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#53 Terror

Mir ist eben aufgefallen, dass wir nach dieser Folge insgesamt schon 106 Fälle erzählt haben.
Also mehr als 100 wahre Verbrechen, die wir entweder recherchieren oder hören mussten.
Was hat das mit uns gemacht, habe ich mich gefragt.
Na, Paulina?
Gemacht.
Also wenn ich mich hier so umsehe, dann hat es auf jeden Fall mein Bücherregal gefüllt mit Crime-Büchern.
Dann hat es meinen Speicherplatz auf dem Laptop vollgemacht.
Und mir hat es unser Justizsystem nahe gebracht.
Und irgendwie finde ich es jetzt auch wichtig, dass wir zu Geschichten, die man erzählen sollte,
Bilder im Kopf haben und die jetzt auch mit Emotionen verbinden.
Ja, sehe ich auch so.
Was es uns aber auch gemacht hat, definitiv, ist vergesslich.
Denn Paulina und ich haben eben mal versucht zu rekapitulieren, welche Geschichten wir denn
schon erzählt haben.
und es hat eine ganze Zeit gedauert, bis wir, also überhaupt auf 20 Stück zu kommen.
Und ich kann mir das nur so erklären, dass wir die meisten Fälle verdrängen, weil man
vielleicht sowas auch nicht immer ganz vorne in seinem Gedächtnis haben sollte.
Ich kann dir darauf gleich eine Antwort geben, warum du dich nur noch an 20 Fälle erinnern kannst.
Aber vielleicht heißen wir erst mal unsere ZuhörerInnen willkommen zu Mordlust, unserem True-Crime-Podcast
von Funk, von ARD und ZDF.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge haben wir ein Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
über die diskutieren und auch mit Experten darüber sprechen.
Und wir reden hier zwischenzeitlich auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir das Thema nicht ernst genug nehmen, sondern das
ist für uns so eine Art Comic-Relief, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
Heute geht es bei uns um das Thema Terrorismus.
Und wo wir gerade beim Thema Erinnerung sind, erinnerst du dich noch daran, was du am 19.
Dezember 2016 abends gemacht hast?
Ja, ich kann mich noch ganz genau daran erinnern.
Es war ja ein Sonntagabend.
Ja?
Erst mal kurz gucken.
Ich weiß noch, ganz.
Hast du dein Handy in der Nähe?
Ja, warte.
Oh, okay.
Es war kein Sonntag.
Es war ein Montag.
Aber anscheinend hat es sich angefühlt für mich wie ein Sonntag.
Also vielleicht hatte ich frei.
Aber auf jeden Fall am Abend wollten wir einen Film gucken.
Irgendwie einen Tatort nachholen oder so.
Und dann kamen diese News zum Anschlag am Reitscheidplatz.
Und ich war so aufgeregt.
Mich hat das auf einmal, also mich hat das so mitgenommen, weil es auf einmal so nah war.
Terrorismus bei uns in Deutschland und mein Freund ganz anders.
Also ich so, wir müssen jetzt irgendwie die ganze Zeit Nachrichten gucken, die ganze Zeit irgendwie einen Nachrichtensender.
Aber er war ganz anders, was ich komisch fand.
Aber mich hat das irgendwie total getriggert.
Auch vielleicht, weil ich dann auch sogar in Berlin war.
Aber ja, wir wollten eigentlich einen Film gucken.
Und das haben wir dann nicht gemacht, weil ich mich dann nicht mehr konzentrieren konnte.
Bei dir?
Deswegen habe ich ihm so gestutzt, als du sagst, des Sonntags.
Weil ich weiß noch, dass ich bei einem Essen war mit Leuten von der Produktionsfirma, bei der wir damals gearbeitet haben.
Du warst auch schon in der Firma?
Mhm.
Ja.
Wir hatten an so einem Projekt gearbeitet.
Das war eine kleinere Runde.
Und unser Chef kam zu spät.
Und seltsamerweise hatte keiner von uns aufs Handy geschaut.
Eine Stunde lang oder so, weil es so nett war.
Und er kam und wir waren total ausgelassen.
Und er meinte nur, habt ihr mitbekommen, was gerade in der Welt passiert ist?
So, und nach Paris, wo es ja fünf Anschläge an einem Abend gab, dann denkt man halt in dem Moment, man ist irgendwie nirgends sicher.
Und wir waren ja auch in Berlin.
Und in diesem kleinen Restaurant hast du natürlich jetzt nicht das Gefühl, dass das ein Ziel sein könnte.
Aber du weißt ja nicht, wo die Leute sind, die du liebst.
Du telefonierst dir dann erstmal irgendwie die Finger rund, weil ich meine, das ist ein Weihnachtsmarkt.
Jeder geht irgendwie in der Zeit zum Weihnachtsmarkt, weil es halt eben auch diese beliebten weichen Ziele sind, also so öffentliche Plätze.
Und warum wir uns daran so erinnern, und ich bin mir sicher, dass du und viele andere ja auch noch wissen, was sie vor 19 Jahren bei 9-11 gemacht haben.
Das ist, weil, sagt man ja so, Emotionen Erinnerungswächter sind.
Und dafür sorgen Stresshormone, also dafür, dass wir uns dann sehr genau erinnern.
Und das war für Menschen und Tiere schon immer wichtig, also in evolutionärer Hinsicht ist das ja auch logisch, dass wir uns gefährliche Situationen besonders gut einprägen, damit wir das, was passiert, sollte das dann nochmal passieren, wieder abrufen können und lernen können aus der Situation, was dann passiert ist.
Wo ich jetzt allerdings gerade so darüber rede, haben wir, also wir haben sowas ähnliches, glaube ich, schon mal im Podcast erzählt, aber nicht eins zu eins.
Das kam mir gerade, als du meintest, dass wir uns nicht an alle Fälle erinnern können, aber es ist auch ganz normal, wenn wir uns nicht alle Themen genau merken und uns daran erinnern, weil sich das Gehirn so neutrale Dinge halt eben nicht so gut merken kann.
Ja, und deswegen können wir uns an manche Fälle eher erinnern, die uns besonders, ja, zu Herzen gegangen sind oder wo wir besonders emotional reagiert haben.
An die können wir uns schnell erinnern, die kamen auch, als wir jetzt eben darüber nachgedacht haben, die kamen ganz schnell, ja.
So wie der Fall des Apothekers aus Bottrop, der ja die Krebsmedikamente gepanscht hat und von dem wir in Folge 23 gesprochen haben.
Ja, oder Susanne Preusker, hier die Gefängnispsychologin, von der du erzählt hast in Folge 9, die sich Jahre nach ihrer Vergewaltigung dann suizidiert hat, die ist uns ja auch sofort eingefallen.
Ja, und woran ich mich auch noch genau erinnern kann, weil es für mich so emotional war, und damit kommen wir jetzt auch wieder zurück zum Thema Terrorismus, war mein Besuch im 9-11-Museum in New York.
Da hat mich das so mitgenommen, obwohl das ja so lang her ist, und das war wirklich ganz woanders, und wir waren ja Kinder, aber das hat mich so fertig gemacht, das kannst du dir nicht vorstellen.
Also diese Ausstellung ist so gut gemacht und super informativ, aber gleichzeitig so emotional.
Also am schlimmsten fand ich, dass man da die Originalaufnahmen gehört hat, von Stimmen auf Anrufbeantworten.
Also von Leuten, die in den Flugzeugen waren und von Leuten, die in den Tauern noch waren.
Und also das ging mir so nah, dass ich dann irgendwann raus musste aus diesem Museum.
Obwohl das riesig ist, du kannst da Stunden verbringen, aber es ist auch ganz tief unter der Erde.
Ich weiß auch nicht, ob das was für dich wäre.
Also es ist irgendwie auch total dunkel und irgendwie bedrückend.
Und da gibt es aber auch eine ganze Sektion über die Terroristen.
Also wirklich eine ganz große.
Und das habe ich aber nicht mehr geschafft, weil ich so fertig war, weil die ist die letzte Station sozusagen.
Und deswegen will ich unbedingt nochmal dahin zurück und auch diesen Teil der Ausstellung ansehen und kann auch jedem empfehlen, da mal hinzugehen.
Weil oft ist Terrorismus uns nicht so nah.
Und es ist aber wichtig zu sehen, was das für Auswirkungen hat.
Ja, für uns war er die letzten Tage jetzt aber ja sehr nah.
Deswegen ein kleiner Hinweis an dieser Stelle.
Trigger-Warnung zu dieser Folge findet ihr wie immer in unserer Folgenbeschreibung.
In meinem Fall geht es um Jugendliche, die nach ihrem Platz in der Welt suchen.
Und um eine Organisation, die diese Orientierungslosigkeit für ihre Zwecke benutzt.
Es ist der 26. Februar 2016 gegen 17 Uhr, als Saphir die große Halle des Hauptbahnhofs betritt.
In ihrer Umhängetasche hat sie ein Gemüse- und ein Steakmesser.
Die 15-Jährige schaut sich um und entdeckt zwei Bundespolizisten.
Sie nähert sich ihnen, denn sie will ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Dazu starrt sie die Männer längere Zeit durchdringend an.
Und es funktioniert.
Die beiden kommen auf Saphir zu und einer fragt sie nach ihrem Ausweis.
Da greift Saphir in ihre Tasche und holt ihr Bahnticket hervor.
Sie reicht es dem einen Beamten.
Und dann sticht sie zu.
Sie trifft den Hals des Mannes, der daraufhin langsam zusammensackt.
Währenddessen stürzt sich sein Kollege auf Saphir, überwältigt sie und nimmt ihr das Messer ab.
Das YouTube-Video hat keine gute Qualität.
Mittlerweile ist es aber auch schon 13 Jahre alt.
Darauf zu sehen ist ein Mann mit heller Kopfbedeckung, der an einem großen, weißen Tisch sitzt.
Neben ihm ein kleines Mädchen mit rosafarbenem Kopftuch, das gerade mal so über den Tisch gucken kann.
Der Mann neben ihr stellt sie einem Publikum vor, das für ZuschauerInnen des Videos nicht zu sehen ist.
Er verkündet, hier haben wir Saphir, sieben Jahre alt und sie will auch in der Schule Kopftuch tragen, aber noch trägt sie es nicht.
Liegt das vielleicht daran, weil deine Lehrerin immer Theater macht?
fragt er an sie gewandt.
Nein, antwortet Saphir leise.
Daraufhin der Mann, ja, weil meistens ist es so, ne?
Meistens sagen die LehrerInnen dann, das arme Mädchen, die wird bestimmt gezwungen.
Aber es wäre doch toll, wenn Saphir die Erste wäre, die mit Kopftuch zur Schule ginge, erklärt der Mann.
Zustimmendes Gemurmel aus der Gemeinde.
Dann setzt der 29-Jährige zu einer Art Predigt an, in der es um Erziehung geht.
Er schwärmt von zweijährigen Mädchen, die sich, Zitat, irgendwas über den Kopf ziehen, das aussieht wie ein Kopftuch und dann stolz durch die Wohnung laufen.
In solchen Häusern würden die Mädchen zu keuschen Frauen erzogen.
Das sei die richtige Art.
Falsch hingegen sei es, sie erst mit 14 Jahren an das Kopftuch zu gewöhnen, weil dann habe sich das Mädchen ja schon längst mit der westlichen Kleidung identifiziert.
Aber Saphir hier sei das positive Gegenbeispiel.
Das ist die neue muslimische Generation, tönt er.
Der Mann, der in dem Video erklärt, er sei sehr stolz auf Saphir, ist Pierre Vogel, einer der bekanntesten salafistischen Prediger Deutschlands.
Der gebürtige Deutsche beruft sich, wie alle SalafistInnen, auf uralte Auslegungen des Korans.
SalafistInnen sind also sehr konservativ, manche Strömungen in ihren Interpretationen auch extrem,
weshalb der Salafismus vom Verfassungsschutz als gefährliche und extremistische Ideologie angesehen wird.
Pierre Vogel konvertierte 2001 zum Islam, als er auf der Suche nach dem Sinn des Lebens war.
Und er war sich sicher, ihn dann daran gefunden zu haben, so zu leben, wie Allah es nach seiner Auslegung vorschreibt.
Und so viele Menschen wie möglich davon zu überzeugen, es ihm gleich zu tun.
Sein primäres Ziel, das jüngere Publikum.
Sein Kanal, YouTube.
Dort gibt es von ihm unter anderem eine Videoanleitung zum Konvertieren, in dem er sagt, Zitat,
Wenn du dich vor der Hölle retten willst, wenn du zu den Gewinnern gehören willst, das Paradies erreichen willst, das ewige Leben erreichen willst und dich vom Islam überzeugt hast, dann solltest du den jetzt hier annehmen.
Ein anderer Clip heißt, ist es besser, eine Frau oder mehrere Frauen zu haben?
Ein anderer, so lebst du cool.
Mit seinem jugendlichen Sprachstil kommt er besonders gut bei Teenagern an.
Ihnen verkauft er seinen Glauben als den einzig richtigen, um im Leben zu gewinnen.
Dabei ist Vogels Weltbild strikt eingeteilt in für ihn islamisches und unislamisches Verhalten, in richtig und in falsch, in gut und böse.
Falsch sind so Sachen wie Alkohol trinken, Party machen oder für Frauen kein Kopftuch zu tragen.
Und so bringt er junge Menschen dazu, sich von ihrer nicht-muslimischen Lebensumwelt abzugrenzen.
Weshalb Sicherheitsbehörden seine Predigten als potenziell gefährlich für manche Jugendliche einstufen.
Vogel selbst distanziert sich zwar immer mal wieder in Postings auf Social Media von Gewalt und von Terror im Namen Allahs.
Doch diesen Worten stehen Taten gegenüber, die Gegenteiliges vermuten lassen.
