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#57 Justitias irrtümer

Mit welcher Rubrik fange ich jetzt wohl an?
Laura Wohlers beobachtet Verbrechen.
Nee, mit meiner zweitliebsten Rubrik, der HörerInnenpost.
Und zwar hat uns Christine geschrieben, die vor kurzem drei Wochen mit ihrem Mann in einem Camper unterwegs war.
Und sehr viel Zeit für Mordlust hatte.
Also ihr Mann war erst nicht so überzeugt und das hat vor allem daran gelegen, weil wir ihm zu schnell gesprochen haben.
Für Christine war das kein Problem.
In ihrer E-Mail an uns meinte sie, Zitat, Frauen reden halt einfach schneller und beim Denken sind wir sowieso ganz weit vorne.
Und über diese stundenlangen Fahrten hat sich dann ihr Mann auch irgendwann an uns gewöhnt.
Und als die beiden dann mal Plätze getauscht haben und er Mordlust anmachen sollte, hat er halt gesehen, dass Christine den Podcast auf eineinhalbfacher Geschwindigkeit eingestellt hatte.
Ob ihr Mann das danach auch so sieht, dass sie beim Denken ganz weit vorne ist?
Ja, okay, ist jetzt auch schon einigen passiert.
Genau.
Du weißt ja schon, wie sich das anhört.
Aber für die, die das noch nicht gehört haben, hier einmal ein kleiner Ausschnitt, damit ihr wisst, wie Christine und ihr Mann uns stundenlang zugehört haben.
Weißt du, als wir angefangen haben, diesen Podcast zu machen, da dachte ich eigentlich, dass wir auch ein bisschen mehr über uns reden.
Ich finde, wir reden schon ziemlich viel über uns.
Also ich meine, die Leute wissen ja schon, dass ich mal geschlagen wurde, dass ich Eifersuchtsattacken habe, wenn ich meine Tage habe oder sowas.
Wieso sollte jemand so schnell reden?
Wenn wir das könnten, wären wir, glaube ich, sehr erfolgreiche Ripperinnen.
Ja.
Und wir würden uns auch freuen, weil dann unsere Aufnahmen nicht so lange wären.
Aber das Witzigste ist eigentlich, dass sie das dann umgestellt haben auf normale Geschwindigkeit.
Aber nur ganz kurz, denn das ging jetzt gar nicht mehr für die, weil das viel zu nahm sich angehört hat.
Und deswegen hören die uns jetzt weiterhin auf eineinhalbfacher Geschwindigkeit.
Ich kann dich ja einfach nur anstrengen.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, ein Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
Mein Name ist Paulina Kraser und auf meinem Schoß sitzt gerade und stöhnt laut Fussel.
Und ich sitze gegenüber Laura Wohlers und in jeder Folge gibt es ein Oberthema, zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen,
über die diskutieren und auch mit Experten darüber sprechen.
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit für das Thema fehlt.
Das ist für uns so eine Art Comic-Oleaf, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
Heute führe ich das Thema der Folge mal mit einem Zitat eines Anwalts für Wiederaufnahmen ein.
In einem Gastbeitrag für die Zeit schreibt Johann Schwenn, Zitat,
Der deutsche Gerichtssaal ist ein gefährlicher Ort.
Und in der heutigen Folge zeigen wir warum, denn es geht um Justizirrtümer.
Und da geht es gleich am Anfang bei uns um die Frage, wie viel ist euch ein Tag wert?
Also wenn ihr 24 Stunden eurer Zeit in Geld bemessen müsstet, kann ja jeder jetzt mal zu Hause selber überlegen oder wo auch immer ihr gerade seid.
Wie viel ist euch ein Tag wert?
Laura, was meinst du?
Laura hat gerade harte Dollarzeichen über der Stirn hängen.
Also ich weiß ja schon, wie viel ich kriege für einen Arbeitstag.
Von daher, das ist ja schon mal ein Richtwert.
Mir ist ein Arbeitstag aber ja nicht so viel wert wie ein freier Tag für mich, wo ich am Wochenende machen kann, was ich will.
Von daher müsste das ja quasi das, also ein Vielfaches davon sein.
Und dein Arbeitstag sind ja dann auch nur acht bis zehn Stunden.
Ja, genau.
Kann man mindestens 3000 Euro sagen.
So was kann man natürlich nicht, das ist jetzt irgendein Betrag.
Aber man kann das natürlich nicht in Geld bemessen.
Nee, kann man nicht.
Ich wäre wahrscheinlich auch irgendwo so bei, naja, ich wäre vielleicht so bei 1500 gelandet oder so.
Oder 2000.
Aber bei mir würde quasi prozentual immer was dazu kommen, je länger die Zeit dauert, je mehr Tage da hintereinander drauf folgen.
Ja.
Die Justiz sieht das etwas anders, wie wir wissen.
Wir haben uns schon öfter darüber ausgelassen, dass zu Unrecht Inhaftierte eine Haftentschädigung von lediglich 25 Euro pro gesessenen Tag bekommen.
Jetzt im September hat der Bundestag dem Vorschlag zugestimmt, diese Summe zukünftig auf 75 Euro anzuheben.
Kann man jetzt sagen, juhu, das ist ja immerhin jetzt der dreifache Wert, das ist schon was.
Aber Deutschland ist damit im internationalen Vergleich eher weiter hinten.
Die meisten Länder machen das eher so einzelfallbezogen, also wie hoch der Tagessatz sein soll.
In Luxemburg können die Justizopfer zwischen 25 und 200 Euro pro Tag bekommen.
In den Niederlanden zwischen 70 und 95 und in Spanien sogar bis zu 253 Euro pro Tag.
Und in den USA, gut, das wundert uns jetzt natürlich nicht, da ist ja alles möglich.
Aber da hat ein zu Unrecht Inhaftierte 2013 für zwei Jahre umgerechnet ca. 12 Millionen Euro bekommen.
Was? Was war das für ein Typ?
Also das war jemand, den die Polizei wegen Trunkenheit aus dem Straßenverkehr gezogen hat.
Dann haben sie ihn in eine Zelle gesperrt und zwei Jahre sozusagen da vergessen.
Quatsch. Nein.
Also es gab keinen Prozess oder eine Anklage.
Und dann kam der auch noch in Einzelhaft und hatte sich wegen Zahnschmerzen selbst einen Zahn gezogen.
Okay, ich finde, die 12 Millionen sind durchaus gerechtfertigt an dieser Stelle.
Wie schlimm.
Was mich so ein bisschen an dieser ganzen Thematik stört, abgesehen davon, dass auch 75 Euro nicht annähernd die 3.000 Euro sind, die ich mir vorgestellt habe, ist, wie die Politik mit dem Thema überhaupt umgeht.
Weil das macht sie nämlich am liebsten gar nicht, weil das war jetzt erst die dritte Erhöhung überhaupt seit der Einführung in den 70er Jahren.
Und 2008 waren es noch 11 Euro.
Das muss man sich mal vorstellen.
Und dann braucht es eine richtig lange Diskussion, um das zu ändern und auf 25 Euro zu erheben, beziehungsweise jetzt bald 75.
Und daran sieht man ganz gut, wie groß diese Abwehrhaltung ist, sich mit den Fehlern der Justiz auseinandersetzen zu wollen, was wir auch noch in unseren Fällen jetzt gleich sehen werden.
Genau das ist auch ein großes Thema in meinem Fall.
Und es geht darum, wie ein Gericht sich um die Wahrheitsfindung windet.
Einige Namen habe ich geändert.
Es ist der 18. September 2003.
Monika hat gerade Feierabend und ist auf dem Weg nach Hause.
Die 47-Jährige arbeitet als Arzthelferin.
Normalerweise würde sie jetzt in ihre eigene Wohnung fahren und die Füße hochlegen.
Aber das war vor der Prognose.
Die Prognose, die ihrem Vater Theo nur noch wenige Wochen, höchstens ein paar Monate Lebenszeit versprochen hat.
Vielleicht können sie noch ein letztes Mal Weihnachten zusammen verbringen.
Aber ehrlicherweise sieht es nicht danach aus.
Theo hat immer viel geraucht.
Und das macht er auch jetzt noch, wo ihn der Lungenkrebs von innen schon fast aufgefressen hat.
Vielleicht auch, weil es eh nichts mehr gibt, für das es sich aufzuhören lohnt.
Vor ein paar Wochen hat Monika also einige ihrer Sachen gepackt, ihre Wohnung untervermietet
und ist mit ihrem Freund Michael vorübergehend mit in die Doppelhaushälfte von Theo in Berlin-Neukölln gezogen.
Zuerst hatte sich Monikas Schwester Ute mit ihrem Mann Ingo noch zusammen um Theo gekümmert.
Aber diese Lösung jetzt erscheint für alle im ersten Moment besser.
Zu Ute hat Monika nur noch sporadisch Kontakt.
Sie sehen sich ab und an auf Familienfesten.
Aber das war es dann auch.
Monika hat auch einen Sohn, Philipp.
Er ist 24 und sitzt gerade in Haft.
Sein Leben stand von Anfang an nicht unter dem besten Stern.
Philipp war erst drei Jahre alt, als sein Vater gestorben ist.
Er hat immer wieder zu viel getrunken und ist an seinem Erbrochenen erstickt.
Dass Monika kein gutes Händchen für Männer hat, das sieht man auch jetzt an ihrem Freund Michael.
Auch er trinkt zu viel und ist arbeitslos.
Aber weil er tagsüber nichts zu tun hat, kümmert er sich um den 76-jährigen Theo.
Und wenn Monika auf Arbeit die Kranken versorgt hat, versorgt sie dann zu Hause ihren Krankenvater.
Theo kann sich nicht mehr wirklich bewegen, muss eine Windel tragen und braucht sehr viel Hilfe.
Die Lage ist für alle nicht einfach und deswegen kommt es oft zum Streit.
Das liegt vor allem an Michaels rabiater Art.
Er kann nicht mit dem alten kranken.
Theo mag ihn auch nicht.
Michael saß schon mal im Gefängnis.
Deswegen nennen ihn die Nachbarn hinter seinem Rücken auch Knasti.
Sie finden ihn bedrohlich und außerdem ungehobelt.
Er ist also nicht der Typ Altenpfleger, so wie Monika.
Er kümmert sich nicht gut, kommandiert Theo herum.
Theo hat dem Pflegedienst, der manchmal vorbeikommt, auch erzählt, dass er sich von Michael fürchtet.
Weil Theo noch dazu in den letzten Wochen etwas verwahrlost erscheint,
haben die PflegerInnen schon angedeutet, dass es vielleicht besser wäre, wenn sie öfter kämen.
Aber das kann Monika nicht in Anspruch nehmen.
Es würde zusätzlich Geld kosten und das hat sie nicht.
Von den 1.100 Euro netto im Monat wird ein Teil gefendet, weil sie aktuell 5.000 Euro Schulden hat.
Theo hatte einmal im Streit gesagt, dass die beiden wieder ausziehen sollen.
Aber das Geld, was Monika jetzt gerade wegen der Untermiete bekommt, kommt ihr halt gerade recht.
Und so versuchen die drei, sich irgendwie zu arrangieren.
Heute Abend ist Theo aber gut drauf.
Das freut Monika.
Sie macht ihn abends fertig und sagt ihm zur Nacht noch,
Gute Nacht, Papa, schlaf schön.
Dann lehnt sie die Tür, wie immer, so an, dass ein kleiner Spalt offen steht, falls Theo abends nach ihnen ruft oder etwas braucht.
Monika setzt sich noch kurz zu Michael ins Wohnzimmer und geht dann ins Bett.
Michael schläft nachher auch schnell ein.
Das liegt an seinem Schlummertrunk.
Es vergeht nicht viel Zeit, bis Monika gegen Mitternacht wieder aufwacht, weil sie ein Geräusch hört.
Regen, der gegen das Fenster prasselt, denkt sie.
Nein, das Prasseln kommt nicht vom Regen.
Monika schreckt hoch.
Es kommt von Flammen.
Dann hört sie Hilferufe.
Sie kommen aus dem Schlafzimmer ihres Vaters.
Aber die Tür ist zu.
Warum?
Die ist doch sonst immer angelehnt.
Monika weckt Michael.
Schnell, er muss Theo aus dem Schlafzimmer kriegen.
Während Michael sich ranmacht, Theo zu retten, rennt Monika schon die Treppe ins Wohnzimmer runter.
Sie findet ihr Handy nicht.
Da ist es.
Sie will die Feuerwehr rufen.
Warteschleife.
Monika rennt zu den Nachbarn und alarmiert sie.
Und danach auch die Feuerwehr.
Dann rennt sie wieder ins Haus.
Keine Spur von Michael oder Theo.
Die Treppe, die hoch in die Schlafzimmer führt, ist schon von den Flammen verschluckt.
Das Feuer frisst sich schnell durch die alten Wände, Decken und Holzböden.
Michael hat es nicht mehr geschafft, Theo zu retten und ist in Panik aus dem Fenster gesprungen.
Die Feuerwehr rückt an.
Dass das Haus brennt, das sieht man mittlerweile schon von außen.
So hoch stehen die Flammen.
Die Nachbarin schreit, der Vater liegt im ersten Stock.
Die Feuerwehr versucht noch, das Haus zu betreten, aber überall regnet es schon glühende Teilchen von der Decke.
Es ist zu spät.
Sie kommen nicht mehr hoch.
Sie müssen jetzt löschen.
Als sie im oberen Stockwerk ankommen, finden sie den verbrannten Theo halb sitzend, halb liegend auf dem Bett.
So als hätte er noch versucht, sich mit letzter Kraft aufzusetzen.
Monika und Michael werden ins Krankenhaus gefahren.
Michael hatte sich bei seinem Sprung aus dem Fenster das Becken gebrochen.
Monika hat zum Glück nichts.
Deswegen macht sie sich schon bald wieder auf den Weg nach Hause.
Oder zu dem Haus, was mal ein Zuhause war.
Alles darin ist jetzt schwarz.
Die Treppe, Fensterrahmen, das Bücherregal, alles.
Monika steht halb unter Schock.
Die Polizisten und Polizistinnen wollen ihr schon mitteilen, was mit Theo passiert ist.
Monika ist schon klar, was passiert ist.
Na, der ist verbrannt, nehme ich doch an.
Die Polizei ist von der Reaktion irritiert.
Das finden sie irgendwie sehr abgeklärt.
Sie finden das sogar so merkwürdig, dass es ihnen ein Aktenvermerk wert ist.
Einen, der später noch von Bedeutung sein wird.
Monika weiß nicht, wie ihr geschieht.
Ihr Vater ist in den Flammen umgekommen und hatte noch mitbekommen, wie er von dem Feuer eingeschlossen wird.
Alles ist jetzt verbrannt.
Ihre ganzen Sachen sind jetzt Schutt und Asche.
Zum Glück nehmen die Nachbarn Monika auf.
In ihre Wohnung kann sie ja jetzt so schnell nicht.
Generell bekommt Monika in der Zeit sehr viel Unterstützung.
Menschen, die sie zu Ämtern fahren und ihr sagen, was sie jetzt machen soll.
Während Monika versucht, ihr Leben wieder zu ordnen, beginnt die Spurensuche im Haus von Theo.
Die Polizei hat von der Feuerwehr schon recht bald den Hinweis bekommen,
dass es im Haus wahrscheinlich nicht ein, sondern zwei Brandherde gegeben haben muss.
Einen oben, wo Theo geschlafen hat, und einen weiteren im unteren Stock des Hauses.
Was seltsam ist, weil Monika doch gesagt hatte, dass das Feuer aus Theos Schlafzimmer kam
und nichts von einem weiteren Feuer gesagt hat, was im Wohnzimmer gewesen wäre.
