00:00:08
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
00:00:11
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
00:00:17
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
00:00:20
Naja, wie gefällt euch unser neues Intro?
00:00:29
Ich sehe uns schon im Club dazu abdancen
00:00:32
Das Lied hat uns ein Hörer zugesandt
00:00:39
Und ja, wir sind ganz angetan
00:00:42
Wir warten auf die ersten Vorschläge zu Tanzchoreografien
00:00:46
Auf TikTok zum Beispiel
00:00:48
Aber ich finde, das wäre doch echt vielleicht eine Idee für
00:00:51
Wenn wir dann mal wieder Live-Shows machen
00:00:53
Für den Song, der kommt, wenn wir auf die Bühne kommen
00:00:57
Ja, finde ich gut
00:00:58
Und damit herzlich willkommen zu Mordlos
00:01:00
Dem musikalischen Podcast von Funk, von ARD und ZDF
00:01:03
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe
00:01:05
Mein Name ist Paulina Krazer
00:01:07
Und ich bin Laura Wohlers
00:01:08
In jeder Folge gibt es ein Oberthema
00:01:10
Zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen
00:01:13
Darüber diskutieren und auch mit Experten und Expertinnen sprechen
00:01:16
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander
00:01:18
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt
00:01:21
Sondern das ist für uns einfach so eine Art Comic-Relief
00:01:24
Damit wir zwischendurch auch mal durchatmen können
00:01:26
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
00:01:29
In dieser Folge geht es um Heimtücke
00:01:31
Und dafür gehen wir zunächst einmal zurück zu Folge 1
00:01:35
Als wir das erste Mal über die Mordmerkmale gesprochen haben
00:01:38
Vielleicht erinnert ihr euch ja noch daran
00:01:40
Wir wissen, ein vorsätzliches Tötungsdelikt
00:01:44
Wird durch die Erfüllung von sogenannten Mordmerkmalen
00:01:47
Als Mord klassifiziert
00:01:48
Und unterscheidet sich dann somit vom Totschlag
00:01:51
Und ein Mord wird gegenüber dem Totschlag
00:01:53
Als noch größeres Unrecht gesehen
00:01:55
Und dementsprechend halt auch mit einer lebenslangen Haftstrafe verbüßt
00:01:59
Es gibt sogenannte Täterbezogene Mordmerkmale
00:02:02
Die beziehen sich sozusagen auf die innere Einstellung des Täters oder der Täterin
00:02:06
Also sowas wie Mordlust oder Habgier
00:02:09
Und es gibt Merkmale, die beziehen sich auf die Begehungsweise der Tat
00:02:14
Und eine Tötung heimtückisch zu begehen
00:02:16
Kann dann eben in einer Verurteilung wegen Mordes enden
00:02:20
Uns hat übrigens mal jemand geschrieben
00:02:23
Dass man deswegen eben auch nicht sagt
00:02:25
Ein Mord aus Heimtücke
00:02:27
Weil du ja keinen Mord aus dem Motiv Heimtücke heraus begehst
00:02:31
Sondern man wird eher verurteilt wegen heimtückischen Mordes
00:02:35
Und so benutzen wir das jetzt hier eigentlich auch
00:02:37
Heimtückisch tötet jemand, wenn er oder sie die Arg- und Wehrlosigkeit
00:02:41
Seines oder ihres Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt
00:02:45
Und was heißt Arg- und Wehrlos?
00:02:47
Also arglos ist jemand, der keinen Schimmer davon hat
00:02:50
Dass jemand in dem Moment einen Tötungsversuch auf ihn oder sie unternimmt
00:02:55
Die Person muss aber die Fähigkeit haben, argwöhnisch zu sein
00:02:59
Das wird später nochmal wichtig
00:03:00
Und wehrlos ist man dann, wenn man wegen seiner Arglosigkeit sich nicht oder kaum verteidigen kann
00:03:06
Und der Täter oder die Täterin muss dabei wissen, dass dieser Zustand ihm oder ihr einen Vorteil verschafft
00:03:12
Also wir sehen die Menschen, die Opfer eines heimtückischen Mordes werden
00:03:16
Sehen den Angriff auf ihr Leben oft nicht kommen
00:03:19
Was solche Fälle dann halt auch besonders unfair erscheinen lässt manchmal
00:03:23
Und so war es auch in dem Fall, den ich euch heute erzähle
00:03:27
Ich habe den Namen eines Opfers geändert
00:03:30
Es ist der 29. Juli 2019
00:03:35
Die meisten Reisenden stehen schon bereit, an gleich sieben
00:03:39
Während sich einige Passanten und Passantinnen gehetzt vorbeidrängen
00:03:42
Es ist wuselig wie jeden Montagmorgen am Frankfurter Hauptbahnhof
00:03:46
Der ICE lässt mal wieder auf sich warten
00:03:49
Durch die Lautsprecher hört man Hinweise für die Anschlusszüge
00:03:52
Und die blaue digitale Anzeigetafel sagt den Wartenden, wann ihr Zug nach München abfährt
00:03:58
Um 9.54 Uhr soll er Mutter Eva und den 8-jährigen Leo Richtung Österreich fahren
00:04:03
Leos ältere Schwester hatte keine Lust auf die lange Zugfahrt
00:04:07
Und ist deswegen bei Evas bester Freundin, deren Sohn und dem Hund im Auto mitgefahren
00:04:12
Treffen wollen sie sich dann alle zusammen in Österreich
00:04:15
Auf der Anzeigetafel tut sich etwas
00:04:18
Der Zug verspätet sich um ein paar Minuten
00:04:20
Einige sind genervt, andere haben nichts anderes erwartet
00:04:25
Unter den Wartenden auf Gleis sieben ist auch Gerlinde
00:04:28
Der 78-Jährigen fällt in der Menschenmenge ein Mann ins Auge
00:04:32
Er ist ohne Gepäck unterwegs und lugt hinter einem Pfeiler auf die Wartenden
00:04:36
Gerlinde kommt das irgendwie seltsam vor
00:04:40
Aber ihre Aufmerksamkeit fokussiert sich schnell auf etwas anderes
00:04:43
Von links fährt der Zug ein
00:04:46
Die Rentnerin will in München ihre zwei Enkel abholen und dann die Ferien mit ihnen verbringen
00:04:51
Auch Eva und Leo machen sich bereit
00:04:54
Gleich müssen sie sich mit der Menschentraube durch die engen Türen in den ICE quetschen
00:04:59
In der linken Hand hält Eva ihren Kaffee to go
00:05:02
Plötzlich nimmt sie, kurz bevor der Zug auf ihrer Höhe ankommt, einen Schatten und eine schnelle Bewegung wahr
00:05:08
Dann ein heftiger Druck in ihrem Rücken
00:05:11
Von hinten rechts wird sie mit voller Wucht nach vorn geschubst
00:05:14
Eva fällt direkt auf die Schiene
00:05:17
Der einfahrende ICE türmt sich über ihr auf
00:05:21
Eva rollt sich zur Seite
00:05:24
Lautes Schreie durchschneiden die wuselnde Bahnhofsatmosphäre
00:05:27
Gerlinde hat es genau gesehen
00:05:30
Nur begreifen, was da passiert ist, kann sie noch nicht
00:05:33
Und plötzlich fliegt auch sie mit der rechten Seite auf den Bahnsteig
00:05:37
Dann sieht sie wie ein Mann über die Gleise davonrennt
00:05:40
Es ist der, der ihr eben noch aufgefallen ist
00:05:43
Schmerz zieht durch den Ellbogen, die Hüfte und das Knie
00:05:47
Auf einmal herrscht ganz großes Durcheinander
00:05:49
Menschen gucken sich panisch um
00:05:51
Eine Frau zieht ihren Sohn an sich heran und schlägt sich schockiert die Hand vor den Mund
00:05:55
Eva hält den Kaffeebecher noch immer in der linken Hand
00:05:59
Der Stoß war so heftig, dass sie nicht direkt hinter dem Bahnsteig gelandet ist
00:06:04
Sondern so weit aufs Gleis flog, dass sie sich zur Seite rollen konnte
00:06:08
Und jetzt zwischen den Schienen von Gleis 7 und Gleis 8 liegt
00:06:12
Ein Mann geht auf Eva zu
00:06:14
Er reichte die Hand, hilft ihr aus dem Gleis zu steigen
00:06:17
Warum macht jemand sowas? fragt sie
00:06:20
Dann wird sie nervös
00:06:22
Mein Sohn steht noch am Bahngleis
00:06:24
Der Fremde führt sie ganz vorsichtig zu einer Bank
00:06:27
Etwas weiter weg vom Zug
00:06:29
Was ist mit meinem Kind? fragt Eva
00:06:32
Ein anderer Mann Mitte 50 ruft
00:06:35
Das Kind ist verletzt, wir müssen das Kind suchen
00:06:37
Und springt auf die Gleise
00:06:39
Er läuft neben dem Zug vorbei
00:06:41
Schaut alle 10 Meter drunter
00:06:42
An einer Stelle sieht er eine reglose Kinderhand
00:06:46
Kurze Zeit später hört man Schreie
00:06:48
Mein Kind ist tot
00:06:50
Die Schreie kommen von Eva
00:06:52
Erst jetzt versteht sie
00:06:54
Alle hatten es gesehen, nur sie nicht
00:06:58
Der Mann hat nach Eva auch Leo geschubst
00:07:02
Während Eva schreit, nimmt sie der fremde Mann in den Arm
00:07:05
Hält sie fest, so lang, bis die Sanitäter und Sanitäterinnen kommen
00:07:08
Und für einen Moment ist es, als würde der gesamte Bahnsteig zusammenbrechen und weinen
00:07:14
Zur selben Zeit gibt es auf einer anderen Seite des Bahnhofs eine Verfolgungsjagd
00:07:19
Einige Zeugen und Zeuginnen rennen dem Mann hinterher
00:07:23
Andere rufen die Polizei
00:07:25
Ein Mann wird später sagen, der Täter habe aufgerissene Augen und einen wirren Blick gehabt
00:07:30
Kurz hinter dem Bahnhof gelingt es einer Polizistin und einem Polizisten den Mann zu stellen
00:07:35
Er nimmt die Hände nach oben und lässt sich widerstandslos festnehmen
00:07:39
Im Polizeiauto sagt er
00:07:41
Ich bin aus der Schweiz
00:07:43
Wollte mich eigentlich selbst umbringen
00:07:45
Und ich habe irgendwas im Kopf
00:07:47
Nur wenige Stunden nach der Tat sitzt Eva vor einer Vernehmungsbeamtin
00:07:53
Die Frau versucht sie zu beruhigen
00:07:55
Eva soll erzählen, was passiert ist
00:07:58
Aber sie kann nicht
00:08:01
Was habe ich nur getan?
