00:00:07
Pussel, jetzt reicht es.
00:00:15
Wir müssen jetzt aufnehmen.
00:00:17
Ein sehr unartiger Junge.
00:00:22
Wahrscheinlich ist er schon einigermaßen artig,
00:00:25
aber ich bin einfach unverhältnismäßig
00:00:28
überfordert mit ihm gerade.
00:00:30
Weil Pussels Herrchen ja Corona hat
00:00:34
und seit zwei Wochen in Quarantäne ist
00:00:36
und ich den Köterich jetzt schon fünf Wochen
00:00:40
durchgehend an den Hacken habe.
00:00:41
Ja, aber Pussel ist jetzt nicht ein anstrengender Hund.
00:00:44
Kann man ja nicht so sagen.
00:00:45
Nein, das ist richtig.
00:00:46
Weißt du, was ich heute mit dem gemacht habe?
00:00:49
Ich musste zum Arzt,
00:00:52
weil ich dringend ein Rezept brauchte,
00:00:54
was ich natürlich wieder verschlafen habe.
00:00:57
und meine Ärztin hatte nur noch eine Stunde auf.
00:01:00
Aber jetzt war es heute schon am späten Morgen
00:01:02
und Pussel musste ja auch raus.
00:01:04
Also habe ich gedacht, nehme ich den halt mit.
00:01:07
Und Pussel hat ja so eine Tasche,
00:01:10
wo der nur reinkommt, wenn man irgendwo ist,
00:01:12
wo es jetzt so Menschenmaßen gibt
00:01:14
und Leute sonst auf den rauftreten würden oder so.
00:01:17
Ja, und da guckt er immer so ganz süß
00:01:18
nur mit dem Köpfchen raus.
00:01:20
Da guckt immer nur diese Sonne, nenne ich das.
00:01:23
Also das Kopf ist die Sonne.
00:01:24
Weil wenn man die Umrisse des Kopfes nachzeichnen würde,
00:01:27
dann sieht das aus wie eine Sonne.
00:01:29
Und dann bin ich rein in die Praxis
00:01:33
und habe halt so meinen Schal über die Sonne rüber gemacht.
00:01:37
Oh, da hat er nichts mehr gesehen.
00:01:40
Ja, und ich kann ihn ja auch nicht draußen anbinden.
00:01:43
Weil der wird ja geklaut.
00:01:44
Außerdem weint er dann ganz doll.
00:01:46
Also erst fand ich mich derbe und auffällig damit.
00:01:48
Aber als dann die Frau, die mir das Rezept geben musste,
00:01:51
so rumgegangen ist um diesen Tresen, wo man immer steht,
00:01:55
hat sie halt gesehen,
00:01:57
dass ich so voll mit der einen rechten Schulter so hänge.
00:02:01
Weil der Köterich, der wiegt ja auch acht Kilo.
00:02:04
Und dieser Kopf ist ja so riesig.
00:02:07
Und sie guckte dann schon so seltsam,
00:02:09
weil es so bescheuert aussah.
00:02:11
Aber ich glaube, sie hat sich halt nicht getraut,
00:02:13
irgendwas zu sagen,
00:02:14
weil sie auch nicht wusste,
00:02:15
was ich da in der Tasche habe.
00:02:17
Oder ob du vielleicht Probleme mit deiner Schulter hast
00:02:21
und das normal ist.
00:02:23
Ja, da hätte ich ein anderes Rezept wahrscheinlich gebraucht.
00:02:26
Aber ich habe dann halt draußen gewartet
00:02:28
und sie hat dann nochmal die Tür aufgemacht
00:02:29
und schon wieder so geguckt.
00:02:30
Also ich glaube, ich war längst nicht so unauffällig,
00:02:32
wie ich mich gefühlt habe.
00:02:33
Und da muss ich sagen, war der Fussel sehr brav.
00:02:36
Also darf der jetzt halt auch mal maulen,
00:02:37
weil ich ja da nicht in der Praxis aufgeflogen bin.
00:02:40
Weil wäre ich das, wäre mir das sehr unangenehm gewesen.
00:02:43
Ja, also ich bin letztens schon ein bisschen unangenehm
00:02:48
in der Öffentlichkeit aufgefallen.
00:02:50
Und zwar, als ich nochmal zum Bäcker rein wollte
00:02:54
und keine Maske dabei hatte.
00:02:56
Und ich greife so in meine Tasche
00:02:58
und da ist irgendwas, was sich anfühlt wie eine Maske,
00:03:01
ist aber keine Maske,
00:03:02
sondern ein Socken von mir.
00:03:05
Das ist nicht dein Ernst.
00:03:06
Warum auch immer der in dieser Tasche war.
00:03:08
Es war ein benutzter Socken.
00:03:10
Ja, ein benutzter schwarzer Socken.
00:03:13
Und ich dachte mir so, ja, ich kann das jetzt,
00:03:16
ich bin ja hier in London, mich kennt keiner
00:03:18
und wahrscheinlich wird das auch gar keiner merken,
00:03:20
weil diese Socken war ja schwarz.
00:03:21
Und dann habe ich halt einfach gedacht,
00:03:25
so, das merkt keiner,
00:03:26
ich halte mir das jetzt einfach vor den Mund und Nase
00:03:29
und gehe da rein.
00:03:31
Das ist so unangenehm.
00:03:32
Und dann bin ich da rein spaziert
00:03:34
und der Verkäufer hat direkt so,
00:03:37
Und hat mich dann richtig ausgelacht.
00:03:42
Ja, es war auch ein bisschen peinlich.
00:03:44
Oh Gott, ich stelle mir richtig vor,
00:03:46
wie du so tief in deinen Fußgeruch einatmest.
00:03:51
Nee, finde ich voll professionell,
00:03:53
wie wir so in der Öffentlichkeit auftreten.
00:03:55
Wir sind sehr unangenehme Menschen,
00:03:57
die euch herzlich willkommen heißen
00:03:59
einem Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:04:01
Wir reden hier unter anderem
00:04:03
über Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:04:05
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:04:06
Und ich bin Laura Wohlers.
00:04:07
In jeder Folge gibt es ein Oberthema,
00:04:09
zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen,
00:04:12
über die diskutieren
00:04:13
und mit Experten und Expertinnen darüber sprechen.
00:04:15
Wir reden hier auch mal,
00:04:16
wie ihr schon gemerkt habt,
00:04:18
ein bisschen lockerer miteinander.
00:04:19
Das hat aber nichts damit zu tun,
00:04:20
dass wir das Thema nicht ernst nehmen.
00:04:21
Das ist für uns immer so eine Art Comic Relief,
00:04:23
damit wir zwischendurch auch mal durchatmen können.
00:04:26
Das ist aber natürlich nie despektierlich gemeint.
00:04:28
Heute geht es bei uns um Vergeltung.
00:04:31
Quasi als Art Gegenstück
00:04:33
zu unserer Vergebungsfolge,
00:04:35
worauf wir viel Feedback bekommen haben.
00:04:37
Und dass es heute darum geht,
00:04:38
das wissen auch schon einige von euch,
00:04:40
weil wir das auf unserem Instagram-Kanal
00:04:42
Mordlust, der Podcast angekündigt haben,
00:04:44
als wir eure Vergeltungs-
00:04:46
beziehungs-Rache-Geschichten hören wollten.
00:04:49
eine Hörerin von uns,
00:04:50
wer kennt es nicht,
00:04:52
hat Bücher bei E-Mail verkauft.
00:04:54
Und sie war halt so gutgläubig,
00:04:57
dass sie die Bücher auch schon
00:04:58
vor Erhalt des Geldes losgeschickt hat.
00:05:01
Aber dann kamen wochenlang
00:05:05
kein Geld auf ihr Konto.
00:05:06
Sie hatte aber ja Namen und Adresse
00:05:08
von dieser Person
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und hat dann über Facebook herausgefunden,
00:05:12
wo die Person arbeitet
00:05:14
und hat dort immer wieder angerufen.
00:05:16
Aber das hat auch nichts gebracht.
00:05:18
Also es kam immer noch kein Geld.
00:05:21
so hat sie das uns geschrieben,
00:05:23
hat sie dann ganz viele schlechte
00:05:25
Zeitschriften-Abos
00:05:26
in dem Namen dieser Person abgeschlossen.
00:05:29
bei denen es halt super nervig ist
00:05:32
und richtig aufwendig,
00:05:33
die zu kündigen.
00:05:34
Ja, verstehe ich.
00:05:36
Ich finde das ja immer lustig,
00:05:38
wenn man sich so bescheuert verhält
00:05:40
und dann aber so viel
00:05:41
im Internet von sich preisgibt.
00:05:43
So, das ist so wie so mit so Typen,
00:05:45
die so Dickpics verschicken auf Insta
00:05:47
und dann aber ein Bild von sich
00:05:49
und Mutti haben,
00:05:50
die da auch noch markiert ist.
00:05:52
dass ich in deine DMs reinslide, Erna,
00:05:55
dein Sohn ist echt nicht so gut erzogen.
00:05:56
Ja gut, selber Schuld dann halt auch.
00:06:01
Ich bin großer Fan von so WG-Geschichten,
00:06:03
weil da können sich ja
00:06:05
so richtige Aggressionen
00:06:07
in den eigenen vier Wänden aufstauen.
00:06:10
Und eine Hörerin hat uns geschrieben,
00:06:12
mein Mitbewohner hatte,
00:06:14
in Klammern mal wieder,
00:06:15
einen One-Night-Stand.
00:06:17
Am nächsten Morgen sah ich,
00:06:19
dass sie meinen rosa Teddybär-Mantel anhatte,
00:06:22
als ich sie auf dem Gang der WG getroffen habe.
00:06:25
Das geht gar nicht.
00:06:26
Ich sie ganz hysterisch gefragt,
00:06:29
ob sie mit meinem Freund geschlafen hat.
00:06:31
Sie hat ihm eine geknallt,
00:06:33
meinen Bademantel ausgezogen
00:06:36
Er hatte keine Ahnung,
00:06:37
was vorgefallen ist
00:06:38
und ist bis heute unaufgegangen.
00:06:40
Wie geil ist das?
00:06:42
Das finde ich richtig gut.
00:06:46
Das finde ich auch witzig.
00:06:47
Hast du irgendeine Geschichte
00:06:49
von Kresse gelesen?
00:06:51
Weil das ist wirklich ganz absurd,
00:06:53
weil ich bestimmt
00:06:54
mindestens dreimal gelesen habe,
00:06:56
dass die Rache der Leute darin bestand,
00:06:58
Kresse auf Teppiche
00:07:00
oder Fußmatten zu streuen,
00:07:01
Kresse Samen und zu gießen.
00:07:04
Weil denn da Kresse auf dem Teppich wächst,
00:07:07
Ja, und wer kommt auf diese Idee?
00:07:09
Das muss doch irgendwo,
00:07:10
also das muss in irgendeinem Buch,
00:07:12
How to Revenge oder so,
00:07:15
weil wer kommt auf diese Idee?
00:07:18
Warum kommen mehrere Leute auf die Idee?
00:07:20
Vielleicht war das in diesem komischen Artikel,
00:07:21
von dem ich dir vorhin erzählt habe,
00:07:22
das waren wie 13 Wege,
00:07:24
wie du dich an deinem Ex rechnen kannst oder so.
00:07:26
Und da standen auch so bekloppte Sachen wie,
00:07:27
packe einen Schrimp hinter die Gardinenstange.
00:07:32
Das ist nicht dein Ernst.
00:07:37
Und danach kam die Kresse.
00:07:40
Wir heißen sowas nicht gut, oder?
00:07:43
Nein, nicht tun.
00:07:44
Wobei man muss ja echt sagen,
00:07:45
das ist ja noch alles relativ human.
00:07:47
Also es gibt ja noch so viel schlimmere Fälle
00:07:50
von Vergeltung oder Rache.
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Ja, zum Beispiel die, die wir heute erzählen.
00:07:54
Also mein Fall auf jeden Fall erzählt
00:07:56
von der Rache einer Familie,
00:07:58
die letztlich noch viel mehr Leid über sie bringt.
00:08:02
Alle Namen sind geändert.
00:08:05
Und die Triggerwarnung findet ihr wie immer
00:08:07
in der Folgenbeschreibung.
00:08:08
Es ist ein heißer Sommertag,
00:08:12
der 12. Juni 2014.
00:08:13
In der großen Hitze
00:08:15
haben sich Kemal und seine Freunde
00:08:17
ins Auto gesetzt.
00:08:18
Sie wollen nach Italien.
00:08:19
Urlaub in Venedig machen.
00:08:21
In einer Stadt umrahmt von Wasser,
00:08:23
in der man den Sommer besser aushalten kann
00:08:25
als in Deutschland.
00:08:26
Sieben Stunden müssen sie fahren,
00:08:28
bis sie endlich da sind.
00:08:30
Da unterbricht ein Anruf
00:08:31
die Vorfreude auf Italien.
00:08:33
Es ist Kemals Vater Mehmet.
00:08:35
Amira wurde vergewaltigt,
00:08:38
hört er seinen Vater
00:08:39
am anderen Ende der Leitung rufen,
00:08:40
der völlig aufgelöst ist.
00:08:42
Kemal traut seinen Ohren nicht.
00:08:44
Amira vergewaltigt?
00:08:46
Das kann nicht sein.
00:08:48
Das darf nicht sein.
00:08:49
Sofort bricht Kemal den Urlaub ab,
00:08:52
der noch nicht mal richtig angefangen hat
00:08:54
und macht sich auf den Weg zurück nach Hause.
00:08:56
Amira ist Kemals ein und alles.
00:09:00
Seine Lieblingsschwester.
00:09:01
Die beiden haben ein sehr enges Verhältnis
00:09:04
und das zeigen sie auch.
00:09:05
Auf Facebook zum Beispiel
00:09:07
finden sich etliche Fotos
00:09:08
von dem Geschwisterpärchen.
00:09:09
Sehr vertraut wirken die beiden dort.
00:09:11
Ausnahmslos mit breitem Grinsen.
00:09:14
Zusammen mit ihren Eltern
00:09:15
und ihrer anderen Schwester Leila
00:09:17
wohnen die beiden in einer kleinen Stadt
00:09:19
in der Nähe von Freiburg,
00:09:20
nahe der französischen Grenze.
00:09:22
Ihre Eltern sind vor Jahrzehnten
00:09:24
aus dem Libanon nach Deutschland gekommen,
00:09:25
haben sich hier ein neues Leben aufgebaut
00:09:27
und ihre Kinder großgezogen.
00:09:29
Obwohl Kemal mit seinen 17 Jahren
00:09:32
der Jüngste ist,
00:09:33
fühlt er sich für seine Schwestern verantwortlich,
00:09:35
hat das Gefühl, sie beschützen zu müssen.
00:09:37
Deshalb macht er sich jetzt große Vorwürfe,
00:09:41
nicht vor dieser Vergewaltigung
00:09:42
hat bewahren können.