So hat er beispielsweise im Mai 2011 ein öffentliches Totengebet für Osama Bin Laden geplant und in der Öffentlichkeit bereits T-Shirts mit dem Logo des IS getragen.
Dieser Mann sitzt da jetzt neben der kleinen Safir und zwei Jahre später gibt es ein zweites Video.
Auch in dem Clip zitiert die Neunjährige auswendig aus dem Koran und erzählt stolz, dass sie mittlerweile in der Schule Kopftuch trägt.
Kein Wunder, denn Pierre Vogel ist nicht der einzige Mensch, der Einfluss auf die kleine Safir hat.
Ihre Mutter, die aus Marokko stammt, erzieht sie und ihren Bruder Saleh streng religiös.
Ihr Vater, ein Deutscher, hat die Familie schon früh verlassen.
Und so ist die Mutter diejenige, die ihre Kinder regelmäßig in den deutschsprachigen Islamkreis Hannover schleppt,
in dem sich einige der radikalsten SalafistInnen Hannovers treffen.
Eine Moschee, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, weil der Verdacht besteht, dass Menschen dort radikalisiert werden.
Von klein an lernt Safir dort von teils fanatischen IslamistInnen, bekommt deren religiöse Vorstellung eingetrichtert,
das, was richtig und was falsch ist.
Und falsch ist, anders zu glauben und demnach anders zu leben.
Dazu kommt, dass ihre Mutter ihr einredet, dass sie von allen Ungläubigen gehasst wird.
Deswegen sind nicht-muslimische Freundinnen natürlich nicht erlaubt und auf Klassenfahrt oder ähnliches darf Safir sowieso nicht mit.
Die ganze westliche Welt wird für sie früh zum Feindbild erklärt.
Als sie dann ins Teenager-Alter kommt und wir alle anderen nach ihrem Platz in der Welt sucht,
denkt Safir, sie müsste eine Entscheidung treffen.
Denn auf der einen Seite ist da das liberale Deutschland,
in dem eine Mädchen wie ihr, die aufs Gymnasium geht und gute Noten hat,
gefühlt alle Türen offen stehen, die einen vielleicht auch ein bisschen überfordern können.
Und auf der anderen Seite ist da ihre Religion und die Gemeinschaft,
die ihr klare Regeln an die Hand und eine Rolle geben.
Da diese beiden Welten für sie nicht in Einklang zu bringen sind,
entscheidet sich Safir für eine Seite.
Genauso wie ihr zwei Jahre älterer Bruder Saleh und ihre gemeinsamen Freunde Muhammad und Ahmed.
Und mit der Zeit steigern sich die vier immer weiter in ihren Glauben,
werden immer extremer in ihren Ansichten.
Für sie kristallisiert sich ein Sinn des Lebens heraus,
und zwar ihre Religion gegen Andersgläubige zu verteidigen.
Wenn nötig mit Gewalt.
Ihre Vorbilder?
AnhängerInnen des sogenannten Islamischen Staates,
die das im Nahen Osten vormachen.
Auf ihrem Handy hat Safir Videos von Enthauptungen
und Bilder von einer vollverschleierten Frau mit Kalaschnikow.
Ihr Traum ist es, in Syrien zu leben
und einer jener Islamisten zu heiraten,
der dort mitgeholfen hat, einen Staat für ihr Volk zu errichten.
Mit 15 Jahren glaubt sie, es sei richtig,
einen heiligen Krieg zu führen.
Gegen Andersgläubige.
Und sie möchte selber kämpfen.
Auch wenn sie dafür sterben muss.
Als dann im November 2015 Paris von mehreren Terroranschlägen heimgesucht wird,
130 Menschen getötet und fast 700 verletzt werden,
ist Safir beseelt.
Einen Tag später schreibt sie ihrem Freund Mohamed, Zitat,
Gestern war mein Lieblingstag.
Allah segne unsere Löwen, die gestern in Paris im Einsatz waren.
Ein paar Tage später meldet sich Safirs Oma dann bei der Polizei.
Sie hat Angst, dass sich ihre Enkelin weiter radikalisiert.
Sie warnt die BeamtInnen,
doch die stellen keine ernsthaften Ermittlungen gegen die 15-Jährige an.
Zwei Monate später macht sich Safirs Bruder nach Syrien auf,
um sich dem IS anzuschließen.
Doch Saleh wird an der türkisch-syrischen Grenze verhaftet und ins Gefängnis gesteckt.
Im Februar will Safir schaffen, was ihrem Bruder nicht gelungen ist.
Weil sie erst 15 ist, kann sie nicht so einfach ins Ausland reisen.
Deshalb trägt sie ihren Vater aus, zu dem sie immer Kontakt gehalten hat.
Gibt vor ins Kino zu wollen, in einem Film ab 16, wofür sie die Einverständniserklärung ihrer Eltern braucht.
Ihr Vater unterschreibt einen Zettel, den er nicht genau liest.
Und ein paar Tage später hört er, dass seine Tochter in die Türkei gereist ist.
Dort trifft Safir am 22. Januar ein, mit einem One-Way-Ticket in der Tasche.
Schon am Abflugtag meldet ihre Mutter sie in Deutschland als vermisst und gibt den Behörden den Hinweis,
die Tochter wolle sich womöglich dem IS anschließen.
Als Safir in Istanbul ankommt, nimmt sie ein Taxi zu einem Hotel.
Dort hat sie Kontakt zu AnhängerInnen der Terrororganisation.
Der Plan ist, dass sie zunächst über die syrische Grenze in ein Haus für europäische und amerikanische AuswandererInnen gebracht wird
und von dort vermutlich weiter in die IS-Hochburg Raqqa.
Doch Safirs Mutter reist ihr nach und findet sie.
Sie will ihre Tochter mit zurück nach Deutschland nehmen.
Es gibt also eine Planänderung für Safir, die die ExtremistInnen aber für sich zu nutzen müssen.
Safir schreibt ihrem Kumpel Muhammad noch aus der Türkei heraus, Zitat,
Bruder, ich spreche mit Brüdern aus Syrien, hohe Angestellte der Regierung.
Sie haben mir gesagt, ich soll nach Deutschland zurückkehren.
Damit kann ich die Ungläubigen überraschen.
Sie haben mir gesagt, es hat einen größeren Nutzen.
Und mit dieser Anweisung erklärt sich Safir bereit, mit ihrer Mutter zurück nach Deutschland zu kommen.
Als die beiden dann am 26. Januar in Hannover landen, werden sie schon von der Polizei erwartet.
Die BeamtInnen befragen Safir zu ihrer Ausreise, die erklärt, sie habe nur Urlaub machen wollen.
Sie glauben ihr nicht und beschlagnahmen ihr Handy, informieren aber nicht das BKA über Safirs Reise nach Istanbul.
Die Behörde erfährt davon erst, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover gegen Safir ein Ermittlungsverfahren
wegen eines Ausreisevorgangs eingeleitet hat, weil sie eben im Verdacht steht, sich dem IS hatte anschließen wollen.
Anfang Februar informiert dann der Klassenlehrer von Safir den Schulleiter darüber,
dass er im Internet auf die Videos von Safir und Pierre Vogel gestoßen ist, die ihn extrem beunruhigen.
Daraufhin meldet sich der Schulleiter am 9. Februar bei der Polizei.
Doch die Infos werden nicht weitergegeben.
Zwei Tage später wird entschieden, dass aufgrund der Minderjährigkeit von Safir keine weiteren Ermittlungen
durch den Verfassungsschutz erfolgen sollen.
Obwohl Safir kein Handy mehr hat, schreibt sie in Hannover weiterhin über das Internet mit den IS-AnhängerInnen.
Denen übermittelt sie dann auch ein Bekenner-Video, in dem sie ihre Tat für die nächsten Tage ankündigt.
Kurz vor dem 26. Februar hat Safir dann Kontakt mit einer Person, die sich Layla nennt
und die ihr bei der Durchführung der sogenannten Überraschung helfen soll.
Sie gibt ihr konkrete Anweisungen, wo und wie der Angriff passieren soll.
Ein Polizist soll erstochen werden, dann soll sich Safir seine Waffe nehmen und um sich schießen.
Diesen Plan will Safir am 26. Februar in die Tat umsetzen.
Dabei verletzte er einen jungen Polizisten lebensgefährlich.
Der Mann hat bis heute mit den Folgen des unvermittelten Angriffs der 15-Jährigen zu kämpfen
und ist nicht zurück in den Dienst geschafft.
Wir hatten kein 15-jähriges Mädchen erwartet, die passte nicht ins Raster.
Das sagt später ein Kripo-Beamter vor dem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung möglicher Sicherheitslücken
bei der Abwehr terroristischer Bedrohung in Niedersachsen.
Tatsächlich gelangt die Polizei Hannover nämlich auch noch drei Tage nach dem Angriff
zu der Einschätzung eine islamistisch motivierte Tatscheide aus.
Eine Fehleinschätzung, wie sich herausstellt.
Eine Tat, die hätte verhindert werden können, wie sich herausstellt.
Nicht nur war die Polizei dreimal vor Safir gewarnt worden.
Von der eigenen Oma, Ende November.
Von der eigenen Mutter, Ende Januar.
Und vom Schuldirektor Anfang Februar.
Die Polizei hatte sogar die Hinweise auf einen konkreten Anschlag ab dem 26. Januar in ihren Händen.
Einen Monat bevor der Polizist lebensgefährlich verletzt wurde.
Mit dem Handy?
Genau, sie hatten ja das Handy beschlagnahmt und darauf waren die Anweisungen auf Arabisch in Textnachrichten
abgespeichert.
Hätten sie die Daten auf dem Handy geprüft, hätten sie reagieren können.
Doch durch die Ermittlungen kommen noch mehr Versäumnisse ans Licht.
Denn Safir ist keine Einzelkämpferin.
Sie hat Freunde, die sich mit ihr radikalisiert haben und mit denen sie in ständigem Kontakt ist.
Saleh, Muhammad und Ahmed.
Und die sind den Behörden bereits bekannt.
Von ihrer Radikalität wissen die niedersächsischen Behörden nämlich spätestens seit Sommer 2015.
Denn damals bekommen sie vom Verfassungsschutz die Nachricht, dass der 24-jährige Ahmed eine Reise nach Kabul plane, um dort Anschläge zu verüben.
Daraufhin reagieren die Behörden auch, stufen ihn als Gefährder ein und nehmen ihm den Pass weg.
Obwohl er sich dreimal die Woche bei der Polizei melden soll, wird er im Sommer 2016 spurlos untertauchen.
Muhammad, dem Safir vor ihrer Tat noch geschrieben hat, ist ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt.
Gegen ihn läuft ein Ermittlungsverfahren wegen eines geplanten Terroranschlags auf das Fußballstadion in Hannover.
Am 17. November 2015 war ein Länderspiel kurz vor Abpfiff abgesagt worden, nachdem es einen Hinweis eines ausländischen Geheimdienstes gegeben hat.
Auf Muhammad wurden die Behörden aufmerksam, als sie ein Video fanden, in dem der 19-Jährige in dem völlig geräumten Stadion steht und
Saphirs Bruder Saleh ist auch polizeibekannt.
Er war, bevor er im Januar nach Syrien reisen wollte, wegen Messerstecherei versuchten Totschlags, Körperverletzungen und Verstoßes gegen das Waffengesetz aufgefallen.
Was die Behörden allerdings noch nicht wissen, drei Wochen vor Safirs Messerattacke und kurz vor seiner Ausreise nach Syrien,
hatte Saleh vom Dach eines Einkaufszentrums in Hannover Molotow-Cocktails auf PassantInnen geworfen.
Die Brandsätze hatten sich wegen eines Konstruktionsfehlers allerdings nicht richtig entzündet, sodass niemand verletzt wurde.
Ich wollte gerade sagen, das habe ich gar nicht mitgekriegt.
Saleh wird später gestehen, dass er aus islamistischen Motiven gehandelt hat, dass er so viele Menschen wie möglich habe töten wollen.
Im Juni 2017 wird er, nachdem er aus der Türkei nach Deutschland überstellt wurde, daher wegen siebenfachen versuchten Mordes zu acht Jahren Haft verurteilt.
Hätten die Behörden Safir gecheckt und eine sogenannte Umfeldaufklärung durchgeführt, wäre klar geworden, dass Safir Kontakt zu den bereits radikalisiert und als gefährlich eingestuften Mohammed und Ahmed hatte.
Hätten die Behörden die Warnung der eigenen Eltern ernst in den Bezug zu ihrem radikalisierten Bruder wahrgenommen, dann hätte Safir höchstwahrscheinlich vor der Tat gestoppt werden können.
Wurde sie aber nicht.
Und so beginnt im Oktober 2016 der Prozess vor dem Oberlandesgericht Zelle.
In dem Gerichtssaal herrscht ein ungewöhnliches Bild. Auf der einen Seite nimmt der Staatsschutzsenat des Oberlandesgericht in einem durch mehrere Sicherheitsschleusen abgeschirmten und von schwer bewaffneten Polizisten umstellten Saalplatz.
Auf der anderen sitzt eine mittlerweile 16-jährige Angeklagte. Ein schlagsiges Mädchen mit Kopftuch und Brille in hellgrauem Kapuzenmantel.
Der Richter fragt Safir, ob er sie siezen und mit Nachnamen ansprechen soll.
Safir und du reicht auch, antwortet sie leise.
Angeklagt ist sie wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzungen und Unterstützung der ausländischen Terrorvereinigung Islamischer Staat.
Die Staatsanwaltschaft sagt, Safir wollte den Polizisten töten, ihm die Dienstwaffe abnehmen und anschließend um sich schießen.
Dabei habe sie mit ihrem Märtyrer tot gerechnet.