00:08:03
Sie ist außer sich
00:08:05
Sie können nichts dafür, was heute passiert ist
00:08:08
Sagt die Beamtin
00:08:11
Tröstet aber nicht
00:08:13
Am nächsten Tag weiß man, was an gleich sieben geschehen ist
00:08:17
Ohne davon in der Zeitung gelesen zu haben
00:08:19
Menschen kommen und legen Plüschsperren, ein gelben Papageien, ein lachenden Hasen, kuschelige Schafe und Spielzeugautos nieder
00:08:27
Auf einem ausgeschnittenen Herzen steht
00:08:29
Als ich geboren wurde, habt ihr gelacht und ich geweint
00:08:33
Nun lächle ich und ihr weint
00:08:35
Ruhe in Frieden, kleiner Mann
00:08:37
Darunter hat jemand einen Engel gezeichnet
00:08:40
Als der Mann im Polizeiwagen sagte
00:08:43
Ich habe irgendetwas im Kopf
00:08:46
Da hatte er damit gar nicht zu Unrecht
00:08:48
Relativ schnell wird bekannt, dass es Hinweise darauf gibt, dass Habte A
00:08:52
Der mutmaßliche Täter möglicherweise unter Wahnvorstellung leidet
00:08:56
Und sich deswegen auch in Behandlung befindet
00:08:59
Das ergibt eine Durchsuchung seiner Wohnung in der Schweiz
00:09:02
Dort lebt Habte A mit seiner Frau und ihren gemeinsamen drei Kindern
00:09:06
In der Schweiz wird bereits wegen eines anderen Gewaltdelikts nach ihm gesucht
00:09:11
Als das bekannt wird, debattieren einige PolitikerInnen darüber, ob Fahndungen nicht generell europaweit ausgeweitet werden können
00:09:19
Andere reden über die Sicherheit an Bahnhöfen und wie sie sich erhöhen lässt
00:09:24
Mehr Polizeipräsenz an Bahnhöfen, mehr Videoüberwachung und der Einbau technischer Sperren, die erst aufgehen, wenn der Zug schon steht
00:09:31
So wie beispielsweise in London wird gefordert
00:09:35
Weil erst eine Woche zuvor in Förde ebenfalls eine Frau vor einen einfahrenden Zug geschubst wurde
00:09:41
Aber der Fall bekommt nicht nur deswegen eine politische Dimension
00:09:52
Habte A, so wird bekannt, ist ein Geflüchteter aus Eritrea
00:09:56
Der 2006 in die Schweiz illegal eingereist ist und dort Asyl beantragte
00:10:01
2008 wurde es ihm gewährt
00:10:03
Seehofer sagt bei der Pressekonferenz, dass man noch nichts über das Motiv wisse
00:10:08
Habte A sei, soweit man weiß, ein Beispiel für gelungene Integration gewesen
00:10:13
Das stünde auch in einer Broschüre seines Arbeitgebers
00:10:16
Und vielleicht sagt Seehofer das in diesem Fall
00:10:19
Sogar um die teilweise erhitzte Stimmung etwas runter zu kochen
00:10:23
Ich muss ja sicher nicht erwähnen, dass 2019 einige versuchen, die Tat zu politisieren
00:10:29
Und sie als Anlass nehmen, halt wieder einmal über illegale Grenzübertritte zu sprechen
00:10:35
Und auch die Presse berichtet nicht gerade zurückhaltend
00:10:39
Die stürzt sich sogar auf einen möglichen Zusammenhang mit einer anderen Tat
00:10:43
Und redet von einem eventuellen Racheakt
00:10:45
Ein paar Tage zuvor war nämlich ein Mann aus Eritrea in der Nähe von Frankfurt
00:10:50
Opfer eines rassistischen Anschlags geworden
00:10:52
Ein Deutscher hatte auf ihn geschossen
00:10:54
Er überlebte das, aber nur knapp
00:10:57
Und es gab aber am Ende keinen Zusammenhang zwischen den beiden Taten
00:11:01
Aber Habte A's Herkunft nimmt halt trotzdem einen großen Teil in der Berichterstattung ein
00:11:08
Und hier an dieser Stelle ein kurzer Einschub
00:11:11
Bei uns, hier hat sich das mittlerweile so eingestellt, dass wir die Nationalität nur erwähnen, wenn es von Bedeutung ist
00:11:17
Also beispielsweise einen kulturellen Hintergrund gibt
00:11:20
Oder jetzt wie im Fall von Kalinka aus Folge 60
00:11:23
Die Handlungsorte in zwei verschiedenen Ländern spielen
00:11:26
In diesem Fall erwähne ich Habtes Herkunft jetzt, weil ich jetzt die Berichterstattung über Habtes Fall kritisiere
00:11:36
Und weil das Teil dieser Geschichte ist, binde ich das jetzt mit ein
00:11:41
Weil ich weiß noch ganz genau, wie ich damals dachte, dass das doch den eigentlichen Kern total verfehlt
00:11:47
Denn soweit man damals wusste, ging es ja vermutlich um eine Psychose
00:11:52
Und der Psychose ist es doch, dachte ich, schlichtweg egal, wie der Aufenthaltsstatus einer Person ist oder wo sie geboren wurde
00:12:00
Wobei zumindest Teile von Habte A's Vergangenheit durchaus wichtig sind für seine gesundheitliche Entwicklung
00:12:06
Aber dazu später
00:12:08
Bei den Ermittlungen bestätigen sich die ersten Vermutungen
00:12:13
Die Vorläufe gibt psychiatrische Begutachtung, spricht dafür, dass Habte A offenbar unter einer schizophrenen Psychose leidet
00:12:19
Und somit zur Tat gar nicht steuerungsfähig gewesen sei
00:12:22
Das würde bedeuten, dass dem Verdächtigen gar keine Schuld zugeschrieben werden kann
00:12:28
Die Staatsanwaltschaft leitet gegen Habte A kein normales Strafverfahren, sondern ein Sicherungsverfahren ein
00:12:34
Deswegen gibt es auch keine Anklageschrift, sondern eine sogenannte Antragsschrift
00:12:41
Angesichts des diagnostizierten Krankheitsbildes besteht aus Sicht des Sachverständigen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte in Zukunft weitere Gewaltdelikte begehen wird
00:12:51
Und somit eine Gefahr darstellt, sodass zum Schutz der Allgemeinheit seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich ist
00:12:58
Das heißt, bei dem Verfahren geht es selbst nicht darum, eine möglichst lange Haftstrafe zu verhängen, sondern festzustellen, wie gefährlich der Beschuldigte in Zukunft ist und um die Unterbringung in eine forensische Psychiatrie
00:13:11
Am 19. August 2020 beginnt das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt gegen Habte A
00:13:17
Er betritt den Saal mit Handschellen, trägt ein weißes T-Shirt-Hemd mit blauen und orangenen Palmenwedeln drauf, das irgendwie fehlplatziert wirkt
00:13:26
Ebenso wie sein Mundschutz, den trägt der 41-Jährige falsch herum
00:13:31
Eine Journalistin der Süddeutschen wohnt dem Verfahren bei
00:13:35
Ihr kommt es so vor, schreibt sie, als würde Habte A so schauen wie jemand, der nicht wirklich wisse, was hier gerade geschieht
00:13:42
Im Gegenüber sitzt die Staatsanwaltschaft, die ihn dauerhaft in die forensische Psychiatrie unterbringen will
00:13:48
Bei diesem Verfahren läuft es wegen der Schuldunfähigkeit etwas anders als in einem normalen Strafprozess
00:13:54
Hier geht es also jetzt nicht darum, ob sich Habte A des Totschlags schuldig gemacht hat
00:13:59
Weil das kann er wegen dieser Schuldunfähigkeit ja nicht
00:14:02
Sondern es geht darum, was der Anlass ist, ihn in eine forensische Psychiatrie zu stecken
00:14:08
Und das nennt man die Anlasstat
00:14:11
Und die Staatsanwaltschaft sieht hier Totschlag, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzungen in zwei Fällen gegeben
00:14:17
Auch der Vater von Leo ist gekommen, als Nebenkläger
00:14:21
Er will den Mann in die Augen sehen, der seinen Sohn getötet hat, sagt er
00:14:25
Gleichzeitig will er stark sein für Eva, die sich noch immer Vorwürfe macht
00:14:30
Und ein Jahr später noch immer in so einer schlechten psychischen Verfassung ist, dass sie dem Verfahren nicht beiwohnen kann
00:14:36
Habte A äußert sich über seinen Anwalt zu den Anschuldigungen
00:14:41
Er liest die Erklärung seines Mandanten vor
00:14:44
Das, was ich getan haben soll, muss ich nach allen mir zugetragenen Informationen so zugetragen haben
00:14:51
Ich war sehr schwer krank, es tut mir unendlich leid
00:14:55
Insbesondere für die Familie, des durch meine Tat zu Tode gekommenen achtjährigen Jungen Leo
00:15:01
Der Anwalt der Familie, Ulrich Warntke, sagt später, dass die Familie das nicht annimmt
00:15:06
Es gibt keine Entschuldigung für das, was getan wurde
00:15:09
Auch Gerlinde, die Rentnerin, die Habte A offenbar ebenfalls versucht hatte, auf die Gleise zu schubsen
00:15:15
Tritt als Nebenklägerin auf
00:15:17
Als sie als Zeugin aufgerufen wird, berichtet sie davon, dass ihr der Mann schon vorher aufgefallen sei
00:15:22
Weil er nahezu gelauert habe
00:15:25
Dann habe sie gesehen, wie er erst die Frau und danach das Kind gestoßen habe
00:15:30
Der Vorsitzende Richter fragt, wie er das gemacht habe
00:15:34
Gerlinde veranschaulicht, indem sie ihre Hände durch die Luft nach vorne drückt
00:15:38
Wenn sie von dem spricht, was an dem Tag passiert ist, dann erzählt sie das in der Gegenwart
00:15:43
Ich sehe die Frau und das Kind durch die Luft fliegen
00:15:47
Die Frau macht einen großen Schritt in der Luft, sagt sie
00:15:51
Und, dass sie sich gewundert habe, dass die Mutter den Stoß überlebt habe
00:15:55
Gerlinde S. kann seit ihrer Tat ihren Arm nicht mehr uneingeschränkt bewegen
00:16:00
Hat jetzt einen Behinderungsgrad
00:16:02
Aber die psychischen Folgen seien das Schlimmste daran, sagt sie
00:16:06
Bis heute ist sie nicht mehr alleine mit der Bahn gefahren
00:16:09
Trotz sich kaum noch, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen
00:16:12
Dann wird der Zeuge gehört, der Eva geholfen hatte, aus dem Gleisbett zu steigen
00:16:17
Ihm fällt es sichtlich schwer, zu schildern, was an dem Tag passiert ist
00:16:21
Nach dem Vorfall ist er aus Frankfurt weggezogen, erzählt er
00:16:25
Nicht nur deswegen, aber das habe eine wesentliche Rolle gespielt
00:16:29
Als die Vernehmung beendet ist, drückt Leos Vater auf den Knopf, um sein Mikrofon einzuschalten
00:16:39
Ich würde gerne noch etwas sagen
00:16:41
Seine Augen werden feucht
00:16:44
Die Mutter möchte, dass ich ihnen Danke sage
00:16:47
Dafür, dass sie so beherzt waren
00:16:50
Und sie da rausgeholt haben und sich gekümmert haben, als keiner da war
00:16:54
Danach herrscht Stille
00:16:56
Danke, sagt der Mann und man sieht ihm an, dass er nicht wirklich damit umzugehen weiß
00:17:02
Schon am ersten Prozesstag wird klar, Leos Vater ist nicht hier, um schweigend beizuwohnen
00:17:08
Er bringt sich ein, stellt oft Fragen
00:17:10
Besonders als der psychiatrische Sachverständige gehört wird
00:17:14
Er hat mit Habte A. mehrere Gespräche gehabt und soll seinen psychischen Zustand auf deren Grundlage bewerten
00:17:20
Habte erzählte ihm Folgendes von seinem Leben
00:17:23
Seine Kindheit in Eritrea ist schön gewesen
00:17:27
Er hat viel Fußball gespielt
00:17:29
Als Teenager wird er dann mit 19 Jahren gezwungen, im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien zu dienen
00:17:34
Dort ist er fünf Jahre als Sanitäter zuständig
00:17:37
Bei seiner ersten Möglichkeit verschwindet er, arbeitet danach im Sudan als Riksha-Fahrer
00:17:43
Spart dort jeden Cent und flieht schließlich auf einem Fischerboot über Sezegien in die Schweiz
00:17:48
Dort arbeitet er als Schlosser für eine Firma für Verkehrsbetriebe
00:17:52
Von dem Geld kann er gut leben
00:17:54
Er holt seine zukünftige Ehefrau aus Eritrea in die Schweiz
00:17:57
Die beiden bekommen einen Sohn und zwei Töchter
00:18:00
Kurz bevor das dritte Kind geboren wird, bekommt die eine Tochter Diabetes
00:18:05
Wenn er zu dieser Zeit dann gerade nicht arbeitet, sitzt er bei Ärzten und Ärztinnen
00:18:11
um über die Diagnose der Tochter zu sprechen
00:18:13
Das alles in einer Sprache, die nicht seine eigene ist
00:18:17
Dann, ab dem Jahr 2018, beginnt Habtes Leben, ihm langsam aus den Fingern zu gleiten
00:18:22
Auf Arbeit tuscheln die Kollegen und Kolleginnen
00:18:25
Ein Chef verleumdet Habte sogar im Internet
00:18:28
Zumindest glaubt Habte das
00:18:30
Er fühlt sich verfolgt von schwarz gekleideten Männern, die ihm auflauern
00:18:35
Habte denkt, dahinter steckt eine Organisation
00:18:38
Er nennt sie Der Ring
00:18:40
Manchmal konfrontiert er fremde Menschen auf der Straße mit ihrer Ring-Zugehörigkeit
00:18:45
Und natürlich verneinen alle, denn der Ring existiert nur in Habtes Kopf
00:18:51
Vor großen Menschenmengen hat Habte Angst, fühlt sich dort immer verfolgt und beobachtet
00:18:56
Irgendwann setzen die Phoneme ein
00:18:59
Also das Hören von sprachlichen, akustischen Halluzinationen
00:19:04
Die Stimmen, die Habte hört, beleidigen ihn, befehlen ihm, Dinge zu tun
00:19:08
Einmal bedroht er deswegen eine Nachbarin mit einem Messer, worauf man in der Schweiz nach ihm sucht
00:19:14
Habte versucht, dem Ring und den Stimmen zu entfliehen, fährt nach Spanien, Frankreich und Belgien
00:19:19
Irgendwann nach Frankfurt
00:19:21
Er schläft auf Parkbänken, weil viele Hotels vom Ring kontrolliert werden, glaubt er
00:19:27
Das Problem mit einer schizophrenen Psychose ist die fehlende Krankheitseinsicht
00:19:33
Habte weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt, denkt allerdings, dass die Verfolgung des Rings ihm seelisch zu schaffen macht
00:19:40
Ein Psychiater verschreibt ihm Medikamente gegen Depressionen
00:19:45
Habte setzt sie eigenständig wieder ab
00:19:47
Er denkt, dass sich in ihnen ein Virus befindet
00:19:50
Dann fährt er wieder nach Frankfurt, um von dort weiter zu fliehen
00:19:54
Jetzt sagt die männliche Stimme in seinem Kopf, dass er den Anweisungen nicht gefolgt ist
00:19:59
Und seine Frau und seine Kinder zur Strafe getötet wurden
00:20:02
Habte geht daraufhin zur Polizei
00:20:05
Die weist ihn ab
00:20:06
Am nächsten Tag fühlt er sich fremdgesteuert
00:20:10
Als wäre er gar nicht richtig wach, sondern in einem Traum
00:20:13
Er geht zum Frankfurter Hauptbahnhof
00:20:16
An das, was dann passiert, könne er sich nicht erinnern, sagt er dem Gutachter
00:20:21
Er wüsste nur noch, dass er danach sehr stark gezittert habe
00:20:25
Ich habe keine Zweifel, dass bei Habte A zu den Tatzeitpunkten eine schizophrene Erkrankung in akuter Form vorlag
00:20:33
Sagt der psychiatrische Sachverständige
00:20:35
Habte A erfülle alle Kriterien für eine paranoide Schizophrenie
00:20:42
Leos Vater ist gefasst, während er den Ausführungen folgt
00:20:45
Anschließend darf er Fragen stellen
00:20:47
Er will wissen, wie das zusammenpasst
00:20:49
Habte A hat Angst vor Menschenmengen und läuft dann zum Hauptbahnhof
00:20:53
Aber dafür gibt es keine rationale Erklärung
00:20:56
Ein seelisch gesunder Mensch kann das Verhalten nahezu nicht nachvollziehen
00:21:01
Die Schizophrenie, sagt der Gutachter, ist eine schwere seelische Behinderung
00:21:06
Habte As Persönlichkeit sei nahezu nicht mehr existent
00:21:10
Er würde sich fügen, habe aktuell keine eigenen Wünsche mehr
00:21:14
Und obwohl er seit der Tat behandelt werde, geht die Schizophrenie nicht einfach weg
00:21:18
Manchmal verhalte sich Habte A plötzlich bizarr
00:21:21
Dann verziehe er das Gesicht zu fratzen
00:21:25
Fuchtel er auf einmal herum, als würde er etwas von sich fernhalten wollen
00:21:28
Vermutlich wisse er nicht einmal, dass er krank ist
00:21:32
Oder für andere gefährlich sein kann
00:21:34
Während all das über ihn erzählt wird, schaut Habte A teilnahmslos
00:21:38
Nur einmal regt sich etwas bei ihm
00:21:41
Als die Aussage der Mutter vorgelesen wird, wischt er sich über die Augen
00:21:45
Das Gericht verzichtet aus Rücksicht darauf, die Tonbandaufnahme der Vernehmung bei der Polizei abzuspielen
00:21:51
Also lesen der vorsitzende Richter und eine Richterin abwechselnd aus der Niederschrift
00:21:56
Währenddessen wird ein Foto von Leo an die Wand des Gerichtssaals projiziert
00:22:00
Leo grinst darauf und sein Haar ist im Scheitel zur Seite gelegt
00:22:04
Bitte, bitte, versuchen Sie den Mann festzuhalten
00:22:08
Wer weiß, was er sonst noch macht
00:22:10
Sagt Eva zum Ende der Vernehmung
00:22:12
Prozessbeobachtende beschreiben, die Stimmung im Gerichtsaal als ruhig, würdig und rücksichtsvoll
00:22:19
Und das liegt auch an den beiden Verteidigern von Habte A
00:22:23
Sie nehmen sich zurück, sind nicht laut, nicht fordernd
00:22:26
Auch ein Schreiben von Habte A's Ehefrau wird vorgelesen
00:22:30
Auch sie ist nicht anwesend beim Prozess
00:22:32
Sie schildert, dass er vorher nie gewalttätig gewesen sei
00:22:36
Und beschreibt die Zeit, in der sich auf einmal alles änderte
00:22:39
Habte habe plötzlich über Kopfschmerzen geklagt
00:22:42
Und sei der Auffassung gewesen, ihm sei ein Chip implantiert worden
00:22:45
Von Herzen flehe ich sie um ein gnädiges Urteil
00:22:49
Wir brauchen unseren Papa, bittet sie das Gericht
00:22:52
Allen Zeugen und Zeuginnen, die vor Gericht aussagen, kann man ansehen, wie mitgenommen sie noch immer von der Tat sind
00:23:00
Viele weinen bei ihrer Aussage
00:23:02
Bis heute haben sich die Bilder von dem Tag in ihren Köpfen eingebrannt
00:23:06
So war es auch bei Michael D
00:23:09
Er fuhr den ICE am 29. Juli
00:23:14
Er erzählt, wie er beim Einfachen gesehen habe, dass jemand in die Menschenmenge rannte
00:23:19
Danach habe er gesehen, wie die Mutter vor ihm verschwand
00:23:22
Er leitete sofort die Notbremsung ein
00:23:25
Leo, so Michael D
00:23:27
Habe kurz vor dem Fall noch versucht, mit den Armen das Gleichgewicht zu halten
00:23:31
Danach sei Leo kopfüber ins Gleis gefallen
00:23:34
Zwar fuhr er, wie üblich, nur 30 Kilometer die Stunde
00:23:38
Aber selbst bei dieser Geschwindigkeit dauert eine Bremsung zu lange
00:23:41
Leo war sofort tot
00:23:44
Es ist ein zehrender Prozess, der bei allen seine Spuren hinterlässt
00:23:48
Die Staatsanwaltschaft hält an ihrer Antragsschrift fest
00:23:52
Er sagt, dass die Anlasstat bei Leo als Totschlag
00:23:55
Bei Eva als versuchter Totschlag
00:23:57
Und bei Gelinde A
00:23:58
Als Körperverletzung zu werten sei
00:24:01
Solle dauerhaft in die forensische Psychiatrie
00:24:03
Dass er noch einmal gewalttätig wird
00:24:05
Sei sehr wahrscheinlich
00:24:07
Sie hält an dem Totschlag fest
00:24:09
Weil sie nicht genug Anhaltspunkte sieht
00:24:11
Die Anlasstat als Mord zu bewerten
00:24:13
Sicherlich waren Leo und Eva zwar arg und wehrlos
00:24:18
Weshalb eigentlich ein Heimtück im Mord auch in Betracht gezogen werden könnte
00:24:21
Aber die Staatsanwaltschaft bezweifelt, dass Habte A
00:24:25
Das in seinem Zustand bewusst ausgenutzt habe
00:24:28
Der Anwalt von Leos Eltern sieht das anders
00:24:31
Findet, dass die Tat an sich als Heimtück im Mord zu bewerten sei
00:24:35
Und außerdem sagt er, dass Habte A fehlbehandelt wurde
00:24:38
Die Ärzte und Ärztinnen seine Schizophrenie nicht erkannten
00:24:42
Und ihm deswegen nicht geholfen wurde
00:24:44
Auch das hört sich in Anbetracht der Tat irgendwie besonnen an
00:24:49
Nach dem Plädoyer seines Anwaltes steht Leos Vater auf
00:24:54
Ich hatte sehr viele Fragen
00:24:56
Einige wurden beantwortet, andere nicht
00:24:58
Dann nimmt er den Mundschutz ab und wendet sich an Habte A
00:25:02
Ich habe nur eine einzige Frage
00:25:06
Warum haben sie meinen Sohn ermordet?