00:09:45
Doch auf dem langen Weg zurück nach Hause
00:09:47
mischt sich ein anderes Gefühl dazu.
00:09:51
der ihr und seiner Familie
00:09:52
das angetan hat.
00:09:53
Und die wird immer größer.
00:09:55
Mehr als 600 Kilometer entfernt
00:09:58
sind die Emotionen ebenso groß.
00:10:00
Die Eltern sind seelisch und körperlich
00:10:03
leiden mit ihrer Tochter mit
00:10:04
und fühlen sich,
00:10:05
als seien sie selbst angegriffen worden.
00:10:07
Zusammen mit Amira
00:10:09
gehen sie zur Polizei,
00:10:10
um Anzeige zu erstatten.
00:10:11
Denn die 26-Jährige weiß,
00:10:13
wer ihr Peiniger ist.
00:10:15
Es war ihr ehemaliger Mitschüler
00:10:18
Auf der Wache erzählt Amira unter Tränen,
00:10:20
was ihr vor ein paar Stunden passiert ist.
00:10:22
Stefan H. hatte ihr bei WhatsApp geschrieben
00:10:25
und sie auf einen Feldweg gelockt.
00:10:26
Dort hatte er sie angegriffen,
00:10:29
geschlagen, vergewaltigt
00:10:30
und sie mit ihren Verletzungen
00:10:32
alleine zurückgelassen.
00:10:33
Stefan H. ist den Beamten und Beamtinnen
00:10:36
vor Ort ein Begriff.
00:10:37
Der 27-Jährige sah schon einige Mal
00:10:39
wegen Eigentumsdelikten im Gefängnis
00:10:41
und gilt als gewalttätig.
00:10:43
Die Polizei erklärt der Familie,
00:10:45
sie werden sofort
00:10:45
mit den Ermittlungen beginnen.
00:10:47
Auf dem Weg nach draußen
00:10:48
sagt Vater Mehmet noch,
00:10:49
finden Sie diesen Mann,
00:10:51
denn ich weiß nicht,
00:10:53
wenn mein Sohn ihn findet.
00:10:54
Nach der Anzeige
00:10:56
muss Amira noch zu mehreren Tests
00:10:58
in einer Klinik.
00:10:58
Dabei wird sie nicht nur
00:11:00
von ihren Eltern,
00:11:00
sondern auch noch
00:11:01
von einer Psychologin begleitet.
00:11:03
Vater Mehmet ist noch immer
00:11:05
sagt der fremden Frau,
00:11:08
vergewaltiger töten
00:11:09
Die Psychologin versucht
00:11:11
Mehmet zu beruhigen,
00:11:12
doch schafft es nicht.
00:11:13
Deshalb meldet sie sich
00:11:16
dass sie den Familienvater
00:11:17
als gefährlich einstufen würde.
00:11:18
Daraufhin kommt ein Polizist
00:11:21
noch am selben Abend
00:11:22
und hält eine Art
00:11:23
Gefährderansprache,
00:11:25
ca. 10 Sekunden dauert.
00:11:28
bleiben Sie vernünftig
00:11:29
und begehen Sie keine
00:11:30
unüberlegten Handlungen,
00:11:31
lässt er den 47-Jährigen
00:11:33
mit seiner Trauer
00:11:37
zu Hause ankommt,
00:11:38
wird ihm das Ausmaß
00:11:39
der Tat deutlich.
00:11:43
mit blutunterlaufenem Auge,
00:11:44
einem Rücken voller
00:11:46
und zerkratzten Arm.
00:11:47
Als er das sieht,
00:11:49
flippt der 17-Jährige
00:11:50
aus und schreit,
00:11:54
muss bestraft werden,
00:11:56
da sind sich Polizei
00:11:56
und Familie einig.
00:11:59
nach der Anzeige
00:12:00
erlassen worden.
00:12:00
Doch schnell wird klar,
00:12:03
wird schwerer als gedacht,
00:12:05
ist nicht so leicht
00:12:07
Seit Anfang des Jahres
00:12:09
festen Wohnsitz mehr,
00:12:11
in Frankreich auf
00:12:13
im Auto seiner Mutter.
00:12:15
ein Team der Polizei
00:12:18
führt ein anderes
00:12:19
zusammen mit Amira
00:12:19
eine Tatortbegehung durch.
00:12:21
Sie soll den Beamten
00:12:22
und Beamtinnen zeigen,
00:12:26
Als die 26-Jährige
00:12:28
damit durch ist,
00:12:28
sieht sie ihren Vater,
00:12:30
der am Rand des Feldwegs
00:12:31
auf sie gewartet hat.
00:12:32
Als Mehmet Amira
00:12:34
in seine Arme schließt,
00:12:35
verspricht er ihr,
00:12:37
Von diesem Zeitpunkt an
00:12:40
wenn die Familie
00:12:42
vor der Polizei findet,
00:12:43
wird sie ihn bestrafen,
00:12:44
bevor es die Justiz kann.
00:12:46
Kemal versucht das.
00:12:48
Zusammen mit seinem Freund
00:12:49
Tim durchkämmt er
00:12:49
die sozialen Netzwerke
00:12:51
und sie werden fündig.
00:12:54
dass ein Bekannter von Tim
00:12:55
mit ihm auf Facebook
00:12:57
Sein Name ist Christian.
00:12:58
Tim stellt den Kontakt
00:13:00
zu Christian her
00:13:02
um einen Gefallen.
00:13:05
Stefan H. schreiben
00:13:06
und ihn an einen
00:13:07
bestimmten Ort locken.
00:13:10
Christian schreibt
00:13:12
ob er Gras von ihm
00:13:14
Und es dauert nicht lange,
00:13:15
bis die Antwort kommt.
00:13:18
dann irgendeinen Anreiz,
00:13:21
aber er wird so ein bisschen
00:13:22
einbezogen in den Plan,
00:13:24
sich zu rechnen.
00:13:26
Also das ist ein guter
00:13:29
Bekannter von Kemal
00:13:31
und eher nicht so gut
00:13:35
Also das ist eigentlich
00:13:37
ein Bekannter von Tim,
00:13:38
aber jetzt kein Freund
00:13:39
von Stefan oder so.
00:13:41
über Facebook befreundet.
00:13:42
Und es dauert nicht lange,
00:13:44
bis die Antwort kommt.
00:13:46
Klar will er Drogen kaufen.
00:13:48
Und jetzt hat Kemal Kontakt
00:13:51
der seiner Schwester
00:13:52
mit das Schlimmste
00:13:53
was man sich vorstellen kann.
00:13:55
Er ist ganz aufgeregt
00:13:58
was Christian schreiben soll.
00:14:00
für den falschen Drogenhandel
00:14:02
soll ein Pendlerparkplatz
00:14:03
an der Autobahn sein.
00:14:05
soll am Mittwoch
00:14:06
gegen 18.30 Uhr stattfinden.
00:14:07
Genauso wie Stefan H.
00:14:09
seine Schwestern
00:14:10
eine Falle gelockt hat,
00:14:11
soll er jetzt nichts ahnt
00:14:13
auf Kemal treffen.
00:14:14
In den nächsten Tagen
00:14:15
schläft Kemal schlecht
00:14:17
und Essen geht auch
00:14:18
nur mit großer Mühe.
00:14:19
Er kann an nichts anderes
00:14:21
als an dieses Treffen,
00:14:23
die er ausführen möchte.
00:14:26
vor Anspannung platzen zu müssen,
00:14:28
macht er sich am Mittwoch,
00:14:30
zusammen mit Tim
00:14:31
zu dem Autobahnparkplatz.
00:14:34
erscheint ein Post
00:14:35
auf Kemals Pinnband
00:14:37
Er ist von Amira,
00:14:40
für sie tun will.
00:14:42
ich liebe dich, Kemal.
00:14:43
Du bist der beste Bruder,
00:14:45
den man sich wünschen kann.
00:14:46
Allah soll dich beschützen,
00:14:48
von ganzem Herzen.
00:14:51
ein Foto von sich
00:14:52
und ihrem Bruder.
00:14:54
Um kurz vor 18 Uhr
00:14:55
sich bei seinem Vater,
00:14:56
der kurze Zeit später
00:14:57
auch zum Treffpunkt kommt.
00:14:59
Gleich ist es soweit.
00:15:06
mit seinem Fahrrad
00:15:06
auf den Parkplatz
00:15:09
beginnt der Angriff.
00:15:11
und Kemal und Mehmet
00:15:12
schlagen und treten
00:15:13
auf Stefan H. ein.
00:15:16
kurze Zeit später,
00:15:19
Als Tim das Messer sieht,
00:15:22
lässt er geschockt los
00:15:24
Stefan H. sich befreien.
00:15:26
seinen Angreifern zu entkommen,
00:15:28
doch Kemal läuft ihm hinterher,
00:15:29
wirft ihn auf den Boden
00:15:30
und sticht weiter auf ihn ein.
00:15:32
Solange bis Stefan H. tot ist.
00:15:34
Ein paar Stunden nach der Tat
00:15:38
steht die Polizei
00:15:38
vor dem Haus der Familie,
00:15:40
will Kemal und Mehmet mitnehmen.
00:15:42
Tim hatte sie verraten.
00:15:44
Nach seiner Flucht
00:15:45
war er total erschüttert
00:15:47
zu Hause angekommen
00:15:48
und hatte seinen Eltern
00:15:50
Dass Stefan H. getötet werden sollte,
00:15:52
hatte Tim nicht geglaubt.
00:15:54
sie wollten ihm nur
00:15:55
eine Abreibung verpassen
00:15:57
der Polizei ausliefern.
00:15:59
war es nicht gekommen.
00:16:00
Dafür riefen Tims Eltern
00:16:02
die gleich darauf
00:16:03
ihren Sohn mitnahmen
00:16:04
und jetzt vor Mehmet und Kemal stehen.
00:16:08
Die deutsche Polizei
00:16:09
macht ja nichts.
00:16:10
Wir haben es selbst geregelt,
00:16:13
als man ihnen sagt,
00:16:14
was ihnen vorgeworfen wird.
00:16:16
abgeführt werden,
00:16:20
Ich habe euch doch gesagt,
00:16:21
dass er ihn sucht.
00:16:22
Bei der Vernehmung
00:16:25
mehrmals auf Stefan H.
00:16:27
eingestochen zu haben,
00:16:28
weil er wütend war.
00:16:30
und seiner Familie
00:16:33
so könne er die Ehre
00:16:34
wiederherstellen.
00:16:35
Als das bekannt wird,
00:16:38
überschlagen sich
00:16:39
die Schlagzeilen.
00:16:41
wird mit den Begriffen
00:16:44
und Selbstjustiz
00:16:46
und die Tat verurteilt.
00:16:48
gibt es auch andere Stimmen.
00:16:49
Wäre es meine Tochter gewesen,
00:16:51
ich hätte ihn auch
00:16:54
Eine Facebook-Gruppe,
00:16:56
die extra für Kemal
00:16:57
gegründet wurde,
00:16:58
mehr als 300 Mitglieder.
00:17:00
Es wird auch Kritik
00:17:01
an der Polizei laut,
00:17:03
und in der Presse.
00:17:05
warum die Familie
00:17:06
schneller finden konnte
00:17:07
als die Polizei.
00:17:08
Darauf reagiert man
00:17:10
mit einem Statement.
00:17:11
Sie hätten nicht
00:17:12
offen nach Stefan H.
00:17:14
weil sie erstens
00:17:15
das Opfer schützen wollten
00:17:17
verhindern wollten,
00:17:18
dass er die Region verlässt,
00:17:20
dass alle nach ihm suchen.
00:17:21
Warum sie ihn nicht fanden,
00:17:22
obwohl Name und Handynummer
00:17:25
erklären sie nicht.
00:17:26
Anfang April 2015
00:17:28
startet dann der Prozess
00:17:30
vor dem Freiburger Landgericht,
00:17:31
für den mindestens
00:17:32
17 Verhandlungstage
00:17:36
Tim und Christian.
00:17:37
Weil Kemal als Hauptangeklagter
00:17:40
erst 17 Jahre alt war,
00:17:41
findet die Verhandlung
00:17:42
im Saal Nummer 4
00:17:43
vor der Jugendkammer statt.
00:17:46
ob der Tod von Stefan H.
00:17:48
von den Angeklagten
00:17:49
gewollt und geplant war
00:17:50
oder ob sie ihm eigentlich
00:17:51
nur eine Abreibung verpassen
00:17:53
und dann der Polizei
00:17:54
ausliefern wollten.
00:17:56
die dann aus dem Ruder
00:17:58
so wie es Kemal und Mehmet
00:18:00
in ihren Aussagen
00:18:01
Als Vater und Sohn
00:18:03
den Gerichtssaal betreten
00:18:04
und sich zum ersten Mal
00:18:05
seit mehr als 10 Monaten
00:18:07
fallen sie sich um den Hals.
00:18:09
Sie halten sich lange
00:18:11
Als sie sich voneinander lösen,
00:18:12
klopft Mehmet seinem Sohn
00:18:14
aufmunternd auf die Schulter.
00:18:15
Dann setzen sie sich,
00:18:17
nebeneinander auf der Anklagebank,
00:18:18
auf der sie während der Verhandlung
00:18:20
immer wieder Händchen halten werden.
00:18:21
An diesem ersten Tag
00:18:24
wirkt Kemal entspannt.
00:18:25
Ihm sieht man die lange Zeit
00:18:26
in U-Haft nicht an.
00:18:27
Ganz anders bei seinem Vater.
00:18:29
Der jetzt 48-jährige Mehmet
00:18:31
sieht gestresst und müde aus.
00:18:33
Den beiden wird gemeinschaftlicher
00:18:35
Mord zur Last gelegt.
00:18:37
Aus Rache und zur Vergeltung
00:18:38
soll Kemal getötet haben,
00:18:39
um die vermeintlich verletzte
00:18:41
Familienehre wieder herzustellen,
00:18:43
erklärt der Staatsanwalt
00:18:44
in seiner Anklageschrift.
00:18:45
Kemal sei dabei derjenige gewesen,
00:18:48
der Stephan H. getötet habe.
00:18:49
Sein Vater habe mitgemacht.
00:18:51
Was Christian und Tim angeht,
00:18:53
sie seien Komplizen gewesen,
00:18:56
das Treffen zu organisieren
00:18:57
und das Opfer festzuhalten.
00:18:58
Tim wird deshalb ebenfalls
00:19:00
wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt,
00:19:02
Christian hingegen
00:19:03
wegen Körperverletzung
00:19:05
Er war bei der Tat nicht dabei,
00:19:07
habe aber belegend in Kauf genommen,
00:19:09
dass das Opfer misshandelt wird.
00:19:11
Ach, also das finde ich ja interessant,
00:19:14
weil theoretisch hätte Christian
00:19:15
ja auch gar nicht wissen können,
00:19:16
was die da vorhatten.
