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Ich glaube, Belgien will es mir extra schwer machen, ins Land zu kommen, weil Belgien, glaube
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ich, die Podcast-Folge gehört hat, in der ich erzählt habe, dass ich seine Tankstellen
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nicht mag, an denen man erst bezahlen muss und dann tankt.
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Und ja, mittlerweile wissen wir, dass es diese Absurditäten auch in Deutschland gibt.
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Was ist dir passiert?
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Ich saß vor zwei Tagen in einem Flugzeug ins verhasste Land und wir hatten schon 20 Minuten
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Und es sollte gleich losgehen, sagte der Stuart und plötzlich kommt es laut von den Reihen
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hinter mir und ein Tumult passiert.
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Und es steigt ein Mann über zwei andere Passagiere rüber, klammert sich an seine Tasche und sagt,
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er muss jetzt gehen.
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Warte mal, ihr seid gerade aber erst eingestiegen.
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Und dann sagt er.
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Nein, wir saßen schon eine Weile und die Türen waren schon zu und es sollte jetzt losgehen.
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Und dieser Mann hatte Panik im Gesicht und offenbar auch irgendwie eine Panikattacke, hätte man
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jetzt so im ersten Moment auch vermutet.
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Dann fängt der Flugbegleiter diesen Mann ab und setzt ihn in die erste Reihe und redet ihm gut
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Wäre alle so, okay, jetzt hat da jemand Flugangst oder so, das wird schon gleich okay sein.
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Ein kurzer Zwischenfall.
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Und der Mann schien dann auch beruhigt, saß weiterhin vorne, da in der ersten Reihe und alle gingen
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wieder an die Arbeit, damit wir starten können.
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Aber dieser Mann war unbeaufsichtigt und springt auf einmal wieder auf, nur mit diesem Laptop unter
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dem Arm, hin zur Flugzeugtür und schüttelt daran und schreit, er muss jetzt das Flugzeug verlassen,
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muss jetzt raus.
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Hat der denn gesagt, warum?
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Nee, also das wusste man zu dem Zeitpunkt gar nicht.
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Einfach nur, dass der Panik hat und jetzt dieses Flugzeug verlassen möchte.
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Oh Gott, das macht mir ein ganz ungutes Gefühl.
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Ich wäre direkt mit raus.
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So Herdeninstinkt würde bei mir einsetzen.
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Ohne Grund einfach auch mit raus.
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Ja, und dann haben halt zwei Flugbegleiter versucht, diesem Typen Herr zu werden und der
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eine spricht dann so in dieses Lautsprecher-Telefon, kann uns bitte irgendwer helfen?
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Doch, also es schien schon ein bisschen bedrohlich auch.
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Und dann kamen halt mehrere Leute, unter anderem ein sehr netter Schrank, der so voll die Ruhe
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ausgestrahlt hat und jeder wusste jetzt so, der regelt das jetzt.
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Und dann hatten die den auch erstmal beruhigt und dann ging das aber immer wieder los.
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und die ersten Reihen wurden dann schon angewiesen, nach hinten zu rutschen, weil die auch Sorge
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hatten, was dieser Mensch noch macht.
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Der ist ja so schon, also die mussten auch mit körperlicher Überlegenheit den davon abhalten,
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weiter an dieser Tür zu zerren.
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Aber warum hat man den nicht gehen lassen?
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Genau, also das Ding ist, das geht nicht so einfach, wenn die Türen erstmal zu sind.
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Und das war nämlich auch so, neben mir saß eine Belgierin, eine ältere Dame und die
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war dann auch so, ich möchte auf gar keinen Fall mit diesem Mann jetzt fliegen, die müssen
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den jetzt rauslassen.
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Und ich war mir gar nicht so sicher, ob die das einfach so können.
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Und dann hat der Flugbegleiter aber auch gesagt, dass die jetzt den auf jeden Fall nicht mitnehmen können und dass die jetzt die Tür öffnen werden, aber dass dieser Prozess halt eine Weile dauert.
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Du kannst auch nicht so einfach die Tür aufmachen und dann steht da keine Treppe mehr dran.
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Und zum Glück kannst du auch nicht einfach selber die Tür aufmachen.
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Ja, hoffe ich zumindest.
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Und diese Belgierin neben mir, die hat gleich diesen Zusammenhang mit einem Terrorakt gezogen, weil sich das bei ihr offenbar noch so im Kopf verfestigt hat.