Um die Brandursache genauer zu untersuchen, macht sich jetzt das sogenannte Kompetenzzentrum
Kriminaltechnik des LKA an die Arbeit.
Die ChemikerInnen nehmen mehrere Proben Schutt, unter anderem vom verbrannten Fußboden und von den Wänden.
Bei den Untersuchungen kommt raus, dass ein bestimmtes Gemisch aus Chemikalien in den Proben enthalten war.
Spiritus, ein Brandbeschleuniger.
Für die Kripo ist jetzt ganz klar, dass jemand diesen im Haus verteilt haben muss und danach das Feuer gelegt hat.
Da Monika und Michael die einzigen mit Theo in dem Haus waren, hält sich der Kreis der Verdächtigen recht klein.
Die Beamten und Beamtinnen wollen Monika und Michael daraufhin genauer überprüfen und entscheiden sich, ihre Telefonate abzuhören.
Michael, der immer noch im Krankenhaus liegt, um sich von seinem Sturz zu erholen, wird also ab jetzt überwacht.
Bei einem Gespräch der beiden erwähnt Monika, dass sie den Schaden jetzt bei der Versicherung eingereicht hat und dass sie wissen würde, dass die auch bei fahrlässiger Brandstiftung zahlen muss.
Die ErmittlerInnen fühlen sich in ihrer Annahme bestätigt.
Das, zusammen mit ihrer seltsamen Reaktion am Brandabend, macht sie zur Verdächtigen Nummer 1.
Vier Wochen, nachdem Monikas Vater in den Flammen ums Leben gekommen ist, stehen die Beamten und Beamtinnen bei Monika vor der Tür.
Sie wollen, dass sie für eine Aussage mit auf das Revier kommt.
Erst als sie dann dort ist, eröffnet man ihr, dass sie unter Verdacht steht, das Feuer selbst gelegt zu haben.
Monika kann nicht glauben, was sie da hört.
Aber so richtig einschätzen, was das für sie bedeutet, das kann sie auch noch nicht.
Sie glaubt an ein großes Missverständnis, was sich bald aufklären wird.
Immerhin ist sie ja unschuldig.
Erst als Monika in Untersuchungshaft kommt, beginnt sie so langsam zu verstehen, was das heißt.
In den vergangenen Wochen musste sie ständig funktionieren.
Michael im Krankenhaus, das Haus, all die verbrannten Sachen.
Hier in ihrer Zelle überwältigt sie dann auch noch die Trauer um ihren Vater Theo.
Vorher war sie gar nicht so wirklich dazu gekommen.
Und jetzt bricht alles über ihr zusammen.
In der Anklageschrift heißt es, dass Monika das Feuer in Theos Zimmer gelegt habe.
Und dann, als sie ihren ahnungslosen Freund damit beschäftigt habe, ihrem Vater zu helfen,
habe sie unten das Zweite gelegt.
Grund dafür soll ihre Geldnot gewesen sein.
So wäre sie auf einen Schlag an das Erbe gekommen und an die Versicherungssumme.
Das Haus sei nämlich in einem so maroden Zustand gewesen, dass man es nur schlecht hätte verkaufen können.
Und wenn, dann niemals zu der Summe die Monika durch die Versicherung bekommen hätte.
Monikas Verteidiger hält die Anklage für totalen Blödsinn.
Theo war dem Tod geweiht.
Wenn sie ein Geld hätte kommen wollen, dann hätte sie einfach zwei Monate warten müssen.
Er sieht hier kein Motiv und glaubt seiner Mandantin.
Auch außerhalb des Gefängnisses glauben ihre Verwandten, die Nachbarn und die Bekannten nicht an Monikas Schuld.
Diese Frau wäre niemals dazu in der Lage gewesen, sagt man.
Niemals hätte sie so etwas übers Herz bringen können.
Der Ansicht sind auch Schwester Ute und Mann Ingo.
Aber wie ist der Brand dann entstanden?
Besonders Ingo lässt die Frage nicht los, wie sein Schwiegervater ums Leben kam.
Er muss wissen, was passiert ist, macht es sich zur Aufgabe, die Wahrheit herauszufinden.
Also beauftragt er in Abstimmung mit Monika einige unabhängige GutachterInnen, die auch vor Gericht aussagen sollen.
Ingo vertieft sich immer mehr in die Materie, liest Aufsätze und andere Gutachten.
Während Ingo draußen für die Wahrheit kämpft, kämpft Monika im Gefängnis darum, nicht wahnsinnig zu werden.
Die Zeit dort bis zum Prozess ist eine Qual.
Besonders schlimm ist es an den Tagen, an denen ihr Sohn Philipp sie besucht.
Im Gefängnis herrscht ein Berührungsverbot und Monika bricht es das Herz, dass sie ihr Kind nicht in den Arm nehmen darf.
Wenn die Besuchszeit vorbei ist, dann geht Monika zurück in ihre 8 Quadratmeter große Zelle und fängt bitterlich an zu weinen.
Alle zwei Wochen durchlebt sie diese Hölle wieder von vorn.
Und dann kommt der nächste Schock.
Was ist mit Theos Beerdigung?
Monika und ihre Schwester versuchen dafür, eine Genehmigung zu erhalten, Monika für diesen Tag aus der Haft zu entlassen.
Tatsächlich würde man ihr das auch zugestehen, allerdings nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen.
Monika müsste mit Handschellen und von Sicherheitsleuten bewacht am Grab ihres Vaters stehen.
Das kann Monika nicht.
Sie würde sich zu sehr schämen, in Handschellen vorgeführt zu werden.
Und so ist Monika nicht dabei, als Theo beerdigt wird.
Kann nach all dem nicht mehr Abschied von ihrem Vater nehmen.
Im Juli 2004 beginnt der Prozess.
Monika ist guter Dinge.
Sie glaubt an das Rechtssystem.
Außerdem hat sich Schwager Ingo intensiv mit Brandbeschleunigern befasst und genug GutachterInnen gefunden, die der Anklage widersprechen würden.
Ingo hat sogar selbst ein Modell des Hauses gebaut, um dem Gericht veranschaulichen zu können, wie es dazu kommen konnte, dass sich der Brand so schnell ausgebreitet hat.
Er selbst tritt zusammen mit Monikas Schwester als NebenklägerInnen auf.
Ich vermute, dass sie das gemacht haben, um auch aktiv auf den Prozess von der Seite nochmal Einfluss nehmen zu können.
Doch ein Fakt macht den beiden zu schaffen.
Ihr Rechtsbeistand hatte vor Prozessbeginn eine inoffizielle Unterredung mit dem Richter.
Nach dem Gespräch war ihr Anwalt der Meinung, dass da nicht mehr viel zu machen ist.
Der Richter schien schon zu diesem Zeitpunkt ziemlich überzeugt von Monikas Schuld und das wohlgemerkt vor dem Prozess.
Und so fühlt sich Ingo zu Verhandlungsbeginn berufen, dem Richter mitzuteilen, dass auch er an der Wahrheitsfindung interessiert ist
und dass Monika, wenn sie die Täterin ist, dafür auch zur Verantwortung gezogen werden soll.
Für viel wahrscheinlicher halten Ingo und Ute aber die Tatsache, dass Theo seine abendliche Zigarette in sein Bett oder daneben hat fallen lassen und die den Brand ausgelöst hat.
Immerhin musste Monika vor das Bett sogar extra ein Stück Linoleum legen, weil Theo schon so oft Brandlöcher an den Boden gemacht hat.
Und an diesem Abend habe Theo auch noch geraucht, als Monika die Tür zu seinem Zimmer anlehnte.
Sie habe sogar noch gefragt, ob sie die Zigarette ausmachen darf.
Theo habe das nicht gewollt, sagt Monika.
Das Gericht beginnt mit den Aussagen von Zeuginnen und Zeugen, die ein Bild der Angeklagten zeichnen sollen.
Keine Person kann das Bild einer eiskalten, habgierigen Frau bestätigen.
Alle bezeichnen Monika als fürsorglich und liebende Tochter, die sich rührend um Theo gekümmert hat.
Selbst seine Ärztin bestätigt das.
Anders ist das allerdings bei Michael.
Viele der Geladenen berichten, dass Theo ihm lästig gewesen sein soll.
Bei seiner Aussage wird außerdem klar, dass er seine Geschichte zum Brandabend immer mal wieder geändert hat.
Besonders was die versuchte Rettung von Theo angeht.
Vor Gericht sagt er, er habe die Tür nicht aufbekommen, der Griff sei zu heiß gewesen und er habe daraufhin ein Loch in die Tür geschlagen.
Dann sei ihm die Stichflamme entgegengekommen und er sei aus dem Fenster gesprungen.
Aus den abgehörten Telefonaten mit Monika geht aber hervor, dass er gesagt habe, dass er bei Theo im Zimmer stand.
So richtig will er sich jetzt an nichts mehr erinnern können, nur an die Hilfesschreie von Theo, der gerufen haben soll, ich verbrenne, hilf mir.
Monikas Verteidiger nutzt die Widersprüche sogar, um dem Gericht zu zeigen, dass es auch noch andere Personen gibt, die infrage kommen würden, den Brand gelegt zu haben.
Das Gericht zeigt sich davon aber relativ unbeeindruckt.
Dem vorsitzenden Richter erscheint es nicht logisch, dass Michael eher einen Rettungsversuch unternommen hätte, wenn er selbst den Brand gelegt hätte.
Damit hätte er sich ja massiv selbst in Gefahr gebracht.
Außerdem lege es fern, dass sich jemand vor einer so gefährlichen Brandstiftung dermaßen betrinkt.
Die Verhandlung zieht sich über Monate.
Nicht zuletzt, weil der vorsitzende Richter immer mal wieder krankheitsbedingt fehlt und einmal vergisst er sogar einen Termin.
Als im November der Prozess schon sechs Monate läuft, sind viele schon verfahrensmüde.
Bisher hat das Gericht nur rumgeeiert.
Deswegen sind alle gespannt, als endlich die Sachverständigen zum Brandgutachten aussagen.
Der Experte des LKA erklärt, dass man 17 Proben aus Theos Haus genommen habe und 16 davon die nötigen Bestandteile von Spiritus enthalten haben.
Also Ethanol, Wasser und zwei Vergällungsstoffe.
Weil normalerweise wäre so ein Brandbeschleuniger geruchs- und geschmacksarm und dann könntest du den theoretisch trinken.
Und wenn man aber Alkohol vergällt, dann kann man den nicht trinken und da muss man auch keine Alkoholsteuer darauf zahlen.
Und deswegen macht man das da rein, damit das dann auch nicht getrunken wird.
In sieben weiteren Proben seien nur zwei Bestandteile von Spiritus nachgewiesen worden, aber die Vergällungsmittel seien in ihrer Konzentration so hoch gewesen, dass damit zweifelsfrei Spiritus nachgewiesen wurde.
Der Gutachter und sein Team haben jahrelang Erfahrung und durch die Durchführung eigener Versuche die sogenannte Kappungsgrenze festgelegt, bei der anzunehmen sei, so führt er aus, dass es sich bei dem Brennstoff um Spiritus handeln muss.
In diesem Fall um mehr als 15 Liter, um genau zu sein.
Reste davon habe man im Haus und auf Monikas Kleidung und in Theos Lunge gefunden.
Der Behälter, womit der Brandbeschleuniger verteilt worden sein soll, den habe man nicht gefunden.
Ein anderer Brandgutachter sagt aus, dass es im unteren Stockwerk im Wohnzimmer neben dem Sofa einen zweiten Brand gegeben habe.
Dass sich das Feuer, wie er meint, nahezu unmöglich so schnell von oben nach unten hätte ausbreiten können, stützt die Theorie.
Monikas Anwalt und ihr Schwager sind anderer Ansicht.
Sie meinen, dass es in der Nacht zum 19. September zu einer Rauchgas-Explosion kam, dem Backdraft-Phänomen.
Das kann passieren, wenn es in einem geschlossenen Raum beginnt zu brennen.
Und weil der Raum aber halt nicht so viel Luftzufuhr hat und nicht genügend Sauerstoff, erlischt der Brand dann recht schnell wieder.
Aber was bleibt, sind so brennbare Gase und Dämpfe, die durch einen Überdruck durch die Türspalten und so nach außen dringen.
Und weil der Raum dann aber schnell wieder abkühlt und die Gase an Volumen verlieren, sinkt der Druck im Raum.
Und der Rauch wird dann wieder zurück in den Raum gezogen, durch den Türspalt beispielsweise.
Und angenommen, jemand würde jetzt die Tür öffnen, dann wird der Sauerstoff angesaugt und es kommt zu einem gefährlichen Gemisch mit den Gasen und den Dämpfen.
Und das kann sich dann entzünden, wenn beispielsweise noch irgendwo eine Glut lodert.
Ja, also dann kommt es so zu so einer Art Explosion, die sich dann ganz irre schnell mit Temperaturen bis zu 2500 Grad ausbreitet überall.
Ich verlinke euch mal ein Video dazu in unserer Folgenbeschreibung.
Das sieht echt irre aus, wie ein Feuerball.
Okay, also Ute und Ingo gehen davon aus, dass die Tür zu war.
Nur so hätte das entstehen können.
Aber Monika hatte ja gesagt, sie hatte die Tür angelehnt.
Aber man weiß jetzt nicht, was stimmt, oder?
Naja, also ihr Freund Michael, der hatte ja versucht, in das Zimmer zu kommen und der hat ja auch ein Loch in die Tür geschlagen.
Also so oder so hat das Zimmer Sauerstoffzufuhr bekommen.
Okay.
Und das Problem ist, dass Monika unten auch noch die Tür geöffnet hat, als sie rausgerannt ist.
Und das hätte noch zusätzlich für Sauerstoffzufuhr sorgen können.
Okay.
Der Vorsitzende Richter, der hört das alles und der findet das super abenteuerlich, was die da erzählen und sagt, jetzt wird es mir zu bunt.
Zu viel Hollywood.
Und auch dieses Modell, was Ingo zur Veranschaulichung gebaut hat, das lässt er gar nicht als Beweismittel zu.
Allerdings werden noch andere GutachterInnen gehört und vier von ihnen stützen die Spiritus-Theorie nicht.
Also die sagen, die haben das nicht finden können.
Und bei deren Ausführungen zeigt der Richter aber, dass er eine sehr kurze Zündschnur hat.
Wenn die anderen GutachterInnen das LKA nämlich zu forscht in Frage stellen, dann fühlt er sich persönlich angegriffen.
Weil er außerdem Monika immer wieder dazu rät, ein Geständnis abzulegen und ihren Antrag, sie aus der Untersuchungshaft zu entlassen, mit einem
Sie ist verdächtiger denn je abtut, stellen Monika und ihr Verteidiger einen Befangenheitsantrag.
Aber auch der läuft ins Leere.
Und so verurteilt das Gericht Monika im Januar 2005 zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen heimtückischen Mordes an ihrem Vater und verhängt die besondere Schwere der Schuld.
Im Urteil heißt es, das vorrangige Motiv der Angeklagten war Habgier.
Ihr Ziel der Bereicherung durch die Tat beabsichtigte sie durch einen nachfolgenden Versicherungsbetrug zu erreichen.
Sie bediente sich zur Erreichung ihres Ziels bewusst des gemeingefährlichen Mittels,
eines mittels Brandbeschleunigers gelegten nächtlichen Brandes in einer Doppelhaushälfte.
Es glaubt den Ausführungen der Staatsanwaltschaft und beruft sich bei der Begründung auf das Gutachten des LKA.
Laut Urteilen nahm Monika bewusst in Kauf, dass ihr fast bewegungsunfähiger, hilfloser Vater dem qualvollen Feuertod ins Auge sehen musste.