Neben Safir ist auch Mohamed angeklagt, da er von ihren Plänen gewusst haben soll.
Da beide sie jung sind, findet der Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weshalb nicht so viel über die eigentliche Verhandlung bekannt ist.
Was man aber weiß ist, dass Safir ihr Opfer um Verzeihung bittet.
Während sie in U-Haft saß, hatte sie ihm bereits einen Brief geschrieben, in dem sie sich, Zitat, von ganzem Herzen entschuldigt.
Ein Argument für Safirs Anwalt, dass sie keine echte Terroristin sei.
Radikale Attentäter haben sich, glaube ich, noch nie bei ihren Opfern entschuldigt, so der Jurist.
Für ihn ist die Unterstützung der Terrormiliz nicht erwiesen.
Außerdem ist er der Meinung, es habe sich nicht um versuchten Mord gehandelt, sondern lediglich um gefährliche Körperverletzungen.
Er bittet das Gericht, eine milde Strafe walten zu lassen, weil ein 15-jähriger Teenager noch keine gefestigten Einstellungen haben könnte.
Der Bundesanwalt plädiert auf sechs Jahre Haft.
Ende Januar wird das Urteil von einer Pressesprecherin für die Öffentlichkeit verkündet.
Safir wird wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sechs Jahren Jugendstrafe verurteilt.
Ihr Kumpel Muhammad bekommt zweieinhalb Jahre wegen Nichtanzeigen einer geplanten Straftat.
Im Urteil gegen Safir steht, sie habe den Polizisten töten wollen, weil sie in ihm einen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland gesehen habe.
Deutschland betrachte sie demnach als Gebiet des Unglaubens, deren BewohnerInnen als Feinde des Islams.
Mit ihrer Märtyrer-Operation habe sie den IS unterstützen wollen.
Somit wird die Tat als allererster vom IS-Beauftragter-Terroranschlag überhaupt in Deutschland gewertet.
Die 16-jährige Terroristin kommt in Haft.
Dort erlebt Safir paradoxerweise eine Freiheit, die sie bisher nicht kannte.
Dass sie Muslima ist, hat ihr keine Bedeutung.
Das Kopftuch legt sie ab.
Von den anderen Frauen wird Safir so akzeptiert, wie sie ist.
Ein ruhiges, freundliches und intelligentes Mädchen.
So findet sie schnell Freundinnen.
Eine richtige Mädchen-Clique.
In Haft tult Safir ihren Realschulabschluss nach und macht einen Fernlehrgang, der sie aufs Abitur vorbereitet.
Mittlerweile nennt sie sich anders, möchte nicht mehr Safir sein.
Die, die im Namen des IS unschuldige Menschen töten wollte.
Sie wünscht sich nach ihrer Entlassung eine neue Identität annehmen zu können und ihr Abi zu machen.
Das soll am liebsten noch dieses Jahr passieren.
Denn Safir hat vor kurzem einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt.
Es sieht ganz so aus, als seien die vier Jahre im Gefängnis genau das gewesen, was Safir gebraucht hat, um ihren Platz in der Welt zu finden.
Und diesmal hoffentlich den richtigen.
Das ist ja abgefahren, dass man im Gefängnis sich entradikalisieren kann, weil oft ist es ja genau andersrum.
Ich glaube, bei den jungen Leuten, darauf komme ich dann gleich auch noch mal in meinem Aha, wird sehr viel Anstrengung betrieben, ihnen dabei zu helfen.
Normalerweise kommt man ja unter anderem ins Gefängnis, auch um die Außenwelt vor der Person zu schützen.
In diesem Fall hört es sich eher so an, als hätte man im Gefängnis Safir vor der Außenwelt schützen können, das erste Mal.
Ja, das war halt wirklich so, die kannte überhaupt gar nichts anderes, ja.
Also von der Familie und dann diesem Umfeld und immer nur alles andere ist böse und man darf keine Kontakte zu anderen nicht-muslimischen MitschülerInnen haben.
Also ich finde eben, in dem Fall kann man sagen, dass sie als Täterin auch ein Opfer auf jeden Fall war.
Das würde ich auf jeden Fall auch so sehen.
Junge Menschen wie Safir, die sind ja dann eben wegen ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld sowieso schon gefährdeter als andere Jugendliche, sich zu radikalisieren.
Aber es werden ja auch Teenager aus nicht-religiösen Familien zu ExtremistInnen.
In den letzten Jahren sind nämlich insgesamt mehr als tausend IslamistInnen aus Deutschland Richtung Syrien und Irak ausgereist, um sich dem IS anzuschließen.
Nur mal ganz kurz ein Einwurf, wir sagen hier jetzt mal IS, wir meinen damit immer den sogenannten IS und dröseln jetzt hier mal nicht genau auf, warum es in dem Sinn zumindest spätestens heute eigentlich kein Staat ist und manche dann doch der Meinung sind, bla bla bla, also denkt euch das Staat in Tüderchen.
Genau. Und von diesen mehr als tausend Menschen waren 25 Prozent davon ausschließlich deutsche StaatsbürgerInnen.
20 Prozent waren Frauen, 5 Prozent Minderjährige und von den unter 18-Jährigen war die Hälfte weiblich und eine von ihnen Safir.
Warum vor allem junge Menschen für den IS attraktiv sind, hat mir Thomas Mücke vom Violence Prevention Network erzählt, dessen Verein sich um gefährdete und radikalisierte Teenager kümmert.
Ja, junge Menschen sind natürlich auch beeinflussbar, weil sie auf der Suche sind nach Anerkennung, nach Geborgenheit, zu wissen, wo stehe ich in dieser Gesellschaft da, die suchen nach der eigenen Identität.
Und vor allem dann auch in dem Alter, wo sie vielleicht auch in Konfliktsituationen mit ihrem Umfeld sind und sich nicht verstanden fühlen daran, dann greifen diese Organisationen sofort zu und versuchen ihnen ein Angebot zu machen und merken nicht, dass sie eigentlich für ideologische Zwecke instrumentalisiert werden.
Um die jungen Menschen für sich zu gewinnen, steht dann beim ersten Kontakt zum extremistischen Milieu nicht etwa die Ideologie im Vordergrund, sondern die Gemeinschaft.
Und das ist ja in vielen Szenen so.
Also das sieht man ja bei Rechtsradikalen, bei Jesus-FanatikerInnen oder auch bei Sekten.
Das hatten wir ja auch schon in unserer Folge mal angesprochen.
Genau, in Folge 35.
Und das sieht hier ganz ähnlich aus.
Also junge Leute werden dann von Bekannten oder Gleichaltrigen zu Veranstaltungen eingeladen, auf denen sie dann mit offenen Armen empfangen werden und dann auch plötzlich ein Teil einer Gruppe sind.
Und wenn sie dann öfters dabei waren, dann wird ihnen dann nach und nach die Ideologie näher gebracht und gleichzeitig werden sie dadurch von ihrem sozialen Umfeld entfremdet.
Es gibt aber ja auch junge Menschen, die über das Internet Kontakt zu solchen extremistischen Gruppen finden, so Thomas Mücke.
Wenn man jetzt zum Beispiel sich anfängt, für das Thema Islam zu interessieren und man geht ins Internet, dann ist man sehr schnell auf diesen doch sehr problematischen Seiten und die Leute merken, dass da Kontakt aufgenommen wird.
Und dann ist man sehr schnell in diesen digitalen Netzwerken drin.
Und letztendlich geht es um dasselbe Bedürfnis, nämlich mit anderen Menschen zusammenzukommen, dieses Wir-Gefühl zu haben, diese Zuhörigkeiten, diese Anerkennung.
Denn wir können schon beobachten bei Menschen, die im Internet rekrutiert werden, dass sie weitgehend sozial isoliert sind.
Also das Internet ist dann ihre einzige soziale Kontaktmöglichkeit, die sie haben.
Und das wird dann auch benutzt.
Auch hier geht es erstmal darum, emotionale Bedürfnisse zu befriedigen, diese danach zu ideologisieren, danach das eigene Denken aufzugeben.
Und immer mehr wird dann Gewalt und Hass weitervermittelt, sodass die Personen irgendwann mal tatsächlich auch das tun, was man von ihnen erwartet.
Irgendwann dann eben auch Gewalt.
Und das verkaufen sie den Leuten dann so, als wäre das alles Teil einer ganz wichtigen und großen Sache.
Also nach dem Motto, du bist jetzt die Person, die nicht mehr nur hinschaut, sondern die, was tut und aktiv wird.
Also die Person, die etwas für ein größeres Wohl tut.
Und außerdem ist es ja auch so, dass Gewalt gegen Andersgläubige im extremistischen Islamismus damit gerechtfertigt wird, dass man sich ja dann da mit Gottes Willen fügt.
Also nach ihrer Auslegung des Korans.
Und deshalb dann auch belohnt wird, auch wenn das erst im Jenseits passiert.
Das ist ja überhaupt das Dümmste daran, ne?
Also dieser eine, der aus Deutschland ins Terrorcamp nach Syrien ist, der für den Märtyrer-Tod tatsächlich 72 Jungfrauen im Paradies versprochen bekommen hat.
So und nicht, dass ich nicht auch eventuell an etwas nach dem Tod glaube, aber von 72 Jungfrauen habe ich jetzt noch nie jemanden sprechen hören mit einer Nahtoderfahrung.
Ja, 72 ist halt auch sehr konkret. Ich frage mich, was jetzt ist, wenn er am Ende zum Beispiel nur 71 bekommen hat.
Ich glaube da eh fest an Übersetzungsfehler. Also es warten eiserne Jungfrauen auf die Männer.
Eiserne Jungfrauen? Was ist das?
Das ist dieses Foltergerät, was von innen hohl ist mit den Pieksern.
Aber wenn Menschen eben bereits so radikalisiert sind, quasi eine Gehirnwäsche hinter sich haben, dann glauben sie tatsächlich irgendwann wirklich daran, an die 72.
Was dazu ganz gut passt, ist ein Zitat von Voltaire.
Und zwar, wer dich veranlassen kann, Absurditäten zu glauben, der kann dich auch veranlassen, Gräueltaten zu begehen.
Und so war das ja bei Safia. Diese IS-AnhängerInnen, die weit entfernt von Syrien aus mit ihren Kontakt waren, die konnten sie dazu bringen, einen unschuldigen Polizisten anzugreifen.
Und diese 15-Jährige dachte auch noch, das ist jetzt genau das Richtige.
Wenn man dann einmal so weit ist wie Safia, dann ist es natürlich schwierig, sich wieder von der Ideologie zu lösen.
An diesem Punkt kommen dann eben die SozialarbeiterInnen des Vereins Violence Prevention Network ins Spiel, die dann in Haft mit den radikalisierten Jugendlichen arbeiten.
Thomas Mücke hat mir erzählt, was dabei zunächst besonders wichtig ist.
Wohlwissend, dass natürlich diese Menschen erstmal ein ganz großes Misstrauen hat zu all dem, was sie nicht kennen und was nicht zu ihrem extremistischen Milieu gehört.
Und das heißt, man muss signalisieren, das Interesse an der Person.
Und man darf nicht hineingehen mit einer, wir nennen das immer Gegennarrative.
Also was du sagst, ist nicht die Wahrheit und ich versuche die Person zu überzeugen, dann habe ich ja auch einen Wahrheitsanspruch.
Sondern die Menschen dazu zu bewegen, wieder eigenständig zu denken, wieder Fragen stellen zu dürfen, diskutieren zu dürfen, unterschiedliche Sichtweisen sich anzuhören.
Ein weiterer wichtiger Punkt für die SozialarbeiterInnen ist, die betroffene Person nach der Haftentlassung wieder in die Gesellschaft einzugliedern, von der sie sich ja so entfernt haben.
Und dabei muss man halt aufpassen, dass die Personen nicht wieder in ein altes Muster zurückfallen, weil man will sie auch nicht von ihren Familien trennen.
Und deshalb werden Teenager wie Safir, und das wird auch bei ihr so sein, nach der Haft noch jahrelang von den SozialarbeiterInnen begleitet.
Aber das Network kümmert sich nicht nur um bereits straffällig gewordene Personen, sondern ist auch aktiv, was jetzt Prävention in Schulen angeht oder auch Interventionen.
Thomas Mücke hat mir am Ende unseres Gesprächs noch erklärt, wieso die Arbeit seines Vereins so wichtig ist.
Ganz besonders sehr junge Menschen sind eben nicht nur Täter, Täterinnen, sondern sie sind auch Opfer des Extremismus.
Man hat sie benutzt, man hat sie instrumentalisiert und man muss diesem Menschen auch eine zweite Chance geben.
Das ist ganz wichtig.
Und Extremisten gefährden das Kindeswohl.
Und das Kindeswohl sollte uns allen am Herzen liegen.
Und deswegen ist es ganz wichtig, dass wir gerade junge Menschen versuchen, sehr frühzeitig aus der extremistischen Szene herauszulösen.
Aber dafür ist der Verein eben auf Mithilfe angewiesen, weil die melden sich nicht selber da, ist ja klar.
Also auf Hinweise zum Beispiel von Familienangehörigen oder Bekannten.
Und deshalb gilt auch für uns beide und für euch, wenn ihr eine Person in eurem Bekanntenkreis habt, bei der ihr irgendwie eine Veränderung spürt,
die sich vielleicht auf einmal viel mit Ideologien beschäftigt oder auch immer extremere Ansichten äußert.
Dann könnt ihr euch direkt an den Verein wenden.
Und den Link dazu und die zentrale Hotline, die packe ich euch in die Beschreibung.
Gleich zu Beginn, weil wir hier heute über Terrorismus reden und auch noch erfahren werden, was der Sinn hinter solchen Angriffen ist,
werde ich nur das vom Täter erzählen, was nötig ist, um die Geschichte verstehen zu können.
