00:00:00
Diese Prozesse, von denen wir hier immer erzählen, die sind ja relativ teuer.
00:00:17
Also je nach Komplexität des Delikts oder auch nach Aufwand der Verhandlungen jetzt beispielsweise.
00:00:22
Der höchste Prozess zum Beispiel soll fast eine halbe Million Euro gekostet haben.
00:00:30
Ja, wobei im Falle einer Verurteilung sind die Kosten eigentlich grundsätzlich vom Angeklagten oder von der Angeklagten zu tragen.
00:00:37
Und diese halbe Million zahlt die höchste Frau dann aus der Portokasse oder was?
00:00:42
Aus dem Sparschwein ganz genau. Aber richtige Überlegung. Ich habe jetzt die Woche nämlich mit dem Strafverteidiger Dr. Alexander Stevens gesprochen.
00:00:50
Den haben wir ja auch schon mal als Experten gehabt. Und der hat mir von einem Fall erzählt, den er gerade vertritt.
00:00:56
Einer seiner Mandanten sitzt wegen Mordes im Gefängnis. Ganz übles Verbrechen mit besonderer Schwere der Schuld.
00:01:03
Und im Gefängnis hat der Verurteilte dann die Rechnung des Prozesses halt zugeschickt bekommen.
00:01:08
Mit dem Vermerk, dass bei, ich breche das jetzt mal runter, also am Ende, dass bei Nichtzahlung oder Zahlungsunfähigkeit er das als Haftstrafe absetzen muss.
00:01:19
Daraufhin hat er ein Schreiben zurückgeschickt, in dem er die Herren und Damen als Vollidioten bezeichnet, die sich die Rechnung gerne bis zum Zitat Zwölffingerdarm in den Arsch schieben können, weil er ja eh nie wieder rauskommen würde.
00:01:36
Okay, erstmal hat er ja auch irgendwie recht, oder? Also nicht, dass die sich das bis dahin schieben sollen, aber dass er ja jetzt eh in Haft ist und das jetzt nicht bezahlt.
00:01:47
Also ist das normal, dass man so einen Brief kriegt?
00:01:49
Genau, also es ist normal, dass du die Kosten dann tragen musst, wenn du verurteilt wirst. Eigentlich schon.
00:01:55
Genau, und also was jetzt passiert ist, dieser Herr, der hat jetzt einen Brief bekommen wegen Beleidigung und deswegen vertritt Stevens ihn jetzt.
00:02:03
Und die Entscheidung ist auch schon gefallen. Wegen dieser Beleidigung hat er jetzt 170 Tagessätze a 5 Euro bekommen, die er auch nicht zahlen wird können, weshalb er wohl eine Ersatzfreiheitsstrafe bekommen wird.
00:02:17
Und du siehst, da beißt sich die Katze wieder in den Schwanz.
00:02:22
Also on top auf seiner Strafe hat er jetzt nochmal die Strafe bekommen, aber weil er sowieso die besondere Schwere der Schuld hat, wird das am Ende ja auch gar nichts ändern und es war einfach nur jetzt ein bisschen Papierkram hin und her.
00:02:36
Aber gut, ich würde mir sowas halt auch nicht bieten lassen, wenn mir jemand so ein Schreiben schicken würde.
00:02:41
Ja, total. Das Problem ist nur, wenn die andere Person ja quasi schon alles verloren hat und du ihr ja im Grunde genommen mit nichts mehr drohen kannst, ist halt blöd.
00:02:51
Es wäre natürlich anders, wenn er jetzt eine reelle Chance hätte, demnächst rauszukommen.
00:02:54
Aber da er selber davon ausgeht, dass das niemals passieren wird, ist es halt so.
00:02:59
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, unserem True Crime Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:03:04
Hier reden wir über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:03:07
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:03:08
Und ich bin Laura Wohlers.
00:03:10
In jeder Folge gibt es ein Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen, darüber diskutieren und mit ExpertInnen sprechen.
00:03:18
Und wir beide reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
00:03:20
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit für das Thema fehlt, sondern das ist für uns einfach so eine Art Comic-Oleaf, damit wir zwischendurch auch mal durchatmen können.
00:03:28
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
00:03:30
Heute geht es bei uns um die operative Fallanalyse.
00:03:33
Wenn wir PolizeibeamtInnen ärgern wollen würden, dann würden wir die Fallanalytikerinnen und Fallanalytiker als Profiler bezeichnen.
00:03:44
Das ist vielleicht ein Begriff, den ihr eher kennt.
00:03:47
Und das ist, was wir in der Vorbereitung auf die Folge gelernt haben über die OFA, so nennt man die operative Fallanalyse auch, dass das nicht dasselbe ist.
00:03:56
Im Amerikanischen nennt man das Profiling.
00:03:59
Und das heißt aber übersetzt ja eher so viel wie ein Profil erstellen und so ein TäterInnen-Profil zu erstellen.
00:04:05
Das gehört zwar auch hier manchmal mit dazu und darüber reden wir ja heute auch noch, aber das wäre viel zu kurz gegriffen für das, was die FallanalytikerInnen hier in Deutschland machen.
00:04:15
Ja, und auch die Profiler zum Beispiel aus der Serie Mein Tanter, die wahrscheinlich die meisten von euch kennen, das sind keine FallanalytikerInnen wie wir, die jetzt in Deutschland haben.
00:04:25
Diese Serie beruht ja auf wahren Begebenheiten, aber so kann man sich das nicht vorstellen.
00:04:30
Also für die, die es nicht kennen, da geht es um zwei FBI-Agenten, die in den 70er Jahren halt mit Serienmördern gesprochen haben, also die interviewt haben sozusagen, um deren Psyche zu verstehen, um dann eben Mordfälle zu klären oder auch zukünftige Mordfälle zu verhindern.
00:04:47
Und in der Serie sieht das so aus, als würde das alles super funktionieren und als würden die Ermittler auch irgendwann meinen, sie könnten wie MörderInnen denken.
00:04:57
Aber nur, weil ein Täter oder eine Täterin dir irgendetwas sagt, heißt das ja nicht, dass das auch stimmt.
00:05:02
Und weil wir ja aus den Fällen auch wissen, dass bei schweren StraftäterInnen auch Persönlichkeitsstörungen vorliegen können, die sie zum Beispiel extrem manipulativ machen oder die dazu führen, dass die TäterInnen selbst gar nicht den Zugang mehr zu ihren Gefühlen haben.
00:05:18
Also das heißt, sie können vielleicht auch gar nicht die Wahrheit sagen, auch wenn sie es wollen würden.
00:05:22
Ja, und dann gibt es aber ja auch noch die, die dann mehr Tötungsdelikte gestehen, als sie eigentlich begangen haben.
00:05:28
Also um sich dann halt auch nochmal besonders wichtig zu machen. War das auch bei einem Fall bei Mein Täter so?
00:05:34
Bin ich eigentlich die Einzige, die Mein Täter nicht so gut fand?
00:05:37
Ja, okay. Aber klar, damals war das ja noch der Anfang der Fallanalyse, aber halt wie das da dargestellt wird, also dass diese Ermittler anhand von diesen wenigen Befragungen dann irgendwie mit ihrem Instinkt hat man ja schon fast das Gefühl und auch im Alleingang diese großen Fälle lösen.
00:05:56
Und mein Fall zeigt, wie komplex die Arbeit von FallanalytikerInnen im echten Leben werden kann.
00:06:04
Triggerwarnung wie immer in der Beschreibung.
00:06:06
Mein Fall, diese Folge, erzählt von einem Vater, der den Mörder seines Sohnes jagt und von der Besessenheit, die aus seiner Trauer erwachsen ist.
00:06:15
Die Namen einiger Beteiligter habe ich geändert.
00:06:18
Im Februar 2008 gibt Rainer Feld sein gefühlt hundertstes Interview zum Mord an seinem Sohn Andreas.
00:06:26
Dabei ist er nicht mehr traurig oder gar wütend.
00:06:29
Er ist sachlich, wirkt fast abgeklärt, doch als Zuschauerin spürt man die Verzweiflung in seinen Worten.
00:06:36
Damit ich eines Tages in Frieden sterben kann, muss ich wissen, wer das getan hat.
00:06:44
Es ist das Beste für das Kind, denkt Rainer, als sein Sohn im August 1991 auf das Internat wechselt.
00:06:51
Es war seine Idee gewesen, denn Andreas Noten waren in letzter Zeit immer weiter abgerutscht.
00:06:56
Ein Internat, wo man sich auf den Unterrichtsstoff konzentriere, könne dem Einhalt gebieten und so könne der 13-Jährige noch die Kurve kriegen.
00:07:03
Mit diesen Argumenten konnte Rainer seine Frau Yvonne überzeugen.
00:07:07
Ab jetzt wird Andreas nur noch die Wochenenden zu Hause verbringen, mit den Eltern und seinem kleinen Bruder Timo.
00:07:13
Jeden Sonntag wird er zukünftig von seinem Vater die eineinhalb Stunden von Bad Oldesloe nach Rothenburg ins Internat gefahren.
00:07:20
Und so auch am Sonntag, den 29. März 1992.
00:07:24
Auf der Fahrt herrscht große Vorfreude bei Vater und Sohn, denn am Mittwoch fangen die Osterferien an und da soll es in den Skiurlaub gehen.
00:07:34
Tschüss, Papa, bis Mittwoch, ruft ihm Andreas beim Abschied zu.
00:07:37
Zwei Tage später klingelt bei den Fels frühmorgens das Telefon.
00:07:42
Es ist der Heimleiter des Internats.
00:07:44
Andreas sei heute Morgen nicht in seinem Zimmer gewesen.
00:07:47
Man suche jetzt nach ihm und melde sich, wenn er bis zum Frühstück wieder da sei.
00:07:51
Eine Stunde später klingelt es erneut.
00:07:54
Man habe nun Andreas Schlafanzug im Gemeinschaftsraum gefunden, in dem ein Fenster sperrangelweit offen stand.
00:08:00
Aber von Andreas fehle immer noch jede Spur.
00:08:02
Wir rufen jetzt die Polizei und es wäre schön, wenn sie auch kommen könnten, tönt es aus dem Hörer.
00:08:08
Sofort machen sich die Eltern auf den Weg ins Internat.
00:08:11
Dort treffen sie auf Polizei und Lehrerschaft und auf deren Vermutung, was geschehen sein könnte.
00:08:17
Andreas sei wahrscheinlich abgehauen, habe sich nachts aus seinem Schrank Klamotten geholt,
00:08:21
diese mit in den Gemeinschaftsraum genommen, sich dort umgezogen und sei dann aus dem Fenster geklettert hat.
00:08:26
Vielleicht wegen der verhauenen Mathearbeit vom Vortag wird in den Raum gestellt.
00:08:31
Ausgeschlossen, denkt sich Rainer.
00:08:33
So streng, dass sein Sohn wegen einer schlechten Note weglaufen würde, ist er jetzt auch wieder nicht.
00:08:38
Außerdem hatte sich Andreas doch so auf den Skiurlaub gefreut.
00:08:41
Und wieso sollte der Junge ohne Jacke verschwinden, wenn draußen nachts fast Minusgrade herrschen?
00:08:46
Die Eltern erfahren noch, dass ihr Sohn sich die Nächte zuvor immer wieder in seinem Zimmer eingeschlossen hatte
00:08:51
und ihm deshalb gestern Abend der Schlüssel abgenommen wurde,
00:08:54
als die Hausleiterin gegen 21.30 Uhr ihren letzten Rundgang machte.
00:08:58
Ein Mitschüler erzählt, dass Andreas Angst gehabt habe.
00:09:01
Wovor, weiß er nicht.
00:09:03
Die Fels müssen ohne ihren Sohn wieder zurück nach Hause fahren.
00:09:07
Für sie beginnt jetzt die schlimmste Zeit ihres Lebens.
00:09:10
In den nächsten Tagen ruft Rainer jeden zweiten Tag bei der Polizei an.
00:09:14
Doch Andreas wird nicht gefunden.
00:09:16
Fünf Wochen später gehen zwei Spaziergängerinnen mit ihren Hunden durch die Ferdiner Dünen südöstlich von Bremen.
00:09:23
Die Hunde sind nicht angeleint und obwohl ihre Halterinnen schon viel weiter gelaufen sind,
00:09:27
folgen sie ihnen nicht, hören auch nicht auf ihre Rufe.
00:09:30
Sie haben etwas gefunden.
00:09:33
Nur mit Socken und einem T-Shirt bekleidet, seine Hände auf dem Rücken gefesselt.
00:09:39
Der 13-Jährige wurde sexuell missbraucht, erstickt und 30 Kilometer vom Internat entfernt in den Dünen verscharrt.
00:09:46
Jetzt übernimmt Martin Erftenbeck von der Kripoferden den Fall.
00:09:49
Bei den Ermittlungen erfährt er von einem Vorfall in einem Schullandheim ganz in der Nähe des Internats,
00:09:55
der sich ein paar Tage vor Andreas' Verschwinden abgespielt hat.
00:09:58
Dort hat eine Lehrerin bei ihrem nächtlichen Rundgang einen fremden Mann auf dem Flur entdeckt,
00:10:02
der einen kleinen Jungen an der Hand hielt.
00:10:04
Der Junge war nur mit Schlafanzug bekleidet, barfuß,
00:10:07
und der Mann trug eine Art Verkleidung, die sie an die Actionfigur Batman erinnerte.
00:10:12
Die Lehrerin fing an zu schreien und der Mann floh.
00:10:15
Auch in Andreas' Internat war eine Beobachtung von einem fremden Mann gemacht worden.
00:10:20
In der Nacht, in der Andreas verschwand, hatte ein Lehrer um kurz nach 1 Uhr nachts
00:10:24
einen jungen Mann mit Lederjacke auf dem Internatsgelände gesehen,
00:10:27
der weglief, als er merkte, beobachtet zu werden.
00:10:30
Weitere Ermittlungen zeigen, dass solche Vorfälle in Schullandheim im Großraum Bremen
00:10:34
schon ein paar Mal vorgekommen waren.
00:10:36
Es hatte sich sogar eine kleine Ermittlungskommission gebildet,
00:10:39
mit der sich die Kripo Pferden jetzt in Verbindung setzt.
00:10:42
Die Polizei glaubt, dass Andreas' Mörder aus dem Internat kommen
00:10:45
und Verbindungen zu den Schullandheimen und Pferden haben müsse.
00:10:48
Deshalb werden alle Personen aus diesem Umfeld überprüft.
00:10:51
Doch es gibt keine heiße Spur.
00:10:53
Ende Juni 1992 wird die Mordkommission daher aufgelöst.
00:10:58
Als die Fels davon erfahren, sind sie wie vor den Kopf gestoßen.
00:11:02
Vor allem Rainer kann nicht glauben, dass die Ermittlungen jetzt schon eingestellt werden,
00:11:06
nicht mal zwei Monate nach dem Leichenfund.
00:11:09
Yvonne hingegen versucht mittlerweile, den Mord an ihrem Sohn zu verdrängen,
00:11:12
will nicht jeden Tag daran erinnert werden.
00:11:14
Schließlich haben sie noch einen zweiten Sohn, um den man sich kümmern muss,
00:11:18
den fünfjährigen Timo.
00:11:19
Doch Rainer kann sich nicht damit zufriedengeben, dass die Sache ungeklärt bleibt.
00:11:24
Er glaubt, dass der Täter noch einmal töten wird, wenn man ihn nicht stoppt.
00:11:28
Und so beginnt er mit seiner Jagd nach dem Mörder seines Sohnes.
00:11:32
Dazu meldet er sich bei dem Hamburger Anwalt Gerhard Strate.
00:11:35
Er kundigt sich, ob es möglich sei, die Behörden zum Weiterermitteln zu zwingen.
00:11:40
Aber was möglich ist, ist die Akten einzufordern.
00:11:42
Und das tut Strate für seinen Mandanten.
00:11:44
Als die Unterlagen eintreffen, setzt sich Rainer unverzüglich ran.
00:11:48
Der 48-Jährige arbeitet jede Seite akribisch durch,
00:11:52
schaut sich die Obduktionsfotos von seinem toten Kind immer wieder an.
00:11:56
Rainer, der als selbstständiger EDV-Berater arbeitet, ist Problemlöser.
00:12:00
Und sein Job ist es, Fehler in Programmen zu finden.