00:19:18
Ja, also das laut Gericht
00:19:21
hat er halt gedacht,
00:19:22
dass Stephan nur in Anführungszeichen
00:19:24
eine Abreibung verpasst bekommen soll.
00:19:27
So, und dann finde ich das aber
00:19:29
sehr ambitioniert.
00:19:31
Ja, finde ich auch schon hoch.
00:19:33
Gegenüber der vier Männer
00:19:36
sitzen die Angehörigen von Stephan H.,
00:19:38
die als NebenklägerInnen auftreten.
00:19:40
In den nächsten Verhandlungstagen
00:19:42
werden zahlreiche Zeugen und Zeuginnen gehört,
00:19:44
Chatprotokolle vorgelesen
00:19:46
und Sachverständige geladen.
00:19:47
Immer klarer wird dabei das Bild
00:19:49
von einer geplanten Tat,
00:19:51
die sich innerhalb der Familie,
00:19:52
aber auch gegenüber der Polizei,
00:19:54
angekündigt hat.
00:19:55
Am letzten Prozesstag
00:19:58
kommt die Familie des Opfers zu Wort.
00:20:00
Stephan H.'s Schwester hat Tränen in den Augen,
00:20:02
als sie sich an die Angeklagten wendet.
00:20:05
Kemal, Mehmet und Tim,
00:20:06
ihr seid Mörder.
00:20:07
Wir hassen euch nicht,
00:20:08
aber ihr habt unsere Familie zerstört.
00:20:10
Hinterhältig habt ihr meinen Bruder
00:20:12
in die Falle gelockt
00:20:13
und ihn bestialisch ermordet.
00:20:15
Die Verteidigung spricht hingegen
00:20:17
weiterhin von einer Affekt-Tat,
00:20:19
die keinen kulturellen Hintergrund hat.
00:20:21
Ein 17-Jähriger,
00:20:22
dessen Schwester vergewaltigt wurde,
00:20:24
hat so gehandelt,
00:20:24
wie ein 17-Jähriger
00:20:25
auch hier in Deutschland handeln würde,
00:20:27
so Kemals Anwalt.
00:20:28
Kemal habe sich nach der Vergewaltigung
00:20:31
in einer Art Paralleluniversum befunden,
00:20:33
in dem die Wut über allem stand.
00:20:35
Als er Stephan H. dann vor sich hatte,
00:20:37
ist es mit ihm durchgegangen,
00:20:39
so sein Verteidiger.
00:20:40
Doch das glaubt die Kammer nicht
00:20:42
und spricht am 7. Dezember ihr Urteil.
00:20:45
Tim, Kemals Freund,
00:20:47
wird nicht wegen Mordes verurteilt,
00:20:49
wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte,
00:20:51
sondern wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
00:20:53
Das Gericht glaubt ihm,
00:20:54
dass er nicht wusste,
00:20:55
dass Stephan H. getötet werden sollte.
00:20:57
Dafür, dass er ihn aber festgehalten hat,
00:20:59
muss er 5 Jahre in Haft.
00:21:01
Christian, der der Lockvogel war,
00:21:03
bekommt 2 Jahre auf Bewährung,
00:21:04
ebenfalls wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
00:21:07
Kemal wird wegen Mordes
00:21:09
zu 8 Jahren Jugendstrafe verurteilt
00:21:11
und sein Vater Mehmet
00:21:13
zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
00:21:15
Bei beiden erkannten die RichterInnen
00:21:16
das Mordmerkmal der Heimtücke.
00:21:18
Als das Urteil für Vater und Sohn fällt,
00:21:21
erfüllt lautes Schluchzen den Saal.
00:21:23
Es ist Leila, Kemals andere Schwester.
00:21:27
Auch Mehmet fängt an zu weinen
00:21:28
und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen.
00:21:30
Der Einzige, der ruhig bleibt, ist Kemal.
00:21:33
In der Urteilsbegründung erklärt der vorsitzende Richter,
00:21:37
Kemal sei vom Wunsch nach Rache besessen gewesen.
00:21:40
Er wollte mit seiner Tat die Ehre der Familie wiederherstellen.
00:21:43
Ein Gleichgewicht sozusagen.
00:21:45
Mehmet hatte seinen Sohn in seinem Vorhaben unterstützt und sogar mitgemacht.
00:21:49
Dabei hätte er die Tat verhindern können.
00:21:51
In der Familie wurde Gewalt nicht nur als Option, sondern als Lösung gesehen,
00:21:55
so der Vorsitzende.
00:21:58
Gewalt erzeugt gegen Gewalt und in solch einer Gesellschaft will niemand leben.
00:22:02
Womit er ein klares Signal gegen Selbstjustiz setzt.
00:22:05
Nach der Urteilsbegründung werden die Männer aus dem Saal geführt.
00:22:08
Kemal findet sich plötzlich auf einem langen Flur wieder.
00:22:11
Da hört er laute Geräusche und sieht durch eine abgeschlossene Glastür seine Schwester Leila.
00:22:17
Sie weint, schreit und trommelt mit ihren Fäusten gegen die Glasscheibe.
00:22:20
Kemal streckt ihr hilflos seine gefesselten Hände entgegen.
00:22:24
Dann wird er weggebracht.
00:22:26
Es ist ein kalter Wintertag, der 17. Dezember 2015.
00:22:31
Anderthalb Jahre, nachdem ein Anruf Kemals Leben aus der Bahn geworfen hatte.
00:22:35
Zu dem Mord an Stefan H. sei es aus falsch verstandener Liebe zur Familie gekommen.
00:22:40
So hat es der Richter formuliert.
00:22:42
Und die Konsequenz ist, dass Kemal und Mehmet ein noch viel größeres Leid.
00:22:47
über die eigene Familie gebracht haben.
00:22:49
Ich finde es so tragisch, weil die Mutter im Grunde genommen vorher schon wusste und artikuliert hat.
00:22:57
Es aber sich offenbar ja niemand imstande sah, die beiden aufzuhalten.
00:23:02
Beziehungsweise die vier.
00:23:03
Ja, und nicht nur die Mutter.
00:23:06
Die Psychologin hatte das ja auch gesehen und extra der Polizei Bescheid gegeben.
00:23:11
Aber das hat man wohl nicht für möglich gehalten, dass sie das wirklich durchziehen.
00:23:17
Und das ist ja eigentlich so gefährlich, weil völlig unabhängig, aus welcher Kultur man kommt.
00:23:22
Wenn ein Mensch verletzt wird, den man so sehr liebt, entwickelt man Hass und Wutgefühle.
00:23:28
Und wenn die das dann halt artikulieren, dann machen die das ja auch nicht ohne Grund.
00:23:34
Und Wut war ja ein Motiv bei Kemal.
00:23:37
Aber der hat ja auch immer wieder von Ehre gesprochen.
00:23:40
Und dieser Ehrbegriff, der kann schon von einem kulturellen Hintergrund kommen.
00:23:44
Was aber natürlich nicht im Umkehrschluss heißt, dass es jetzt im Libanon zur Kultur gehört, zu töten, um diese Ehre wiederherzustellen.
00:23:52
Die vermeintliche Ehre, wie der Staatsanwalt ja auch gesagt hat.
00:23:55
Also es gibt zwar das Phänomen der Blutrache noch ganz vereinzelt.
00:23:59
Das passt hier nicht so wirklich, weil es da bei dieser Blutrache bestimmte Regeln gibt.
00:24:04
Und die zwei Familien, also Opfer und Täterfamilie, auch von diesem wissen.
00:24:10
Welcher Begriff aber neben Ehrenmord und Blutrache auch immer wieder zu lesen war in der Presse, war Lünchmord.
00:24:17
Und der passt ja eigentlich am ehesten.
00:24:20
Lünchjustiz, auch kollektive Selbstjustiz genannt, bedeutet die Tötung von Beschuldigten ohne gerichtliches Verfahren.
00:24:27
Und TäterInnen können dabei entweder ein wild gewordener Mob sein, aber halt auch so kleinere Gruppen, die sich halt extra zu dem Zweck der Tötung zusammentun.
00:24:38
Und beiden ist gemein, dass die Beteiligten glauben, dass die Justiz unfähig ist, Kriminalität zu bekämpfen oder TäterInnen zu bestrafen und dass sie deswegen halt in ihre eigenen Händen nehmen.
00:24:49
Und so war das ja auch im Fall von Kemal und Mehmet.
00:24:52
Also die haben nicht an die deutsche Justiz geglaubt, hatten sie auch vorher artikuliert und haben dann eben selbst für die Bestrafung gesorgt nach Mehmetts Motto, wir regeln das.
00:25:03
Und das Wort Lünchen kommt aus den USA, wo sich die Lünchjustiz eigentlich schon immer gegen Minderheiten gerichtet hat.
00:25:10
Also wenn da jemand gelüncht wurde, dann waren das entweder EinwanderInnen und vor allem AfroamerikanerInnen.
00:25:18
Und du kannst dir nicht vorstellen, wie das da ablief, also wie wahllos da diese Justiz geherrscht hat.
00:25:25
Und zwar wurden die wirklich wegen den kleinsten Kleinigkeiten, wurden da Schwarze öffentlich hingerichtet und gehängt.
00:25:33
Also zum Beispiel, wenn eine schwarze Frau weiße Kinder ausgeschimpft hat, dann wurde die dafür umgebracht.
00:25:41
Und das wurde dann auch irgendwie zu so einem Volksfest, wo dann auch das ganze Dorf hingekommen ist, also mehrere hundert Leute.
00:25:48
Und von diesen Lünchungen wurden dann Fotos gemacht und dann konnte man danach die auf Postkarten drucken.
00:25:56
Oh mein Gott, stop it, ey, ich hab Gänsehaut, das ist ja einfach nur furchtbar.
00:26:02
Und zum Teil ging das bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts.
00:26:06
Ein sehr bekannter Fall ist der des 14-jährigen Emmett Till, der 1955 in Mississippi eine weiße Frau belästigt haben soll.
00:26:16
Also er soll ihr nachgefiffen haben und irgendwas gerufen haben.
00:26:19
Und drei Tage später war er tot.
00:26:22
Und gegen seine Mörder wurde dann auch ein Prozess geführt.
00:26:26
Aber die Jury, bestehend aus ausschließlich weißen Männern, haben die dann freigesprochen.
00:26:31
Erst Anfang dieses Jahres hat das Repräsentantenhaus in den USA dem Emmett Till-Gesetzentwurf zugestimmt.
00:26:37
Der besagt, dass Lünch-Justiz zukünftig als Hassverbrechen eingestuft und hart bestraft werden soll.
00:26:43
Das ist eher so symbolisch, weil die seit 100 Jahren das versucht haben, da als Gesetzentwurf durchzubringen.
00:26:50
Und es gab 200 Versuche, das zu machen und es wurde immer abgelehnt.
00:26:53
Und jetzt wurde das quasi gerade genehmigt.
00:26:57
Aber Lünch-Justiz ist jetzt nicht immer, also es hat nicht immer mit Hass auf Minderheiten zu tun.
00:27:02
Und das gibt es auch noch heute.
00:27:03
Und zwar in vielen Ländern Afrikas, aber auch zum Beispiel in Mexiko.
00:27:08
Da gab es 2019 einen Vorfall, wo ein mexikanisches Dorf sieben Männer gelüncht, sprich gehängt hat, weil sie diese Männer verdächtigten, einen Bauern entführt zu haben.
00:27:19
Und in Deutschland eben kommt es so gut wie gar nicht vor.
00:27:22
Und wenn das dann vorkommt, wird das aber auch hart bestraft in Deutschland.
00:27:27
Da soll immer die Signalwirkung kommen, sozusagen, wir tolerieren hier keine Selbstjustiz, keine Lünch-Justiz.
00:27:34
Ja, die Gerichte mögen das gar nicht gern, wenn jemand ihre Arbeit macht.
00:27:40
Die Geschichte, die ich heute erzähle, die habe ich schon mal erzählt.
00:27:44
Allerdings nur ganz kurz und sie hat so viele Drehungen und Wendungen, dass man sie noch einmal ausführlich erzählen sollte.
00:27:51
Einige Namen habe ich geändert.
00:27:53
Der Blick von der Terrasse ist atemberaubend.
00:27:58
Kilometerweit kann man von dort aus über Felder schauen, sehen, wie sich im Sommer die Bäume mit grünen Blättern füllen
00:28:05
und wie sie im Herbst eines nach dem anderen dahinwelken und vom Wind davongetragen werden.
00:28:10
Ein Ausblick, auf den die 14-jährige Kalinka jetzt erst einmal verzichten muss.
00:28:15
Denn es sind Ferien und sie und ihr kleiner Bruder verbringen diese nicht hier in der Nähe von Toulouse in Frankreich bei ihrem Vater André,
00:28:22
sondern in Lindau am Bodensee in Deutschland bei ihrer Mutter.
00:28:26
Da wohnt sie mit ihrem neuen Mann, einem charmanten Internisten.
00:28:32
Eingelernt haben sich die beiden in Marokko, als Kalinkas Mutter Daniel noch mit Kalinkas Vater André Bambersky zusammen war.
00:28:38
Jörg Liebert, der neue Mann der Mutter, hatte damals mit seiner Familie in der Nähe von ihnen gewohnt
00:28:45
und Daniel so lange umworben, bis sie eine Affäre mit ihm einging.
00:28:49
André hatte das damals mitbekommen und seinen Nachbarn zur Rede gestellt.
00:28:53
Daraufhin zog die Familie in die Nähe von Toulouse, aber die räumliche Trennung trennte Daniel nicht von ihrem Liebhaber.
00:29:00
Und so verließ Daniel Kalinkas Vater und heiratete 1977 Jörg Liebert.
00:29:05
Die beiden wohnen jetzt in einem großen Haus mit seinen Kindern, wo auch Kalinka und ihr kleiner Bruder genug Platz haben, wenn sie dort sind.
00:29:12
In Lindau kennt man den Dr. Liebert. Er ist sehr angesehen und respektiert.
00:29:17
Kalinka und ihr Bruder verstehen sich gut mit ihm.
00:29:20
Zum Vatertag schreibt Kalinka ihm eine Karte, in der steht, Küsse und alles Gute für meinen lieben Papa Nummer 2.
00:29:26
Es ist der 9. Juli 1982 und Kalinka und ihr Bruder verbringen einen schönen Tag am See, schwimmen dort und genießen die Sonne.
00:29:35
Kalinka ärgert sich, denn sie findet, dass ihre Haut viel zu blass ist.
00:29:39
Aber die Ferien dauern noch eine Weile, also ist noch genug Zeit für einen gesunden Tag, bis Kalinka wieder ins Internat nach Freiburg muss.
00:29:47
Als die beiden abends nach Hause kommen, klagt Kalinka über Kopfschmerzen.
00:29:51
Dann legt sie sich ins Bett.
00:29:53
Am nächsten Morgen ist sie tot.
00:29:57
Ihr Stiefvater Dr. Liebert findet sie in ihrem Bett.