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Und die dachte jetzt, dann hat der vielleicht eine Bombe versteckt.
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Und ich habe sie dann versucht zu beruhigen und habe ihr so gesagt, nein, der wirkt jetzt wirklich, als hätte der ganz doll Panik gehabt.
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Aber natürlich, am Ende weißt du das nie.
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Und es stellt sich auch heraus, meine Sitznachbarin und der Mann hatten offenbar Angst vor derselben Sache.
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Also dieser nette Schrank hat uns dann nachher erzählt, dass der dachte, da ist jetzt eine Bombe an Bord und deswegen muss der jetzt unbedingt das Flugzeug verlassen.
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Quatsch. Und warum hat er das gedacht?
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Das weiß ich nicht.
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Aber weil er das geäußert hat und auch seine Tasche bei den zweiten Malen gar nicht mitnehmen wollte, hat das Flugzeugpersonal natürlich gesagt, das ist jetzt auch eine schwierige Situation.
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Und dann hat der Schrank erstmal so seinen Sitz untersucht und die Sitze daneben.
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Und dann dachten wir, okay, es wird ja jetzt losgehen.
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Und dann hieß es aber, wir lassen das Flugzeug jetzt mit Spürhunden abchecken.
00:04:40
Und dazu mussten wir dann alle evakuiert werden.
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Und wieder zurück ins Terminal.
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Ja, zwei Stunden haben wir dann gewartet, bis die Wuffis drin waren und alles abgeschnuppert haben und natürlich keine Bombe gefunden haben.
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Also ganz ehrlich, ich glaube, ich wäre so angepisst zwar gewesen an deiner Stelle wegen dieser ganzen Verspätung, aber dass sie das, also das finde ich echt sehr verantwortungsbewusst, dass sie das gemacht haben.
00:05:10
Ich muss auch, ich bin bei sowas nie angepisst, ne.
00:05:13
Für mich ist sowas, manche Leute sind dann ja so richtig verärgert.
00:05:18
Und bei mir ist das so, das passiert einfach, ich kann das nicht ändern.
00:05:21
Und deswegen ist mir das dann auch nicht so nervig, weißt du?
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Aber natürlich ist das blöd, vor allem für die Leute, die da noch irgendwie so Anschlussflüge hatten.
00:05:30
Und da entstehen ja auch Kosten.
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Und dann habe ich halt auf Instagram Menschen gefragt, wer zahlt das denn?
00:05:36
Muss dazu sagen, dass ich ungefähr 150 verschiedene Antworten bekommen habe, aber die meisten haben gesagt, es kommt natürlich drauf an, aber es wäre schon nicht abwegig, dass der Verursacher wahrscheinlich schon den Bundespolizeieinsatz jetzt zahlen müsste.
00:05:50
Und eventuell auch die Auslagen der Airline und der PassagierInnen, das müsste dann aber durch ein Zivilgericht geklärt werden.
00:05:58
Also auch wenn der uns jetzt alle an diesem Tag in die Krise gestürzt hat, mir tut der jetzt schon sehr leid.
00:06:04
Ja, voll. Der wäre ja, denke ich mal, auch lieber einfach entspannt nach Belgien geflogen.
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Aber wie krass ist das bitte alles?
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Also ich hätte dann während des Fluges, glaube ich, trotzdem noch Angst gehabt, dass da gleich alles in die Luft geht.
00:06:19
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem True Crime Podcast von Funk, von ARD und ZDF.
00:06:25
Wir reden hier über wahre Verbrechen und ihre Hintergründe.
00:06:27
Mein Name ist Paulina Kraser.
00:06:29
Und ich bin Laura Wohlers. In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema, zu dem wir zwei wahre Fälle nacherzählen, darüber diskutieren und auch mit Experten und Expertinnen sprechen.
00:06:37
Wir reden hier auch mal ein bisschen lockerer miteinander.
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Uns fehlt jetzt aber hier nicht generell die Ernsthaftigkeit.
00:06:43
Das ist für uns einfach so eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal wieder durchatmen können.
00:06:47
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
00:06:49
Heute geht es bei uns um Rassismus.
00:06:51
Ein Thema, das von euch schon oft nachgefragt wurde und bei uns auch schon lange auf der Liste stand, was wir aber irgendwie so ein bisschen immer vor uns hergeschoben haben.