00:12:04
Jetzt hat er sich zum Ziel gesetzt, den Fehler in der Ermittlungsarbeit zu finden.
00:12:07
Dazu engagiert er zwei russische Privatdetektive, verteilt Flugblätter auf dem Schulhof und schreibt anonyme Briefe, in denen er den Schulleiter und andere LehrerInnen verdächtigt.
00:12:17
Die verdächtigt ist gewesen zu sein.
00:12:19
Oder etwas damit zu tun zu haben.
00:12:22
Er behauptet sogar, dass der Leiter der Mordkommission, Martin Erftenbeck, den wahren Täter decken würde.
00:12:28
Oh nein, und damit macht man ja ganz viel, viel schlimmer, ja.
00:12:32
Ja, und tatsächlich kommt er auch deswegen vor Gericht.
00:12:35
Ich meine, das sind Verleumdungen, ne.
00:12:36
Doch, das ist Rainer recht, weil er nutzt halt diese Verhandlungen, um Öffentlichkeit zu bekommen und seine Sicht darzustellen.
00:12:46
Und er hofft, dass die Polizei durch diese Aktion dann seinen Vorwürfen nachgeht und endlich wieder anfängt zu ermitteln.
00:12:53
Okay, ich finde, das ist ein ziemlich gewagtes Vorgehen, weil erstmal kann man so natürlich den Zorn von der Ermittlungsbehörde auch auf sich ziehen.
00:13:00
Hätte ich jetzt wahrscheinlich, also ich meine, ist ja auch verständlich, wenn die Beschuldigten dann selbst kein Interesse mehr daran haben, dem Mann irgendwie zu helfen, Punkt eins.
00:13:07
Punkt zwei lenkt er damit natürlich auch, also ein Verdacht auf die ganz falsche Person.
00:13:13
Ja, sowas darf man natürlich nicht machen, aber Rainer denkt damals wirklich, dass jemand aus dem Internat etwas mit dem Tod seines Sohnes zu tun hat.
00:13:22
Und der hat sich halt dabei dann vor allem auf diesen Schulleiter eingeschossen und der ist dann auch derjenige, der ihn anzeigt.
00:13:29
Aber es kommt nicht zu neuen Ermittlungen.
00:13:33
Es ist Mitte Juli 1995 und damit drei Jahre nach Andreas Tod, als Lukas in das Ferienzeltlager Selkanor in Schleswig-Holstein kommt.
00:13:41
Auf diesen Ausflug hat sich der Achtjährige schon wochenlang gefreut.
00:13:45
Zehn Tage macht er hier Urlaub mit einer Jugendgruppe und schläft nachts in einem Gruppenzelt.
00:13:50
In der elften Nacht verschwindet er spurlos.
00:13:53
Zwei Wochen später findet ein deutscher Urlauber seine Leiche in einer Sanddüne in Dänemark.
00:13:58
Missbraucht, erstickt und halbnackt.
00:14:00
An diesem Tag schlägt Rainer Feld die Zeitung auf.
00:14:03
Als er Lukas' Bild sieht, wird ihm ganz anders.
00:14:06
Der sieht ja genauso aus wie Andreas.
00:14:08
Rainer glaubt, der Mörder seines Sohnes habe wieder zugeschlagen und wendet sich an den Anwalt der Familie von Lukas.
00:14:14
Mit seinen zwei Privatdetektiven fährt er zu ihm nach Lippstadt, tauscht Erkenntnisse und Vermutungen aus.
00:14:20
Gemeinsam kommen sie zu dem Schluss, dass es sich um denselben Täter handeln muss.
00:14:23
Es gäbe zu viele Gemeinsamkeiten.
00:14:26
Die Opfer, beides kleine Jungs, die aus Einrichtungen entführt wurden.
00:14:29
Beide wurden entkleidet, missbraucht, erstickt und im Sand vergraben.
00:14:33
Außerdem hatte man an beiden Leichen ansonsten keine Spuren von physischer Gewalt gefunden.
00:14:39
Also außer die, die letztendlich zum Tod geführt haben.
00:14:43
Auch Martin Erftenbeck, der Chef der Kripoferden, kommt auf die Idee, es könnte sich um denselben Täter handeln.
00:14:49
Er meldet sich also bei der Kripo Flensburg, die den Fall Lukas übernommen haben.
00:14:52
Die haben bisher herausfinden können, dass auch in diesem Zeltlager schon mal ein maskierter Mann nachts herumgeschlichen und kleine Jungs sexuell belästigt hat.
00:15:01
Und nach kurzer Zeit stecken die FlensburgerInnen auch schon einen Tatverdächtigen in U-Haft.
00:15:06
Ein Betreuer aus dem Zeltlager.
00:15:09
Doch die Polizei muss ihn nach einiger Zeit wieder gehen lassen.
00:15:12
Der Verdacht hat sich nicht erhärten lassen.
00:15:14
Die Kripo Flensburg steht wieder am Anfang und eine Zusammenarbeit mit den Kolleginnen aus Andreas' Fall wird nicht angestrebt.
00:15:20
An einen Serientäter, der kleine Jungs missbraucht und manchmal auch welche von ihnen tötet, glaubt bei der Polizei niemand so richtig.
00:15:29
Und so wird auch der Fall Lukas zu einem Cold Case.
00:15:32
Rainer fällt, lässt sich davon nicht beirren und ist zunehmend frustriert von der Arbeit der Behörden.
00:15:37
Immer ist jemand anderes zuständig, niemand spricht miteinander, keiner hält den Kindsmörder auf.
00:15:43
Deshalb forscht Rainer weiter, irgendwo muss es eine Spur geben.
00:15:46
Dabei trifft er auf noch mehr Fälle von Kindesmissbrauch in Schullandheimen, die nur in kleinen Artikeln in irgendwelchen Lokalzeitungen zu finden sind.
00:15:55
Alle Kinder sprechen von einem großen, schwarzen Mann mit Maske.
00:15:58
Bei seinen privaten Ermittlungen wird deutlich, dass den Jungs nicht geglaubt wurde.
00:16:02
Die Geschichten vom Maskenmann wurden von den Erwachsenen als böse Träume oder Fantasie abgetan.
00:16:09
Sie können sich nicht vorstellen, dass sich ein Mann nachts heimlich in Schullandheime schleicht und kleine Jungs unter der Decke unsittlich berührt,
00:16:15
während andere Kinder nebendran friedlich schlafen.
00:16:18
Und so geht er weiter um, der Maskenmann, ohne dass Eltern vor ihm gewarnt werden.
00:16:23
Aber klar, wer würde schon mit einem Schullandheim werben, bei dem alle paar Monate ein Sexualstraftäter vorbeischaut, denkt sich Rainer.
00:16:30
Im Zuge seiner Recherchen nimmt er sich auch noch einmal den Obduktionsbericht seines Sohnes vor.
00:16:35
Auf einem Foto entdeckt er dabei ein Haar an Andreas' Hand.
00:16:39
Er sucht in den Unterlagen nach Rainer Informationen dazu, aber kann nichts finden.
00:16:43
Rainer meldet sich bei der Polizei und bort nach.
00:16:45
Laut den Beamten sei das Haar erst nach der Obduktion dorthin gekommen.
00:16:49
Aber es könnte doch auch vom Täter sein, entgegnet Rainer.
00:16:53
Er bittet daher, das Haar untersuchen zu lassen.
00:16:55
Als das nicht passiert, fährt er selbst in die Rechtsmedizin und lässt sich eine Speichelprobe des Gerichtsmediziners geben.
00:17:01
Er will sicherstellen, dass es nicht dessen Haar war.
00:17:04
Rainer lässt eine DNA-Analyse machen, zahlt mehrere Tausend Mark dafür und weiß, als er das Ergebnis in den Händen hält,
00:17:13
dass es nicht das Haar des Rechtsmediziners ist.
00:17:16
Trotzdem lässt die Polizei es mit keiner Datenbank abgleichen.
00:17:19
1997 ist Martin Erftenbeck, der Ermittler aus Andreas' Fall, zu einer Veranstaltung für MordermittlerInnen des Landes Niedersachsen eingeladen.
00:17:27
Dort wird ein Pilotprojekt des Polizeipräsidiums München vorgestellt.
00:17:31
Thema Täterprofiling.
00:17:34
Die neue Ermittlungsmethode aus den USA, bei der es darum geht, aus der Tat Rückschlüsse auf den Täter oder die Täterin zu finden,
00:17:40
könnte Ihnen im Fall von Andreas vielleicht helfen, denkt Erftenbeck.
00:17:44
Nach dem Vortrag geht er auf den Redner Alexander Horn zu, einem jungen Oberkommissar, der Mitbegründer des Projekts ist.
00:17:50
Er fragt ihn, ob man eine Einzelfallanalyse zum Mordfall Andreas anfertigen könnte und Horn sagt zu.
00:17:56
In den nächsten Wochen beschäftigt sich ein Team von FallanalytikerInnen intensiv mit der Akte
00:18:01
und entwickelt ein erstes Täterprofil von Andreas' Mörder.
00:18:05
Sie gehen von einem planvollen, intelligenten Täter aus, der zur Tat seit mindestens 30 Jahre alt war
00:18:11
und der einen Bezug sowohl zum Ort des Verschwindens als auch zum Ablageort hat.
00:18:15
Es handelte sich laut dem Team um einen Sexualstraftäter mit einer Vorbeziehung zu Andreas.
00:18:20
Daraufhin hört sich Erftenbeck noch einmal im Umfeld des Internats um.
00:18:24
Doch neue Verdächtige lassen sich nicht finden.
00:18:27
Es ist der 3. September 2001, als Niklas mit seiner Klasse im Schullandheim Wulstbüttel nördlich von Bremen ankommt.
00:18:35
Mit seinen besten Freunden teilt sich der Neunjährige ein Mehrbettzimmer.
00:18:39
Sein Bett ist das erste, wenn man die Tür hineinkommt und zwei Tage später ist es am Morgen leer.
00:18:44
Niklas ist unauffindbar und wieder hat kein anderes Kind etwas gemerkt.
00:18:49
Wieder war ein Junge nur mit Schlafanzug und ohne Schuhe bekleidet, mitten in der Nacht in der Nähe von Bremen verschwunden.
00:18:55
Sofort wird die Polizei eingeschaltet und eine der größten Suchaktionen Norddeutschlands beginnt.
00:19:00
Doch Niklas wird nicht gefunden.
00:19:02
Erst zwei Wochen später entdeckt ein Pilzsammler in einem Wald rund 40 Kilometer von dem Schullandheim entfernt seine Leiche.
00:19:09
Missbraucht, halbnackt und erstickt.
00:19:11
Die Soko Niklas wird gegründet.
00:19:14
Im Zuge der Ermittlungen werden ähnliche Fälle überprüft und diesmal richtig.
00:19:18
So erfahren die Beamtinnen von mehr als 20 Taten eines maskierten Mannes, der nachts in Zeltlager und Schullandheime einsteigt und kleine Jungs sexuell missbraucht.
00:19:27
Ein Vorfall spielte sich sogar in dem Schullandheim ab, aus dem jetzt Niklas verschwunden ist.
00:19:32
Und das war vorher nicht bekannt.
00:19:34
Der Polizei war das schon bekannt, aber die hatten das nicht dem Heim gesagt.
00:19:40
1999 kam der maskierte Mann, trug einen Jungen aus seinem Zimmer, ging mit ihm in den Keller und machte Fotos von ihm.
00:19:46
Das Kind vertraute sich vor Angst niemandem an.
00:19:49
Der Mann hatte ihm gedroht, ihn und seine Eltern zu töten, wenn er es doch tun würde.
00:19:53
Erst ein Jahr später, als er wieder in das Schullandheim sollte und lautstark dagegen protestierte, erzählte er seinen Eltern davon.
00:20:00
Es stellt sich heraus, die Polizei hat in diesem Fall dann auch ermittelt, nachdem die Eltern sie informiert hatten.
00:20:06
Aber dem Leiter des Heims haben sie nichts davon gesagt.
00:20:10
Jetzt ändert sich das.
00:20:12
Alle bekommen die Geschichte vom Maskenmann zu hören, auch die Öffentlichkeit.
00:20:16
Mithilfe des Jungen wird ein Phantombild erstellt.
00:20:18
Darauf zu sehen, ein großer Mann mit schwarzer Jacke, schwarzer Hose und einer schwarzen Maske die Öffnung an Augen, Nase und Mund hat.
00:20:25
Und plötzlich melden sich immer mehr Kinder.
00:20:28
Dadurch wird bekannt, dass der Mann mit Maske auch vor Familienhäusern nicht zurückschreckt.
00:20:32
Die Soko hält es jetzt für möglich, dass es sich bei all diesen Fällen um denselben Täter und um den Mörder von Niklas, Lukas und Andreas handelt.
00:20:40
Um sicherzugehen, zieht die Soko auch hier die FallanalytikerInnen aus München hinzu, die die drei Morde miteinander vergleichen und zu dem Schluss kommen, dass es sich um denselben Täter handelt.
00:20:50
Im März 2002 entsteht dann ein neues Täterprofil.
00:20:53
Man geht jetzt davon aus, dass eine Vorbeziehung zu Andreas nicht mehr ausschlaggebend ist.
00:20:58
Und dass die Kinder eher zufällig ausgewählt werden.
00:21:01
Dass der Täter zwischen 1963 und 1974 geboren wurde, in Norddeutschland wohnt, berufliche Erfahrungen mit Kindern hat, sozial integriert ist, allein lebend und pädophil.
00:21:12
Die ErmittlerInnen suchen auch nach vor Gericht verwertbaren Spuren. Deshalb lassen sich alle Akten und Asservate zukommen. Aber viele der Akten von den Missbrauchsfällen sind vernichtet oder verschwunden. Und so verlaufen die Ermittlungen im Sand.
00:21:32
Die Soko Niklas wird verkleinert und die Leitung übernimmt schließlich Martin Erftenbeck.
00:21:37
2006 werden dann alle sichergestellten Spuren und Kleidungsstücke erneut untersucht.
00:21:41
Dabei findet man auf Andreas Unterhose ein DNA-Fragment.
00:21:45
Die Polizei ruft daraufhin 1000 Männer zum freiwilligen Speicheltest auf.
00:21:49
Männer, die in das Täterprofil passen.
00:21:51
Ergebnis? Kein Ergebnis.
00:21:54
Zwei Männer, die von Rainer Feld verdächtigt werden, werden von der Polizei nicht zu dem Test geladen.
00:21:59
Das macht ihn wütend und deshalb stellt er Strafanzeige gegen die ErmittlerInnen wegen Verdachts der Strafvereidlung im Amt.
00:22:05
Ein weiterer verzweifelter Hilferuf auf der Jagd nach dem Mörder seines Sohnes.
00:22:11
In dieser Zeit gibt er auch das Interview, in dem er sagt, damit ich eines Tages in Frieden sterben kann, muss ich wissen, wer das getan hat.
00:22:18
Und auch in den Jahren danach sagt er das in Interviews, auch wenn es irgendwann niemand mehr hören will.
00:22:25
Im Februar 2011 ist dann die Polizei noch einmal im Fernsehen zu sehen.
00:22:29
In einer Pressekonferenz geben die ErmittlerInnen ihre Ergebnisse preis und auch das Täterprofil.
00:22:34
Es ist ihre letzte Chance, den Maskenmann endlich zu finden, denken sie.
00:22:37
Für Hinweise, die zu seinem Ergreifen führen, werden 20.000 Euro ausgelobt.
00:22:42
Und zwei Monate später klingelt das Telefon bei den Fels.
00:22:46
Früh um 8 Uhr, da sitzen Yvonne und Rainer gerade beim Frühstück.
00:22:50
Fast genau 19 Jahre, nachdem der Heimleiter ihnen die Nachricht überbrachte, dass Andreas verschwunden sei.
00:22:56
Wir möchten sie davon unterrichten, dass wir einen Mann verhaftet haben.
00:22:59
Er hat gestanden, drei Kinder getötet zu haben.
00:23:02
Auch ihren Sohn.
00:23:03
Hören sie diesmal aus dem Hörer.
00:23:06
Als das Telefon aufgelegt ist, schauen sich die beiden stumm an.
00:23:09
Sie wissen nicht, was sie sagen sollen.