Monika muss ins Gefängnis.
Als sie an diesem Tag zurück in die Haftanstalt kommt, ist sie einfach nur fertig.
Aber noch ist der letzte Kampf nicht entschieden.
Monikas Anwalt legt Revision ein und will das Urteil auf Rechtsfehler überprüfen lassen.
Ingo forscht in der Zeit weiter nach der Wahrheit.
Woher kommen die Rückstände von den vielen Litern Spiritus, fragt er sich.
Bei der ganzen Recherche findet Ingo kaum noch Zeit zum Schlafen.
Er beauftragt einen Brandgutachter, der für die Familie recherchiert und sich auch mit anderen Experten und Expertinnen austauscht.
Und die stoßen auf eine interessante Studie.
Nach dieser könnten sich dieselben Rückstände, die das LKA auf Spiritus haben schließen lassen, auch bilden, wenn Holz unter Ausschluss von Sauerstoff verbrennt.
Und im Haus von Theo war überall Holz.
Holzpaneele an Decken, an Wänden, eigentlich überall.
Die ganze Verschalung des Hauses war aus Holz.
Nun ist es so, die Erkenntnis allein bringt der Revision nicht viel.
Weil wir wissen, der BGH kann das Urteil nur aufheben, wenn er Rechtsfehler in der Urteilsbegründung findet.
Aber offenbar hatte der Vorsitzende Richter genauso wenig Lust beim Schreiben des Urteils wie bei der Verhandlung.
Und so hat nach Auffassung des BGH das Landgericht nicht hinreichend begründet,
warum jetzt gerade dieser bestimmte Wert darauf schließen lasse, dass es sich bei dem Ethanolgemisch um Spiritus handelte.
Außerdem bemängelt es auch noch die Ausführung, warum den anderen GutachterInnen weniger Glauben geschenkt wurde als dem des LKA.
Laut Urteil sei das darauf zurückzuführen, dass die keine ChemikerInnen waren.
Welche Expertise sie aber stattdessen hatten, steht nicht im Urteil.
Zwei Monate, nachdem der BGH 2006 das Urteil aufhebt, wirkt Monika endlich nach
Ach guck mal, ich habe hier noch 880 Tagen aus der Haft entlassen drinstehen.
Mir sagte aber ein Anwalt, der sich sehr intensiv mit dem Fall beschäftigt hat, dass es eigentlich 889 Tage waren,
aber eine sehr große deutsche Boulevardzeitung daraus 880 gemacht hat, weil sich das besser anhört.
Und jetzt ist sie frei, könnte man meinen, aber der Schein trügt.
Zwar trennen Monika und die Außenwelt jetzt keine Gitterstäbe mehr, aber ihr altes Leben bekommt sie in dieser Zeit nicht zurück.
Bis kein Urteil gefallen ist, dass sie komplett rehabilitiert, kann sie nirgends Fuß fassen.
Zwei Jahre muss sie in dieser wartenden Position ausharren.
Nicht wissend, ob das Gericht nicht wieder einen Grund findet, sie für ein Verbrechen einzusperren, das sie nie begangen hat.
Im April 2008 startet der zweite Prozess gegen Monika, diesmal vor einer anderen Kammer.
Das Gericht lebt diesmal gleich eine Sachverständige vom Bundeskriminalamt.
Und die lässt keine Zweifel daran, dass die Kollegen und Kolleginnen vom LKA den Brand absolut falsch beurteilt haben.
Zunächst einmal sei Spiritus als Brandbeschleuniger komplett ungeeignet.
Dann sei ein zweiter Brand im Wohnzimmer neben dem Sofa auch durch herabfallende, glühende Teile zu erklären.
Außerdem kritisiert die Sachverständige, dass die entwickelte Methode vom LKA nicht standardisiert sei,
weil sie ausschließlich auf ihren eigenen Erfahrungswerten aufgebaut ist.
Für sie liegt es auf der Hand, dass der Brandauslöser die Zigarette des Vaters war.
Und so sei es zum Schwebrand gekommen.
Die Ventilationsverhältnisse, die entstanden, als Monika unten die Haustür öffnete,
seien der Grund, warum es dann zum Backdraft kam.
Nichts mit Hollywood.
Monikas Verteidiger fordert, dass die Behörden der stümperhaften Arbeit des LKA,
die er mit Kaffeesatzlesen vergleicht, auf den Grund gehen und will den Freispruch erster Klasse für Monika.
Auch die bittet das Gericht darum, sie nicht nur wegen bestehender Zweifel an ihrer Schuld frei zu sprechen,
sondern ihr ihre Unschuld auszuweisen.
Das sei das Gericht ihr schuldig.
Dann bedankt sie sich noch bei Ingo und ihrer Schwester, die nie aufgegeben haben, für sie zu kämpfen.
Am Ende plädiert selbst der Staatsanwalt auf Freispruch.
Allerdings war er es nicht, der Monika im ersten Prozess eingeklagt hatte,
und darüber ist er selbst, wie er sagt, auch sehr froh.
Am 9. April folgt das Gericht Monikas Forderungen und spricht sie von allen Vorwürfen frei.
Als Monika die Tür aus dem Gerichtssaal öffnet, wird sie von einer Reihe ReporterInnen empfangen.
Man kann ihr ihre Erleichterung regelrecht ansehen.
Ein Reporter fragt, was sagen sie?
Monika antwortet mit ihrem Berliner Dialekt, dass sie zufrieden ist,
aber das Urteil erst mal sacken lassen muss.
Einige Fragen schafft sie noch zu beantworten, dann kann sie nicht mehr.
Kann ich jetzt mal durch, fragt sie und schiebt sich zeitgleich an den Fernsehteams vorbei.
Egal, wohin sie jetzt geht, sie tut es als freier Mensch.
Jetzt wird alles gut, könnte man meinen.
Doch die Geschichten von Justizirrtümern enden nicht dort.
Ein Freispruch ist kein Garant für ein Happy End.
Normalerweise bekommen Menschen, die aus der Haft entlassen werden,
eine sogenannte Wiedereingliederungshilfe.
Aber weil Monika ja im Grunde nie rechtmäßig verurteilt wurde,
weil der BGH das Urteil ja gekippt hatte, steht ihr diese Hilfe nicht zu.
Und das Arbeitslosengeld, was sie jetzt bekommt,
richtet sich nicht etwa nach ihrem Verdienst vor der Haft,
sondern das Amt nimmt als Grundlage ihre Einkünfte aus ihrer Arbeit im Gefängnis.
Quatsch.
Und das waren 90 Euro im Monat.
Quatsch.
Also, es wird dann sicherlich nicht prozentual angerechnet,
weil das ist ja nichts.
Und mit der Haftentschädigung kann Monika sich auch nicht wirklich über Wasser halten,
weil für die Tage, die sie unschuldig saß,
bekommt sie am Ende knapp 9700 Euro zugesprochen,
weil es damals halt eben noch diese 11 Euro am Tag waren.
Daraufhin schreiben Monika, Schwester Ute und Schwager Ingo einen offenen Brief an den Petitionsausschuss des Abgeordnetenhauses Berlin.
Darin fragen sie, ob denn die Ängste und die Ohnmacht, die Schmerzen und die Trauer eines jeden Unschuldigen im Gefängnis Sitzenden,
ob all das, all die Narben in der Seele, jedes einzelnen Unschuldigen, ob die 11 Euro am Tag wert sind.
Daraufhin ändert der Bundestag im darauf folgenden Jahr das Strafverfolgungsentschädigungsgesetz und erhöht die Haftentschädigung auf 25 Euro.
Aber Monika persönlich kann von dieser Anhebung nicht profitieren.
Im Februar 2012, sieben Jahre nach dem Urteil, kämpft Monika immer noch gegen die Justiz.
Diesmal wegen der Gutachten, die Monika finanziert hatte, um die falschen Gutachten des LKA zu widerlegen.
Der Staat will die gesamten Kosten nicht übernehmen.
Monika soll 5000 Euro an die Staatskasse zurückzahlen und bleibt auf fast 30.000 Euro sitzen.
Mit welcher Begründung sagen die, dass sie das nicht zahlen wollen?
Also den größten Teil davon übernehmen sie, aber 30.000 Euro halt eben nicht.
Was man ja überlegen muss, weil sie hat die ja nur ausgegeben, um ihre Unschuld zu beweisen.
Aber die Justiz ist der Ansicht, dass nicht genügend klar gemacht wurde in ihren Belegen, weshalb die Gutachten so teuer waren.
Da wurden irgendwelche Anfahrtskosten berechnet und so und das haben die nicht richtig.
Aber dafür haben die ja nichts.
Ja, aber die sagen, das haben die nicht richtig ausgewiesen und deswegen können sie das jetzt nicht zahlen.
Ja, das ist total irre.
In dieser Zeit redet Monika mit der Journalistin Barbara Keller über ihre Zeit in Haft.
Keller hat ein Buch geschrieben mit dem Titel »Sieht so eine Mörderin aus« und darin wird auch der Fall von Monika behandelt.
Keller fragt Monika, ob sie jemals Michael im Verdacht hatte, den Brand gelegt zu haben.
Monika antwortet »Solange ich in Haft war, nicht.
Aber heute würde sie sich schon fragen, warum die Tür zu seinem Schlafzimmer geschlossen war.
Also zu Theos Schlafzimmer.
Sie war ja immer auf.
Michael kann sie das nicht mehr fragen.
Auch er ist mittlerweile verstorben.
Was für ein Glück, dass Monika Ingo hatte, der immer für sie gekämpft hat.
Und das tut er auch jetzt, nach der Haft noch.
Zusammen gelingt es den beiden sogar eine zusätzliche Haftentschädigung zu erwirken und dass ihr ihr letztes Gehalt bis zur Rente gezahlt wird.
Und trotzdem, so richtig Fuß fassen kann Monika nicht mehr.
Sie eröffnet gemeinsam mit einem neuen Mann eine Disco, damit sie nicht allein ist, sagt sie.
Sie kann dann mit den Gästen reden.
Aber Zahlen dafür tut nur sie.
Irgendwann landet sie wieder in den Miesen.
Nachdem sie dann auch noch einer ehemaligen Mitgefangenen Geld leidt, muss sie Privatinsolvenz anmelden.
Monika zieht sich immer mehr zurück.
Wenn die Familie an der Tür klingelt, dann macht sie nicht mehr auf.
Sie wird depressiv.
Im März 2017 wird bekannt, dass Monika im Alter von 61 Jahren gestorben ist.
Die Ursache ist öffentlich nicht bekannt.
Monika war nach ihrer ersten Verurteilung nie wieder so frei wie vorher.
Und noch nach dem Freispruch kämpfte sie ewig gegen die Justiz.
Nur weil ein Gutachter unterstellte, dass Brandbeschleuniger benutzt wurde.
Am Ende war es eben jenes falsche Gutachten, dass der Brandbeschleuniger für Monikas verfrischtes Leben war.
Was ich so toll finde, ist, dass der Ingo sich da so reingehängt hat.
Also das gibt es auch in meinem Fall nochmal so eine Person.
Und ich glaube, dass diese Leute, die sich da für andere Leute so einsetzen und eigentlich ja dafür zuständig sind,
dass es am Ende zu einem Freispruch kommt, dass die einen Orden verdient haben.
Aber die Frage ist ja jetzt eigentlich, wurde der Gutachter, der ja nachweislich falsch begutachtet hat,
wurde der irgendwie zur Verantwortung gezogen oder hat der nochmal irgendwas dazu gesagt im Nachhinein?
Ja, also da gab es auf jeden Fall sozusagen Nachspiel.
Aber diese Ergebnisse, die er da hatte, die hat ja nicht er alleine verzapft,
Das war ja das LKA, was diese Kappungsgrenze ermittelt hatte.
Und die haben ja mehrere solcher Gutachten gemacht im Laufe der Jahre,
wo sie behauptet haben, dass Spiritus im Einsatz gewesen ist.
So, und zwar, in nicht mal vier Jahren haben sie bei fast 200 Brennen Spiritus nachweisen können, das LKA Berlin.
Thomas Dahnstedt, Jurist, Journalist und Autor, schreibt in dem Buch Der Richter und sein Opfer,
dass das LKA Wiesbaden in 17 Jahren nur einmal Spiritus als Brandbeschleuniger nachweisen konnte.
Das ist doch tatsächlich eine sehr große Differenz.
Eben, weil sich Spiritus halt auch nicht so gut eignet.
Und bei vielen Fällen, wo die das nachgewiesen haben, da wurden die Angeklagten halt dann freigesprochen,
weil sich beispielsweise ein Obergutachter auf die Seite der GutachterInnen der Verteidigung schlug.
Das ist immer passiert.
Aber es gab auch einen Fall von jemandem, der beschuldigt wurde, sein Restaurant angezündet zu haben.
Und der hatte eine Bewährungsstrafe bekommen.
Aber als das rauskam, haben die den nicht mehr gefunden.
Und viele der Fälle, wo das LKA Berlin gesagt hat, hier war Spiritus im Spiel,
das hatte Ingo auch vor Gericht angeführt und hat immer gesagt,
sehen Sie, das wurde schon so oft widerlegt und irgendwas kann ja nicht stimmen, so nach dem Motto.
Und der damalige Polizeipräsident wollte dann, dass man das Gutachten extern überprüft.
Und er kündigte auch an, dass man sich bei Monika entschuldigen würde,
wenn herauskäme, dass das Gutachten falsch sei.
Aber so kam es halt eben nicht.
Denn die unabhängigen Experten und ExpertInnen, die hatten dann Schwachstellen zwar gefunden,
aber sie meinten, die Methodik an sich wäre schon richtig gewesen.
Es hätte nur hinreichend bewertet werden müssen.
Und man hätte es nicht allein auf diese Möglichkeit einengen dürfen.
Aber sie sagten halt eben nicht, dass das Gutachten falsch war oder so.
Ach so, also wenn man die Arbeit nur zur Hälfte macht, dann ist das nicht falsch.
Dann ist das einfach nur nicht ganz richtig oder was?
Ja, das ist schon absurd.
Es ist ja voll wichtig, dass das richtig und ordentlich gemacht ist,
weil darauf stützen sich ja sehr viele Urteile.
Angeblich sogar bei sieben von zehn Prozessen.
Also sind sie in vielen Prozessen auch besonders wichtig.
Und um die Gutachten und dass die manchmal problematisch sein können.
Darum geht es jetzt auch in meinem AHA.
GutachterInnen sind an sich unabhängige Experten und Expertinnen,
die über Fachwissen auf einem bestimmten Gebiet verfügen.
GutachterInnen kann also theoretisch jeder oder jede sein.
Je nachdem, in welche Richtung das Gutachten ausfällt,
versucht dann entweder die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung das Gutachten
oder die begutachtende Person schlecht dastehen zu lassen.
Sicherlich trifft das nicht auf alle zu,
aber wir haben jetzt im Laufe unserer Zeit von verschiedenen Experten und Expertinnen gehört,
dass manche Gerichte bestimmte GutachterInnen bestellen,
wenn sie schon von vornherein von der Schuld eines Angeklagten oder einer Angeklagten überzeugt sind.
Oder beispielsweise, weil man weiß, Gutachter XY neigt eher dazu,
mit der Einschätzung der Schuldunfähigkeit sparsam zu sein.
So was nennt man dann Tendenzgutachten.
Das ist jetzt nicht die Regel,
aber heute reden wir über Justizirrtümer, deswegen geht es jetzt darum,
Konstantin von Linden hat für Legal Tribune Online 2014 ein Interview mit der Gutachterin Dr. Gressa geführt.