00:07:01
Einmal, weil das Thema halt unglaublich umfangreich ist und man da so ein bisschen die Sorge hat, dem Ganzen nicht gerecht zu werden.
00:07:10
Und einmal, weil wir als zwei weiße Frauen auch Sorge haben, uns mit so einer Folge und der Thematik irgendwie zu übernehmen.
00:07:18
Und um das jetzt aber zu umgehen, haben wir uns Unterstützung von einem Experten geholt, der nach den beiden Fällen dazukommt und die ganze Thematik für uns einordnen kann.
00:07:28
So, und die Trigger-Warnung, die habt ihr ja jetzt auch gleich schon vorweg, weil es hier heute um Fälle geht, bei denen Menschen aufgrund bestimmter Merkmale, wie jetzt zum Beispiel eine Hautfarbe, Herkunftsland oder Religion, nicht nur abgewertet, sondern auch getötet werden.
00:07:43
Im Jahr 2020 hat das Innenministerium 9420 rassistische Straftaten erfasst.
00:07:49
Und das ist sicherlich nur ein Bruchteil der tatsächlichen, wenn es darum geht, wer generell bereits Rassismuserfahrung gemacht hat, dann kann ich von dem, was ich aus meinem Umfeld weiß, sagen, jede Person, die nicht ursprünglich aus Deutschland kommt oder deren Eltern und die dann damit einen erkennbaren Migrationshintergrund hat.
00:08:09
Und das hat seinen Ursprung darin, dass einige Menschen noch immer annehmen, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft unterschiedlich sind oder es auch unterschiedliche menschliche Rassen gibt, die einen unterschiedlichen Wert haben.
00:08:20
Und um das ganz klar zu machen, das ist eine alte, mittlerweile längst wissenschaftlich widerlegte Theorie.
00:08:26
Also wir wissen heute, dass Menschen alle denselben Ursprung haben und es daher gar keine Menschenrassen gibt.
00:08:33
Und Weiße sind deswegen auch nicht überlegen oder vollkommen, wie sie selbst das lange Jahre angenommen haben.
00:08:40
Und trotzdem hat sich diese falsche Rassentheorie leider in manchen Teilen der Gesellschaft bis heute gehalten.
00:08:46
Und dass das tödlich enden kann, das zeigt der Fall, den ich euch jetzt erzähle.
00:08:51
Die Geschichte erzählt von einem Hass gegen das Anderssein und einer Gesellschaft, in der das stillschweigend hingenommen wird.
00:08:59
Voller Vorfreude und Zuversicht betritt er das Land, das er bisher nur aus Radio und Fernsehen kennt.
00:09:06
Ein Land, das viel fortschrittlicher als sein eigenes sein soll und in dem die Lebensqualität offenbar ein Vielfaches beträgt.
00:09:14
Eins, das ihm möglicherweise seinen Traum vom Studium der Flugzeugtechnik erfüllt, in dem er Karriere machen kann und eine Familie gründen.
00:09:21
Man hat ihn zumindest versichert, in der DDR eine Ausbildung machen zu können und danach dort arbeiten zu dürfen.
00:09:27
Und deshalb steht Amadeu Antonio Chiova heute hier auf deutschem Boden, am 3. August 1987.
00:09:35
Zusammen mit mehr als 100 anderen Männern aus seiner Heimat Angola, die alle die Hoffnung auf ein besseres Leben haben.
00:09:42
Zurück lässt der 25-Jährige dafür seine geliebte Mutter Helena und die Elfgeschwister.
00:09:47
Im Armenviertel Rocha Pinto, in der angolanischen Hauptstadt Luanda, in dem vor allem Menschen wohnen, die wie seine Familie im Bürgerkrieg hierher geflüchtet waren.
00:09:57
Als Erstgeborener ist Amadeu traditionsgemäß dafür da, die Familie zu unterstützen und das kann er am besten von ganz weit weg.
00:10:05
Denn die Möglichkeiten in Angola, Ausbildung und Karriere zu machen, sind rar.
00:10:10
Umso glücklicher waren alle, als er die Chance bekam, in die DDR zu gehen.
00:10:14
Für die Familie, aber auch für sich selbst.
00:10:17
Doch im gelobten Land angekommen, ist nichts so, wie Amadeu es sich vorgestellt hat.
00:10:23
Die Regierung hat ganz bestimmte Pläne für die sogenannten Vertragsarbeiter aus Afrika.