00:23:11
Schließlich entgegnet Yvonne, ich hatte nicht mehr dran geglaubt.
00:23:16
Dann schaut sie ihrem Mann tief in die Augen und sagt, ich wünsche mir sehr, dass du nun Ruhe findest.
00:23:22
Doch Rainer kann es nicht richtig glauben.
00:23:24
Soll die Jagd nach dem Mörder, die ihn nicht nur rund 40.000 Euro, sondern auch Jahre seines Lebens gekostet hat, jetzt wirklich vorbei sein?
00:23:32
Er will von der Polizei alles wissen.
00:23:34
Und er erfährt, dass der entscheidende Hinweis am Abend der Pressekonferenz in Form einer E-Mail reinkam.
00:23:40
Von einem Opfer des Maskenmannes, das 1995 in seinem eigenen Kinderzimmer missbraucht wurde.
00:23:46
Der Mann konnte sich jetzt an ein Gespräch erinnern, das er mit einem Betreuer in einem Schullandheim geführt hatte.
00:23:52
Ein paar Monate vor der Tat.
00:23:54
Dieser Betreuer hatte ihn ausgefragt zu seinem Kinderzimmer, zu dem Haus, in dem er wohnt, und er musste sogar eine Skizze für ihn malen.
00:24:01
In der E-Mail stand, ich bin mir nicht mehr hundertprozentig sicher, wie er hieß, aber ich glaube, er hieß Martin.
00:24:08
Die Soko Niklas findet einen Martin in ihrer Datenbank.
00:24:12
Ein Martin N., der bereits zwei Ermittlungsverfahren wegen sexuellem Missbrauchs an kleinen Jungen in seiner Akte vermerkt hat
00:24:18
und er wegen des Besitzes von Kinderpornografie mit der Polizei Hamburg zu tun hatte.
00:24:23
Einem Martin, den sie selber 2007 schon vor sich sitzen hatten, als es um die Speichelproben ging.
00:24:29
Der Mann hatte den Test damals verweigert.
00:24:31
Und er hatte erklärt, er wäre noch nie an den Tatorten gewesen und hätte auch keine pädophile Neigung.
00:24:37
Obwohl der Mann perfekt ins Täterprofil passt, gaben sich die ErmittlerInnen vor Ort mit diesen Angaben zufrieden.
00:24:43
Jetzt nimmt sich die Soko Niklas Martin N. ein zweites Mal vor.
00:24:47
Dazu wird die Festplatte besorgt, die in dem Zusammenhang mit den Kinderpornos in Hamburg konfisziert wurde.
00:24:52
Und als die ErmittlerInnen tausende Fotos durchgehen, treffen sie irgendwann auf das Foto des Kindes,
00:24:58
das 1999 im Schullandheim Wulzbüttel missbraucht und im Keller fotografiert wurde.
00:25:04
Zeitgleich kommt die Info rein, dass der Name Martin N. auf der Liste von MieterInnen auftaucht,
00:25:10
die 1995 ein Ferienhaus in Dänemark gemietet hatten, nicht weit entfernt von dem Ablageort des zweiten Opfers.
00:25:16
Im April 2011 wird Martin N. festgenommen.
00:25:19
Nach stundenlangen Vernehmungen gesteht er gegenüber dem Fallanalytiker Alexander Horn,
00:25:24
der Maskenmann zu sein und Andreas, Lukas und Niklas getötet und mehr als 40 Jungen sexuell missbraucht zu haben.
00:25:31
Ein halbes Jahr später beginnt der Prozess im Landgericht Stade.
00:25:35
Rainer sitzt als Nebenkläger im Saal, als der vermeintliche Mörder seines Sohnes den Raum betritt,
00:25:41
sich hinter einem rosafahrenden Aktenordner versteckt.
00:25:44
Angeklagt ist der 41-Jährige wegen dreifachen Mordes und 20-fachen sexuellen Missbrauchs.
00:25:50
Viele der anderen gestandenen Fälle sind bereits verjährt.
00:25:53
15 Minuten braucht der Staatsanwalt, um die Liste der Verbrechen vorzutragen,
00:25:58
die ihm niemand aus seinem Umfeld je zugetraut hätte.
00:26:00
Martin N. habe ein Doppelleben geführt,
00:26:03
in dem er seine beiden Persönlichkeiten gut voneinander trennen konnte,
00:26:06
so der Gutachter Prof. Dr. Norbert Nedopiel.
00:26:10
Auf der öffentlichen Bühne war er der freundliche, kinderliebe und vertrauenswürdige Betreuer
00:26:15
mit der Stimme eines Märchenonkels
00:26:17
und privat der Sexualstraftäter, dem seine Opfer egal waren.
00:26:20
Fünf Monate nach Prozessbeginn soll das Urteil gesprochen werden.
00:26:24
Für Rainer Feld gibt es nur eine Strafe für den Mörder seines Kindes.
00:26:28
Lebenslang bei Feststellung der besonderen Schwere der Schuld
00:26:31
mit anschließender Sicherungsverwahrung.
00:26:33
Die höchste Strafe, die es in Deutschland gibt.
00:26:36
Nur dann kann er zur Ruhe kommen, glaubt er.
00:26:39
Am 27. Februar 2012 wird Martin N. verurteilt.
00:26:43
Zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.
00:26:46
Zudem stellt das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest.
00:26:49
Die Strafe, die sich Rainer gewünscht hat.
00:26:52
Seine Jagd hat ein Ende.
00:26:54
Neun Tage nach dem Urteilsspruch macht der 68-Jährige einen Fahrradausflug.
00:27:00
Dabei erleidet er einen Herzinfarkt und stirbt.
00:27:03
Das ist nicht dein Ernst.
00:27:04
Neun Tage hatte er Ruhe.
00:27:06
Nach seinem Tod spricht sein Sohn Timo in einem Interview
00:27:10
über die Jagd seines Vaters nach dem Mörder seines Bruders.
00:27:13
Er glaubt, dass hinter der Besessenheit, den Fall aufzuklären,
00:27:17
eine posttraumatische Belastungsstörung steckte,
00:27:19
die nie diagnostiziert wurde und so auch nicht behandelt werden konnte.
00:27:23
Anfang der 90er gab es für Angehörige von Mordopfern
00:27:27
eben noch keine psychologische Hilfe oder Betreuung.
00:27:30
Reiners Weg mit dem Schmerz umzugehen war seine Suche nach der Wahrheit.
00:27:34
Sein Sohn Timo glaubt, das Herz seines Vaters hatte nachgegeben,
00:27:38
nachdem dieses Ziel erreicht war.
00:27:40
Und so wurde Rainer Feld indirekt zum letzten Opfer des Maskenmannes.
00:27:45
Also da kann man ja jetzt natürlich spekulieren,
00:27:51
woher dieser Herzinfarkt kam.
00:27:53
Aber am Ende ist das einfach nur tragisch.
00:27:56
Gerade weil seine Frau ja vorher noch gesagt hat,
00:27:59
dass sie hofft, dass er jetzt endlich Ruhe findet.
00:28:02
So, wie muss das für sie gewesen sein?
00:28:05
Also dieser Fall hat mich auch so mitgenommen.
00:28:11
Ich muss dazu eine Geschichte erzählen.
00:28:13
Laura und ich waren neulich zusammen in Bremen und ich kam in die Ferienwohnung,
00:28:17
die wir uns da gemietet hatten, betrat sie.
00:28:20
Laura war schon vor mir da und gucke ins Schlafzimmer und das Bett war verwühlt
00:28:23
und da lag eine Küchenrolle drin und halt zerknüllte Küchenrollenteile.
00:28:29
Und das war ein skurriles Bild.
00:28:30
Und ich meinte, was hast du hier getan?
00:28:32
Und sie hatte halt vorher an dem Fall gearbeitet und dementsprechend sich Salzwasser entledigt.
00:28:42
Ja, ich muss dazu sagen, da hatte ich gerade den Film im Namen meines Sohnes geguckt,
00:28:47
der eben auf dieser Jagd von Rainer Feld beruht.
00:28:50
Und natürlich ist bei solchen nachgespielten Fällen kann das dann sehr real rüberkommen.
00:28:58
Und das hat mich dann total getroffen irgendwie, das so zu sehen.
00:29:03
Und der Hauptdarsteller ist Tobias Moretti und ich liebe diesen Schauspieler.
00:29:06
Und der spielt das ganz großartig.
00:29:09
Und er hat danach auch in Interviews gesagt, er wollte das erst nicht spielen.
00:29:13
Und dann hat der Regisseur ihn überredet.
00:29:16
Und dann meinte er aber, nach manchen Szenen musste er weg und hat sich eingeschlossen und hat nur geheult.
00:29:21
Und der hat den Vater gespielt?
00:29:24
Und er meinte halt auch so, er ist voll der emotionale Typ.
00:29:29
Aber Rainer Feld, so wie ich ihn genannt habe, der war halt gar nicht so emotional,
00:29:34
sondern er wirkte eher sachlich.
00:29:38
Und deshalb hatte man ihm so eine emotionale Jagd nach dem Mörder seines Sohnes auch gar nicht so richtig zugetraut.
00:29:45
Wir haben das schon ein paar Mal gesehen bei Eltern, die versuchen, das Verbrechen an ihrem Kind aufzuklären,
00:29:51
dass sich bei denen irgendwann eine Routine einstellt, was sie, glaube ich, auch selber schützen kann.
00:29:57
Ja, sie können ja nicht 19 Jahre lang nach außen hin zerbrechen.
00:30:00
Sie haben ein Anliegen und das müssen sie durchkämpfen.
00:30:03
Und dann wirkt es vielleicht auf manche im ersten Moment gefühlskalt.
00:30:06
Ich glaube, die eignen sich eine Fassade an, so wie das auch andere Personen machen, die in der Öffentlichkeit stehen.
00:30:13
Und du hast gar keine Ahnung, was da innen drin natürlich alles kaputt ist.
00:30:17
Ja, wenn man jetzt so, wie ich den Fall erzählt habe vom Maskenmann hört, dann könnte man vielleicht meinen,
00:30:23
war ja sehr offensichtlich, dass es sich um denselben Täter gehandelt hat.
00:30:28
Aber das ist der klassische Rückschaufehler.
00:30:30
Denn lange hatten die ErmittlerInnen ja gar nicht alle Informationen.
00:30:34
Und außerdem war es auch so, dass sie sich so einen Täter auch nicht wirklich vorstellen konnten.
00:30:40
Und das gab es auch vorher noch nicht.
00:30:41
Erst 2001 ändert sich das Jahr.
00:30:44
Und zwar, nachdem eine sogenannte vergleichende Fallanalyse erstellt wird.
00:30:48
Und was das ist, darum geht es jetzt in meinem Aha.
00:30:50
Eine vergleichende Fallanalyse wird immer dann eingesetzt, wenn der Verdacht besteht,
00:30:55
dass es sich eben bei zwei oder mehreren Delikten um eine Serie oder um Wiederholungstaten handeln könnte,
00:31:01
die einem Täter, einer Täterin oder einer Gruppe zuzuordnen sind.
00:31:05
Der Fallanalytiker Alexander Horn schreibt in seinem Buch die Logik der Tat,
00:31:09
dass bei einer solchen Analyse besonders wichtig ist, Objektivität herzustellen,
00:31:13
damit man sich eben kein Ergebnis passend macht.
00:31:15
Und deshalb holt sich Horn im Fall des Maskenmannes 2001 nicht nur die AnalytikerInnen ins Boot,
00:31:21
die jetzt an den anderen Fällen, also an den einzelnen Fällen bereits gearbeitet haben,
00:31:25
sondern auch welche, die komplett unvoreingenommen sind und die Einzelheiten nicht kennen.
00:31:30
Bevor es an die Analyse geht, ist dann wichtig, dass bereits Einzelfallanalysen für jeden Fall existieren,
00:31:36
damit die dann verglichen werden können.
00:31:38
Und dann arbeiten die ErmittlerInnen erstmal so eine Liste ab von Vergleichskriterien in Bezug auf das Verhalten,
00:31:44
die typisch sind für die bestimmte Tat und welche darüber irgendwie hinausgehen.
00:31:50
Und deutlich darüber hinaus geht jetzt bei Maskenmann,
00:31:53
dass er nachts in geschützte Bereiche eindringt, wo viele Erwachsene sind.
00:31:57
Und das ist sehr untypisch für pädophile SexualstraftäterInnen,
00:32:01
weil das einfach super riskant ist.
00:32:03
Und ich meine, er geht ja ins Zimmer, wo mehrere Kinder drin sind
00:32:07
und wo nebenan noch die BetreuerInnen warten oder wach sind.
00:32:12
Und was den Fällen außerdem gemein ist, ist, dass alle drei Opfer vorpubertäre Jungen waren,
00:32:17
dass sie sexuell missbraucht wurden.
00:32:19
Das hat man anhand der Auffindung der Leiche deutlich gesehen,
00:32:22
dass sie erwürgt und relativ weit weg von dem Ort gebracht wurden, an dem sie verschwunden sind.
00:32:27
Was Horn und seinen Kolleginnen außerdem auffällt, ist das geringe Ausmaß an Gewalt, bevor es zur Tötung kommt.
00:32:34
Aber es gibt auch Unterschiede, für die die ErmittlerInnen dann Erklärungen suchen,
00:32:37
also nachvollziehbare Erklärungen, die es geben könnte.
00:32:40
So war das bei Andreas ja, dass er 13 Jahre alt war, also älter als die beiden anderen Jungs.
00:32:45
Und er war auch das einzige Opfer, was gefesselt war.
00:32:48
Und da denken die ErmittlerInnen jetzt, gut, wahrscheinlich war das genau der Grund.
00:32:52
Er war älter und deswegen konnte er sich zur Wehr setzen und deswegen wurde er gefesselt.
00:32:56
Und dann schlussfolgern sie, dass sich der Täter dann wahrscheinlich deshalb danach für jüngere Opfer entschied.
00:33:02
Und dann waren die Ablageorte nur bei zwei Opfern ähnlich, also bei den ersten beiden.
00:33:07
Die waren ja beide in Sanddünen vergraben.
00:33:09
Und hier glauben die ErmittlerInnen, dass der Täter durch die ersten beiden Male irgendwie gelernt hat,
00:33:13
dass die Kinder trotzdem gefunden werden.
00:33:15
Und deshalb hätte er sich bei Niklas dann keine Mühe mehr gemacht, ihn wirklich zu verstecken.
00:33:20
Und bei Andreas hatte der Täter außerdem noch die Kleidung zurückgelassen.
00:33:24
Das hat er bei den anderen beiden nicht.
00:33:26
Und da meinen sie, möglich ist, dass er aus dem ersten Fall gelernt hat, ist es besser, so wenig zurückzulassen wie möglich, um so wenig Spuren wie möglich zurückzulassen.
00:33:34
Oder sie meinen, vielleicht hat er auch die Klamotten als sogenannte Trophäen mitgenommen, um sich dann an seine Taten zu erinnern.
00:33:42
Generell sind die Taten aber als Ganzes sehr ähnlich und unterscheiden sich von allen Fällen, die die ErmittlerInnen bisher, also von denen sie irgendwie gehört haben oder selbst bearbeitet haben.
00:33:53
Also die Handschrift des Täters ist einzigartig.
00:33:56
Und übrigens ist die Handschrift nicht dasselbe wie der Modus operandi, was ich fälschlicherweise in Folge 8 so gesagt habe.
00:34:04
Weil der Modus operandi ist die Art des Vorgehens, das notwendig ist für die Tatbegehung.
00:34:09
Und unter Handschrift verstehen AnalytikerInnen dagegen ein Verhalten, das für den eigentlichen Erfolg der Tat unnötig ist.
00:34:16
Also als Beispiel, ein Mörder, der, sagen wir mal, immer ins Haus einbricht, der muss, um ins Haus zu kommen, dann beispielsweise die Fenster aufhebeln.
00:34:27
Das ist dann der MO, also der Modus operandi, der hier dann immer gleich oder ähnlich ist, weil er das ja halt machen muss.
00:34:34
Der MO verändert sich aber übrigens auch im Laufe der Verbrechen, so wie du gerade gesagt hast, naturgemäß, weil man auch lernt.
00:34:44
Also vielleicht hat man beim ersten Mal noch ein anderes Werkzeug zum Aufhebeln benutzt als bei den anderen Malen.