00:29:59
Panisch unternimmt er einige Wiederbelebungsversuche.
00:30:04
Danach ruft er einen Arztkollegen aus der Stadt in seine Villa.
00:30:07
Der kann nur noch den Tod feststellen.
00:30:10
Anhand der Leichenstarre geht er davon aus, dass Kalinka gegen die frühen Morgenstunden um ca. 3 Uhr verstorben sein muss.
00:30:17
Liebert sagt, er habe sie gegen Mitternacht noch einmal gesehen.
00:30:20
Da sei sie aufgestanden, um Wasser zu trinken.
00:30:23
Ihm sei da nicht aufgefallen, dass es ihr schlecht ging.
00:30:28
Kurze Zeit später ruft Daniel André an und erzählt ihm, was passiert ist.
00:30:32
André ist seelisch und geistig völlig fertig.
00:30:35
Für ihn ist der Tod seiner geliebten Tochter kaum greifbar.
00:30:39
Sie sollte doch in ein paar Tagen wieder zu ihm nach Hause, nach Frankreich kommen.
00:30:42
Er kann es sich auch logisch nicht erklären.
00:30:45
Kalinka war sportlich, ging gerne surfen, war voller Energie und war vor allem nicht krank.
00:30:50
Sie kann eine gesunde 14-Jährige einfach morgens nicht mehr aufwachen.
00:30:55
Erst zwei Tage später wird Kalinkas Leiche obduziert.
00:30:59
Das Mädchen mit den langen, dicken, blonden Haaren mit Pony und den mandelförmigen blauen Augen trägt noch ihr langes, weißes Nachthemd und die weißen Seidensocken über den Füßen.
00:31:08
Dass ihre Leiche 60 Stunden lang ungekühlt blieb, erschwert die Autopsie ungemein.
00:31:14
Warum das so war, kann am Ende keiner mehr sagen.
00:31:18
Bei der Autopsie ist Jörg Liebert dabei, um seinen Kollegen und Kolleginnen über die Schulter zu schauen.
00:31:23
Eine konkrete Todesursache können die nicht mehr festmachen, aber wahrscheinlich ist, dass sie an ihrem Erbrochenen erstickt ist.
00:31:31
Allerdings bemerken sie, dass Kalinka mehrere Einstichstellen am Arm hat.
00:31:35
Liebert antwortet auf Nachfrage, er habe ihr am Vorabend noch ein Eisengemisch gespritzt, um ihren Bräunungsvorgang zu unterstützen.
00:31:43
Die weiteren Einstichstellen, so Liebert, kommen von den Wiederbelebungsversuchen heute Morgen.
00:31:49
Er habe noch versucht, Kalinka etwas zu injizieren.
00:31:51
Lieberts ärztliche Einschätzung ist, dass seine Stieftochter an einem Sonnenstich gestorben sei.
00:31:57
Die Obduzierenden vermerken dies im Protokoll.
00:32:00
Dann entnehmen sie noch einige Gewebeproben und beenden ihre Arbeit.
00:32:05
Fünf Tage nach dem Tod schließt die ermittelnde Staatsanwaltschaft die Akte und ordnet die Einäscherung der Leiche an.
00:32:11
Kalinkas Vater dämmer zwar immer noch zwischen Schmerz und Delirium, aber als er das hört, wird er ganz klar.
00:32:19
Auf keinen Fall wird seine Tochter eingeäschert.
00:32:22
André selbst ist streng katholisch und kann durchsetzen, dass Kalinkas Leiche auf einem französischen Friedhof bestattet wird.
00:32:28
Ihm lassen die Todesumstände keine Ruhe.
00:32:31
Er kann sich nicht damit zufrieden geben, dass seine gesunde Tochter einfach so gestorben sein soll.
00:32:36
Als er gegenüber Daniel andeutet, dass er gerne die Unterlagen zur Autorzie sehen würde, stößt er auf Widerstand.
00:32:43
Sie sei nun mal gestorben, sagt Daniel.
00:32:45
Was willst du da noch untersuchen?
00:32:48
Erst gegen Ende September kann André Daniel überreden, dass sie ihm eine Kopie des Obduktionsberichts versendet.
00:32:53
Gemeinsam mit einem Rechtsmediziner schaut André über die deutschen Ermittlungen.
00:32:58
Und was sie dort zu lesen bekommen, versetzt beide in Alarmbereitschaft.
00:33:01
Denn der Bericht wirft eigentlich mehr Fragen auf, als er beantwortet.
00:33:07
Dort steht, dass etwa die Hälfte von Kalinkas Abendessen noch nicht verdaut gewesen sei.
00:33:11
Es dauert etwa ein bis drei Stunden, bis reguläre Nahrung den Magen passiert hat.
00:33:16
Das würde bedeuten, dass Kalinka schon sehr viel früher als um drei Uhr morgens gestorben wäre.
00:33:23
Was außerdem nicht aufgeführt ist, ist, ob Kalinka noch Jungfrau war oder sie vor ihrem Tod Sex hatte.
00:33:28
Was besonders merkwürdig erscheint, wenn man weiß, dass sie einen oberflächlichen Vaginalriss,
00:33:34
der offenbar erst nach dem Tod entstanden ist, frische Blutflecken in ihrem Slip und eine weißliche Substanz in der Vagina festgestellt haben.
00:33:43
Um welche Substanz es sich dabei handelt, ist nicht untersucht worden.
00:33:46
Zumindest steht es nicht im Bericht.
00:33:49
Einen Vaginalabstrich haben die Amtsärzte und Ärztinnen auch nicht gemacht.
00:33:54
Zusätzlich haben sie es nicht mal für nötig gehalten,
00:33:57
histologische und toxikologische Untersuchungen der Proben anzuordnen.
00:34:01
Ob Kalinka also vergiftet wurde, weiß man also nicht.
00:34:05
Der Gerichtsmediziner äußert gegenüber André,
00:34:08
dass ein so gesundes Mädchen nicht einfach tot umfällt
00:34:11
und er vermuten würde, dass sie an einer der Injektionen gestorben sei,
00:34:15
die Dr. Liebert ihr gegeben hat.
00:34:17
Das ist immerhin der einzige Anhaltspunkt, den sie haben.
00:34:20
Für André ist es, als würde er von einer Ohnmacht in die nächste fallen.
00:34:24
Denn das würde bedeuten, dass Kalinka gar nicht an einem natürlichen Tod gestorben ist.
00:34:28
André hat das Gefühl, dass mit dem Tod seiner Tochter etwas gewaltig nicht stimmt
00:34:33
und nimmt sich kurze Zeit darauf einen Anwalt.
00:34:36
Den berühmten und mittlerweile verstorbenen Strafverteidiger Rolf Bossi.
00:34:41
Der kann durchsetzen, dass die mitgenommenen Gewebeproben toxikologisch untersucht werden.
00:34:45
Leider bleibt das ohne zufriedenstellendes Ergebnis.
00:34:49
Allerdings sind sich die Experten und Expertinnen einig,
00:34:53
dass Kalinka sicherlich nicht an einem Sonnenstich gestorben ist.
00:34:56
André glaubt jetzt, dass Liebert irgendetwas verschleiern will.
00:35:00
Warum sonst hätte er genau das als mögliche Todesursache anführen sollen?
00:35:04
Außerdem kann er sich überhaupt nicht erklären,
00:35:07
warum ein Internist bei einem starren Leichnam noch Wiederbelebungsversuche unternehmen sollte.
00:35:13
Als würde nicht gerade er wissen, dass diese zu dem Zeitpunkt schon völlig unnütz waren.
00:35:20
1880 trennt sich Daniel von Jörg Liebert.
00:35:22
Sie hat erfahren, dass er sie mit zahlreichen Affären betrogen hat.
00:35:25
Allerdings ist sie fest davon überzeugt, dass er nichts mit dem Tod ihrer Tochter zu tun hat.
00:35:30
Er habe Daniels Kinder immer behandelt wie seine eigenen.
00:35:33
André sieht das anders.
00:35:35
Im selben Jahr, also zwei Jahre nach Kalinkas Tod,
00:35:38
hat er genug Anhaltspunkte gesammelt und erstattet in Frankreich Anzeige gegen Liebert.
00:35:42
Die dortigen Behörden können allerdings nicht sonderlich viel anfangen
00:35:46
mit dem stümperhaften Obduktionsbericht aus Deutschland.
00:35:49
Also entscheidet sich André zu einem drastischen Schritt, um der Wahrheit näher zu kommen.
00:35:54
Er will, dass Kalinkas Leiche exhumiert wird,
00:35:57
in der Hoffnung, dass sie so Spuren finden lassen, die ein Sexualverbrechen belegen könnten.
00:36:01
Tatsächlich ist Kalinkas Leiche auch erstaunlich gut erhalten.
00:36:05
Allerdings fehlt etwas Entscheidendes.
00:36:08
Ihre kompletten Geschlechtsorgane sind nicht im Sarg.
00:36:12
Offenbar wurden sie vor der Bestattung entfernt.
00:36:17
Dabei hätten gerade die endlich für Aufklärung sorgen können.
00:36:21
Besonders, weil in der Zwischenzeit auch die deutschen Behörden die Ermittlungen wieder aufgenommen haben.
00:36:25
Die zuständige Staatsanwaltschaft sagt später in einem Interview zu den fehlenden Geschlechtsorganen,
00:36:31
dass die ja schon vorher untersucht wurden und das Fehlen ja jetzt nur dazu führen würde,
00:36:37
dass keine ergänzenden Untersuchungen gemacht werden könnten.
00:36:40
Ziemlich grotesk in Anbetracht der Tatsache, dass ja die entscheidenden Untersuchungen eben nicht an den Geschlechtsorganen durchgeführt wurden.
00:36:48
Aber das erklärt, warum sich die deutsche Justiz auch nie wirklich bemüht, aufzuklären, wo die Organe denn eigentlich hin sind.
00:36:55
Das weiß keiner?
00:36:58
Aber irgendjemand muss die ja rausgeschnitten haben.
00:37:00
Ja, also die werden wahrscheinlich entnommen worden sein bei der Obduktion.
00:37:05
Und dann einfach?
00:37:07
Und dann wer weiß wohin damit.
00:37:10
Ja, ich finde es einfach, es ist einfach absurd, ja.
00:37:15
1987, fünf Jahre nach Kalinkers Tod, stellt Deutschland die Ermittlungen also wieder ein,
00:37:20
weil es, so meinen die deutschen Behörden, offenbar keinen hinreichenden Tatverdacht gibt.
00:37:24
Im Nachbarland Frankreich sieht das ganz anders aus.
00:37:27
Hier ist man unter anderem durch die Tatsache, dass die Organe fehlen, der Meinung, dass es genug Hinweise auf ein Gewaltverbrechen gibt.
00:37:33
Im Verdacht steht Dr. Liebert, denn verschiedene GutachterInnen äußern, dass es eklatante Widersprüche zwischen den Befunden und den Angaben von Liebert gibt.
00:37:43
Aus dem Fall wird eine Hängepartie.
00:37:45
Eine französische Staatsbürgerin stirbt in Deutschland und die dortigen Behörden, so scheint es, sind an einer Aufklärung und Ermittlung gegen den deutschen Verdächtigen nicht interessiert.
00:37:54
1995 wird Dr. Liebert sogar von einem französischen Gericht in seiner Abwesenheit verurteilt.
00:38:01
Weder Liebert noch ein Verteidiger waren bei dem Verfahren anwesend, weshalb das Urteil später von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gerügt und schließlich von einem französischen Berufungsgericht aufgehoben wird.
00:38:13
Wenn man André zu dieser Zeit in seinem Haus mit der Terrasse, mit dem weiten Blick bei Toulouse besucht, dann kann man sehen, wie sich in seinem Büro die Akten und die Unterlagen stapeln.
00:38:22
Auf dem Boden bleibt kaum ein freier Fleck zum Laufen.
00:38:26
Die deutsche Justiz lässt ihn seiner Meinung nach im Stich.
00:38:29
In dieser Zeit steht er öfter an Kalinkas Grab.
00:38:33
Einmal gibt er ihr dort ein Versprechen.
00:38:35
Er wird alles Menschenmögliche tun.
00:38:37
Er wird nicht ruhen, bis er nicht aufklärt, wer ihr das angetan hat.
00:38:42
Momentan ist der Verdächtige Nummer 1 für André Jörg Liebert.
00:38:46
Vor allem auch deswegen, weil er seine Aussagen bezüglich der Spritzen immer wieder geändert hat.
00:38:51
Statt Blesse meinte er später, habe er damit eine Anämie behandeln wollen.
00:38:55
Von einer Anämie weiß aber in Kalinkas Familie niemand etwas.
00:39:00
Später gibt er dann an, die Anämie wäre die Folge ihrer Periode gewesen.
00:39:04
Ein anderes Mal heißt es, er hätte ihr etwas gegen die Kopfschmerzen injiziert.
00:39:09
André und sein Anwalt Bossi gehen mittlerweile davon aus,
00:39:12
dass Liebert Kalinka an diesem Abend mit verschiedenen Beruhigungsmitteln außer Gefecht setzte,
00:39:16
sie vergewaltigte und sie danach einen Herz-Kreislauf-Schock erlitt und an ihrem Erbrochenen erstickte.
00:39:21
Beweisen können sie das aber nicht und so praktiziert Liebert weiterhin unbehelligt in Lindau,
00:39:27
genießt immer noch den besten Ruf bei seinen Patienten und Patientinnen.
00:39:32
Unter ihnen sind die Schwestern Jana und Svenja.
00:39:35
Als sie 1985, drei Jahre nach Kalinkas Tod, bei ihm in Behandlung sind,
00:39:40
sind sie 14 und 15 Jahre alt und gehen gerade durch eine schwierige Phase.
00:39:44
Ihr Vater hat die Familie verlassen und die Mutter kann sich und die beiden nur mit Mühe und Not über Wasser halten.
00:39:50
Bei Dr. Liebert, der schon lange ihr Hausarzt ist, fühlen sich die Mädchen wohl.
00:39:55
Außerdem scheint er sich um die beiden zu kümmern.
00:39:58
Väterliche Fürsorge, denken sie sich.
00:40:00
Manchmal holt er sie sogar von der Schule ab.
00:40:02
Skeptisch sind sie nicht.
00:40:05
Auch nicht, als Liebert ihre Freundschaft das erste Mal mit einem Kuss besiegeln will.
00:40:09
Und so freuen sich die beiden, als er sie sogar zum Urlaub einlädt und alle Kosten übernehmen will.
00:40:15
Alle gehen zusammen reiten und haben eine tolle Zeit.
00:40:19
Als er aber dann mit der jüngeren Jana zusammen in dem Hotelzimmer, das er für die drei gemietet hat, in dem Doppelbett schlafen will,
00:40:27
weigert sie sich und fleht ihre ältere Schwester Svenja an, dass sie mit ihm dort schläft.
00:40:32
Jana hat irgendwie ein komisches Gefühl, dass er was von ihr will.
