Wiederholung zu heftigeren Reaktionen kommt.
01:14:38
Also wirst du als junger Mensch ständig gemobbt und dann meinetwegen nicht mehr,
01:14:44
reagiert dein Erwachsenengehirn später sehr viel sensibler auf bestimmte Trigger.
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Also du reagierst dann auch heftiger darauf.
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Und wenn Mobbing bei den Opfern solche extreme Schäden zur Folge haben kann,
01:14:55
dann muss man sich ja mal fragen, warum das trotzdem so häufig vorkommt.
01:15:00
Und darüber habe ich mit dem Psychologen Professor Herbert Scheithauer gesprochen,
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der seit Jahren zu dem Thema forscht.
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In der Mobbing-Forschung gibt es personenzentrierte Ansätze, die sich mit der Frage widmen,
01:15:11
warum wird jemand zum Täter von Mobbing und einzelne Faktoren auf der Personenebene untersuchen.
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Dazu zählt zum Beispiel mangelnde Empathie, die Loslösung von moralischen Überzeugungen,
01:15:22
die eine Rolle spielen können, dass jemand andere mobbt.
01:15:26
Aber auch selbst Opfer von Gewalt geworden zu sein, gewaltlegitimierende Verhaltensnormen,
01:15:31
dass man mit Gewalt seine persönlichen Ziele erreichen kann,
01:15:35
stellen Risikofaktoren dafür da, dass jemand andere mobbt.
01:15:39
Die eigene Persönlichkeit spielt also eine Rolle.
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Manche ForscherInnen gehen dabei davon aus, dass gemobbt wird, um das eigene schwache Selbstvertrauen zu kompensieren.
01:15:47
Andere wiederum kommen aber zu dem Ergebnis, dass TäterInnen im Durchschnitt selbstbewusster und weniger ängstlich sind.
01:15:54
Professor Scheithauer vertritt die Theorie, dass grundsätzlich jede Person zum Täter oder zur Täterin werden kann,
01:16:00
wenn bestimmte Umstände gegeben sind.
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Er sagt nämlich, Mobbing ist kein individuelles Problem zwischen TäterInnen und Opfer.
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Es geht immer um Gruppen.
01:16:10
Wenn aber immer mehrere Menschen involviert sind, dann habe ich mich gefragt, welche Arten von TäterInnen es denn gibt.
01:16:17
Insbesondere zu Beginn der Mobbing-Forschung hat man sich mit einzelnen Tätertypen beschäftigt.
01:16:24
Also den Tätern oder den Opfern, beziehungsweise auch einer kleinen Gruppe, den sogenannten Täteropfern,
01:16:30
die sowohl Täter als auch Opfer sind.
01:16:33
Aktuell weiß man jedoch, dass man das so nicht aufrechterhalten kann,
01:16:38
weil zum Beispiel über einen längeren Zeitraum es einen Wechsel geben kann von der einen Rolle zur anderen.
01:16:44
Und auch je nachdem, welche Form von Mobbing untersucht wird,
01:16:48
nicht nur aus Tätern Opfern und aus Opfern Tätern werden können,
01:16:52
sondern dass auch die Mobbing-Formen, das traditionelle Mobbing zum Beispiel auf dem Schulhof oder im Betrieb,
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sich abwechseln kann mit dem Cybermobbing.
01:17:01
Also es gibt gar keine richtigen Tätertypen, sondern eher soziale Rollen, in denen man aber auch wechselt.
01:17:07
Da gibt es dann zum Beispiel die sogenannten AssistentInnen, die beispielsweise dann Opfer festhalten
01:17:14
oder auch VerstärkerInnen, die dann diese aktiven TäterInnen irgendwie unterstützen,
01:17:20
indem sie zum Beispiel klatschen oder lachen oder ihnen irgendwie anders so signalisieren,
01:17:26
dass das eigentlich ganz cool ist, was sie da machen.
01:17:28
Ja, und dann gibt es natürlich noch die Außenstehenden, die zwar nicht aktiv teilnehmen,
01:17:33
aber trotzdem alles mitbekommen und nicht helfen, weil sie entweder Angst haben,
01:17:37
dass sie sonst das nächste Opfer werden oder weil sie meinen, das würde sie halt nichts angehen.