00:34:49
Wenn dieser Mörder aber jetzt beispielsweise nach der Tat seinem Opfer saubere Kleidung anzieht, das muss er halt nicht machen.
00:34:58
Das hat was eher mit seiner persönlichen Fantasie zu tun.
00:35:01
Und in dem Moment personifiziert er ja die Tat.
00:35:04
Und wenn er das häufiger macht, also bei all seinen Taten oder bei den meisten, und immer dieses Muster anwendet, was über die eigentliche Tat, also den Mord hinausgeht, dann spricht man von einer Handschrift.
00:35:16
Und der Mann, der nachts maskiert in irgendwelche Einrichtungen eindringt und dann kleine Jungs mit seinem Auftreten erschreckt, der weist eben für diese AnalytikerIn eine ganz klare Handschrift auf.
00:35:28
Und deshalb kommen die 2001 dann eben zu diesem Schluss, dass es sich um einen Serientäter handelt.
00:35:33
Also am Ende genau, was Rainer Feld vermutet hatte, als er halt damals die Zeitung aufschlug.
00:35:41
Meine Geschichte, die ich heute erzähle, handelt nicht von einer Serie, aber auch hier hat die Fallanalyse eine wichtige Rolle gespielt.
00:35:48
Mein Fall zeigt, dass man sich die Personen, die man in sein Leben und seine Wohnung lässt, lieber genauer anschauen sollte.
00:35:56
Einige Namen habe ich geändert und es gibt in diesem Fall sehr viele Namen.
00:36:01
Was war das für ein Geräusch?
00:36:05
Mareike ist im Wohnzimmer eingeschlafen.
00:36:08
Sie war so fertig von der Nacht davor und hat sich einfach auf die Couch gepackt und sich mit der blauen Kuscheldecke mit dem Sternmuster zugedeckt, die sie von ihrer Mutter bekommen hat.
00:36:16
Aber jetzt hört sie Schritte.
00:36:18
Sie ist nicht allein.
00:36:19
Also steht sie auf, um zu gucken, was hier gerade passiert.
00:36:23
Als sie ins Schlafzimmer tritt, steht jemand vor ihr.
00:36:26
Mareike erschreckt sich fürchterlich.
00:36:28
Sie kennt die Person, die vor ihr steht.
00:36:31
Aber sie sollte nicht hier sein.
00:36:33
Endlich ihre eigene Wohnung.
00:36:37
Kommen und gehen, wann sie will, einrichten, wie sie will und Partys machen, mit wem sie will.
00:36:42
Zwei Zimmer in der Hochparterre, nur für Mareike und ihre Katze.
00:36:46
Und Mareikes gesamten Freundeskreis, der ziemlich oft zu ihr zum Feiern vorbeikommt.
00:36:52
Manchmal gehen sie danach noch in die Dartbar nebenan, ins Mikado.
00:36:56
Mareike hat gerne alle ihre Leute um sich herum.
00:36:59
Im wahrsten Sinne des Wortes.
00:37:01
Deswegen hängen sie auch überall bei ihr in der Wohnung an den weißen Wänden.
00:37:04
400 Fotos sind es insgesamt.
00:37:06
Kreuz und quer hat Mareike ihre Bude damit tapeziert.
00:37:09
Viele der Fotos sind erst in der neuen Wohnung, in den gemeinsamen Partynächten, entstanden.
00:37:13
Mareike hat sie mit ihrer Kamera aufgenommen und dann die Fotos zum Entwickeln gebracht.
00:37:18
So macht man das im Jahr 2003 noch.
00:37:20
Die schönen Momente festhalten, das ist Mareike wichtig.
00:37:24
Und davon erlebt die 20-Jährige gerade eine Menge.
00:37:26
Abgesehen von der neuen Freiheit, die sie durch die Wohnung bekommen hat,
00:37:30
hat sie sich gerade noch dazu von ihrem Exfreund Christian getrennt.
00:37:33
Für den hatte sie zwar starke Gefühle, aber in der Beziehung hat sie sich etwas eingeengt gefühlt.
00:37:38
Er wollte mehr Zeit mit ihr alleine verbringen und hat es gar nicht gern gesehen, wenn sie feiern gegangen ist.
00:37:42
Und das wollte und konnte Mareike nicht weiterhin nehmen.
00:37:46
Aber sie kommt mit der Trennung ganz gut zurecht.
00:37:48
Mareike ist eh kein Mensch, der viel Trübsal bläst.
00:37:51
Sie lacht viel und hat ein Lächeln, das ansteckt.
00:37:54
Und das kommt wahnsinnig gut bei Männern an.
00:37:56
Mareike hat viele Verehrer, denen sie mit ihren langen, lockigen, blonden Haaren den Kopf verdreht.
00:38:01
Sie hat gerade einen neuen Job als Textilmechanikerin angefangen.
00:38:05
Das ist nicht ihr Traumjob, aber in der Gegend bei Waldmünchen, nahe der tschechischen Grenze,
00:38:09
gibt es auch nicht so viele gut bezahlte Jobs, die für sie in Frage kamen.
00:38:13
Und auch wenn der Job wegen des Schichtdienst manchmal etwas mühselig ist, braucht sie ihn dringend.
00:38:18
Sie hat für die neue Wohnung extra einen Kredit aufgenommen und muss jetzt etwas sparsamer leben.
00:38:23
Von dem Geld hat sie sich die Einrichtung bezahlt.
00:38:26
Beim Aussuchen der Möbel hat ihr Mutter Janett geholfen.
00:38:29
Ein bisschen schade findet Janett es ja, dass Mareike jetzt aus dem Haus ist,
00:38:32
aber sie versteht den Freiheitsdrang ihrer Tochter.
00:38:35
Bei Janett ist es jetzt ruhiger in der Wohnung geworden.
00:38:38
Sie war immer mittendrin, wenn Mareikes Freundeskreis zu Besuch war.
00:38:42
Also, sie war jetzt nicht selbst Teil des Freundeskreises,
00:38:45
aber sie hat sich schon immer gut mit den jungen Leuten verstanden.
00:38:48
Janett ist einfach eine coole Mutter.
00:38:50
Sie war selbst fast noch ein Kind, als Mareike kam.
00:38:53
Mit 14 Jahren hat sie ihre Tochter bekommen.
00:38:56
Und vielleicht ist der geringe Altersunterschied auch ein Grund dafür, warum sich die beiden so gut verstehen.
00:39:01
Und so ist Janett auch manchmal dabei, wenn aus Mareikes Wohnung wieder ein Club wird und man gemeinsam anstößt.
00:39:08
Auch Christian, Mareikes Ex-Freund, kommt dann vorbei und natürlich Mareikes beste Freundin Anna.
00:39:13
Und dann ist da noch Ralf, eine coole Socke, wie Mutter Janett ihn beschreibt, der immer Flausen im Kopf hat.
00:39:19
Ihn kennt Mareike von der Schule.
00:39:20
Dann Markus, der immer Bock auf Party hat und auch gerne mal eintrinkt.
00:39:25
Deswegen nennen sie ihn die Partykanone.
00:39:29
Tatsächlich wird in Mareikes Freundeskreis nicht nur getrunken, sondern auch mal Cannabis geraucht.
00:39:33
Und dann ist da noch Stefan.
00:39:35
Stefan passt auf den ersten Blick nicht so richtig zur Clique.
00:39:38
Er ist ein bisschen älter, Ende 20.
00:39:40
Mareike kennt ihn von der Arbeit und schleppt ihn jetzt manchmal mit.
00:39:43
Denn Stefan ist schüchtern, kennt nicht so viele Leute und hatte auch noch nie eine Freundin.
00:39:48
Mareike hat sich vorgenommen, ihn zu verkuppeln.
00:39:50
Dafür bügelt sie dann seine Hemden, damit er bei Dates ordentlicher aussieht
00:39:54
und schaltet eine Kontaktanzeige für ihn für die Zeitung.
00:39:57
Als Dank hilft er oft bei Sachen, fährt sie manchmal wohin
00:40:00
und er schenkt ihr ein Aquarium für die Wohnung.
00:40:02
Janett freut sich für ihre Tochter.
00:40:05
Alles läuft gut.
00:40:06
Bis Mareike ihr im August 2003 erzählt, dass ihr etwas seltsam vorkommt.
00:40:11
Sie vermisst ständig Dinge aus ihrer Wohnung.
00:40:15
Mareike findet das seltsam.
00:40:16
Sie kann doch nicht alles verlegt haben.
00:40:18
Janett sagt ihr, dass sie doch zu Hause nochmal genauer gucken soll.
00:40:22
Danach kommt das Thema nicht mehr auf.
00:40:24
Mareike und Janett ahnen nicht,
00:40:26
dass sich da das große Unheil schon ankündigt.
00:40:28
Es ist der 11. Oktober, ein Samstag.
00:40:32
Mareike ist mit ihren Freundinnen mal wieder auf einer Party.
00:40:35
Aber diesmal nicht bei ihr, der Geburtstag eines Freundes.
00:40:39
Die Clique feiert ordentlich und Mareike und einige andere übernachten dann gemeinsam bei dem Freund.
00:40:44
Am nächsten Morgen, am Sonntag um 12 Uhr macht sich Mareike dann auf den Heimweg.
00:40:49
Markus, a.k. die Partykanone, begleitet Mareike noch fast bis zur Wohnung.
00:40:53
Dann verabschieden sich die beiden.
00:40:55
Mareike ist total fertig vom Feiern.
00:40:58
Um 16 Uhr klingelt Mareikes Handy.
00:41:00
Es ist Anna, ihre beste Freundin.
00:41:02
Die war bei der Feier nicht dabei und Mareike erzählt ihr alles vom Wochenende.
00:41:06
Anna will wissen, was sie an diesem Abend starten wollen.
00:41:10
Aber Mareike winkt ab.
00:41:11
Sie ist immer noch zu K.O. vom Vorabend und außerdem hat sie am nächsten Tag Frühschicht.
00:41:15
Und die beginnt schon um 6 Uhr morgens.
00:41:17
Anna versteht das und die beiden liegen auf.
00:41:20
Mareike macht sich noch etwas zu essen, stellt ihren Wecker auf 5.15 Uhr und schläft dann auf der Couch im Wohnzimmer ein.
00:41:26
Sie wird erst wieder wach, als sie von einem Geräusch aus dem Schlafzimmer geweckt wird.
00:41:31
Am nächsten Tag erscheint Mareike nicht auf der Arbeit zur Frühschicht.
00:41:36
Das verwundert ihre KollegInnen, denn Mareike hat sich in letzter Zeit viel Mühe gegeben, extra pünktlich dort zu sein.
00:41:42
Sie hatte nämlich schon eine Abmahnung, weil sie schon ein paar Mal zu spät gekommen war.
00:41:46
Auch bei ihrer Mutter meldet sie sich den ganzen Montag nicht.
00:41:50
Normalerweise ruft sie mindestens einmal am Tag durch.
00:41:52
Als Janett es bei Mareike auf dem Handy versucht, kommt sie gar nicht erst durch.
00:41:56
Das Telefon ist aus.
00:41:58
Also fährt Janett bei ihrer Tochter vorbei, guckt durch das Fenster und sieht, dass niemand zu Hause ist, außer der Katze.
00:42:05
Irgendwie kommt ihr das alles seltsam vor.
00:42:07
Den Montag wartet Janett noch ab, aber als am Dienstag auch kein Zeichen von Mareike kommt, hält sie es nicht mehr aus.
00:42:13
Vielleicht ist Mareike zu Hause umgefallen und liegt jetzt dort, ohne dass es jemand mitbekommt.
00:42:18
Sie fährt zur Wohnung und ruft den Schlüsseldienst.
00:42:20
Die Tür ist abgeschlossen.
00:42:23
Mareike schließt eigentlich nie ab.
00:42:25
Der Mann öffnet die Wohnung und Janett kann rein.
00:42:29
Ihr fällt eigentlich nichts Ungewöhnliches auf, nur dass im Wohnzimmer noch ein Holzbrett mit Essensresten von einer Brotzeit steht und Lebensmittel, die eigentlich in den Kühlschrank gehören.
00:42:38
Außerdem ist das Aquarium eingeschaltet.
00:42:40
Das macht Mareike eigentlich immer aus, wenn sie die Wohnung verlässt.
00:42:43
Janett hat ein ungutes Gefühl und meldet ihre Tochter bei der Polizei als vermisst.
00:42:48
Die Polizei bildet eine Arbeitsgruppe mit ErmittlerInnen, die sich den Fall mal genauer ansehen sollen.
00:42:54
Noch kann nicht ausgeschlossen werden, dass Mareike einfach abgehauen ist und irgendwo ein neues Leben angefangen hat.
00:43:00
Denn eigentlich deutet im ersten Moment wenig auf ein Gewaltverbrechen hin.
00:43:04
Mareikes Mantel fehlt, ihre Tasche, ihr Portemonnaie und ihre Schuhe auch.
00:43:08
Es sieht alles so aus, als wäre sie einfach gerade aus der Wohnung gegangen.
00:43:11
Aufbruchsspuren an der Tür gibt's auch keine.
00:43:15
Allerdings ergibt die Befragung der NachbarInnen, dass Mareike möglicherweise doch einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.
00:43:20
Die Nachbarin, die über ihr wohnt, erzählt nämlich, dass sie nachts um kurz nach zwölf dumpfe Klopfgeräusche aus Mareikes Wohnung und Schreie gehört hat.
00:43:28
Sie hatte sich erst gesorgt, hat dann aber Mareikes Wohnungstür zufallen hören und sich gedacht, dass Mareike dann wohl einfach auf dem Weg zur Spätschicht gewesen ist.
00:43:36
Sie und Mareike kennen sich zwar nur flüchtig, aber sie wusste von Mareikes Arbeitszeiten.
00:43:41
Eine andere Zeugin macht eine ähnliche Aussage.
00:43:45
Die Frau ist an dem Abend Gast im Hotel nebenan gewesen und sagt, sie sei nachts durch laute Geräusche aufgewacht.
00:43:50
Bevor sie aber richtig ergründen konnte, woher die kamen, waren sie auch schon wieder verschwunden.
00:43:54
Die BeamtInnen rufen die Spurensicherung.
00:43:57
Sollte es sich um ein Verbrechen handeln, müssen mögliche Hinweise darauf gesichert werden.
00:44:02
Den KollegInnen fallen ein paar Dinge auf.
00:44:05
Auf dem Küchenfußboden in der Nähe des Esstischs finden sie kleine Glassplitter.
00:44:09
Ein passender Gegenstand, der Mareike beispielsweise runtergefallen sein könnte, sehen sie aber nicht.
00:44:14
Außerdem finden sie auf der Mikrowelle blonde lockige Haare, die zum Teil Wurzeln haben.
00:44:19
Und sie finden am Rahmen der Eingangstür rotbraune Spritzer, die, wie sich herausstellt, Blut sind.
00:44:26
Jemand hat versucht, es wegzuwischen.
00:44:28
Für die BeamtInnen sind diese Hinweise ein Rätsel, das sie Stand jetzt noch nicht lösen können.
00:44:33
Was hier warum passiert ist, darauf wissen sie keine Antwort.
00:44:37
Eine Sonderkommission wird gegründet.
00:44:39
Janett legt alle Hoffnung in die Ermittlungen.
00:44:42
Sie kann sich überhaupt nicht erklären, warum ihre Tochter verschwunden sein soll.
00:44:45
Für sie beginnt eine Tortur.
00:44:48
Chef der Soko ist der 36-jährige Stefan Halder.
00:44:52
Er lässt Mareikes Handydaten auswerten.
00:44:55
Offenbar hat sich ihr Telefon um 3.36 Uhr noch ins tschechische Netz eingeloggt.
00:44:59
Allerdings liegt Waldmünchen so nah an der Grenze, dass das öfter mal passiert.
00:45:03
Am 16. Oktober, vier Tage nach Mareikes Verschwinden, startet die Soko eine riesige Suchaktion.
00:45:09
Sie durchforsten ein 50 Quadratkilometer großes Gebiet mit Hundestaffeln, der Bergwach, der Feuerwehr und der Bereitschaftspolizei.
00:45:16
Nichts wird ausgelassen, nicht mal die Kanalisation und auch nicht der beliebte Badesee in Waldmünchen.