Ich könnte eine ganze Folge zu ihm machen, aber hier geht es vor allem um die Opfer.
Und obwohl ihr den Namen alle kennt, werde ich ihn nicht nennen.
Das hat in diesem Fall nichts mit Persönlichkeitsrechten zu tun, sondern mit Verantwortung, weil der Täter will, dass man den Namen nennt.
Und sorry.
Nö.
Ganz friedlich liegt sie da, im Tyreefjord, einer der größten Binnenseen Norwegens.
Bis zum Felsland sind es nur 600 Meter.
Die Fähre braucht nur ein paar Minuten, um Besucher nach Uteja zu bringen.
Die kleine Insel ist nur elf Hektar groß, man kann sie schnell umrunden.
Durch ihre ganze Fläche ziehen sich Lichtungen, große Steinklippen.
Es gibt eine Bucht und natürlich ein Pier, an dem die Fähre anlegt.
Von oben sieht Uteja fast ein bisschen aus, wie gemalt.
Um die Insel herum führt ein kleiner Laufweg, der der Pfad der Verliebten getauft wurde.
Der heißt nicht ohne Grund so, die Jugendlichen nutzen ihn oft, um dort Händchen zu halten und rumzumachen.
Seit über 60 Jahren ist die Insel im Besitz der AUF, der Jugendorganisation der Regierenden Sozialdemokratischen Partei.
Jedes Jahr veranstaltet die Partei ein Sommercamp für ihre Nachkommen.
Und das ist sehr beliebt.
Jugendliche aus dem ganzen Land kommen, um dort ein paar Tage zu verbringen.
Für viele ist es das Highlight des Sommers.
Es gibt mehrere Workshops, politische Debatten, aber auch eine Modenschau, Fußballturniere, ein Quiz und sogar Speeddating.
Abends sitzt man um ein riesiges Lagerfeuer herum und immer spielt jemand Gitarre.
Wenn es nachts auf die Zeltdächer regnet, ist das Plätschern meist lauter als die Jugendlichen, die viel länger wach bleiben, als sie sollten.
Alle finden es mega cool und erzählen noch davon, wenn die Schule schon wieder angefangen hat.
Auch an diesem Wochenende, im Juli 2011, sollen 530 Teenager ihre Zeit auf der Insel verbringen.
Eine von ihnen ist Sophie.
Die 17-Jährige hat sich die ganzen letzten Wochen darauf gefreut.
Alle ihre Freunde und Freundinnen sind hier.
Sophies langes, dunkelbraunes Haar mit Rotstich hebt ihre hellblauen Augen total hervor.
Seit vier Jahren kommt sie jeden Sommer hierher.
Gemeinsam mit Leia.
Leia ist Sophies beste Freundin.
Mehr noch.
Die beiden sind füreinander wie Schwestern.
Für beide ein Segen, denn sie haben beide nur Brüder und wollten immer unbedingt eine Schwester.
Jeden Dienstag schauen sie zusammen Grace Anatomy und reden endlos über Meredith und Derek.
Und wenn Leia mal auf ihren Bruder aufpassen muss, dann wird halt über SMS kommuniziert.
Alles wird miteinander geteilt.
Jungsgeschichten, Klamotten, Sorgen über Klausuren und hier im Sommercamp eben auch das Zelt.
Gemeinsame Pläne für die Zukunft haben die beiden auch schon.
Sie wollen in Ostloh in einer WG zusammen wohnen.
Leia will dann in die Partei eintreten.
Und Sophie will Eventmanagerin werden, vielleicht aber auch zur Polizeischule.
So genau weiß sie das gerade noch nicht.
Heute ist für alle ein ganz besonderer Tag im Camp.
Die ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland hält am frühen Vormittag einen Vortrag.
Und der ist gut besucht.
Vor dem Versammlungsraum tummeln sich hunderte Paar Schuhe.
Man darf nämlich nur mit Socken rein.
Drinnen ist es ganz feucht und stickig, während draußen der Regen langsam den Boden aufweicht.
Ein typischer Sommertag in Norwegen.
Heute sind alle noch ein wenig aufgedrehter als sonst.
Erst der Vortrag von Brundtland mit anschließendem Meet & Greet.
Und heute Abend ist dann auch noch die Disco-Nacht.
Darauf freuen sich Sophie und Leia schon besonders.
Doch dann wird Sophie aus ihrer Vorfreude gerissen.
Sie schaut auf ihr Handy.
Da steht, Explosion in Oslo.
Es dauert eine Weile, bis es bei ihr ankommt.
Moment, was?
Direkt im Regierungsviertel, also dort, wo viele Ministerien sind und auch der sozialdemokratische Ministerpräsident Jens Stoltenberg sitzt, gab es eine Explosion.
Den Hintergrund weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Auf jeden Fall gibt es Verletzte.
Sofort spekulieren alle im Camp wie wild.
Ist das ein Anschlag?
Fragt jemand.
Nein, das war sicher eine Gasexplosion, vermutet eine andere Person.
Viele der Jugendlichen haben Eltern, die für die Partei im Regierungsviertel arbeiten und sorgen sich natürlich.
Dann macht sich ein Gefühl der Unsicherheit breit.
Und was, wenn es wirklich ein Anschlag auf die regierende Partei war?
Da gehören sie immerhin auch irgendwie dazu.
Und Utilia ist nur knapp 40 Kilometer von Oslo entfernt.
Sophie und Leia erfahren, dass es um 16.30 Uhr eine Ansprache im großen Versammlungsraum geben soll.
Also trudeln sie zusammen mit den anderen Jugendlichen zur großen Bühne.
Der Vorsitzende der Jugendorganisation kann aber auch nicht sehr viel mehr erzählen, als man nicht eh schon von den Nachrichtenagenturen weiß.
Die aktuellen Meldungen erzählen, dass es eine Autobombe gewesen sein soll und es Tote gibt.
Sophie schaut sich um.
Zwar sind alle nach außen hin ruhig, ist jetzt nicht so, dass jemand schreit, aber sie sieht sie in den Augen ihrer Freundinnen und Freunde.
Die Angst.
Die Panik.
Dann betritt Mutti Utilia die Bühne.
Eigentlich heißt sie Monika und sie ist Mitte 40 und arbeitet schon seit 20 Jahren hier auf der Insel.
Dies ist Mutti Utilias letzter Sommer hier.
Sie wird demnächst als Direktorin für das Schifffahrtsmuseum arbeiten.
Mutti Utilia findet tröstende Worte für die Jugendlichen.
Sie schlägt vor, dass alle ihre Eltern anrufen, wenn nicht schon getan, um sicherzugehen, dass es ihnen gut geht.
Ihr seid hier auf Utilia, das ist der sicherste Ort, versichert sie.
Immerhin ist es eine Insel und die kann man nur über die Fähre erreichen.
Und das scheint zu fruchten.
Die Disco für heute Abend wird zwar aus Respekt den Opfern gegenüber abgesagt, dafür werden sie aber gemeinsam grillen.
Die Menge löst sich auf, die meisten kehren durch den Matsch zurück in ihre Zelte, versuchen sich dort abzulenken, spielen Karten.
Aber die Verunsicherung bleibt.
Dann erzählt jemand, dass mit der nächsten Fähre die Polizei vom Festland nach Utilia kommen soll
und eine routinemäßige Kontrolle wegen der Bombe im Regierungsviertel durchführen wird.
Man solle sich nicht erschrecken, denn wegen der aktuellen Lage ist der Polizist, der als erstes ankommen wird, voll bewaffnet.
Mutti Utilia und ihr Partner sind gerade mit der Fähre los, um ihn abzuholen.
Als sie Fähre am Pier anlegt, will Sophie gerade nochmal zur Cafeteria und gucken,
ob im Gemeinschaftshaus jemand Neuigkeiten aus Oslo berichten kann.
Leia will nicht, dass ihre Freundin geht. Irgendwie plagt sie ein komisches Gefühl.
Sophie beruhigt sie. Ich bin noch in zehn Minuten wieder zurück. Warte doch einfach hier mit den anderen.
Dann nimmt Sophie Leia in den Arm. Die beiden halten sich ganz fest.
Tidua, sagt Sophie. Wie immer, wenn sich die beiden verabschieden.
Das ist albanisch und heißt, ich liebe dich. Leias Eltern kommen aus dem Kosovo.
Dann lösen die beiden ihre Umarmung, halten sich aber noch an den Händen,
entfernen sich ganz langsam, bis sich nur noch die Fingerkuppen aneinander halten.
Dann geht Sophie.
Es ist 17.18 Uhr, als der Mann, der nach den Jugendlichen sehen will, die Insel betritt.
Er trägt schwarze Klamotten, die Polizeisymbole an den Armen,
eine schusssichere Weste, einen Pistolenholster und Stiefel mit Spitzensporen an den Absätzen.
Er hat hellblaue Augen, blondes, lichtes Haar, ist vollgepumpt mit Steroiden und Koffein.
Er geht ganz langsam und wirkt ruhig.
Begleitet wird er von Mutti Utuya und zwei Sicherheitsbeamten der Insel.
Die geben per Funk an die Aufsichtsperson weiter, dass die Polizei will, dass sich alle zusammenfinden.
Plötzlich zerreißt ein lauter Schuss die Ruhe auf Utuya.
Als Sophie den hört, ist sie gerade in der Cafeteria angekommen.
Wie geschmacklos, denkt sie sich.
Wer erlaubt sich denn jetzt bitte einen Spaß mit einer Airgun oder Feuerwerk?
Und noch ein Schuss.
Und noch einer.
Sie schaut aus dem Fenster und sieht, wie Jugendliche wild durch die Gegend rennen und schreien.
Lauf.
Panik breitet sich aus.
Erst im Essensraum, dann im ganzen Versammlungsgebäude.
Die Jugendlichen rennen umher, einige fallen, andere laufen über sie hinweg.
Einer der Aufpasser tritt an die Tür der Cafeteria und schreit Richtung Zeltlager, dass sie verschwinden sollen.
Sophie sieht nicht, woher die Schüsse kommen.
Wer schießt überhaupt? Sind es mehrere?
Plötzlich legen sich alle auf den Boden.
Teilweise übereinander, weil gar nicht so viel Platz ist.
Die Schüsse kommen näher.
Irgendwas packt Sophie in diesem Moment.
Sie muss hier weg.
Sie rennt in die Küche.
Von der Cafeteria bis dahin sind es eigentlich nur fünf Meter.
Aber für Sophie führt es sich ewig lang an.
Alles passiert irgendwie in Slowmotion.
Sie blickt sich hastig in der Küche um, auf der Suche nach einem Versteck.
Der Kühlschrank.
Sie läuft auf ihn zu, reißt die Tür auf, quetscht sich rein und schließt die Tür von innen.
Darin kauert sie, versucht ihren Atem so ruhig wie möglich zu halten.
Der Mann, der sich als Polizist getarnt hat und auf die Insel gekommen ist, um ein Massaker anzurichten, hat das Feuer auf die Camper eröffnet.
Und so wird aus Utoya, dem vermeintlich sicheren Ort, wie Mutter Utoya meinte, eine Falle.
Als Mutter Utoya den Mann auf die Insel brachte, schoss er zuerst auf einen der Sicherheitsbeamten und dann auf sie.
Als die ersten Jugendlichen sehen, wie der Mann KameradInnen, Aufpasser und FreundInnen niederschießt, beginnt das Aufgeregte durcheinander.
Alle laufen in verschiedene Richtungen, ohne wirklich zu wissen, wohin.
Die Küste kann man wegen der Steinklippen nicht von jeder Seite der Insel erreichen und wo dann dort verstecken.
Der uniformierte Mann hat ein automatisches Gewehr dabei und zählt aus knapp 30 Metern Entfernung auf die Fliehenden.
Die Kugeln schlagen in die Bäume ein, in den Boden.
Kleine Kieselsteine werden aufgewirbelt und peitschen den Jugendlichen beim Davonrennen von hinten gegen die Waden.
Sie schießen, hört man warnende Rufe durch die Bäume schreien.
Gefolgt von weiteren Schüssen.
Alle drei Sekunden.
Dann wird der Wald ruhiger, der Mann ist wieder Richtung Cafeteria abgedreht.
Dort verstecken sich viele der Jugendlichen, die noch nicht wissen, von wem die Schüsse ausgehen.
Ihre Köpfe schauen durch die Fenster, sie versuchen zu verstehen, was hier gerade passiert.
Dann erblicken sie den Polizisten.
In der Annahme, dass das der Mann ist, der ihnen helfen will, fragen sie ihn, was los ist.
Er ruft ihnen zu, dass sie weg von den Fenstern gehen und sich auf den Boden legen sollen.
Er wird kommen und ihnen helfen.
Sophie hockt währenddessen immer noch im Kühlschrank, sitzt dort in der Kälte, hört, wie die Schüsse plötzlich wieder ganz nah sind.
Wieder Schreie aus dem Nebenraum.
Einer ist ganz lang gezogen und wird erst von einem Schuss unterbrochen.
Der Mann schießt nebenan auf jede Person, die ihm vor die Nase kommt.
Einmal muss er seine Pistole nachladen.
In der Zeit versuchen einige durchs Fenster und durch die Türen zu fliehen, aber es staut sich vor den Ausgängen.
Manche liegen regungslos auf dem Boden.
Der Mann tritt sie entweder mit den Füßen, um zu sehen, ob sie noch leben oder schießt nochmal auf sie.
Danach verlässt er das Gebäude, geht wieder Richtung Zeltplatz.
Wenn Sophie so da sitzt zwischen den Lebensmitteln, denkt sie, wenn es mehrere sind, dann schauen sie vielleicht gerade hier nach und dann stehe ich mit dem Rücken zur Wand.
Dann kann ich nirgends mehr hin.
