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#62 Heimtückisch

Mordlos
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
Naja, wie gefällt euch unser neues Intro?
Ich sehe uns schon im Club dazu abdancen
Das Lied hat uns ein Hörer zugesandt
Und ja, wir sind ganz angetan
Wir warten auf die ersten Vorschläge zu Tanzchoreografien
Auf TikTok zum Beispiel
Aber ich finde, das wäre doch echt vielleicht eine Idee für
Wenn wir dann mal wieder Live-Shows machen
Für den Song, der kommt, wenn wir auf die Bühne kommen
Ja, finde ich gut
Und damit herzlich willkommen zu Mordlos
Dem musikalischen Podcast von Funk, von ARD und ZDF
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe
Mein Name ist Paulina Krazer
Und ich bin Laura Wohlers
In jeder Folge gibt es ein Oberthema
Zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen
Darüber diskutieren und auch mit Experten und Expertinnen sprechen
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt
Sondern das ist für uns einfach so eine Art Comic-Relief
Damit wir zwischendurch auch mal durchatmen können
Das ist aber natürlich nie respektierlich gemeint
In dieser Folge geht es um Heimtücke
Und dafür gehen wir zunächst einmal zurück zu Folge 1
Als wir das erste Mal über die Mordmerkmale gesprochen haben
Vielleicht erinnert ihr euch ja noch daran
Wir wissen, ein vorsätzliches Tötungsdelikt
Wird durch die Erfüllung von sogenannten Mordmerkmalen
Als Mord klassifiziert
Und unterscheidet sich dann somit vom Totschlag
Und ein Mord wird gegenüber dem Totschlag
Als noch größeres Unrecht gesehen
Und dementsprechend halt auch mit einer lebenslangen Haftstrafe verbüßt
Es gibt sogenannte Täterbezogene Mordmerkmale
Die beziehen sich sozusagen auf die innere Einstellung des Täters oder der Täterin
Also sowas wie Mordlust oder Habgier
Und es gibt Merkmale, die beziehen sich auf die Begehungsweise der Tat
Und eine Tötung heimtückisch zu begehen
Kann dann eben in einer Verurteilung wegen Mordes enden
Uns hat übrigens mal jemand geschrieben
Dass man deswegen eben auch nicht sagt
Ein Mord aus Heimtücke
Weil du ja keinen Mord aus dem Motiv Heimtücke heraus begehst
Sondern man wird eher verurteilt wegen heimtückischen Mordes
Und so benutzen wir das jetzt hier eigentlich auch
Heimtückisch tötet jemand, wenn er oder sie die Arg- und Wehrlosigkeit
Seines oder ihres Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt
Und was heißt Arg- und Wehrlos?
Also arglos ist jemand, der keinen Schimmer davon hat
Dass jemand in dem Moment einen Tötungsversuch auf ihn oder sie unternimmt
Salopp gesagt
Die Person muss aber die Fähigkeit haben, argwöhnisch zu sein
Das wird später nochmal wichtig
Und wehrlos ist man dann, wenn man wegen seiner Arglosigkeit sich nicht oder kaum verteidigen kann
Und der Täter oder die Täterin muss dabei wissen, dass dieser Zustand ihm oder ihr einen Vorteil verschafft
Also wir sehen die Menschen, die Opfer eines heimtückischen Mordes werden
Sehen den Angriff auf ihr Leben oft nicht kommen
Was solche Fälle dann halt auch besonders unfair erscheinen lässt manchmal
Und so war es auch in dem Fall, den ich euch heute erzähle
Ich habe den Namen eines Opfers geändert
Es ist der 29. Juli 2019
Die meisten Reisenden stehen schon bereit, an gleich sieben
Während sich einige Passanten und Passantinnen gehetzt vorbeidrängen
Es ist wuselig wie jeden Montagmorgen am Frankfurter Hauptbahnhof
Der ICE lässt mal wieder auf sich warten
Durch die Lautsprecher hört man Hinweise für die Anschlusszüge
Und die blaue digitale Anzeigetafel sagt den Wartenden, wann ihr Zug nach München abfährt
Um 9.54 Uhr soll er Mutter Eva und den 8-jährigen Leo Richtung Österreich fahren
Leos ältere Schwester hatte keine Lust auf die lange Zugfahrt
Und ist deswegen bei Evas bester Freundin, deren Sohn und dem Hund im Auto mitgefahren
Treffen wollen sie sich dann alle zusammen in Österreich
Auf der Anzeigetafel tut sich etwas
Der Zug verspätet sich um ein paar Minuten
Einige sind genervt, andere haben nichts anderes erwartet
Unter den Wartenden auf Gleis sieben ist auch Gerlinde
Der 78-Jährigen fällt in der Menschenmenge ein Mann ins Auge
Er ist ohne Gepäck unterwegs und lugt hinter einem Pfeiler auf die Wartenden
Gerlinde kommt das irgendwie seltsam vor
Aber ihre Aufmerksamkeit fokussiert sich schnell auf etwas anderes
Von links fährt der Zug ein
Endlich
Die Rentnerin will in München ihre zwei Enkel abholen und dann die Ferien mit ihnen verbringen
Auch Eva und Leo machen sich bereit
Gleich müssen sie sich mit der Menschentraube durch die engen Türen in den ICE quetschen
In der linken Hand hält Eva ihren Kaffee to go
Plötzlich nimmt sie, kurz bevor der Zug auf ihrer Höhe ankommt, einen Schatten und eine schnelle Bewegung wahr
Dann ein heftiger Druck in ihrem Rücken
Von hinten rechts wird sie mit voller Wucht nach vorn geschubst
Eva fällt direkt auf die Schiene
Der einfahrende ICE türmt sich über ihr auf
Eva rollt sich zur Seite
Der ICE bremst
Lautes Schreie durchschneiden die wuselnde Bahnhofsatmosphäre
Gerlinde hat es genau gesehen
Nur begreifen, was da passiert ist, kann sie noch nicht
Und plötzlich fliegt auch sie mit der rechten Seite auf den Bahnsteig
Dann sieht sie wie ein Mann über die Gleise davonrennt
Es ist der, der ihr eben noch aufgefallen ist
Schmerz zieht durch den Ellbogen, die Hüfte und das Knie
Auf einmal herrscht ganz großes Durcheinander
Menschen gucken sich panisch um
Eine Frau zieht ihren Sohn an sich heran und schlägt sich schockiert die Hand vor den Mund
Eva hält den Kaffeebecher noch immer in der linken Hand
Der Stoß war so heftig, dass sie nicht direkt hinter dem Bahnsteig gelandet ist
Sondern so weit aufs Gleis flog, dass sie sich zur Seite rollen konnte
Und jetzt zwischen den Schienen von Gleis 7 und Gleis 8 liegt
Ein Mann geht auf Eva zu
Er reichte die Hand, hilft ihr aus dem Gleis zu steigen
Warum macht jemand sowas? fragt sie
Dann wird sie nervös
Mein Sohn steht noch am Bahngleis
Der Fremde führt sie ganz vorsichtig zu einer Bank
Etwas weiter weg vom Zug
Was ist mit meinem Kind? fragt Eva
Ein anderer Mann Mitte 50 ruft
Das Kind ist verletzt, wir müssen das Kind suchen
Und springt auf die Gleise
Er läuft neben dem Zug vorbei
Schaut alle 10 Meter drunter
An einer Stelle sieht er eine reglose Kinderhand
Kurze Zeit später hört man Schreie
Mein Kind ist tot
Die Schreie kommen von Eva
Erst jetzt versteht sie
Alle hatten es gesehen, nur sie nicht
Der Mann hat nach Eva auch Leo geschubst
Während Eva schreit, nimmt sie der fremde Mann in den Arm
Hält sie fest, so lang, bis die Sanitäter und Sanitäterinnen kommen
Und für einen Moment ist es, als würde der gesamte Bahnsteig zusammenbrechen und weinen
Zur selben Zeit gibt es auf einer anderen Seite des Bahnhofs eine Verfolgungsjagd
Einige Zeugen und Zeuginnen rennen dem Mann hinterher
Andere rufen die Polizei
Ein Mann wird später sagen, der Täter habe aufgerissene Augen und einen wirren Blick gehabt
Kurz hinter dem Bahnhof gelingt es einer Polizistin und einem Polizisten den Mann zu stellen
Er nimmt die Hände nach oben und lässt sich widerstandslos festnehmen
Im Polizeiauto sagt er
Ich bin aus der Schweiz
Wollte mich eigentlich selbst umbringen
Und ich habe irgendwas im Kopf
Nur wenige Stunden nach der Tat sitzt Eva vor einer Vernehmungsbeamtin
Die Frau versucht sie zu beruhigen
Eva soll erzählen, was passiert ist
Aber sie kann nicht
Mein Kind
Sagt Eva
Was habe ich nur getan?
Sie ist außer sich
Sie können nichts dafür, was heute passiert ist
Sagt die Beamtin
Das ist wahr
Tröstet aber nicht
Am nächsten Tag weiß man, was an gleich sieben geschehen ist
Ohne davon in der Zeitung gelesen zu haben
Menschen kommen und legen Plüschsperren, ein gelben Papageien, ein lachenden Hasen, kuschelige Schafe und Spielzeugautos nieder
Auf einem ausgeschnittenen Herzen steht
Als ich geboren wurde, habt ihr gelacht und ich geweint
Nun lächle ich und ihr weint
Ruhe in Frieden, kleiner Mann
Darunter hat jemand einen Engel gezeichnet
Als der Mann im Polizeiwagen sagte
Ich habe irgendetwas im Kopf
Da hatte er damit gar nicht zu Unrecht
Relativ schnell wird bekannt, dass es Hinweise darauf gibt, dass Habte A
Der mutmaßliche Täter möglicherweise unter Wahnvorstellung leidet
Und sich deswegen auch in Behandlung befindet
Das ergibt eine Durchsuchung seiner Wohnung in der Schweiz
Dort lebt Habte A mit seiner Frau und ihren gemeinsamen drei Kindern
In der Schweiz wird bereits wegen eines anderen Gewaltdelikts nach ihm gesucht
Als das bekannt wird, debattieren einige PolitikerInnen darüber, ob Fahndungen nicht generell europaweit ausgeweitet werden können
Andere reden über die Sicherheit an Bahnhöfen und wie sie sich erhöhen lässt
Mehr Polizeipräsenz an Bahnhöfen, mehr Videoüberwachung und der Einbau technischer Sperren, die erst aufgehen, wenn der Zug schon steht
So wie beispielsweise in London wird gefordert
Weil erst eine Woche zuvor in Förde ebenfalls eine Frau vor einen einfahrenden Zug geschubst wurde
Aber der Fall bekommt nicht nur deswegen eine politische Dimension
Habte A, so wird bekannt, ist ein Geflüchteter aus Eritrea
Der 2006 in die Schweiz illegal eingereist ist und dort Asyl beantragte
2008 wurde es ihm gewährt
Seehofer sagt bei der Pressekonferenz, dass man noch nichts über das Motiv wisse
Habte A sei, soweit man weiß, ein Beispiel für gelungene Integration gewesen
Das stünde auch in einer Broschüre seines Arbeitgebers
Und vielleicht sagt Seehofer das in diesem Fall
Sogar um die teilweise erhitzte Stimmung etwas runter zu kochen
Ich muss ja sicher nicht erwähnen, dass 2019 einige versuchen, die Tat zu politisieren
Und sie als Anlass nehmen, halt wieder einmal über illegale Grenzübertritte zu sprechen
Und auch die Presse berichtet nicht gerade zurückhaltend
Die stürzt sich sogar auf einen möglichen Zusammenhang mit einer anderen Tat
Und redet von einem eventuellen Racheakt
Ein paar Tage zuvor war nämlich ein Mann aus Eritrea in der Nähe von Frankfurt
Opfer eines rassistischen Anschlags geworden
Ein Deutscher hatte auf ihn geschossen
Er überlebte das, aber nur knapp
Und es gab aber am Ende keinen Zusammenhang zwischen den beiden Taten
Aber Habte A's Herkunft nimmt halt trotzdem einen großen Teil in der Berichterstattung ein
Und hier an dieser Stelle ein kurzer Einschub
Bei uns, hier hat sich das mittlerweile so eingestellt, dass wir die Nationalität nur erwähnen, wenn es von Bedeutung ist
Also beispielsweise einen kulturellen Hintergrund gibt
Oder jetzt wie im Fall von Kalinka aus Folge 60
Die Handlungsorte in zwei verschiedenen Ländern spielen
In diesem Fall erwähne ich Habtes Herkunft jetzt, weil ich jetzt die Berichterstattung über Habtes Fall kritisiere
Und weil das Teil dieser Geschichte ist, binde ich das jetzt mit ein
Weil ich weiß noch ganz genau, wie ich damals dachte, dass das doch den eigentlichen Kern total verfehlt
Denn soweit man damals wusste, ging es ja vermutlich um eine Psychose
Und der Psychose ist es doch, dachte ich, schlichtweg egal, wie der Aufenthaltsstatus einer Person ist oder wo sie geboren wurde
Wobei zumindest Teile von Habte A's Vergangenheit durchaus wichtig sind für seine gesundheitliche Entwicklung
Aber dazu später
Bei den Ermittlungen bestätigen sich die ersten Vermutungen
Die Vorläufe gibt psychiatrische Begutachtung, spricht dafür, dass Habte A offenbar unter einer schizophrenen Psychose leidet
Und somit zur Tat gar nicht steuerungsfähig gewesen sei
Das würde bedeuten, dass dem Verdächtigen gar keine Schuld zugeschrieben werden kann
Die Staatsanwaltschaft leitet gegen Habte A kein normales Strafverfahren, sondern ein Sicherungsverfahren ein
Deswegen gibt es auch keine Anklageschrift, sondern eine sogenannte Antragsschrift
Darin steht
Angesichts des diagnostizierten Krankheitsbildes besteht aus Sicht des Sachverständigen eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte in Zukunft weitere Gewaltdelikte begehen wird