01:17:42
Und da kann man halt auch häufig diesen Bystander-Effekt sehen,
01:17:45
über den du mal in Folge 23 gesprochen hast.
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Ja, also das je mehr zu sehen, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer dazwischen geht.
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Du hast ja schon erzählt, dass du selbst auch schon mal gemobbt wurdest.
01:18:00
Aber warst du auch schon mal dabei, wo jemand anderes gemobbt wurde?
01:18:04
Und kannst du dich daran erinnern, was du für eine Rolle da hattest?
01:18:08
Also warst du jetzt eher so die Außenstehende oder?
01:18:12
Ja, also wir hatten einen in der Klasse, der hat immer seine Popel unter den Tisch geschmiert.
01:18:17
Der war halt auch generell, irgendwie hat er sich so ein bisschen abgehoben von der Klasse, ja.
01:18:22
Und soweit ich mich erinnere, habe ich aktiv nichts gemacht,
01:18:26
war also meiner Meinung nach eher so in der Rolle der Außenstehenden.
01:18:30
Aber ich habe halt eben auch nichts getan, um ihn zu schützen.
01:18:34
Deswegen finde ich, ist Außenstehende so ein schwieriges Wort,
01:18:38
weil man eigentlich ja doch ein bisschen Schuld auf sich lädt, ja.
01:18:42
Aber weil er mir einmal so leid tat,
01:18:44
weil er ja nie am gemeinschaftlichen Geschehen teilgenommen hat,
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habe ich ihm mal was von meinen Chips angeboten.
01:18:51
Und da hat er sich dann auch voll gefreut,
01:18:53
dass der auch mal gefragt wird, ob der was abhaben will.
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Aber weiter gegessen habe ich die dann danach nicht.
01:19:00
Aber das war es mir wert.
01:19:02
Das ist sehr gutmütig von dir gewesen.
01:19:05
Wir wissen ja, wie gern du deine Sachen selber isst.
01:19:12
Du weißt das, ja.
01:19:12
Oder ich weiß das.
01:19:13
Du warst wahrscheinlich eher so der aktivere Part, richtig?
01:19:18
Ja, also bei uns in der fünften und sechsten Klasse auf dem Gymnasium,
01:19:24
da wurde schon viel gemobbt.
01:19:26
Also meistens war das ein Mädchen, auf die es dann die, ja, fast die ganze Klasse abgesehen hatte.
01:19:32
Und was habt ihr mit dem armen Mädchen gemacht?
01:19:34
Ja, also das war schon teilweise echt heftig.
01:19:40
Also da gab es, also ich nenne die Person jetzt mal Anna.
01:19:43
Aber es gab halt dann zum Beispiel die Anna-Seuche.
01:19:48
Und wenn jemand irgendwie aus Versehen Anna berührt hatte, dann hatte man diese Seuche.
01:19:53
Und dann konnte man, indem man andere Kinder abschlägt, dann, ja, andere Kinder damit anstecken.
01:20:00
Ist aber kein schönes Verhalten.
01:20:02
Nee, aber ich könnte jetzt auch nicht sagen, wer da damals mit angefangen hat oder ob es da irgendwie eine treibende Kraft gegeben hat.
01:20:12
Es war eher so, dass jeder mal aktiver Täter oder Täterin war.
01:20:17
Und dann irgendwie an einem anderen Tag hatte man dann eine andere Rolle inne und hat irgendwie nur zugeschaut und gelacht, aber selbst nichts gesagt.
01:20:25
Aber ja, ich war auf jeden Fall an Tagen auch aktive Täterin.
01:20:31
Ja, und wenn das immer so hin und her wechselt, dann verteilt sich die Schuld gefühlt natürlich auch eher und hängt nicht so an einer Person.
01:20:39
Weißt du noch, also gab es irgendeinen Grund, warum du damit gemacht hast?
01:20:43
Ich kann es dir nicht wirklich erklären, weil wenn ich jetzt zum Beispiel mit ihr alleine war, in der Pause oder mal zufällig irgendwie auf dem Gang oder so, dann waren wir auch immer nett zueinander.
01:20:54
Naja, klar. Also sie war nett zu dir, weil sie Angst vor dir hatte.
01:20:58
Und du warst wahrscheinlich nett zu ihr, weil man meist eh nur in der Gruppe sich so stark fühlt.