Also öffnet sie vorsichtig die Tür vom Kühlschrank und rennt, rennt so schnell sie kann durch die Gemeinschaftsräume mit den Toten auf dem Boden, raus aus der Hintertür in die Wälder, ohne sich umzugucken.
Der Mann ist mittlerweile beim Schulgebäude auf der Insel angekommen.
Hier vermutet er, wenn sich viele verstecken.
Doch durch die Tür kommt er nicht. Auf der anderen Seite steht ein Mann und drückt sich dagegen.
Der vermeintliche Polizist schießt durch die Tür und hört wie von innen Schreie nach außen dröhnen.
Dass er diesmal niemanden getroffen hat, weiß er nicht.
Er beschließt erstmal aufzugeben. Bei seiner Überfahrt hatte er einen Kanister mit Diesel bei sich gehabt, mit dem Plan später die Gebäude auf der Insel im Brand zu stecken.
Sophie rennt.
In der Nähe gibt es eine Bucht, da könnte sie Zuflucht finden.
Aber man muss hinschwimmen, anders erreicht man die Bucht nicht.
Also rennt sie runter zur Küste, zieht sich ihre Jogginghose und ihre Socken aus, steckt sich ihr Handy zwischen die Zähne und schwimmt.
Das Wasser ist eiskalt.
Die Idee hatten auch andere.
In der Bucht kauern schon einige und suchen Schutz.
Als so viel dort ankommt, nehmen sie die anderen in den Arm.
Von dort aus sieht man, wie einige unter der Klippe hocken.
Andere versuchen von der Insel weg zu schwimmen.
Die Schüsse kommen näher.
Einige aus der Gruppe wimmern.
Sophie ist sauer, die anderen sollen gefälligst leise sein.
Jedes Geräusch könnte die TäterInnen auf ihr Versteck aufmerksam machen, denkt sie.
Plötzlich ertönt es laut aus Sophies Handy.
All the singer ladies, all the singer ladies.
Wasser ist auf ihr Display getropft und hat die Musik starten lassen.
Sophies Herz rutscht in die Hose.
Sie wirft ihr Handy ins Wasser.
Dann sieht sie, wie Patronen ins Wasser geschossen werden.
Er muss aus den Wäldern dicht ans Ufer gekommen sein und zieht auf die, die wegschwimmen wollen.
Eine Weile hockt die Gruppe in der Bucht einfach nur da und klammert sich aneinander.
Da fällt Sophies Blick auf das Pumpenhäuschen der Insel.
Sie sieht, wie ein Polizist sich langsam darauf zubewegt und mit den Jugendlichen, die sich dort verstecken, spricht.
Einige haben sich hinter die Wand des Hauses gekauert und kommen nun vorsichtig aus ihrem Versteck.
Auch diese Jugendlichen wissen noch nicht, wer auf ihre Freundinnen gefeuert hat.
Sophie ist erleichtert.
Endlich ist Hilfe da.
Währenddessen fragt der Polizist die Gruppe, ob sie den Mann schon gesehen haben, der schießt.
Sie verneinen.
Der Mann sagt, am Wasser wartet ein Boot, um euch in Sicherheit zu bringen.
Ein Mädchen wird misstrauisch.
Sie fordert ihn, auf sich auszuweisen.
Da schießt er.
Als Sophie das sieht, kommt ihr irgendwie der Gedanke, dass sie sich so einen Terroristen gar nicht vorgestellt hat.
Der Mann schwingt nur ganz langsam seine Waffe von rechts nach links, drückt dann ganz ruhig wieder ab.
Sophie meint ein Lächeln auf seinem Gesicht zu erkennen.
Derweil nähert sich ein Hubschrauber der Insel.
Er fliegt sehr tief.
Der Mann mit der Pistole überlegt, kurz ihn abzuschießen, entscheidet sich dann aber dagegen, um seinen Aufenthaltsort nicht zu verraten.
Er muss überleben, um später Phase 3 seines Plans einzuleiten.
In dem Hubschrauber sitzen aber auch keine Einsatzkräfte, sondern ein Fernsehteam, das das Massaker von oben mit der Kamera aufnimmt.
Sophie rennt ins Wasser.
Hier in der Bucht kann sie nicht bleiben, das Versteck wird er gleich auch entdecken.
Nasse Kälte legt sich um ihren ganzen Körper.
Dann dreht sie sich um, wirft noch einen letzten Blick auf die Insel.
Und sieht ihn.
Und er sieht sie.
Er hebt seine Waffe, zählt auf sie, drückt ab.
Sophie hört, wie irgendwo neben ihr eine Kugel ins Wasser einschlägt.
Sie holt Tiefluft und taucht.
Taucht so tief sie kann.
Auch unter Wasser hört sie die Schüsse.
Oh Gott.
Die Luft wird eng.
Sie muss wieder auftauchen.
Atmet.
Spürt, wie neben ihr weitere Kugeln ins Wasser peitschen.
Sie taucht wieder, drückt sich gegen das Wasser weiter weg von der Insel.
Taucht auf, legt sich um.
Und er ist weg.
Dann schwimmt sie.
In Zickzack-Bewegungen, damit er sie nicht so leicht erwischen kann, falls er doch nochmal schießt.
Es ist 18.27 Uhr, als die ersten Polizeikräfte der Spezialeinheit Delta, Utoja, betreten.
In Fünfer-Formation bewegen sie sich über die Insel.
Sie wissen, dass der Mann, der hier schießt, eine Polizeiuniform tragen soll.
Immer wieder hatten Jugendliche und andere von der Insel bei der Polizei angerufen und versucht, Informationen durchzugeben.
Als sich die fünf Polizisten ihren Weg über den Fahrt der verliebten Bahn, sehen sie, wie sich im Gebüsch neben ihnen etwas bewegt.
Und plötzlich steht ein in Polizeiuniform gekleideter Mann vor ihnen.
Er ergibt sich, sie überwältigen ihn.
Er redet was davon, dass die Polizisten nicht seine Feinde sind und dass das Land von Ausländern invadiert wird.
Die Männer entwaffnen ihn.
Sind hier noch mehr?
Fragen sie.
Hier bin nur ich, antwortet der Mann.
Sophie ist gar nicht mehr so richtig bei Bewusstsein.
Sie ist schon zu weit geschwommen, ihre Arme sind fast taub.
Irgendwie muss sie an Jake von Titanic denken und beginnt zu weinen.
Wäre es nicht besser gewesen, erschossen worden zu sein, als hier zu ertrinken, fragt sie sich.
Als ihre Wahrnehmung schon völlig verschwommen ist, wird sie plötzlich an den Armen aus dem Wasser über eine Rehling gehievt.
Jemand packt ihre Beine.
Sie spürt Boden unter sich.
Touristen und Camper von anderen Inseln und vom Festland haben sich Boote geschnappt und fischen die Teenager aus dem Wasser.
Jemand drückt auf Sophies Brustkorb.
Sie spuckt Wasser aus.
Die anderen Leute im Boot sagen ihr, dass ihr Retter kein Norweger ist, sondern Deutscher.
Sophie kann nur einen Satz auf Deutsch sagen.
Ich liebe dich.
Also sagt sie mit ihrem norwegischen Akzent.
Ich liebe dich.
Ich liebe dich.
Ich liebe dich.
Immer wieder.
Sophie wird in ein Tageshotel gebracht.
Sie ist immer noch klitschnass.
In einem der Zimmer hängt ein Zettel an der Wand.
Eine Liste mit den Namen der Überlebenden.
Wenn ein Name noch nicht draufsteht, wird er ergänzt, wenn er oder sie sich meldet.
Sophie leiht sich ein Handy und schickt eine SMS an Leia.
Meld dich.
Aber Leias Name kommt nicht auf die Liste.
Sie war unter den Ersten, die erschossen wurden.
Anders Bering B. hat an diesem Tag 77 Menschen getötet.
67 hat er auf Ytoya erschossen.
Zwei weitere starben.
Einer ist ertrunken.
Ein anderer ist gestorben, als er von der Klippe sprang.
Der Mann, der den Massenmord an den jungen, angehenden Sozialdemokraten begangen hat,
ist zum Zeitpunkt der Tat 32 Jahre alt.
Anders Bering B. wurde von seiner Mutter vernachlässigt, war schon als Kind auffällig,
weinte nie, wenn er sich wehtat, hatte keine Freude am Spielzeug.
Im Erwachsenenalter isolierte er sich immer mehr, hat kaum Freunde, ist beruflich nicht erfolgreich.
Er sucht sich ein Feindbild, das Schuld an seiner Situation und an allen Problemen in Europa ist.
Die Muslime.
Von seinen wenigen Freunden redet er von seiner Angst vor dem großen Austausch.
Er wirft der Regierung Komplizenschaft beim kulturellen Völkermord vor,
redet vom vermischten norwegischen Blut.
Außerdem hätten sie den Staat feminisiert und zum Matriarchat gemacht.
Frauen sollen nach B.'s Meinung lieber Essen kochen und auf keinen Fall Machtpositionen besetzen.
Dass sie die Wahl haben, beruflich und privat, sei das Einfallstor für die muslimische Invasion.
Seine wahnhaften Gedanken schreibt er über neun Jahre lang in sein Manifest.
Die 1500 Seiten veröffentlicht er unter dem Titel
2083 eine europäische Unabhängigkeitserklärung.
Die Seiten versendet er vor seinem Terroranschlag an einen Verteiler
und bezeichnet es als Geschenk für seine Mitpatrioten.
Am 16. April 2012 wird Anders Schwering B. für seine Taten der Prozess gemacht.
Ihm wird Terrorismus und mehrfach vorsätzlicher Mord vorgeworfen.
Beim Einlaufen in den Gerichtssaal kann sich B. das Grinsen nicht verkneifen,
als die Blitzlichter der Kameras auf ihn einprasseln.
Nachdem ein Sicherheitsbeamter seine Hände aus den Handschellen löst,
schlägt B. mit seiner rechten Faust gegen seine Brust und hebt sie dann zum Gruß in die Luft.
Er verhöhnt seine Opfer.
Sophie ist auch zum Prozess gekommen.
Als sie den Täter das erste Mal sieht, findet sie, dass er irgendwie versteinert aussieht,
als hätte er eine eingefrorene Fratze.
Sie ist aus einem bestimmten Grundtier.
Sie will ihm in die Augen schauen.
Als das Gericht die Menschen im Saal bittet, Platz zu nehmen,
bleibt sie stehen und fixiert ihn.
Seine Aufmerksamkeit ist geweckt.
Er guckt ihr in die Augen.
Und für eine Sekunde ist es wie auf Utoja,
kurz bevor er auf sie geschossen hat.
Danach muss Sophie weinen.
Dass sie sich getraut hat, B. so lange anzusehen,
das hätte sie jetzt so gern Leia erzählt.
Von Beginn an hatte B. das Gerichtsverfahren als Teil seines Drei-Phasen-Plans gesehen.
Phase 1 war das Manifest, Phase 2 die Bombe in Oslo und der Anschlag auf Utoja und Phase 3 der Prozess.
Bei dem Verfahren geht es vor allem um eins, B.s Zurechnungsfähigkeit.
Dass er die Taten begangen hat, erklärt er gleich zu Beginn.
Er hält sich allerdings für unschuldig und beruft sich auf das Recht zur Notwehr.
Für seine Einschätzung wurde ein Psychiater und eine Psychiaterin beauftragt.
Während der Gespräche hatte B. ein Frage-Antwort-Spiel mit ihnen betrieben,
um herauszufinden, ob er sie als Befangen einschätzen muss,
weil sie ihm politisch gesehen zu weit links stehen.
Die beiden bescheinigen ihm, narzisstisch veranlagt zu sein.
In den Gesprächen erwähnte er immer wieder,
dass jeder Psychiater und jede Psychiaterin der Welt neidisch auf die beiden wäre,
weil sie das Vergnügen hätten, ihn analysieren zu dürfen.
Wow.
In 13 Sitzungen bekommen die GutachterInnen den Eindruck,
dass er unter einer paranoiden Schizophrenie leide.
Deswegen sei er nicht strafmündig
und müsste in eine forensische Psychiatrie eingeliefert werden.
Für B. ist das das Schlimmste, was ihm passieren kann.
Ihm ist nicht wichtig, wie lange er ins Gefängnis kommt
oder wie seine Aussichten auf Resozialisierung sind.
Es darf ihn nur keiner für verrückt erklären.
Denn dann wären all seine Taten umsonst gewesen, wie er meint.
Die Öffentlichkeit soll wissen,
dass er die Taten bei klarem Verstand begangen hat.
Weil aber auch die NebenklägerInnen über diese Einschätzung sehr aufgebracht waren
und unbedingt wollen, dass der Täter für zurechnungsfähig erklärt wird,
gibt das Gericht vor Prozess ein zweites Gutachten in Auftrag.
Das neue Psychiater-Team kommt zu dem Schluss,
B. habe eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen.
Da dies seine Schuldfähigkeit aber nicht beeinflussen würde,
halten sie ihn für zurechnungsfähig und strafmündig.
Die Staatsanwaltschaft fordert dennoch die Zwangseinweisung
und folgt damit dem ersten Gutachten.
Bei der Verlesung der Anklageschrift
liest die Staatsanwältin die Namen aller Opfer vor
und beschreibt, wie und woran sie verstorben sind.
Bei einigen Namen hört man lautes Schluchzen aus den Zuschauereien.
Dann wird eine Aufnahme des Polizeinotrufs im Saal vorgespielt.
Ein Mädchen, das sich auf einer Toilette versteckte,
setzte völlig außer Atem den Notruf ab.
Circa zehn Minuten zuvor hatte B. das Feuer eröffnet.
Das Mädchen ließ den Polizisten am anderen Ende die Schüsse hören.
Drei Minuten dauert diese Aufnahme.