00:25:10
Warum haben sie das getan?
00:25:12
Die Antwort auf die Frage ist die darauf folgende Stille
00:25:16
Es gibt keine Antwort
00:25:19
Leos Vater setzt sich wieder, zieht die Maske auf
00:25:23
Als Habte A's Verteidiger das Wort ergreift, steht er auf und verlässt den Saal
00:25:28
Es ist ein Freitag, als das Gericht nach sechs Verhandlungstagen sein Urteil fällt
00:25:34
Es war für uns Richter nicht einfach damit umzugehen
00:25:37
Ich habe selbst mehrfach mit meinen Emotionen gerungen, sagt der Vorsitzende Richter
00:25:42
Aber niemand hier leidet, so wie die Mutter und der Vater
00:25:46
Schlimmer geht es nicht
00:25:47
Zu Leos Vater gewandt sagt er, er habe vorbildlichst am Verfahren teilgenommen
00:25:52
Ihr Sohn wäre ganz sicher sehr stolz auf sie
00:25:56
Dann verkündet er die Entscheidung des Gerichts
00:25:58
Der Angeklagte hört aufmerksam seinem Übersetzer zu
00:26:01
Die Anlasttaten sind nach Ansicht des Gerichts als heimtückischer Mord und versuchter Mord zu werten
00:26:08
Trotz seines Wahns habe er die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer wahrnehmen können und diese ausgenutzt
00:26:14
Im Ergebnis macht das aber keinen Unterschied
00:26:17
Denn Habte A muss in die geschlossene forensische Psychiatrie und das auf unbestimmte Zeit
00:26:22
Das Stammtischgeschwätz werde hier vielleicht von einer Kuscheljustiz sprechen
00:26:26
Davon habe man sich aber bei der Urteilsfindung nicht beeindrucken lassen
00:26:30
Habte A habe keinerlei Vorteile gegenüber einem schuldfähigen Verbrecher
00:26:35
Mit ihm würde keiner tauschen wollen
00:26:38
Wir haben keine Lösung für ihre Trauer und Schmerzen
00:26:42
Sagt der Richter zu Leos Vater und wendet sich dann an Habte A
00:26:46
Auch ihre Krankheit heilen wir nicht
00:26:49
Das sind keine tröstenden Worte
00:26:52
Aber was kann man auch erwarten an Trost bei so einer Tat?
00:26:56
Also dieser Fall, der ist in so vieler Hinsicht furchtbar
00:27:04
Erstmal diese Tat, wo diese ganzen Leute auch dabei sind und das alles mitbekommen
00:27:11
Und wie du sagst, dass da der ganze Bahnsteig quasi zusammengebrochen ist
00:27:16
Das kann ich mir total vorstellen, wie schrecklich das war
00:27:19
Als sie dann gesehen haben, wie die Mutter das realisiert hat, dass ihr Kind da unter dem Zug war
00:27:25
Das stelle ich mir so furchtbar vor
00:27:29
Und dann kommt aber noch hinzu, dass auch der Täter irgendwie ein Opfer ist
00:27:35
Seiner Krankheit
00:27:36
Seiner Krankheit, seines Kopfes
00:27:38
Und ich glaube, das ist dann auch einfach schwierig für den Vater da im Gerichtssaal
00:27:44
Weil man ja nicht sauer sein kann so richtig auf jemanden, der krank ist
00:27:49
Dass das dann auch einfach schwerer ist, weil es einfach nur so tragisch ist
00:27:54
Und ich muss auch sagen, ich habe einfach solche Angst vor solchen Krankheiten
00:27:58
Weil man ist ja nicht gefeit davor, das kann ja jedem passieren
00:28:03
Auch für seine Familie mit drei kleinen Kindern
00:28:07
Und die Krankheit ist ja irgendwie auch heimtückisch
00:28:10
Weil du merkst sie nicht
00:28:13
Du erkennst sie nicht
00:28:15
Und sie bringt dich dazu, furchtbare Dinge zu machen, die du eigentlich gar nicht machen willst
00:28:19
Und dagegen bist du in gewisser Weise wehrlos
00:28:24
Wenn es keine anderen Menschen erkennen
00:28:27
Nochmal auf diese Situation zu kommen
00:28:30
An so einem Gleis, ne
00:28:32
Ich habe da eigentlich nie Angst vor
00:28:34
Aber ich höre oft von Leuten, dass sie
00:28:36
Dass sie davor Angst haben, dass plötzlich jemand kommt oder sie jemand schubst
00:28:40
Und mein Freund hat immer Angst, dass mich jemand schubst
00:28:43
Und deswegen stellt er sich
00:28:44
Also wenn in London die U-Bahn kommt, immer vor mich
00:28:47
Aber da sind doch oft diese Sicherheitswände eben davor
00:28:50
Also ich kenne glaube ich nur zwei Stationen, wo das so ist
00:28:55
Und das sind diese Stationen, wo sich in der Finanzkrise sehr viele Banker und Bankerinnen vor die U-Bahn geworfen haben
00:29:05
Aber das ist dann natürlich auch nur so punktuelle Reaktion
00:29:11
Jetzt da gibt es diese Sicherheit jetzt, aber woanders nicht
00:29:15
Aber vielleicht wäre das wirklich eine Idee
00:29:18
Also es wäre eine Idee, um zu verhindern, dass diese Tat an diesem Gleis passiert
00:29:23
Aber die Frage ist, hätte das Habte A davon abgehalten, nicht vielleicht auch auf der Straße jemanden vors Auto zu schubsen
00:29:31
Und das weiß man halt nicht
00:29:33
Deswegen haben hier dann auch viele Kritiker und Kritikerinnen zu Recht gesagt in der Debatte
00:29:39
Das ist jetzt halt wieder Aktionismus
00:29:42
Vielleicht sollte man lieber gucken, wie man psychische Krankheiten beispielsweise besser erkennt
00:29:47
Man kann ja auch nicht alles absichern
00:29:50
Das geht ja eh nicht
00:29:51
Ich kann aber natürlich verstehen, dass sich Leos Eltern dafür eingesetzt haben
00:29:55
Bei denen war das eigentlich ganz wichtig, dass Bahnhöfe sicherer gemacht werden
00:29:58
Weil natürlich sagen wir jetzt, okay, Habte A hätte dann vielleicht jemanden auf die Straße geschubst
00:30:05
Aber Leos Familie denkt sich dann ja sicherlich, ja, aber dann hätte er nicht Leo geschubst
00:30:10
Und wir wissen nicht, ob er dann jemanden vors Auto geschubst hätte
00:30:13
Und deswegen kann ich auch diesen Gedanken natürlich sehr gut nachvollziehen
00:30:17
Dass sie das gerne hätten, ja
00:30:19
Und ich habe auch mit dem Anwalt der Familie gesprochen
00:30:22
Und er meinte, dass es gefühlt natürlich für Betroffene schon einen Unterschied macht
00:30:28
Ob jetzt halt jemand mit dem schwersten Delikt belegt wird
00:30:32
Also hier jetzt mit dem heimtückischen Mord
00:30:34
Oder mit einem minderschweren Delikt
00:30:37
Also wie jetzt der Totschlag
00:30:39
Obwohl das jetzt hier wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht hätte
00:30:42
Weil er trotzdem unbefristet in die forensische Psychiatrie gekommen wäre
00:30:46
Aber auch die Richter und Richterinnen sagten bei der Urteilsfindung
00:30:50
Dass das für die wichtig war, emotional sich daran entlanghangeln zu können
00:30:55
An was unterscheidet bei uns den Mord vom Totschlag
00:31:00
Ich habe mich für diese Folge mit dem Sicherungsverfahren beschäftigt
00:31:04
Und mache das am Beispiel dieses Falls, den ich halt eben erzählt habe
00:31:08
Die Staatsanwaltschaft und die Polizei kamen bei ihren Ermittlungen
00:31:11
Mithilfe der Sachverständigen, die dann auch nachher im Prozess teilgenommen haben
00:31:16
Zu dem Schluss, dass Habte a schuldunfähig ist
00:31:19
Wenn klar ist, dass deswegen kein normales Strafverfahren durchgeführt werden kann
00:31:23
Oder der Beschuldigte in diesem Fall deswegen dauerhaft verhandlungsunfähig ist
00:31:29
Dann kann die Staatsanwaltschaft ein Sicherungsverfahren einleiten
00:31:33
Hier besteht dann eben auch die Möglichkeit, dass der oder die Beschuldigte aufgrund seines oder ihres Zustands nicht anwesend sein muss
00:31:40
Es gibt auch den Fall, dass im Sicherungsverfahren doch die Schuldfähigkeit festgestellt wird
00:31:45
Und dann sozusagen normal verhandelt werden muss
00:31:49
Oder dass erst im normalen Strafverfahren verhandelt wird
00:31:53
Und da dann festgestellt wird, dass der oder die Beschuldigte schuldunfähig ist
00:31:58
Und dann danach das Sicherungsverfahren eingeleitet wird
00:32:01
Aber in meinem Fall hier war das halt wohl schon relativ eindeutig von Anfang an
00:32:06
Und deswegen gab es nur das Sicherungsverfahren
00:32:08
In so einem Verfahren geht es ja dann, wie gesagt, nicht um Geld oder Freiheitsstrafe
00:32:13
Sondern um die zu verhängende Maßregel
00:32:16
Und wie die aussehen soll, schreibt dann die Staatsanwaltschaft in dieser Antragsschrift
00:32:21
Genauso wie von welcher Anlasstat sie ausgeht
00:32:24
Und jetzt kann man sich ja fragen, warum will man denn jetzt eigentlich überhaupt wissen
00:32:29
Ob die Anlasstat jetzt Mord oder Totschlag ist
00:32:32
Wenn jetzt der Habte A.E. dauerhaft in die forensische Psychiatrie muss
00:32:37
Und das ist unter anderem deswegen so
00:32:40
Weil man gucken will, wie sehr wiegt denn jetzt eigentlich das Unrecht dieser Tat
00:32:45
Und dann ist es zum Beispiel möglich, anhand dessen auch zu gucken
00:32:48
Wie gefährlich ist denn jetzt dieser Täter eigentlich?
00:32:53
Also auch gerade in Zukunft für andere Menschen
00:32:55
Also beispielsweise, wenn er diese eine Psychose bei der Tat hatte
00:32:59
Und er sie aber in Zukunft immer noch haben wird
00:33:03
Und eventuell dadurch wieder eine Tat begeht
00:33:05
Aber um sich diese Frage zu beantworten
00:33:08
Also wie gefährlich ist jetzt ein Täter eigentlich
00:33:10
Macht man noch eine sogenannte Gefährlichkeitsprognose
00:33:12
Und da guckt man dann auf das Vorleben unter anderem
00:33:15
Und aber eben auch auf die Anlasstat
00:33:18
Und weil eben bei so einem Sicherungsverfahren
00:33:21
Hohe Standards eingehalten werden müssen
00:33:23
Ist es auch wichtig, dass die Straftaten, die man jetzt in dem Fall von Habte A.E. erwarten würde in Zukunft
00:33:30
Von erheblicher Bedeutung sind
00:33:32
Also wenn man bei Habte jetzt beispielsweise in Zukunft von einer Ruhestörung bei ihm ausgegangen wäre
00:33:38
Aufgrund seiner Psychose
00:33:39
Das wäre jetzt halt eben nicht von erheblicher Bedeutung
00:33:41
Und diese Hürden gibt es halt, weil so eine unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
00:33:46
Ist halt ein enormer Eingriff in die Rechte des oder der Betroffenen
00:33:51
Und jetzt rufen wir uns nochmal die Worte des Richters in Erinnerung
00:33:55
Kein Straftäter würde mit Habte A.E. tauschen wollen
00:33:58
Natürlich nicht, denn eine unbefristete Unterbringung in so einer forensischen Psychiatrie
00:34:05
Oder eine Sicherungsverwahrung
00:34:07
Also die beiden sind halt die schwersten Sanktionen
00:34:10
Weil sie zeitlich halt nicht begrenzt sind
00:34:12
Und aus so einer forensischen Psychiatrie
00:34:15
Kommt man bei so einem Delikt in der Regel sehr, sehr lange nicht raus
00:34:19
Ja, und dann ist auch das Wort Kuscheljustiz
00:34:23
Sowas von fehl am Platz
00:34:25
Ich glaube, wir haben darüber schon mal gesprochen
00:34:28
Dass es eben besonders hart ist, wenn man nicht weiß
00:34:31
Wann man wieder in Freiheit leben kann
00:34:34
Also ob das jetzt bei der lebenslangen Haftstrafe ist
00:34:37
Wo man das halt auch nicht genau weiß
00:34:39
Oder eben bei der unbefristeten Unterbringung
00:34:42
Da hat man halt gar keinen Punkt so richtig, auf den man hinarbeiten kann
00:34:48
Habte A.E. wird das möglicherweise gar nicht begreifen können
00:34:52
Aber so eine Familie natürlich
00:34:55
Deren Aufenthaltsstatus übrigens auch gebunden ist an Habte A.