Sie ist Ärztin für Innere Medizin und spricht darin von begutachtenden Kollegen und Kolleginnen,
die von Richtern und Richterinnen schon ganz klare Ansagen erhalten haben,
wie ihre Gutachten auszusehen haben.
Gressa hat eine Studie über GutachterInnen durchgeführt und die kam zu dem Ergebnis,
dass über 25 Prozent der Kollegen und Kolleginnen schon mal Tendenzsignale seitens des Gerichts bekommen haben.
Und das ist gerade dann problematisch,
wenn GutachterInnen einen Großteil ihres Einkommens aus den Gutachten beziehen,
die sie für Gerichte anfertigen.
Aus der Studie ging auch hervor,
dass Psychologen und PsychologInnen viel häufiger Tendenzsignale von Gerichten erhalten,
als jetzt beispielsweise die MedizinerInnen,
die Gutachten über Zähne erstellen.
Das, so Gressa, kann daran liegen,
dass die psychiatrischen oder psychologischen Gutachten viel weniger wissenschaftlich belegbar sind,
als wenn es jetzt beispielsweise um den Bruch eines Knochens geht oder so.
Dass jetzt falsche psychologische Gutachten auch zu Justiztümern führen können,
das zeigt der Fall des Bundeswehrbeamten Norbert Kuss.
Er und seine Ehefrau nehmen damals eine Pflegetochter auf,
die Kuss dann zu Unrecht beschuldigt, sie missbraucht zu haben.
Das Mädchen war offenbar schon mal missbraucht worden
und ist damals auch schon sehr verhaltensauffällig.
Kuss landet deswegen vor Gericht.
Die Gutachterin stuft die Aussagen der Pflegetochter als erlebnisorientiert
und mit hoher Wahrscheinlichkeit glaubhaft ein.
Und Kuss geht dann für 683 Tage ins Gefängnis.
Und sowohl die Revision als auch der Versuch einer Wiederaufnahme des Verfahrens scheitern.
Und dass das alles eine Lüge ist,
das kommt dann erst raus, als seine Pflegetochter Kuss
Jahre später wegen 20.000 Euro vor ein Zivilgericht zerrt.
Dort verliert sie aber,
weil das Gericht nicht von der Schuld von Kuss überzeugt ist.
Und der leitet dann daraufhin erfolgreich ein Wiederaufnahmeverfahren ein.
Und am Ende stehen die beiden vom Oberlandesgericht,
wo ein Professor vom Institut für Forensische Psychiatrie von der Berliner Charité
ein Gutachten über das damalige Gutachten erstellt.
Und der sagt, die Kollegin damals hätte erheblich fehlerhafte Arbeit geleistet.
Sie habe wissenschaftliche Grundsätze und grundlegende methodische Prinzipien im höchsten Maße verletzt
und damit grob fahrlässig gehandelt.
Und das Oberlandesgericht urteilt zugunsten von Kuss.
Und im September 2018 bestätigt der BGH das auch.
Also diese Gutachterin, die muss jetzt deswegen unter anderem 50.000 Euro Schmerzungsgeld an Kuss zahlen.
Also Gutachter können theoretisch, wenn sie vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben,
auch haftbar gemacht werden.
Naja, wenigstens hat der Pflegevater da jetzt dann, naja, eine Art materielle Gutmachung bekommen
durch dieses Zivilverfahren.
Aber tatsächlich kommt das ja nur sehr, sehr selten vor,
dass irgendwie vom Gericht beauftragte Sachverständige dann auch für ihre Fehler
irgendwie zur Verantwortung gezogen werden.
Ja, richtig.
Gerichtsgutachterin Hannah Ziegert hat sich 2012 in dem Talkformat Beckmann
kritisch über die Vergabe von Gutachten geäußert.
Sie sagt, jeder Gutachter, jede Gutachterin habe einen bestimmten Ruf
und sei für eine gewisse Haltung und gewisse Werte bekannt.
Das wäre gerade deshalb so, weil das Feld der Gutachter in Deutschland halt auch nicht so riesig sei.
Wenn also jemand etwas in eine bestimmte Richtung lenken wolle, sei das zweifelsfrei möglich.
Man könne dem entgegenwirken, meint Dr. Gresser im Interview mit LTO,
beispielsweise mit einem Losverfahren.
Nach diesem Talk bei Beckmann lehnte die Staatsanwaltschaft München
Ziegert in mehreren Verfahren als Gutachterin ab.
Begründung wegen Besorgnis der Befangenheit.
Okay, wow.
Also weil sie jetzt mögliche Fehlerquellen offenbart,
kriegt sie dann erstmal keinen Job als Gutachterin mehr.
Witzigerweise hat sie ja bei diesem Beckmann-Talk genau das gesagt,
dass viele GutachterInnen sich auch nicht trauen, etwas zu sagen,
wenn sie diese Tendenzsignale bekommen, weil sie eben ihr Gehalt dadurch beziehen.
Und dann fragt er sie, ja, und das ist ja jetzt sehr mutig, was Sie hier machen, was ist mit Ihnen?
Und dann sagt sie, ja, ich habe meine Praxis, ich bin nicht darauf angewiesen,
ich kann dann andere Dinge machen.
Aber sie hat es im Grunde genommen schon gewusst, was dann passiert ist, ja.
Und die Staatsanwaltschaft hatte das so gerechtfertigt,
dass es angeblich Grund zu der Annahme gäbe,
dass die Sachverständige eine innere Haltung habe,
die ihre Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit
störend und nachhaltig beeinflussen könne.
Sie hatte dann eine Unterredung mit dem Landgericht
und danach hat sie auch wieder Aufträge bekommen, aber ...
Das macht für mich gar keinen Sinn, was die da sagen,
dass das die Unparteilichkeit von ihr sozusagen negativ beeinflussen würde,
weil sie weiß ja ...
Krangert das ja an.
Ja, genau, sie weiß ja darum.
Und deswegen ist es ja eigentlich, ist sie weiter als andere,
wenn sie darum weiß.
Und offensichtlich hat diese eine Studie ja auch ergeben,
dass das oft passiert mit diesen Tendenzen.
Also, nein, leider gar nicht.
Abgelehnt.
Genau.
Mein Fall ist ein Paradebeispiel,
für die Unwilligkeit der Justiz eigene Fehler zuzugeben
und er zeigt, welche vernichtende Konsequenzen
das für eine Einzelperson haben kann.
Triggerwarnung dazu findet ihr in der folgenden Beschreibung.
Einige Namen habe ich geändert.
Sie haben die richtige.
Linda Krämer ist nicht nur fachlich versiert,
sie ist selbstbewusst, lebhaft, eloquent und sympathisch.
Dazu kommt noch ihr sehr gepflegtes Äußeres.
Die perfekte Bewerberin für die freie Stelle an der Gesamtschule.
Nach nur fünf Minuten im Vorstellungsgespräch
hat die 36-Jährige nicht nur die Schulleitung und den Personalrat,
sondern auch die Frauenbeauftragte Anja Helmstedt von sich überzeugt.
Und so soll Linda gleich nach den Sommerferien hier anfangen,
ihre Fächer Biologie und Deutsch in der Mittelstufe zu unterrichten.
Einige Monate später, Anfang September 2001, da ist Linda schon seit vier Wochen an der Schule,
meldet sie sich bei Anja Helmstedt.
Anja erkennt Linda nicht mehr wieder.
Denn vor ihr sitzt jetzt nicht mehr die selbstbewusste Lehrerin aus dem Vorstellungsgespräch,
sondern eine mitleidserregende und zerbrechlich wirkende junge Frau.
Und dann fängt Linda an zu erzählen.
Vor knapp einer Woche sitzt sie während der großen Pause im Biologie-Vorbereitungsraum.
Dort will sie ein Experiment mit Erbsen vorbereiten, als ein Kollege das Zimmer betritt.
Es ist Horst Arnold, Biologie- und Sportlehrer der Oberstufe mit Alkoholproblem.
Die beiden kommen ins Gespräch und ehe sich Linda versieht, wird sie von dem Mann bedrängt.
Er kommt ihr immer näher, sodass sie seinen alkoholgedrängten Atem riechen kann.
Dann drückt er sie plötzlich von hinten gegen eine Anrichte und hält ihr den Mund zu.
Linda wehrt sich, doch ihr Kollege ist größer und stärker als sie.
Er schiebt ihr einen Wickelrock und slipt zur Seite und dringt von hinten in sie ein.
Immer wieder schlägt und tritt er sie dabei.
Als er dann versucht, von vorne in sie einzudringen, kann sie Linda endlich losreißen und aus dem Raum fliehen.
Der Mann ruft ihr nach, ich krieg dich noch, wenn keiner mehr damit rechnet.
Linda rennt den Flur entlang und schreit.
Dann ist alles schwarz.
Anja kann nicht glauben, was Linda ihr da gerade erzählt hat.
Sie ist schockiert.
Linda tut ihr unglaublich leid.
Als Frauenbeauftragte fühlt sich Anja verantwortlich für das Sehinhall von Linda und nimmt sich ihrer an.
Anfang Oktober kriegt Anja dann einen Anruf von Linda.
Sie erzählt ihr völlig aufgelöst, dass sie gerade mit ihren Eltern in der Stadt war und auf dem Marktplatz auf Horst Arnold getroffen sei,
der seit einigen Wochen wegen der Anschuldigung von Linda vom Schulbetrieb befreit ist.
Als sie vor Angst weglief, habe er ihr erneut hinterher geschrien, ich krieg dich noch, wenn keiner damit rechnet.
Knapp ein Jahr später, im Juni 2002, begleitet Anja Linda ins Darmstädter Landgericht.
Hier findet der Prozess gegen den 42-jährigen Studienrat Horst Arnold statt.
Als Frauenbeauftragte weiß Anja, wie nervenaufreibend so eine Gerichtsverhandlung für Opfer von sexueller Gewalt sein kann,
vor allem, wenn die Verteidigung versucht, einen als unglaubwürdig darzustellen, weil der Angeklagte die Tat leugnet.
Deshalb möchte Anja für Linda da sein, die vor Gericht immer wieder in Tränen ausbricht.
Es dauert nur fünf Prozesstage, bis Horst Arnold wegen Vergewaltigung in Tateinheit,
mit Körperverletzung und Nötigung zu fünf Jahren Haft verurteilt wird.
In den Jahren nach dem Urteil bleibt Anja mit Linda in Kontakt.
Immer wieder wendet sich die Lehrerin in der Zeit an die Frauenbeauftragte.
Das erste Mal, als sie sich nach Marburg versetzen lassen will.
Der Grund, ihr verlobter Manfred, ein Polizist, liege dort in der Klinik.
Bei einem Einsatz gegen Al-Qaida sei ihm in den Kopf geschossen worden.
Oh Gott, was muss die arme Frau noch ertragen, denkt sich Anja.
Einige Zeit später trifft sie Linda dann zufällig bei einem Sportkurs.
Da erzählt sie erfreudig, dass sie eine Stelle in Oberamstadt bekommen hat.
Anja freut sich für sie, ist aber auch ein wenig perplex,
denn Oberamstadt liegt mehr als eineinhalb Autostunden von Marburg entfernt.
Daher fragt Anja nach, und was ist mit ihrem Lebensgefährten?
Ach, der ist gestorben, entgegnet Linda.
Das nächste, was Anja von ihr hört, ist, dass sie sich schon wieder versetzen lassen will.
In einer E-Mail schreibt sie ihr, dass sie in der neuen Schule vergiftet worden sei.
Im Uniklinikum Heidelberg habe man Arsen und andere Gifte in ihrem Blut gefunden.
Wahrscheinlich sei es ein Kollege aus dem Personalrat gewesen.
Habe es ihr vielleicht in den Tee gemischt.
Oder es war die Kollegin, die ihr Gebäck angeboten habe, erzählt Linda.
Im November 2007 kommt dann noch eine E-Mail.
Hallo, liebe Anja, schreibt Linda und erklärt, dass sie sich wieder versetzen lassen möchte.
Dieses Mal, weil der Polizist, der in ihrem Vergewaltigungsfall ermittelt hat,
heimtückisch ermordet worden sei.
Das ist der Moment, in dem Anja endgültig misstrauisch wird.
Diese ganzen unglaublichen Geschichten, die Linda Krämer über die Jahre erzählt hat,
können doch unmöglich alle so passiert sein.
Sie spürt einen Schlag, der durch ihren ganzen Körper schießt,
und ein unheimlicher Gedanke kommt ihr.
Was ist, wenn alles nur gelogen ist?
Auch die Geschichte von der Vergewaltigung.
Anja spürt, dass ihre Vermutung wahr sein könnte,
aber weiß nicht, was sie machen kann.
Deshalb wendet sie sich an ihren Bruder Hartmut Liro.
Der ist Anwalt in Berlin.
Eigentlich beschäftigt er sich mit zivilrechtlichen Dingen,
aber sie hofft auf seine Hilfe.
Hartmut zögert.
Er warnt vor einer Verleumdungsklage und Nachteilen im Beruf,
wenn die beiden das jetzt im Alleingang angehen.
Doch Anja kann ihn überzeugen und Hartmut beginnt zu recherchieren,
lässt sich die Akten zukommen
und nimmt schließlich auch Kontakt zu Horst Arnold auf,
der erst vor ein paar Monaten aus der Haft entlassen wurde.
Und da hört Hartmut die Geschichte,
wie sie Horst Arnold erlebt hat.
Und das ist eine ganz andere als die,
die vor Gericht erzählt wurde.
Für ihn beginnt die Geschichte nämlich erst am 14. September 2001,
dann, als die Polizei mit einem Haftbefehl vor seiner Tür steht.
Horst glaubt an eine Verwechslung,
bietet seinem Besuch noch freundlich Kaffee an.
Wie falsch er damit liegt,
wird ihm erst so richtig im Prozess klar.
Denn bis dahin ist er davon überzeugt,
dass sich alles aufklären wird.
Obwohl er fast ein Jahr lang in Untersuchungshaft sitzt,
ist sein Vertrauen in die Justiz gefestigt.
Er weiß ja, was in der besagten großen Pause passiert ist.
Da hat er ein DNA-Modell in den Biologie-Vorbereitungsraum gebracht
und Linda Kremer dabei erwischt, wie sie in seinen Unterlagen gewühlt hatte.
Er hatte sie zurechtgewiesen und erklärt,
dass das noch ein Nachspiel haben würde.
Eine Vergewaltigung hatte es nicht gegeben.
Und an dem Tag, ein paar Wochen später, wo er sie auf dem Marktplatz bedroht haben soll,
saß er schon längst in Untersuchungshaft.
Doch im Prozess merkt Horst relativ schnell,
dass hier an einer wirklichen Aufklärung niemand Interesse zu haben scheint.
Obwohl es keine Zeugen oder Zeuginnen gibt,
die irgendetwas mitbekommen haben
und auch keine objektiven Beweise,
weil Linda Kremer angibt,
ihren Slip entsorgt und ihren Rock gewaschen zu haben,
wird Horst verurteilt.
Als er das Urteil hört,
kann er es nicht fassen.
Für ihn ist in dem Moment sein Leben zu Ende.
Jetzt stehen ihm fünf Jahre Haft bevor.
Als erstes geht es aber für ihn in die forensische Psychiatrie.
Denn dort soll er seine Alkoholabhängigkeit in den Griff bekommen
und eine Therapie wegen des Sexualdelikts machen.
Der Gutachter hatte vor Gericht erklärt,
dass von Horst auch in Zukunft ähnlich rechtswidrige Taten zu erwarten seien,
sofern er Alkohol trinke.
Seine Sucht will Horst bekämpfen,
doch eine Therapie machen für etwas, das er nicht getan hat,
das widerstrebt ihm.