Und somit eine Gefahr darstellt, sodass zum Schutz der Allgemeinheit seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erforderlich ist
Das heißt, bei dem Verfahren geht es selbst nicht darum, eine möglichst lange Haftstrafe zu verhängen, sondern festzustellen, wie gefährlich der Beschuldigte in Zukunft ist und um die Unterbringung in eine forensische Psychiatrie
Am 19. August 2020 beginnt das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt gegen Habte A
Er betritt den Saal mit Handschellen, trägt ein weißes T-Shirt-Hemd mit blauen und orangenen Palmenwedeln drauf, das irgendwie fehlplatziert wirkt
Ebenso wie sein Mundschutz, den trägt der 41-Jährige falsch herum
Eine Journalistin der Süddeutschen wohnt dem Verfahren bei
Ihr kommt es so vor, schreibt sie, als würde Habte A so schauen wie jemand, der nicht wirklich wisse, was hier gerade geschieht
Im Gegenüber sitzt die Staatsanwaltschaft, die ihn dauerhaft in die forensische Psychiatrie unterbringen will
Bei diesem Verfahren läuft es wegen der Schuldunfähigkeit etwas anders als in einem normalen Strafprozess
Hier geht es also jetzt nicht darum, ob sich Habte A des Totschlags schuldig gemacht hat
Weil das kann er wegen dieser Schuldunfähigkeit ja nicht
Sondern es geht darum, was der Anlass ist, ihn in eine forensische Psychiatrie zu stecken
Und das nennt man die Anlasstat
Und die Staatsanwaltschaft sieht hier Totschlag, versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzungen in zwei Fällen gegeben
Auch der Vater von Leo ist gekommen, als Nebenkläger
Er will den Mann in die Augen sehen, der seinen Sohn getötet hat, sagt er
Gleichzeitig will er stark sein für Eva, die sich noch immer Vorwürfe macht
Und ein Jahr später noch immer in so einer schlechten psychischen Verfassung ist, dass sie dem Verfahren nicht beiwohnen kann
Habte A äußert sich über seinen Anwalt zu den Anschuldigungen
Er liest die Erklärung seines Mandanten vor
Das, was ich getan haben soll, muss ich nach allen mir zugetragenen Informationen so zugetragen haben
Ich war sehr schwer krank, es tut mir unendlich leid
Insbesondere für die Familie, des durch meine Tat zu Tode gekommenen achtjährigen Jungen Leo
Der Anwalt der Familie, Ulrich Warntke, sagt später, dass die Familie das nicht annimmt
Es gibt keine Entschuldigung für das, was getan wurde
Auch Gerlinde, die Rentnerin, die Habte A offenbar ebenfalls versucht hatte, auf die Gleise zu schubsen
Tritt als Nebenklägerin auf
Als sie als Zeugin aufgerufen wird, berichtet sie davon, dass ihr der Mann schon vorher aufgefallen sei
Weil er nahezu gelauert habe
Dann habe sie gesehen, wie er erst die Frau und danach das Kind gestoßen habe
Der Vorsitzende Richter fragt, wie er das gemacht habe
Gerlinde veranschaulicht, indem sie ihre Hände durch die Luft nach vorne drückt
Wenn sie von dem spricht, was an dem Tag passiert ist, dann erzählt sie das in der Gegenwart
Ich sehe die Frau und das Kind durch die Luft fliegen
Die Frau macht einen großen Schritt in der Luft, sagt sie
Und, dass sie sich gewundert habe, dass die Mutter den Stoß überlebt habe
Gerlinde S. kann seit ihrer Tat ihren Arm nicht mehr uneingeschränkt bewegen
Hat jetzt einen Behinderungsgrad
Aber die psychischen Folgen seien das Schlimmste daran, sagt sie
Bis heute ist sie nicht mehr alleine mit der Bahn gefahren
Trotz sich kaum noch, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen
Dann wird der Zeuge gehört, der Eva geholfen hatte, aus dem Gleisbett zu steigen
Ihm fällt es sichtlich schwer, zu schildern, was an dem Tag passiert ist
Nach dem Vorfall ist er aus Frankfurt weggezogen, erzählt er
Nicht nur deswegen, aber das habe eine wesentliche Rolle gespielt
Als die Vernehmung beendet ist, drückt Leos Vater auf den Knopf, um sein Mikrofon einzuschalten
Macht er
Ich würde gerne noch etwas sagen
Seine Augen werden feucht
Die Mutter möchte, dass ich ihnen Danke sage
Dafür, dass sie so beherzt waren
Und sie da rausgeholt haben und sich gekümmert haben, als keiner da war
Danach herrscht Stille
Danke, sagt der Mann und man sieht ihm an, dass er nicht wirklich damit umzugehen weiß
Schon am ersten Prozesstag wird klar, Leos Vater ist nicht hier, um schweigend beizuwohnen
Er bringt sich ein, stellt oft Fragen
Besonders als der psychiatrische Sachverständige gehört wird
Er hat mit Habte A. mehrere Gespräche gehabt und soll seinen psychischen Zustand auf deren Grundlage bewerten
Habte erzählte ihm Folgendes von seinem Leben
Seine Kindheit in Eritrea ist schön gewesen
Er hat viel Fußball gespielt
Als Teenager wird er dann mit 19 Jahren gezwungen, im Krieg zwischen Eritrea und Äthiopien zu dienen
Dort ist er fünf Jahre als Sanitäter zuständig
Bei seiner ersten Möglichkeit verschwindet er, arbeitet danach im Sudan als Riksha-Fahrer
Spart dort jeden Cent und flieht schließlich auf einem Fischerboot über Sezegien in die Schweiz
Dort arbeitet er als Schlosser für eine Firma für Verkehrsbetriebe
Von dem Geld kann er gut leben
Er holt seine zukünftige Ehefrau aus Eritrea in die Schweiz
Die beiden bekommen einen Sohn und zwei Töchter
Kurz bevor das dritte Kind geboren wird, bekommt die eine Tochter Diabetes
Wenn er zu dieser Zeit dann gerade nicht arbeitet, sitzt er bei Ärzten und Ärztinnen
um über die Diagnose der Tochter zu sprechen
Das alles in einer Sprache, die nicht seine eigene ist
Dann, ab dem Jahr 2018, beginnt Habtes Leben, ihm langsam aus den Fingern zu gleiten
Auf Arbeit tuscheln die Kollegen und Kolleginnen
Ein Chef verleumdet Habte sogar im Internet
Zumindest glaubt Habte das
Er fühlt sich verfolgt von schwarz gekleideten Männern, die ihm auflauern
Habte denkt, dahinter steckt eine Organisation
Er nennt sie Der Ring
Manchmal konfrontiert er fremde Menschen auf der Straße mit ihrer Ring-Zugehörigkeit
Und natürlich verneinen alle, denn der Ring existiert nur in Habtes Kopf
Vor großen Menschenmengen hat Habte Angst, fühlt sich dort immer verfolgt und beobachtet
Irgendwann setzen die Phoneme ein
Also das Hören von sprachlichen, akustischen Halluzinationen
Die Stimmen, die Habte hört, beleidigen ihn, befehlen ihm, Dinge zu tun
Einmal bedroht er deswegen eine Nachbarin mit einem Messer, worauf man in der Schweiz nach ihm sucht
Habte versucht, dem Ring und den Stimmen zu entfliehen, fährt nach Spanien, Frankreich und Belgien
Irgendwann nach Frankfurt
Er schläft auf Parkbänken, weil viele Hotels vom Ring kontrolliert werden, glaubt er
Das Problem mit einer schizophrenen Psychose ist die fehlende Krankheitseinsicht
Habte weiß, dass etwas mit ihm nicht stimmt, denkt allerdings, dass die Verfolgung des Rings ihm seelisch zu schaffen macht
Ein Psychiater verschreibt ihm Medikamente gegen Depressionen
Habte setzt sie eigenständig wieder ab
Er denkt, dass sich in ihnen ein Virus befindet
Dann fährt er wieder nach Frankfurt, um von dort weiter zu fliehen
Jetzt sagt die männliche Stimme in seinem Kopf, dass er den Anweisungen nicht gefolgt ist
Und seine Frau und seine Kinder zur Strafe getötet wurden
Habte geht daraufhin zur Polizei
Die weist ihn ab
Am nächsten Tag fühlt er sich fremdgesteuert
Als wäre er gar nicht richtig wach, sondern in einem Traum
Er geht zum Frankfurter Hauptbahnhof
An das, was dann passiert, könne er sich nicht erinnern, sagt er dem Gutachter
Er wüsste nur noch, dass er danach sehr stark gezittert habe
Ich habe keine Zweifel, dass bei Habte A zu den Tatzeitpunkten eine schizophrene Erkrankung in akuter Form vorlag
Sagt der psychiatrische Sachverständige
Habte A erfülle alle Kriterien für eine paranoide Schizophrenie
Leos Vater ist gefasst, während er den Ausführungen folgt
Anschließend darf er Fragen stellen
Er will wissen, wie das zusammenpasst
Habte A hat Angst vor Menschenmengen und läuft dann zum Hauptbahnhof
Aber dafür gibt es keine rationale Erklärung
Ein seelisch gesunder Mensch kann das Verhalten nahezu nicht nachvollziehen
Die Schizophrenie, sagt der Gutachter, ist eine schwere seelische Behinderung
Habte As Persönlichkeit sei nahezu nicht mehr existent
Er würde sich fügen, habe aktuell keine eigenen Wünsche mehr
Und obwohl er seit der Tat behandelt werde, geht die Schizophrenie nicht einfach weg
Manchmal verhalte sich Habte A plötzlich bizarr
Dann verziehe er das Gesicht zu fratzen
Taste Türen ab
Fuchtel er auf einmal herum, als würde er etwas von sich fernhalten wollen
Vermutlich wisse er nicht einmal, dass er krank ist
Oder für andere gefährlich sein kann
Während all das über ihn erzählt wird, schaut Habte A teilnahmslos
Nur einmal regt sich etwas bei ihm
Als die Aussage der Mutter vorgelesen wird, wischt er sich über die Augen
Das Gericht verzichtet aus Rücksicht darauf, die Tonbandaufnahme der Vernehmung bei der Polizei abzuspielen
Also lesen der vorsitzende Richter und eine Richterin abwechselnd aus der Niederschrift
Währenddessen wird ein Foto von Leo an die Wand des Gerichtssaals projiziert
Leo grinst darauf und sein Haar ist im Scheitel zur Seite gelegt
Bitte, bitte, versuchen Sie den Mann festzuhalten
Wer weiß, was er sonst noch macht
Sagt Eva zum Ende der Vernehmung
Prozessbeobachtende beschreiben, die Stimmung im Gerichtsaal als ruhig, würdig und rücksichtsvoll
Und das liegt auch an den beiden Verteidigern von Habte A
Sie nehmen sich zurück, sind nicht laut, nicht fordernd
Auch ein Schreiben von Habte A's Ehefrau wird vorgelesen
Auch sie ist nicht anwesend beim Prozess
Sie schildert, dass er vorher nie gewalttätig gewesen sei
Und beschreibt die Zeit, in der sich auf einmal alles änderte
Habte habe plötzlich über Kopfschmerzen geklagt
Und sei der Auffassung gewesen, ihm sei ein Chip implantiert worden
Von Herzen flehe ich sie um ein gnädiges Urteil
Wir brauchen unseren Papa, bittet sie das Gericht
Allen Zeugen und Zeuginnen, die vor Gericht aussagen, kann man ansehen, wie mitgenommen sie noch immer von der Tat sind
Viele weinen bei ihrer Aussage
Bis heute haben sich die Bilder von dem Tag in ihren Köpfen eingebrannt
So war es auch bei Michael D
Er fuhr den ICE am 29. Juli
Er erzählt, wie er beim Einfachen gesehen habe, dass jemand in die Menschenmenge rannte
Danach habe er gesehen, wie die Mutter vor ihm verschwand
Er leitete sofort die Notbremsung ein
Leo, so Michael D
Habe kurz vor dem Fall noch versucht, mit den Armen das Gleichgewicht zu halten
Danach sei Leo kopfüber ins Gleis gefallen
Zwar fuhr er, wie üblich, nur 30 Kilometer die Stunde
Aber selbst bei dieser Geschwindigkeit dauert eine Bremsung zu lange
Leo war sofort tot
Es ist ein zehrender Prozess, der bei allen seine Spuren hinterlässt
Die Staatsanwaltschaft hält an ihrer Antragsschrift fest
Er sagt, dass die Anlasstat bei Leo als Totschlag
Bei Eva als versuchter Totschlag
Und bei Gelinde A
Als Körperverletzung zu werten sei
Habte A
Solle dauerhaft in die forensische Psychiatrie
Dass er noch einmal gewalttätig wird
Sei sehr wahrscheinlich
Sie hält an dem Totschlag fest
Weil sie nicht genug Anhaltspunkte sieht
Die Anlasstat als Mord zu bewerten
Sicherlich waren Leo und Eva zwar arg und wehrlos
Weshalb eigentlich ein Heimtück im Mord auch in Betracht gezogen werden könnte
Aber die Staatsanwaltschaft bezweifelt, dass Habte A
Das in seinem Zustand bewusst ausgenutzt habe
Der Anwalt von Leos Eltern sieht das anders
Findet, dass die Tat an sich als Heimtück im Mord zu bewerten sei
Und außerdem sagt er, dass Habte A fehlbehandelt wurde
Die Ärzte und Ärztinnen seine Schizophrenie nicht erkannten
Und ihm deswegen nicht geholfen wurde
Auch das hört sich in Anbetracht der Tat irgendwie besonnen an
Nach dem Plädoyer seines Anwaltes steht Leos Vater auf
Ich hatte sehr viele Fragen
Einige wurden beantwortet, andere nicht
Dann nimmt er den Mundschutz ab und wendet sich an Habte A
Ich habe nur eine einzige Frage
Sagt er
Warum haben sie meinen Sohn ermordet?