00:40:36
Svenja wird an diesem Abend wach, weil sie merkt, wie Dr. Liebert sich an ihr reibt.
00:40:41
Sie dreht sich weg von ihm und bleibt die ganze Nacht wie versteinert auf der Seite liegen.
00:40:45
Warum sie damals nichts dagegen getan haben, können sie heute nicht mehr wirklich sagen.
00:40:51
Aber sie wissen noch, dass sie Angst vor Dr. Liebert hatten.
00:40:53
Auf einem Wochenendtrip in London will Liebert den beiden wie immer eine Eisenspritze, wie er sie nennt, geben.
00:41:00
Jana will diesmal nicht.
00:41:02
Aber Liebert lässt sich nicht abhalten und injiziert sie ihr mit Gewalt.
00:41:06
Danach ist alles schwarz.
00:41:08
Das nächste Mal wird Jana wach, weil sie einen Schmerz in ihrem Arm spürt.
00:41:12
Wieder jagt Liebert ihr eine Spritze in die Vene und erklärt, dass sie einen Eisenschock gehabt habe und er ihr jetzt das Gegenmittel verabreicht.
00:41:19
Als die Schwestern das ihrer Mutter erzählen, hat die nicht wirklich ein offenes Ohr dafür.
00:41:25
Darauf angesprochen, sagt Liebert, das seien die Fantasien einer 14-Jährigen.
00:41:29
Was eine Lüge ist, denn wie Jana und Svenja geht es einigen jungen Frauen in Lindau.
00:41:36
Auch die 14-Jährige Nicole sediert Liebert an einem Abend nach der Sprechstunde in seiner Praxis.
00:41:41
Ebenfalls mit einer Spritze, von der der Doktor behauptet, sie helfe gegen Kopfschmerzen.
00:41:45
Weil Liebert ihr sagt, dass man die in den Po geben muss, zieht Nicole ihre Hose runter.
00:41:50
Danach bekommt sie alles mit, was Liebert macht, kann sich aber weder bewegen noch sprechen.
00:41:55
Sie zeigt ihn erst an, als sie Jahre später, 1997 erfährt, dass er wegen sexuellen Missbrauchs,
00:42:02
widerstandsunfähiger, zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt wird,
00:42:07
weil er eine 16-jährige Patientin in seiner Praxis betäubt und vergewaltigt hat.
00:42:11
Liebert gesteht, Sex mit ihr gehabt zu haben, sagt aber, Zwang hätte es nicht gegeben.
00:42:18
In einem Fernsehinterview fragt eine Reporterin ihn, haben Sie gedacht, sie macht das freiwillig?
00:42:23
Liebert, sie hat nicht Ja gesagt, aber sie hat auch nicht Nein gesagt und hat meine Küsse erwidert.
00:42:30
Am Anfang habe ich sie nur geküsst, dann habe ich sie gefragt, willst du jetzt noch weitergehen?
00:42:36
Da hat sie nur gelächelt.
00:42:37
Gut, ich meine, wer schweigt, der scheint zuzustimmen, hat man im alten Rom gesagt.
00:42:43
Und ich sage nicht, die war begeistert, dass ich das tue, aber ich hatte die Illusion, dass sie einverstanden ist, okay?
00:42:50
Nicoles Anzeige bleibt allerdings ohne Folgen, denn mittlerweile ist die Tat an ihr verjährt.
00:42:56
Trotzdem muss er seine Praxis verkaufen, weil das Gericht ihm ein zweijähriges Berufsverbot auferlegt hat.
00:43:02
Halten tut er sich daran allerdings nicht.
00:43:05
Weswegen er später, 2007, wegen illegaler Berufsausübung in 19 Fällen und auch wegen Betrugs zu zwei Jahren Haft verurteilt wird.
00:43:12
25 Jahre nach Kalinkas Tod ist das Image des tadellosen, charmanten Internisten endgültig Vergangenheit.
00:43:20
Mittlerweile wissen viele, dass Dr. Liebert Dreck am Stecken hat.
00:43:23
Und das ist nicht zuletzt auch Andres Verdienst.
00:43:27
Denn der reist immer wieder nach Lindau an den Bodensee.
00:43:30
Zum einen, um Liebert zu überwachen und ihn einzuschüchtern.
00:43:33
Oft fährt er dann mit dem Auto an seinem Haus vorbei.
00:43:36
Zum anderen aber, um den Menschen dort zu erzählen, warum er genau das tut.
00:43:41
Genugtuung verschafft ihm das allerdings nicht.
00:43:44
André fühlt sich ohnmächtig, weil die deutsche Justiz nie etwas getan hat, findet er.
00:43:50
Denn wenn gleich das Urteil aus Frankreich gegen Liebert aufgehoben wurde, stellt Frankreich 2004 einen für Europa gültigen internationalen Haftbefehl gegen ihn aus.
00:44:00
Deutschland allerdings, wo Dr. Liebert ja immer noch wohnt, verweigert vehement die Auslieferung.
00:44:06
Immerhin sei das Verfahren hier gegen ihn schon längst eingestellt worden.
00:44:11
Frankreich wiederum sieht sich in seiner Zuständigkeit, denn immerhin war Kalinka französische Staatsbürgerin, auch wenn sie in Deutschland starb.
00:44:18
Der Tod von André's Tochter ist mittlerweile fast 28 Jahre her und André ist mittlerweile 71 und Liebert 74 Jahre alt.
00:44:27
Die Zeit läuft gegen die Gerechtigkeit.
00:44:29
André hat außerdem Gerüchte gehört, dass Liebert untertauchen will.
00:44:34
Schon oft hat André daran gedacht, aufzugeben, sich aufzugeben.
00:44:38
Aber er kann den Gedanken nicht ertragen, das Versprechen, das er Kalinka an ihrem Grab gegeben hat, nicht einzuhalten.
00:44:44
Und so reift in ihm langsam der Gedanke heran, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen.
00:44:50
Als André im Oktober 2009 wieder einmal in der Nähe von Lindau ist, meldet sich ein Monsieur A bei ihm.
00:44:57
Er hat von einem Bekannten André's, dessen Geschichte erfahren.
00:45:01
Da er selbst zwei Töchter hat und das Unrecht nicht ertragen kann, möchte er gerne gegen Bezahlung unterstützend behilflich sein.
00:45:08
Und so kommt es, dass sich Liebert vor seinem Haus am späten Abend des 17. Oktobers in der Dunkelheit zwei Gestalten nähern.
00:45:16
Es sind zwei fremde Männer, die er nicht kennt.
00:45:19
Sie packen ihn, er wehrt sich, die Männer prügeln mit Knüppeln auf ihn ein, kleben seinen Mund zu, zerren ihn ins Auto und schlagen die Tür hinter dem ausgenockten Mann zu.
00:45:29
Am nächsten Morgen geht um 3.40 Uhr ein Anruf bei der Polizei im französischen Mühlhausen, wie wir hier sagen, nahe der deutschen Grenze ein.
00:45:38
Ein älterer Herr nennt der Polizei eine Adresse.
00:45:41
Die Beamten und Beamtinnen finden vor einer Toreinfahrt in der Nähe eines Gerichtsgebäudes einen gefesselten und geknebelten Dr. Liebert.
00:45:50
Was für ein Symbolbild.
00:45:51
Er ist übel zugerichtet, verletzt, hat schwere Blutergüsse, Prellungen, ein zugeschwollenes Auge und eine offene Wunde am Kopf.
00:45:59
Der Mann ist desorientiert, weiß nicht, wo er ist.
00:46:02
Nachdem er medizinisch versorgt ist, wird er festgenommen und in ein Gefängnis nach Paris gebracht, weil Fluchtgefahr besteht.
00:46:09
Endlich hat Frankreich Zugriff auf den Mann, der sich schon so lange vor der französischen Strafverfolgung drückt.
00:46:16
In der kommenden Woche wird André zu den neuen Entwicklungen von französischen Medien interviewt.
00:46:21
Ich fühle mich erleichtert.
00:46:23
Jahrelang hat Justitia nicht ihre Pflicht getan.
00:46:26
Jetzt habe ich mein Ziel erreicht.
00:46:27
Der Mörder meiner Tochter kommt vor Gericht, sagt er, obwohl er das noch gar nicht wissen kann.
00:46:33
Denn die deutsche Bundesregierung ist gar nicht einverstanden damit,
00:46:36
dass ein hier als unschuldig geltender Bürger nach Frankreich geschleppt und dort festgehalten wird.
00:46:43
Allerdings hat Deutschland keine Druckmittel in der Hand und kann nur durch gutes Zureden versuchen,
00:46:48
dass Liebert wieder hierher gebracht wird.
00:46:51
Wenig später wird auch André in Frankreich festgenommen, nachdem er einem Radiosender sagt, dass er die Entführung organisiert habe.
00:46:59
Was die Öffentlichkeit angeht, ist das Urteil schon gefällt.
00:47:03
In beiden Ländern berichten Medien von dem Vater, der nie aufgegeben hat und den Tod seiner Tochter recht.
00:47:08
Er wird als Held gefeiert.
00:47:10
Seine Tat wird damit gerechtfertigt, dass ihm ja keine Wahl gelassen wurde, wenn die Justiz so versagt.
00:47:16
Ende 2011 wird Dr. Liebert zu 15 Jahren Haft wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt.
00:47:24
Seine Unschuldsbeteuerungen haben in Frankreich nicht gefruchtet.
00:47:27
Er hatte dem Gericht und auch Daniel, die sich bis zu diesem Zeitpunkt aus fast allem rausgehalten hatte,
00:47:33
geschworen, dass er Kalinka niemals etwas angetan habe.
00:47:37
Der Staatsanwalt aber war sich sicher, dass Liebert geplant hatte, Kalinka zu vergewaltigen,
00:47:42
sie gefügig machte, sie tötete, auch wenn er es nicht vorsätzlich tat.
00:47:46
Ein Berufungsgericht bestätigt das Urteil ein Jahr später.
00:47:50
Doch auch André wird vor Gericht gestellt.
00:47:52
Seine Vorgeschichte rechtfertigt seine Tat nicht und auch die muss gesühnt werden.
00:47:57
Im Juni 2014 wird er wegen Verschleppung zu einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
00:48:02
Er versteht das Urteil, ist aber auch enttäuscht, dass man ihm nicht eingesteht,
00:48:06
dass sein moralischer Zwang, wie er es nennt, ihn zum Handeln gezwungen hat.
00:48:11
In einem Interview mit der Süddeutschen sagt er, dass dieser Transport für ihn das einzige Mittel war,
00:48:17
damit Liebert diesmal in dessen Anwesenheit der Prozess gemacht wird.
00:48:21
Die Journalistin, Transport?
00:48:23
Das war eine Entführung.
00:48:26
Ja, ich sollte Entführung sagen, weil ich deswegen von der französischen Justiz verurteilt wurde.
00:48:32
Ihm ist wichtig, dass die Menschen verstehen,
00:48:35
dass er nicht den Verstand über den Verlust seiner Tochter verloren hat,
00:48:38
sondern einfach handeln musste, wie er sagt.
00:48:41
In all den Jahren hatte er durch den Schmerz enormen Stress.
00:48:45
Die seelische Belastung endete aber in dem Moment, als er das unternahm,
00:48:48
wozu sich die deutsche Justiz jahrelang geweigert hatte.
00:48:51
Er wollte nie Selbstjustiz üben, einfach nur, dass die Behörden ihre Arbeit machen, so André.
00:48:56
Madame, sagte einer Journalistin der Zeit,
00:49:00
es geht hier nicht um Gefühle, nicht mal um Rache oder Zorn,
00:49:04
nicht einmal um Liebe.
00:49:07
Dass Kalinka ihm genommen wurde, ist nicht wieder gut zu machen, sagt er.
00:49:11
Sie wird nie wieder mit ihm auf der Terrasse sitzen
00:49:14
und von dort aus sehen, wie die Blätter an den Bäumen
00:49:16
auf den Feldern im Sommer grün und saftig
00:49:18
und im Herbst erst gold und braun werden und dann zu Boden fallen.
00:49:22
Aber man müsse doch, so André, dafür sorgen,
00:49:25
dass Chaos und Willkür Einheit geboten werden.
00:49:28
Bedauern kann er das, was er getan hat, nicht.
00:49:31
Er schämt sich nur dafür, dass er es nicht selbst getan hat.
00:49:37
Also, dieser Fall ist einfach so krass.
00:49:43
Also, das ist eigentlich wie aus einem Film.
00:49:46
Also, sowas kann man sich gar nicht ausdenken.
00:49:48
Wurde auch verfilmt.
00:49:50
Aber, ja, verständlicherweise.
00:49:53
Aber, also, dass es so lange gedauert hat,
00:49:57
bis es dann letztendlich zu der Vergeltung des Unrechts kam,
00:50:03
das finde ich irgendwie erstaunlich, weil das hätte ja schon viel früher stattfinden können.
00:50:09
Du meinst, dass der Vater das nicht eher gemacht hat?
00:50:11
Ja, seine Hoffnung wurde ja durch die immer wieder aufgenommenen Verfahren,
00:50:17
mal in Deutschland, mal in Frankreich, ja auch immer wieder gefüttert.
00:50:23
Ich finde es ja auch ein Witz, dass Deutschland auch schon weiß,
00:50:26
der hat sowas schon, also, ne?
00:50:28
Deutscher hat dann ja irgendwann gerafft, ja, der macht das öfter,
00:50:32
hier gehen jetzt irgendwie sechs Klagen gegen den ein und der wird sogar verurteilt,
00:50:37
wird nachher nochmal verurteilt, weil er irgendwie dann trotzdem weiter praktiziert
00:50:40
und sie kommen aber nicht darauf, mal das erste Verbrechen, was bekannt ist,
00:50:45
übrigens nicht das erste, das kann ich dir gleich gerne nochmal erzählen,
00:50:47
aber das Verbrechen an Kalinka vielleicht nochmal zu untersuchen.
00:50:52
Ja, ich kann mir nur vorstellen, dass sie sich ja nicht eingestehen wollten,
00:50:55
dass sie Fehler da gemacht haben, weil ganz ehrlich, das liegt ja komplett auf der Hand.
00:51:00
Und weißt du, was mich auch total stört?
00:51:02
Da habe ich jetzt leider keine näheren Informationen so zu gefunden,
00:51:05
aber alleine die Tatsache, dass dieser Vaginalriss posthum zugefügt wurde,
00:51:10
wo ich mir so denke, mag sein, dass er sie nicht vorsätzlich getötet hat,
00:51:15
aber man kann schon mal die Frage stellen, ob ein Arzt es nicht wissen müsse,
00:51:20
dass der Körper, an dem der sich ja da gerade vergangen hat, kein Puls mehr hat.
00:51:26
Aber du meinst eben, das war nicht dein erstes Verbrechen anscheinend, das mit Kalinka?