In der Zeit fielen 50 Schüsse und es starben 13 Menschen.
Während es im Gerichtssaal stumm ist und alle wie eingefroren wirken,
schaut sich B. seine Fingernägel an, als hätte er damit gar nichts zu tun.
Am Nachmittag nach dem ersten Prozesstag schreibt Sophie eine SMS.
Ich habe ihn angeguckt, ganze lange fünf Minuten.
Ich wünschte, du könntest mich jetzt in den Arm nehmen
und sagen, dass alles wieder gut wird.
Du wirst hier so sehr vermisst, du kannst es dir gar nicht vorstellen.
Dann sendet sie den Text an Leyas alte Nummer.
Das macht sie öfter, wenn sie das Gefühl hat, Leya etwas sagen zu müssen.
An Leyas 18. Geburtstag hat Sophie mit Leyas kleinen Bruderherzen
in den Schnee gemalt und ihr geschrieben,
sie sollen doch mal runtergucken.
An einem anderen Prozesstag erklärt der Gerichtsmediziner
an einer grauen, geschlechtsneutralen Puppe,
wo die Einschüsse des jeweiligen Opfers waren.
Auf Fotos der Verletzungen verzichtet das Gericht für die Öffentlichkeit.
Die legen nur den ProzessteilnehmerInnen vor.
Dafür werden Porträts der Opfer auf Fernsehbildschirmen im Saal gezeigt.
Leya war das siebte Opfer, das B tötete.
Der Gutachter sagt über sie, dass sie 17 Jahre alt war,
zwei Schüsse aus sehr geringer Entfernung in den Kopf bekommen hat
und sofort tot war.
Eine Polizistin, die die Befragung der Überlebenden übernommen hat,
fügt noch hinzu, dass Leya offenbar versucht hatte, B aufzuhalten.
Sie war auf ihn zugegangen, hatte ihn angesprochen und gesagt,
schieß nicht.
Er tat es doch.
Nach zehn Wochen und 43 Gerichtstagen verließ die vorsitzende Richterin das Urteil.
Anders Bering B. wird schuldig und zurechnungsfähig gesprochen.
21 Jahre Gefängnis mit der Möglichkeit der anschließenden Sicherungsverwahrung.
Über mehrere Stunden begründet das Gericht sein Urteil,
erklärt dabei auch, dass es keine Möglichkeit gibt,
bei der Frage der Zurechnungsfähigkeit zu 100% sicher zu sein.
B. habe keine Zwangsvorstellung im klinischen Verständnis gezeigt.
Er habe die politische Motivation seiner Taten glaubhaft gemacht.
Die Taten an sich seien also selbst kein Hinweis auf eine Psychose.
Nur weil man seine Gesinnung für krankhaft hält,
heißt das nicht automatisch, dass der Täter nicht schuldfähig sei.
Außerdem sagt die Richterin, dass B. keine Reue zeigt
und dass er das Gleiche nochmal tun würde.
Mit dem Schuldspruch können die meisten Angehörigen leben.
Eine Opferanwältin sagt, dass das Gericht eine mutige
und unabhängige Entscheidung getroffen habe.
Leia bekommt Postum einen Ehrenpreis verliehen.
Für ihn Mut, sich dem Terroristen entgegenzustellen.
Sophie nimmt den Preis stellvertretend für sie entgegen.
Leia wird immer ihre beste Freundin sein.
Sophie hat sich Tedua auf die Rippen tätowieren lassen.
Natürlich fühlt sie sich um ihre Zukunft betrogen.
Sie wäre so gern mit Leia in eine WG gezogen.
Jetzt muss Sophie so vieles alleine tun.
Es gibt keine Leia mehr, mit der sie sich gemeinsam Grey's Anatomy anschauen
und sich über Derek und Meredith austauschen kann.
Am 22. Juli 2011 hat Sophie 17 Freundinnen verloren.
Manchmal vergisst sie, dass die anderen tot sind.
Sie kann sich das nicht ständig in Erinnerung rufen.
Aber wenn die Realität dann wieder zuschlägt,
dann fühlt es sich für sie an, als würde ihr jemand gegen den Kehlkopf schlagen.
Dann kriegt sie keine Luft mehr und fängt fürchterlich an zu weinen.
Aber es gibt auch gute Tage, an denen sie denkt, jetzt hat sie es.
Jetzt lebt sie, jetzt freut sie sich wieder.
Jetzt kann sie einfach irgendwie weitermachen und hört endlich auf,
SMS an ihre tote Freundin zu senden.
Und dann passiert wieder irgendwas.
Es kann was ganz Banales sein.
Sophie erzählt der Journalistin Lara Fritzsche für ihren Beitrag
Das Leben nach dem Tod in Udoia von einer Situation im Sommer.
Eine Gruppe junger Männer mit Oberkörper frei kommen in die Eisdiele,
in der Sophie zu dem Zeitpunkt arbeitet.
Danach nimmt sie sofort wieder das Handy in die Hand und schreibt,
wow, gerade waren zehn Jungs oben ohne in der Eisdiele.
Das hätte dir auch gefallen.
Und dann ist sie wieder da.
Die Traurigkeit.
Nur eines will Sophie auf keinen Fall.
Wütend auf B sein.
Sie will ihre Energie nicht für jemanden verschwenden,
der ihr so viele Liebsten genommen hat.
Sie sagt, er hat nicht gewonnen.
Er dachte, er könnte da rausgehen, auf die Insel kommen
und uns alle erschießen und uns Angst einjagen.
Das Gegenteil ist passiert.
Wir sind mehr als doppelt so viele in der Organisation.
Wir kämpfen härter, auch für die Menschen, die wir verloren haben.
Also ich finde es ganz wichtig,
dass du den Fall aus einer Opferperspektive erzählt hast.
Und ich finde es so stark,
was Sophie jetzt sozusagen daraus mitgenommen hat,
obwohl sie so viel Leid erfahren hat,
dass sie in einer Weise stärker noch für das steht,
ja, an was sie glaubt und weshalb sie ja angegriffen wurde.
Und dass sie sich dann da nicht einschüchtern hat lassen.
Ja, weil du gerade sagst, aus Opferperspektive erzählen.
Ich hätte den Fall noch aus über 400 anderen Perspektiven erzählen können.
Weil es einfach so viele Leute auf der Insel betroffen hat in dem Moment
und das hätte jetzt natürlich den Podcast total gesprengt.
Aber ich habe hier jetzt natürlich nur einen Teil des Bildes gezeigt.
So bestimmte Dinge wollte ich auch nicht erzählen,
weil sie einfach so grausam waren.
Ich habe mich hier bei dem Fall hauptsächlich auf eine I survived-Folge bezogen,
wo eben Sophie spricht.
Das ist so ein amerikanisches Format, wo Überlebende reden.
Dann habe ich den Artikel von Lara Fritzscher gelesen und das Buch
Einer von uns, Die Geschichte eines Massenmörders, von Asne Seierstadt gelesen.
Verlinken wir euch alles in unserer Folgenumschreibung.
B. War es ja sehr wichtig, dass die Öffentlichkeit nicht denkt,
dass das, was er gemacht hat, die Taten eines Verrückten waren,
sondern dass jedem klar war, dass er die geistige und moralische Reife
und Erkenntnisfähigkeit besaß und damit eben auch schuldfähig war.
Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Dr. Nala Semi,
hat mir erzählt, dass die Taten an sich,
auch wenn wir sie für noch so verrückt halten,
nicht darauf hindeuten, dass eine Person schuldunfähig ist.
Der Mensch ist, wenn er erwachsen ist, erst mal voll schuldfähig.
Und es gibt nur einige wenige Ausnahmen
infolge schwerwiegender psychischer Erkrankungen,
psychischer Störungen,
durch die eine Schuldfähigkeit gemindert werden kann.
Dieses Grundprinzip gilt für alle Straftaten.
Insofern hat man es zu tun mit vier ganz großen Diagnosegruppen.
Das sind einmal die klassischen psychischen Erkrankungen,
wie zum Beispiel eine Schizophrenie.
Also dann, wenn jemand in einer eigengesetzlichen Welt lebt
und der gleiche normative Rahmen, in dem wir alle in unserer Wirklichkeit leben,
für diese Person nicht mehr gilt.
Dann gibt es das Thema der schweren Persönlichkeitsstörungen,
der Intelligenzminderungen oder eben auch der Rauschzustände,
zum Beispiel bei Drogen- oder Alkoholintoxikationen.
Ein ganz separates Thema sind natürlich die sexuell-paraphylen Störungen,
aber da haben wir es jetzt mit dem Terrorismus ja nicht zu tun.
Das heißt, bei politisch motivierter Gewalt ist immer die Frage,
haben wir es hier zu tun mit jemandem, der wahnhaft ist,
eine wahnhafte Störung hat oder eine Schizophrenie hat
oder eine sehr schwere Persönlichkeitsfehlentwicklung,
die ein krankheitswertiges Ausmaß erreicht hat.
Und erst dann muss man prüfen, wie steht es um die Steuerungsfähigkeit
bei der Begehung der Tat.
Die Einsicht in das Unrecht der Tat ist für gewöhnlicher erhalten.
Es gibt aber auch bei TerroristInnen natürlich Hinweise,
die darauf schließen lassen, dass die Person schon wahnhaft ist.
Auch bei extremistischen Überzeugungen ist ja das Meinungsspektrum ein Stück weit,
sind Überzeugungen ein Stück weit eingeengt.
Aber ein Wahn ist eine unkorrigierbare Überzeugung,
die nicht zugänglich ist für sachliche Begründungen und Gegenargumente.
Und es gibt sogenannte kulturell bizarre Wahninhalte.
Dazu gehört zum Beispiel die Überzeugung,
dass sie einen Chip im Kopf haben, der ihre Gedanken steuert.
Das wäre eine kulturell bizarre Idee oder aber der Wahn,
sie würden durch Lasertechnik zwischen CIA, FBI
und einem außerirdischen Geheimdienst kontrolliert, verfolgt, beobachtet.
Das sind kulturell bizarre, wahnhafte Ideen,
wo man ganz klar sagen kann, da hat jemand eine Psychose.
Bei Menschen, die sich radikalisiert haben,
sind Dr. Salmi in ihrer Laufbahn einige Gemeinsamkeiten aufgefallen.
Ganz gleich, welche Ideologie sie verfolgen.
Bei Menschen, die sich für radikale politische Ideologien erwärmen können,
ist es ja so, dass es eine Missbilligung von Vielfalt und von Ambiguität gibt.
Radikalisierung hat für die Persönlichkeit selbst einen sehr großen Vorteil,
weil es nämlich vereinfacht.
Alle Schwierigkeiten, alle Probleme in der Welt,
alle Unzulänglichkeiten oder auch Widersprüchlichkeiten
werden durch eine Radikalisierung vereinfacht und in einem Schwarz-Weiß-Denken aufgelöst.
Und jede Radikalisierung hat den persönlichen Mehrwert,
sich zur moralisch überlegenen Gruppe zu fühlen.
Das heißt, es ist selbstwertbestätigend
und man ist mit seinem Lebensentwurf Teil einer großen ganzen Bewegung,
die größer ist als man selbst.
Also insofern haben sie auch eine Selbstüberhöhung darin.
Und Dr. Nalal-Sameh sagt aber, dass es ganz wichtig ist,
dass man den AttentäterInnen nicht generell ihre Zurechnungsfähigkeit abspricht.
Dahinter liegen ja Überzeugungen.
Dahinter liegt die persönliche Entwicklung und Herleitung eines Meinungsbildes.
Und dahinter steht ja auch eine persönliche Handlungslegitimation,
die man sich ja auch erst mal selber geben muss.
Jemand, der psychisch erkrankt ist,
kann ja einfach bestimmte Dinge aufgrund der Beeinträchtigung seiner psychischen Funktionen
im Hinblick auf Denken, formales Denken, inhaltliches Denken,
Affektregulation, Impulskontrolle, Antrieb nicht mehr.
Und das darf man nicht verwechseln mit politischen Ansichten,
die auch beinhalten, Gewalt als Strategie einzusetzen.
Das wäre falsch, Extremismus oder in der gewalttätigen Endstrecke
dann terroristische Gewaltakte zu psychiatrisieren.
Das würde das gesellschaftliche und politische Phänomen deutlich bagatellisieren.
Das würde sozusagen zu einer gewissen Art von Verniedlichung führen.
Sondern man muss schon extremistische Tendenzen sehr ernst nehmen
und kann das nicht zu einem medizinischen Problem herunterreden.
Sie können sich auch nicht aufgrund von Extremismus krankschreiben lassen.
Sie können nicht morgen bei ihrem Arbeitgeber anrufen und sagen,
ich komme nicht zur Arbeit, wird wahrscheinlich drei Tage dauern, ich habe Extremismus.
Das ist eine völlig verfehlte und auch gefährliche Einschätzung.
Klar sind manche TerroristInnen psychisch krank.
Zum Beispiel gehen ja auch viele davon aus,
dass der Attentäter von Hanau an einer psychotischen Erkrankung gelitten hat.
Aber an was mich das so ein bisschen erinnert,
ist mal wieder der Fall Anneliese Michel,
den ich in Folge 4 erzählt habe.
Denn da wurden die Eltern und diese beiden Priester ja
vermindert schuldfähig gesprochen,
mit der Begründung, dass die wirklich an den Teufel geglaubt haben.
Und wenn man diese Begründung auf AttentäterInnen überträgt,
dann wäre ja niemand von denen schuldfähig,
weil sie alle an irgendwas glauben.
Und einen Glauben kann man ja nicht per se als Entschuldigung nehmen,
beziehungsweise als Erkrankung.
Ich glaube, man versucht oft, Erklärungen im Krankhaften zu finden,
weil man mit seinem Verstand nicht mehr weiterkommt.