00:10:29
Und so kommen die Männer allesamt nach Eberswalde, einer brandenburgischen Kleinstadt, rund 50 Kilometer nordöstlich von Berlin.
00:10:36
Dort sollen sie im Schlacht- und Verarbeitungskombinat Eberswalde zu Schlachtern ausgebildet werden.
00:10:42
Vertragsarbeiter sind Ende der 80er bereits Tradition in der Deutschen Demokratischen Republik.
00:10:54
Zehntausende aus Asien und Afrika wurden bereits hergeschafft, um die unterbesetzten Arbeitsbereiche zu füllen.
00:11:00
Ihre Verträge, zeitlich befristet.
00:11:03
Die Absicht, sie zu integrieren, Fehlanzeige.
00:11:06
Familiennachzug ist nicht vorgesehen und lange Zeit werden sie ausgewiesen,
00:11:11
sollten sie eine Frau aus der DDR schwängern.
00:11:13
Die Message ist klar.
00:11:15
Ihr dürft hier schon arbeiten und unsere Wirtschaft ankurbeln,
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sollt hier aber nicht heimisch werden.
00:11:20
Damit das Ganze so funktioniert, werden die Vertragsarbeiter in Wohnheimen mit Mehrbettzimmern untergebracht,
00:11:26
die abgeschirmt sind von der restlichen Bevölkerung
00:11:29
und zu denen deutsche MitbürgerInnen erschwerten Zugang haben.
00:11:32
Für Amadeu ist das alles ein großer Schock.
00:11:35
Das hatte man ihm und seinen Freunden so nicht versprochen.
00:11:39
Sein Traum zu studieren ist in weite Ferne gerückt und das Land, das er sich in so bunten Farben ausgemalt hatte,
00:11:45
entpuppt sich als graue, kalte und unfreundliche Umgebung.
00:11:49
Doch der 25-Jährige ist nicht der Typ zum Aufgeben.
00:11:52
Außerdem will er Geld für seine Familie verdienen und so kämpft er sich durch und lebt sich ein in dem fremden Land.
00:12:00
Dabei lernt er Gabi kennen, die sich im Wohnheim engagiert.
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Sie ist Anfang 30 und gelernte Tierpflegerin und die Frau, in die sich Amadeu Hals über Kopf verliebt.
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Gleich von Anfang an erklärt er ihr, dass er es ernst meint und sich eine Zukunft mit ihr vorstellen kann.
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Die ist ebenfalls hin und weg.
00:12:18
Verknallt sich in Amadeus liebevolle, verlässliche, ruhige, aber aufgeschlossene Art.
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Mit ihrer Hilfe wird die DDR dann doch schneller als gedacht zu Amadeus' neuem Zuhause.
00:12:28
Doch nur drei Jahre nach seiner Ankunft zerbricht die neue Heimat.
00:12:33
Die Mauer fällt und bald danach gibt es keine DDR mehr.
00:12:37
Während die Wende für viele Grund zur Freude ist, bedeutet sie für Amadeu vor allem Ungewissheit.
00:12:42
Viele seiner Freunde verlieren ihren Arbeitsplatz und dadurch ihren Aufenthaltsstatus.
00:12:46
Der Fall der DDR bedeutet außerdem für sie, raus aus den Wohnheimen, die geräumt werden, und rein in die Stadt.
00:12:53
Zu den Deutschen, zu denen die Vertragsarbeiter vorher, wenn überhaupt, nur bei der Arbeit Kontakt hatten.
00:12:59
Und mit diesem Umbruch spürt Amadeu erstmals klare Ablehnung von Menschen, die ihm seine neue Heimat nicht gönnen
00:13:06
und die ihn wegen seiner anderen Hautfarbe und Herkunft hier in Eberswalde nicht wollen.
00:13:10
In der Stadt, deren Mauern immer mehr Hakenkreuze zieren und in der man neuerdings Ausländer rausruft,
00:13:17
wenn Amadeu und seine Freunde über die Straße gehen.
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Für Amadeu und Gabi bedeutet das, dass sie nicht mehr zusammen rausgehen.
00:13:23
Amadeu hat Sorge, dass seiner Freundin etwas passieren könnte, wenn sie mit ihm gesehen wird.
00:13:28
Ihr Zusammenleben spät sich deshalb nach der Wende überwiegend zu Hause ab, in Gabis Wohnung.
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Hier feiern sie im Frühjahr 1990 dann auch allein Gabis Schwangerschaft.