00:35:00
Für Leos Vater war es ja wichtig eigentlich zu wissen, warum es passiert ist
00:35:07
Und ihm konnte ja keine richtige Antwort gegeben werden
00:35:11
Mein Fall erzählt auch von der quälenden Frage nach dem Warum
00:35:16
Einige Namen sind geändert
00:35:18
Der Pausenraum der Armaturenfabrik ist trist
00:35:23
Eigentlich kann man ihn nicht wirklich als Pausenraum bezeichnen
00:35:26
Denn es handelt sich eher um einen abgetrennten Bereich einer großen Halle
00:35:30
In der sich ein Arbeitsplatz an den nächsten reiht
00:35:33
Und die vollgestellt ist mit hohen Regalen und Maschinen, um die sich lange, dicke Kabel winden
00:35:38
Für Menschen, die sich mit Maschinenbau auskennen, macht diese Anordnung an diesen technischen Geräten vielleicht Sinn, aber also für mich sieht das aus wie ein riesengroßes Einzelteillager
00:35:49
Inmitten dieses Lagers steht ein kleiner Tisch mit fünf Stühlen, an dem die mitgebrachten Stullen gegessen werden, wenn Pause ist in der Abteilung Werkzeugbau
00:35:58
Dort findet man Nick, wie er gerade sein Müsli mit laktosefreier Milch löffelt
00:36:03
Im Gegensatz zu vielen anderen Studierenden verbringt der 23-Jährige seinen Sommerurlaub nicht am Strand, sondern damit Motoren zusammenzubauen
00:36:12
Als Werkstudent kommt er in den Ferien immer zurück, in die Firma, in der er vor sieben Jahren mit seiner Ausbildung zum Industriemechaniker begann
00:36:20
Das liegt nahe, denn die Armaturenfabrik ist in Ostwestfalen-Lippe ein attraktiver Arbeitgeber
00:36:26
Mit insgesamt über 800 MitarbeiterInnen, dem er gerne treu bleibt
00:36:30
Nick ist ein zuverlässiger Angestellter, der so gut wie nie krank ist
00:36:35
Doch an diesem 29. Juli 2016 wird ihm ein paar Stunden vor Feierabend plötzlich ganz übel
00:36:43
Es geht ihm so schlecht, dass er seinen Vorgesetzten bittet, früher nach Hause gehen zu dürfen
00:36:47
Und als er dort ankommt, muss er sich sofort übergeben
00:36:52
Das ist so anstrengend für Nick, dass er es nicht mehr schafft, die Toilette noch sauber zu machen
00:36:56
Zum Erbrechen und der Müdigkeit kommt dann noch ein komisches Taubheitsgefühl in den Fingerspitzen
00:37:02
Als er seiner Mutter Petra davon erzählt, fragt sie ihn, ob er irgendetwas genommen hätte
00:37:07
Irgendwelche Drogen oder zu viel Alkohol
00:37:09
Doch Nick hat nichts genommen
00:37:12
Shisha geraucht mit seinen Freunden war das Einzige, aber davon könne das doch jetzt nicht kommen, oder?
00:37:18
Noch den ganzen Abend fühlt sich Nick krank und platt
00:37:21
Und trotz vieler Stunden Schlaf geht es ihm auch am nächsten Tag nicht besser
00:37:24
Das ganze Wochenende über bleibt der 23-Jährige auf der Couch liegen
00:37:29
Das sieht ihm gar nicht ähnlich
00:37:31
Normalerweise sprüht Nick vor Energie
00:37:33
Geht gerne raus, macht was mit seinen Kumpels oder seinen zwei Brüdern
00:37:37
Doch auch die nächsten zwei Wochen fühlt er sich schlecht
00:37:40
Kann nicht zum Handballtraining oder zur Arbeit gehen
00:37:43
Das Kribbeln in seinen Fingern hat sich mittlerweile bis in den Unterarm ausgebreitet
00:37:48
Vater Holger macht sich mittlerweile ernsthaft Sorgen und drängt seinen Sohn am Montagmorgen zum Hausarzt zu gehen
00:37:54
Der glaubt, Nick könne sich übernommen haben und überlastet sein, weshalb er ihm Vitamine verschreibt
00:38:00
Die helfen nicht und mit Nick geht es weiter bergab
00:38:04
Am Wochenende fühlt er sich sogar zu schlapp, um bei der Geburtstagsfeier seines kleinen Bruders dabei zu sein
00:38:09
Weil seine Eltern ihn schließlich überreden, kommt er am Samstag doch mal nach unten und lässt sich blicken
00:38:14
Da fällt den Verwandten sofort auf, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt
00:38:18
Als Nick die Treppe herunterkommt, wirkt es, als sei er sturzbetrunken
00:38:23
Dazu spricht er extrem langsam und bewegt sich sehr unsicher und grobmotorisch
00:38:27
Der Geburtstag war anstrengend für Nick, weshalb er den ganzen nächsten Tag wieder nur im Bett liegt
00:38:33
Aufstehen ist heute mit sehr viel Kraft verbunden
00:38:36
Seine Eltern können das Leid ihres Sohnes nicht mehr ertragen
00:38:39
Und so fährt Holger am Montagmorgen nochmal mit Nick zum Hausarzt
00:38:42
Der kann sich den Zustand des jungen Mannes nicht erklären und überweist ihn zu einem Neurologen
00:38:47
Als der Nick sieht, ist er alarmiert
00:38:49
Er schickt Vater und Sohn sofort ins Krankenhaus
00:38:52
Bei mir schreit alles schon die ganze Zeit Krankenhaus
00:38:56
Ja, und dort wird sofort ein CCT und ein MRT durchgeführt
00:39:00
Doch beides zeigt keine besonderen Auffälligkeiten
00:39:03
Man geht jetzt von einer Entzündung des Hirnstamms aus und behandelt Nick mit Antikörpern
00:39:09
Doch das schlägt nicht an und Nicks Zustand verschlechtert sich weiter
00:39:12
So sehr, dass er eine Woche später nicht mal mehr gehen kann und nur noch in einzelnen Worten spricht
00:39:18
Daraufhin kommt er in ein Uniklinikum, wo noch einmal ein MRT durchgeführt wird
00:39:23
Dabei erkennt man eine Kleinhirnentzündung
00:39:26
Doch weitere Untersuchungen können diesen Befund nicht bestätigen
00:39:29
Die Ärzte und Ärztinnen sind ratlos
00:39:32
Mit Blutwäschen versuchen sie Nicks Zustand zu verbessern
00:39:35
Auch das hilft nicht
00:39:36
Tage später kommt es schließlich zu einem akuten Nieren- und Leberversagen
00:39:41
Für Petra und Holger ist das die schlimmste Zeit ihres Lebens
00:39:45
Auf der einen Seite ihren Sohn so hilflos und mit großen Schmerzen zu sehen
00:39:49
Und auf der anderen Seite die Ärzte und Ärztinnen, die alles versuchen und doch nicht weiterkommen
00:39:55
Ein paar Wochen später finden die Ärzte und Ärztinnen in einem Buch einen Fall, bei dem der Patient ganz ähnliche Symptome aufwies, wie Nick sie gerade hat
00:40:03
Dieser Patient hatte eine Schwermetallvergiftung
00:40:06
Daraufhin testen sie Nick unter anderem auf Blei, Aluminium und Quecksilber
00:40:11
Und es dauert nicht lange, da haben sie Gewissheit
00:40:13
Nicks Körper ist mit Quecksilber belastet
00:40:16
Jetzt heißt es so schnell handeln wie möglich, denn Quecksilber ist tödlich
00:40:21
Doch weil diese Vergiftung in Deutschland extrem selten ist, muss das erforderliche Medikament aus Polen eingeflogen werden
00:40:27
Als Nick die Medikation schließlich gespritzt bekommt, ist es zu spät
00:40:32
Das Quecksilber hat sein Gehirn bereits irreparabel geschädigt und der 23-Jährige fällt in einen Wachkoma
00:40:39
Also sehr furchtbar
00:40:41
Nachdem klar ist, dass sich Nick mit einem Schwermetall vergiftet hat, raten die Ärzte und Ärztinnen seinen Eltern Anzeige bei der Polizei zu erstatten
00:40:49
Denn solch eine Vergiftung könne nicht auf natürlichem Wege erfolgt sein
00:40:53
Und so wenden sich die Eltern noch an dem Abend der Untersuchung an die Polizei
00:40:57
Dort erzählen sie dem leitenden Ermittler Ralf Herbst genau, was Nick am 29. Juli gemacht hat
00:41:03
An dem Tag, als sein Leid begann
00:41:05
Weil er da von der Arbeit kam, wird erst einmal seinen Platz bei der Firma untersucht
00:41:10
Doch weder die Polizei noch die Arbeitsschutzexperten und Experten der Bezirksregierung können dort eine Ursache für die Vergiftung ausmachen
00:41:17
Auch in Nicks persönlichem Umfeld hatte nachweislich niemand Kontakt mit Quecksilber
00:41:22
Sogar die Shisha und Nicks E-Zigarette werden untersucht, alles negativ
00:41:26
Petra und Holger verstehen die Welt nicht mehr
00:41:29
In der Hoffnung, sich das endlich alles erklären zu können, spinnen sie herum
00:41:33
Vermuten Quecksilber in ihren Leitungen
00:41:35
Doch nirgends lässt sich eine Verbindung zu dem giftigen Schwermetall feststellen
00:41:40
Im Juni 2017 wird daher das Ermittlungsverfahren eingestellt
00:41:44
Und Holger und Petra bekommen keine Antwort darauf, warum ihr Sohn nicht mehr der Alte ist
00:41:50
Im Januar 2018 sitzt Simon im Pausenraum der Abteilung Werkzeugbau
00:41:57
Schon mehr als anderthalb Jahre sitzt sein Kollege Nick ihm hier nicht mehr gegenüber
00:42:01
Er liegt noch immer im Koma und keiner weiß warum
00:42:04
Simon hatte ein Jahr vor Nick seine Ausbildung in der Firma begonnen und seinen drei Jahre jüngeren Kollegen sehr gemocht
00:42:11
Als er jetzt an dem kleinen Tisch mit den fünf Stühlen sitzt und in sein mitgebrachtes Butterbrot beißen will
00:42:17
fallen ihm darauf kleine weiße Krümel auf
00:42:20
Er geht davon aus, dass der Belag verschimmelt ist und wirft die Stulle weg
00:42:23
Doch als es ein paar Tage später wieder passiert, achtet er ab dato morgens immer ganz genau, wie sein Brot aussieht, wenn er es sich schmiert
00:42:31
Zwei Monate später entdeckt Simon dann auf der Arbeit bräunliches Pulver auf seinem Pausenbrot
00:42:37
Das kann doch nicht sein, denkt er sich
00:42:39
Schließlich war das morgens, als er sich die Stulle selbst geschmiert hat, noch nicht so gewesen
00:42:44
Am Abend erklärt er sich das Pulver dann aber damit, dass es wahrscheinlich Dreck aus seinem Rucksack war
00:42:49
Woraufhin er diesen aussaugt
00:42:52
Doch noch dreimal findet er auf seiner Stulle Substanzen, die dort nicht hingehören
00:42:57
Simon wird endgültig misstrauisch
00:42:59
Er erinnert sich daran, dass er bereits vor einem Jahr ein paar Mal auf der Arbeit Veränderungen seines Trinkwassers bemerkt hatte
00:43:06
Das war mehrfach milchig verfärbt und schmeckte süßlich
00:43:09
Er hatte das damals auf den davor getrunkenen Kaffee mit Milch geschoben und das Wasser dann weggeschüttet
00:43:15
Aber auch sein Kollege Udo hatte milchiges Wasser gehabt
00:43:18
Er meinte zu Simon, dass das vielleicht auch von der direkten Sonneneinstrahlung kommen könnte
00:43:23
Simon kommt ein Verdacht
00:43:24
Was ist, wenn jemand seine mitgebrachten Butterbrote und sein Wasser verunreinigt, wenn er die Sachen unbeaufsichtigt im Pausenraum stehen lässt
00:43:33
Das könnte die Erklärung dafür sein, warum es ihm seit ca. einem Jahr immer wieder so schlecht geht
00:43:38
Denn seither kämpft Simon immer wieder mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Abgeschlagenheit
00:43:44
Schon lange kann er keinen Marathon mehr laufen, so wie er es früher tat
00:43:48
Seine Nieren haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht
00:43:51
Doch warum die nicht mehr richtig funktionieren, konnte ihm bisher niemand erklären
00:43:54
Simon geht mit seinem Verdacht zu seinem Vorgesetzten, der daraufhin veranlasst, eine versteckte Kamera im Pausenraum zu installieren
00:44:01
Als Simon dann erneut Pulver auf seinen Broten findet, werden die Aufnahmen der Videokamera überprüft
00:44:08
Zusammen mit seinem Vorgesetzten sieht er darauf, wie ein Kollege an zwei Tagen Simons Brotdose aus seinem Rucksack nimmt, sie aufklappt, die Innenseite der Stulle mit Pulver bestreut
00:44:20
Und dann schnell alles wieder zurücklegt
00:44:22
Ach du meine Güte, also
00:44:24
Simon traut seinen Augen nicht und sein Vorgesetzter geht von einer Art Scherz aus
00:44:30
Weil warum sollte ein Kollege irgendetwas auf Simons Brot streuen?
00:44:34
Nach dem Sichten der Aufnahmen geht Simon zur Polizei mit dem Video und den Broten, die er aufbewahrt hatte im Gepäck
00:44:41
Sofort werden die ins Labor geschickt und Stunden später stellt sich heraus, das Pulver ist Bleiacetat
00:44:48
Pro Brot das Vierfache einer tolerierten Wochendosis
00:44:51
Und somit dazu imstande, Simon dauerhaft körperlich und geistig zu schädigen
00:44:55
Och, und wussten die da schon welcher Kollege das ist?