Und weil wir uns das nicht vorstellen können,
dass man diese Ideologien oder diesen Glauben
wirklich so radikal ausleben kann
und damit dann halt auch Menschenleben zerstört.
Und dann läuft man halt Gefahr,
den Menschen schnell einen Wahn zuzuschreiben.
Aber ich meine,
dann muss man halt auch den Vergleich zur NS-Zeit ziehen.
Ich meine, ist dann da fast ein ganzes Land kollektiv
in die Geisteskrankheit geraten?
Also das geht halt nicht.
Aber ich glaube, das macht man heute auch nicht mehr so.
Also ich glaube, Anneliese Michels Eltern und den Priester
hätte man heute nicht mehr so verurteilt.
In unseren beiden Geschichten ging es um Fälle von Terrorismus,
obwohl sie ja sehr verschieden waren.
Deswegen geht es jetzt in unserer Diskussion darum,
was Terrorismus eigentlich ausmacht.
Und im deutschen Sprachgebrauch werden Terrorismus und Terror
übrigens oft gleichbedeutend verwendet,
obwohl Terror eher den Machtmissbrauch durch den Staat bezeichnet.
Also quasi Terror von oben.
Also wie wir das zum Beispiel auch von den Nazis kennen oder von Stalin.
Also ist eigentlich Terrorismus das Wort,
das die Taten aus unseren Fällen beschreibt.
Und bei dem geht es um politisch motivierte,
systematisch geplante Gewalt,
die sich gegen den gesellschaftlichen Status quo richtet
und auf politische, religiöse oder ideologische
gesellschaftliche Veränderungen abzielt.
Und je nachdem, an was die ExtremistInnen glauben,
gibt es natürlich unterschiedliche Arten von Terrorismus.
Also das ist zum Beispiel der rechtsextremistische Terrorismus,
wie du ihn in deinem Fall beschrieben hast
und wie wir ihn auch aus dem NSU
oder dem Anschlag in Halle letztes Jahr im Oktober kennen.
Und dann gibt es den religiösen Terrorismus,
wie ich ihn an Safia gezeigt habe,
die islamistisch motiviert war
und den wir eben auch vom 11. September 2001 aus New York kennen.
Dann hatten wir speziell in Deutschland
ja auch schon mit linksextremistischem Terrorismus zu tun.
Ja, die RF zum Beispiel.
Also die Rote Armee Fraktion,
die hat ja auch 34 Menschen getötet,
Banküberfälle begangen und Sprengstoffattentate verübt
und hatte Geiselnahmen zu verantworten.
Also es war ja eine linksextremistische Vereinigung,
die über Jahre Anschläge verübt hat.
Und was bei denen auch außergewöhnlich war,
war, dass die Mehrheit der RekrutInnen weiblich waren,
also RekrutInnen waren,
was für Terrororganisationen sehr außergewöhnlich ist.
Und was wir in Deutschland aber so nicht kennen,
ist eine weitere Art des Terrorismus
und zwar der sogenannte ethnische separatistische Terrorismus.
bei dem es darum geht,
dass man sich als Gruppe von einem Staat lösen will,
um irgendwie unabhängig zu sein.
So war das zum Beispiel bei der ETA in Spanien.
Deren Ziel war es,
sich vom spanischen Zentralstaat loszueisen
und ihren eigenen Staat im Baskenland aufzubauen.
Eine andere Art des Terrorismus,
der nicht sonderlich bekannt ist,
ist der sogenannte Ökoterrorismus.
Ja, und da kann man ja verschiedene Dinge drunter verstehen.
Ein Beispiel ist,
wenn man jetzt Industrieanlagen zerstören will,
um die Umwelt zu schonen.
Also oft geht es da jetzt nicht unbedingt darum,
jemanden zu töten,
sondern um Sachbeschädigung
oder meinetwegen auch Körperverletzung.
Manche haben aber jetzt zum Beispiel auch
die KlimaaktivistInnen im Hambacher Forst
als ÖkoterroristInnen bezeichnet.
Genau, es geht quasi um die Zerstörung der Zivilisation,
um die Umwelt zu retten.
In Deutschland geht die größte Bedrohung übrigens
durch Terrorismus von rechtsextremen
und islamistisch motivierten TerroristInnen aus.
Seit der Wiedervereinigung sind hier laut Bundesregierung
insgesamt mehr als 90 Menschen
durch rechtsextreme Gewalt gestorben.
Islamistisch motivierter Terrorismus
forderte laut Verfassungsschutz seit 1993
15 Menschen leben,
wobei diese Art des Terrorismus
ja auch viel jünger in Deutschland ist.
Also an den schwersten islamistisch motivierten Terroranschlag
können wir uns noch genau erinnern,
haben wir am Anfang dieser Folge erzählt,
was wir am 19.12.2016 gemacht haben.
An dem Tag starben elf Menschen
und mehr als 50 wurden verletzt.
Aber genauso geht es uns
mit den jüngsten Anschlägen von Rechtsextremisten
in Halle zum Beispiel
oder was den Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke betrifft.
Genau, und TerroristInnen,
egal welche Gesinnung sie jetzt haben,
wollen ja immer vor allem irgendwelche Ziele durchsetzen.
Und das machen sie,
indem sie Schrecken verbreiten.
Genau das bedeutet das Wort Terror ja auch
und das wollen sie schrecken, verbreiten.
Habe ich gerade schon gesagt.
Macht nichts.
Also natürlich wollen sie auch auf ihre Organisation
und auf ihre politischen Ziele aufmerksam machen
und Sympathien erregen.
So seltsam sich das anhören mag.
Aber vor allem wollen sie Angst und Unsicherheit schaffen
und damit dann die Systeme destabilisieren
und eben auch die Gesellschaft spalten.
Was ich damit meine,
das wird ganz gut deutlich am Beispiel von Charlie Hebdo,
der islamistisch motivierte Terroranschlag auf ein französisches Satiremagazin.
Das Magazin veröffentlichte mehrere Mohammed-Karikaturen
und am 7. Januar 2015 erschien im Blatt eine Karikatur des Chefredakteurs
mit dem Titel
noch keine Attentate in Frankreich.
Und darauf antwortete ein gezeichneter Terrorist,
warten Sie ab, man hat bis Ende Januar Zeit, seine Festtagsgrüße auszurichten.
Und am selben Tag stürmten zwei Anhänger von Al-Qaida die Redaktionsräume des Magazins
und erschossen sieben Menschen.
Und dabei riefen sie, wir haben den Propheten gerecht.
Der Sozial- und Islamwissenschaftler Dr. Marwan Abu Tham vom Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz
sagt in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur dazu,
Sie, also die TerroristInnen, wollen die Gesellschaft derart polarisieren,
dass die hier lebenden Muslime denken, die wollen uns nicht mehr
und dass die anderen denken, dass die offene Gesellschaft nicht funktioniert.
Und unsere Antwort muss sein, dass die offene Gesellschaft doch funktioniert
und dass wir die Demokratie stärken.
Terror will also den Charakter unserer Gesellschaft verändern.
Und weil eben das ja die Absicht von TerroristInnen ist,
ist es nach einem Anschlag manchmal schwierig für die Politik,
Sicherheit in der Bevölkerung zu schaffen und zu zeigen, wir kümmern uns
und dabei nicht in blinden Aktionismus zu verfallen.
Also es kann ja zum Beispiel sinnig sein,
dass man nach Anschlägen das Waffenrecht beispielsweise verändert
oder eine Reform anstrebt,
die bei einem schweren Verdacht Geheimdiensten das Recht einräumt,
verschlüsselte Nachrichten auszulesen oder beispielsweise jetzt auch Strafrechtsverschärfungen einzuführen.
Wenn man aber anfängt, unverhältnismäßig seine Freiheit für ein Sicherheitsgefühl einzutauschen,
dann spielt man den TerroristInnen ja eher in die Karten.
Also es bringt jetzt nichts, einen Überwachungsstaat zur Bekämpfung des Terrors zu installieren beispielsweise.
Ja, klar ist der Staat da dann in der Pflicht, da irgendwie eine Balance zu finden.
Aber das Problem ist ja auch, dass viele BürgerInnen dann so eine diffuse Angst kriegen.
Also jetzt zum Beispiel nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz,
hattest du danach Angst, auf den Weihnachtsmarkt zu gehen?
Ja, auf jeden Fall.
Ja, man hat auf jeden Fall ein komisches Gefühl.
Also ich bin schon gegangen, aber man hat ein komisches Gefühl.
Andere Leute sind erst mal gar nicht mehr auf Großveranstaltungen gegangen oder auf den Weihnachtsmarkt.
Und dagegen kann der Staat nach so einem Anschlag natürlich nichts machen,
auch wenn dann Pöller überall hingestellt werden, damit keine LKW mehr auf den Bürgersteig fahren können.
Aber die Angst, dass überall was passieren kann, wo viele Menschen sind, die bleibt ja dann trotzdem erst mal.
Und das ist ja so das Schlimme, weil das ist ja so dieser perverse Sieg, den die TerroristInnen dann errungen haben.
Ja, aber den haben sie halt auf jeden Fall, also bei vielen Menschen.
Ja.
Obwohl die Angst ja nicht wirklich begründet ist.
Also die Wahrscheinlichkeit, dass ich bei einem Autounfall sterbe, ist ja sehr viel höher.
Ja, aber es ist halt dann in dem Moment einfach so, weil diese Bilder auch so furchtbar sind und es so willkürlich erscheint dann auch.
Ja.
Dass es halt überall passieren kann.
Ein Kollege von uns, den du aus deiner Ausbildung eigentlich auch noch kennen solltest, Philipp Michaelis von der Welt,
hat nach dem Terroranschlag in Berlin am Breitscheidplatz einen Post verfasst, über den ich gerne mal mit dir diskutieren wollen würde.
Ich habe vorhin gesehen, dass du den auch geliked hast damals.
Also muss er dir eigentlich bekannt vorkommen?
Okay, deine Augen sagen etwas anderes.
Er schrieb, passt mal auf ihr Radikalspinner.
Das hier ist Berlin.
Wir sind Berlin.
Wir fahren S-Bahn in der Wash-Hour.
Wir raunzen, wenn man freundlich zu uns ist.
Unsere Taxifahrer sind gefährlicher als jeder Konvertit.
Wir meckern an der Supermarktkasse.
Wir glauben, dass Union aufsteigt und Hertha in die Champions League kommt.
Wir essen Döner und rohen Fisch.
Zu einem Preis, der garantiert, dass da weder Fisch noch Fleisch drin ist.
Bei uns ist schultheiß ein Bier und Sternburg.
Und wir lieben unsere Kinder abgöttisch, selbst wenn sie laktoseintolerant sind, was immer das ist.
Wir haben neun Monate Winter und wir gehen nach der Party direkt arbeiten.
Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mehr daran erinnern, an diesen Post bei Facebook.
Der ist viral gegangen.
Also ich glaube, dass, deswegen habe ich ihn wahrscheinlich auch geliked, weil das so eine gegenteilige Antwort war, was wir eigentlich alle oder viele gefühlt haben und zwar Angst.
Und ich nicht glaube, dass das wirklich die, alle, die das geliked haben, wirklich gefühlt haben, aber dass sie gedacht haben, wir wollen das nicht.
Wir wollen keine Angst haben und wir sind BerlinerInnen und wir sind stark und lassen uns unsere Welt und unsere Freiheit von sowas nicht einengen.
Man könnte ja auch sagen, dass das für die Opfer schwer gewesen sein wird, sowas zu lesen für die Angehörigen und Zugehörigen.
Ja, also ich habe Philipp nochmal gefragt und er meinte, ganz so würde er es heute nicht mehr schreiben.
Er hat halt 24 Stunden gearbeitet und drei Bier getrunken und das dann rausgehauen.
Aber es war das, was er empfunden hat in dem Moment.
Und das kann ich schon sehr gut nachvollziehen.
Und im Grunde genommen ist es ja zumindest ein emotionales Sich-dem-Entgegenstellen, den TerroristInnen.
Ansonsten würden die sich ja total bestärkt fühlen in ihren Taten.
Also wenn wir alles umschmeißen würden und eben komplett in diese Angst verfallen würden, das wollen die ja.
Und ich glaube, das ist das, was alle gemein haben.
Also auch wenn sie ansonsten total unterschiedlich sein können.
Also wie man jetzt bei Anders B. und bei Safia gesehen hat, das sind ja zwei ganz unterschiedliche Menschen gewesen.
Ja, tatsächlich gibt es ja auch kein einheitliches Täterprofil für TerroristInnen.
Aber ich wollte wissen, welche Gemeinsamkeiten es gibt.
Und deswegen habe ich mit dem Terrorismusforscher Peter Neumann vom King's College in London gesprochen, der mir diese Frage beantwortet hat.
Wenn es überhaupt irgendein gemeinsames Merkmal gibt, dann ist die Tatsache, dass es sich bei fast allen terroristischen Gruppen um junge Männer handelt.
Und viele Soziologen und Psychologen glauben, dass das was damit zu tun hat, dass natürlich Männer eher gewaltbereit sind, aber dass sie genau in der Phase ihres Lebens auch risikobereiter sind.
Und dass sie das haben, was Soziologen biografische Verfügbarkeit nennen.
Das heißt, sie sind nicht mehr zu Hause bei ihrer eigenen Familie.
Also ihr Vater und ihre Mutter sagten nicht mal, was sie tun sollen.
Aber sie haben noch keine eigene Familie gegründet.
Die gibt es auch bei Frauen, diese Verfügbarkeit.
Aber trotzdem ist es so, dass sie viel seltener aktiv als TerroristInnen in Erscheinung treten.
Also wenn Frauen sich solchen Organisationen anschließen, dann machen sie das eher aus dem Grund, weil sie die Männer unterstützen wollen oder eben wirklich an diese Ideologie glauben.