Er weigert sich.
Immer wieder wird er bedrängt, die Schuld einzugestehen.
Man lockt ihn mit Hafterleichterung
und der Chance auf vorzeitige Entlassungen.
Doch Horst bleibt standhaft.
Und so geben die Psychologen und Psychologinnen es nach zwei Jahren auf.
Ihr abschließendes Gutachten bescheinigt ihm
charakterliche Verwahrlosung
und eine schwere seelische Abartigkeit.
Als unbelehrbarer Sexualstraftäter abgestempelt,
kommt er in den Vollzug.
Dort lernt er die Hölle auf Erden kennen.
Horst wird von seinen Mithäftlingen gedemütigt und verprügelt.
Immer wieder muss er in Isolationshaft.
Als Sexualstraftäter steht er auf unterster Stufe.
Während seiner Zeit dort verliert er nicht nur seine Partnerin und Personen,
die ihm nahe gestanden haben.
Er verliert auch sein Zuhause.
Das Eigenheim müssen seine Eltern verkaufen, um die Anwaltskosten zu decken.
Das alles bringt Horst körperlich an seine Grenzen.
So sehr, dass er einen Schlaganfall erleidet.
Immer wieder denkt er in den Jahren auch an Suizid.
Und immer nur kurz davor schaffte er es, sich zurückzuhalten.
Denn er weiß, dass solch ein Tod als Schuldeingeständnis gewertet werden würde.
Nach zwei Drittel der Strafe können ErsttäterInnen auf Bewährung freikommen.
Aber eben nur dann, wenn sie sich unter anderem auch mit ihrer Tat auseinandergesetzt haben.
Das macht Horst nicht, weil er weiter auf seiner Unschuld beharrt.
Ihm wird eines Tages gesagt, wenn sie es heute zugeben, dann kommen sie morgen raus.
Und wenn er es nicht machen würde, dann könnte es sogar sein,
dass ihm nach seiner Haftstrafe noch eine Sicherungsverwahrung droht.
Als seine Eltern ihn kurz nach diesem Gespräch besuchen, erzählt Horst ihnen davon.
Da fängt sein krebskranker Vater an zu weinen und bittet seinen Sohn, es doch einfach zu sagen.
Dann könne er endlich mit nach Hause.
Das kann Horst nicht.
Und so bekommt er keine Vergünstigung.
Darf nicht zum Sport, nicht auf Hofgänge und nur selten aus seiner Zelle.
Natürlich bekommt er auch dann keinen Hafturlaub,
als sein Vater es nicht mehr aus dem Bett schafft, um seinen Sohn im Gefängnis zu besuchen.
Horst muss auch den letzten Tag seiner fünfjährigen Haftstrafe ganz absitzen.
So kommt er erst im Sommer 2007 wieder raus,
nach mehr als 1826 Tagen und Nächten in Gefangenschaft.
Aus dem einst gut aussehenden und fitten Sportlehrer ist ein aufgeduntener Mann geworden,
der viel älter aussieht, als er eigentlich ist.
Weil Horst kein Zuhause mehr hat,
muss er als 47-Jähriger nun wieder in sein altes Kinderzimmer ziehen.
Oh Mann, ey.
In den ersten Wochen in Freiheit ist er damit beschäftigt,
seiner Mutter zu helfen, den todkranken Vater zu pflegen,
der gefühlt nur noch auf die Rückkehr seines Sohnes gewartet hat,
bis er den Kampf gegen die Krankheit schlussendlich aufgibt.
Als sein Vater stirbt, zieht Horst ins Saarland.
Er gibt nicht auf, er will wieder Fuß fassen in seinem neuen Leben, wieder arbeiten.
Und so schreibt er mehr als 200 Bewerbungen.
Doch sobald man nach der fünfjährigen Lücke in seinem Lebenslauf fragt
und Horst die Vorstrafe offenbart, gibt es für ihn keine Chance.
Er stigmatisiert.
Die Hoffnungslosigkeit und die Untätigkeit treibt ihn irgendwann in ein dunkles Loch.
Horst muss wegen Depressionen behandelt werden.
Und dann kommt der Anruf aus Berlin, von Hartmut, der von seiner Schwester Anja geschickt wurde.
Hartmut möchte jetzt, nachdem er die ganze Geschichte kennt, Horsts Anwalt werden.
Der sagt zu und Hartmut stützt sich in die Arbeit.
Beim Sichten der Akten fallen dem Anwalt direkt viele Ungereimtheiten auf.
Zum Beispiel, dass Linda Crema gegenüber Zeuginnen anfangs angegeben hatte,
von Horst Arnold in Anführungsstrichen nur angemacht und bedrängt worden zu sein.
Dann wurde daraus, er habe sie belästigt.
Ein paar Gespräche später war von sexueller Nötigung die Rede.
Und erst acht Tage nach der angeblichen Tat erklärt sie, mit körperlicher Gewalt anal vergewaltigt worden zu sein.
Aber auch die Tatnacherzählung ist widersprüchlich, denn Linda Crema hatte unterschiedliche Angaben zum Fluchtweg gemacht.
Einmal habe sie sich in der Damentoilette versteckt, ein anderes Mal sei sie über die Feuertreppe geflüchtet.
Mal habe sie geschrien, mal habe sie solche Angst gehabt, dass kein Ton herauskam.
Und dann soll folgendes in nur 15 Minuten geschehen sein.
Horst Arnold betritt den Biologie-Vorbereitungsraum.
Die beiden kommen in ein Gespräch, das sich zum Streit entwickelt.
Dann zur analen Vergewaltigung im Stehen, was nach Hartmutsrecherchen selbst für geübte Paare nicht so einfach sein soll.
Okay, wow.
Dann flieht Linda Crema über eine Feuertreppe aus dem zweiten Stock ins Freie, übergibt sich an einem Busch, richtet sich wieder her,
sodass sie pünktlich zur nächsten Stunde in einem anderen Gebäude den Unterricht beginnen kann, als wäre nie etwas gewesen.
Ob das alles wirklich in dieser Zeit möglich gewesen war, wurde in der Verhandlung nicht überprüft.
Dass Linda Crema danach ihren Deutschunterricht zum Thema lyrisches Ich und die Stunde danach ganz ohne Auffälligkeiten durchzog,
erklärte das Gericht damals damit, dass der Unterricht Gewohnheit für sie darstellte
und so ein Verhalten bei Opfern sexueller Gewalt nicht ungewöhnlich sei.
Das kann ich mir tatsächlich auch vorstellen.
Ja, ich auch.
Von den nicht vorhandenen objektiven Beweisen weiß Hartmut ja schon.
Aber er erfährt jetzt, dass bei einer frauenärztlichen Untersuchung Tage nach der angeblichen Tat keine Spuren einer Vergewaltigung gefunden wurden.
Aber einige Wochen nach der Tat hat eine andere Ärztin eine zwei Zentimeter lange Fissur am After gefunden.
Merkwürdig findet Hartmut auch, dass der Ermittler, der an dem Fall gearbeitet hat, nicht mal als Zeuge im Verfahren geladen worden war.
Was den Anwalt aber am meisten wundert, ist, dass das Gericht sogar über eine offensichtliche Lüge von Linda Crema hinweg sah.
Denn die hatte ja bei der Polizei ausgesagt, dass Horst Arnold sie Wochen nach der Tat noch einmal auf dem Marktplatz bedroht hatte,
obwohl er an dem besagten Tag schon längst in U-Haft saß.
Erklärt hatte das Gericht diese Aussage 2002 als traumabedingte Wahrnehmungsstörung.
Dass die Eltern ihn ja auch gesehen hatten, haben sie unter den Tisch fallen lassen.
Nach dem Sichten der Akten fängt Hartmut an, in Linda Cremas Vergangenheit zu wühlen.
Er will herausfinden, ob es noch mehr von diesen unglaublichen Geschichten gegeben hat, von dem ihm seine Schwester Anja erzählt hatte.
Und er wird nicht enttäuscht.
Da gab es zum Beispiel einen Schüler, den Linda verdächtigte, einen Armoklauf zu planen.
Dann einen Vater, der sein Kind sexuell missbraucht haben soll und einen Lehrer, der andere belästigte.
Aber Linda macht sich in ihren Geschichten auch selbst gern zum Opfer.
So habe jeder ihrer drei Ehemänner sie misshandelt.
Einer habe sie sogar immer wieder anal vergewaltigt.
Linda habe ihre Tochter bei einem Unfall verloren, sei die Treppe hinuntergeschubst worden
und habe in Lebensgefahr geschwebt, weil sie gemeinsam mit einem Freund einen Kinderporno-Ring aufgedeckt habe.
Sie habe zudem mal Krebs, mal pfeifrisches Drüsenfieber und einen Tumor gehabt.
Einer ihrer Ex-EMNA erzählt Hartmut, dass Linda ihm offenbarte, dass sie unheilbar krank sei und bald sterben würde.
Hartmut versucht, für all diese Geschichten Beweise zu finden.
Vergeblich.
Ihm wird klar, dass wahrscheinlich ein Anruf bei einer ihrer früheren Schulen gereicht hätte,
um herauszufinden, dass Linda Krämer als Märchentante verschrien war.
Aber nur weil eine Person oft lügt, heißt das natürlich nicht, dass eine Lügnerin nicht auch vergewaltigt werden kann.
Das weiß Hartmut.
Deshalb versucht er mehr über die Zeit vor und nach der angeblichen Vergewaltigung zu erfahren.
Er findet heraus, dass Linda Krämer nur einen Tag nach der mutmaßlichen Tat Tennis spielen und bei einem Frauenstammtisch war.
Nach den Verletzungen zu urteilen, die die zweite Frauenärztin bei ihr festgestellt hatte, wäre Tennis spielen aber laut ExpertInnen nur unter großen Schmerzen möglich gewesen.
Ende März 2008 glaubt Hartmut genügend Beweismittel zusammengetragen zu haben, um eine Wiederaufnahme zu erwirken und beantragt ein Verfahren.
Gleichzeitig erstattet er im Auftrag von Horst Strafanzeige gegen Linda Krämer wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung.
Doch es vergehen drei Jahre, bis es zum Wiederaufnahmeverfahren kommt.
Drei Jahre, in denen Horst vergeblich versucht, Fuß zu fassen.
Wiederaufnahmeverfahren wird dann alles das, was Hartmut in ausführlicher Recherche herausfinden konnte, hervorgebracht und von Zeugen und Zeuginnen bestätigt.
Das Gericht entscheidet daher am 5. Juli 2011, also vier Jahre, nachdem Horst aus der Haft entlassen wurde, nach erneut nur fünf Verhandlungstagen, dass er der Vergewaltigung unschuldig ist.
Horst wird freigesprochen.
Das Gericht erklärt, Zitat,
Den Angeklagten sehen wir nachweislich als unschuldig an.
Es ist davon auszugehen, dass die Zeugin gelogen und die Geschichte von vorn bis hinten erfunden hat.
Außerdem wird herausgestellt, dass die damaligen RichterInnen der Darmstädter Kammer bei ihrer Urteilsfindung, Zitat,
Elementare Grundregeln der Wahrheitsfindung verletzt haben.
An Horst richtet der Vorsitzende noch die Worte,
Ihnen wurden zehn Jahre des Lebens verfuscht.
Das weiß Horst, aber er ist heute einfach nur erleichtert.
Ich habe mein verlorengegangenes Vertrauen in die deutsche Justiz wiedergefunden,
sagte zuversichtlich in die Kameras und bedankte sich ganz offiziell bei Hartmut und Anja,
ohne die seine Rehabilitation nicht möglich gewesen sei.
Für Horst ist der heutige Freispruch mehr als nur eine Genugtuung.
Für ihn ist es der Startschuss für ein neues Leben, sagt er.
Doch schnell stellt sich heraus, dass er sich da getäuscht hat.
Auf ein Leben als unbescholtener Bürger muss Horst noch warten,
denn Linda Krämer geht nach dem Freispruch in Revisionen.
Sie hält nämlich immer noch an ihrer Aussage fest.
Das heißt, es verstreichen weitere sieben Monate, bis der BGH das Urteil bestätigt.
Monate, in denen Horst auf dem Papier ein rechtskräftig verurteilter Vergewaltiger bleibt.
Und danach ändert sich auch nichts.
Die Haftentschädigung, die Hartmut für Horst gestellt hat, lässt auf sich warten.
Und für Horst noch viel schlimmer, er findet immer noch keinen Job.
Auf die Hilfe des hessischen Kultusministeriums kann er dabei nicht hoffen.
Von dort heißt es nur, er solle sich bewerben, wie alle anderen auch.
Dazu kommt noch, dass gegen Linda Krämer nichts unternommen wird,
Obwohl schon seit 2008 wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung gegen sie ermittelt werden sollte.
Eineinhalb Jahre später ist Horst zuversicht erneut Resignation gewichen.
Als er am Morgen des 29. Juni 2012 vom Einkaufen nach Hause will, versagt sein Herz.
Horst fällt vom Fahrrad und ist tot.
Mit 53 Jahren.
Gestorben ist der einstige Studienrat mit Einseexamen, Eigenheim und Freundin als Sozialhilfeempfänger.
Ohne Job, ohne Haus, ohne Freundin, in einer Stadt, die nicht die seine war.
Bis zu seinem Tod hat er keinen Cent Entschädigung bekommen.
Er hat nicht gesehen, dass Linda Krämer zur Verantwortung gezogen wird.
Keine Entschuldigung seitens der Justiz und keine Zusage auf eine seiner etlichen Bewerbungen.
Als Hartmut und Anja von dem Tod Horst Arnolds erfahren,
mit dem Hartmut noch am Abend zuvor telefoniert hatte, sind beide schockiert.
Hartmut ist traurig darüber, dass er seinem Mandanten nicht schneller
zu der Genugtuung des Freispruchs und der materiellen Entschädigung hatte verhelfen können.
Anja hatte Horst wirklich gegönnt, endlich wieder ein normales Leben führen zu können.
Aber das war ihm verwehrt geblieben.
Horst war stigmatisiert geblieben bis zum Tod.
Alles dank einer Frau, die er nur drei Wochen flüchtig kannte.
Doch gerade der Tag, an dem Horst vom Fahrrad fällt und stirbt, wird der Tag,
an dem die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen Linda Krämer endlich zulässt.
Jetzt soll die Frau doch noch dafür verantwortlich gemacht werden, was sie Horst angetan hat,
auch wenn dieser das nicht mehr miterleben darf.
Im April 2013 steht Linda Krämer also erneut vor dem Darmstädter Landgericht,
allerdings diesmal nicht als Opfer, sondern als Angeklagte.
Der Vorwurf? Schwere Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft.
Linda Krämer sei es darum gegangen, ihren Kollegen Horst Arnold
unter Zuhilfenahme der Polizei und der Staatsanwaltschaft festnehmen zu lassen.
Es geht also für die Justiz zum dritten Mal um dieselbe Sache.
Und wieder ist Linda Krämer Hauptdarstellerin.
Hartmut darf dieses Mal nicht als Anwalt dabei sein, weil sie dann tot ist.
Schwester Anja sitzt dafür aber auf der Zuschauerbank.
Am ersten Prozestag betritt Linda Krämer den Gerichtssaal mit einer langen, roten, voluminösen Perücke
und einer großen, schwarzen Sonnenbrille.
Sie setzt sich zwischen ihre zwei Verteidiger und ihre Verteidigerin
und macht sich während der Verhandlungen eifrig Notizen.
In diesem Verfahren werden etliche Zeuginnen und Zeugen gehört,
die allesamt erklären, wie überzeugt sie alle anfangs von Linda waren.
Der Frau, die so einnehmend war, so sympathisch, engagiert und professionell.