00:45:01
Ja, das wussten die
00:45:02
Dieser besagte Kollege wird nämlich einen Tag später in der Firma verhaftet
00:45:07
Bei sich trägt er ein kleines Pulverfläschchen mit der Aufschrift Blei A
00:45:12
Der Mann heißt Klaus O., ist Schlosser und arbeitet seit fast 40 Jahren in der Armaturenfabrik
00:45:18
Sein Chef sagt über ihn, er sei auffällig, unauffällig
00:45:22
Und im Kollegenkreis ist Klaus nicht gerade beliebt
00:45:25
Denn der 56-Jährige bleibt die meiste Zeit für sich und arbeitet am liebsten mit Kopfhörern
00:45:30
Wenn mal jemand Hilfe braucht, ist er zwar gerne bereit, sein Wissen zu teilen
00:45:34
Privates behält er aber immer für sich
00:45:36
Einmal hatte Simon ihn gefragt, was er am Wochenende vorhat
00:45:40
Da war Klaus Antwort, was geht dich das an?
00:45:42
Viel wissen die MitarbeiterInnen der Firma also nicht
00:45:45
Von dem Mann, der Bleiacetat auf das Butterbrot von Simon streute
00:45:50
Doch das soll sich bald ändern
00:45:52
Denn mit dem Tag seiner Verhaftung wird Klaus O.'s Leben auf den Kopf gestellt
00:45:56
Zuerst ist sein Haus dran
00:45:59
Das Haus, in dem er zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt
00:46:03
Mit dabei bei der Durchsuchung ist Ralf Herbst, der Polizist, der 2016 im Fall von Nick ermittelt hat
00:46:09
Er durchsucht gerade das Schlafzimmer, als er in der Nachttischschublade ein Buch mit dem Titel
00:46:14
Organisch-chemische Experimentierkunst entdeckt
00:46:18
Er öffnet es auf einer Seite, die mit handgeschriebenen Notizen bekritzelt und kleinen gelben Zetteln beklebt ist
00:46:24
Da fällt ihm direkt ein Wort ins Auge
00:46:28
Und in seinem Kopf setzen sich Teile zu einem Puzzle zusammen
00:46:31
Wieder eine Vergiftung
00:46:33
Wieder beim selben Arbeitgeber
00:46:35
Als Ralf Herbst dann den Keller des Hauses betritt, wird ihm klar
00:46:39
Dass es derselbe Täter sein muss
00:46:42
Denn dort, in einem kleinen Heizungsraum
00:46:44
Hat sich Klaus O. ein regelrechtes Chemielabor eingerichtet
00:46:48
Gesäumt von tütenweisen Chemikalien
00:46:51
In Säure, eingeweichten Akkus, Tellern und Schraubgläsern voller gelber, grüner und durchsichtiger Substanzen
00:46:59
Nach Untersuchung stellen sich die unter anderem als Quecksilber, Cadmium und Bleiverbindungen heraus
00:47:07
Darunter die Methyl-Quecksilber
00:47:10
Davon bewahrt Klaus O. 500 Milliliter in einem leeren Mayonesenglas mit Schraubverschluss auf
00:47:15
Die Methyl-Quecksilber ist ein hochgiftiger Stoff
00:47:19
Ein paar Tropfen auf den Handschuh einer US-amerikanischen Chemikerin hatte sie im Jahr 1979 getötet
00:47:27
Das ist ja unfassbar
00:47:29
Nachdem man weiß, dass Simon möglicherweise Bleiacetat gegessen hat, wird er auf Schwermetalle untersucht
00:47:36
Dabei kommt heraus, dass er hohe Blei- und Cadmiumwerte im Blut hat und dass das die Ursache für seinen dauerhaften Nierenschaden ist
00:47:43
Und Simon ist nicht der Einzige in der Firma, der schwer nierenkrank ist
00:47:48
Sein Kollege Udo, der damals auch milchiges Wasser getrunken hat, kann wegen seiner Nieren schon seit einiger Zeit nicht mehr arbeiten
00:47:54
Bei dem 56-Jährigen fängt es 2015 an, mit Bauchschmerzen, Erbrechen und Müdigkeit
00:48:00
Über drei Jahre quält er sich mit diesen Beschwerden, bis im April 2018 seine Nieren versagen
00:48:06
Seitdem muss der Familienvater wöchentlich zur Dialyse, kann nie mehr als einen Liter Flüssigkeit am Tag zu sich nehmen, ohne schwere Krämpfe zu bekommen
00:48:15
Den Grund für sein Leiden hatte sich niemand erklären können
00:48:18
Bis jetzt, denn auch bei Udo finden sich erhöhte Blei- und Cadmiumwerte im Blut
00:48:23
Während das Ausmaß von Klaus Osttaten klare Umrisse erhellt, liegt Nick noch immer im Koma
00:48:30
Drei Monate hatte er damals noch im Uniklinikum bleiben müssen, bevor er weitere drei in einem anderen Krankenhaus untergebracht wurde
00:48:37
In dem er einmal reanimiert werden musste
00:48:39
Im Februar 2017 durften Holger und Petra ihren Sohn dann mit nach Hause nehmen
00:48:44
Dort liegt er seither in einem Bett, braucht 24 Stunden am Tag Betreuung
00:48:49
Dafür kommt morgens und abends eine Pflegekraft
00:48:52
Und in der restlichen Zeit wechseln sich Holger und Petra ab
00:48:55
Auch die Geschwister versuchen so gut es geht zu helfen
00:48:57
Nick ist jetzt ein sogenannter Schwerstpflegefall
00:49:01
Er hat alle Funktionen seines Bewusstseins verloren
00:49:04
Wird künstlich über eine Magensonde ernährt
00:49:06
Durch einen Schlauch beatmet
00:49:08
Er hat einen Blasenkatheter
00:49:10
Er muss gewickelt und abgesaugt werden
00:49:12
Sein Zustand wird sich nie wieder verbessern
00:49:15
Und Schuld daran ist laut Staatsanwaltschaft Klaus O
00:49:19
Dem Holger und Petra im Prozess als Nebenklägerin gegenüber sitzt
00:49:23
Bei der Verhandlung, die am 15. November 2018 vor dem Bielefelder Landgericht beginnt
00:49:29
Ich krieg's solche Gänsehaut
00:49:31
Angeklagt ist Klaus O wegen versuchten, heimtückischen und grausamen Mordes und Körperverletzung
00:49:37
Zum Prozessauftakt schildert der Staatsanwalt
00:49:40
Wie der gelernte Schlosser über Jahre hinweg Kollegen vergiftet haben soll
00:49:43
Um ihnen beim körperlichen Verfall zuzusehen
00:49:46
Klaus O lauscht den Worten der Anklageschrift äußerlich unberührt
00:49:51
Er hatte keine Aussagen gemacht und will sich auch jetzt nicht einlassen
00:49:55
Womit sich der erste Prozesstag schnell dem Ende zuneigt
00:49:58
Am zweiten Tag werden Simon und Udo in den Zeugenstand gebeten
00:50:02
Beide von ihrer schlechten Gesundheit gezeichnet, blassgräulich im Gesicht
00:50:06
Udo, der 30 Jahre lang Seite an Seite mit Klaus O zusammengearbeitet hat, sucht während seiner Befragung immer wieder nach Worten
00:50:14
Seit der Vergiftung leidet er nicht nur unter seinen Nieren, sondern auch unter Konzentrationsstörungen und Gedächtenslücken
00:50:20
Als Simon dran ist, erklärt er, dass er sich heute große Vorwürfe macht, nicht früher Alarm geschlagen zu haben
00:50:27
Damals schon, als er das trübe Wasser entdeckt hatte
00:50:31
Aber er hatte Angst gehabt, sich zu blamieren
00:50:34
Und glauben konnte er es eigentlich auch, nachdem er das Video gesehen hatte, lange nicht
00:50:38
Das Video, das den Angeklagten überführt hat und auch hier vor Gericht gezeigt wird
00:50:44
Nicks Eltern werden ebenfalls in den Zeugenstand gebeten
00:50:48
Er ist Holger, der über die Zeit im Sommer 2016 berichtet, die alles im Leben seiner Familie verändert hat
00:50:54
Danach fragt der Vorsitzende Richter
00:50:56
Mögen Sie mir auch etwas über sich erzählen?
00:50:59
Das ist ein heikles Thema, antwortet Holger
00:51:03
Leben will ich nicht mehr
00:51:05
Aber sterben darf ich auch nicht
00:51:07
Ich habe ja noch eine Familie, da kann man sich nicht einfach aus dem Staub machen
00:51:11
Im Publikum kämpfen viele Anwesenden bei dieser Aussage mit den Tränen
00:51:16
Auch der Vorsitzende ist sichtlich bewegt
00:51:19
Er schließt die Beweisaufnahme mit den Worten
00:51:21
Als Vater spreche ich ihnen meinen Respekt aus
00:51:24
Danach ist Petra dran
00:51:28
Sagt, dass sie Klaus O. ihren seelischen Schmerz wünscht
00:51:31
Nicht aber seinen Kindern
00:51:33
Die können ja nichts dafür, dass ihr Vater ein Irrer ist
00:51:37
Ob Klaus O. tatsächlich seelisch krank und vielleicht sogar schuldunfähig ist
00:51:41
Soll ein psychiatrischer Gutachter erklären
00:51:44
Doch auch ihm hatte der Angeklagte die Aussage verweigert
00:51:48
Der Sachverständige stützt sich bei seiner Aussage daher auf die Akten
00:51:52
Und er stellt fest, dass Klaus O. weder wahnkrank sei
00:51:55
Noch an einer krankhaften Persönlichkeitsstörung leide
00:51:58
Ich finde bei Herrn O. nichts, was ihn aus psychiatrischer Sicht entschuldigt, betont er
00:52:03
Zwar habe Klaus O. keine leichte Kindheit gehabt
00:52:06
Mit einer psychisch kranken Mutter und einem überforderten Vater
00:52:10
Doch seinen eigenen Kindern habe er eine tolle Kindheit schenken können
00:52:13
Zeugen und Zeuginnen beschreiben ihn als liebevoll und fürsorglich
00:52:17
Als Familienvater, der mit seinen Söhnen am Wochenende ein Baumhaus baut und im Keller werkelt
00:52:22
Und als perfekten Ehemann, der mit seiner Frau in den Urlaub fährt und bei Krisen zur Eheberatung geht
00:52:29
Doch für seine Kollegen habe er offenbar kein Mitgefühl aufbringen können
00:52:33
Für ihn seien sie mehr Objekte gewesen als Menschen
00:52:36
Dazu passt, was Klaus O. einem Gefängnispsychiater erzählt hat, als dieser herausfinden sollte, ob er suizidgefährdet ist
00:52:44
Der Psychiater erzählt, ihm sei es so vorgekommen, als habe er mit einem Wissenschaftler gesprochen, der ausprobieren wollte, wie bestimmte Stoffe bei einem Kaninchen würden
00:52:54
Das Motiv also reine Neugier
00:52:57
Der psychiatrische Gutachter glaubt eher an das Motiv der Macht
00:53:02
Klaus O. das ohnmächtige Kind von früher, das jetzt andere ohnmächtig zurücklässt
00:53:08
Sein Schweigen in diesem Verfahren könnte seine letzte mögliche Machtdemonstration sein
00:53:13
Das Gutachten schließt der Sachverständige mit einer düsteren Prognose ab
00:53:17
Klaus O. sei gemeingefährlich
00:53:19
Ja, er ist gemeingefährlich und gemein und gefährlich
00:53:23
Am letzten Prozestag plädiert die Verteidigung auf neun Jahre Freiheitsstrafe wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung
00:53:32
Die Staatsanwaltschaft hingegen fordert lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen versuchten Mordes
00:53:38
Nicks Eltern, Simon und Udo, möchten außerdem, dass die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird
00:53:44
Nach dem Plädoyers ließ Simons Anwalt noch einen Brief vor, den Simon am Abend zuvor geschrieben hatte
00:53:50
In diesem fleht er den Angeklagten an ihm endlich eine Antwort auf die Warum-Frage zu geben
00:53:56
Danach wendet sich der Vorsitzende dem Beschuldigten zu und sagt
00:54:00
Das Recht zu schweigen ist ein Menschenrecht, das Gerichte seit dem 18. Jahrhundert hochhalten
00:54:05
Klaus O. zieht das Mikrofon zu sich, setzt zum Sprechen an und aus seinem Mund dringend neun Worte
00:54:20
Ich schließe mich den Ausführungen meiner Verteidiger vollumfänglich an
00:54:27
Das ist halt einfach ne...