00:45:22
Überall, wo man eine Leiche verstecken könnte, wird gesucht.
00:45:25
Zeitgleich werden mögliche ZeugInnen befragt, was sich als echte Mammutaufgabe herausstellt.
00:45:31
Denn, wie schon erzählt, Mareikes Freundeskreis ist riesig.
00:45:36
Insgesamt werden 250 Befragungen mit 150 Zeuginnen und Zeugen durchgeführt.
00:45:40
Darunter alle, die bei Mareike ein- und ausgingen.
00:45:43
Anna, die beste Freundin, ihr Ex Christian, Ralf, der auf einigen Fotos, die in der Wohnung hängen, mit Mareikes Unterwäsche posiert,
00:45:50
Markus, die Partykanone, Arbeitskollege Stefan und, und, und.
00:45:55
Große Erkenntnisse können sie dabei nicht gewinnen.
00:45:57
Allerdings fällt den ErmittlerInnen auf, dass sich die Aussagen der Freunde teilweise widersprechen,
00:46:02
was die Geburtstagsfeier angeht, auf der Mareike am Samstag war.
00:46:05
Und zwar zu den Angaben, wer dort gewesen sein soll.
00:46:09
Außerdem kommt bei der Befragung heraus, dass Anna, die nachmittags mit Mareike telefoniert hat,
00:46:13
wohl nicht die letzte Person war, die Kontakt zu ihr gesucht hat.
00:46:16
Markus, die Partykanone, gibt an, dass er abends noch im Mikado war und auf dem Rückweg noch bei Mareike vorbeischauen wollte.
00:46:23
Von außen sah er aber, dass alles dunkel in der Wohnung gewesen ist.
00:46:27
Dann schaute er durch die Fenster, sah eine Person, von der er davon ausging, dass es sich dabei um Mareike handelte,
00:46:34
in die blaue Sterndecke eingemummelt auf der Couch schlafen.
00:46:37
Dann, so sagt er, sei er wieder gegangen, weil er sie nicht wecken wollte.
00:46:41
Die Spurensicherung ergab, dass sich Markus Fingerabdrücke auch auf der Klinke der Wohnungstür befanden.
00:46:46
Allerdings nicht nur seine, sondern auch noch von einem Dutzend anderer Freunde.
00:46:51
Und die Fotos an den Wänden belegen ja, dass er oft zum Feiern bei Mareike war.
00:46:56
Insgesamt findet die Spurensicherung 86 unterschiedliche DNA-Spuren in der Wohnung.
00:47:02
Über 1800 Spuren muss die Polizei insgesamt untersuchen.
00:47:07
Kaum zu bewältigen und bei weitem nicht die einzige Schwierigkeit in dem Fall.
00:47:12
19 Tage nach Mareikes Verschwinden suizidiert sich eine 15-Jährige aus Mareikes Freundeskreis.
00:47:18
Kurze Zeit später wird Ralf, Mareikes Freund, aus der Schule tot aufgefunden.
00:47:23
Auch er hatte sich das Leben genommen.
00:47:25
Kurze Zeit darauf scheitert eine 17-Jährige Bekannte von Mareike bei einem Suizidversuch und eine weitere Bekannte wird auch wegen eines Suizidversuchs und wegen Selbstgefährdung in die Psychiatrie eingeliefert.
00:47:39
Plötzlich ist Waldmünchen das Dorf der todessüchtigen Kinder, wie eine Zeitung titelt.
00:47:44
Der Fall von Mareike sorgt jetzt bundesweit für Aufmerksamkeit.
00:47:48
Die ErmittlerInnen stehen unter besonders hohem Druck, denn zu den unzähligen Spuren und Hinweisen, denen sie nachgehen müssen, kommen ja jetzt auch noch die Suizide dazu, in denen sie auch ermitteln müssen.
00:47:57
Also da waren zwei, die gestorben sind jetzt und nochmal zwei, die es versucht hatten?
00:48:03
Richtig, ja. Und natürlich gibt es jetzt auch die Überlegung von einigen Menschen, ob Mareike sich eventuell auch suizidiert hat und einfach nicht auffindbar ist.
00:48:13
Oder ob diese Personen was mit ihrem Tod zu tun haben.
00:48:18
Ja, zumindest, ob das irgendwie im Zusammenhang steht.
00:48:21
Also wenn gleich diese vier nicht denselben Freundeskreis hatten, aber sie kannten halt alle Mareike.
00:48:29
Aber natürlich war gerade so eine Spekulation sehr interessant für die Medien.
00:48:34
Und deswegen muss Stefan Halder und sein Team dem auch nachgehen.
00:48:39
Was die Polizei aber mittlerweile weiß, ist, dass der Grund für die Ungereimtheiten bezüglich der Geburtstagsfeier etwas mit dem Drogenkonsum im Freundeskreis zu tun hat.
00:48:49
Offenbar wollten nämlich einige Gäste der Party andere Personen schützen.
00:48:53
Daraufhin ermittelt die Polizei vier Monate in der Drogenszene.
00:48:57
Als das bekannt wird, kommen Gerüchte auf, dass ein Drogendealer hinter Mareikes Verschwinden und den Suiziden stecken könnte.
00:49:04
Andere spekulieren, dass Mareike von osteuropäischen Menschenhändlern über die tschechische Grenze verschleppt worden sein könnte.
00:49:10
Das ganze Dorf verfällt in eine Art Schockstarre.
00:49:13
Als dann auch noch eine Zeugin Mareike in einer schwarzen Kutte gehüllt auf einem Friedhof gesehen haben will,
00:49:19
werden die ErmittlerInnen erdrückt von Hinweisen und weiteren Theorien zu satanischen Sekten in Waldmünchen.
00:49:25
Stefan Halder tritt daraufhin in der Sendung Aktenzeichen XY ungelöst auf und richtet den Appell an das Publikum,
00:49:32
dass Spekulationen dieser Art überhaupt nicht bei der Suche nach Mareike helfen.
00:49:36
Janett fühlt sich machtlos.
00:49:38
Sie kann sich einfach nicht erklären, was passiert sein soll.
00:49:41
Weil sie nicht einfach nur wartend rumsitzen kann, entscheidet sie sich dazu,
00:49:44
vermissten Plakate mit Mareikes Foto auszudrucken und in der ganzen Stadt aufzuhängen.
00:49:49
Und zum Glück ist sie nicht alleine.
00:49:51
Stefan, Mareikes Arbeitskollege, ist ebenfalls unermüdlich und will seine Freundin unbedingt finden.
00:49:57
Er fährt Janett mit dem Auto durch die Gegend, hilft ihr beim Aufkleben der Plakate und steht ihr bei, wenn sie mal wieder verzweifelt.
00:50:03
Fast täglich kommt er zu ihr und bespricht mit ihr die nächsten Schritte, redet mit ihr über die bisherigen Ermittlungen.
00:50:09
Und wenn Janett mal wieder weinen muss, dann tröstet er sie und streichelt ihr über die Wange.
00:50:13
Janett ist sehr dankbar für diese Unterstützung.
00:50:16
Er entwickelt sich zu einem richtigen Freund für sie, den sie jetzt dringend braucht.
00:50:20
Denn besonders eines kann Janett nicht verarbeiten.
00:50:22
Janett sagt, im Frühjahr hätte einer der ermittelnden Beamten sie aufgefordert, sie solle endlich den Mord an ihrer Tochter gestehen.
00:50:29
So erzählt sie das, ja.
00:50:31
Und die haben wohl auch die Wohnung durchsucht, sagt Janett.
00:50:36
Und danach hätte halt das Wohnzimmer ausgesehen wie ein Schlachtfeld.
00:50:40
Und für Janett, die mit dem Verschwinden ihrer Tochter halt überhaupt nicht zurechtkommt, war das wie ein Schlag im Bauch.
00:50:47
Weil sie sich halt wie eine Verdächtige fühlt.
00:50:49
Während Stefan und Janett ihre eigene Suche fortführen, hat die Soke mittlerweile die Auswertung der Spuren bekommen.
00:50:55
Die ausgerissenen Haare aus der Küche stammen von Mareike.
00:50:59
Das Blut am Türrahm ist von Stefan.
00:51:01
Das könnte ein erster, konkreter Anhaltspunkt sein.
00:51:05
Die BeamtInnen bestellen ihn nochmal auf die Wache und befragen ihn dazu.
00:51:09
Allerdings hat er eine plausible Erklärung dafür.
00:51:13
Stefan sagt, er würde oft plötzliches Nasenbluten bekommen.
00:51:16
Das sei auch das ein oder andere mal bei Mareike passiert.
00:51:19
Auch auf Arbeit hat er damit zu kämpfen.
00:51:21
Die Reinigungsfrau müsse das dann immer wegmachen, sagt er.
00:51:25
Noch während der Befragung kontaktieren die BeamtInnen deswegen die Reinigungsfrau der Fixstilfabrik.
00:51:30
Und sie bestätigt Stefans Aussage.
00:51:32
Damit sind auch die Blutspritzer kein Hinweis auf eine Täterschaft.
00:51:36
Mittlerweile geht man davon aus, dass die Suizide weder miteinander in Verbindung stehen, noch irgendwas mit Mareike zu tun haben.
00:51:43
Sowohl bei der 15-Jährigen als auch bei Ralf lassen sich Erklärungen im privaten Bereich finden.
00:51:50
Viele Spekulationen wie um den Satanismus lösen sich im Nichts auf.
00:51:54
Alle Spuren führen ins Leere.
00:51:56
Die Polizei hat inzwischen keine Hoffnung mehr, dass Mareike noch lebt.
00:52:00
Im Februar 2004 kontaktiert der bayerische Innenminister Disoko.
00:52:05
Er bewilligt die Belohnungen, die für Hinweise ausgesetzt sind, die zur Aufklärung des Falls führen, von 5000 auf 50.000 Euro anzuheben.
00:52:13
Ihm ist dringend daran gelegen, den Fall endlich zu klären, der schon seit Monaten weit München in ein schlechtes Licht rückt.
00:52:19
Aber Disoko muss sich mittlerweile eines eingestehen.
00:52:22
Sie ist an dem Punkt angekommen, wo sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.
00:52:26
Wie Stefan Halder später selbst im Interview des Podcasts Spuren des Todes der Mittelbayerischen Zeitung sagt.
00:52:33
Sie brauchen dringend Hilfe, am besten von außerhalb.
00:52:36
Also bittet Halder vier Monate nach dem Verschwinden von Mareike den Fallanalytiker Alexander Horn vom LKA Bayern um Rat.
00:52:43
Der auch in deinem Fall ja schon zur Aufklärung beigetragen hat.
00:52:47
Er soll eine operative Fallanalyse machen.
00:52:50
Als Halder sich bei Horn meldet und ihm von dem Fall erzählt, ist Horn überrascht.
00:52:54
Halder sagt ihm, dass sie keine Leiche und einen fraglichen Tatort haben.
00:52:59
Beides Dinge, die man neben den Opferinformationen braucht.
00:53:03
Wie soll ich dir ohne Tatort und ohne Leiche helfen, fragt Horn.
00:53:07
Unter diesen Umständen eine Fallanalyse zu machen, ist schwer, aber Horn will es dennoch versuchen.
00:53:13
Er und sein Team gehen davon aus, dass Mareike die Wohnung nicht mehr verlassen hatte.
00:53:18
Sie hatte Anna ja gesagt, dass sie nicht mehr los wollte.
00:53:21
Und Markus hatte sie vermutlich abends gegen 20 Uhr ja auch noch auf der Couch liegen sehen, als er durch das Fenster schaute.
00:53:27
Da es keine Aufbruchsspuren an der Wohnung gibt, gehen sie davon aus, dass Mareike den Täter oder die Täterin reingelassen hat und es dann in der Küche zu einer Auseinandersetzung gekommen ist.
00:53:37
Deswegen die Haare auf der Mikrowelle.
00:53:39
Die Aussagen der beiden Zeuginnen, die Lärm gehört haben, lassen darauf schließen, dass der Tat kein langer Streit vorausgegangen war,
00:53:46
sondern dass die Situation sofort eskaliert ist und Mareike dann versucht hat, dem Täter zu entkommen.
00:53:52
Wahrscheinlich ist, dass die Person ein Mann war, dafür spricht, dass es jemand gewesen sein muss, der stark genug war, um Mareikes Körper alleine aus der Wohnung zu schaffen.
00:54:01
Horn und sein Team gehen davon aus, dass die Tat einen sexuellen Hintergrund gehabt haben muss.
00:54:06
Ein Verehrer von Mareike vielleicht, der sich ihr nähern wollte, woraufhin sie sich dagegen wehrte, woraufhin er sie tötete.
00:54:13
Das Team schaut sich in Mareikes Wohnung um.
00:54:17
Vielleicht sind dort Hinweise zu finden.
00:54:19
Akribisch gehen sie alle Aufnahmen durch und suchen nach einem Gegenstand, der auf die Scherben in der Küche schließen lassen könnte.
00:54:26
Tatsächlich finden sie auf den Bildern eine Vase, die jetzt nicht mehr in der Wohnung ist und die farblich zu den Scherben passen würde.
00:54:33
Die Deckenleuchte in der Küche wirft bei Dunkelheit nur ein schwaches Licht auf den Tisch und den Boden.
00:54:39
Die Scherben wurden übersehen.
00:54:40
Jemand hat versucht, Ordnung zu machen.
00:54:43
Der Müll ist geleert.
00:54:45
Und noch etwas fällt auf.
00:54:47
Auf einigen Fotos ist eine blaue Decke mit Sternmuster zu sehen.
00:54:51
Die Decke, mit der sich Mareike laut Markus offenbar abends zugedeckt hatte.
00:54:55
Auch diese Decke fehlt.
00:54:57
Der Täter könnte Mareike also in die Decke gewickelt und so ihren Leichnam rausgetragen haben.
00:55:02
Wahrscheinlich in einem Auto, denn weit kommt auch ein kräftiger Mann, nicht ungesehen mit einer Leiche.
00:55:09
Wenn man all das zugrunde legt, dann könnte man anhand dieser Annahme ein Täterprofil erstellen.
00:55:13
Der nächste Schritt, den Horn und sein Team machen.
00:55:16
Der Täter muss strukturiert vorgegangen sein.
00:55:18
Wenn eine Situation plötzlich eskaliert, geraten viele Täter in Panik und begehen viele Fehler.
00:55:25
Offenbar hatte er alles daran gesetzt, seine Tat verbergen zu wollen.
00:55:28
Er beseitigte die Leiche, beseitigte die Spuren, die er im Dunkeln noch sehen konnte und ließ es dann auch noch so aussehen, als hätte Mareike freiwillig ihre Wohnung verlassen.
00:55:38
Er hatte also absichtlich falsche Spuren gelegt, um die ErmittlerInnen in die Irre zu führen.
00:55:43
Dabei beging er aber ein paar Fehler, mit denen er seine falschen Spuren verriet.
00:55:47
Wie beispielsweise, dass er die Tür abschloss, obwohl es Mareikes Angewohnheit war, genau das nicht zu tun.
00:55:53
All das deutet auf eine Sache hin.
00:55:55
Mareike kannte den Täter.
00:55:57
Und deswegen will er von sich ablenken.
00:55:59
Horn und seine KollegInnen erstellen ein Täterprofil mit 25 Merkmalen, die ihrer Meinung nach am wahrscheinlichsten auf den Mann zutreffen.
00:56:07
Darunter männlich.
00:56:10
Auf den Mann zutreffen.
00:56:20
Das nehmen sie an, weil er so gut überlegt gehandelt hatte, was man bei jungen Tätern eher selten sieht.
00:56:25
Eine handlungsorientierte Persönlichkeit.
00:56:28
Eine problembehaftete Sexualität, die er nur schwer ausleben konnte.
00:56:33
Sexuelles Interesse an Mareike.
00:56:36
Alleinlebend, weil es ihm möglich gewesen sein muss, nachts lange wegzubleiben, ohne dass es jemandem auffiel.
00:56:42
Auffälliges Verhalten in Bezug auf Mareikes Verschwinden.
00:56:45
Heißt, dass er entweder sehr großes Engagement und Interesse an der Ermittlung zeigt oder eben genau das Gegenteil und sich gar nicht einbringt.
00:56:53
Weder bei der Suche, noch bei Gesprächen über sie.