Warum haben sie das getan?
Die Antwort auf die Frage ist die darauf folgende Stille
Es gibt keine Antwort
Leos Vater setzt sich wieder, zieht die Maske auf
Als Habte A's Verteidiger das Wort ergreift, steht er auf und verlässt den Saal
Es ist ein Freitag, als das Gericht nach sechs Verhandlungstagen sein Urteil fällt
Es war für uns Richter nicht einfach damit umzugehen
Ich habe selbst mehrfach mit meinen Emotionen gerungen, sagt der Vorsitzende Richter
Aber niemand hier leidet, so wie die Mutter und der Vater
Schlimmer geht es nicht
Zu Leos Vater gewandt sagt er, er habe vorbildlichst am Verfahren teilgenommen
Ihr Sohn wäre ganz sicher sehr stolz auf sie
Dann verkündet er die Entscheidung des Gerichts
Der Angeklagte hört aufmerksam seinem Übersetzer zu
Die Anlasttaten sind nach Ansicht des Gerichts als heimtückischer Mord und versuchter Mord zu werten
Trotz seines Wahns habe er die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer wahrnehmen können und diese ausgenutzt
Im Ergebnis macht das aber keinen Unterschied
Denn Habte A muss in die geschlossene forensische Psychiatrie und das auf unbestimmte Zeit
Das Stammtischgeschwätz werde hier vielleicht von einer Kuscheljustiz sprechen
Davon habe man sich aber bei der Urteilsfindung nicht beeindrucken lassen
Habte A habe keinerlei Vorteile gegenüber einem schuldfähigen Verbrecher
Mit ihm würde keiner tauschen wollen
Wir haben keine Lösung für ihre Trauer und Schmerzen
Sagt der Richter zu Leos Vater und wendet sich dann an Habte A
Auch ihre Krankheit heilen wir nicht
Das sind keine tröstenden Worte
Aber was kann man auch erwarten an Trost bei so einer Tat?
Also dieser Fall, der ist in so vieler Hinsicht furchtbar
Erstmal diese Tat, wo diese ganzen Leute auch dabei sind und das alles mitbekommen
Und wie du sagst, dass da der ganze Bahnsteig quasi zusammengebrochen ist
Das kann ich mir total vorstellen, wie schrecklich das war
Als sie dann gesehen haben, wie die Mutter das realisiert hat, dass ihr Kind da unter dem Zug war
Das stelle ich mir so furchtbar vor
Und dann kommt aber noch hinzu, dass auch der Täter irgendwie ein Opfer ist
Seiner Krankheit
Seiner Krankheit, seines Kopfes
Und ich glaube, das ist dann auch einfach schwierig für den Vater da im Gerichtssaal
Weil man ja nicht sauer sein kann so richtig auf jemanden, der krank ist
Dass das dann auch einfach schwerer ist, weil es einfach nur so tragisch ist
Und ich muss auch sagen, ich habe einfach solche Angst vor solchen Krankheiten
Weil man ist ja nicht gefeit davor, das kann ja jedem passieren
Ja, total
Auch für seine Familie mit drei kleinen Kindern
Also das ist
Und die Krankheit ist ja irgendwie auch heimtückisch
Weil du merkst sie nicht
Ja
Du erkennst sie nicht
Ja, genau
Und sie bringt dich dazu, furchtbare Dinge zu machen, die du eigentlich gar nicht machen willst
Ja
Und dagegen bist du in gewisser Weise wehrlos
Ja
Wenn es keine anderen Menschen erkennen
Ja
Nochmal auf diese Situation zu kommen
An so einem Gleis, ne
Ich habe da eigentlich nie Angst vor
Aber ich höre oft von Leuten, dass sie
Dass sie davor Angst haben, dass plötzlich jemand kommt oder sie jemand schubst
Und mein Freund hat immer Angst, dass mich jemand schubst
Und deswegen stellt er sich
Also wenn in London die U-Bahn kommt, immer vor mich
Aber da sind doch oft diese Sicherheitswände eben davor
Also ich kenne glaube ich nur zwei Stationen, wo das so ist
Und das sind diese Stationen, wo sich in der Finanzkrise sehr viele Banker und Bankerinnen vor die U-Bahn geworfen haben
Aber das ist dann natürlich auch nur so punktuelle Reaktion
Jetzt da gibt es diese Sicherheit jetzt, aber woanders nicht
Aber vielleicht wäre das wirklich eine Idee
Also es wäre eine Idee, um zu verhindern, dass diese Tat an diesem Gleis passiert
Aber die Frage ist, hätte das Habte A davon abgehalten, nicht vielleicht auch auf der Straße jemanden vors Auto zu schubsen
Und das weiß man halt nicht
Deswegen haben hier dann auch viele Kritiker und Kritikerinnen zu Recht gesagt in der Debatte
Das ist jetzt halt wieder Aktionismus
Vielleicht sollte man lieber gucken, wie man psychische Krankheiten beispielsweise besser erkennt
Man kann ja auch nicht alles absichern
Das geht ja eh nicht
Das ist richtig
Ich kann aber natürlich verstehen, dass sich Leos Eltern dafür eingesetzt haben
Bei denen war das eigentlich ganz wichtig, dass Bahnhöfe sicherer gemacht werden
Weil natürlich sagen wir jetzt, okay, Habte A hätte dann vielleicht jemanden auf die Straße geschubst
Aber Leos Familie denkt sich dann ja sicherlich, ja, aber dann hätte er nicht Leo geschubst
Und wir wissen nicht, ob er dann jemanden vors Auto geschubst hätte
Und deswegen kann ich auch diesen Gedanken natürlich sehr gut nachvollziehen
Dass sie das gerne hätten, ja
Und ich habe auch mit dem Anwalt der Familie gesprochen
Und er meinte, dass es gefühlt natürlich für Betroffene schon einen Unterschied macht
Ob jetzt halt jemand mit dem schwersten Delikt belegt wird
Also hier jetzt mit dem heimtückischen Mord
Oder mit einem minderschweren Delikt
Also wie jetzt der Totschlag
Obwohl das jetzt hier wahrscheinlich keinen Unterschied gemacht hätte
Weil er trotzdem unbefristet in die forensische Psychiatrie gekommen wäre
Aber auch die Richter und Richterinnen sagten bei der Urteilsfindung
Dass das für die wichtig war, emotional sich daran entlanghangeln zu können
An was unterscheidet bei uns den Mord vom Totschlag
Ich habe mich für diese Folge mit dem Sicherungsverfahren beschäftigt
Und mache das am Beispiel dieses Falls, den ich halt eben erzählt habe
Die Staatsanwaltschaft und die Polizei kamen bei ihren Ermittlungen
Mithilfe der Sachverständigen, die dann auch nachher im Prozess teilgenommen haben
Zu dem Schluss, dass Habte a schuldunfähig ist
Wenn klar ist, dass deswegen kein normales Strafverfahren durchgeführt werden kann
Oder der Beschuldigte in diesem Fall deswegen dauerhaft verhandlungsunfähig ist
Dann kann die Staatsanwaltschaft ein Sicherungsverfahren einleiten
Hier besteht dann eben auch die Möglichkeit, dass der oder die Beschuldigte aufgrund seines oder ihres Zustands nicht anwesend sein muss
Es gibt auch den Fall, dass im Sicherungsverfahren doch die Schuldfähigkeit festgestellt wird
Und dann sozusagen normal verhandelt werden muss
Oder dass erst im normalen Strafverfahren verhandelt wird
Und da dann festgestellt wird, dass der oder die Beschuldigte schuldunfähig ist
Und dann danach das Sicherungsverfahren eingeleitet wird
Aber in meinem Fall hier war das halt wohl schon relativ eindeutig von Anfang an
Und deswegen gab es nur das Sicherungsverfahren
In so einem Verfahren geht es ja dann, wie gesagt, nicht um Geld oder Freiheitsstrafe
Sondern um die zu verhängende Maßregel
Und wie die aussehen soll, schreibt dann die Staatsanwaltschaft in dieser Antragsschrift
Genauso wie von welcher Anlasstat sie ausgeht
Und jetzt kann man sich ja fragen, warum will man denn jetzt eigentlich überhaupt wissen
Ob die Anlasstat jetzt Mord oder Totschlag ist
Wenn jetzt der Habte A.E. dauerhaft in die forensische Psychiatrie muss
Und das ist unter anderem deswegen so
Weil man gucken will, wie sehr wiegt denn jetzt eigentlich das Unrecht dieser Tat
Und dann ist es zum Beispiel möglich, anhand dessen auch zu gucken
Wie gefährlich ist denn jetzt dieser Täter eigentlich?
Also auch gerade in Zukunft für andere Menschen
Also beispielsweise, wenn er diese eine Psychose bei der Tat hatte
Und er sie aber in Zukunft immer noch haben wird
Und eventuell dadurch wieder eine Tat begeht
Aber um sich diese Frage zu beantworten
Also wie gefährlich ist jetzt ein Täter eigentlich
Macht man noch eine sogenannte Gefährlichkeitsprognose
Und da guckt man dann auf das Vorleben unter anderem
Und aber eben auch auf die Anlasstat
Und weil eben bei so einem Sicherungsverfahren
Hohe Standards eingehalten werden müssen
Ist es auch wichtig, dass die Straftaten, die man jetzt in dem Fall von Habte A.E. erwarten würde in Zukunft
Von erheblicher Bedeutung sind
Also wenn man bei Habte jetzt beispielsweise in Zukunft von einer Ruhestörung bei ihm ausgegangen wäre
Aufgrund seiner Psychose
Das wäre jetzt halt eben nicht von erheblicher Bedeutung
Und diese Hürden gibt es halt, weil so eine unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Ist halt ein enormer Eingriff in die Rechte des oder der Betroffenen
Und jetzt rufen wir uns nochmal die Worte des Richters in Erinnerung
Kein Straftäter würde mit Habte A.E. tauschen wollen
Natürlich nicht, denn eine unbefristete Unterbringung in so einer forensischen Psychiatrie
Oder eine Sicherungsverwahrung
Also die beiden sind halt die schwersten Sanktionen
Weil sie zeitlich halt nicht begrenzt sind
Und aus so einer forensischen Psychiatrie
Kommt man bei so einem Delikt in der Regel sehr, sehr lange nicht raus
Ja, und dann ist auch das Wort Kuscheljustiz
Sowas von fehl am Platz
Total
Ich glaube, wir haben darüber schon mal gesprochen
Dass es eben besonders hart ist, wenn man nicht weiß
Wann man wieder in Freiheit leben kann
Also ob das jetzt bei der lebenslangen Haftstrafe ist
Wo man das halt auch nicht genau weiß
Oder eben bei der unbefristeten Unterbringung
Da hat man halt gar keinen Punkt so richtig, auf den man hinarbeiten kann
Habte A.E. wird das möglicherweise gar nicht begreifen können
Aber so eine Familie natürlich
Ja
Deren Aufenthaltsstatus übrigens auch gebunden ist an Habte A.