00:51:33
Ja, also mal abgesehen davon, dass er ja schon als Arzt vorher lange Zeit praktiziert hat
00:51:37
und ja keiner sagen kann, wann er überhaupt mal damit angefangen hat,
00:51:40
gibt es tatsächlich die Vermutung, dass er seine erste Frau auch schon umgebracht hat.
00:51:45
Die war übrigens erst 15, als er sie kennengelernt hat.
00:51:48
Und die musste offenbar in dem Alter schon sein erstes Kind abtreiben.
00:51:53
Und ihre Eltern sagen später, dass die Ehe von den beiden total gewalttätig war.
00:51:59
Also sie hatte ihnen gegenüber immer erwähnt, dass er brutal zu ihr ist.
00:52:04
Und diese Frau Monika hieß die, die erkrankte 69, aber die haben nie rausgefunden, was diese Krankheit ist.
00:52:11
Die wurde innerhalb von Monaten erst stumm, dann blind und dann gelähmt.
00:52:17
Und dann starb sie im Alter von 24 an einer Hirnblutung, nachdem Liebert ihr offenbar eine Injektion verabreichte.
00:52:26
Und in Anbetracht dessen, ich will nicht sagen, dass das gut ist, was der André gemacht hat,
00:52:32
aber der Liebert hatte einfach so viel auf dem Kerbholz, dass der auf jeden Fall irgendwann mal hätte bestraft werden müssen.
00:52:39
Lieberts Anwalt hatte sich total aufgeregt, weil er meinte, wenn Unrecht verübt wird,
00:52:44
dann muss doch der vorherige Zustand von den Behörden wieder hergestellt werden.
00:52:49
Und was er damit meinte, ist, dass Frankreich mal schön den Liebert wieder zurück nach Deutschland hätte buxieren sollen.
00:52:55
Und da kommt jetzt die Frage, kann Recht, was durch Unrecht geschieht, überhaupt Recht sein?
00:53:02
Weil André wurde ja selbst kriminell und wäre er das nicht geworden, hätte Frankreich kein Recht sprechen können.
00:53:09
Also das Problem bei André war ja, dass sich die deutsche Justiz nie um Recht gekümmert hat, was ja schon ein Unrecht ist.
00:53:18
Und so hat er ja quasi das Unrecht mit Unrecht bekämpft, weil er hat ja selber Unrecht begangen.
00:53:26
Und das ist für mich Selbstjustiz, aber dadurch, dass André ja auch für seine Tat bestraft wurde,
00:53:34
ist das Recht, was dann über den Liebert gesprochen wurde, gerecht für mich.
00:53:39
Ja genau, ich finde, man muss einfach beide Sachen unabhängig voneinander sehen.
00:53:43
Weil das Recht, was dann über den Liebert gesprochen wurde, das verliert ja nicht an seinem Recht,
00:53:48
nur weil der Weg dahin Unrechtes enthielt sozusagen.
00:53:54
Und wäre der Weg rechtens gewesen, dann hätte das ja auch nichts geändert.
00:53:58
Also so oder so, das Urteil, was dann über den Liebert gesprochen wurde, war Recht.
00:54:04
Er hätte ja auch selber mal nach Frankreich fahren können und dann hätten sie ihn da festgenommen und dann wäre er einfach so verurteilt worden.
00:54:11
Nächsterweise war er so dämlich, dass er sogar einmal nach Österreich gefahren ist und die den Länder festgehalten haben, aber auch nicht nach Frankreich ausgeliefert haben.
00:54:18
Ich würde ja bei dem Fall sogar so weit gehen und sagen, dass das gar nicht unbedingt ein Fall von Selbstjustiz ist.
00:54:25
Weil die Intention war ja ganz klar eine andere.
00:54:29
Weil er selbst wollte ja das Recht gar nicht sprechen.
00:54:31
Er wollte sich ja auch nicht über die Justiz erheben und ihn bestrafen.
00:54:37
Er wollte ja nur, dass er von der richtigen Instanz überhaupt bestraft werden kann, was er nicht konnte, solange er in Deutschland ist.
00:54:45
Anders wäre es gewesen, wenn er gesagt hätte, verprügelt mir den mal und lasst den da.
00:54:51
Dann hätte ich sogar gesagt, es ist Selbstjustiz, einfach nur um dem eins auszuwischen.
00:54:56
Aber das war ja gar nicht sein Grund.
00:54:58
Meiner Meinung nach hat er das Recht in seine Hände genommen und gegen Recht verstoßen, um das zu schaffen, was er will.
00:55:07
Und nur durch ihn wurde ja geschafft, dass dieser Doktor überhaupt verurteilt wird und dass er bestraft wird.
00:55:13
Und das hätte er nicht machen dürfen.
00:55:15
Und obwohl ich selbst total eigentlich dagegen bin, dass man das selber macht, kann ich verstehen, dass man sagt, wenn es die Justiz nun aber mal nicht tut, dann...
00:55:28
Ja, ich glaube, bei diesem Fall können das ziemlich viele nachvollziehen.
00:55:33
Ich habe mich für mein Aha ein bisschen mit der allgemeinen Auffassung von Rache und Vergeltung beschäftigt, weil ich in diesem Fall halt nicht das Gefühl hatte, dass André Bambersky wirklich Rache genommen hat, wie es einige Medien beschrieben haben.
00:55:46
Eine einheitliche Definition gibt es jetzt nicht, aber oft wird Rache als Extremform von Vergeltung gesehen.
00:55:53
Und sie soll emotionsgetrieben und oft auch übertrieben sein, wohingegen Vergeltung eher als verhältnismäßige Strafe angesehen wird, auch wenn sie halt nicht immer rechtens ist.
00:56:05
Und das Sprichwort heißt ja auch Gleiches mit Gleichem vergelten.
00:56:08
Das ist jetzt aber nur die emotionale Sicht.
00:56:11
Rechtlich gesehen geht es da ja eher darum, eine qualitativ angemessene Strafe zu verhängen.
00:56:17
Und dafür haben wir Gesetze, die sagen, ein Mord wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe vergolten, weil es so schwer wiegt.
00:56:24
Ja, und dabei wird ja nicht einfach nur dann ins Gesetzbuch geschaut und dann irgendwie gesagt, ah, Mord gleich 15 Jahre, sondern da gucken die ja auch auf alle Umstände, die da drumherum geherrscht haben, die das Urteil ja dann entweder noch verschärfen können oder abmildern, um das halt so gerecht wie möglich zu machen.
00:56:44
Bei Selbstjustiz ist es aber ja meist nur gerecht im Auge derer, die sie eben ausüben.
00:56:51
Und in Deutschland ist das verboten, weil Vergeltung von Straftaten soll hier halt nur der Staat regeln.
00:56:57
Und durch Artikel 20 des Grundgesetzes ist das nämlich so, dass jeder deutsche Staatsbürger beziehungsweise Staatsbürgerin die Ausführung der Gewalt und die der Rechtsprechung den staatlichen Organen überträgt.
00:57:09
Also Polizei, Justiz und Behörden.
00:57:12
Aber das war ja nicht immer so.
00:57:16
Vor 1495 wurde das Gesetz hier von den BürgerInnen nämlich selbst geregelt.
00:57:22
Und da war Selbstjustiz erlaubt.
00:57:26
Das war aber im Mittelalter.
00:57:28
Ja, aber ziemlich lange gab es keine übergeordnete Stelle, die das gemacht hat.
00:57:33
Und deswegen wurde das zum Beispiel durch die sogenannte Fede geregelt.
00:57:37
Im Mittelalter hatten die Familienangehörigen nämlich die Pflicht, einen Mord eines Angehörigen zu rächen.
00:57:44
Also die Familie des Täters, hier wird nicht gegendert, weil das Recht galt nur Männern, konnte der Opferfamilie dann beispielsweise Vieh oder Geld anbieten, um halt die davon abzuhalten, ihren Angehörigen umzubringen.
00:57:57
Und da war dann auch ganz genau vorgeschrieben, wie viel Geld jetzt welche Tat wert war oder gekostet hat.
00:58:03
Aber es war halt oft so, dass die Verwandten von dem Ermordeten zu stolz waren, um sich jetzt ihr Racherecht abkaufen zu lassen und dass sie ihn dann doch lieber töteten.
00:58:14
Nach dem Motto des Alten Testaments Auge um Auge, Zahn um Zahn.
00:58:19
Was ich daran nicht so wirklich verstehe, wenn es so wäre, also Beispiel, Vater von Familie A tötet ältesten Sohnen aus Familie B, dann wäre es so, dass Familie B Vater von Familie A tötet.
00:58:36
Aber eigentlich würde ich ja sagen, müsste Familie B doch ältesten Sohn von Familie A töten.
00:58:44
Ja, wenn man das so sagen würde, Auge um Auge, weil dann die gleiche Person umgebracht wird und das das gleiche Leid dann ist sozusagen.
00:58:52
So würde ich das interpretieren oder man sagt halt einfach, Leben ist gleich Leben und deswegen ist es egal, wessen Leben das ist.
00:58:58
Aber für die Familie, dass die den ähnlichen Schmerz erfährt, wäre das ja so eigentlich logischer.
00:59:05
Ja, es gab aber schon Regeln, also Fähderegeln, an die man sich da gehalten hat und eine davon war, dass man eben keine Unschuldigen töten soll.
00:59:15
Und eine andere Regel war, dass die Fäde durch einen Brief förmlich angekündigt werden musste und dass die auch zum Beispiel nicht in der Kirche stattfinden darf und dann später gab, durfte die nicht an einem Sonntag stattfinden und so weiter.
00:59:30
Also es gab da schon Regeln.
00:59:31
Das Problem war aber, dass wenn die eine Familie den Täter dann als Vergeltung getötet hatte, dann hatte die andere Familie wiederum das Fähderecht.
00:59:41
Also, dass die dann wieder...
00:59:45
Aber dann wäre es doch ausgeglichen gewesen und dann geht das weiter oder was?
00:59:48
Ja, aber eigentlich nach deiner Logik ja auch nicht so richtig ausgeglichen und wahrscheinlich haben die sich das auch gedacht und haben dann einfach immer weitergemacht.
00:59:56
Auf jeden Fall wurden so ganze Familien gegenseitig, haben die sich halt ausgerottet.
01:00:01
Also das ergibt ja richtig Sinn.
01:00:03
Also wenn Vater aus Familie A ältesten Sohn von Familie B tötet, dann ziehen alle gleich ein langes Gesicht, weil das für alle das Todesurteil bedeutet.
01:00:12
Wobei, nee, warte mal.
01:00:14
Also wenn es gleich viele Familienmitglieder sind, dann bleibt immer eine Person übrig von der Familie, die angefangen hat, weil dann von der, die zuerst einen verloren hat, keiner mehr übrig ist zum Rechen.
01:00:28
Das ist ja voll unfair.
01:00:29
Oh mein Gott. Paulina, du hast verstanden, warum das nicht funktioniert hat.
01:00:35
Aber wenn der Staat die Strafverfolgung regelt, also nicht wie damals, sondern wie heute, dann gibt es eigentlich keinen Grund für Selbstjustiz.
01:00:44
Und deshalb passiert das in Deutschland auch nur selten.
01:00:46
Ganz anders ist es logischerweise in Ländern, in denen der Staat dann aus welchen Gründen auch immer das halt nicht kann, weil er korrupt ist oder halt nicht die finanziellen oder personellen,
01:00:58
Möglichkeiten hat.
01:00:59
So ist es nämlich zum Beispiel in Guatemala, wo nur fünf Prozent aller Morde…
01:01:03
Noch einmal Guatemala sagst, dann schaller ich dir ein.
01:01:07
So ist es zum Beispiel in Guatemala, wo nur vier Prozent aller Morde vor Gericht verhandelt und bestraft werden.
01:01:15
Also die Fälle von Selbstjustiz sind da so hoch wie nirgends anders auf der Welt und werden natürlich dann auch nicht geahndet.
01:01:22
Hier ist das ja zum Glück nicht so.
01:01:24
Hier beschäftigen sich die Gerichte damit und Rache kann sich ja im Zweifel auch auf die Haftstrafe auswirken.
01:01:31
Denn Rache kann als niedriger Beweggrund und damit halt als Mordmerkmal gelten, wenn, so sagt der BGH, die Gefühlsregung, die ihr vorhergeht, ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruht.
01:01:45
Also sittlich auf tiefster Stufe steht und Ausdruck einer besonders verachtenswerten Gesinnung ist, sagt man ja so.
01:01:51
Also nicht menschlich verständlich ist.
01:01:54
Also ich will sagen, wenn Jannis Clemens kränkt und Clemens Jannis in seiner Verletztheit dann tötet,
01:02:02
dann wird das nicht per se als Mord qualifiziert, nur weil Clemens sich halt rächen wollte.
01:02:08
Weil es sein kann, dass Clemens dann einen vermeintlichen Anlass sozusagen dafür hatte, was ihn in diese Gefühlslage gebracht hat.
01:02:17
Aber ich sag mal ein Beispiel, wo Rache als niedriger Beweggrund gilt.
01:02:22
Im Zweiten Weltkrieg 1944 hatte Frank C. eine Heeresgruppe in der Toskana in Italien angeführt.
01:02:29
Die Gruppe sollte eine Brücke reparieren, die von Partisanen gesprengt wurde.
01:02:34
Einige Männer sollten dazu Fahrzeuge beschaffen, ging dann also vom Heer weg.
01:02:41
Dabei wurden zwei von ihnen aus dem Hinterhalt von Partisanen erschossen.
01:02:46
So und das Heer konnte die Täter aber nicht ausmachen.
01:02:51
Frank C., der Anführer, plante eine Racheaktion und befahl am nächsten Tag, alle in der Gegend erreichbaren Männer, ganz normale Zivilisten, festzunehmen.
01:03:03
Das waren dann neun Männer, darunter zwei Teenager.
01:03:06
Und es gab gar keine Hinweise darauf, dass auch nur einer von ihnen aus dem Hinterhalt auf die deutschen Soldaten geschossen hatte
01:03:14
oder überhaupt irgendwie Kontakt mit diesen Partisanen hatte.
01:03:16
Alle neun Männer wurden in ein Haus gefärscht, das danach auf Befehl von Frank C. gesprengt wurde.
01:03:23
Und das soll die Rache an den Partisanen gewesen sein, die auf seinen Heer geschossen haben.
01:03:29
Auf die zwei Männer sozusagen, ja.
01:03:32
Das Landgericht München verurteilte Frank C. am 11. August 2009 zu lebenslanger Haftstrafe wegen mehrfachen Mordes.
01:03:39
Der BGH verwarf dann später die Revision von Frank C., weil er meinte, diese Tötung war halt vorbereitet und aus Rachsucht motiviert.
01:03:49
Weil die Männer, das waren ja alles Unschuldige und deswegen gab es halt auch keinen Anlass für diese Vergeltung.
01:03:55
Und nicht mal diese Ausnahmesituation, Krieg, in dem sie sich ja damals befanden, könne so ein Verhalten rechtfertigen, meinte der BGH.