01:21:05
Also manchmal schießt man ja aber auch auf andere einfach nur, um von sich abzulenken.
01:21:10
Ja, also bei mir war es auf jeden Fall nicht so, dass ich irgendwie einen Hass auf sie hatte oder irgendwie sowas oder dass sie mir irgendwas getan hatte.
01:21:17
Also das war auf jeden Fall nicht der Grund, warum ich mitgemacht habe.
01:21:21
Und das hört sich vielleicht auch jetzt so ein bisschen wie so eine blöde Ausrede an, aber ich glaube, dass da so eine komische Gruppendynamik geherrscht hat, die mich da mitgezogen hat.
01:21:30
Und dann, dass ich vielleicht auch dachte, dass andere mich irgendwie cooler finden, wenn ich halt auch mal was sage oder darüber lache, was die anderen machen.
01:21:41
Ja, und ich meine, heute tut es mir natürlich furchtbar leid, was ich da gemacht habe und was wir da alles gemacht haben.
01:21:49
Und ich kann mir gar nicht vorstellen, wie schlimm das halt gewesen sein muss für das Mädchen und wie sehr sie das vielleicht auch bis heute noch prägt oder geprägt hat.
01:21:59
Ja, ich verstehe das, dass man da total Schuldgefühle auch heute noch hat.
01:22:03
Es gibt nämlich eine Studie ja auch von der Oxford University.
01:22:07
Und die hat herausgefunden, dass Menschen, die früher gemobbt wurden, auch häufiger an Depressionen leiden später.
01:22:13
Junge Erwachsene haben sogar ein dreimal so hohes Risiko, depressiv zu werden, wenn sie als Kinder gemobbt wurden.
01:22:20
Also man weiß ja nicht, was das bei Einzelnen dann halt doch später mal für Auswirkungen haben kann.
01:22:28
Ich glaube, ich bin da einigermaßen heil rausgekommen.
01:22:31
Ich wurde jetzt in Anführungsstrichen nur zweieinhalb Jahre gehänselt.
01:22:36
Aber also das war in der Zeit war das schon echt schlimm für mich.
01:22:40
Aber heute geht es mir zumindest ja meistens ganz gut.
01:22:45
Ja, aber zweieinhalb Jahre, das ist jetzt auch schon lang.
01:22:50
Ist da denn irgendwas noch, an was du dich so besonders erinnern kannst?
01:22:54
Ja, und ich erinnere mich zum Beispiel an eine Situation.
01:22:57
Da habe ich einen derer, weil da war ich schon so verzweifelt.
01:23:01
Und da habe ich einen derer, die das befeuert haben immer wieder, in der Stunde einen Zettel geschrieben.
01:23:07
Und da stand drauf, bitte hör einfach auf.
01:23:09
Ich habe dir nichts getan.
01:23:10
Lass mich einfach nur in Ruhe.
01:23:12
Und man durfte ja keine Zettel im Unterricht schreiben, weil man dann einen Tadel bekommen hatte.
01:23:18
Und der Typ, in den ich früher übrigens zusätzlich auch noch verliebt war, sagte dann der Lehrerin, Frau so und so, Paulina hat mir einen Zettel geschrieben.
01:23:26
Und das war halt einfach, ich dachte nur so, also wie scheiße kann man eigentlich sein, ja.
01:23:31
Die hat ja dann gelesen, was da drauf stand und hat mir dann kein Tadel gegeben.
01:23:35
Aber ich habe natürlich furchtbar angefangen zu heulen dann auch, ne.
01:23:38
Und das Schlimmste war, in der Zeit sind wir auch in den Heidepark gefahren.
01:23:43
Und ich war in einer Gruppe, die mich dann aber schon ausgeschlossen hatte damals.
01:23:49
Und das war total schlimm, weil ich denen natürlich die ganze Zeit wie das lahmende Lamm hinterher getrottelt bin.
01:23:55
Und es kam dann zwischen uns auch zu einem krassen Streit und ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben so laut geschrien wie an diesem Tag, dass die mich mal sonst weise können, weil ich so verzweifelt war und ich war innerlich so wütend und ich fand es einfach nur ungerecht.
01:24:12
Und die haben dann gelacht.