Für Leos Vater war es ja wichtig eigentlich zu wissen, warum es passiert ist
Und ihm konnte ja keine richtige Antwort gegeben werden
Mein Fall erzählt auch von der quälenden Frage nach dem Warum
Einige Namen sind geändert
Der Pausenraum der Armaturenfabrik ist trist
Eigentlich kann man ihn nicht wirklich als Pausenraum bezeichnen
Denn es handelt sich eher um einen abgetrennten Bereich einer großen Halle
In der sich ein Arbeitsplatz an den nächsten reiht
Und die vollgestellt ist mit hohen Regalen und Maschinen, um die sich lange, dicke Kabel winden
Für Menschen, die sich mit Maschinenbau auskennen, macht diese Anordnung an diesen technischen Geräten vielleicht Sinn, aber also für mich sieht das aus wie ein riesengroßes Einzelteillager
Inmitten dieses Lagers steht ein kleiner Tisch mit fünf Stühlen, an dem die mitgebrachten Stullen gegessen werden, wenn Pause ist in der Abteilung Werkzeugbau
Dort findet man Nick, wie er gerade sein Müsli mit laktosefreier Milch löffelt
Im Gegensatz zu vielen anderen Studierenden verbringt der 23-Jährige seinen Sommerurlaub nicht am Strand, sondern damit Motoren zusammenzubauen
Als Werkstudent kommt er in den Ferien immer zurück, in die Firma, in der er vor sieben Jahren mit seiner Ausbildung zum Industriemechaniker begann
Das liegt nahe, denn die Armaturenfabrik ist in Ostwestfalen-Lippe ein attraktiver Arbeitgeber
Mit insgesamt über 800 MitarbeiterInnen, dem er gerne treu bleibt
Nick ist ein zuverlässiger Angestellter, der so gut wie nie krank ist
Doch an diesem 29. Juli 2016 wird ihm ein paar Stunden vor Feierabend plötzlich ganz übel
Es geht ihm so schlecht, dass er seinen Vorgesetzten bittet, früher nach Hause gehen zu dürfen
Und als er dort ankommt, muss er sich sofort übergeben
Immer wieder
Das ist so anstrengend für Nick, dass er es nicht mehr schafft, die Toilette noch sauber zu machen
Zum Erbrechen und der Müdigkeit kommt dann noch ein komisches Taubheitsgefühl in den Fingerspitzen
Als er seiner Mutter Petra davon erzählt, fragt sie ihn, ob er irgendetwas genommen hätte
Irgendwelche Drogen oder zu viel Alkohol
Doch Nick hat nichts genommen
Shisha geraucht mit seinen Freunden war das Einzige, aber davon könne das doch jetzt nicht kommen, oder?
Noch den ganzen Abend fühlt sich Nick krank und platt
Und trotz vieler Stunden Schlaf geht es ihm auch am nächsten Tag nicht besser
Das ganze Wochenende über bleibt der 23-Jährige auf der Couch liegen
Das sieht ihm gar nicht ähnlich
Normalerweise sprüht Nick vor Energie
Geht gerne raus, macht was mit seinen Kumpels oder seinen zwei Brüdern
Doch auch die nächsten zwei Wochen fühlt er sich schlecht
Kann nicht zum Handballtraining oder zur Arbeit gehen
Das Kribbeln in seinen Fingern hat sich mittlerweile bis in den Unterarm ausgebreitet
Vater Holger macht sich mittlerweile ernsthaft Sorgen und drängt seinen Sohn am Montagmorgen zum Hausarzt zu gehen
Der glaubt, Nick könne sich übernommen haben und überlastet sein, weshalb er ihm Vitamine verschreibt
Die helfen nicht und mit Nick geht es weiter bergab
Am Wochenende fühlt er sich sogar zu schlapp, um bei der Geburtstagsfeier seines kleinen Bruders dabei zu sein
Weil seine Eltern ihn schließlich überreden, kommt er am Samstag doch mal nach unten und lässt sich blicken
Da fällt den Verwandten sofort auf, dass mit ihm irgendetwas nicht stimmt
Als Nick die Treppe herunterkommt, wirkt es, als sei er sturzbetrunken
Dazu spricht er extrem langsam und bewegt sich sehr unsicher und grobmotorisch
Der Geburtstag war anstrengend für Nick, weshalb er den ganzen nächsten Tag wieder nur im Bett liegt
Aufstehen ist heute mit sehr viel Kraft verbunden
Seine Eltern können das Leid ihres Sohnes nicht mehr ertragen
Und so fährt Holger am Montagmorgen nochmal mit Nick zum Hausarzt
Der kann sich den Zustand des jungen Mannes nicht erklären und überweist ihn zu einem Neurologen
Als der Nick sieht, ist er alarmiert
Er schickt Vater und Sohn sofort ins Krankenhaus
Bei mir schreit alles schon die ganze Zeit Krankenhaus
Ja, und dort wird sofort ein CCT und ein MRT durchgeführt
Doch beides zeigt keine besonderen Auffälligkeiten
Man geht jetzt von einer Entzündung des Hirnstamms aus und behandelt Nick mit Antikörpern
Doch das schlägt nicht an und Nicks Zustand verschlechtert sich weiter
So sehr, dass er eine Woche später nicht mal mehr gehen kann und nur noch in einzelnen Worten spricht
Daraufhin kommt er in ein Uniklinikum, wo noch einmal ein MRT durchgeführt wird
Dabei erkennt man eine Kleinhirnentzündung
Doch weitere Untersuchungen können diesen Befund nicht bestätigen
Die Ärzte und Ärztinnen sind ratlos
Mit Blutwäschen versuchen sie Nicks Zustand zu verbessern
Auch das hilft nicht
Tage später kommt es schließlich zu einem akuten Nieren- und Leberversagen
Für Petra und Holger ist das die schlimmste Zeit ihres Lebens
Auf der einen Seite ihren Sohn so hilflos und mit großen Schmerzen zu sehen
Und auf der anderen Seite die Ärzte und Ärztinnen, die alles versuchen und doch nicht weiterkommen
Ein paar Wochen später finden die Ärzte und Ärztinnen in einem Buch einen Fall, bei dem der Patient ganz ähnliche Symptome aufwies, wie Nick sie gerade hat
Dieser Patient hatte eine Schwermetallvergiftung
Daraufhin testen sie Nick unter anderem auf Blei, Aluminium und Quecksilber
Und es dauert nicht lange, da haben sie Gewissheit
Nicks Körper ist mit Quecksilber belastet
Jetzt heißt es so schnell handeln wie möglich, denn Quecksilber ist tödlich
Doch weil diese Vergiftung in Deutschland extrem selten ist, muss das erforderliche Medikament aus Polen eingeflogen werden
Als Nick die Medikation schließlich gespritzt bekommt, ist es zu spät
Das Quecksilber hat sein Gehirn bereits irreparabel geschädigt und der 23-Jährige fällt in einen Wachkoma
Also sehr furchtbar
Nachdem klar ist, dass sich Nick mit einem Schwermetall vergiftet hat, raten die Ärzte und Ärztinnen seinen Eltern Anzeige bei der Polizei zu erstatten
Denn solch eine Vergiftung könne nicht auf natürlichem Wege erfolgt sein
Und so wenden sich die Eltern noch an dem Abend der Untersuchung an die Polizei
Dort erzählen sie dem leitenden Ermittler Ralf Herbst genau, was Nick am 29. Juli gemacht hat
An dem Tag, als sein Leid begann
Weil er da von der Arbeit kam, wird erst einmal seinen Platz bei der Firma untersucht
Doch weder die Polizei noch die Arbeitsschutzexperten und Experten der Bezirksregierung können dort eine Ursache für die Vergiftung ausmachen
Auch in Nicks persönlichem Umfeld hatte nachweislich niemand Kontakt mit Quecksilber
Sogar die Shisha und Nicks E-Zigarette werden untersucht, alles negativ
Petra und Holger verstehen die Welt nicht mehr
In der Hoffnung, sich das endlich alles erklären zu können, spinnen sie herum
Vermuten Quecksilber in ihren Leitungen
Doch nirgends lässt sich eine Verbindung zu dem giftigen Schwermetall feststellen
Im Juni 2017 wird daher das Ermittlungsverfahren eingestellt
Und Holger und Petra bekommen keine Antwort darauf, warum ihr Sohn nicht mehr der Alte ist
Im Januar 2018 sitzt Simon im Pausenraum der Abteilung Werkzeugbau
Schon mehr als anderthalb Jahre sitzt sein Kollege Nick ihm hier nicht mehr gegenüber
Er liegt noch immer im Koma und keiner weiß warum
Simon hatte ein Jahr vor Nick seine Ausbildung in der Firma begonnen und seinen drei Jahre jüngeren Kollegen sehr gemocht
Als er jetzt an dem kleinen Tisch mit den fünf Stühlen sitzt und in sein mitgebrachtes Butterbrot beißen will
fallen ihm darauf kleine weiße Krümel auf
Er geht davon aus, dass der Belag verschimmelt ist und wirft die Stulle weg
Doch als es ein paar Tage später wieder passiert, achtet er ab dato morgens immer ganz genau, wie sein Brot aussieht, wenn er es sich schmiert
Zwei Monate später entdeckt Simon dann auf der Arbeit bräunliches Pulver auf seinem Pausenbrot
Das kann doch nicht sein, denkt er sich
Schließlich war das morgens, als er sich die Stulle selbst geschmiert hat, noch nicht so gewesen
Am Abend erklärt er sich das Pulver dann aber damit, dass es wahrscheinlich Dreck aus seinem Rucksack war
Woraufhin er diesen aussaugt
Doch noch dreimal findet er auf seiner Stulle Substanzen, die dort nicht hingehören
Simon wird endgültig misstrauisch
Er erinnert sich daran, dass er bereits vor einem Jahr ein paar Mal auf der Arbeit Veränderungen seines Trinkwassers bemerkt hatte
Das war mehrfach milchig verfärbt und schmeckte süßlich
Er hatte das damals auf den davor getrunkenen Kaffee mit Milch geschoben und das Wasser dann weggeschüttet
Aber auch sein Kollege Udo hatte milchiges Wasser gehabt
Er meinte zu Simon, dass das vielleicht auch von der direkten Sonneneinstrahlung kommen könnte
Simon kommt ein Verdacht
Was ist, wenn jemand seine mitgebrachten Butterbrote und sein Wasser verunreinigt, wenn er die Sachen unbeaufsichtigt im Pausenraum stehen lässt
Das könnte die Erklärung dafür sein, warum es ihm seit ca. einem Jahr immer wieder so schlecht geht
Denn seither kämpft Simon immer wieder mit Bauchschmerzen, Übelkeit und Abgeschlagenheit
Schon lange kann er keinen Marathon mehr laufen, so wie er es früher tat
Seine Nieren haben ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht
Doch warum die nicht mehr richtig funktionieren, konnte ihm bisher niemand erklären
Simon geht mit seinem Verdacht zu seinem Vorgesetzten, der daraufhin veranlasst, eine versteckte Kamera im Pausenraum zu installieren
Als Simon dann erneut Pulver auf seinen Broten findet, werden die Aufnahmen der Videokamera überprüft
Zusammen mit seinem Vorgesetzten sieht er darauf, wie ein Kollege an zwei Tagen Simons Brotdose aus seinem Rucksack nimmt, sie aufklappt, die Innenseite der Stulle mit Pulver bestreut
Oh mein Gott!
Und dann schnell alles wieder zurücklegt
Ach du meine Güte, also
Simon traut seinen Augen nicht und sein Vorgesetzter geht von einer Art Scherz aus
Weil warum sollte ein Kollege irgendetwas auf Simons Brot streuen?
Nach dem Sichten der Aufnahmen geht Simon zur Polizei mit dem Video und den Broten, die er aufbewahrt hatte im Gepäck
Sofort werden die ins Labor geschickt und Stunden später stellt sich heraus, das Pulver ist Bleiacetat
Pro Brot das Vierfache einer tolerierten Wochendosis
Und somit dazu imstande, Simon dauerhaft körperlich und geistig zu schädigen
Och, und wussten die da schon welcher Kollege das ist?
Ja, das wussten die
Dieser besagte Kollege wird nämlich einen Tag später in der Firma verhaftet
Bei sich trägt er ein kleines Pulverfläschchen mit der Aufschrift Blei A
Der Mann heißt Klaus O., ist Schlosser und arbeitet seit fast 40 Jahren in der Armaturenfabrik
Sein Chef sagt über ihn, er sei auffällig, unauffällig
Und im Kollegenkreis ist Klaus nicht gerade beliebt
Denn der 56-Jährige bleibt die meiste Zeit für sich und arbeitet am liebsten mit Kopfhörern
Wenn mal jemand Hilfe braucht, ist er zwar gerne bereit, sein Wissen zu teilen
Privates behält er aber immer für sich
Einmal hatte Simon ihn gefragt, was er am Wochenende vorhat
Da war Klaus Antwort, was geht dich das an?