00:54:30
Herzlichen Dank, jetzt wissen wir, dass du sprechen kannst, aber nicht möchtest
00:54:34
Das ist einfach ne Verhöhnung der Opfer
00:54:37
Also dann hätte der auch einfach gar nichts sagen können
00:54:39
Anfang März 2019 wird das Urteil gesprochen
00:54:45
Klaus O. wird wegen versuchten Mordes und schwerer gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt
00:54:53
Außerdem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt und eine Sicherungsverwahrung angeordnet
00:54:58
Versuchter Mord, weil es sich um tödliches Gift gehandelt hat und das Mordmerkmal der Heimtücke gegeben war
00:55:04
Denn Nick war arglos gewesen im Pausenraum
00:55:07
Er hatte während der Arbeitszeit nicht mit einem feindseligen Angriff seines Kollegen gerechnet
00:55:11
und daher keine Möglichkeit gehabt, den Angriff abzuwehren
00:55:14
Was Simon und Udo angeht, kann die Kammer keinen direkten Tötungsvorsatz feststellen
00:55:19
Weil die Menge des Gifts auf den Butterbroten für eine direkte Tötung zu niedrig war
00:55:23
Trotzdem handelt es sich bei der Strafe für Klaus O. um die höchste, die in Deutschland möglich ist
00:55:29
Begründet wird sie mit den gravierenden Folgen für die Opfer
00:55:32
Für Simon und Udo, die nie wieder gesund werden
00:55:35
und deren Angst vor möglichen Spätfolgen wie Krebs sie ihr Leben lang begleiten wird
00:55:40
Und für Nick, der nur noch als leibliche Hülle seiner selbst existiert
00:55:44
Alle Funktionen, die das Leben lebenswert machen, sind ausgeschaltet, erklärt der Vorsitzende
00:55:49
Aber er wird noch geliebt, fügt er laut hinzu und blickt dabei in die Richtung von Nicks Eltern
00:55:55
Als diese Worte Petra erreichen, fängt sie an zu weinen und hält Holgers Hand ganz fest
00:56:01
Auch wenn das Urteil für die Familie eine Art Genugtuung ist, können sie auch nach dem Prozess nicht abschließen
00:56:08
Jeden Tag werden sie an das Leid erinnert, das Klaus O. über ihre Familie gebracht hat
00:56:13
Eine Therapie bricht Petra ab
00:56:15
Die Zeit, in der sie beim Therapeuten ist, will sie lieber bei ihrem Sohn verbringen
00:56:19
Während Nicks älterer Bruder lernt, mit dem Zustand zu leben, ist es für den Jüngsten eine Qual
00:56:24
Er kann seinen großen Bruder kaum mehr ansehen
00:56:27
So weh tut es ihm, ihn so leiden zu sehen
00:56:29
Zehn Monate nach dem Urteilsspruch stirbt Nick schließlich im Kreise seiner Liebsten
00:56:34
Nach mehr als drei Jahren im Koma
00:56:36
Heute sitzt Nicks kleiner Bruder im Pausenraum der Armaturenfirma, wenn er sein mitgebrachtes Mittagessen isst
00:56:45
In dem tristen, abgetrennten Bereich, umgeben von Arbeitsplätzen mit großen Maschinen und dicken, langen Kabeln drumrum
00:56:51
Dort, wo man sich immer noch fragt, warum
00:56:54
Das sind ja furchtbare Fälle, die wir uns ausgesucht haben
00:57:00
Ja, weil diese Art einfach so schrecklich ist, weil es so unerwartet kommt
00:57:08
Weil diese Taten halt so unfair wirken
00:57:12
Ja, und besonders dieses bei Udo und Simon, dieses langsame Krankmachen
00:57:23
Und das jeden Tag mit ansehen, dass es ihnen schlechter geht und schlechter geht
00:57:27
Und irgendwann Udo auch nicht mehr zur Arbeit kommen kann
00:57:29
Ja, ich habe von einem anderen Fall gelesen, bei dem jemand so vergiftet wurde
00:57:35
Und in dem Artikel stand, dass sich solche Substanzen halt ganz langsam im Körper anreichern
00:57:43
Weshalb es einem immer schlechter geht
00:57:46
Aber man halt nie weiß, warum, weil wie du schon gesagt hast, das gar nicht so oft passiert halt
00:57:52
Und man deswegen auch nicht darauf getestet wird
00:57:55
Und ich weiß nicht, ob das so viele wissen, aber wenn man etwas hat und die Ärzte und Ärztinnen finden das nicht
00:58:02
Das ist so eine Tortur und so eine Qual
00:58:07
Nicht zu wissen, was man hat
00:58:10
Und gerade bei diesen Quecksilberfällen finde ich das so tragisch, weil sie diesen Verfall die ganze Zeit noch mitbekommen
00:58:17
Und wir wissen am Ende dann, was daraus geworden ist und die halt nicht mehr
00:58:21
Und bei Nick war das jetzt auch nur so, dass er noch drei Jahre weiter gelebt hat
00:58:29
Weil es doch dann noch relativ schnell herausgefunden worden ist
00:58:33
Also die haben dann schon angefangen, ihn zu entgiften
00:58:37
Da gibt es dann so ein Gegengift, was du sozusagen nehmen kannst
00:58:40
Was aber auch nicht ganz ohne ist
00:58:42
Aber weil die schon gesehen haben, dass das Gehirn irreparabel geschädigt war
00:58:46
Haben sie dann damit aufgehört, um ihn nicht noch mehr zu schädigen sozusagen mit dem anderen Gift
00:58:50
Weil das auch nichts gebracht hätte
00:58:52
Aber wenn man es direkt weiß, dann kann man schnell reagieren
00:58:57
Aber niemand ist darauf vorbereitet
00:58:59
Kein Arzt oder keine Ärztin denkt, dass wenn du mit solchen Symptomen irgendwo hinkommst, dass es Quecksilber sein könnte
00:59:05
Natürlich nicht, es sei denn, du hast das gerade zufällig irgendwo gelesen
00:59:08
Hast einen Geistesblitz
00:59:09
Warum sollte sich jemand mit Quecksilber vergiften?
00:59:13
Was mich auch so schockiert ist, dieser Täter
00:59:16
Und ich habe auch letztens mal gelesen, jemand hatte uns eine Nachricht geschrieben oder einen Kommentar
00:59:21
Dass wir früher mehr zu den Tätern auch gemacht haben oder zu den Täterinnen
00:59:27
Und hier war ich aber tatsächlich einfach sehr, sehr sauer auf diesen Täter
00:59:34
Und ich wollte auch nicht mehr über ihn herausfinden
00:59:38
Wie auch? Er sagt ja nichts
00:59:39
Ja, erstens sagt er nichts, aber ich wollte ihn auch nicht so in den Mittelpunkt stellen
00:59:44
Weil, nee, um dich geht es halt einfach nicht
00:59:46
Aber es ist natürlich interessant, weil der Psychiater, ich meine, er hat nicht mit ihm geredet, du hast es gerade gesagt
00:59:53
Aber er hatte ja ganz viele Informationen und auch von Zeugen und Zeuginnen
00:59:58
Dass er nichts gefunden hat
01:00:00
Also kein Entschuldigungsgrund oder irgendwas
01:00:03
Was für ein Doppelleben muss man denn führen, wenn man der Zuhause wirklich ein fürsorglicher Vater und Ehemann ist
01:00:11
Und dann sowas bei der Arbeit machen kann
01:00:13
Es ist mir auch egal
01:00:14
Du möchtest nicht versuchen, eine Erklärung für dein absurdes, furchtbares, tödliches Verhalten zu finden
01:00:20
Wir werden es nicht tun
01:00:21
Also dann hören wir halt den Menschen zu, die leiden aufgrund deiner Taten
01:00:26
Also, so weit kommt es ja noch
01:00:28
Weißt du, wen ich ganz stark finde in diesem Fall, den Vorgesetzten
01:00:33
Denn sowas zu veranlassen, da eine Überwachungskamera für seine eigenen Schäfchen, sag ich mal, zu installieren
01:00:42
Obwohl man natürlich seine Angestellten schützen möchte
01:00:46
Finde ich das auch gut, dass man denen dann auch Glauben schenkt, wenn sie meinen, hier stimmt etwas nicht
01:00:51
Und vor allen Dingen, dazu kommt ja noch, dass das ja keiner glaubt
01:00:56
Also auch, wenn jemand zu dir kommt und sagt, guck mal, auf meinem Brot sind Krümel
01:00:59
Und dann sagt, das glaube ich, das tut mir da jemand drauf
01:01:03
Dann sagst du ja eigentlich, nee, das hast du dir da selber drauf geschmiert
01:01:06
Ich habe ganz oft weiße Krümel auf meinem Brot, weil das natürlich schimmelt nach einer Zeit
01:01:12
Im Fall von Nick hatte das Gericht ja, anders als bei Udo und Simon, versuchten Mord festgestellt
01:01:19
Und zwar, weil es sich sicher war, dass Klaus O. von der tödlichen Wirkung des Quecksilbers wusste
01:01:24
Und Nick's Tod damit billigend in Kauf nahm
01:01:26
Und dass Nick dann noch so lange überlebte, habe ich ja eben gesagt
01:01:29
War, weil er schnell, relativ schnell ins Krankenhaus kam
01:01:32
Weil das Gericht aber nicht erkennen konnte, was
01:01:37
Und der Versuch wird definiert in Paragraph 22 des Strafgesetzbuchs
01:01:56
Und der liegt dann vor, wenn der Täter oder die Täterin
01:02:00
Und dabei liegt der Versuch zwischen der Tatvorbereitung, die nicht strafbar ist
01:02:11
Und der Tatvollendung, zu der es aber logischerweise beim Versuch nicht kommt
01:02:16
Wichtig ist der gefasste Tatentschluss und das unmittelbare Ansetzen
01:02:20
Der Tatentschluss ist beispielsweise
01:02:22
Ich werde Hans-Peter töten
01:02:25
Da muss ich fest entschlossen sein, diese Tat zu begehen
01:02:28
Und dann muss ich unmittelbar zu dieser Tat ansetzen
01:02:32
Aber was heißt unmittelbar?
01:02:34
Also wenn ich auf Hans-Peter zugehe und ihm meine Hände um den Hals lege
01:02:39
Oder erst dann, wenn ich richtig zudrücke
01:02:41
Und das ist nicht immer ganz klar
01:02:43
Und dazu gibt es auch in der Rechtswissenschaft unterschiedliche Theorien
01:02:47
Da gibt es eine, bei der dann das Eindringen des Täters bzw. der Täterin
01:02:52
In die Sphäre des Opfers als unmittelbares Ansetzen gilt
01:02:55
Wenn zwischen Eindringen und Erfolgsverwirklichung nicht viel Zeit vergeht
01:03:00
Also mal auf Deutsch
01:03:02
Zum Beispiel, wenn jemand dich jetzt verfolgt, um dich anzugreifen
01:03:06
Und dir schon ganz nah ist
01:03:08
Dann ist diese Person schon in die Sphäre von dir eingedrungen
01:03:13
Und dann ist das das unmittelbare Ansetzen
01:03:15
So wie bei der Supermarktkasse, wenn jemand momentan so ganz dicht in meine Sphäre eindringt
01:03:20
Versuchte Körperverletzung
01:03:23
Versuchte Annäherung
01:03:25
Wird hart bestraft
01:03:27
Und bei einer anderen Theorie zum Beispiel
01:03:31
Liegt das Ansetzen dann vor, wenn der Täter bzw. die Täterin davon ausgeht
01:03:36
Dass zwischen der gerade getätigten Handlung und der Erfolgsverwirklichung
01:03:39
Kein relevanter Zwischenschritt mehr liegt
01:03:42
Also auf Deutsch
01:03:43
Wenn zum Beispiel jemand an deiner Tür klingelt
01:03:45
Um dich zu überfallen
01:03:47
Ich finde das gut, dass du JuristInnen-Sprache immer auf Deutsch nochmal übersetzt
01:03:53
Für Nicht-Juristen und JuristInnen
01:03:55
Also wenn jemand bei dir klingelt
01:03:59
Um dich zu überfallen
01:04:00
Und eben vorhat, das direkt zu machen
01:04:03
Nachdem du die Tür geöffnet hast
01:04:06
Aber wenn die Person klingelt
01:04:09
Nur um zu überprüfen, dass du nicht zu Hause bist
01:04:11
Weil diese Person nämlich in deine Wohnung einbrechen will
01:04:13
Und dort dann auf dich warten will
01:04:15
Und dann erst angreift
01:04:16
Dann ist dieses Klingeln noch nicht das unmittelbare Ansetzen
01:04:20
Vor Gericht handelt es sich ja
01:04:23
Wir wissen immer um Einzelfälle
01:04:25
Und bei denen werden dann Kombinationen aus verschiedenen Theorien angewandt
01:04:29
Ein Beispiel, das relativ umstritten ist
01:04:31
Ist ein Fall aus dem Jahr 1999
01:04:32
Da hatte eine Gruppe rechtsextremistischer Jugendlicher drei Ausländer angegriffen
01:04:38
Eines der Opfer floh und verletzte sich dabei an einer Glasscheibe so schwer, dass er verblutete
01:04:43
Das Landgericht entschied auf fahrlässige Tötung
01:04:47
Doch sowohl Verteidigung als auch NebenklägerInnen waren dann bis vor den BGH gezogen
01:04:52
Der dann entschied, dass es sich aber um versuchte Körperverletzung mit Todesfolge handelt
01:04:56
Denn Körperverletzung war ja die geplante Tat gewesen
01:05:00
Und die Täter hatten auch zu dieser angesetzt
01:05:02
Und gestorben war das Opfer aufgrund dieser versuchten Körperverletzung
01:05:07
Und bei der Höhe der Strafe für einen Versuch
01:05:10
Orientiert sich das Gericht dann an der Strafe für das jeweils vollendete Delikt
01:05:15
Allerdings steht im Strafgesetzbuch explizit, dass der Versuch milder bestraft werden kann
01:05:19
Vor Gericht geht es dann halt eben um die Umstände, die da geherrscht haben
01:05:24
Und bei Nick hatte das Gericht eben keinen Unterschied gesehen zum vollendeten Mord
01:05:28
Und deshalb die gleiche Strafe verhängt
01:05:31
In dem Fall können, denke ich, die meisten die Strafe nachvollziehen
01:05:34
Oder viele die Strafe nachvollziehen
01:05:36
Aber Klaus Uhe hätte auch wegen Körperverletzung bestraft werden können
01:05:40
Was ist denn deine generelle Meinung dazu, dass Versuche einer Straftat bestraft werden?
01:05:47
Weil in manchen Fällen heißt das ja auch, dass jemand bestraft wird, auch wenn gar nichts passiert ist
01:05:53
Ja, und das habe ich, glaube ich, einmal in Folge 15, als du von dem Katzenkönigfall geredet hast
01:06:00
Hast du es schon mal gesagt?