So wie Anja sie damals im Vorstellungsgespräch 2001 kennengelernt hatte.
Und dass sich das Bild relativ schnell gewandelt hat.
Linda wurde von höflich zu herrisch, von zuvorkommend zu rücksichtslos.
Ihr sei es einzig und allein um sich und ihre Karriere gegangen.
Um Verbeamtung, Besoldung und eine höhere Position.
Als es um ihre unglaublichen Geschichten geht, werden Menschen geladen, die diese widerlegen können.
Wie zum Beispiel der Polizist Manfred, den sie als ihren Toten verlobt mit Kopfschuss präsentiert hatte,
der im Zeugenstand aussagt, nicht einmal eine Beziehung zu der Frau gehabt zu haben.
Oh.
Oder ein Professor der Uniklinik Heidelberg, der erzählt, dass damals kein Gift in Lindas Blut gefunden wurde.
Die Angeklagte hat zu jeder Geschichte etwas beizusteuern.
Hier sei sie missverstanden worden, dort habe sie doch eine Geschichte aus den Medien wiedergegeben
und an andere können sie sich gar nicht erinnern.
Wo sie sich aber ganz sicher ist, sie wurde vergewaltigt.
Daher werden auch zwei Richter der Darmstädter Kammer befragt, die damals noch nur fünf Tagen
entschieden hatten, dass Horst Arnold der Vergewaltigung schuldig war.
Doch beide haben nur noch vage Erinnerungen, seien sich aber sicher, dass es keine Anhaltspunkte
für eine Lüge gegeben habe.
Als Begründung sagt der Richter, der 2002 den Vorsitz hatte, erstens hätten sich die beiden
erst ganz kurz gekannt und zweitens sei kein Motiv zu finden gewesen.
Kein Motiv dafür, dass sie das erfindet.
Und wieso ist das eine Begründung, dass sie sich erst drei Wochen kannten?
Weiß ich nicht, aber auch war ja ein Motiv angegeben worden, zumindest von Horst Arnold,
und zwar, dass sie sauer war, weil er sie zurechtgewiesen hatte, weil sie in seinen Sachen rumgewöhnt
hatte.
Aber das wurde nie in Betracht gezogen.
Als Gutachter wird in diesem Verfahren Norbert Laigraf gerufen.
Der Psychiater erklärt, dass Linda Krämer ein übermäßiges Bedürfnis nach Aufmerksamkeit
und Anerkennung habe.
Sie wollte immer im Mittelpunkt stehen und um das zu erreichen, setzte sie sich
mit unglaublichen Geschichten in Szene.
Wir kennen solche theatralischen Persönlichkeiten, zum Beispiel schon aus Folge 17, denn es ist
die histrionische Persönlichkeitsstörung, die Laigraf ihr attestiert.
Aber auch eine volle Schuldfähigkeit, denn ihr Unrechtsbewusstsein sei dadurch nicht gestört.
Nach 18 Verhandlungstagen plädiert die Staatsanwaltschaft auf sieben Jahre und sechs Monate Haft.
Sie erklärt, dass Linda Krämer, Zitat, aus grobem Eigennutz und mit hoher krimineller Energie
gehandelt habe und 30 Jahre Bemühungen um die Opfer von Sexualstraftaten mit Füßen getreten.
Ans Gericht gewandt, sagt sie, Herr Arnold sollte nicht nochmals zum Opfer gemacht werden.
Die Verteidigung hingegen plädiert auf Freispruch.
Am 9. September 2013 wird Linda Krämer dann verurteilt, zu fünfeinhalb Jahren Gefängnis.
Laut der vorsitzenden Richterin wurde bewiesen, dass die Angeklagte definitiv gelogen haben.
Sie habe ihren Vorwurf im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut, als ihr klar geworden sei,
dass Arnold als Alkoholkranker mit geringem Ansehen im Kollegium das ideale Opfer war.
Um ihre Geschichte glaubhaft zu machen, sei sie sogar so weit gegangen, sich nachträglich
selbst zu verletzen und die Geschichte trotz erwiesener Widersprüche aufrechtzuhalten.
Hartmut und Anja sind zufrieden mit dem Urteil.
Doch kommt es für sie viel zu spät.
Schließlich hatte es jetzt insgesamt zwölf Jahre gedauert, den Fall aufzuklären.
Die Frau, die für Horsts Leid verantwortlich war, kommt in Haft.
Doch es war nicht nur ihr Verschulden allein, das ihn ins Gefängnis brachte und sein Leben zerstörte.
Es war auch die Justiz, die auf ganzer Linie versagt hatte.
Das weiß auch die vorsitzende Richterin im Saal.
Daher fügt sie am Ende ihrer mehr als einstündigen Urteilsbegründung noch hinzu.
Die Justiz würde sich gern bei Herrn Arnold entschuldigen.
Aber das ist nicht mehr möglich.
Das ist so traurig.
Das ist so frustrierend.
Man wird einfach so sauer.
Weißt du, ich habe ganz selten Geschichten gehört, wo Menschen Opfer von Justizurtümern waren,
wo die Personen danach glücklich waren und die ihr Leben wieder richtig auf die Reihe gekriegt haben
oder die eventuell nach diesem großen Unrecht, was denen angetan wurde, da besser rausgegangen sind.
Weil eigentlich erwartet man ja sowas.
Dir wird ganz viel Böses getan und dann kriegst du irgendetwas dafür.
Aber ich habe das Gefühl, den Leuten wurde halt tatsächlich immer nur genommen.
Und selbst wenn ihnen irgendetwas gegeben wurde, das war halt nicht ansatzweise das wert, was sie verloren haben.
Ja, und vor allem muss man sich vorstellen, was das Schlimmste ist, dass sie ja immer diese Hoffnung haben, die dann wieder zerstört wird.
Also jetzt zum Beispiel im Fall von Horst Arnold.
Er hat die Hoffnung, dass das alles aufgeklärt wird bis zum Prozess.
Dann hat er dort die Hoffnung, dass dort das aufgeklärt wird.
Dann wird die Revision verworfen.
Da hat er auch wieder Hoffnung gehabt.
Und die wird immer wieder zerstört.
Und auch wenn er dann raus ist und freigesprochen wurde und darüber glücklich ist, hat das nicht lang gehalten, weil er auch wieder gemerkt hat, so die Haftentschädigung wird nicht bezahlt.
Er wird nicht eingestellt.
Keiner hilft so richtig.
Und ich glaube, wenn dein Urvertrauen einmal so zerstört wurde oder immer wieder mit Füßen getreten wird, dass es so, so schwer sein muss, für jeden Menschen hinter diesem Tal oder aus diesem Tal wieder rauszukommen.
Horsts Anwalt Hartmut Lirow wusste eigentlich schon nach Sichtung der Akte, dass sein Mandant unschuldig sein musste.
In einem Gespräch in seiner Kanzlei hier in Berlin hat er mir erzählt, dass er auch von Anfang an sicher war, dass eine Wiederaufnahme klappt, obwohl er noch nie eine gemacht hatte und auch gar kein Strafverteidiger ist.
Und dass es dann doch nicht ganz so einfach war, hat er mir erzählt.
Das Ergebnis ist natürlich, dass ich die Unzulänglichkeit des ganzen Wiederaufnahmerechts gelernt habe.
Das ist leider ein Nadelöhr, das muss man schon so sagen, durch das man schwer kriechen kann.
Und es wird aber noch zusätzlich erschwert, dadurch, dass eben die Justiz ja immer irgendwie was zu tun hat.
Und natürlich eine Kammer, die mit so einem aufwendigen Fall konfrontiert wird, zunächst erstmal auch unwillig ist und das auf die lange Bank schiebt.
Was eine Wiederaufnahme ist, hast du ja in Folge 19 mal erklärt, Paulina.
In meinem Aha soll es jetzt darum gehen, welche Schwierigkeiten es konkret bei so einer Wiederaufnahme gibt.
Und darüber habe ich mit Hartmut Lirow gesprochen.
Obwohl er schon in der Akte ja zahlreiche Ungereimtheiten gefunden hatte, musste er ja neue Tatsachen oder Beweismittel finden, damit überhaupt ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden kann.
Weil das ist eine Voraussetzung.
Und das hat er dann auch, indem er wie so ein investigativer Journalist gearbeitet hat und diese ganzen Lügengeschichten aufdecken konnte.
Insgesamt waren es um die 50 Lügengeschichten, die Hartmut Lirow in seinen Wiederaufnahmeantrag schrieb.
Und um seine Argumentation, dass es sich halt um ein Fehlurteil gehandelt habe, noch zu unterstreichen, hat er dann auch noch alle Ungeheimplatten aufgeschrieben, die er davor in der Akte gefunden hatte.
Das lag einfach bei dieser Sache nahe, weil das waren, ich habe das mal später zusammengezählt und dem Gericht das vorgehalten, dass es ungefähr 15 rote Anwünsche, habe ich das mal genannt, waren, die eben einfach das Landgericht in Darmstadt überfahren hat.
Das war also nicht nur diese Sache mit dem Marktplatz, wo der im Knast schon einsitzender Arnold angeblich Frau K. bedroht hatte, sondern auch ganz andere Sachverhalte.
Und daraus bestand dann der Antrag aus 50 Lügengeschichten und 15 Ungereimtheiten, ausformuliert auf insgesamt 90 Seiten.
Aber als der dann beim Gericht eingereicht war, passierte erstmal lange gar nichts.
Und dann kam ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Zurückweisung.
Unzulässig und könne das Urteil nicht kippen.
Und das war, auf eineinhalb Seiten hatten die das begründet.
Und so wirklich auf den Inhalt der 90 Seiten von Hartmut Lierow war man gar nicht eingegangen.
Das Gericht musste sich das ja dann anschauen, einmal den Antrag und einmal den Gegenantrag und gab dann den Wiederaufnahmeantrag letztendlich auch statt.
Allerdings dauerte das alles drei Jahre lang.
Und genau da sieht Hartmut Lierow das erste Problem, das einer Änderung bedarf.
Eine gesetzliche Neuregelung müsste eigentlich darin bestehen, dass ein Beschleunigungsgebot erlassen wird,
dass Wiederaufnahmeverfahren sehr, sehr schnell entschieden werden müssen.
Und die zuständig werdenden Kammern auch entlastet werden.
Und sie nicht dann in der Situation sind, dass sie sagen, ja, das Wiederaufnahmeverfahren müssen wir schieben,
weil wir müssen uns einen Mörder laufen lassen, weil wir nicht innerhalb von einem halben Jahr das vorgeschrieben ist,
irgendwie, was weiß ich, eine Hauptverhandlung anberaumen können oder Ähnliches.
Aber nicht nur die Zeit erschwert ein Wiederaufnahmeverfahren, auch die Anforderungen, wie es überhaupt zu solch einem kommen kann.
Miro ist dafür, die Anforderungen erstens genauer zu definieren und zweitens die Schwelle für das,
was als neue Tatsache gewürdigt wird, herabzusetzen.
Weil stellen wir uns mal vor, es hätte gar keine Lügengeschichten gegeben.
Also, weil nur diese sogenannten roten Ampeln, also zum Beispiel, dass die Frau offensichtlich gelogen hatte,
dass eine Ärztin bei ihr nichts gefunden hatte und dass es doch ein plausibles Motiv gegeben haben könnte,
das hätte ja alles nicht gereicht, um nochmal vor Gericht zu gehen.
Und das heißt im Umkehrschluss, wenn beim ersten Mal nicht sorgfältig genug gearbeitet wird,
hat man als verurteilter Mensch Pech.
Hartmut Lero selbst hat nach dem Fall Arnold um die 70 Anfragen bekommen für Wiederaufnahmen
und sich auch 15 Akten schicken lassen.
Bei den meisten war das Problem aber, dass er keine neuen Tatsachen oder Beweismittel finden konnte
und den Menschen deshalb nicht helfen kann.
Und das würde er gerne geändert haben.
Weil es seiner Meinung nach dazu führen würde, dass mehr Justizirrtümer aufgedeckt werden könnten.
Ja, genau.
Durch die Wiederaufnahme.
Justizirrtum ist ein bisschen so ein schwammiger Begriff, weil man nicht wirklich weiß,
ab wann ist jetzt eigentlich irgendwas ein Justizirrtum.
Die enden aber in der Regel damit, dass jemand zu Unrecht verurteilt wird oder eventuell sogar zu Unrecht ins Gefängnis geht.
Wobei es Justizirrtümer jetzt natürlich nicht nur ins Strafverfahren gibt.
Oft wird der Begriff zusammen mit dem Wort Fehlurteil verwendet.
Wobei man sich da auch fragt, ab wann ist denn jetzt ein Urteil eigentlich ein Fehlurteil?
Weil eigentlich ja erst, wenn es schon rechtskräftig war.
Weil ansonsten ist unser System ja extra so aufgebaut, dass Fehler durch die Revision geprüft werden.
Also im Grunde, wenn man danach geht, dann war Monikas Fall gar kein Fehlurteil, weil das Urteil ja noch nicht rechtskräftig war.
Aber trotzdem war das natürlich ein ganz krasser Justizirrtum.
Also sagen viele Fehlurteile fallen dann nur in den Wiederaufnahmeverfahren auf.
Was gleich zwei Probleme mit sich bringt.
Zum einen, dass im Grunde die Justiz ja selbst entscheidet, was ein Fehlurteil ist.
Also sie korrigiert sich selbst und das bei dieser Fehlerkultur.
Und zweitens sind die Anforderungen für die Wiederaufnahmeverfahren ja super hoch.
Und deswegen gibt es halt natürlich auch gar nicht so viele Wiederaufnahmeverfahren.
Und schlussfolgern natürlich auch gar nicht so viele Fehlurteile.
Das sagen zumindest einige Menschen aus dem Justizsystem.
Und natürlich gibt es auch keine offiziellen Zahlen, wie viele Wiederaufnahmeverfahren es gibt.
Also ich habe nur gefunden, dass 2013 angeblich 1682 Wiederaufnahmeverfahren beantragt wurden.
Aber dann gibt es natürlich auch keine Angaben dazu, wie viele von den Verfahren dann auch schlussendlich zugunsten eines zu Unrecht Inhaftierten oder einer zu Unrecht Inhaftierten ausgefallen sind.
Also keine Chance, da irgendwas zu finden.
Ja und manchmal kann man sich als Justizopfer dann nur so in Anführungsstrichen retten, indem man sich an die Medien wendet.
Also wie bei Gustel Moller zum Beispiel, dem Mann, der jahrelang zu Unrecht in der forensischen Psychiatrie saß.
Der hatte sich ja irgendwann an Report Mainz gewandt und der Beitrag von denen hat dann alles ins Rollen gebracht.
So sehr, dass dann am Ende tatsächlich eine Wiederaufnahme mit Freispruch stand.
Und daran sieht man eigentlich, zu was Medien imstande sind, dann, wenn die Justiz selbst halt sich nicht korrigieren will.
Man kann ja dann aber auch froh sein, dass da jetzt gerade ein Redakteur oder eine Redakteurin sitzt, die sich das ansieht und so einer Person dann glaubt.
Ich habe vor ein paar Jahren auch mal einen Brief bekommen von jemandem, der meinte, unschuldig in Haft zu sitzen.
Und das war aber ganz wirr geschrieben.
Und der meinte auch, dass er auch schon den RTL 2 News geschrieben hat.
Und er jetzt aber erkannt habe, dass die total bescheuert sind, weil die haben sich auch nicht bei ihm gemeldet.
Und dass er jetzt hofft, dass wir mehr Urteilsvermögen haben als die.