Viel wissen die MitarbeiterInnen der Firma also nicht
Von dem Mann, der Bleiacetat auf das Butterbrot von Simon streute
Doch das soll sich bald ändern
Denn mit dem Tag seiner Verhaftung wird Klaus O.'s Leben auf den Kopf gestellt
Zuerst ist sein Haus dran
Das Haus, in dem er zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt
Mit dabei bei der Durchsuchung ist Ralf Herbst, der Polizist, der 2016 im Fall von Nick ermittelt hat
Er durchsucht gerade das Schlafzimmer, als er in der Nachttischschublade ein Buch mit dem Titel
Organisch-chemische Experimentierkunst entdeckt
Er öffnet es auf einer Seite, die mit handgeschriebenen Notizen bekritzelt und kleinen gelben Zetteln beklebt ist
Da fällt ihm direkt ein Wort ins Auge
Quecksilber
Und in seinem Kopf setzen sich Teile zu einem Puzzle zusammen
Wieder eine Vergiftung
Wieder beim selben Arbeitgeber
Als Ralf Herbst dann den Keller des Hauses betritt, wird ihm klar
Dass es derselbe Täter sein muss
Denn dort, in einem kleinen Heizungsraum
Hat sich Klaus O. ein regelrechtes Chemielabor eingerichtet
Gesäumt von tütenweisen Chemikalien
In Säure, eingeweichten Akkus, Tellern und Schraubgläsern voller gelber, grüner und durchsichtiger Substanzen
Ach du mein
Oh mein
Nach Untersuchung stellen sich die unter anderem als Quecksilber, Cadmium und Bleiverbindungen heraus
Darunter die Methyl-Quecksilber
Davon bewahrt Klaus O. 500 Milliliter in einem leeren Mayonesenglas mit Schraubverschluss auf
Die Methyl-Quecksilber ist ein hochgiftiger Stoff
Ein paar Tropfen auf den Handschuh einer US-amerikanischen Chemikerin hatte sie im Jahr 1979 getötet
Das ist ja unfassbar
Ja
Nachdem man weiß, dass Simon möglicherweise Bleiacetat gegessen hat, wird er auf Schwermetalle untersucht
Dabei kommt heraus, dass er hohe Blei- und Cadmiumwerte im Blut hat und dass das die Ursache für seinen dauerhaften Nierenschaden ist
Und Simon ist nicht der Einzige in der Firma, der schwer nierenkrank ist
Sein Kollege Udo, der damals auch milchiges Wasser getrunken hat, kann wegen seiner Nieren schon seit einiger Zeit nicht mehr arbeiten
Bei dem 56-Jährigen fängt es 2015 an, mit Bauchschmerzen, Erbrechen und Müdigkeit
Über drei Jahre quält er sich mit diesen Beschwerden, bis im April 2018 seine Nieren versagen
Seitdem muss der Familienvater wöchentlich zur Dialyse, kann nie mehr als einen Liter Flüssigkeit am Tag zu sich nehmen, ohne schwere Krämpfe zu bekommen
Den Grund für sein Leiden hatte sich niemand erklären können
Bis jetzt, denn auch bei Udo finden sich erhöhte Blei- und Cadmiumwerte im Blut
Während das Ausmaß von Klaus Osttaten klare Umrisse erhellt, liegt Nick noch immer im Koma
Drei Monate hatte er damals noch im Uniklinikum bleiben müssen, bevor er weitere drei in einem anderen Krankenhaus untergebracht wurde
In dem er einmal reanimiert werden musste
Im Februar 2017 durften Holger und Petra ihren Sohn dann mit nach Hause nehmen
Dort liegt er seither in einem Bett, braucht 24 Stunden am Tag Betreuung
Dafür kommt morgens und abends eine Pflegekraft
Und in der restlichen Zeit wechseln sich Holger und Petra ab
Auch die Geschwister versuchen so gut es geht zu helfen
Nick ist jetzt ein sogenannter Schwerstpflegefall
Er hat alle Funktionen seines Bewusstseins verloren
Wird künstlich über eine Magensonde ernährt
Durch einen Schlauch beatmet
Er hat einen Blasenkatheter
Er muss gewickelt und abgesaugt werden
Sein Zustand wird sich nie wieder verbessern
Und Schuld daran ist laut Staatsanwaltschaft Klaus O
Dem Holger und Petra im Prozess als Nebenklägerin gegenüber sitzt
Bei der Verhandlung, die am 15. November 2018 vor dem Bielefelder Landgericht beginnt
Ich krieg's solche Gänsehaut
Angeklagt ist Klaus O wegen versuchten, heimtückischen und grausamen Mordes und Körperverletzung
Zum Prozessauftakt schildert der Staatsanwalt
Wie der gelernte Schlosser über Jahre hinweg Kollegen vergiftet haben soll
Um ihnen beim körperlichen Verfall zuzusehen
Klaus O lauscht den Worten der Anklageschrift äußerlich unberührt
Er hatte keine Aussagen gemacht und will sich auch jetzt nicht einlassen
Womit sich der erste Prozesstag schnell dem Ende zuneigt
Am zweiten Tag werden Simon und Udo in den Zeugenstand gebeten
Beide von ihrer schlechten Gesundheit gezeichnet, blassgräulich im Gesicht
Udo, der 30 Jahre lang Seite an Seite mit Klaus O zusammengearbeitet hat, sucht während seiner Befragung immer wieder nach Worten
Seit der Vergiftung leidet er nicht nur unter seinen Nieren, sondern auch unter Konzentrationsstörungen und Gedächtenslücken
Als Simon dran ist, erklärt er, dass er sich heute große Vorwürfe macht, nicht früher Alarm geschlagen zu haben
Damals schon, als er das trübe Wasser entdeckt hatte
Aber er hatte Angst gehabt, sich zu blamieren
Und glauben konnte er es eigentlich auch, nachdem er das Video gesehen hatte, lange nicht
Das Video, das den Angeklagten überführt hat und auch hier vor Gericht gezeigt wird
Nicks Eltern werden ebenfalls in den Zeugenstand gebeten
Er ist Holger, der über die Zeit im Sommer 2016 berichtet, die alles im Leben seiner Familie verändert hat
Danach fragt der Vorsitzende Richter
Mögen Sie mir auch etwas über sich erzählen?
Das ist ein heikles Thema, antwortet Holger
Leben will ich nicht mehr
Aber sterben darf ich auch nicht
Ich habe ja noch eine Familie, da kann man sich nicht einfach aus dem Staub machen
Im Publikum kämpfen viele Anwesenden bei dieser Aussage mit den Tränen
Auch der Vorsitzende ist sichtlich bewegt
Er schließt die Beweisaufnahme mit den Worten
Als Vater spreche ich ihnen meinen Respekt aus
Danach ist Petra dran
Sie ist wütend
Sagt, dass sie Klaus O. ihren seelischen Schmerz wünscht
Nicht aber seinen Kindern
Die können ja nichts dafür, dass ihr Vater ein Irrer ist
Fügt sie hinzu
Ob Klaus O. tatsächlich seelisch krank und vielleicht sogar schuldunfähig ist
Soll ein psychiatrischer Gutachter erklären
Doch auch ihm hatte der Angeklagte die Aussage verweigert
Der Sachverständige stützt sich bei seiner Aussage daher auf die Akten
Und er stellt fest, dass Klaus O. weder wahnkrank sei
Noch an einer krankhaften Persönlichkeitsstörung leide
Ich finde bei Herrn O. nichts, was ihn aus psychiatrischer Sicht entschuldigt, betont er
Zwar habe Klaus O. keine leichte Kindheit gehabt
Mit einer psychisch kranken Mutter und einem überforderten Vater
Doch seinen eigenen Kindern habe er eine tolle Kindheit schenken können
Zeugen und Zeuginnen beschreiben ihn als liebevoll und fürsorglich
Als Familienvater, der mit seinen Söhnen am Wochenende ein Baumhaus baut und im Keller werkelt
Und als perfekten Ehemann, der mit seiner Frau in den Urlaub fährt und bei Krisen zur Eheberatung geht
Doch für seine Kollegen habe er offenbar kein Mitgefühl aufbringen können
Für ihn seien sie mehr Objekte gewesen als Menschen
Dazu passt, was Klaus O. einem Gefängnispsychiater erzählt hat, als dieser herausfinden sollte, ob er suizidgefährdet ist
Der Psychiater erzählt, ihm sei es so vorgekommen, als habe er mit einem Wissenschaftler gesprochen, der ausprobieren wollte, wie bestimmte Stoffe bei einem Kaninchen würden
Ach Gott
Das Motiv also reine Neugier
Der psychiatrische Gutachter glaubt eher an das Motiv der Macht
Klaus O. das ohnmächtige Kind von früher, das jetzt andere ohnmächtig zurücklässt
Sein Schweigen in diesem Verfahren könnte seine letzte mögliche Machtdemonstration sein
Das Gutachten schließt der Sachverständige mit einer düsteren Prognose ab
Klaus O. sei gemeingefährlich
Ja, er ist gemeingefährlich und gemein und gefährlich
Am letzten Prozestag plädiert die Verteidigung auf neun Jahre Freiheitsstrafe wegen schwerer und gefährlicher Körperverletzung
Die Staatsanwaltschaft hingegen fordert lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung wegen versuchten Mordes
Nicks Eltern, Simon und Udo, möchten außerdem, dass die besondere Schwere der Schuld festgestellt wird
Nach dem Plädoyers ließ Simons Anwalt noch einen Brief vor, den Simon am Abend zuvor geschrieben hatte
In diesem fleht er den Angeklagten an ihm endlich eine Antwort auf die Warum-Frage zu geben
Danach wendet sich der Vorsitzende dem Beschuldigten zu und sagt
Das Recht zu schweigen ist ein Menschenrecht, das Gerichte seit dem 18. Jahrhundert hochhalten
Klaus O. zieht das Mikrofon zu sich, setzt zum Sprechen an und aus seinem Mund dringend neun Worte
Ich schließe mich den Ausführungen meiner Verteidiger vollumfänglich an
Dankeschön
Das ist halt einfach ne...
Herzlichen Dank, jetzt wissen wir, dass du sprechen kannst, aber nicht möchtest
Das ist einfach ne Verhöhnung der Opfer
Also dann hätte der auch einfach gar nichts sagen können
Anfang März 2019 wird das Urteil gesprochen
Klaus O. wird wegen versuchten Mordes und schwerer gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt
Dankeschön
Außerdem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt und eine Sicherungsverwahrung angeordnet
Versuchter Mord, weil es sich um tödliches Gift gehandelt hat und das Mordmerkmal der Heimtücke gegeben war
Denn Nick war arglos gewesen im Pausenraum
Er hatte während der Arbeitszeit nicht mit einem feindseligen Angriff seines Kollegen gerechnet
und daher keine Möglichkeit gehabt, den Angriff abzuwehren
Was Simon und Udo angeht, kann die Kammer keinen direkten Tötungsvorsatz feststellen
Weil die Menge des Gifts auf den Butterbroten für eine direkte Tötung zu niedrig war
Trotzdem handelt es sich bei der Strafe für Klaus O. um die höchste, die in Deutschland möglich ist
Begründet wird sie mit den gravierenden Folgen für die Opfer
Für Simon und Udo, die nie wieder gesund werden
und deren Angst vor möglichen Spätfolgen wie Krebs sie ihr Leben lang begleiten wird
Und für Nick, der nur noch als leibliche Hülle seiner selbst existiert
Alle Funktionen, die das Leben lebenswert machen, sind ausgeschaltet, erklärt der Vorsitzende
Aber er wird noch geliebt, fügt er laut hinzu und blickt dabei in die Richtung von Nicks Eltern
Als diese Worte Petra erreichen, fängt sie an zu weinen und hält Holgers Hand ganz fest
Auch wenn das Urteil für die Familie eine Art Genugtuung ist, können sie auch nach dem Prozess nicht abschließen
Jeden Tag werden sie an das Leid erinnert, das Klaus O. über ihre Familie gebracht hat
Eine Therapie bricht Petra ab
Die Zeit, in der sie beim Therapeuten ist, will sie lieber bei ihrem Sohn verbringen
Während Nicks älterer Bruder lernt, mit dem Zustand zu leben, ist es für den Jüngsten eine Qual
Er kann seinen großen Bruder kaum mehr ansehen
So weh tut es ihm, ihn so leiden zu sehen
Zehn Monate nach dem Urteilsspruch stirbt Nick schließlich im Kreise seiner Liebsten
Nach mehr als drei Jahren im Koma
Heute sitzt Nicks kleiner Bruder im Pausenraum der Armaturenfirma, wenn er sein mitgebrachtes Mittagessen isst
In dem tristen, abgetrennten Bereich, umgeben von Arbeitsplätzen mit großen Maschinen und dicken, langen Kabeln drumrum
Dort, wo man sich immer noch fragt, warum
Das sind ja furchtbare Fälle, die wir uns ausgesucht haben
Ja, weil diese Art einfach so schrecklich ist, weil es so unerwartet kommt
Weil diese Taten halt so unfair wirken
Ja, und besonders dieses bei Udo und Simon, dieses langsame Krankmachen
Und das jeden Tag mit ansehen, dass es ihnen schlechter geht und schlechter geht
Und irgendwann Udo auch nicht mehr zur Arbeit kommen kann
Ja, ich habe von einem anderen Fall gelesen, bei dem jemand so vergiftet wurde
Und in dem Artikel stand, dass sich solche Substanzen halt ganz langsam im Körper anreichern
Weshalb es einem immer schlechter geht
Aber man halt nie weiß, warum, weil wie du schon gesagt hast, das gar nicht so oft passiert halt
Und man deswegen auch nicht darauf getestet wird
Und ich weiß nicht, ob das so viele wissen, aber wenn man etwas hat und die Ärzte und Ärztinnen finden das nicht
Das ist so eine Tortur und so eine Qual
Nicht zu wissen, was man hat
Und gerade bei diesen Quecksilberfällen finde ich das so tragisch, weil sie diesen Verfall die ganze Zeit noch mitbekommen
Und wir wissen am Ende dann, was daraus geworden ist und die halt nicht mehr
Und bei Nick war das jetzt auch nur so, dass er noch drei Jahre weiter gelebt hat
Weil es doch dann noch relativ schnell herausgefunden worden ist
Also die haben dann schon angefangen, ihn zu entgiften
Da gibt es dann so ein Gegengift, was du sozusagen nehmen kannst
Was aber auch nicht ganz ohne ist
Aber weil die schon gesehen haben, dass das Gehirn irreparabel geschädigt war
Haben sie dann damit aufgehört, um ihn nicht noch mehr zu schädigen sozusagen mit dem anderen Gift
Weil das auch nichts gebracht hätte
Aber wenn man es direkt weiß, dann kann man schnell reagieren
Aber niemand ist darauf vorbereitet
Kein Arzt oder keine Ärztin denkt, dass wenn du mit solchen Symptomen irgendwo hinkommst, dass es Quecksilber sein könnte
Natürlich nicht, es sei denn, du hast das gerade zufällig irgendwo gelesen
Hast einen Geistesblitz
Warum sollte sich jemand mit Quecksilber vergiften?