00:56:56
120 Männer hat die Soko im Bekannten-, Freundes- und Kollegenkreis von Mareike festgemacht.
00:57:02
Auf das Raster, was sie erstellt haben, passen aber nur sieben Personen.
00:57:08
Und auf eine von diesen sieben Personen passen 24 der 25 Merkmale.
00:57:13
Es ist Stefan, Mareikes Arbeitskollege.
00:57:16
Die ErmittlerInnen setzen alles auf diese Karte, konzentrieren sich jetzt nur noch auf ihn.
00:57:21
Sie besorgen sich einen richterlichen Beschluss, um seine Wohnung zu durchsuchen.
00:57:24
Dabei offenbart sich ein absurdes Bild.
00:57:28
Als sie die Wohnung von Stefan betreten, sehen sie, dass er etliche Zeitungsausschnitte zum Verschwinden von Mareike an die Wand gehängt hat.
00:57:34
Daneben hängen Fotos von ihr im goldenen Bilderrahmen.
00:57:38
Das allein heißt noch nichts, denn immerhin hat er sich ja auch aktiv an der Suche beteiligt und auch Jeanette unterstützt.
00:57:44
Im Schlafzimmer machen die ErmittlerInnen dann aber einen weiteren Fund.
00:57:49
Als sie die Matratze anheben, entdecken sie, dass Stefan dort etwas versteckt hat.
00:57:53
Etliche Dessous.
00:57:55
60 bis 70 Teile Damenunterwäsche.
00:57:58
Das macht ihn zum Verdächtigen.
00:58:01
Doch reichen wird das nicht.
00:58:04
Das weiß Soko Leiterhalder.
00:58:06
Sie brauchen unbedingt ein Geständnis.
00:58:08
Und das wird schwer.
00:58:09
Denn wenn es Stefan war, dann hat er die Leiche offenbar gut versteckt.
00:58:12
Natürlich wird er weiterhin leugnen.
00:58:14
Trotzdem soll er ein drittes Mal vernommen werden.
00:58:18
Wichtig ist jetzt die richtige Vernehmungsstrategie.
00:58:20
Die sieht so aus, dass zwei neue Kollegen Stefan befragen sollen.
00:58:25
Es sollen explizit zwei Männer sein, da sie ja vermuten, dass Stefan besondere sexuelle Präferenzen und ein Problem mit Frauen hat.
00:58:32
Die beiden sollen Verständnis für seine Situation zeigen.
00:58:35
Also dafür, dass er eher der Typ Einzelgänger ist, der nie eine Frau abbekommt und sich daraufhin in Mareike verliebt,
00:58:41
die ihn dann aber zurückweist und er ausrastet.
00:58:44
Der leitende Gesprächspartner in der Vernehmung ist Rainer Gröger.
00:58:48
Er hat jahrelang Erfahrung in der Befragung von Verdächtigen.
00:58:51
Während er Stefan befragen soll, wollen einige ErmittlerInnen der Soko und Fallanalytiker Alexander Horn in einem Nebenraum warten.
00:58:58
Und dann geht es los.
00:59:00
Stefan ist auch bei dieser Vernehmung kooperativ und freundlich, lässt sich von den beiden Beamten nicht aus der Fassung bringen.
00:59:07
Auf alle Fragen hat er eine Erklärung.
00:59:09
Auch als das Gespräch auf die gefundene Unterwäsche kommt, bleibt er ganz ruhig.
00:59:13
Er hat sie halt, sagt er.
00:59:15
So ein Fetisch ist ja wohl nicht verboten.
00:59:17
Und damit hat er recht.
00:59:18
Mehrere Stunden dauert die Vernehmung.
00:59:21
Und obwohl Gröger und sein Kollege alle möglichen Taktiken dabei anwenden, bröckelt Stefan kein bisschen.
00:59:26
Das ist schlecht.
00:59:28
Das Geständnis ist wichtig.
00:59:29
Ohne können sie Stefan nicht festhalten.
00:59:32
Nach elf Stunden beschließt das Team dann die Vernehmung abzubrechen.
00:59:35
Sie haben nichts.
00:59:36
Und Stefan macht keine Anstalten, davon abzuweichen, dass er mit der Tat nichts zu tun hat.
00:59:41
Grögers Kollege verlässt den Vernehmungsraum.
00:59:45
In dem Moment kann man förmlich sehen, wie die Anspannung aus Stefan weicht.
00:59:48
Gröger fragt Stefan freundschaftlich, ob er noch etwas zu essen haben möchte.
00:59:52
Sie müssen noch auf das Vernehmungsprotokoll warten.
00:59:54
Und er hat nach dem Vernehmungsmarathon sicherlich Hunger.
00:59:58
Dann hält Gröger kurz inne und sagt, nur so am Rande, weil es mich aus kriminalistischer Sicht interessiert.
01:00:05
Sind sie eigentlich durch das Fenster oder durch die Tür in die Wohnung gekommen?
01:00:09
Und Stefan antwortet, durchs Fenster.
01:00:14
Was für ein Geniestreich von dem Typen.
01:00:16
Wie kommt man darauf, wie kommt man darauf, dass man jetzt einfach diese Frage stellen könnte und er dann antwortet?
01:00:25
Das ist ja voll krass.
01:00:28
Ich habe mehrere Reportagen dazu gesehen.
01:00:32
Ich habe bei der ersten, dass mir so alles aus dem Mund gefallen ist, als ich mir da gerade an Essen reingestopft habe.
01:00:41
Es dauert eine Weile, bis Stefan realisiert, was er da gerade gesagt hat.
01:00:45
Gröger spürt, dass er Stefans Mauer eingerissen hat.
01:00:48
Stefan hatte für einen kurzen Moment seine Abwehr außer Acht gelassen und Gröger hat genau dann zugeschlagen.
01:00:54
Gröger setzt die Vernehmung fort.
01:00:56
Stefan besteht alles.
01:00:58
Erzählt dem Beamten, dass er dachte, Mareike sei an dem Abend nicht zu Hause gewesen.
01:01:02
Er sei wie so oft durch das Fenster ins Schlafzimmer eingestiegen und sie habe ihn dann überrascht, als er gerade wieder einmal Unterwäsche stehlen wollte.
01:01:09
Danach sei sie ausgeflippt, habe angefangen zu schreien.
01:01:12
Weil er nicht wollte, dass die Nachbarn etwas mitbekommen, habe er das Fenster in der Küche geschlossen und dabei die Vase heruntergestoßen.
01:01:19
Mareike konnte Stefan dann noch mit einer Glasflasche verletzen, daher auch die Blutspritzer.
01:01:24
Sie habe dann fliehen wollen, ist gerade noch so, in den Hausflur geschafft.
01:01:28
Aber Stefan habe sie zurückziehen können und sie dann gewirkt, bis sie sich nicht mehr rührte.
01:01:32
Ihre Leiche habe er dann in die Sterndecke eingewickelt, sie zu seinem Auto getragen und danach den Tatort gesäubert.
01:01:39
Im Wesentlichen bestätigt er also den Ablauf der Tat, wie Fallanalytiker Horn und sein Team es vermuteten.
01:01:44
Nur das mit der Unterwäsche wich vom eigentlichen Motiv ab.
01:01:48
Also gab es keinen sexuellen Missbrauch?
01:01:50
Nach der Tat hatte Stefan die Leiche 24 Stunden in seiner Wohnung versteckt und ist dann erst in der Nacht von Montag zu Dienstag mit ihr in ein Waldgebiet außerhalb von Waldmünchen gefahren.
01:02:00
Dort hatte er sie abgelegt und mit Ästen und Laub bedeckt.
01:02:04
Als er durch Janett dann immer auf dem aktuellen Stand der Ermittlungen war und erfuhr, dass diese örtlich weiter ausgedehnt werden sollten,
01:02:11
fuhr er sechs Wochen später zum Ablageort und lagerte die Leiche dann noch einmal in ein anderes Waldgebiet, 100 Kilometer von Waldmünchen entfernt, um.
01:02:19
Dort vergrub er sie dann.
01:02:21
Er hatte später sogar den Plan, sie noch einmal woanders hinzubringen, hat sie dann aber nicht mehr gefunden.
01:02:26
Noch in derselben Nacht der Vernehmung führt Stefan die Soko zum selbst geschaufelten Grab von Mareike.
01:02:32
Die ErmittlerInnen haben Suchhunde dabei, die helfen, den genauen Ort zu finden.
01:02:36
Als Janett erfährt, dass die Soko die Leiche von Mareike gefunden hat, ist ihre erste Frage.
01:02:42
Wer hat meine Tochter getötet?
01:02:44
Die Polizei sagt ihr, dass es Stefan war.
01:02:47
Also der Mann, der Janett die letzten sechs Monate zur Seite gestanden hatte.
01:02:51
Der ihr die Tränen trocknete.
01:02:53
Der vorgab, gemeinsam mit ihr nach Mareike zu suchen.
01:02:56
Dabei hatte er sie selbst erwürgt und im Wald verscharrt.
01:02:59
In Janett bricht alles zusammen.
01:03:01
Sie hat ihn reingelassen.
01:03:03
In ihr Leben, in ihre Wohnung.
01:03:04
Und sie hat nichts mitbekommen.
01:03:06
Wie konnte ich nur so dämlich sein?
01:03:09
Im Sommer 2005 wird Stefan der Prozess gemacht.
01:03:13
Janett tritt als Nebenklägerin auf.
01:03:15
Auf den Tisch, an dem sie mit ihrem Anwalt sitzt, stellt sie ein Foto von Mareike.
01:03:20
Sie beobachtet Stefan während des Prozesses sehr genau.
01:03:22
Das psychiatrische Gutachten zeichnet einen Sonderling, der kein Selbstbewusstsein hat, keine Freunde und regelrecht scheu ist.
01:03:29
Der noch mit 31 Jahren nachts ins Bett näst.
01:03:32
Im Prozess stellt sich heraus, dass er sich unsterblich in Mareike verliebte, die seine Annäherungsversuche aber immer ablehnte.
01:03:39
Ein Grund für eine verminderte Schuldfähigkeit sehen die GutachterInnen nicht.
01:03:43
Das Landgericht Regensburg verurteilt Stefan wegen Mordes zur Verdeckung einer anderen Straftat zur lebenslanger Haft.
01:03:49
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass Stefan Unterwäsche klauen wollte.
01:03:52
Mareike ihn dabei erwischte und er sie deswegen tötete.
01:03:55
Ein sexuelles Motiv der Tat konnte die Kammer im Prozess nicht herausstellen.
01:03:59
Als Stefan das Urteil hört, schießen ihm Tränen in die Augen.
01:04:03
Janett fixiert ihn dabei.
01:04:04
Auch wenn es ihre Tochter nicht zurückbringen wird.
01:04:08
Für sie ist das Urteil eine Genugtuung.
01:04:12
Also für die Mutter, das tut mir so leid, weil es hat sich so angehört, als wäre er so die direkte Bezugsperson für sie dann gewesen nach dem Tod.
01:04:20
Zumindest eine, ja.
01:04:21
Also man denkt sich erstmal, er bringt sie um, weil sie ihn dabei erwischt, dass er, wenn es so war, dass er ihre Unterwäsche klaut.
01:04:31
Wenn man jetzt kein vorbestrafter Sexualstraftäter ist, wie kommt man auf die Idee, dann jemanden umzubringen?
01:04:38
Naja, also so wie Sie Stefan beschrieben haben, zeichnen sie den als sehr introvertierten, super schüchternen Typ ohne Selbstbewusstsein.
01:04:46
Und wie ich das verstanden habe, war seine Scham so groß in dem Moment, weil er Angst hatte, dass sie ihn halt verrät, dass er sie umgebracht hat.
01:04:55
Deswegen ist ja auch das Mordmerkmal zur Verdeckung einer anderen Straftat, weil im Grunde hat er ja mit dem Mord den Diebstahl verdecken wollen.
01:05:03
Ja, aber dann sich sozusagen bei der Mutter so ein Schleim, das ist für mich so ein ganz gruseliger Zug, den er dann da gemacht hat, weil er sich auch einfach zurückziehen hätte können, ja.
01:05:16
Dann hätte er aber über die Ermittlungsschritte ja nicht Bescheid gewusst, die für ihn ja von Bedeutung waren.
01:05:21
Übrigens hat die Polizei daraus auch eine Lehre gezogen, in dem Sinne, welche Informationen man an die Angehörigen gibt.
01:05:29
Also gar nicht, weil sie jetzt dann selber unter Verdacht stehen, aber einfach, weil sich in deren Dunstkreis vielleicht der Täter oder die Täterin aufhält und die deren Vertrauen genießen.
01:05:43
Was ja interessant ist, ist, dass bei beiden Fällen eine Verurteilung schwierig gewesen wäre, wenn es keine Geständnisse gegeben hätte.
01:05:50
Denn bei meinem Fall hatte es ja ansonsten auch keine Spuren gegeben.
01:05:56
Und da haben die auch dann versucht, dem Verdächtigen gegenüber Verständnis zu zeigen, also von wegen, seine sexuelle Präferenz könne man sich ja nicht aussuchen, was ja auch stimmt.
01:06:08
Und nach mehr als elf Stunden hatte der Alexander Horn, der hatte die Vernehmung geführt, der hatte dann so einen richtigen Draht zu dem Martin N., sodass er dann am Ende tatsächlich ihm gegenüber gestand.
01:06:20
Also was für eine Leistung von diesen Ermittlern.
01:06:24
Und auch bei deinem Fall, dass dieser eine Ermittler dann auf die Idee gekommen ist, dem Stefan dann noch diese eine Frage zu stellen.
01:06:32
Und das Geständnis war deswegen auch so wichtig, weil man zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, dass die Unterwäsche Mareike gehörte.
01:06:39
Das hat sich dann halt erst im Prozess rausgestellt.
01:06:42
Ja, und dein Fall war ja von den beiden jetzt so das Paradebeispiel für ein gutes Täterprofil, das dann auch zum Ziel geführt hat.
01:06:50
Ich meine, beim Maskenmann hatte das Profil ja auch gestimmt und man hatte sich ja auch genau solche Männer angeschaut.
01:06:58
Aber am Ende hatte der Täter ja schon vier Jahre vor seiner Verhaftung vor den ermittelnden BeamtInnen gesessen und war laufen gelassen worden.
01:07:07
Also so ein TäterInnenprofil erstellt man immer dann, wenn der Täter oder die Täterin noch nicht identifiziert ist.
01:07:14
Deswegen ist nachher das Ziel, dass man durch die Erstellung dieses Profils Angaben darüber bekommt, ob es ein Täter oder eine Täterin ist, in welchem Alter sich die Person befindet.
01:07:23
Und dass man halt Hinweise auf Familienstand, Wohnort, Bildung, Beruf, Vorstrafen, Persönlichkeitsstruktur, Erscheinungsbild, TäterInnenopferbeziehung, all sowas bekommt.
01:07:34
Also im Grunde möchten sie dadurch wissen, welche Art von Person das Verbrechen begangen hat und wie sie sich von anderen Menschen unterscheidet.
01:07:42
Aber im Grunde, und ich glaube deswegen können die ErmittlerInnen da auch gar nicht so viel drauf bauen, ist so ein Profil eine TäterInnen-Typ-Hypothese.
01:07:53
Also Annahmen, die getroffen werden.
01:07:55
Übrigens braucht man für das TäterInnenprofil die Fallanalyse, aber nicht jede Fallanalyse muss ein TäterInnenprofil enthalten.
01:08:03
Nicht schon gesagt braucht man dafür eigentlich die Tathandlung, die sich beispielsweise an den Opferverletzungen ableiten lässt, den Tatort und Informationen zum Opfer.
01:08:13
Wenn es um eine Verbrechensserie geht, dann kann man durch die verschiedenen Fälle auch Rückschlüsse auf die Entwicklung des Täters oder der Täterin ziehen.
01:08:21
Wie sich ja dann zum Beispiel der Modus operandi verändert hat.
01:08:24
Eine wichtige Frage, die man sich bei dieser Arbeit stellen kann, ist, ist der Täter oder die Täterin organisiert bzw. plant oder unorganisiert bzw. nicht plant vorgegangen?
01:08:34
Denn allein anhand dieser Antwort kann man wahrscheinliche Persönlichkeitsmerkmale ableiten.