Ja, der Lero hat mir auch erzählt, bei diesen 70 Anfragen, da konnte er schon mal mehr als die Hälfte direkt, nein, sorry.
Weil da irgendwie schon klar war, dass das nichts bringen wird.
Ja, also man muss halt dann dazu auch noch das Glück haben, als zu Unrecht Inhaftierter, wenn man das denn ist, dass man sich auch ausdrücken kann.
Und dass man Leuten seine Geschichte nahe bringen kann.
Und das ist natürlich ganz schwierig eigentlich für Leute, die eher minder intelligent sind und halt einfach gar nicht die kognitiven Fähigkeiten haben, sich auch selber dem irgendwie zur Wehr zu setzen.
Ja, total.
In Deutschland sollen um die 3000 Strafurteile pro Tag gefällt werden.
Also wie viel sind davon jetzt am Ende Fehlurteile?
Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hatte dieses Jahr gesagt, dass pro Jahr ca. 400 Menschen in Deutschland zu Unrecht inhaftiert werden.
Ralf Eschelbach ist Richter im BGH und der schätzt die Lage anders ein.
Hat er zumindest vor ein paar Jahren.
Und die Zahl, die hatte Laura mir hier auch einmal im Podcast schon mal genannt.
Er ist der Meinung, dass jedes vierte Strafurteil eigentlich ein Fehlurteil ist.
Und ich weiß noch ganz genau, dass ich damals voll abgegangen bin auf die Zahl, weil ich die erstens ziemlich hoch finde und ich mich natürlich zweitens aufgefragt habe, was meint er denn jetzt mit Fehlurteile?
Also wie kommt er dazu?
Was ist jetzt für ihn alles ein Fehlurteil?
Ja, genau, weil es darauf ankommt, wie das definiert ist.
Weil manche ja auch eben sagen, so Fehlurteile sind in einer gewissen Weise systemimmanent, weil zum Beispiel auch ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ja als Fehlurteil definiert werden kann, wenn der Angeklagte tatsächlich der Täter war.
Das würde ich zum Beispiel auch so sehen und ich hatte doch mal diesen Fall von Friederike von Möhmann erzählt in Folge 13 und da sind die DNA-Spuren ja erst später auswertbar gewesen und heute kann man den mutmaßlichen Täter nicht mehr zur Verantwortung ziehen, weil sie kein Wiederaufnahmeverfahren zu seinen Ungunsten anstreben können, weil er damals von dem Gericht freigesprochen wurde.
Und nicht mal mit den neuen Beweisen können sie das jetzt machen.
Ja.
Obwohl ein Zivilgericht übrigens mittlerweile schon festgestellt hat, dass er der Täter ist, aber strafrechtlich wird er dafür nicht mehr belangt. Würde ich jetzt auch meinen, ist ein Fehlurteil.
Ja, oder was ist zum Beispiel mit Urteilen, wo fälschlicherweise das Strafmaß zu hoch oder zu tief ausgefallen ist oder bei denen jemand zu Unrecht vielleicht aufgrund eines Gutachtens dann eben in die forensische Psychiatrie anstatt in Haft gekommen ist.
Und wenn man halt ein Fehlurteil so definiert, dann ist diese Zahl, also jedes vierte Urteil dann auch irgendwie gar nicht mehr so überraschend.
Sein Kollege Klaus Tolksdorf, der Präsident des Bundesgerichtshofs, der findet die Zahl trotzdem noch überraschend und er meint, Fehlurteile wären in Deutschland absolute Ausnahme.
Und dass Eschelbach in seine Schätzung Zahlen aus Amerika mit reingeworfen hat und die Zahlen würden keine Rückschlüsse auf die Zahlen in Deutschland zulassen.
Ich glaube, was man sagen kann, ist, dass die Dunkelziffer einfach sicherlich sehr hoch ist.
Eschelbach meint, es wird die Gefahr übersehen, wie einfach und gebräuchlich es ist, unerwünschte Personen im Wege des Strafverfahrens aus dem Verkehr zu ziehen.
Das muss ja nicht absichtlich passieren.
Also da gibt es ja sehr viele Ursachen für Justizirrtümer.
Ja, so gibt es zum Beispiel die falschen Geständnisse, die zu Fehlurteilen führen können.
Und über die haben wir ja schon in Folge 15 mal gesprochen.
Oder Zeugenaussagen, die einfach unabsichtlich falsch sind, weil man sich einfach nicht mehr richtig erinnern kann.
Oder Zeugenaussagen, die gar nicht erst vorhanden sind, weil Personen, die irgendwie eigentlich was wissen oder sogar dazu beitragen könnten, dass ein falsches Urteil verhindert wird, sich einfach nicht melden.
Weil die sich nicht einmischen wollen oder auch weil manche halt denken, dass die Aussage nicht so wichtig ist oder so.
Und da gab es im Fall Arnold auch ein Beispiel.
Da gab es einen Lehrer, der saß direkt gegenüber von diesem Biologie-Vorbereitungsraum und hatte seine Tür sperrangelweit offen.
Der hatte nichts mitbekommen, also nichts von einem Streit oder von einer aus der Tür fliehenden Linda Kremer.
Doch vor Gericht hatte der nicht ausgesagt und der hatte sich auch nach der Verurteilung nicht mehr gemeldet.
Oh wow, das ist ja echt fies.
Ja, und auch Beweise sind manchmal nicht das, was sie versprechen zu sein.
Wir wissen, dass manchmal Spuren verunreinigt werden oder die Mittel, mit denen man die Proben nimmt oder dass halt der Tatort nicht richtig gesichert wird.
Ja, und wie wir seit heute wissen, können auch Falschbeschuldigungen zu Fehlurteilen führen.
Am häufigsten kommt so etwas in sogenannten Vier-Augen-Delikten vor.
Also das heißt, in Situationen, in denen eben nur zwei Personen anwesend waren und in denen es somit keine Zeugen oder Zeuginnen gibt.
Witzigerweise, also witzig in Anführungsstrichen, ein ehemaliger Bekannter von mir, der meinte mal, dass er nicht mehr alleine mit einer Frau in den Fahrstuhl steigt.
Deswegen, ich hoffe nicht, dass viele so denken wie er.
Generell kann im Gericht ziemlich viel schief laufen.
Eigentlich trägt ja die Justiz ja die Augenbinde, weil sie unparteilich sein soll und sie ohne das Ansehen einer Person richten soll.
Aber bei den Fällen, die wir jetzt hier heute behandelt haben, da könnte man ja auch theoretisch meinen, dass die Richter in der Wahrheit gegenüber blind sind.
Das falsche Gutachten eine Federquelle sind bei Justizüttümern.
Das habe ich ja schon in meinem Aha erzählt.
Johann Schwenn sagt in einem Interview in dem Buch Der Richter und sein Opfer, dass es nicht jedem Richter oder Richterin gelingt, Opferzeugen und Zeuginnen gegenüber kritische Distanz zu wahren.
Er glaubt, bei vielen RichterInnen steckt auch Faulheit dahinter, dass sie nicht ganz genau zuhören, was die Befragten sagen und dass sie sich auch nicht mit den Widersprüchlichkeiten in den Aussagen auseinandersetzen wollen.
Aber so eine Faulheit oder dass man sich jetzt nicht mit den Widersprüchlichkeiten auseinandersetzen will, das passiert ja manchmal auch ganz ohne Absicht.
Erstens, weil es nämlich für uns Menschen schwierig ist, sich halt mit zwei gegensätzlichen Aussagen zu beschäftigen und die irgendwie zusammenzubringen.
Aber zweitens ja auch, weil es eine Anstrengung ist, von einer einmal getroffenen Annahme halt zurückzutreten.
Aber natürlich wissen RichterInnen über solche psychologischen Mechanismen Bescheid.
Ja, das hoffe ich, dass die das wissen.
Oder sich daran erinnern vor Gericht.
Was auch noch zu Fehlurteilen führen kann, ist, dass Urteile, die vom BGH zur Neuverhandlung zurück ans Landgericht geschickt werden, zwar an eine andere Strafkammer gehen meist, aber halt eben im selben Landgericht.
Also urteilen RichterInnen über denselben Fall, über den schon die Kollegen und Kolleginnen geurteilt haben, mit denen man heute Abend zusammen am Stammtisch sitzt.
Überspitzt gesagt jetzt, aber das ist tatsächlich auch was, was oft kritisiert wird.
Wie viele Urteile glaubst du, fällt eine Kammer im Jahr?
Wow, okay, warte.
80?
Ein bisschen mehr sogar noch. Ich habe gelesen, 100 bis 130 Entscheidungen pro Jahr.
Und das heißt aber, dass auf den Gerichten halt auch voll der hohe Zeitdruck lastet.
Und deswegen kann es vorkommen, dass RichterInnen die verhandelnden Parteien zu Deals drängen, statt nach der Wahrheit zu suchen.
Der ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Wolfgang Neskowitsch sagt in einem Interview mit Deutschlandfunk, die Wahrheit wird nicht mehr ermittelt, sondern vereinbart.
Und das hatte er gesagt, weil ein Kollege gerade abgemahnt wurde vom Gericht, weil er zu wenig Fälle erledigte.
Obwohl der Richter wiederum meinte, dass bei so einem hohen Pensum, das ihm da vorgegeben wurde, seine richterliche Unabhängigkeit bedroht wäre.
Und natürlich, wenn dieser Richter der Meinung ist, dass er nicht in der Lage ist, in dieser Zeit richtig zu arbeiten, dann können ihm natürlich auch Fehler dann unterlaufen.
Es gibt aber auch den Fall, wo RichterInnen absichtlich Fehler machen. Das nennt man Rechtsbeugung.
Und Rechtsbeugung ist, wenn man bei der Entscheidung einer Rechtssache vorsätzlich das Recht falsch anwendet und dadurch einem Verfahrensbeteiligten zu Unrecht Vor- oder Nachteile verschafft.
Das macht aber nur die Person, die sich bewusst und in schwerwiegender Weise von dem Recht und vom Gesetz entfernt.
Der Strafrahmen liegt hier bei einem bis fünf Jahren. Also es ist ein Verbrechen.
Und dass RichterInnen dafür belangt werden, das kommt aber super selten vor, denn dazu muss man ihnen mindestens bedingt einen Vorsatz nachweisen.
Also das Wissen und Wollen der Rechtsbeugung.
Und das passiert halt nicht so oft. Was kann man sagen?
Ja, das ist ja immer schwierig mit dem Vorsatz. Also wie will man denn einem Richter oder einer Richterin nachweisen, dass er oder sie jetzt nicht einfach nur schludrig war, sondern mit Absicht die Arbeit nicht richtig gemacht hat?
Ja, ich finde es nur so ärgerlich, wie in dem Fall von Monika, wo offenbar klar war, dass der Richter von Anfang an voreingenommen war, ganz viele Sachen abgelehnt hat, dass der auch schon gar nicht mehr richtig in der Lage war, diesen Prozess überhaupt richtig zu führen, weil der halt auch ganz oft zu spät kam und so.
Und dann konnten Zeugen nicht mehr aussagen und so. Und da ärgert mich das denn schon, wenn man eigentlich sagen kann, dieser Richter war von vornherein voreingenommen und es gab keinen fairen Prozess und hat dann auch noch dafür gesorgt, dass diese Frau unschuldig ins Gefängnis gewandert ist und dass man dann aber auch da nicht sagen kann, das war Rechtsbeugung.
Weil man es nicht sagen will. Oder weil man es nicht nachweisen kann, was für mich im Prinzip das Gleiche ist. Ja, weil dann setzt man die Anforderung für Rechtsbeugung halt so hoch, dass es halt kaum jemand nachgewiesen werden kann.
Naja, also dieser Proberichter, der wurde später wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung vom Landgericht Kassel zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Aber auch das Urteil ist bis jetzt erstmal nicht rechtskräftig.
Rechtsbeugung betrifft aber übrigens nicht nur RichterInnen, sondern auch die Staatsanwaltschaft, wenn die beispielsweise einen Sachverhalt ganz gezielt dem Gericht gegenüber falsch darstellt.
Kommen wir nochmal zurück auf die Menschen, die dann aufgrund all dieser Gründe leiden müssen, also die Justizopfer. Und da habe ich einen Artikel zu gefunden, dessen Titel Opfer der Justiz werden doppelt bestraft hieß.
Und das fand ich ziemlich treffend, weil man das ja jetzt auch in unseren beiden Fällen ganz gut gesehen hat. Tatsächlich geht es den meisten Justizopfern so wie Horst und Monika.
Das hat die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden herausgefunden, wo man 2017 untersucht hat, wie der Staat mit Menschen umgeht, die zu Unrecht im Gefängnis saßen.
Dazu wurden 31 Fälle ausgewertet, bei denen man nicht nur die Verurteilten interviewt hatte, sondern auch Staatsanwälte und Anwältinnen, RichterInnen und VerteidigerInnen.
Und das Ergebnis ist ein Armutszeugnis für die Justiz, weil diese Studie zeigt, dass den Betroffenen nicht die Hilfe entgegengebracht wird, die sie auch im Sinne einer Wiedergutmachung halt erwarten und verdienen.
Und dabei geht es jetzt nicht nur um die Haftentschädigung. Über das, was alles nach einem Freispruch passiert, beziehungsweise eben nicht passiert, habe ich mit Ulrich Schellenberg gesprochen, dem ehemaligen Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins.
Und meine erste Frage war, was der Staat denn für Menschen tut, die nachweislich unschuldig in Haft gesessen haben, abgesehen jetzt davon, dass sie ihnen 25 beziehungsweise bald 75 Euro pro Tag zahlen.
Über die Haftentschädigung hinaus, das ist ja nur eine Art Schmerzensgeld, muss ihnen der Staat natürlich auch all den Schaden ersetzen, der ihnen entstanden ist.
Das erste ist Verdienstausfall. Das zweite sind Nachteile bei der Rentenversicherung. Das dritte sind aber auch Anwaltskosten, die sie hatten oder Gutachterkosten, die sie beauftragen mussten, damit sie ihre Unschuld beweisen können.
All diese Kosten muss der Staat ihnen ersetzen. Das tut er auch, aber nur insoweit auf dem Papier, als dass es ein sehr mühsames Verfahren ist.
Und dieser hypothetische Kausalverlauf, den man von ihnen als Beleg erwartet, das überfordert die Leute.
Ja, und dabei sind sie ja ganz auf sich allein gestellt. Also die müssen sich dann, wenn sie aus der Haft kommen, erstmal mit diesem riesigen Bürokratenapparat Justiz auseinandersetzen, um an das Geld zu kommen, das ihnen sowieso zusteht.
Das wird dann nicht einfach ausgezahlt. Das muss man natürlich beantragen und tausende Sachen.
Ja, und das sind Kafka-eske Zustände.
Richtig. Aber warum das für Justizopfer besonders schwer ist, hat mir Herr Schellenberg erklärt.
Sie müssen ja sehen, dass die unschuldige Inhaftierung ja nicht nur ein wirtschaftliches Problem ist, sondern sie sind aus all ihren Lebensbereichen herausgerissen worden.
Sie haben große Probleme, wieder sich einzugliedern, weil sie auch ein wahnsinniges Gefühl der Ungerechtigkeit erlebt haben.
Das ist ja etwas, was bei diesen Fragen immer ganz oft unterschätzt wird.
Dann ist es ganz schwierig für die Leute wieder Vertrauen in justizielle Prozesse zu gewinnen.
Dieses Vertrauen ist nicht mehr da, zu sagen, naja, dann gehe ich da hin, dann schreibe ich einen Brief, dann belege ich das, sondern es kommt ein starkes Gefühl, mir hilft sowieso keiner.
Und deswegen ist auch psychosoziale Unterstützung zwingend erforderlich, aber auch da gibt es keine ständigen Angebote, auf die man sich verlassen kann.