Was mich auch so schockiert ist, dieser Täter
Und ich habe auch letztens mal gelesen, jemand hatte uns eine Nachricht geschrieben oder einen Kommentar
Dass wir früher mehr zu den Tätern auch gemacht haben oder zu den Täterinnen
Und hier war ich aber tatsächlich einfach sehr, sehr sauer auf diesen Täter
Und ich wollte auch nicht mehr über ihn herausfinden
Wie auch? Er sagt ja nichts
Ja, erstens sagt er nichts, aber ich wollte ihn auch nicht so in den Mittelpunkt stellen
Weil, nee, um dich geht es halt einfach nicht
Aber es ist natürlich interessant, weil der Psychiater, ich meine, er hat nicht mit ihm geredet, du hast es gerade gesagt
Aber er hatte ja ganz viele Informationen und auch von Zeugen und Zeuginnen
Dass er nichts gefunden hat
Also kein Entschuldigungsgrund oder irgendwas
Was für ein Doppelleben muss man denn führen, wenn man der Zuhause wirklich ein fürsorglicher Vater und Ehemann ist
Und dann sowas bei der Arbeit machen kann
Es ist mir auch egal
Du möchtest nicht versuchen, eine Erklärung für dein absurdes, furchtbares, tödliches Verhalten zu finden
Wir werden es nicht tun
Ja
Also dann hören wir halt den Menschen zu, die leiden aufgrund deiner Taten
Also, so weit kommt es ja noch
Weißt du, wen ich ganz stark finde in diesem Fall, den Vorgesetzten
Ja
Denn sowas zu veranlassen, da eine Überwachungskamera für seine eigenen Schäfchen, sag ich mal, zu installieren
Ist nicht ohne
Obwohl man natürlich seine Angestellten schützen möchte
Finde ich das auch gut, dass man denen dann auch Glauben schenkt, wenn sie meinen, hier stimmt etwas nicht
Total
Und vor allen Dingen, dazu kommt ja noch, dass das ja keiner glaubt
Also auch, wenn jemand zu dir kommt und sagt, guck mal, auf meinem Brot sind Krümel
Und dann sagt, das glaube ich, das tut mir da jemand drauf
Dann sagst du ja eigentlich, nee, das hast du dir da selber drauf geschmiert
Ich habe ganz oft weiße Krümel auf meinem Brot, weil das natürlich schimmelt nach einer Zeit
Ja
Im Fall von Nick hatte das Gericht ja, anders als bei Udo und Simon, versuchten Mord festgestellt
Und zwar, weil es sich sicher war, dass Klaus O. von der tödlichen Wirkung des Quecksilbers wusste
Und Nick's Tod damit billigend in Kauf nahm
Und dass Nick dann noch so lange überlebte, habe ich ja eben gesagt
War, weil er schnell, relativ schnell ins Krankenhaus kam
Weil das Gericht aber nicht erkennen konnte, was
Zitat
Und der Versuch wird definiert in Paragraph 22 des Strafgesetzbuchs
Und der liegt dann vor, wenn der Täter oder die Täterin
Zitat
Und dabei liegt der Versuch zwischen der Tatvorbereitung, die nicht strafbar ist
Und der Tatvollendung, zu der es aber logischerweise beim Versuch nicht kommt
Wichtig ist der gefasste Tatentschluss und das unmittelbare Ansetzen
Der Tatentschluss ist beispielsweise
Ich werde Hans-Peter töten
Da muss ich fest entschlossen sein, diese Tat zu begehen
Und dann muss ich unmittelbar zu dieser Tat ansetzen
Aber was heißt unmittelbar?
Also wenn ich auf Hans-Peter zugehe und ihm meine Hände um den Hals lege
Oder erst dann, wenn ich richtig zudrücke
Und das ist nicht immer ganz klar
Und dazu gibt es auch in der Rechtswissenschaft unterschiedliche Theorien
Da gibt es eine, bei der dann das Eindringen des Täters bzw. der Täterin
In die Sphäre des Opfers als unmittelbares Ansetzen gilt
Wenn zwischen Eindringen und Erfolgsverwirklichung nicht viel Zeit vergeht
Also mal auf Deutsch
Zum Beispiel, wenn jemand dich jetzt verfolgt, um dich anzugreifen
Und dir schon ganz nah ist
Dann ist diese Person schon in die Sphäre von dir eingedrungen
Und dann ist das das unmittelbare Ansetzen
So wie bei der Supermarktkasse, wenn jemand momentan so ganz dicht in meine Sphäre eindringt
Versuchte Körperverletzung
Versuchte Annäherung
Wird hart bestraft
Und bei einer anderen Theorie zum Beispiel
Liegt das Ansetzen dann vor, wenn der Täter bzw. die Täterin davon ausgeht
Dass zwischen der gerade getätigten Handlung und der Erfolgsverwirklichung
Kein relevanter Zwischenschritt mehr liegt
Also auf Deutsch
Wenn zum Beispiel jemand an deiner Tür klingelt
Um dich zu überfallen
Ich finde das gut, dass du JuristInnen-Sprache immer auf Deutsch nochmal übersetzt
Für Nicht-Juristen und JuristInnen
Also wenn jemand bei dir klingelt
Um dich zu überfallen
Und eben vorhat, das direkt zu machen
Nachdem du die Tür geöffnet hast
Dann ist das so
Aber wenn die Person klingelt
Nur um zu überprüfen, dass du nicht zu Hause bist
Weil diese Person nämlich in deine Wohnung einbrechen will
Und dort dann auf dich warten will
Und dann erst angreift
Dann ist dieses Klingeln noch nicht das unmittelbare Ansetzen
Vor Gericht handelt es sich ja
Wir wissen immer um Einzelfälle
Und bei denen werden dann Kombinationen aus verschiedenen Theorien angewandt
Ein Beispiel, das relativ umstritten ist
Ist ein Fall aus dem Jahr 1999
Da hatte eine Gruppe rechtsextremistischer Jugendlicher drei Ausländer angegriffen
Eines der Opfer floh und verletzte sich dabei an einer Glasscheibe so schwer, dass er verblutete
Das Landgericht entschied auf fahrlässige Tötung
Doch sowohl Verteidigung als auch NebenklägerInnen waren dann bis vor den BGH gezogen
Der dann entschied, dass es sich aber um versuchte Körperverletzung mit Todesfolge handelt
Denn Körperverletzung war ja die geplante Tat gewesen
Und die Täter hatten auch zu dieser angesetzt
Und gestorben war das Opfer aufgrund dieser versuchten Körperverletzung
Und bei der Höhe der Strafe für einen Versuch
Orientiert sich das Gericht dann an der Strafe für das jeweils vollendete Delikt
Allerdings steht im Strafgesetzbuch explizit, dass der Versuch milder bestraft werden kann
Vor Gericht geht es dann halt eben um die Umstände, die da geherrscht haben
Und bei Nick hatte das Gericht eben keinen Unterschied gesehen zum vollendeten Mord
Und deshalb die gleiche Strafe verhängt
In dem Fall können, denke ich, die meisten die Strafe nachvollziehen
Oder viele die Strafe nachvollziehen
Aber Klaus Uhe hätte auch wegen Körperverletzung bestraft werden können
Was ist denn deine generelle Meinung dazu, dass Versuche einer Straftat bestraft werden?
Weil in manchen Fällen heißt das ja auch, dass jemand bestraft wird, auch wenn gar nichts passiert ist
Ja, und das habe ich, glaube ich, einmal in Folge 15, als du von dem Katzenkönigfall geredet hast
Hast du es schon mal gesagt?
Ja, weil das Opfer in diesem Blumenladen ist ja am Ende nicht gestorben
Ja
Aber da haben wir auch über die Ahnung einer versuchten Tat gesprochen
Oder das habe ich dann nicht zugehört
Oder es ist einfach schon sehr lange her
Ich verzeihe es dir
Und ich finde es total richtig, weil in einigen Fällen hat der Täter oder die Täterin ja nur Glück
In Anführungsstrichen gehabt, dass es nicht so weit gekommen ist
Ja
Die können manchmal nichts dazu tun oder dagegen tun, dass die Person dann stirbt oder nicht
Sondern das hat mit einer körperlichen Konstitution zu tun, mit vielen Umständen
Und sie können es nicht beeinflussen
Und dementsprechend bin ich auch bei Fällen, wo sie es eben nicht beeinflussen konnten durch ihre Tat
Bin ich eher dafür, das wie eine vollendete Tat zu werten
Weil warum sollte jemand davon profitieren, dass äußere Umstände dazu verholfen haben, dass die Person dann nicht gestorben ist
Ja, oder wenn er einfach zu blöd ist, um die Tat richtig umzusetzen, wie er sich das gedacht hat
Ja, und im Fall von Nick hattest du ja gesagt, dass das Gericht davon ausgegangen ist, dass Klaus O. das hätte wissen müssen, dass diese Menge zum Tod führt
Ja, er wusste das
Ja, naja, und dann denke ich mir, naja, er wollte das ja
Ja
Also er wollte den Tod herbeiführen und dann finde ich auch, sollte er für das vollendete Delikt verurteilt werden
Ja, und nur weil es nicht direkt geklappt hat, warum sollte er dann dafür belohnt werden, obwohl er das eigentlich wollte
Aber belohnt wird eine Person, die von dem Versuch zurücktritt
Also wenn der Täter oder die Täterin beispielsweise aufhört, das Opfer zu würgen, dann wird der Versuch straflos
Ja, also belohnt im Sinne von, die Person kriegt ein geringeres Strafmaß
Nee, die Person wird dann explizit belohnt dafür, dass es zurückgetreten ist und wird gar nicht für den Versuch bestraft
Natürlich kann die Person dann noch wegen anderer Sachen bestraft werden, wenn die zum Beispiel die Person verletzt hat, wegen Körperverletzung
Aber wenn nicht, nicht und das machen die ganz explizit so
Das ist natürlich auch gut so, weil wenn das Leute wissen, dass sie dann vielleicht eher noch mitten in einer Tat abbrechen
Übrigens ist es strafrechtlich egal, ob die geplante Tat auch tatsächlich durchführbar ist
Also wenn ich glaube, ich kann Hans-Peter mit einer Wasserflasche umbringen und dazu ansetze, dann ist das auch ein Versuch
Also wenn ich glaube, ich kann dich mit Schmetterlingbewerfen umbringen und ich setze dazu an, dann kann ich auch dafür
Also Schmetterlinge weiß ich jetzt nicht, aber meine Flasche ist auf jeden Fall so
Und ich mache mich auch dann strafbar, wenn ich eine Vogelscheuche angreife, in der Annahme, dass es sich dabei um Hans-Peter handelt
Abzugrenzen ist dieser sogenannte untaugliche Versuch, allerdings vom abergläubischen Versuch
Also wenn du jetzt probierst, mich mit einem Fluch zu töten, dann machst du dich nicht strafbar
Also mach einfach weiter
Dann kann ich die Nadel in deiner Voodoo-Puppe ja drin lassen
Die beiden Fälle, die wir gerade vorgestellt haben, das sind so typische Heimtücke-Fälle
Also zum Beispiel dieses von hinten Schubsen
Das kann übrigens auch von einer Brücke sein oder auf die Straße, das ist egal
Und halt dieser Giftmord
Weil man in beiden Fällen die Attacke halt nicht hat kommen sehen, wie ihr auch gehört habt
Und der Täter oder die Täterin unvermittelt angreift
Und das ist in der Regel beispielsweise auch bei schlafenden Personen so
Weil man davon ausgeht, dass jemand, der bewusst schlafen geht, nicht mit einem Angriff auf sein oder ihr Leben rechnet
Und andere typische Heimtücke-Morde sind zum Beispiel Auftragsmorde
Oder die, wo Personen in einen Hinterhalt gelockt werden
Ja, wie zum Beispiel bei meinem Fall aus Folge 60
In dem Kämer ja den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester zu diesem Parkplatz gelockt hat, um ihn zu töten
Und der Stefan H. hatte gedacht, er kommt da halt hin zu einem Drogengeschäft
Und war deshalb eben arg und wehrlos gewesen
Wie war das da beim Kampf? Hat er das da noch einigermaßen mitbekommen?