01:24:16
Und sowas ist so schlimm, weil du oder andere Kinder, die gemobbt werden, sich ja gar nicht wehren können, weil sich eben keiner auf ihre Seite stellt.
01:24:26
Und ja, in deinem Fall war das am Ende alles wegen einer Frisur.
01:24:31
Ich war echt nicht sehr schön da, aber sehr liebenswert.
01:24:40
Aber so ist es in den meisten Fällen, also das Mobbing entsteht, ohne dass das jetzt geplant war oder dass irgendwie sich Leute zusammengetan haben und gesagt haben, so wir mobben jetzt diese Person.
01:24:52
Denn häufig tritt das eben auf, wenn neue Situationen entstehen.
01:24:56
Also beispielsweise jemand kommt neu in die Klasse oder eine Abteilung wird irgendwie aufgelöst und neu strukturiert.
01:25:03
Oder wenn jemand aus einer recht homogenen Gruppe halt dann auffällt, indem er körperlich auffällige Merkmale hat oder sich halt irgendwie anders verhält oder auch andere Ansichten hat.
01:25:14
Ja, und Mobbing entsteht dann, wenn die Leute eben Angst um ihren angestammten Platz in einer Gruppe haben oder weil ihnen irgendwie nicht, was nicht ins Weltbild passt, weil er halt jetzt sich so anzieht oder an die und die Sache glaubt.
01:25:31
Und was dann passiert, ist so eine Art Kreislauf, der dann entsteht, weil eine oder einer aus der Gruppe fängt dann an zu mobben.
01:25:39
Und weil das für alle in dieser Gruppe neu ist, weiß dann auch häufig keiner, wie er reagieren soll.
01:25:45
Und manche finden das aber dann auch irgendwie faszinierend und machen deshalb nichts dagegen.
01:25:51
Dadurch fühlt sich der Täter oder die Täterin dann gestärkt und andere auch ermutigt mitzumachen, wodurch dann halt dieser Gruppendruck entstehen kann.
01:25:59
Und dann machen vielleicht auch Leute irgendwann mit, die sich dabei ja sogar schlecht fühlen.
01:26:05
Ja, weil sie natürlich auch wissen, was sie anderen Leuten damit antun können.
01:26:09
Also Mobbing ist natürlich auch eine Form der Gewalt.
01:26:12
Und deswegen ist es auch strafbar.
01:26:14
Allerdings nicht als solches.
01:26:16
Also einen eigenen Straftatbestand Mobbing gibt es bei uns nicht.
01:26:20
Das heißt, innerhalb des Mobbings müssen andere Straftaten begangen werden, die dann geahndet werden können.
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Und das kann zum Beispiel Körperverletzung, Nachstellung, Nötigung, Bedrohung oder Sachbeschädigung sein.
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Allerdings ist Mobbing ja oft auch psychischer Terror.
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Also manchmal ohne, dass eine der genannten Straftatbestände jetzt unbedingt erfüllt wird.
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Aber auch das kann als Körperverletzung gelten.
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Aber nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.
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Der BGH hatte nämlich mal entschieden, dass beispielsweise latente Angstzustände oder emotionale Erregungszustände
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allein nicht reichen.
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Es muss hingegen ein pathologischer, somatisch objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden sein,
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der vom Normalzustand nachteilig abweicht.
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Und das hört sich jetzt erstmal so an nach, okay, wenn ich jetzt aber depressiv werde
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und das ist auf das Verhalten eines Täters oder einer Täterin zurückzuführen,
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dann gilt das als Körperverletzung.
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Aber so einfach ist das eben nicht.
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Ich habe nämlich einige Urteile gefunden, in denen der BGH Urteile von den Landgerichten
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gekippt hat, weil sie nicht zweifelsfrei eine Kausalität zwischen Tat und Erkrankung
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nachweisen konnten.
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Oder die Kausalität im Urteil eben nicht genügend begründet wurde.
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Die Rechtsprechung sagt dazu, dass es nicht ausreicht, wenn man lediglich angibt,
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dass der oder die Verletzte über einen längeren Zeitraum systematisch angefeindet, schikaniert
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und diskriminiert worden sei.
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Erforderlich ist nämlich eine aus sich selbst heraus verständliche, in sich geschlossene
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Darstellung des Sachverhalts und der Beweismittel.