01:06:01
Ja, weil das Opfer in diesem Blumenladen ist ja am Ende nicht gestorben
01:06:08
Aber da haben wir auch über die Ahnung einer versuchten Tat gesprochen
01:06:13
Oder das habe ich dann nicht zugehört
01:06:15
Oder es ist einfach schon sehr lange her
01:06:19
Ich verzeihe es dir
01:06:20
Und ich finde es total richtig, weil in einigen Fällen hat der Täter oder die Täterin ja nur Glück
01:06:27
In Anführungsstrichen gehabt, dass es nicht so weit gekommen ist
01:06:30
Die können manchmal nichts dazu tun oder dagegen tun, dass die Person dann stirbt oder nicht
01:06:36
Sondern das hat mit einer körperlichen Konstitution zu tun, mit vielen Umständen
01:06:40
Und sie können es nicht beeinflussen
01:06:42
Und dementsprechend bin ich auch bei Fällen, wo sie es eben nicht beeinflussen konnten durch ihre Tat
01:06:48
Bin ich eher dafür, das wie eine vollendete Tat zu werten
01:06:52
Weil warum sollte jemand davon profitieren, dass äußere Umstände dazu verholfen haben, dass die Person dann nicht gestorben ist
01:07:00
Ja, oder wenn er einfach zu blöd ist, um die Tat richtig umzusetzen, wie er sich das gedacht hat
01:07:04
Ja, und im Fall von Nick hattest du ja gesagt, dass das Gericht davon ausgegangen ist, dass Klaus O. das hätte wissen müssen, dass diese Menge zum Tod führt
01:07:13
Ja, er wusste das
01:07:14
Ja, naja, und dann denke ich mir, naja, er wollte das ja
01:07:17
Also er wollte den Tod herbeiführen und dann finde ich auch, sollte er für das vollendete Delikt verurteilt werden
01:07:24
Ja, und nur weil es nicht direkt geklappt hat, warum sollte er dann dafür belohnt werden, obwohl er das eigentlich wollte
01:07:31
Aber belohnt wird eine Person, die von dem Versuch zurücktritt
01:07:36
Also wenn der Täter oder die Täterin beispielsweise aufhört, das Opfer zu würgen, dann wird der Versuch straflos
01:07:43
Ja, also belohnt im Sinne von, die Person kriegt ein geringeres Strafmaß
01:07:48
Nee, die Person wird dann explizit belohnt dafür, dass es zurückgetreten ist und wird gar nicht für den Versuch bestraft
01:07:56
Natürlich kann die Person dann noch wegen anderer Sachen bestraft werden, wenn die zum Beispiel die Person verletzt hat, wegen Körperverletzung
01:08:03
Aber wenn nicht, nicht und das machen die ganz explizit so
01:08:06
Das ist natürlich auch gut so, weil wenn das Leute wissen, dass sie dann vielleicht eher noch mitten in einer Tat abbrechen
01:08:15
Übrigens ist es strafrechtlich egal, ob die geplante Tat auch tatsächlich durchführbar ist
01:08:21
Also wenn ich glaube, ich kann Hans-Peter mit einer Wasserflasche umbringen und dazu ansetze, dann ist das auch ein Versuch
01:08:28
Also wenn ich glaube, ich kann dich mit Schmetterlingbewerfen umbringen und ich setze dazu an, dann kann ich auch dafür
01:08:37
Also Schmetterlinge weiß ich jetzt nicht, aber meine Flasche ist auf jeden Fall so
01:08:41
Und ich mache mich auch dann strafbar, wenn ich eine Vogelscheuche angreife, in der Annahme, dass es sich dabei um Hans-Peter handelt
01:08:49
Abzugrenzen ist dieser sogenannte untaugliche Versuch, allerdings vom abergläubischen Versuch
01:08:56
Also wenn du jetzt probierst, mich mit einem Fluch zu töten, dann machst du dich nicht strafbar
01:09:02
Also mach einfach weiter
01:09:06
Dann kann ich die Nadel in deiner Voodoo-Puppe ja drin lassen
01:09:11
Die beiden Fälle, die wir gerade vorgestellt haben, das sind so typische Heimtücke-Fälle
01:09:18
Also zum Beispiel dieses von hinten Schubsen
01:09:21
Das kann übrigens auch von einer Brücke sein oder auf die Straße, das ist egal
01:09:26
Und halt dieser Giftmord
01:09:27
Weil man in beiden Fällen die Attacke halt nicht hat kommen sehen, wie ihr auch gehört habt
01:09:33
Und der Täter oder die Täterin unvermittelt angreift
01:09:37
Und das ist in der Regel beispielsweise auch bei schlafenden Personen so
01:09:41
Weil man davon ausgeht, dass jemand, der bewusst schlafen geht, nicht mit einem Angriff auf sein oder ihr Leben rechnet
01:09:47
Und andere typische Heimtücke-Morde sind zum Beispiel Auftragsmorde
01:09:51
Oder die, wo Personen in einen Hinterhalt gelockt werden
01:09:56
Ja, wie zum Beispiel bei meinem Fall aus Folge 60
01:09:59
In dem Kämer ja den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester zu diesem Parkplatz gelockt hat, um ihn zu töten
01:10:05
Und der Stefan H. hatte gedacht, er kommt da halt hin zu einem Drogengeschäft
01:10:10
Und war deshalb eben arg und wehrlos gewesen
01:10:13
Wie war das da beim Kampf? Hat er das da noch einigermaßen mitbekommen?
01:10:17
Ja, der hat sich versucht zu wehren
01:10:19
Der ist ja auch geflüchtet
01:10:21
Ein bisschen, aber wurde dann wieder eingeholt
01:10:24
Und trotzdem wurden die wegen heimtückischen Mordes urteilt
01:10:27
Okay, weil es nämlich ausgereicht hat, dass die Täter die Arglosigkeit des Opfers dann schon bei der Vorbereitung ausgenutzt haben
01:10:35
Und sie in diesem Moment aber den Tötungsvorsatz ja schon hatten
01:10:39
Und das Opfer dann aufgrund dieser Falle bis dann zur eigentlichen Tat wehrlos war
01:10:46
Also wenn wir jetzt zum Beispiel in einem Haus eingesperrt sind, Laura und ich
01:10:50
Und Laura weiß, dass ich sie töten will
01:10:52
Dann kennt sie ja meine feindselige Absicht
01:10:56
Und dann wird es schwierig, mir die Heimtücke nachzuweisen
01:11:00
Weil selbst wenn ich sie von hinten die Treppe runterstoße
01:11:05
Wenn sie mir gerade den Rücken zukehrt
01:11:07
Dann weiß sie ja eigentlich von meinem Angriff auf ihr Leben
01:11:11
Und was mich bei dieser Rechtsprechung auch etwas verwundert
01:11:14
Ist ein spezieller Fall
01:11:15
Und zwar den ich in der Stalking-Folge erzählt habe
01:11:18
Und zwar in Folge
01:11:21
Gerade wurden wir gefragt, wie wir das eigentlich
01:11:26
Ob wir einfach neben uns eine Liste haben mit allen Folgen
01:11:31
Das ist Lauras Kopf
01:11:33
Mein Gehirn ist diese Liste
01:11:35
Und deswegen zeigt Paulina immer auf mich
01:11:37
Wenn sie irgendwas erzählt und ich muss dann sagen
01:11:40
Welche Folge das war
01:11:42
Laura ist hier halt das Folgen-Lexikon
01:11:44
Aber egal, weiter
01:11:46
Diese Stalking-Folge, mit der sind wir ja auch getourt
01:11:50
Und in Hamburg kam danach ein junger Mann zu mir
01:11:53
Und hat mich gefragt, warum mein Fall eigentlich als heimtückischer Mord verurteilt wurde
01:11:57
Weil das Opfer diesen Angriff vorher noch wahrgenommen hat
01:12:02
Und ich hatte gesagt, naja, aber sie war ja offenbar in dem Moment dann arg und wehrlos
01:12:10
Aber so im Nachhinein denke ich mir bei diesem Fall
01:12:12
Wo ein Ex-Freund seine Freundin über Wochen, Monate stalkt
01:12:18
Diese Frau hat zu jeder Zeit mit einem Angriff auf ihr Leben gerechnet
01:12:24
Sie hatte immer Angst
01:12:26
Und sie hat sich immer überall abholen lassen
01:12:30
Da finde ich es tatsächlich jetzt ein bisschen merkwürdig
01:12:33
Dass sie als arg und wehrlos angesehen wurde
01:12:37
Und die Wehrlosigkeit, was sie zweifelsohne war, aber die muss auf der Arglosigkeit beruhen
01:12:45
Und da habe ich jetzt aber gerade bei der Recherche für die nächste Folge eine Antwort an einem BGH-Urteil gefunden
01:12:51
Und da heißt es, dass das Opfer in der konkreten Situation mit einem ernsthaften Angriff gerechnet haben muss
01:12:58
Und da reicht das halt auch nicht vorher so Vorkehrungen getroffen zu haben
01:13:03
Um beispielsweise jetzt nicht alleine sein zu müssen oder so
01:13:05
Sondern du musst halt in der Situation damit rechnen, dass so ein Angriff unmittelbar bevorsteht
01:13:11
Machen wir aber nochmal ein anderes anschauliches Beispiel
01:13:15
Wenn ich Laura jetzt in ein Spa-Hotel in den Urlaub einlade
01:13:20
Weil ich vorhabe, sie dort zu töten
01:13:22
Und sie hat davon absolut keine Ahnung
01:13:24
Laura steht dann beispielsweise im Bad und versucht sich mal wieder zu schminken
01:13:29
Und ich reiße ihr die Lidschattenpalette aus der Hand
01:13:32
Und gebe vor, ihr helfen zu wollen, ganz uneigennützig
01:13:36
Und sage dann aber im letzten Moment
01:13:37
Ich töte dich jetzt
01:13:39
Und steche dann mit dem Messer zu
01:13:42
Das ich die ganze Zeit hinter meinem Rücken hatte
01:13:45
Weil ich vorher ihre Arglosigkeit ausgenutzt habe
01:13:49
Bringt mir dann diese allerletzte Kampfansage in der Regel nichts
01:13:53
Weil Laura keine Zeit mehr hatte, meinem Angriff etwas entgegenzusetzen
01:13:57
Genau, weil ich ja dann trotzdem noch wehrlos bin
01:14:00
Und für eine Verurteilung wegen heimtückischen Mordes
01:14:03
Muss das Opfer ja arg und wehrlos sein
01:14:06
Es gibt aber laut Rechtsprechung Personen, die gar nicht arglos sein können
01:14:10
Und dazu zählen Säuglinge und Kleinkinder
01:14:13
Und die Begründung ist, dass kleine Kinder anderen Menschen gar nicht wirklich misstrauisch gegenüber seien
01:14:18
Und damit auch keinen Argwohnen entwickeln können
01:14:20
Und wenn sie nicht argwöhnisch sein können, dann können sie logischerweise auch in keiner einzigen Situation arglos sein
01:14:26
Aber ab wie vielen Jahren kann denn ein Mensch arglos sein?
01:14:31
Also wenn du dich jetzt, Paulina, an dich als kleinen Kind zurückerinnerst
01:14:36
Was würdest du sagen, ab wann konntest du ernsthaft misstrauisch sein?
01:14:41
Oh Gott, ich habe absolut gar keine Ahnung
01:14:43
Also ich glaube tatsächlich, dass so die ersten Kindheitserinnerungen, die ich habe, sind so vier, fünf gewesen oder so
01:14:51
Aber ich kann natürlich heute nicht sagen, dass ich in dem Moment fähig war, Argwohnen zu entwickeln
01:14:58
Wahrscheinlich erst später, aber
01:15:00
Ja, ich würde so ab vier Jahren sagen vielleicht
01:15:03
Weil meine Nichte, die ist zwar fünf, aber ich bin mir sicher, dass die schon länger einschätzen kann, wann sie weglaufen muss
01:15:12
Aber ein Beispiel aus dem Jahr 2004 zeigt, dass sich RichterInnen da auch gar nicht so einig sind
01:15:18
Und da geht es um Hannes und Lisa Marie, die von ihrem Vater Frank im Schlaf erstochen wurden
01:15:23
Hannes war bei der Tat 18 Monate und seine Schwester fünf Jahre alt
01:15:28
Und das Landgericht Mühlhausen hatte Frank daraufhin eben nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt
01:15:34
Doch die Nebenklage war dann in Revision gegangen, weil sie davon überzeugt war, dass der Vater zwei Morde begangen hat
01:15:40
Der Fall kam dann also zum BGH und der entschied, dass eine heimtückische Begehungsweise zumindest bei der Fünfjährigen nicht richtig geprüft worden war
01:15:48
Das Urteil wurde also aufgehoben mit der Begründung, dass die Tötung eines kleinen Kindes Mord sei, wenn das Kind im Hinblick auf seinen Entwicklungsstand die Gefahr hätte erkennen können
01:15:57
Und so wurde also der Fall nochmal geprüft und Lisa Marie explizit nochmal geprüft
01:16:02
Und dabei kam heraus, dass sie die Fähigkeit zum Argwohnen sehr wohl hatte und daher von ihrem Vater ermordet wurde
01:16:08
Frank wurde also daraufhin im Fall seiner Tochter wegen Mordes, im Fall seines Sohnes wegen Totschlags verurteilt
01:16:13
Eine Fünfjährige kann also arglos sein und in einem anderen Fall entschied der BGH dasselbe für ein dreijähriges Kind
01:16:20
Und hier ist wohl auch so die übliche Grenze
01:16:24
Aber es geht natürlich immer um das Kind und seine individuelle Entwicklung, die dann geprüft werden muss
01:16:29
Ja, also der BGH ist offenbar diese Forderung, dass man Kleinkinder sehr wohl heimtückisch ermorden können soll
01:16:38
So ein bisschen entgegengekommen mit dieser Niedrigsetzung des Alters
01:16:44
Und eigentlich ist drei auch nicht die absolute Grenze
01:16:47
Zumindest nicht, wenn eine schutzbereite dritte Person anwesend ist
01:16:52
Und der Täter oder die Täterin deren Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt
01:16:56
Also als Beispiel eine Frau aus Hessen erstickte ab 2004 ihre zwei neugeborenen Kinder mit einem Tuch
01:17:02
Bei beiden wurde plötzlich ja Kindstod angenommen
01:17:05
Und bei dem dritten Kind waren Ärzte und Ärztinnen dann sehr vorsichtig
01:17:10
Und ließen das Kind mit einem Herzschlagmonitor überwachen
01:17:12
Und auch der Vater hatte sich vorgenommen ganz besonders auf das Kind aufzupassen
01:17:16
Und das hat er halt aber über ein paar Nächte gemacht
01:17:18
Und war dann irgendwann in so einem Zustand der Erschöpfung
01:17:22
Und hat sich dann halt eben in den Nebenraum gelegt und ist dann eingeschlafen
01:17:27
Und diese Situation hat dann die Mutter ausgenutzt und tötete dann auch das dritte Kind
01:17:32
Und zunächst wurde sie dann wegen Totschlags verurteilt
01:17:35
Und der BGH hob das Urteil aber auf
01:17:37
Und später wurde sie wegen heimtückischen Mordes des dritten Kindes verurteilt
01:17:41
Weil sie eben diese Arg- und Wehrlosigkeit der schutzbereiten dritten Person ausgenutzt hat
01:17:47
Ja und nicht nur Kleinkinder und Säuglinge können laut Rechtsprechung unter Umständen
01:17:51
Keinen Argwohn entwickeln
01:17:52
In manchen Fällen gilt das auch für Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenzerkrankung
01:17:56
Und zwar dann, wenn sie beispielsweise nicht begreifen, was um sie herum passiert
01:18:02
Und deshalb auch nicht wissen können, vor wem sie dann Angst haben müssen oder misstrauen
01:18:07
Wer nachher schon der Meinung aber nie arglos sein kann, sind Bewusstlose und Menschen, die im Koma liegen
01:18:13
Was ja auf den ersten Blick ein bisschen merkwürdig ist, wenn man jetzt weiß, dass Schlafende eben schon arglos sein können
01:18:19
Wie du gerade gesagt hast
01:18:21
Und wie auch die fünfjährige Lisa Marie aus dem Beispielfall
01:18:24
Bei einem Bewusstlosen oder einer Person im Koma sei dies nicht so
01:18:28
Weil sich diese Person in der Regel unfreiwillig in den Zustand der Bewusstlosigkeit begeben habe
01:18:33
Also wenn Paulina sich jetzt irgendwo den Kopf anhaut und deshalb bewusstlos wird
01:18:38
Und darauf von irgendwem getötet wird, dann wurde sie laut herrschender Meinung nicht ermordet
01:18:44
Sofern keine weiteren Mordmerkmale vorliegen
01:18:47
Was ja absolut absurd ist, ne?
01:18:49
Also was ist heimtückischer als eine Person, die bewusstlos ist, zu töten?