Ja, der hat sich versucht zu wehren
Der ist ja auch geflüchtet
Ein bisschen, aber wurde dann wieder eingeholt
Und trotzdem wurden die wegen heimtückischen Mordes urteilt
Okay, weil es nämlich ausgereicht hat, dass die Täter die Arglosigkeit des Opfers dann schon bei der Vorbereitung ausgenutzt haben
Und sie in diesem Moment aber den Tötungsvorsatz ja schon hatten
Und das Opfer dann aufgrund dieser Falle bis dann zur eigentlichen Tat wehrlos war
Also wenn wir jetzt zum Beispiel in einem Haus eingesperrt sind, Laura und ich
Und Laura weiß, dass ich sie töten will
Dann kennt sie ja meine feindselige Absicht
Und dann wird es schwierig, mir die Heimtücke nachzuweisen
Weil selbst wenn ich sie von hinten die Treppe runterstoße
Wenn sie mir gerade den Rücken zukehrt
Dann weiß sie ja eigentlich von meinem Angriff auf ihr Leben
Und was mich bei dieser Rechtsprechung auch etwas verwundert
Ist ein spezieller Fall
Und zwar den ich in der Stalking-Folge erzählt habe
Und zwar in Folge
41
Gerade wurden wir gefragt, wie wir das eigentlich
Ob wir einfach neben uns eine Liste haben mit allen Folgen
Nein
Das ist Lauras Kopf
Mein Gehirn ist diese Liste
Und deswegen zeigt Paulina immer auf mich
Wenn sie irgendwas erzählt und ich muss dann sagen
Welche Folge das war
Laura ist hier halt das Folgen-Lexikon
Aber egal, weiter
Diese Stalking-Folge, mit der sind wir ja auch getourt
Und in Hamburg kam danach ein junger Mann zu mir
Und hat mich gefragt, warum mein Fall eigentlich als heimtückischer Mord verurteilt wurde
Weil das Opfer diesen Angriff vorher noch wahrgenommen hat
Und ich hatte gesagt, naja, aber sie war ja offenbar in dem Moment dann arg und wehrlos
Einfach
Aber so im Nachhinein denke ich mir bei diesem Fall
Wo ein Ex-Freund seine Freundin über Wochen, Monate stalkt
Diese Frau hat zu jeder Zeit mit einem Angriff auf ihr Leben gerechnet
Sie hatte immer Angst
Und sie hat sich immer überall abholen lassen
Da finde ich es tatsächlich jetzt ein bisschen merkwürdig
Dass sie als arg und wehrlos angesehen wurde
Und die Wehrlosigkeit, was sie zweifelsohne war, aber die muss auf der Arglosigkeit beruhen
Und da habe ich jetzt aber gerade bei der Recherche für die nächste Folge eine Antwort an einem BGH-Urteil gefunden
Und da heißt es, dass das Opfer in der konkreten Situation mit einem ernsthaften Angriff gerechnet haben muss
Und da reicht das halt auch nicht vorher so Vorkehrungen getroffen zu haben
Um beispielsweise jetzt nicht alleine sein zu müssen oder so
Sondern du musst halt in der Situation damit rechnen, dass so ein Angriff unmittelbar bevorsteht
Machen wir aber nochmal ein anderes anschauliches Beispiel
Wenn ich Laura jetzt in ein Spa-Hotel in den Urlaub einlade
Weil ich vorhabe, sie dort zu töten
Und sie hat davon absolut keine Ahnung
Laura steht dann beispielsweise im Bad und versucht sich mal wieder zu schminken
Und ich reiße ihr die Lidschattenpalette aus der Hand
Und gebe vor, ihr helfen zu wollen, ganz uneigennützig
Und sage dann aber im letzten Moment
Ich töte dich jetzt
Und steche dann mit dem Messer zu
Das ich die ganze Zeit hinter meinem Rücken hatte
Weil ich vorher ihre Arglosigkeit ausgenutzt habe
Bringt mir dann diese allerletzte Kampfansage in der Regel nichts
Weil Laura keine Zeit mehr hatte, meinem Angriff etwas entgegenzusetzen
Genau, weil ich ja dann trotzdem noch wehrlos bin
Und für eine Verurteilung wegen heimtückischen Mordes
Muss das Opfer ja arg und wehrlos sein
Es gibt aber laut Rechtsprechung Personen, die gar nicht arglos sein können
Und dazu zählen Säuglinge und Kleinkinder
Und die Begründung ist, dass kleine Kinder anderen Menschen gar nicht wirklich misstrauisch gegenüber seien
Und damit auch keinen Argwohnen entwickeln können
Und wenn sie nicht argwöhnisch sein können, dann können sie logischerweise auch in keiner einzigen Situation arglos sein
Aber ab wie vielen Jahren kann denn ein Mensch arglos sein?
Also wenn du dich jetzt, Paulina, an dich als kleinen Kind zurückerinnerst
Was würdest du sagen, ab wann konntest du ernsthaft misstrauisch sein?
Oh Gott, ich habe absolut gar keine Ahnung
Also ich glaube tatsächlich, dass so die ersten Kindheitserinnerungen, die ich habe, sind so vier, fünf gewesen oder so
Aber ich kann natürlich heute nicht sagen, dass ich in dem Moment fähig war, Argwohnen zu entwickeln
Ja
Wahrscheinlich erst später, aber
Ja, ich würde so ab vier Jahren sagen vielleicht
Weil meine Nichte, die ist zwar fünf, aber ich bin mir sicher, dass die schon länger einschätzen kann, wann sie weglaufen muss
Würde ich sagen
Aber ein Beispiel aus dem Jahr 2004 zeigt, dass sich RichterInnen da auch gar nicht so einig sind
Und da geht es um Hannes und Lisa Marie, die von ihrem Vater Frank im Schlaf erstochen wurden
Hannes war bei der Tat 18 Monate und seine Schwester fünf Jahre alt
Und das Landgericht Mühlhausen hatte Frank daraufhin eben nicht wegen Mordes, sondern wegen Totschlags verurteilt
Doch die Nebenklage war dann in Revision gegangen, weil sie davon überzeugt war, dass der Vater zwei Morde begangen hat
Der Fall kam dann also zum BGH und der entschied, dass eine heimtückische Begehungsweise zumindest bei der Fünfjährigen nicht richtig geprüft worden war
Das Urteil wurde also aufgehoben mit der Begründung, dass die Tötung eines kleinen Kindes Mord sei, wenn das Kind im Hinblick auf seinen Entwicklungsstand die Gefahr hätte erkennen können
Und so wurde also der Fall nochmal geprüft und Lisa Marie explizit nochmal geprüft
Und dabei kam heraus, dass sie die Fähigkeit zum Argwohnen sehr wohl hatte und daher von ihrem Vater ermordet wurde
Frank wurde also daraufhin im Fall seiner Tochter wegen Mordes, im Fall seines Sohnes wegen Totschlags verurteilt
Eine Fünfjährige kann also arglos sein und in einem anderen Fall entschied der BGH dasselbe für ein dreijähriges Kind
Und hier ist wohl auch so die übliche Grenze
Aber es geht natürlich immer um das Kind und seine individuelle Entwicklung, die dann geprüft werden muss
Ja, also der BGH ist offenbar diese Forderung, dass man Kleinkinder sehr wohl heimtückisch ermorden können soll
So ein bisschen entgegengekommen mit dieser Niedrigsetzung des Alters
Und eigentlich ist drei auch nicht die absolute Grenze
Zumindest nicht, wenn eine schutzbereite dritte Person anwesend ist
Und der Täter oder die Täterin deren Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt
Also als Beispiel eine Frau aus Hessen erstickte ab 2004 ihre zwei neugeborenen Kinder mit einem Tuch
Bei beiden wurde plötzlich ja Kindstod angenommen
Und bei dem dritten Kind waren Ärzte und Ärztinnen dann sehr vorsichtig
Und ließen das Kind mit einem Herzschlagmonitor überwachen
Und auch der Vater hatte sich vorgenommen ganz besonders auf das Kind aufzupassen
Und das hat er halt aber über ein paar Nächte gemacht
Und war dann irgendwann in so einem Zustand der Erschöpfung
Und hat sich dann halt eben in den Nebenraum gelegt und ist dann eingeschlafen
Und diese Situation hat dann die Mutter ausgenutzt und tötete dann auch das dritte Kind
Und zunächst wurde sie dann wegen Totschlags verurteilt
Und der BGH hob das Urteil aber auf
Und später wurde sie wegen heimtückischen Mordes des dritten Kindes verurteilt
Weil sie eben diese Arg- und Wehrlosigkeit der schutzbereiten dritten Person ausgenutzt hat
Ja und nicht nur Kleinkinder und Säuglinge können laut Rechtsprechung unter Umständen
Keinen Argwohn entwickeln
In manchen Fällen gilt das auch für Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenzerkrankung
Und zwar dann, wenn sie beispielsweise nicht begreifen, was um sie herum passiert
Und deshalb auch nicht wissen können, vor wem sie dann Angst haben müssen oder misstrauen
Wer nachher schon der Meinung aber nie arglos sein kann, sind Bewusstlose und Menschen, die im Koma liegen
Was ja auf den ersten Blick ein bisschen merkwürdig ist, wenn man jetzt weiß, dass Schlafende eben schon arglos sein können
Wie du gerade gesagt hast
Und wie auch die fünfjährige Lisa Marie aus dem Beispielfall
Bei einem Bewusstlosen oder einer Person im Koma sei dies nicht so
Weil sich diese Person in der Regel unfreiwillig in den Zustand der Bewusstlosigkeit begeben habe
Also wenn Paulina sich jetzt irgendwo den Kopf anhaut und deshalb bewusstlos wird
Und darauf von irgendwem getötet wird, dann wurde sie laut herrschender Meinung nicht ermordet
Sofern keine weiteren Mordmerkmale vorliegen
Was ja absolut absurd ist, ne?
Also was ist heimtückischer als eine Person, die bewusstlos ist, zu töten?