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Und das muss so umfassend und vollständig dargelegt werden, dass nahezu kein Zweifel
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daran besteht, dass das Mobbing und die damit einhergehenden Situationen die Erkrankung
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hervorgerufen hat.
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Das ist jetzt in meinen Worten gesprochen.
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Und das scheint in der Praxis dann halt nicht ganz so einfach zu sein.
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Was ähnliches hatten wir auch schon mal bei der Stalking-Folge mit den Todesfällen.
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Da haben wir in der Rechtsprechung ganz wenig Fälle gefunden, wo der Suizid einer Person
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jetzt direkt auf das Stalking zurückzuführen war, wenngleich das halt ja doch manchmal
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Ja, anders ist das in Österreich, weil die haben seit 2016 einen Straftatbestand Cybermobbing.
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Und da macht man sich strafbar, wenn man eine Person für eine größere Zahl von Menschen
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wahrnehmbar in der Ehre verletzt.
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Also zum Beispiel Nacktfotos ohne das Einverständnis der anderen Person verbreitet.
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Und hier muss das Opfer in der Lebensführung unzumutbar beeinträchtigt sein, bevor jemand
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bestraft wird, was sicher ebenfalls schwer nachzuweisen ist.
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Aber wenn das Mobbing einen Suizid oder einen Suizidversuch zur Folge hat, dann können die
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Mobber in Österreich mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.
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Ich habe heute bei Riccardo Simonetti, das ist ein Blogger, gesehen, dass er auf einen
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Hashtag bei Instagram aufmerksam gemacht hat.
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Und der heißt I am stronger than bullying.
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Der setzt sich nämlich auch gegen Mobbing ein.
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Und unter diesem Hashtag, da findet ihr ganz viele verschiedene ermutigende Geschichten
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von Betroffenen, die, falls ihr betroffen seid, euch vielleicht auch Mut machen können.
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Ja, und falls ihr gerade mit Mobbing zu kämpfen habt und nicht wisst, an wen ihr euch wenden
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sollt, dann guckt mal unter unsere Beschreibung der heutigen Folge, weil da haben wir Hilfestellung
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und Telefonnummern aufgelistet.
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Und falls auch ein paar LehrerInnen oder PersonalleiterInnen unter euch sind, da stehen auch ein paar Projekte,
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mit denen man eben Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz begegnen kann.
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Es gibt ja etliche Aktionen, Seminare und so weiter, aber da muss man eben vorsichtig sein, welche
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Mir wurde nämlich gesagt, dass ungefähr 80 Prozent aller Präventionsprogramme nicht wissenschaftlich
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fundiert sind und dann auch nicht unbedingt was bringen.
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Deshalb schaut da gerne mal vorbei.
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Also wenn man gemobbt wird, dann denkt man eigentlich, dass diese Situation nie endet.
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Du hast ja keine Vorstellung davon, wie das ist, wenn das mal irgendwann aufhört.
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Und mir hat dann immer voll geholfen, dass ich mich so in Situationen geträumt habe, was
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ich später mal mache, wenn ich groß bin und so, weil in den meisten Fällen endet sowas
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ja dann doch irgendwann.
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Irgendwann endet die Schule und dann kommt man aus dieser Situation raus, aus der man halt
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Und ich weiß noch ganz genau, wie das dann damals war, als das plötzlich vorbei war.
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Dann wollten nämlich wirklich, es war von heute auf morgen, wollten alle mit mir befreundet
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Und ich dachte nur so, ihr Loser, endlich merkt ihr, was ihr hier ein Schuljahr verpasst habt.
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Und wir wissen ja auch alle, dass tolle und talentierte Menschen früher gemobbt wurden.
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Also Jennifer Lawrence zum Beispiel, Lady Gaga, Scarlett Johansson, Barack Obama.
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Und da reißt du dich jetzt ein.
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Nee, ach, würdest du das so sehen?
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Und die Leute, die gemobbt haben, das sind die, die sich heute auch in Corona-Zeiten
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dicht an dich bei der Kasse im Supermarkt stellen, weil das ihr einziger menschlicher
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Kontakt ist und sie sonst ein sehr trauriges Leben haben.
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Ja, oder sie werden Podcasterin.
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Das war ein Podcast von Funk.