01:18:54
Ich meine, man könnte ja jetzt theoretisch auch sagen, dass die Arg- und Wehrlosigkeit
01:18:59
Also wenn ich jetzt ausgenockt werde, dass ich die auch mit in diesen komatösen Zustand genommen habe
01:19:04
Weil in dem Moment war ich das ja
01:19:06
Also frage ich mich schon, warum wird denn gerade diesen Personen nicht zugesprochen heimtückisch getötet werden zu können
01:19:13
Ja, das klingt irgendwie falsch
01:19:15
Aber diese Unterscheidung zwischen Schlafenden und Bewusstlosen, die wird auch in der Literatur oft kritisiert
01:19:21
Und ja, führt dann natürlich auch vor Gericht in diesen Fällen immer wieder zu Problemen
01:19:26
Die heimtücke ist tatsächlich auch ein bisschen das Problemkind der Mordmerkmale, sagen wir jetzt mal
01:19:31
Abgesehen davon, dass gerade diese Auslegung der Arg- und Wehrlosigkeit zu teilweise echt widersprüchlicher Rechtsprechung führt
01:19:39
Kann man sich auch die Frage stellen, warum beispielsweise eine Täterin, die eine unbewaffnete Person offen feindselig, jetzt mit einer Schusswaffe beispielsweise, niederschießt im Vergleich zu einem Totschlag verurteilt wird
01:19:54
Obwohl sich das Opfer im Zweifel ja genauso wenig wehren kann
01:19:57
Wie bei einem unvorhersehbaren Angriff von hinten
01:20:01
In dem Fall mache ich mich dann aber nicht des heimtückischen Mordes schuldig
01:20:06
Das finde ich schon irgendwie wirr
01:20:07
Und so ist es jetzt beispielsweise auch bei TäterInnen, die die körperliche Unterlegenheit von sehr alten oder sehr kranken Menschen ausnutzen
01:20:15
Und wenn wir uns das jetzt so ansehen, dann würde ich schon meinen, dass diese Situationen ähnlich unrecht sind
01:20:22
Weil sich das Opfer ja doch nicht wirklich wehren kann
01:20:26
Aber unsere Rechtsprechung macht halt eben doch diese Unterscheidung bei der Arglosigkeit
01:20:31
Und das sieht auch die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe kritisch
01:20:36
Die uns das an einem Beispiel mal genauer erklärt hat
01:20:39
Der BGH hat in zwei Urteilen das Merkmal Heimtücke abgelehnt
01:20:46
In den Fällen wurden die Frauen regelrecht in eine Falle gelockt
01:20:50
Das ist auch Heimtücke
01:20:51
Aber sie hatten, eh sie umgebracht worden, noch Gelegenheit um ihr Leben zu betteln
01:20:57
Und dann sagt der BGH, wer noch um sein Leben betteln kann, der ist nicht wehrlos
01:21:02
Also liegt keine Heimtücke vor
01:21:04
Sie findet das Merkmal der Heimtücke aber auch deswegen problematisch
01:21:08
Weil sie es für überholt hält
01:21:13
Diese Idee ist sowas von antiquiert
01:21:17
Das passt in eine Zeit, in der der freie Mann eine Waffe trug
01:21:21
Und sich und seine Familie gegen Angriffe verteidigte
01:21:24
Und auch das Recht dazu hatte
01:21:26
Wir leben in einem Staat, in dem der Staat es übernommen hat
01:21:30
Seine Bürger vor Gewalt zu schützen
01:21:32
Und in einen solchen staatlichen Kontext passt es doch nicht
01:21:35
Dass man es als besonders schlimm beurteilt
01:21:38
Wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt
01:21:41
Und davon abgesehen, dass also eigentlich jeder Mensch ständig wehrlos sei
01:21:46
Ist für Professorin Puppe die Heimtücke die Waffe der Schwachen
01:21:50
Dazu sagt sie, Zitat
01:21:52
Wenn eine Ehefrau ihren tyrannischen Ehemann, der sie und die Kinder schlägt und bedroht
01:21:58
Eines Tages mit einem Kissen erstickt
01:22:00
Oder hinterrücks mit einer Bratpfanne erschlägt
01:22:03
Dann wird gesagt
01:22:04
Ah ja, sie hat heimtückisch gehandelt
01:22:07
Weil sie die Arg- und Wehrlosigkeit des Mannes ausgenutzt hat
01:22:09
Denn er hat in dem Moment, als sie zuschlug
01:22:12
Oder als sie ihn erstickte
01:22:13
Mit keinem Angriff von ihr gerechnet
01:22:15
Und das hat sie ausgenutzt
01:22:17
Und weil Frauen in der Regel körperlich unterlegen sind
01:22:20
Konfrontieren sie Männer bei einem Angriff laut der Zeit
01:22:23
Seltener frontal als Männer
01:22:25
Das bei ihren Taten gegen Frauen machen
01:22:28
Sie gleichen also ihre Nachteile in einem Kampf durch die Heimtücke aus
01:22:32
Und werden dementsprechend des Mordes schuldig gesprochen
01:22:35
Und das sei aber frauenfeindlich
01:22:37
So Professorin Puppe
01:22:38
Also ich sehe da das Ungleichgewicht
01:22:42
Aber für mich hört sich das so an
01:22:45
Als wolle man irgendwie Gleichheit im Unrecht schaffen
01:22:48
Und das finde ich echt problematisch
01:22:51
Vor allem, weil sich das Justizsystem ja bemüht
01:22:55
Regelungen zu finden
01:22:57
In solchen Fällen den Strafrahmen dann runterzuschrauben
01:23:01
Ja, und das machen sie ja zum Beispiel
01:23:03
Mit dieser sogenannten Rechtsfolgenlösung
01:23:05
Bei der durch den Paragraf 49 dann erlaubt ist
01:23:08
Die Strafe auch beim Mord zu mildern
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Dann zum Beispiel
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Wenn die Tat durch große Verzweiflung
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Oder tiefes Mitleid motiviert war
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Oder wenn der Täter oder die Täterin
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Vorher schwer provoziert wurde
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Und durch diesen Paragrafen kann das Gericht
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Dann den Strafrahmen von lebenslang
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Auf 3 bis 15 Jahre senken
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Und weil die Heimtücke
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Wie wir jetzt gehört haben so umstritten ist
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Gibt es halt auch immer wieder Bemühungen
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Den Paragrafen zu überarbeiten
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Oder auch zu streichen
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Oder dergleichen
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Ja, unsere Interviewpartnerin
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Professorin Puppe
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Die ist definitiv für streichen
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Weil sie sieht nämlich kein Unterschied zwischen einer Tötung mit Gift
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Und einer Tötung mit einer Pistole
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Also für sie wäre die beste Reform
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Die klassisch römisch-rechtliche Unterscheidung zwischen Mord mit Vorbedacht
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Und Totschlag im Affekt
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So wie das auch viele andere Länder haben
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Streitbare Einstellung finde ich
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2014 hat der damalige Justizminister Heiko Maas
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Eine Experten und Expertinnengruppe einberufen
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Die unter anderem über die Reformierung der Mordmerkmale
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Und eben insbesondere der Heimtücke diskutieren sollten
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Und auch sie wiesen dann am Ende vor allem darauf hin
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Dass unter anderem die Tötung kleiner Kinder höchst strafwürdig erscheint
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Und dass das momentan aber in der Regel eben nicht unter den Strafbestand des heimtückischen Mordes fällt
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Und das haben sie halt kritisiert
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Aber noch ist da keine Reform in Sicht
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Also ich bin auf keinen Fall für eine Streichung
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Weil dann wäre zum Beispiel im Falle meines Bahnschubsers
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Also jetzt mal angenommen, es wäre jetzt ein normales Strafverfahren gewesen
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Dann wäre er wahrscheinlich wegen Totschlags verurteilt worden
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Weil das Gericht in diesem Fall ja kein anderes Mordmerkmal als erfüllt angesehen hat
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Und auch wenn bei vielen Fällen, wie jetzt zum Beispiel bei diesem Pausenbrotmörder
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Andere Mordmerkmale zusätzlich erfüllt hätten sein können oder sogar waren
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Und der Täter dann die lebenslange Haftstrafe bekommen hätte
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Denke ich, dass da quasi eine zu große Lücke entstehen würde
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Würde man die Heimtücke jetzt ersatzlos streichen
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Und ich wäre da jetzt eher für so eine Art Modifizierung
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Um jetzt für eine Art Gerechtigkeitsgleichgewicht bei den TäterInnen zu sorgen
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Die für ihre Tat die körperliche Schwäche des Opfers ausnutzen
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Und da bin ich in diesem Fall jetzt ausnahmsweise mal dafür die Heimtücke eher auszuweiten
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Und damit dann eben auch eher strafverschärfende Maßnahmen einzuführen
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Okay, du meinst, weil man ja auch jetzt sieht, dass die Rechtsprechung Wege findet für Personen
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Bei denen zum Beispiel die Rechtsfolgenlösung dann angewandt wird
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Weil die dann nicht so schwer bestraft werden
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Oder was ist da mit diesen Personen?
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Das würde dann trotzdem noch mit diesem Umweg sozusagen gemacht werden müssen
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Bei einem Haustyrannenmord zum Beispiel
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Das kannst du ja immer noch machen
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Ja, also du bist dafür, dass man weiterhin diese Rechtsfolgenlösung dann einsetzen würde
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Ja, ich bin aber dafür, dass man weniger eine Unterscheidung macht
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Zwischen Menschen, die eine Person in eine ausweglose Situation bringen
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Die dann halt noch betteln können um ihr Leben
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Da sehe ich einfach die Möglichkeit nicht, dass sie sich aus dieser Lage ernsthaft noch irgendwie befreien können
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Und das ist für mich natürlich ähnlich schlimm wie eine Tat, die von hinten verübt wird
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Wenn ich mich aus einer Situation nicht befreien kann
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Weil sich der Täter seiner Überlegenheit bedient
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Oder die Täterin
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Und ja, mir ist klar, dass das jede Person macht, die vorhat, jemanden zu töten
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Aber dann bin ich dafür, das ähnlich schlimm zu ahnen
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Das Gute ist ja, dass wir gesehen haben, dass die Rechtsprechung immer ihre Wege findet
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Was man ja an den Beispielen jetzt gesehen hat
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Es ist halt immer so schwierig, Verallgemeinerungen festzulegen
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Weil die Fälle ja dann doch immer sehr individuell sind
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Deswegen finde ich es sowieso schwierig, Mordmerkmale zu haben
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Die festzulegen, dann wieder einzuschränken
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Aber ich bin halt auch nicht so ein Fan der lebenslangen Haftstrafe
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Und dieser starren Strafzumessung beim Mord
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Und deshalb sehe ich Mordmerkmale sowieso kritisch
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So, damit wären wir am Ende dieser ersten Folge des neuen Jahres
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Und nun wissen final alle, dass wir den Podcast nicht beerdigt haben
01:27:34
Weil nachdem wir nach Nachrufen gefragt haben
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Hatten ja einige Sorge, dass wir dieses Jahr gar nicht mehr senden
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Die witzigsten Nachrufe haben wir übrigens in unserer Weihnachtszusatzfolge vorgelesen
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Verweisen wir gerne nochmal drauf
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Ich finde, das fühlt sich gut an
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Weil jetzt wissen wir, was man über uns schreiben wird
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Wenn es dann irgendwann mal soweit sein sollte
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Und ich finde, das ist so ein bisschen wie, wenn man seine eigene Beerdigung schon plant
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Hast du deine eigene Beerdigung schon geplant?
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Nein, nicht meine
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Das hört sich jetzt vielleicht für den einen oder die andere ein bisschen makaber an
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Aber nach meiner ersten überraschenden Beerdigung, die ich planen musste
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Habe ich danach dafür gesorgt, dass ich von allen Menschen, für die ich zuständig war
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Dann wusste, wie ich die beerdigen werde
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Ja, damit es halt in deren Sinne passiert
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Also mit meinem Vater zum Beispiel
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Habe ich mich dann auch zusammengesetzt und geplant
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Weil der hat auf Beerdigung immer mir so rübergemault
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Das will ich bei mir nicht haben
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Und bei mir soll das anders laufen und so
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Und dann habe ich gesagt so
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Diktiere nun, was sie wollen und was nicht auf ihrer Beerdigung
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Meine Wunschbeerdigung
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Meine Traumbeerdigung
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Ja, mein Papa hat mir und seiner Freundin letztens vorgespielt, welches Lied an seiner Beerdigung mal zu hören sein soll
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Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was es war
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Ich kannte es auch nicht, aber es war furchtbar, weil es war so richtig traurig
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und seine Freundin und ich beide so auf gar keinen Fall
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Und mein Papa dann
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Doch, ich will ja, dass die Leute auf meiner Beerdigung traurig sind
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Das ist ja genau das Gegenteil von meinem Vater
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Der hat nämlich gesagt, auf gar keinen Fall soll irgendwer heulen
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Hier wird nur Rockmusik gespielt und es gibt eine fette Party
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Das finde ich gut
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Das finde ich ja witzig
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Nee, die Menschen sollen ruhig traurig sein, wenn ich gegangen bin
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Also an sich ist es mir halt egal, weil die Beerdigung ist ja eigentlich für die Hinterbliebenen und nicht für die Person, die gegangen ist
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Aber wenn du jetzt meine Person wärst, die sich darum kümmern soll, dann würde ich dir halt auch eine Handlungsanleitung geben und auch Lieder tatsächlich
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Aber mir ist vor allem wichtig, dass die Person, die die Trauerrede hält, die Namen richtig ausspricht und die richtigen Namen weiß
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Denn aus eigener Erfahrung weiß ich, es macht alles kaputt bei einer sehr tragischen Beerdigung, wenn die Rednerin denn zum Beispiel statt André Öndra sagt
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Und alle denken sich, wer ist Öndra?
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So, das möchte ich zum Beispiel nicht und ich möchte natürlich auch nicht, dass du dich dann fragst bei der Vorbereitung
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Oh mein Gott, mochte sie jetzt eigentlich Rosen oder hat sie sie abgrundtief gehasst?
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Das würde ich dir nehmen wollen und deswegen würde ich dir dann auch eine Anleitung geben
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Ich habe ja gesagt, mein Papa will das alle heulen
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Das ist so Charakter bezeichnet
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Aber ich habe letztens ein Video gesehen
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Wo das ganz anders war
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Da wollte nämlich der Beerdigte, dass alle lachen
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Und der war vorher schon lange krank und wusste, dass er stirbt und deswegen hat er seine Beerdigung vorbereitet
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Und als es dann soweit war und die Grabrede eben gehalten wurde und alle um das Grab herumstanden
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Hörte man plötzlich ein Klopfen auf Holz
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Und eine Stimme, die aus dem Sarg kam und es war halt die Stimme des Toten
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Oh nein, das ist ja so witzig, aber es ist auch wirklich fies
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Ja und er hat, also man hat ihn halt dann gehört, wie er so ruft
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Und wo verdammt nochmal bin ich hier
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Aber also ich finde es ja witzig für alle jungen Leute
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Aber für die ganz jungen Leute, für die Kinder, die anwesend sind und für die Älteren, die haben noch den Herzinfarkt ihres Lebens gekriegt
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Ja, es gibt ja zum Glück ein Video davon und man sieht im ersten Moment, aber es ist nur ganz kurz und dann lachen alle und es ist genau wie er sich das sozusagen gewünscht hat
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Aber macht das nicht mit mir
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Also wenn ich irgendwo bin und dann höre ich plötzlich was, ich denke doch, das ist jetzt echt und dann springe ich aufs Grab und will die Person da rausholen
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Es gibt ja solche Geschichten, wo jemand
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Darüber reden wir ein anderes Mal
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Schließt lieber mal ab
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Das war ein Podcast von Funk