01:04:02
Und diese Tat sei nämlich willkürlich, menschlich nicht verständlich und offenbare eine niedrige Gesinnung.
01:04:08
Das ist so ein Fall, wo das als niedriger Beweggrund gelten würde.
01:04:12
Selbstjustiz an sich ist im Übrigen kein eigener Straftatbestand.
01:04:17
Also ich fand das so ein bisschen verwirrend, wenn man in der Überschrift liest, Selbstjustiz ist strafbar.
01:04:23
Also die Taten, die man dabei begeht, die sind strafbar und die werden geahndet, aber Selbstjustiz an sich ist kein Straftatbestand.
01:04:33
Anders ist es, wenn man andere auffordert, Straftaten zu begehen, wie offenbar gerade in Neumünster passiert.
01:04:40
Wir haben Post von einer Hörerin bekommen, via Instagram und die hat uns auf den Fall aufmerksam gemacht.
01:04:46
Und zwar hatte da jemand in einer lokalen Gruppe auf Facebook ein Foto eines Obdachlosen gepostet und dazu geschrieben,
01:04:55
Wir erinnern uns an den Fall, Laura hatte nämlich gerade erst in Folge 58 davon erzählt.
01:05:17
Und warum, Laura, kann das nicht sein, dass dieser auf dem Foto gezeigte Obdachlose der Mörder von Jennifer H. war?
01:05:25
Weil der Mörder sich das Leben genommen hat im Knast.
01:05:29
Ja. Und was passierte dann? Der Obdachlose wurde gleich nach diesem Post angegriffen, obwohl er 0,0 damit zu tun hat.
01:05:38
Und die Polizei, die musste das dann überall auf Facebook richtigstellen und der, der den Post abgesetzt hat, der wird jetzt strafrechtlich deswegen verfolgt, so die Polizei.
01:05:47
Und auf sowas stehen tatsächlich bis zu fünf Jahre Haft.
01:05:51
Etwas, was im Kontext von Selbstjustiz auch immer mal wieder auftaucht, sind die sogenannten Bürgerwehren.
01:05:56
Also so Nachbarschaftswachen, die sich ja auch häufig in sozialen Netzwerken formieren.
01:06:02
Und der Begriff Bürgerwehr ist so ein bisschen irreführend, weil der aus einer Zeit kommt, in der man halt als Bürger,
01:06:09
und da gender ich auch aus Gründen wieder nicht, zur Verteidigung seiner Stadt halt verpflichtet war.
01:06:15
Aber heute bezeichnet der Begriff halt freiwillige, private Gruppen und die sind nicht vom Staat bestellt und haben auch nicht irgendwelche Hoheitsrechte oder so.
01:06:23
Die werden aber trotzdem zum Beispiel gegründet, um Straftaten vorzubeugen, indem die halt dann durch die Nachbarschaft patrouillieren und dann zum Beispiel bei verdächtigem Verhalten einschreiten.
01:06:34
Also wenn die irgendwas sehen, was verdächtig ist, dass sie dann schon mal die Polizei rufen oder sich irgendwie bemerkbar machen, damit es nicht zu einer Straftat kommt.
01:06:42
Diese Bürgerwehren werden aber von der Polizei als problematisch eingeschätzt, weil es halt manchmal nicht dabei bleibt, nur die Behörden einzuschalten,
01:06:51
sondern dazu, dass halt Gewalt angewandt wird, wie 2016 im kleinen Städtchen Arnsdorf in Sachsen.
01:06:58
Da hatten nämlich vier Männer einen psychisch kranken irakischen Geflüchteten aus einem Supermarkt gezerrt, verprügelt und mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt.
01:07:08
Ich erinnere mich. Ganz schlimm.
01:07:10
Und der Grund soll halt gewesen sein, dass dieser Geflüchtete eine Mitarbeiterin des Supermarkts mit einer Flasche bedroht haben soll.
01:07:19
Und es gibt ein Video, das jemand mit dem Handy aufgezeichnet hat und darauf sieht man von einer Bedrohung der Mitarbeiterin nichts.
01:07:27
Also man sieht ihn, wie er eine Flasche in der Hand hat und es ist ein Streitgespräch.
01:07:32
Ja, und das geht auch schon so zwei, drei Minuten und man merkt davon nichts.
01:07:37
Aber plötzlich sieht man, wie vier Männer straight, also gleichzeitig durch die Tür des Supermarkts kommen auf diesen Mann zu, den packen.
01:07:48
Und der wehrt sich dann und dann verprügeln die den, also hauen richtig, das sieht man alles auf dem Video und bringen den halt raus.
01:07:56
Mehr sieht man nicht.
01:07:57
Und am Ende des Videos hört man eine Frau sagen, schon schade, dass man eine Bürgerwehr braucht.
01:08:03
Und im Nachhinein erklären diese vier Männer, sie hätten Zivilcourage gezeigt.
01:08:10
Und die werden auch noch vom zuständigen Polizeipräsidenten für diese Aktion gelobt.
01:08:15
Weil dann aber ganz Deutschland empört war, wie du dich auch noch erinnern kannst, kam es dann doch zu einer Anklage wegen Freiheitsberaubung, weil die den ja einfach mitgenommen haben.
01:08:25
Die wurde aber eingestellt.
01:08:27
Ja, und zwar, weißt du warum?
01:08:30
Weil der dann schon tot war.
01:08:32
Die Leiche wurde stark verwest in einem Wald gefunden und vermutlich ist er halt erfroren.
01:08:38
Ja, und so fehlte halt das Opfer in dem Prozess.
01:08:42
Ich weiß noch, dass das am Anfang viel darum ging, ob man überhaupt tätig werden darf.
01:08:48
Also wenn man jetzt davon ausgeht, dass er diese Kassiererin da bedroht hat, weil sie sagte ja, sie fühlte sich bedroht mit dieser Weinflasche, wobei er sich die eigentlich eher selber gegen den Kopf geschlagen hatte.
01:08:59
Auf jeden Fall hatte man das damals mit dem Jedermannsgesetz gerechtfertigt.
01:09:04
Dass halt jeder das Recht hat, jemanden vorläufig festzunehmen, wenn sie eine Person auf frischer Tat ertappt haben oder Fluchtgefahr besteht und wenn man die Identität nicht feststellen kann.
01:09:16
Das Ding ist nur, dass man ja auch da keine unverhältnismäßige physische Gewalt anwenden darf, aber das war ja sowas von klar.
01:09:27
Unverhältnismäßig.
01:09:30
Es war halt auch so, nicht dass Leute, die da jetzt drum herum standen und eh dabei waren, eingegriffen haben, wie ich mir das vorstelle bei einem Jedermannsprinzip oder Gesetz, dass wenn irgendwas auf der Straße passiert und du kriegst das mit und du hältst den fest, der gerade der Oma die Tasche geklaut hat.
01:09:46
Aber das war da nicht so. Da kamen ja dann diese vier offensichtlich von anderen Menschen herbeigerufene Leute rein.
01:09:54
Ja, weil die halt den ganzen Tag schon versucht hatten, den aus dem Supermarkt zu bekommen und das hat halt nicht funktioniert.
01:10:00
Und dann haben es halt diese Leute mit Gewalt gemacht.
01:10:02
Mir fällt das immer so schwer nachzuvollziehen, was Menschen an so einem Moment antreibt.
01:10:09
Ja, also diese Männer haben sich ja im Recht gesehen auf jeden Fall und wollten diesen Menschen bestrafen.
01:10:17
Und dass wir so ein Bedürfnis, also generell ein Bedürfnis nach Vergeltung haben, das ist halt ganz normal und das ist damit zu begründen, dass das halt für unser Zusammenleben als Gemeinschaft wichtig ist.
01:10:30
Weil eben, wenn es keine Vergeltung für Unrecht geben würde, dann würden wir eben, wie André aus seinem Fall auch gesagt hat, in totaler Willkür leben und im Chaos sozusagen versinken.
01:10:42
Weil jeder ja dann machen würde, was er will und dann Anarchie überall herrschen würde.
01:10:48
Es ist also quasi für unser Überleben als Kollektiv nötig und auch fest in uns verankert, dass das passieren muss und dass es uns sonst gegen Strich geht.
01:10:56
Und wenn das dann eben mal nicht passiert, dass Unrecht vergolten wird, weil die Polizei nicht richtig arbeitet oder aus irgendwelchen anderen Gründen, dann sind wir halt auch dazu fähig, Selbstjustiz zu üben.
01:11:09
Und das machen Menschen dann, weil sie halt glauben, dass sie nur so dieses gefühlte Gleichgewicht wiederherstellen können oder in ihren Augen eben Gerechtigkeit wiederherstellen können.
01:11:19
Und sie glauben auch, dass es ihnen danach besser geht, also wenn sie dann diesen Vergeltungsakt hinter sich haben.
01:11:27
Das war ja zum Beispiel bei André so.
01:11:29
Also er hat auch gesagt, dass es ihm viel besser ging einfach danach, dass er da endlich Ruhe finden konnte und auch anfangen konnte zu trauern das erste Mal.
01:11:40
Das konnte der halt vorher alles nicht.
01:11:42
Ja, bei Kemal aus meinem Fall war es so, dass er zwar über seinen Verteidiger hat verlauten lassen, dass es ihm leid tut.
01:11:49
Und der Vater, dem ging es ja auch richtig schlecht beim Prozess.
01:11:54
Aber direkt nach der Tat hatte Kemal zu den Polizisten und den Polizistinnen gesagt, dass es ihm Spaß gemacht hatte, Stefan H. zu töten.
01:12:03
Was während so einer Vergeltung dann im Kopf passiert, das haben vor einigen Jahren Forscherinnen der Universität Zürich untersucht.
01:12:13
Und da haben sie in Experimenten dann immer zwei Menschen um Geld spielen lassen.
01:12:18
Eine Person davon war von den ForscherInnen einbestellt und die sollte dann die andere über den Tisch ziehen.
01:12:24
Und diese andere Person war an einen Tomografen angeschlossen und der hat dann die Gehirnaktivitäten gemessen.
01:12:30
Und nach dem Spiel hat die betrogene Person dann die Möglichkeit bekommen, sich an dem unfairen Gegenspieler oder der unfairen Gegenspielerin zu rächen.
01:12:39
Das kostete allerdings Geld.
01:12:42
Wie viele oder wie viel Prozent der Versuchspersonen, glaubst du, haben diese Möglichkeit gewählt?
01:12:49
Ja, also sogar noch mehr. Es haben fast alle diese Möglichkeit gewählt.
01:12:55
Glaubst du, du hättest die auch gewählt?
01:12:58
Die Bilder, die von dem Tomografen aufgezeichnet wurden, während die Personen sich für die Vergeltung entschieden,
01:13:08
die zeigten, dass in diesen Momenten das Areal im Gehirn angeht, das auch dann angeht,
01:13:15
wenn wir uns zum Beispiel auf Süßigkeiten, Sex oder Alkohol freuen.
01:13:19
Also, das heißt, während wir uns für eine Vergeltung entscheiden, geht es uns besser.
01:13:27
Dass es aber nicht für die Zeit danach gilt, das zeigt ein anderes, ganz ähnliches Experiment.
01:13:34
Da wurden alle Probanden und Probandinnen nach dem Spiel gefragt, wie zufrieden sie sind.
01:13:39
Und es zeigte sich, die, die sich für eine Vergeltung des Bösewichts entschieden hatten,
01:13:45
waren danach weniger zufrieden als diejenigen, die die Möglichkeit nicht gehabt hatten.
01:13:49
Und auch zehn Minuten nach der Bestrafung dachten diese Leute immer noch intensiv
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über das Verhalten des Übeltäters bzw. der Übeltäterin nach.
01:13:59
Und eine mögliche Erklärung ist für die WissenschaftlerInnen, für die Menschen,
01:14:03
die das Ziel der Vergeltung verfolgen, dass Unrecht länger präsent bleibt,
01:14:08
wobei bei den Personen, die halt solch eine Option nicht bekommen haben oder diese einfach nicht für sich sehen,
01:14:14
dass die ihre Aufmerksamkeit schnell halt wieder auf andere Dinge lenken.
01:14:19
Ja, sehe ich irgendwie nicht so.
01:14:21
Weil du denkst, dass es dir eben besser geht, wenn du sozusagen eine Vergeltung…
01:14:32
Ja, wenn ich die Option habe und die dann auch ausführe, wenn ich das machen will.
01:14:38
Sprichst du da aus Erfahrung?
01:14:45
Also hast du schon mal Vergeltung verübt, sag mal?
01:14:49
Ja, und eigentlich weißt du das auch.
01:14:52
Und das hatte ich nämlich in der Vergebungsfolge schon mal erzählt.
01:14:55
Weil mir persönlich ist das ja ganz wichtig, anderen Menschen zu zeigen,
01:14:59
du machst das mit mir nicht nochmal, denn du bezahlst dafür.
01:15:02
Also auch schon allein, um weitere solcher Sachen zu verhindern.
01:15:08
Also ich würde hart gegen diese Forschungsergebnisse sprechen.
01:15:12
Ich weiß nicht, ob mein Hirn dann vielleicht anders funktioniert oder so.
01:15:16
Aber ich habe doch mal von meinem fiktiven Weingut berichtet,
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was da unrechtmäßig zur Hälfte an einen von mir getauften Clemens gegangen ist.
01:15:27
Und das Weingut habe ich doch dann aber so abgesteckt in dieser Geschichte,
01:15:33
dass er nur die eulen Trauben kriegt.
01:15:36
Und für meinen Geschmack hätte er da noch mehr Rache verdient gehabt, ist aber auch egal.
01:15:43
Mir ist so wichtig, ich zehre da heute noch von, dass ich mich gewehrt habe und halt nicht untätig geblieben bin.
01:15:49
Ist natürlich vor allem dann eher befriedigend, wenn die Person dann auch weiß,
01:15:54
dass man das Gleichgewicht auf eine Art wiederherstellt, aber auch okay.
01:15:58
Also die Person, die sollte dann deiner Meinung nach schon wissen, dass das jetzt von dir kam.
01:16:03
Also wäre nett natürlich, aber ich lache mir auch einen, wenn der nicht weiß, dass das von mir kommt
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und ich mir vorstelle, wie der alles abfault, dann wäre ich auch okay mit.
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Und in dem Fall kann ich das verstehen, aber bei mir ist es zum Beispiel so,
01:16:18
mir ist Rache einfach viel zu aufwendig in der Regel.
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Wenn jemand mir wirklich Schaden zufügt, eine Person, die ich mag,
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dann würde ich wahrscheinlich einfach die Person aus meinem Leben erstmal verbannen,
01:16:33
bis sie sich richtig entschuldigt hat und auf Knien dann zurückkommt.
01:16:37
Aber ich würde, glaube ich, nicht die Energie aufwenden, dieser Person dann zu schaden.