Wie das zum Beispiel im Dschihad ist, aber eben nicht, weil sie selber kämpfen wollen.
Gemeinsam sind Frauen und Männern, dass sie in einer Phase sind, in der sie sich eben diese existenziellen Fragen stellen, die ich auch schon mal im AHA eben angesprochen habe.
Warum das gerade für TerroristInnen aus Europa gilt, hat mir Peter Neumann erklärt.
Viele Leute, die sich wissenschaftlich mit terroristischer Radikalisierung auseinandergesetzt haben, vor allem eben auf dem dschihadistischen Bereich, die haben eben gesagt, viele der Leute, die sich in Europa radikalisiert haben in den letzten 10, 20 Jahren, das waren eben vor allem Leute, die aus der zweiten, dritten Einwanderergeneration kamen.
Also die Söhne und die Söhne und Enkelkinder der Leute, die in den 50ern nach Deutschland und in andere europäische Länder gekommen sind und die sich eben ganz besonders intensiv diese Frage gestellt haben, weil sie eben nicht mal gewusst haben, bin ich eigentlich Türke?
Wenn ich in die Türkei fahre, dann sprechen die mich als Deutschen an. Aber in Deutschland werde ich als Türke wahrgenommen. Was ist eigentlich meine Identität? Wohin gehöre ich eigentlich?
Und die Antwort war in vielen Fällen eben, du gehörst zum Islam. Der ist im Prinzip besser als all diese Nationalitäten, mit denen du dich auseinandersetzt.
Klar, die meisten jungen Menschen, die sich jetzt in einer Identitätskrise befinden, die werden keine TerroristInnen, egal ob ihre Omas und Opas aus einem anderen Land kommen.
Deshalb wichtig, es ist immer ein Zusammenspiel von Faktoren, also Identitätskrise, Konflikte im Umfeld, Rückschläge, dann instabile Persönlichkeitsstrukturen oder narzisstische Tendenzen, wie auch im Fall von deinem Täter, die da eben reinspielen.
In den letzten Jahren wurde aber deutlich, dass die Menschen, die sich radikalisieren, immer jünger werden. Vor allem, was den Dschihadismus angeht und die dann gar nicht unbedingt religiös sind. Peter Neumann glaubt, dass das dem Image des sogenannten IS geschuldet ist.
Ich glaube, das hat was damit zu tun, dass gerade auch der IS, der Islamische Staat, immer weniger erwartet hat und dass das wirklich so eine Art Brutalo-Image war, was die Leute angezogen hat.
Du kannst da hingehen, du kannst da Leute abschlachten. Es ist praktisch wie im Videospiel. Und das war eine Art von, sage ich mal, vulgär Dschihadismus, der eben auch Leute angesprochen hat, die sich überhaupt nicht mit dem Thema intellektuell auseinandergesetzt haben.
Also auch viel jüngere Leute, als wir vorher gesehen haben.
Peter Neumann hat mir auch erzählt, dass diese Radikalisierungen lange dauern.
Also dieses, hat sich über Nacht radikalisiert, wie man das manchmal aus der Presse hört, das gibt es in der Regel nicht.
Also das wird schon mehrere Monate, teilweise auch Jahre dauern.
Ich meine, es ist ja auch so, dass man sich überhaupt erstmal einem Millionärt und irgendwie sich vertraut macht mit Leuten und deren Denkweisen.
Und bis man dann irgendwie sagt oder denkt, ich bringe jetzt Leute in die Luft für das, woran ich glaube, das ist halt ein riesengroßer Schritt und das verlangt auch Zeit.
Aber die Personen bleiben in der Regel keine ExtremistInnen.
Wer einmal radikalisiert ist, kann sich auch deradikalisieren.
Das sehen wir in der Tat bei den meisten Terroristen.
Also zum Beispiel, wir wissen bei den Syrien-Kämpfern, 40.000 Leute sind nach Syrien gegangen.
Wir haben jetzt nicht 40.000 aktuelle Terroristen, die in der Welt aktiv sind.
Viele von denen haben sich das angeschaut und sind älter geworden, haben andere Ziele entwickelt und haben sich einfach anders entwickelt.
Ich habe mir das angesehen und dann entschieden, dass ich doch lieber zum Vorstand der Fliesentischbesitzer in Meppen gewählt werden möchte.
Also so hört sich das so ein bisschen an.
Also ich weiß, dass viele das total romantisieren.
Und es ist ja, wie er sagt, also im Ernst jetzt, dass viele ein falsches Bild vorgegaukelt bekommen.
Ja.
Und plötzlich stehen sie mitten im Krieg.
Ja, und deshalb gilt auch nicht einmal ExtremistInn immer ExtremistIn.
In den meisten Fällen ist es halt eben eine Phase.
In Deutschland tun wir einiges dafür, Terrorismus zu bekämpfen.
Eine Methode ist zum Beispiel, dass wir den Straftatbestand Paragraf 129a, also Bildung terroristischer Vereinigung, in unser Strafgesetzbuch auch aufgenommen haben.
Dieser Straftatbestand regelt, dass Gründung und Mitgliedschaft mit Freiheitsstrafe von ein bis zu zehn Jahren bestraft werden können.
Unterstützung und Werbung werden in der Regel mit Geldstrafen sanktioniert.
Außerdem ist 2009 das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung von Gewalttaten in Kraft getreten.
Da geht es im Grunde unter anderem darum, dass die Vorbereitung von schweren, staatsgefährdenden Gewalttaten verfolgt werden kann.
Und das sind nur zwei Dinge, die jetzt vor allem seit dem 11. September in Kraft getreten sind.
Der Anschlag aufs World Trade Center war zwar in den USA, aber auch in Deutschland hat man dann begriffen, dass man international die Behörden auch besser vernetzen muss.
Ja, ich meine, wenn es damals schon eine wirklich effektive Zusammenarbeit zwischen Ländern gegeben hätte, dann hätte diese Hamburger Terrorzelle, die diesen Anschlag von Deutschland aus geplant hatte, möglicherweise früher entdeckt werden können und dann auch gestoppt werden können.
Ja, vielleicht. Und danach hat man dann aber das GTAZ, also das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum, ins Leben gerufen.
Also so eine Art Koordinationsstelle der Sicherheitsbehörden, der sich aber eben auch um internationalen Informationsaustausch kümmert.
Und so konnten bisher tatsächlich schon einige Terrorakte verhindert werden, wie beispielsweise der von der Sauerlandgruppe, einer islamistischen Zelle in Deutschland,
die plante, US-Soldaten in der Rammstein Air Base zu töten.
Und die NSA hatte Informationen über einen intensiven Mail-Austausch zwischen der Zelle und Pakistan.
Und das GTAZ gründete dann eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern von dem deutschen Geheimdienst, aber auch von der amerikanischen CIA.
Und die Zelle konnte dann zerschlagen werden, bevor der Anschlag mit einer Autobombe verübt werden konnte.
Und natürlich bemüht sich auch die EU um Terrorbekämpfung beispielsweise, indem sie Internetprovidern auferlegt, terroristische Inhalte löschen zu müssen und solche Sachen.
Ja, auch wenn mein Fall da ein bisschen was anderes vermuten lässt, in der Terrorbekämpfung, vor allem was islamistisch motivierten Terrorismus angeht, sind wir in Deutschland schon recht gut aufgestellt.
Also man muss nicht jeden Tag Angst haben, Opfer solch eines zu werden.
Aber wenn es dann doch mal vorkommt, dann kann es leider passieren, dass gewisse Menschen unter Generalverdacht gestellt werden, ohne dass man das vielleicht mit Absicht macht.
Das war zum Beispiel nach dem 11. September der Fall, wo viele muslimische Menschen dann danach mit Rassismus oder Vorurteilen zu kämpfen hatten.
Und ich habe da eine Geschichte von einer Arbeitskollegin, von einer Freundin, der Name hier nicht genannt wird, weil ihr das im Nachhinein auch sehr unangenehm ist.
Und zwar war das zu einer Zeit, als sie Flugangst hatte und da saß sie in einem Flugzeug neben einem Mann, offensichtlich arabischer Herkunft, mit langem Bart, der die ganze Zeit gebetet hat und ganz viele Tabletten genommen hat und er hat auch geschwitzt und er war super nervös.
Und Anna, so nennen wir die jetzt mal, die neben ihm saß, die hatte ein ganz komisches Gefühl und direkt irgendwie im Kopf, dass der Mann jetzt einen Anschlag verüben will, dass das sein Plan ist.
Wahrscheinlich hat der Mann die Tabletten genommen und geschwitzt, weil er wusste, dass jeder Zweite im Flugzeug denkt, dass er einen Anschlag verüben möchte.
Auf jeden Fall ist er irgendwann aufgestanden und zur Toilette gegangen und da hatte sich dann eine Schlange quasi gebildet und hinter ihm stand ein kleiner Junge und den hatte er dann vorgelassen.
Und dann stand er halt die ganze Zeit da und Anna hat ihn beobachtet und irgendwie hat er die ganze Zeit an seiner Hose rumgefummelt und diese Hose war auch sehr weit.
Und Anna dachte, der muss da eine Bombe drin versteckt haben in dieser Hose.
Und dann hat sie einen anderen Mann, der mit ihr in der Reihe gesessen hat, das war ein Schweizer, angesprochen und meinte zu ihm ja, irgendwie verhält sich der doch ganz komisch, oder?
Und der Schweizer hat dann seinen Rucksack aufgemacht und da eine Bombe präsentiert.
Aber er meinte dann auch ja und hat dann eine Stewardess gerufen und das auch dieser Stewardess gegenüber geäußert.
Oh Gott, das ist ja ganz furchtbar.
Und dann ist Anna erst recht panisch geworden, weil sie dachte, oh, dann ist das nicht nur ich, sondern dann ist das vielleicht wirklich real.
Und zu diesem Zeitpunkt war der Mann dann schon circa 15 Minuten auf Toilette gewesen und Anna hat ihn schon gesehen, wie er aus der Toilette mit einem Sprengsatz kommt.
Oh Gott, der arme Mann saß, da hatte Bauchschmerzen und eine richtig üble Lebensmittelvergiftung.
Warte, warte.
Also Anna stand dann auf und ist nach hinten auf die andere Seite gegangen und hat dort nach Stewardess gegenüber gesagt, da ist ein Mann mit einer Bombe auf der Toilette.
Das ist nicht dein Ernst, Laura.
Oh Gott, das ist eigentlich gar nicht witzig.
Und was ich auch sehr unglaublich finde, ist, dass dieses Stewardess total ruhig geblieben ist, obwohl da gerade eine vor ihr stand, die von einer Bombe spricht.
Und sie meinte dann, ich kann jetzt nicht da auf die Toilette gehen, wir müssen jetzt warten.
Und in dem Moment kam der Mann dann aus der Tür und natürlich war nirgends eine Bombe zu sehen oder ähnliches.
Und daraufhin hat sich Anna dann wieder neben ihn gesetzt und sie wollte aber jetzt wissen, was ist hier los und meinte dann zu ihm so, na, alles gut.
Und dann haben die beiden ein bisschen Smalltalk gehalten und Anna dachte, wenn er jetzt irgendwie doch einen Anschlag plant, dann bringt es vielleicht was, wenn sie ihm erzählt, wie gern sie ihr Leben hat.
Also es ist wirklich eine ganz schlimme Geschichte von Vorverurteilungen.
Aber das Schlimme ist ja, das passiert Leuten und das ist ja gar nicht, das kriegen die dann auch gar nicht unbedingt mit und es ist ja was ganz Schlimmes, was die TerroristInnen ja auch wollen, was deren Ziel ist.
Ja, das ist das, was dieser Islamwissenschaftler in dem Interview mit Deutschland von Kultur gesagt hat.
Also sie möchten genau das schüren, dass andere denken, das funktioniert ja mit einer offenen Welt nicht, dass sie Leute unter Generalverdacht stellen und dass die Muslime dann denken, ich gehöre hier nicht mit dazu.
Genau.
Und solche furchtbaren Sachen, Elli.
Also er hat es nicht mitbekommen, weil er war so aufgeregt, das hat er ihr dann erzählt, weil er so eine schlimme Flugangst hatte, weil das ein zweiter Flug war und sie, Anna, hat ja auch so Flugangst und sie war dann total erleichtert und hat ihm dann quasi die Flugangst nehmen wollen und die haben dann den ganzen Flug über noch gequatscht.
Und jetzt im Nachhinein war das für sie so eine ganz große Lektion und ihr auch im Nachhinein total unangenehm und sie hat sich über sich selber erschrocken, dass das sozusagen direkt ihr erster Gedanke war, obwohl natürlich diese Flugangst viel näher liegt, weil sie selber auch Flugangst hatte.
Aber auch, dass sie gesehen hat, dass der andere Mann, dieser Schweizer, der auch daneben saß, genau die gleichen Gedanken hatte, hat ihr, ja, hat sie erschreckt und auch irgendwie, ja, so ein Bewusstsein dafür geweckt.
Und das ist ja auch ganz wichtig, dass wir uns darüber bewusst sind und dass die Leute oder dass die TerroristInnen das als Ziel haben und dass man dem nicht nachgeben darf.
Genau, das ist wichtig und diese Geschichte klingt natürlich unfassbar beklemmend, wenn man die so hört, ist aber wegen der Anschläge so eine Art sekundäre Traumatisierung, die bestimmt viele hatten.
Das wissen wir jetzt heute und wir haben daraus hoffentlich gelernt, so wie unser Weltkollege Philipp Michaelis sicherlich auch mittlerweile gelernt hat, was Laktoseintoleranz ist.
Als Vater von zwei kleinen Kindern kriegt man das im Berlin ja sehr schnell mit.
Und damit schließen wir ab.
Das war ein Podcast von Funk.