01:08:40
Das FBI hatte, als diese TäterInnenprofilarbeit noch in den Kinderschuhen steckte, mal eine Übersicht über Häufigkeiten von Charaktereigenschaften der TäterInnen aufgelistet.
01:08:51
Und dazu guckt man sich zuerst mal die Verhaltensweisen an.
01:08:54
Beispiel, Waffe am Tatort gelassen.
01:08:57
Nur 19% der organisierten TäterInnen hatten das getan, aber 69% der unorganisierten TäterInnen.
01:09:04
Jetzt denkt man sich ja, gut, ist ja wenig überraschend, aber ähnlich aussagekräftig ist das bei der Verstümmelung der Leiche.
01:09:10
Nur 27% der organisierten TäterInnen taten das, aber 76% der unorganisierten TäterInnen.
01:09:18
64% der organisierten TäterInnen hatten sexuelle Handlungen am lebenden Opfer vorgenommen, wohingegen das nur 24% der nicht organisierten taten.
01:09:27
Die waren aber in der Mehrzahl, mit 74%, als es darum ging, sexuelle Handlungen am Leichnam vorzunehmen.
01:09:34
Das taten aber wieder nur 34% der Organisierten.
01:09:38
Dann schaut man anhand der Verhaltensweisen, zu welcher Gruppe der Täter oder die Täterin eher gehört.
01:09:43
Und jeder dieser beiden Gruppen werden bestimmte Merkmale zugeschrieben.
01:09:46
Organisierte TäterInnen gelten beim FBI beispielsweise als intelligenter, sozial integrierter und angekommener,
01:09:53
wohingegen unorganisierte TäterInnen eher unqualifizierte Aufgaben beruflich zugeschrieben werden.
01:09:58
Und angeblich sollen sie häufiger in der Umgebung des Opfers leben.
01:10:02
Aber wie gesagt, das sind alles ältere Erkenntnisse des FBI.
01:10:06
Ja, und heute weiß man auch, dass die Psyche von TäterInnen ja viel komplexer ist
01:10:11
und man sie halt nicht in so starre Kategorien einordnen kann.
01:10:14
Aber diese Forschungsarbeiten des FBI haben trotzdem irgendwie ja den Grundstein dafür gelegt,
01:10:20
was heute hier in Deutschland bei der operativen Fallanalyse gemacht wird.
01:10:24
Mit der Arbeit vom FBI war aber auch der Psychologe David Cantor nicht so richtig zufrieden,
01:10:30
weil ihm die wissenschaftliche Grundlage dafür fehlte.
01:10:34
Und der hat aber den Nutzen dieser TäterInnenprofile erkannt und auch selbst daran gearbeitet.
01:10:39
Und der hat dann in einer Studie mit 27 überführten Serienvergewaltigern herausgefunden,
01:10:45
dass sich bei Sexualdelikten vor allem zwei Handlungsschemata herauskristallisieren lassen.
01:10:50
Und zwar ging es da um Täter, die im Freien und Täter, die drinnen angriffen.
01:10:55
Die, die draußen Frauen attackierten, waren häufiger vorbestraft wegen Sexualverbrechen
01:11:00
und gehörten eher zu der unorganisierten Tätersorte.
01:11:02
Die, die die Vergewaltigung in Gebäuden begangen, gingen eher geplanter und kontrollierter vor.
01:11:08
Die waren zwar auch oft vorbestraft, aber eher wegen Einbrüchen oder so.
01:11:13
TäterInnenprofile sind aber nicht nur hilfreich, um diese Person zu identifizieren,
01:11:17
sondern die helfen auch im Umgang mit ihnen.
01:11:19
Bei einer Geiselnahme zum Beispiel kann man durch so ein Profil herausfinden,
01:11:23
wie gewaltbereit der Täter oder die Täterin ist.
01:11:26
Und damit dann auch Aussagen über das Risiko treffen, dem das Opfer ausgesetzt ist.
01:11:31
Und es hilft auch beim Einsatz von sogenannten proaktiven Strategien.
01:11:35
Das sind Maßnahmen, die man trifft, um ein bestimmtes Verhalten beim Täter oder bei der Täterin hervorzurufen.
01:11:40
Oder ihn oder sie davon abzuhalten, etwas Bestimmtes zu tun.
01:11:44
Was ich damit meine ist, also nehmen wir mal an,
01:11:47
und das ist jetzt wirklich nur ein ausgedachtes Beispiel von mir,
01:11:50
aber wir haben laut TäterInnenprofilen eine sehr eitle Täterin,
01:11:54
die viel Wert auf ihr Äußeres legt und ganz besessen von ihrer schlanken Körperstatur ist.
01:12:00
Also sie findet das ganz toll, dass sie Kleidergröße 32 hat.
01:12:03
Und dann könnte die Polizei, weil sie das vermutet,
01:12:07
um eine Reaktion zu provozieren, an die Öffentlichkeit rausgeben,
01:12:11
dass die Täterin eher untersetzt ist.
01:12:13
Wo sie natürlich genau wissen, dass sie sehr schlank ist.
01:12:16
Und vielleicht fühlt sich die Täterin dann animiert,
01:12:19
ein Kleidungsstück von sich zurückzulassen, auf dem ihre Kleidergröße steht.
01:12:23
Das ist nur ausgedacht.
01:12:24
Das ist nur ausgedacht.
01:12:25
Und dann hätten wir natürlich laut TäterInnenprofil
01:12:27
hoffentlich auch eine sehr dumme Täterin,
01:12:30
Aber man sucht sich seine Schurken ja nicht aus.
01:12:33
Nee, man sucht sich die nicht aus, aber man stellt sie sich vor.
01:12:36
Und das hat man auch schon vor 100 Jahren so gemacht,
01:12:38
als noch kein Mensch das Wort Fallanalyse kannte.
01:12:41
Ein Fall aus den 20er Jahren, bei dem solche Überlegungen auch festgehalten wurden,
01:12:46
ist der von Peter Köthen, den du in Folge 20 erzählt hast.
01:12:50
Ja, das war mein Mordlustfall.
01:12:52
Genau, der Vampir von Düsseldorf.
01:12:54
Und schon damals wurden halt Hypothesen zum Täter aufgestellt.
01:12:59
Und so schrieben die ErmittlerInnen damals, Zitat,
01:13:02
Es ist möglich, dass der Täter schon früher durch seine Neigung aufgefallen ist,
01:13:06
andere Lebewesen grausam zu quälen und dass er sich vielleicht schon auf dem Gebiet des Sittlichkeitsverbrechen betätigt hat.
01:13:13
Mit großer Wahrscheinlichkeit kann angenommen werden,
01:13:15
dass der Täter in seinem Vorleben mit Behörden einschlägiger Art in Berührung gekommen ist,
01:13:19
sei es Gericht oder Polizei, Erziehungsanstalt oder Gefängnis, Nervenklinik oder Irrenanstalt.
01:13:25
Ich finde es irgendwie deren Ausdrucksweise ziemlich witzig.
01:13:27
Naja, das ist ja schon ewig her.
01:13:29
Ich weiß, aber so mit Behörden einschlägiger Art in Berührung gekommen ist alles klar.
01:13:37
Naja, auf jeden Fall war so ein Profil eben damals sehr ungewöhnlich.
01:13:40
Aber es stellte sich raus, es passte ziemlich gut auf den Kürten.
01:13:45
Aber bis es zu so einer echten Disziplin in Deutschland wurde, dauerte das noch circa 60 Jahre.
01:13:51
Und dabei war auch diese Erstellung von einem Profil nur der Anfang.
01:13:55
Heute werden polizeiliche FallanalytikerInnen häufig dann hinzugezogen,
01:13:59
wenn Sonderkommissionen nicht mehr weiter wissen, wie zum Beispiel in deinem Fall.
01:14:03
Oder wenn sie unter massivem Druck stehen und sich irgendwie entscheiden müssen,
01:14:07
welchen Ermittlungsweg sie eingehen sollen, zum Beispiel bei einer Erpressung oder so.
01:14:11
Das betrifft in der Regel Fälle von Tötungs- und sexuellen Gewaltdelikten,
01:14:16
aber auch andere Fälle von besonderer Bedeutung.
01:14:19
Und da kann es dann auch sein, dass sie schon direkt von Anfang an beteiligt werden.
01:14:24
Und die AnalytikerInnen, die sind dann dafür da, die Ermittlung zu unterstützen.
01:14:28
Also die nehmen nicht selber fest oder so und die fangen auch nicht einfach an, sich einen Fall auszusuchen,
01:14:34
sondern sie sollen den Ermittlern und Ermittlerinnen helfen, ein tieferes Verständnis für den Fall zu bekommen,
01:14:40
damit dann dadurch Schlüsse für die Aufklärung gezogen werden können.
01:14:44
Denn bei FallanalytikerInnen handelt es sich um PolizistInnen, die mehrere Jahre im Bereich Sexual- oder Tötungsdelikte gearbeitet haben
01:14:51
und dann noch eine bis zu achtjährige Spezialfortbildung gemacht haben,
01:14:55
wo sie dann zum Beispiel auch so eine Art Praktika in der forensischen Psychiatrie machen müssen oder in der Gerichtsmedizin.
01:15:02
Also es handelt sich da nicht irgendwie um PsychologInnen oder so.
01:15:05
Also die können natürlich auch als externe ExpertInnen hinzugezogen werden.
01:15:09
Also das machen die ganz oft, diese OFA-Teams, dass sie dann mal einen Rechtsmediziner dazu holen oder eine Psychologin
01:15:17
oder vielleicht einen Polizisten, der schon jahrelang eine bestimmte Art von Verbrechen oder da irgendwie ein Experte ist.
01:15:25
Und Fallanalyse ist hier nur der Oberbegriff für verschiedene Analysemethoden.
01:15:31
Und die sind dann genau definiert und durch Qualitätsstandards auch bundesweit festgelegt,
01:15:36
dass das alle gleich machen sozusagen.
01:15:39
Und wenn die dann zu einem Fall hinzugezogen werden, dann arbeiten die auch eine Art Katalog ab.
01:15:44
Und dazu gehört dann erstmal das Sammeln der Informationen, das liegt nahe.
01:15:47
Also die wälzen die Akten, damit sie auf dem gleichen Stand sind, wie die aktiven ErmittlerInnen auch.
01:15:52
Und dann gehen sie auch nochmal zum Tatort und machen da eine sogenannte Tathergangsanalyse.
01:15:57
Dabei gehen die dann halt gedanklich sozusagen das Verbrechen durch
01:16:02
und teilen dann einzelne Abschnitte dieses Verbrechen in so Sequenzen auf
01:16:07
und schätzen dann das Verhalten des Täters oder der Täterin ein.
01:16:11
Also nach dem Motto, warum hat der in dem Moment das gemacht
01:16:14
und warum hat er dann im nächsten so gehandelt oder eben sie.
01:16:17
Ja, und dazu stellen sie die Tat übrigens auch oft nach.
01:16:21
Also das haben sie zum Beispiel bei Mareike auch gemacht mit so Darstellern,
01:16:26
weil das für die Ermittlungen auch von Bedeutung sein kann, wann was stattgefunden hat.
01:16:31
Und indem man das nachstellt, kann man dann eben besser nachvollziehen,
01:16:35
Ah nein, er muss zuerst das getan haben, bevor er diesen Schritt machen konnte.
01:16:39
Ja, und das machen sie dann auch zur Tatzeit.
01:16:42
Also wenn ein Mord jetzt nachts um halb drei passiert ist, dann geschieht diese Analyse auch um halb drei.
01:16:48
Nach dieser Tathergangsanalyse geht es dann um die Frage, warum kam es überhaupt zur Tat?
01:16:53
Also da geht es dann um das Motiv.
01:16:55
Und das spielt ja eine elementare Rolle.
01:16:58
Bei Mareike waren sich die ErmittlerInnen ja klar, dass die Tat einen sexuellen Hintergrund hatte.
01:17:03
Das hatte man aufgrund der Fallanalyse angenommen.
01:17:07
In Deutschland unterscheidet das BKA zwischen sieben Motivgruppen.
01:17:11
Sexuell motivierte Delikte, Bereicherung, Verdeckung, das Täterimmanente Zerstörungsmotiv.
01:17:18
Das ist sowas wie ein aggressiver Zerstörungsbille.
01:17:21
Persönliche Taten, also wenn TäterInnen und Opfer eine Beziehung zueinander hatten und die einen Grund für die Tat darstellt.
01:17:30
Und dann gibt es noch die Kategorie der unklaren Motivlage.
01:17:34
Aber es gibt immer ein Motiv.
01:17:37
Manchmal ist es halt nur nicht klar.
01:17:39
Und es ist aber nicht so, dass man davon ausgeht, dass es immer nur ein Motiv ist und so starr unterteilt werden muss.
01:17:46
Also es ist schon möglich und auch oft so, dass der Täter oder die Täterin zunächst erstmal mit einem bestimmten Ziel die Tat begangen hat.
01:17:53
Seinen Opfer jetzt beispielsweise sexuell zu missbrauchen.
01:17:56
Und dann aber auch noch Geld entwendet hat, weil es sich gerade angeboten hat oder so.
01:18:02
Also dass es da auch so eine Art Motivbündel gibt, wie im juristischen Sinn.
01:18:05
Und nach der Bewertung des Motivs wird die Tat dann als Ganzes betrachtet und bewertet.
01:18:10
Also zum Beispiel, was für eine Art Tat war das und was verrät die über die Individualität des Täters oder der Täterin.
01:18:16
Danach kann noch ein Täterprofil folgen.
01:18:19
Wie du das in deinem Aha erklärt hast, muss es aber nicht.
01:18:22
Und dann werden alle Ergebnisse der ermittelnden Polizeistelle präsentiert und die arbeiten dann damit.
01:18:27
Die machen dann einfach weiter mit der Ermittlung.
01:18:29
Und wie gesagt, kann man natürlich auch Serien bearbeiten.
01:18:33
Also mit der vergleichenden Fallanalyse kann man gucken, ist das vielleicht der gleiche Täter oder die gleiche Täterin.
01:18:39
Aber es gibt auch noch andere Methoden der Analyse.
01:18:42
Und eine davon sehen wir oft bei Serien oder Filmen, weil man es da so schön verbildlichen kann.
01:18:47
Ihr seht es vor euch.
01:18:49
Ermittler und Ermittlerinnen stehen vor der Städtekarte.
01:18:52
Und überall dort, wo die gesuchte Person zugeschlagen hat, da sind so kleine Pinnadeln drin.
01:18:57
Und die sind dann alle mit einem roten Faden miteinander verbunden.
01:19:00
Und es ist tatsächlich so, man kann auch durch das geografische Verhalten Rückschlüsse auf den Täter oder die Täterin ziehen.
01:19:09
1986 gab es in London eine Serie von Vergewaltigungen, weil der Täter, beziehungsweise die Täter, aber darauf komme ich noch,
01:19:17
meist in der Nähe von Bahnhöfen zuschlug, bekam er von der Presse den Namen Railway Rapist.
01:19:22
Weil der Mann nach 24 Vergewaltigungen auch noch zwei Frauen tötete, schnoss die Polizei zu einer bisher nicht sonderlich erprobten Methode.
01:19:31
Und zwar fragten sie den Psychologie-Professor David Cantor, ob er nicht auf Grundlage der Taten eine Täteranalyse erstellen könne.
01:19:39
Die Polizei hatte 2000 Verdächtige und das waren alles Männer, die wegen sexueller Gewaltdelikte auffällig geworden waren.
01:19:47
Und Kenta willigte dann ein und schaute sich die Tatorte genauer an.
01:19:50
Und die lagen alle nicht weit voneinander entfernt und halt die meisten auch nah am Bahnhof.
01:19:54
Und weil Kenta annahm, dass Menschen eher an Orten Verbrechen begehen, an denen sie sich auskennen, grenzte er dann den Wohnort des Gesuchten auf den Bezirk Kilburn ein.
01:20:06
Und die Polizei hatte von den 2000 Verdächtigen nur einen, der dort lebte.
01:20:09
Das war jetzt nicht das einzige Merkmal, was Kenta in diesem Profil dann herausstellte, aber eben eines davon.
01:20:16
Später wurde John Duffy überführt und verurteilt.