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Also da bin ich dann wahrscheinlich eher, würde in dieses Schema dieser Experimente passen,
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weil ich mich dann einfach schneller was anderem wieder zuwende,
01:16:54
um nicht die ganze Zeit daran erinnert zu werden.
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Also ich würde auch sagen, dass ich das gar nicht so präsent im Kopf habe,
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aber zum Beispiel auch meinem Therapeuten, der mich damals gefragt hat,
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ob ich den irgendwie zwischenmenschlich anziehend finde.
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Dem hätte ich auch gerne mal so ein kleines Präsent von Fussel in den Briefkasten gelegt.
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So gar nicht unbedingt mit einer Grußkarte von mir und gar nicht, dass der weiß von wem.
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Das ist einfach nur, dass ich das Bild in meinem Kopf habe, wie der das da rauszieht und sich dann wundert.
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Und das ist mir auch nicht wichtig oder so, aber heute denke ich mir manchmal auch,
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hätte ich das mal gemacht, hätte ich irgendwie amüsant gefunden.
01:17:33
Aber ich glaube, manchmal reichen ja auch schon diese Rache-Fantasien.
01:17:37
Also das kann ich jetzt nicht aus eigener Erfahrung sagen, aber das sagt Jan Philipp Rehmsma.
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Der wurde nämlich entführt und dann 33 Tage lang gefangen gehalten.
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Und er sagt in einem Interview mit der Zeit, dass Rache-Gefühle nicht empfinden zu können eine Pathologie ist
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und dass man daran zugrunde geht.
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Weil bei ihm war das so, dass er während dieser Zeit in Gefangenschaft Sympathien zu seinen Entführern irgendwie entwickelt hat.
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Also das kennt man ja auch von dem Stockholm-Syndrom.
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Und da wieder rauszukommen für ihn war ihm so wichtig, um mit dieser Sache abzuschließen.
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Und da hat er sich wirklich sozusagen aktiv hingesetzt und Rache-Fantasien sich sozusagen hingegeben.
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Und die waren dann total heilsam für ihn.
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Und du hast nicht manchmal Rache-Gelüste?
01:18:24
Nicht mal so im Alltag?
01:18:28
Aber vielleicht kannst du sie ja ein bisschen nachvollziehen.
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Oder auch nicht.
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Ich erzähle dir jetzt vier Kurzgeschichten.
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Und du sagst mir, ob du dich bei sowas wiedersehen würdest oder nicht.
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Nadja ist 16 und ihr Freund wurde eher auf Klassenfahrt von Anna, ein Mädchen aus der Parallelklasse, ausgespannt.
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Das ist für Nadja schlimm.
01:18:48
Nach der Trennung kommen von ihrem Ex und Anna auf dem Schulflur ständig blöde Kommentare in Richtung Nadja.
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Daraufhin tut sie sich mit Annas Ex-Freund zusammen und die beiden wissen, dass Anna Spinnen hasst und sammeln in Nadjas Keller 30 Spinnen, packen die in einen Briefumschlag und werfen den bei Anna in den Briefkasten.
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Finde ich kindisch und albern.
01:19:14
Dann ist es ja noch kindischer, genau.
01:19:16
Noch kindischer, altersgerecht.
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Nee, ich dachte, die werden auf Klassenfahrt mit zwölf oder so.
01:19:24
Vielleicht die zweite Geschichte.
01:19:25
Ja. Anna ist eigentlich gar nicht mehr so neu in dem Restaurant, in dem sie als Aushilfskennerin arbeitet.
01:19:31
Pia gibt ihr trotzdem das Gefühl, denn Pia steht gern im Mittelpunkt und mag die neuen, generell nicht genau.
01:19:38
Pia lässt also keine Gelegenheit aus, Anna auszugrenzen oder sie bei der Chefin anzupfeifen.
01:19:44
Eines Abends sorgt Pia dafür, dass Anna die Angestelltenecke der Küche sauber machen muss.
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Die nervigste Arbeit des Abends.
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Zu den Aufgaben gehören, die krümelige Brotecke sauber zu machen und den vollgekleckerten Tisch zu wischen, an dem die KellnerInnen tagsüber essen.
01:20:00
Pia sitzt noch an dem Tisch, stopft sich ein paar von den Spaghetti rein, ranzt Emma an, sie soll das ordentlich machen und geht wieder ins Restaurant, um dort weiter zu arbeiten.
01:20:09
Anna schaut auf den dreckigen Lappen, mit dem sie gerade alles blitzeblank gewischt hat und drückt ihn über Pias Nudelteller aus.
01:20:17
Dann mischt sie die Schmutzsuppe und das Essen und fühlt sich danach schlecht.
01:20:25
Ich denke mir, was bringt das, wenn diese doofe Kuh das halt gar nicht mitkriegt?
01:20:35
Vielleicht ist das der Grund, warum sich Anna schlecht gefühlt hat.
01:20:39
Weil es nicht so gut geklärt hat.
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Weil sie es nicht mitkriegen würde.
01:20:43
Ja, also nee, da bin ich auch raus.
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Vielleicht überzeugt sich Geschichte Nummer drei.
01:20:48
Ich denke zwar nicht, aber...
01:20:51
Marc ist auf der Autobahn unterwegs und hat es eilig.
01:20:54
Vor ihm blockiert jemand die Überholspur.
01:20:57
Zwar ist das Auto schneller als die auf der rechten Seite, aber es könnte ruhig mal rüberfahren.
01:21:02
Immerhin signalisiert Marc schon mit Lichthupe, dass das andere Auto zur Seite fahren soll.
01:21:07
Irgendwann zieht die andere Person genervt rüber.
01:21:10
Marc ist sauer und guckt, wer hinter dem Steuer sitzt.
01:21:13
Eine Frau, die ihm den Mittelfinger zeigt.
01:21:16
Gibt's doch nicht, denkt sich Marc und zieht ebenfalls nach rechts rüber, um die Alte auszubremsen.
01:21:21
Die muss voll in die Eisen gehen.
01:21:23
Durch den Rückspiegel sieht er den Schock der Frau.
01:21:26
Fast aufgefahren.
01:21:27
Pech gehabt, Puppe.
01:21:29
Fährst du halt das nächste Mal zur Seite.
01:21:30
Das geht gar nicht, weil man nicht, wenn man auf der Autobahn fährt, sowas macht, weil das viel zu gefährlich ist.
01:21:38
Also das ist halt so, das ist ja schon fast...
01:21:43
Das ist lebensgefährdend.
01:21:45
Also ich verstehe total dieses, ich bremse auch Leute aus, die mir auf den Sack gehen, die hinter mir fahren, aber halt nicht auf der Autobahn.
01:21:53
Du bremst Leute aus?
01:21:56
Ja, wenn jemand...
01:21:57
Wenn die hupen, wenn die Lichthupe machen und so.
01:21:59
Zum Beispiel, wenn die Lichthupe machen, das ist ja nicht so oft in der Stadt, aber wenn die jetzt zum Beispiel in der Stadt immer so ganz krass nah auffahren, dass ich dann extra langsam fahre, um die halt zu nerven.
01:22:09
Ja, okay, das verstehe ich.
01:22:11
Ist das auch Hacher?
01:22:12
Ja, finde ich schon.
01:22:15
Sehen wir mal an.
01:22:19
Okay, letzte Geschichte.
01:22:20
Ben und Maxi haben schon seit einem Jahr was miteinander.
01:22:23
Die beiden haben sich kennengelernt, als Ben noch mit seiner Ehefrau zusammen war.
01:22:27
Die beiden hatten aber schon vorher über Trennung gesprochen.
01:22:31
Seit einem Jahr sind Ben und seine Frau nicht mehr zusammen, leben aber noch in der gemeinsamen Wohnung, vor allem auch, weil sie sich erstmal sortieren mussten.
01:22:39
Eine Scheidung, noch dazu, wenn ein achtjähriges Kind involviert ist, braucht halt viel Zeit.
01:22:44
Kurz bevor der Auszug von Ben ansteht, schlafen er und seine Frau noch einmal miteinander.
01:22:49
Warum, kann er selbst nicht so genau sagen.
01:22:52
Ben ist ein schlechter Lügner und kann deswegen nicht anders, als die Wahrheit zu sagen, als Maxi ihn direkt herausfragt, ob er seit ihrer Zeit noch mal was mit seiner Ex hatte.
01:23:01
Maxi ist verletzt und meldet sich eine Woche nicht bei Ben.
01:23:05
Als sich die beiden zu einer Aussprache treffen, sagt Maxi, dass sie in der Woche mit einem anderen Mann geschlafen hat.
01:23:11
Ben will wissen mit wem, aber Maxi will es nicht sagen.
01:23:14
Sie findet, es geht ihnen nichts an.
01:23:16
Ben ist zutiefst verletzt.
01:23:19
Das ist ja das Gleiche mit Gleichem, aber auch ein bisschen schlimmer, weil sie halt nicht verrät, mit wem.
01:23:33
Ich finde das ein bisschen sch...
01:23:36
Ja, echt, wirklich finde ich nicht.
01:23:39
Weil sie hat ja schon seit einem Jahr diese Frau da neben sich oder gegen die sie ankämpft.
01:23:49
Und dann ist es auch noch genau mit dieser Person.
01:23:51
Weiß ich nicht, ob ich das schlimmer finde.
01:23:53
Ja, kommt natürlich darauf an, wer das dann auch war, aber...
01:23:57
Vielleicht hat sie ja auch gelogen.
01:23:59
Ja, also ich glaube, diese Rache-Aktion könnte ich am ehesten nachvollziehen.
01:24:06
Weil das ist so ein richtig schlimmer Vertrauensbruch, finde ich, von einer Person, die dir super nah steht.
01:24:14
Und du möchtest einfach dieser Person zeigen, wie weh das getan hat.
01:24:19
Aber das ist eine, die ich nachvollziehen kann, aber nicht machen würde, weil ich glaube, das ist ihr danach nicht besser gegangen.
01:24:27
Nee, ich glaube, dass es der Beziehung auch nicht gut getan hat.
01:24:31
Aber es ist halt schon so, ich kann es deswegen auch nachvollziehen, weil man sagt, ey, meine Liebe ist nicht selbstverständlich so.
01:24:40
Wenn du mir wehtust, tue ich dir auch weh.
01:24:43
Also ich sage mal so, das sind alles Geschichten, die wirklich passiert sind.
01:24:49
Und ich sage jetzt nur, bevor ich jetzt Hate bekomme, dass ich in dieser Autogeschichte involviert war.
01:25:07
Und ich war die mit dem Stinkefinger.
01:25:10
Kann ich mir gut vorstellen.
01:25:11
Aber da war ja auch noch was mit deinem fiesen Ex in der Schule.
01:25:15
Dazu gibt es auch noch eine andere Story.
01:25:19
Das endete nämlich tatsächlich fast in einem Fall von Selbstjustiz.
01:25:25
Dazu muss ich ein bisschen weiter ausholen.
01:25:27
Meine Freundin Kerstin hat für den Geburtstag einer Freundin viele alte ICQ- und MSN-Verläufe durchgeschaut, weil sie ihr da irgendwas daraus basteln wollte oder so.
01:25:37
Ihr Bruder ist Computer-Superfachmann, deswegen hat sie das alles noch verloren.
01:25:44
Ich hatte es auch noch auf meinem alten Laptop.
01:25:46
Da muss man kein Superfachmann.
01:25:50
Doch, auf meinem ganz alten Laptop habe ich noch MSN.
01:25:53
Da sind lokal die Sachen abgespeichert oder was.
01:25:56
Ja, halt lokal auf meinem, ja.
01:25:58
So, und darin hat Kerstin ein Gespräch gefunden, das zwischen ihr und ihrem damaligen Schwarm stattgefunden hat.
01:26:05
Ein sehr heftiger Typ, wie man damals sagte.
01:26:08
Und ich nenne ihn jetzt deswegen mal Hefti, okay?
01:26:10
Hä, was heißt das heftiger Typ?
01:26:12
Ein heftiger Typ.
01:26:13
Der war so voll tätowiert.
01:26:16
Einfach ein heftiger Typ.
01:26:17
So, folgender Gesprächsverlauf zeigt, wie bescheuert wir damals so in der 10. Klasse waren.
01:26:26
Mit welchem Typen war Pauli zusammen?
01:26:30
Kerstin, lol, weiß nett.
01:26:32
Schau mal bei P-Inside, da heißt der so und so.
01:26:36
P-Inside war unser damaliges Social Network, bevor es StudiVZ und andere gab.
01:26:41
Hefti, schickt ein Foto und schreibt, ist er das?
01:26:44
Kerstin, ja, er ist so dumm.
01:26:47
Hefti, ich schreibe dir mal, ich habe gehört, er beleidigt Pauli immer.
01:26:54
Ich mache das Ding kurz klar.
01:26:58
Kerstin, ja, er beleidigt sie auch.
01:27:00
Hefti, ja, das wird er nicht mehr machen.
01:27:03
Kerstin, ja, er macht das klar.
01:27:07
Hefti, ja, ich schreibe eine satte Mail.
01:27:14
Das ist das krasse Ding, was er machen will.
01:27:17
Er schreibt eine Mail.
01:27:18
Es geht noch weiter.
01:27:19
Kerstin, er ist auch ein Spinner.
01:27:23
Kopier das mal hier rein, wenn du fertig bist.
01:27:25
Hefti, ich habe acht Jahre Karate und zwei Jahre Kickboxen gemacht.
01:27:29
Ich puste ihn um.
01:27:30
Kleine Anmerkung meinerseits.
01:27:33
Das alles, ohne mit mir das einmal abzusprechen.
01:27:37
Wenig später, Hefti kopiert diesen Text in den Chat.
01:27:43
Hey, Kollege, ich habe gehört, dass du deine Ex-Freundin Paulina immer ohne jeglichen Grund beleidigst und handgreiflich sollst du auch werden.
01:27:50
Hat 0,0 gestimmt, aber egal.
01:27:54
Ey, Junge, ich sage dir, hör auf damit.
01:27:59
Du kannst das ja auch mal bei mir versuchen, mal sehen, ob es dir dann auch noch so einen großen Spaß bringt.
01:28:04
Hefti kommentiert seinen Text.
01:28:07
Das dürfte langen.
01:28:12
Das muss ihn einschüchtern.
01:28:14
Hefti, wenn nicht, sehen wir weiter.
01:28:17
Also, ich finde es süß, dass sich Kerstin und Hefti so für dich eingesetzt haben.
01:28:26
Und am Ende kam es ja auch nicht zu irgendwelchen Handgreiflichkeiten oder so, sondern am Ende war es ja eine Mail.
01:28:32
Okay, aber glaub mir, der hätte dem auch eine reingehauen.
01:28:36
Einfach nur, wenn an einem Sonntag nichts anderes zu tun ist.
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Oder wenn es geregnet hätte.
01:28:44
So war das damals bei uns.
01:28:46
Irgendwie waren wir andere Menschen.
01:28:55
Das war ein Podcast von FUNK.