Und genau das ist es, was halt komplett fehlt. Also Hilfestellung, die nichts mit Geld zu tun hat.
Wenn ein Straftäter oder eine Straftäterin aus der Haft entlassen wird, dann gibt es da ja BewährungshelferInnen und die helfen bei der Suche nach einer Wohnung, nach einem Job und auch zum Beispiel bei Problemen mit Alkoholsucht oder so.
Aber für Menschen, die unschuldig inhaftiert wurden, gibt es halt sowas nicht. Und da hat Schellenberg ganz klare Forderungen an die Justiz.
Ich muss Beratung zur Verfügung stellen. Es muss einen Ansprechpartner geben. Es muss bei den Landesjustizverwaltungen einen Ombudsmann, eine Ombudsfrau geben, an die ich mich wenden kann.
Es muss auch eine Form der Zuwendung geben. Warum gibt es nicht eine Entschuldigung? Warum schreibt nicht der jeweilige Justizminister ein Schreiben an die Betreffenden?
Die Justizverwaltung könnte sich diesen Menschen gegenüber offener und zugewandter zeigen. Und da stellen wir fest, dass das eigentlich bis heute noch nicht der Fall ist.
Wie wichtig solche Entschuldigungen sind, hat auch die Studie der kriminologischen Zentralsteller gezeigt.
Dort haben nämlich viele Befragten angegeben, dass sie so eine Entschuldigung seitens der Justiz vermissen und dass so ein Eingeständnis ihnen halt zeigen würde, dass man ihr Schicksal ernst nimmt.
Und dass sie, solange sie keine solche Entschuldigungen bekommen, dass sie das Gefühl haben, dass das Fehlurteil oder dieser Irrtum nicht als menschliches Versagen gewertet wird.
Aber es ist ja genau das menschliches Versagen. Aber eine Fehlerkultur ist halt in der Justiz nicht vorhanden, so Schellenberg.
Wir stellen fest bei solchen Fällen, die Sie ja heute auch in der Sendung hatten, dass der Staat ganz schnell sagt, oh, da ist was falsch gelaufen.
Das bringen wir in Ordnung und wir entlassen die Leute. Aber es geht nicht diesen Schritt weiter, um zu sagen, wie gehe ich mit diesen Leuten dann um, nachdem ich sie entlassen habe.
Ganz im Gegenteil, es ist ganz schwierig, überhaupt Statistiken zu finden, wie viele dieser Fälle wir in der Bundesrepublik haben.
Und auch da würde ich mir wünschen, dass man offener und transparenter mit diesen Fällen und damit auch mit Statistiken, mit Zahlen umgeht.
Aber ich glaube, da liegt noch viel Arbeit vor uns.
Mal ganz kurz. Es geht ja auch nicht nur um Sachen, die man bemessen kann.
Also wenn du jetzt morgen beispielsweise inhaftiert wirst und du kommst für zehn Jahre weg, wer macht das denn wieder gut, dass du beispielsweise einer Karriere beraubt wurdest oder du danach nicht mehr Mutter werden kannst, weil es zeitlich einfach nicht mehr geht?
Oder wer bringt dir die Zeit mit Liebsten zurück, die in der Zwischenzeit verstorben sind?
Das sind alles Dinge, die man weder finanziell irgendwie bemessen kann und die der Staat ja aber sowieso ja gar nicht ersetzen würde deswegen.
Also das sind ja alles Dinge, die alle auch mehr wert sind als das, was man als Entschädigung überhaupt kriegen könnte.
Ja. Ja, und deswegen ist es so schlimm, dass man dann nicht wenigstens versucht, das Leben von diesen Personen, das die dann noch haben, die ganze Zeit danach halt besser zu machen.
Und das regt mich halt einfach auf.
Ja, und das ist richtig mit sie werden doppelt bestraft, weil man raubt ihnen ja auch noch die Zeit jetzt danach, weil sie die Zeit auch verbringen müssen mit Anträgen, mit Kämpfen gegen die Justiz, dass sie Gerechtigkeit kriegen.
Apropos Gerechtigkeit.
Erinnerst du dich noch daran, als du mal zu mir gesagt hast, ich wäre auf diese Phishing-Mail reingefallen, die in unserem gemeinsamen Postfach gelandet ist, weswegen wir das Passwort ändern mussten?
Ja.
Ja. Nur für euch zur Aufklärung. Ich weiß nicht, ob wir es hier schon mal erzählt haben. Das Tolle daran war, dass Laura fest davon überzeugt war, dass ich auf diese bescheuerte Phishing-Mail reingefallen bin. Dabei war mir ganz klar, dass sie darauf reingefallen ist. Aber zu dem Zeitpunkt meinte sie, auf gar keinen Fall bin ich darauf reingefallen.
Mhm. Wir haben dann nachher nochmal geguckt und festgestellt.
Ich habe sogar geguckt, weil ich war so sicher.
Ja.
Ja, ja. Quatsch. So, und jetzt stellen wir uns aber mal vor, wir streiten darüber. Uns öffentlich würden diese peinliche Geschichte hier in diesem Podcast erzählen. Und das alles wird öffentlich bekannt. Und ein Gericht möchte das jetzt klären.
Am Ende kann das Gericht aber gar nicht mehr feststellen, wer von uns jetzt auf diese Mail geklickt hat. Also spricht es mich dann einfach, weil du hast mich ja beschuldigt. Also spricht das Gericht mich in dubio pro reo frei. Also im Zweifel für die Angeklagte. Es kann aber nicht mit Sicherheit sagen, dass ich es nicht war. Es kann es halt nur nicht ausschließen. So. Und mir wäre jetzt natürlich sehr viel daran gelegen, dass das Gericht das aber klarstellen würde, dass du mich zu Unrecht beschuldigt hast. Das kann es aber nicht. Aber mir würde das bei meiner Rehabilitation sehr helfen.
Und so geht es, also es wird sich gemeint, ja, aber so geht es tatsächlich einigen Opfern von Justizirrtümern. Eigentlich ist Freispruch ja Freispruch rechtlich gesehen. Also macht es keinen Unterschied in der Wertigkeit. Aber für einen selbst macht das sicherlich schon einen Unterschied, ob man einen sogenannten Freispruch erster oder zweiter Klasse bekommt.
Monika hatte das Gericht ja extra darum gebeten, sie nicht nur wegen bestehender Zweifel an ihrer Schuld frei zu sprechen. Weil das wäre ein Freispruch zweiter Klasse gewesen, eben nach diesem Prinzip in dubio pro reo. Die Beweislage reicht dann für einen Schuldspruch nicht aus.
Und so ist das dann manchmal halt auch bei Vergewaltigungsvorwürfen, dass das Gericht sagen muss, wir sprechen jetzt frei, obwohl der Freispruch nicht darauf beruht, dass wir von der Unschuld überzeugt sind.
Wir wissen es nur einfach nicht. Und damit wird man ja niemandem wirklich gerecht, wie auch ein Gericht einmal festgestellt hat.
Da sagte der Vorsitzende Richter, wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerinnen mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht, ihn als potenziellen Vergewaltiger, sie als potenzielle rachsüchtige Lügnerin.
Das ist für beide halt unbefriedigend dann. Und für eine Person auf jeden Fall zu Unrecht.
Ich denke, ein großes Problem ist auch, dass wir kein genügend geeignetes Korrekturmittel haben, um Justizirrtümer aufzudecken.
Wissen wir jetzt bei der Wiederaufnahme, gibt es zu hohe Hürden eigentlich. Das hat der Anwalt aus deinem Fall ja auch erleben dürfen.
Und die Revision, die vom BGH geprüft wird, eignet sich halt auch nicht wirklich, weil RichterInnen das Urteil lückenlos verargumentieren können.
Also das heißt dann revisionssicher machen, weil RichterInnen wollen ja nicht, dass das Urteil wieder aufgehoben wird.
Und das machen sie dann, indem sie da größtenteils nur Dinge reinschreiben, die für die Schuld der angeklagten Person sprechen.
Und halt kaum was von den Dingen, die dann Zweifel gesät haben im Prozess oder so.
Klar müssen auch Standards eingehalten werden, aber im Grunde muss das Gericht hauptsächlich darlegen, wie es zu dem Urteil gelangt ist.
Und dann kann es passieren, dass der Rechtsbeistand oder die Staatsanwaltschaft meint, sie wäre im sogenannten falschen Film, wenn sie dann das Urteil liest.
Das Phänomen heißt auch so, falscher Film, weil plötzlich alles ganz eindeutig für eine Täterschaft spricht, obwohl es in der Hauptverhandlung ganz anders war.
Das passiert gerade deswegen, weil der Richter oder die Richterin im Urteil die Aussagen von Zeuginnen und Zeugen nur so wiedergeben müssen, wie er oder sie das verstanden hat.
Und was das Gericht als nicht relevant befindet, muss auch nicht ins Urteil.
Und der BGH, der schaut ja in der Revision dann nur das Urteil an und prüft das auf Rechtsfehler.
Also der muss dann auch im Grunde darauf vertrauen, dass das Landgericht alles zutreffend und vollständig ausführt, weil ja eben nicht nochmal eine zweite Tatsachenprüfung stattfindet.
Ja, und dabei muss das ja gar nicht unbedingt mit Absicht unvollständig sein, das Urteil, weil es läuft ja kein Tonband mit, auf das man im Nachhinein nochmal zurückgreifen kann.
Das heißt, über große Teile des Prozesses müssen sich die Anwesenden einfach erinnern.
Und wie einfach das in einem Prozess mit irgendwie über 20 Verhandlungstagen ist, kann sicher jeder denken.
Also was diese Protokollierung angeht, das verstehe ich halt einfach nicht.
Es geht um so wichtige Sachen.
Wie kann das nicht richtig protokolliert werden, dass auch wenn es um die Entscheidungsfindung geht, dass man, wenn man etwas vergessen hat, was ja ganz normal ist oder etwas wurde nicht mitgeschrieben,
dass man das nochmal nachprüfen kann, um sich eine gute und fundierte Meinung zu bilden.
Ja, und es ist ja so irre eigentlich, dass du so ein Urteil angreifen kannst, weil beispielsweise einer der Richter oder der Richterin eingeschlafen ist, mal für 30 Sekunden während der Verhandlung.
Du das aber nicht angreifen kannst, wenn ein Richter oder eine Richterin einem Gutachter geglaubt hat, dessen Einschätzung mehr als fraglich ist.
Und das ist beim Amtsgericht ja halt eben anders.
Warum denn eigentlich?
Weil da geht es ja eben nicht um Mord und Totschlag und um lebenslange Haftstrafen.
Ja, bei so Mini-Delikten wie, keine Ahnung, ich habe ein Kaugummi geklaut oder so, kann ich ja dann in Berufung gehen, wenn ich mit dem Urteil nicht zufrieden bin und dann wird es nochmal inhaltlich geprüft.
Als Kompensation dafür, dass es halt bei diesen Mord- und Totschlagfällen keine Berufungsmöglichkeit gibt, sind ja oder sollen ja die fünf RichterInnen im Land gerecht sein.
Ja genau, fünf Menschen, die halt gemeinsam entscheiden sollen, dass es halt nicht zu einer falschen Beurteilung kommt.
Ja, aber hier hat mir Hartmut Lero erzählt, gibt es das Problem, dass wenn es einen besonders starken Vorsitzenden oder eine besonders starke Vorsitzende gibt, dass die anderen dann halt geneigt sind, sich an ihm oder ihr zu orientieren.
Und genau so war das auch bei Horst Arnold.
Das heißt, fünf RichterInnen heißt nicht unbedingt Ausgewogenheit oder wie wir wissen halt schon gar nicht, ist es irgendwie eine Garantie dafür, dass ein richtiges Urteil gefällt wird.
Also was kann man jetzt machen, um Abhilfe zu schaffen?
Man könnte das Wiederaufnahmeverfahren erweitern beispielsweise und dem Revisionsgericht halt mehr Eingriffe erlauben, beispielsweise indem man eine zweite Tatsachenprüfung stattfinden lässt, was natürlich Unmengen an neuen Stellen erfordern würde, was nicht machbar ist.
Oder man könnte überlegen, wie man RichterInnen mehr zur Verantwortung ziehen könne, wenn sich da irgendwelche Beschwerden häufen oder so.
Ja, man könnte ihnen auch mehr Zeit lassen.
Ich finde es super, dass wir hier heute wieder zusammensitzen können, weil bei der letzten Aufnahme war ich noch in Quarantäne.
Da kam ich gerade aus meinem Urlaub in Bordeaux.
Das ist gerade Risikogebiet.
Und ich war von etwas irritiert, weil ein Freund von mir diese absurde Bordeaux-Geschichte geschickt hat, die schon so uralt ist.
Kennst du die?
Welche?
Die, die dann vor Gericht landete?
Nein.
Okay, also wenn du die auch noch nicht kennst, dann erzähle ich sie dir und den Zuhörenden jetzt auch nochmal.
Also eine Sechsin, die hatte eine Reise über einen Reiseanbieter per Telefon gebucht.
Und sie wollte nach Porto und sagte halt, sie möchte nach Bordeaux.
Diese Reiseanbieterin, die hat halt mehrmals gefragt, okay, sie möchten nach Bordeaux.
Und die Sechsin hat dann wahrscheinlich gedacht so, ja, die spricht das genauso aus wie ich.
Bordeaux, Bordeaux.
Und ich dachte erst, das kann gar nicht sein, aber es ist keine Urban Legend.
Ich habe das heute extra nochmal nachgeguckt.
Und es gab tatsächlich ein Gerichtsurteil zu diesem Fall.
Quatsch.
Doch, klar.
Weil die Frau, die eigentlich nach Porto wollte, aber immer Bordeaux gesagt hat, die wollte das ja nicht mehr zahlen, was die dann da aufgebrummt bekommen hat.
Und was glaubst du, wer denn jetzt hier Recht bekommen hat?
Das Reisebüro, finde ich auch zu Recht.
Ja.
Weil man kann ja nicht davon ausgehen, dass jeder sein Dialekt versteht.
Genau, richtig.
Also musste sie ihre Reise, aber hat sie die Reise denn angetreten?
Soweit ich weiß, nein.
Und sie ist auch auf diesen 300 Euro sitzen geblieben.
Und es sind angeblich auch schon mehrere Menschen aus Versehen in die 100.000 Einwohnerstadt Sydney in Kanada an die Ostküste gereist, obwohl sie eigentlich nach Australien wollten.
Nein.
Und das erinnert mich auch so ein bisschen an diese belgische Rentnerin, die mit dem Auto nur nach Brüssel zum Bahnhof fahren wollte und dann, weil das Navi kaputt war, bis nach Chagreb in Kroatien gefahren ist.
3.000 Kilometer durch sechs Länder.
Ich frage mich, denken die zwischendurch nicht einmal nach so?
Oder haben die kein Gefühl von Raum und Zeit oder gucken mal irgendwo auf irgendein Schild?
Genau, also ihr ist auch aufgefallen, dass die Schilder dann mal deutschsprachig waren, französisch, blablabla.
Was mich viel eher irritiert ist, in der Zeit wurde es zweimal Tag und wieder Nacht.
Und es ist gut, dass sie so in unserem Podcast landet.
Es hätte nämlich auch anders sein können, denn ihr Sohn hatte sie schon als vermisst gemeldet.
Wahrscheinlich hat sie irgendwas angehört, wo einfach die Zeit verflogen ist, weil anders kann ich mir das nicht erklären.
Ja, sowas wie Mordlust.
Guck mal, jetzt ist die Zeit auch schon wieder rum.
Das war ein Podcast von Funk.