01:20:20
Er war dieser Mann, der als einziger in dem Bezirk lebte.
01:20:23
Er beging zusammen mit einem anderen Mann etliche Vergewaltigungen, halt teilweise auch gemeinsam.
01:20:29
Und dieser Vorgehensweise liegt auch die Kreishypothese zugrunde.
01:20:33
Das heißt, du hast mehrere Tatorte, die einer Person zuzuordnen sind und nimmst die Tatorte, die am weitesten voneinander entfernt liegen und nimmst dann einen Zirkel.
01:20:44
Wie stelle ich mir das vor?
01:20:45
Und ziehst den Kreis dann durch diese beiden Orte und alles, was innerhalb dessen liegt, kommt als Wohnort infrage, wenn man davon ausgeht, dass der Täter oder die Täterin nahe des Wohnorts agiert.
01:20:56
Kenta fand heraus, dass bei 45 Serienvergewaltigern die Kreishypothese auf 87 Prozent zutraf.
01:21:03
In Hamburg fand man bei ähnlichen Untersuchungen in den 90ern heraus, dass es in 73 Prozent der Fälle stimmte.
01:21:10
Aber das ist ein relativ simples Modell und so einfach ist es eben halt oft nicht.
01:21:15
Dieser Kreis kann auf einen Angelpunkt des Täters oder der Täterin hinweisen.
01:21:19
Das muss jetzt aber nicht unbedingt der Wohnort sein.
01:21:22
Also das könnte auch die Arbeitsstelle sein.
01:21:24
Wir hatten aber ja gerade einen Fall, bei dem diese Hypothese auf jeden Fall gegriffen hätte und das war der Fall von Georgine in der letzten Folge.
01:21:32
Ihr Mörder kam ja aus der Nachbarschaft und ist da ja auch öfter in Erscheinung getreten.
01:21:38
Und je nachdem, um was für ein Verbrechen es sich handelt, wird dann auch ein bisschen anders gearbeitet in der operativen Fallanalyse.
01:21:44
Also zum Beispiel jetzt bei Erpressung oder erpresserischem Menschenraub, da wendet man in der Regel die sogenannte Kommunikationsanalyse an.
01:21:53
Da geht es dann zum Beispiel um die Analyse von Erpresserschreiben und in solchen Fällen ist es halt besonders, dass es ja immer irgendwie um Zeit geht, weil Opfer möglicherweise in Gefahr sind, weil die Tat ja sozusagen gerade noch läuft.
01:22:07
Und für die AnalytikerInnen heißt das dann Druck und trotzdem müssen sie flexibel bleiben und deswegen werden in solchen Fällen von Erpressungen manchmal sogar mehrere Fallanalysen erstellt, die dann auch immer wieder aktualisiert werden.
01:22:18
Also mit so verschiedenen Hypothesen.
01:22:21
Und dann geht es jetzt, wenn wir uns mal das Erpresserschreiben anschauen, dann geht es nicht nur um den Inhalt der Nachricht, sondern auch um die Wahl des Kommunikationsmittels, worüber ist es gekommen oder worauf wurde es geschrieben, dann wie der Text aufbereitet ist und auch um die Wortwahl und die Grammatik.
01:22:38
Zum Beispiel kann jemand Genitiv und Dativ richtig einsetzen und darüber könnte man dann Rückschlüsse auf den Bildungsgrad des Absenders oder der Absenderin schließen.
01:22:48
Ja, wobei heute auch erschreckend viele mit Studium sehr komisch sprechen oder schreiben.
01:22:56
Wir sind da ja auch manchmal ganz flexibel.
01:22:59
Ich erinnere mich an eine Folge Medical Detectives, da gab es auch Erpresserschreiben und von dem Verdächtigen haben die dann Briefe.
01:23:08
gefunden auf dem Laptop unter anderem.
01:23:10
Und denen ist aufgefallen, dass er eine Formulierung immer benutzte, die der Täter auch benutzte.
01:23:17
Und das war dann sowas wie, dass er zum Beispiel nicht isn't geschrieben hat, sondern is not.
01:23:24
Und das war dann auch ein Indiz dafür, warum sie ihn dann überführen konnten oder sich zumindest der Verdacht erhärtete.
01:23:30
Okay, ja, ich meine, wir haben ja auch unsere Wörter, die wir öfters benutzen, ne?
01:23:35
Also es wäre jetzt blöd, wenn du in einen Erpresserbrief schreiben würdest oder ich, ja, nach jedem Satz schreiben würde.
01:23:43
Wie würdest du denn dann einen Erpresserbrief schreiben, damit man nicht auf dich kommt?
01:23:48
Ja, wahrscheinlich mit links dann.
01:23:51
Und dann würdest du natürlich so wenig Infos wie möglich?
01:23:54
Also wenn ich den mit der Hand schreibe, dann mit links und ansonsten natürlich mit dem Computer.
01:24:00
Und dann würde ich zusehen, dass ich den woanders ausdrucke.
01:24:03
Weil ich würde auch denken, dass man durch die Druckerpatronen eventuell Rückschlüsse auf meinen furchtbaren Drucker hier zu Hause ziehen könnte.
01:24:11
Ja, das kann man auf jeden Fall bei manchen Druckern.
01:24:13
Das ist nicht unbedingt die Patrone, sondern der Drucker an sich, das Modell sozusagen.
01:24:17
Ach so, na, und ich würde natürlich eine ganz andere Sprache wählen.
01:24:22
Ich würde anständig die Leute ansprechen.
01:24:25
Und natürlich nicht das Blatt Papier anfassen mit deinen Händen.
01:24:29
Ich bin ja keine Anfängerin.
01:24:31
Was bei der OFA in erster Linie wichtig ist, wenn die sich ein Erpressungsschreiben anschauen, ist herauszufinden, wie ernst es den AbsenderInnen ist.
01:24:40
Also man stellt sich die Frage, haben die jetzt wirklich gerade ein Kind oder ist das alles nur ein Bluff?
01:24:46
Und dann geht es auch um den Professionalisierungsgrad des Täters oder der Täterin.
01:24:50
Also sind das ProfiverbrecherInnen, die irgendwie schon öfter Erpressung durchgezogen haben oder nicht?
01:24:55
Und man versucht natürlich auch so viel wie möglich über die Gefährdung des Opfers herauszufinden, um dann dementsprechend reagieren zu können.
01:25:03
Einer der ersten Fallanalytiker überhaupt in Deutschland war der ehemalige Chef der Mordkommission in Bremen, Axel Petermann.
01:25:10
Und der hat mir von seinen Erfahrungen erzählt und davon, wie für ihn alles begann.
01:25:15
Es war 1998, 99, als ich das erste Mal von der operativen Fallanalyse hörte.
01:25:21
Und für mich war das eine Herausforderung, weil ich nämlich Antworten auf Fragen bekam, die ich mir immer gestellt hatte.
01:25:28
Nämlich, warum verhalten sich Täter in bestimmten Situationen so, wie ich es am Tatort dann an den Spüren sehe?
01:25:35
Und das fand ich spannend.
01:25:38
Allerdings bin ich so ein wenig belacht worden von meinen Kollegen, denn zu diesem Zeitpunkt war ich rund 20 Jahre in der Mordkommission.
01:25:46
Und da dachte man eigentlich, wir wüssten eigentlich alles über die Abläufe, über die Motive der Täter.
01:25:53
Aber ich finde, das war ein Trugschluss oder ist ein Trugschluss.
01:25:56
Laut Petermann hatte dieses Belächeln aber auch mit der Aufklärungsrate von Mordfällen zu tun.
01:26:01
Die war nämlich damals schon ähnlich hoch wie heute.
01:26:05
Und deswegen haben viele einfach die Notwendigkeit für solche neue Ermittlungsmethoden nicht gesehen und sich teilweise auch erst mal dagegen gewehrt.
01:26:13
Weil Axel Petermann hat dann am Anfang öfters erlebt, dass ErmittlerInnen sich von seiner Arbeit gestört gefühlt haben.
01:26:19
Oder dass sie das Gefühl hatten, er würde ihre Arbeit schlecht reden und irgendwie ihnen in den Rücken fallen.
01:26:26
Trotzdem glaubte Petermann an die Methoden und baute dann im Jahr 2000 die Abteilung Operative Fallanalyse bei der Polizei Bremen auf.
01:26:33
Und für ihn gab es dann ab dato keinen anderen Weg mehr.
01:26:36
Für mich kann es gar keine andere Herangehensweise geben als das Lesen der Spuren.
01:26:42
Weil da bin ich ja dem Täter am nächsten.
01:26:45
Denn an einem Tatort hat er agiert.
01:26:47
Er hat seine Bedürfnisse gezeigt.
01:26:50
Da hat er letztendlich ja die Wahrheit gesprochen.
01:26:53
Er kann mir im Nachhinein viel erzählen, was denn ihn bewogen hat, sich so zu verhalten, wie er es getan hat.
01:27:02
Aber das muss ja nicht stimmen.
01:27:03
Aber bei dem, was er getan hat, da wird er in seltensten Fällen so manipulativ vorgehen, dass er dann täuscht.
01:27:12
Und ich muss versuchen, diese Spuren seiner Entscheidung zu lesen und in eine logische Verbindung zu bringen.
01:27:20
Und bei dem Lesen der Spuren muss der Fallanalytiker oder die Analytikerin nicht so denken können wie der Täter, sagt Petermann.
01:27:26
Also das könnten ErmittlerInnen in der Regel auch nicht.
01:27:29
Es geht eher darum, das Verhalten versuchen zu verstehen.
01:27:32
Petermann arbeitete insgesamt 14 Jahre als polizeilicher Fallanalytiker in Bremen.
01:27:37
Aber sein erster Fall, der ist ihm noch heute sehr gut in Erinnerung.
01:27:43
Es ging darum, dass eine junge Frau spätabends nach Hause gekommen war, dass sie ihren Wagen in der Tiefgarage parkte und dass im Treppenhaus der spätere Mörder von ihr wartete.
01:27:55
Er hatte offensichtlich eine ganz andere Intention.
01:27:58
Er wollte sie in einem Nebengebäude doch gefangen halten.
01:28:03
So haben wir das dann rekonstruieren können.
01:28:05
Aber dazu ist es nicht gekommen, weil die Frau sich wehrte und dem Täter eigentlich das ganze Tatgeschehen entlitt.
01:28:13
Und er gezwungen war, aus seiner Sicht dann die Frau doch zu töten.
01:28:18
Und dann flüchtete er.
01:28:19
Bei der Sichtung der Spuren zeigte sich, dass im Nebengebäude in einer Tasche eine Gasmaske lag und eben halt noch Tape und noch einige andere Accessoires.
01:28:32
Und da war es der Ansatz, doch diesen Fund mit der Tat in Verbindung zu bringen.
01:28:38
Nämlich sich zu fragen, was würde es bedeuten, wenn der Täter eine Gasmaske benutzt hätte.
01:28:44
Und so kam es dann dazu, dass der sadistische Ansatz des Täters doch dann immer stärker in den Vordergrund trat.
01:28:53
Und tatsächlich ist es dann auch so gewesen, dass der Täter ein sexueller Sadist war, der seine Fantasien ausleben wollte, aber nicht dazu kam,
01:29:02
weil das Opfer sich eben halt wehrte und er es tötete.
01:29:07
Die Spurensicherung hatte in diesem Fall auf der Gasmaske DNA-Spuren gefunden.
01:29:11
Und Petermann hatte sich darauf für eine proaktive Strategie, hier haben wir es wieder, entschieden und in einer Pressekonferenz erklärt,
01:29:17
dass man eben die DNA von dem Täter habe.
01:29:20
Und damit wollte man ihn eben zum Gestehen bringen sozusagen.
01:29:23
Und tatsächlich stellte sich der Täter auch darauf hin.
01:29:27
Allerdings gab er an, dass er an dem Tatabend sehr betrunken war und auch Drogen genommen hatte und deswegen sich an nichts erinnern könnte.
01:29:32
Und am nächsten Tag sei er dann halt in Klamotten aufgewacht, die voller Blut gewesen sind und deshalb könnte es gut sein, dass er es gewesen ist.
01:29:40
Aber Petermann und sein Team glaubten dem Mann nicht und das hatte mit der erstellten Fallanalyse zu tun.
01:29:45
Da heißt das Profil des Täters, dass es sich um einen Menschen handeln müsste, der sich im Vorfeld der Tat mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben müsste.
01:29:55
Denn das kommt ja nicht von heute auf morgen, sondern das ist ja eine Entwicklung, die ja so nach und nach sich eben halt in den Fantasien dann niederschlägt, manifestiert.
01:30:06
Und so konnte ich dann den PC-Spezialisten dann eine Vielzahl von Keywords geben, Wörter, die eben halt auf diese sexuelle Präferenz dann hindeuteten.
01:30:18
Und tatsächlich fanden wir dann auf dem Rechner auch eine Vielzahl von ihm benutzter Internetseiten, beziehungsweise, dass er sich mit dieser Thematik dann auseinandergesetzt hatte.
01:30:30
Heute ist Axel Petermann in Rente und schreibt Bücher, unter anderem dem Bestseller Profiler, ein Spezialist für ungeklärte Morde berichtet.
01:30:38
Und manchmal ermittelt er auch noch, dann zum Beispiel, wenn Angehörige ihn darum bitten und er glaubt, dass eine Aufklärung auch noch möglich ist.
01:30:45
So, und ich habe noch herausgefunden, welche Art von Tests man machen muss, um bei der Polizei Fallanalytiker oder Fallanalytikerin zu werden.
01:30:54
Und ich würde dir mal ein Rätel aufgeben und dann sehen wir ja, ob du geeignet bist oder nicht.
01:31:01
Herr Schmidt legt einen 10-Euro-Schein auf seinen Schreibtisch, bevor er das Haus verlässt.
01:31:06
Warte, ich will es mitschreiben.
01:31:07
Schreibtisch, Haus.
01:31:13
Als er zurückkommt, ist das Geld weg.
01:31:15
Sein Koch, also Herr Schmidt ist sehr wohlhabend, erzählt, dass er das Geld unter das eine Buch, was da auf dem Tisch liegt, gelegt hat, damit den Euroschein keiner sieht.
01:31:28
Herr Schmidt schaut daraufhin nach, doch unter dem Buch liegt kein 10-Euro-Schein.
01:31:34
Seine Haushälterin sagt, sie hätte das Geld in das Buch gelegt, und zwar zwischen die Seiten 1 und 2.
01:31:40
Herr Schmidt schaut dann danach, aber auch da ist der Schein nicht.
01:31:45
Sein Butler sagt, er hätte den Schein aus dem Buchragen sehen und ihn dann vorsichtshalber zwischen die Seiten 2 und 3 gelegt.
01:31:53
Wer ist der Dieb oder die Diebin?
01:31:56
Sie haben 10 Sekunden Zeit.
01:32:01
Das mag ich ja gar nicht.
01:32:02
Na, jetzt hör mal, hallo, lass mich jetzt mal kurz.
01:32:08
Also, der Koch hat's unter das Buch gelegt.
01:32:11
Die Haushälterin sagt, sie hat den Schein in das Buch gelegt, zwischen Seiten 1 und 3.
01:32:18
Aber sie hat ja...
01:32:20
Aber sie hat ja gar nicht gesagt, wo sie das vorher, wo sie den Schein gesehen hatte.
01:32:25
Ja, die hatte den unter dem Buch gesehen.
01:32:27
Ach, das hat sie gesagt.
01:32:29
Ja, und die wollte das lieber da verstecken.
01:32:30
Und in den Seiten 1 bis 2.
01:32:32
Und der Butler hat gesagt, der hat's aus dem Buchragen sehen und dann in die Seiten 1 bis 2 gelegt.
01:32:38
Nee, in die Seiten 2, zwischen Seite 2 und 3.
01:32:42
Dann war's der Butler.
01:32:47
Du hast das Zeug zur Fall, Analytikerin.
01:32:50
Jetzt nur noch 8 Jahre Ausbildung.
01:32:52
Das ist natürlich kein Test, der da gemacht wird.
01:32:56
Sonst hätte ich meinen Job jetzt gekündigt und Fussel hätte übernommen.
01:32:59
Du bleibst schön hier und schließt jetzt ab.
01:33:01
Das war ein Podcast von Funk.
01:33:07
Das war ein Podcast von Funk.