Ich meine, man könnte ja jetzt theoretisch auch sagen, dass die Arg- und Wehrlosigkeit
Also wenn ich jetzt ausgenockt werde, dass ich die auch mit in diesen komatösen Zustand genommen habe
Weil in dem Moment war ich das ja
Also frage ich mich schon, warum wird denn gerade diesen Personen nicht zugesprochen heimtückisch getötet werden zu können
Ja, das klingt irgendwie falsch
Aber diese Unterscheidung zwischen Schlafenden und Bewusstlosen, die wird auch in der Literatur oft kritisiert
Und ja, führt dann natürlich auch vor Gericht in diesen Fällen immer wieder zu Problemen
Die heimtücke ist tatsächlich auch ein bisschen das Problemkind der Mordmerkmale, sagen wir jetzt mal
Abgesehen davon, dass gerade diese Auslegung der Arg- und Wehrlosigkeit zu teilweise echt widersprüchlicher Rechtsprechung führt
Kann man sich auch die Frage stellen, warum beispielsweise eine Täterin, die eine unbewaffnete Person offen feindselig, jetzt mit einer Schusswaffe beispielsweise, niederschießt im Vergleich zu einem Totschlag verurteilt wird
Obwohl sich das Opfer im Zweifel ja genauso wenig wehren kann
Wie bei einem unvorhersehbaren Angriff von hinten
In dem Fall mache ich mich dann aber nicht des heimtückischen Mordes schuldig
Das finde ich schon irgendwie wirr
Und so ist es jetzt beispielsweise auch bei TäterInnen, die die körperliche Unterlegenheit von sehr alten oder sehr kranken Menschen ausnutzen
Und wenn wir uns das jetzt so ansehen, dann würde ich schon meinen, dass diese Situationen ähnlich unrecht sind
Weil sich das Opfer ja doch nicht wirklich wehren kann
Aber unsere Rechtsprechung macht halt eben doch diese Unterscheidung bei der Arglosigkeit
Und das sieht auch die Strafrechtsprofessorin Ingeborg Puppe kritisch
Die uns das an einem Beispiel mal genauer erklärt hat
Der BGH hat in zwei Urteilen das Merkmal Heimtücke abgelehnt
In den Fällen wurden die Frauen regelrecht in eine Falle gelockt
Das ist auch Heimtücke
Aber sie hatten, eh sie umgebracht worden, noch Gelegenheit um ihr Leben zu betteln
Und dann sagt der BGH, wer noch um sein Leben betteln kann, der ist nicht wehrlos
Also liegt keine Heimtücke vor
Sie findet das Merkmal der Heimtücke aber auch deswegen problematisch
Weil sie es für überholt hält
Sie sagt, Zitat
Diese Idee ist sowas von antiquiert
Das passt in eine Zeit, in der der freie Mann eine Waffe trug
Und sich und seine Familie gegen Angriffe verteidigte
Und auch das Recht dazu hatte
Wir leben in einem Staat, in dem der Staat es übernommen hat
Seine Bürger vor Gewalt zu schützen
Und in einen solchen staatlichen Kontext passt es doch nicht
Dass man es als besonders schlimm beurteilt
Wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit ausnutzt
Und davon abgesehen, dass also eigentlich jeder Mensch ständig wehrlos sei
Ist für Professorin Puppe die Heimtücke die Waffe der Schwachen
Dazu sagt sie, Zitat
Wenn eine Ehefrau ihren tyrannischen Ehemann, der sie und die Kinder schlägt und bedroht
Eines Tages mit einem Kissen erstickt
Oder hinterrücks mit einer Bratpfanne erschlägt
Dann wird gesagt
Ah ja, sie hat heimtückisch gehandelt
Weil sie die Arg- und Wehrlosigkeit des Mannes ausgenutzt hat
Denn er hat in dem Moment, als sie zuschlug
Oder als sie ihn erstickte
Mit keinem Angriff von ihr gerechnet
Und das hat sie ausgenutzt
Und weil Frauen in der Regel körperlich unterlegen sind
Konfrontieren sie Männer bei einem Angriff laut der Zeit
Seltener frontal als Männer
Das bei ihren Taten gegen Frauen machen
Sie gleichen also ihre Nachteile in einem Kampf durch die Heimtücke aus
Und werden dementsprechend des Mordes schuldig gesprochen
Und das sei aber frauenfeindlich
So Professorin Puppe
Also ich sehe da das Ungleichgewicht
Aber für mich hört sich das so an
Als wolle man irgendwie Gleichheit im Unrecht schaffen
Und das finde ich echt problematisch
Vor allem, weil sich das Justizsystem ja bemüht
Regelungen zu finden
In solchen Fällen den Strafrahmen dann runterzuschrauben
Ja, und das machen sie ja zum Beispiel
Mit dieser sogenannten Rechtsfolgenlösung
Bei der durch den Paragraf 49 dann erlaubt ist
Die Strafe auch beim Mord zu mildern
Dann zum Beispiel
Wenn die Tat durch große Verzweiflung
Oder tiefes Mitleid motiviert war
Oder wenn der Täter oder die Täterin
Vorher schwer provoziert wurde
Und durch diesen Paragrafen kann das Gericht
Dann den Strafrahmen von lebenslang
Auf 3 bis 15 Jahre senken
Und weil die Heimtücke
Wie wir jetzt gehört haben so umstritten ist
Gibt es halt auch immer wieder Bemühungen
Den Paragrafen zu überarbeiten
Oder auch zu streichen
Oder dergleichen
Ja, unsere Interviewpartnerin
Professorin Puppe
Die ist definitiv für streichen
Weil sie sieht nämlich kein Unterschied zwischen einer Tötung mit Gift
Und einer Tötung mit einer Pistole
Also für sie wäre die beste Reform
Die klassisch römisch-rechtliche Unterscheidung zwischen Mord mit Vorbedacht
Und Totschlag im Affekt
So wie das auch viele andere Länder haben
Streitbare Einstellung finde ich
2014 hat der damalige Justizminister Heiko Maas
Eine Experten und Expertinnengruppe einberufen
Die unter anderem über die Reformierung der Mordmerkmale
Und eben insbesondere der Heimtücke diskutieren sollten
Und auch sie wiesen dann am Ende vor allem darauf hin
Dass unter anderem die Tötung kleiner Kinder höchst strafwürdig erscheint
Und dass das momentan aber in der Regel eben nicht unter den Strafbestand des heimtückischen Mordes fällt
Und das haben sie halt kritisiert
Aber noch ist da keine Reform in Sicht
Also ich bin auf keinen Fall für eine Streichung
Weil dann wäre zum Beispiel im Falle meines Bahnschubsers
Also jetzt mal angenommen, es wäre jetzt ein normales Strafverfahren gewesen
Dann wäre er wahrscheinlich wegen Totschlags verurteilt worden
Weil das Gericht in diesem Fall ja kein anderes Mordmerkmal als erfüllt angesehen hat
Und auch wenn bei vielen Fällen, wie jetzt zum Beispiel bei diesem Pausenbrotmörder
Andere Mordmerkmale zusätzlich erfüllt hätten sein können oder sogar waren
Und der Täter dann die lebenslange Haftstrafe bekommen hätte
Denke ich, dass da quasi eine zu große Lücke entstehen würde
Würde man die Heimtücke jetzt ersatzlos streichen
Und ich wäre da jetzt eher für so eine Art Modifizierung
Um jetzt für eine Art Gerechtigkeitsgleichgewicht bei den TäterInnen zu sorgen
Die für ihre Tat die körperliche Schwäche des Opfers ausnutzen
Und da bin ich in diesem Fall jetzt ausnahmsweise mal dafür die Heimtücke eher auszuweiten
Und damit dann eben auch eher strafverschärfende Maßnahmen einzuführen
Okay, du meinst, weil man ja auch jetzt sieht, dass die Rechtsprechung Wege findet für Personen
Bei denen zum Beispiel die Rechtsfolgenlösung dann angewandt wird
Weil die dann nicht so schwer bestraft werden
Oder was ist da mit diesen Personen?
Das würde dann trotzdem noch mit diesem Umweg sozusagen gemacht werden müssen
Bei einem Haustyrannenmord zum Beispiel
Das kannst du ja immer noch machen
Ja, also du bist dafür, dass man weiterhin diese Rechtsfolgenlösung dann einsetzen würde
Ja, ich bin aber dafür, dass man weniger eine Unterscheidung macht
Zwischen Menschen, die eine Person in eine ausweglose Situation bringen
Die dann halt noch betteln können um ihr Leben
Da sehe ich einfach die Möglichkeit nicht, dass sie sich aus dieser Lage ernsthaft noch irgendwie befreien können
Und das ist für mich natürlich ähnlich schlimm wie eine Tat, die von hinten verübt wird
Ja
Wenn ich mich aus einer Situation nicht befreien kann
Weil sich der Täter seiner Überlegenheit bedient
Oder die Täterin
Und ja, mir ist klar, dass das jede Person macht, die vorhat, jemanden zu töten
Aber dann bin ich dafür, das ähnlich schlimm zu ahnen
Das Gute ist ja, dass wir gesehen haben, dass die Rechtsprechung immer ihre Wege findet
Was man ja an den Beispielen jetzt gesehen hat
Es ist halt immer so schwierig, Verallgemeinerungen festzulegen
Weil die Fälle ja dann doch immer sehr individuell sind
Deswegen finde ich es sowieso schwierig, Mordmerkmale zu haben
Die festzulegen, dann wieder einzuschränken
Aber ich bin halt auch nicht so ein Fan der lebenslangen Haftstrafe
Und dieser starren Strafzumessung beim Mord
Und deshalb sehe ich Mordmerkmale sowieso kritisch
So, damit wären wir am Ende dieser ersten Folge des neuen Jahres
Und nun wissen final alle, dass wir den Podcast nicht beerdigt haben
Weil nachdem wir nach Nachrufen gefragt haben
Hatten ja einige Sorge, dass wir dieses Jahr gar nicht mehr senden
Die witzigsten Nachrufe haben wir übrigens in unserer Weihnachtszusatzfolge vorgelesen
Verweisen wir gerne nochmal drauf
Ich finde, das fühlt sich gut an
Weil jetzt wissen wir, was man über uns schreiben wird
Wenn es dann irgendwann mal soweit sein sollte
Und ich finde, das ist so ein bisschen wie, wenn man seine eigene Beerdigung schon plant
Hast du deine eigene Beerdigung schon geplant?
Nein, nicht meine
Das hört sich jetzt vielleicht für den einen oder die andere ein bisschen makaber an
Aber nach meiner ersten überraschenden Beerdigung, die ich planen musste
Habe ich danach dafür gesorgt, dass ich von allen Menschen, für die ich zuständig war
Dann wusste, wie ich die beerdigen werde
Ja, damit es halt in deren Sinne passiert
Genau
Also mit meinem Vater zum Beispiel
Habe ich mich dann auch zusammengesetzt und geplant
Weil der hat auf Beerdigung immer mir so rübergemault
Das will ich bei mir nicht haben
Und bei mir soll das anders laufen und so
Und dann habe ich gesagt so
Na, dann bitte
Diktiere nun, was sie wollen und was nicht auf ihrer Beerdigung
Meine Wunschbeerdigung
Ja
Meine Traumbeerdigung
Ja, mein Papa hat mir und seiner Freundin letztens vorgespielt, welches Lied an seiner Beerdigung mal zu hören sein soll
Ja
Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was es war
Ich kannte es auch nicht, aber es war furchtbar, weil es war so richtig traurig
und seine Freundin und ich beide so auf gar keinen Fall
Und mein Papa dann
Doch, ich will ja, dass die Leute auf meiner Beerdigung traurig sind
Das ist ja genau das Gegenteil von meinem Vater
Der hat nämlich gesagt, auf gar keinen Fall soll irgendwer heulen
Ja
Hier wird nur Rockmusik gespielt und es gibt eine fette Party
Das finde ich gut
Ja
Ja
Das finde ich ja witzig
Nee, die Menschen sollen ruhig traurig sein, wenn ich gegangen bin
Also an sich ist es mir halt egal, weil die Beerdigung ist ja eigentlich für die Hinterbliebenen und nicht für die Person, die gegangen ist
Aber wenn du jetzt meine Person wärst, die sich darum kümmern soll, dann würde ich dir halt auch eine Handlungsanleitung geben und auch Lieder tatsächlich
Aber mir ist vor allem wichtig, dass die Person, die die Trauerrede hält, die Namen richtig ausspricht und die richtigen Namen weiß
Denn aus eigener Erfahrung weiß ich, es macht alles kaputt bei einer sehr tragischen Beerdigung, wenn die Rednerin denn zum Beispiel statt André Öndra sagt
Und alle denken sich, wer ist Öndra?
Wer ist das?
Wer ist Öndra?
So, das möchte ich zum Beispiel nicht und ich möchte natürlich auch nicht, dass du dich dann fragst bei der Vorbereitung
Oh mein Gott, mochte sie jetzt eigentlich Rosen oder hat sie sie abgrundtief gehasst?
Das würde ich dir nehmen wollen und deswegen würde ich dir dann auch eine Anleitung geben
Ich habe ja gesagt, mein Papa will das alle heulen
Ein Mensch
Das ist so Charakter bezeichnet
Aber ich habe letztens ein Video gesehen
Wo das ganz anders war
Da wollte nämlich der Beerdigte, dass alle lachen
Und der war vorher schon lange krank und wusste, dass er stirbt und deswegen hat er seine Beerdigung vorbereitet
Und als es dann soweit war und die Grabrede eben gehalten wurde und alle um das Grab herumstanden
Hörte man plötzlich ein Klopfen auf Holz
Und eine Stimme, die aus dem Sarg kam und es war halt die Stimme des Toten
Oh mein Gott
Oh nein, das ist ja so witzig, aber es ist auch wirklich fies
Ja und er hat, also man hat ihn halt dann gehört, wie er so ruft
Und wo verdammt nochmal bin ich hier
Aber also ich finde es ja witzig für alle jungen Leute
Aber für die ganz jungen Leute, für die Kinder, die anwesend sind und für die Älteren, die haben noch den Herzinfarkt ihres Lebens gekriegt
Ja, es gibt ja zum Glück ein Video davon und man sieht im ersten Moment, aber es ist nur ganz kurz und dann lachen alle und es ist genau wie er sich das sozusagen gewünscht hat
Aber macht das nicht mit mir
Also wenn ich irgendwo bin und dann höre ich plötzlich was, ich denke doch, das ist jetzt echt und dann springe ich aufs Grab und will die Person da rausholen
Es gibt ja solche Geschichten, wo jemand
Darüber reden wir ein anderes Mal
Schließt lieber mal ab
Das war ein Podcast von Funk