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Als Gabi im achten Monat schwanger ist, findet an einem Samstagabend im November eine Abschiedsparty von Freunden statt,
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die zurück nach Mosambik müssen.
00:13:48
Amadeu geht ohne seine Freundin und verspricht nicht allzu lang wegzubleiben.
00:13:54
Die Feier findet im Hüttengasthof statt, der einzigen Kneipe, in der AusländerInnen in Eberswalde noch willkommen sind.
00:14:00
Und während dort ausgelassen gefeiert wird, trifft sich nur ein paar Kilometer entfernt eine andere Gruppe zum Feiern.
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Im Rockbahnhof, einem Heavy-Metal-Schuppen, der in letzter Zeit Treffpunkt der rechten Szene ist.
00:14:13
Wo man sich mit Heil Hitler begrüßt und mit vorangeschrittener Stunde Deutschland den Deutschen singt.
00:14:18
Gegen Mitternacht dann verlässt die aufgeheizte Gruppe von mittlerweile um die 50 Personen den Rockbahnhof.
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Denn sie haben noch etwas vor.
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Ein erklärtes Ziel.
00:14:29
Sie wollen zum Hüttengasthof, Zitat, N-Wort, aufklatschen.
00:14:34
Und so zieht der aggressive Mob bewaffnet mit Messern, Schreckschusspistolen, Stöcken, Latten und Baseballschlägern durch die Straßen Eberswalde, ruft Ausländer raus und N-Wort verpisst euch.
00:14:47
Dabei wird randaliert, Scheiben werden eingeschlagen und ein Dönerimbiss demoliert.
00:14:52
Alles unter den Augen von Polizisten, die den Zug aus sicherem Abstand beobachten.
00:14:57
Sie greifen nicht ein, rufen aber Verstärkung.
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Außerdem melden sie sich beim Wirt des Hüttengasthofs.
00:15:04
Er soll jetzt eine Kneipe schließen.
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Der Wirt reagiert sofort, erklärt seinem Publikum, dass Gefahr in Verzug ist und alle umgehend nach Hause gehen sollen.
00:15:12
Panisch verlassen alle die Gaststätte, darunter auch Amadeo.
00:15:16
Auf der Straße angekommen, kann er weit und breit keine Polizei entdecken.
00:15:21
Deswegen rennt er mit zwei Freunden los.
00:15:23
Genau in die falsche Richtung.
00:15:25
Den Mob in die Arme.
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Da sind die, N-Wort, ruft plötzlich jemand aus dem Dunkeln und eine Menschenmenge rennt auf Amadeo und seine Freunde zu.
00:15:35
Die Gruppe kreist sie ein, schubst die drei hin und her, bis Schläge und Tritte von allen Seiten auf sie einprasseln.
00:15:41
Amadeos Freunde können gerade noch schwer verletzt fliehen, während er zu Boden geht.
00:15:46
Das alles unter Beobachtung dreier Zivilpolizisten, die sich gegenüber der Szene in einem kleinen Pförtnerhäuschen aufhalten.
00:15:54
Als sie sehen, wie man sich auf Amadeo stürzt, laufen zwei von ihnen auf die Gruppe zu, bis der dritte sie zurückpfeift.
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Auch die 20 anderen PolizistInnen in voller Montur, die mittlerweile angerückt sind, greifen nicht ein.
00:16:08
Und so wird weiter auf den Angolaner eingeschlagen und eingetreten, bis der sich nicht mehr rührt.
00:16:13
Der schnarcht ja noch, ruft dann einer und tritt ein letztes Mal zu.
00:16:19
Erst als die Gruppe sich abwendet, kommen die drei Polizisten dazu und legen den Sterbenden in die stabile Seitenlage.
00:16:25
Ich kann das nicht glauben.
00:16:27
Dass die da nicht geholfen haben.
00:16:30
Vor allem, wenn diese Bedrohungslage schon da war und wenn man schon da anruft und vorwarnt, weißt du, da kann wirklich niemand mehr sagen.
00:16:39
Das haben wir nicht geahnt.
00:16:44
Als Amadeo nicht wie versprochen nach Hause kommt, macht sich Gabi Sorgen.
00:16:50
Im Hüttengasthof meldet sich niemand und so schwingt sie sich aufs Fahrrad und fährt zu Freunden von Amadeo, mit denen er eigentlich unterwegs war.
00:16:57
Die erzählen ihr, dass ihr Freund zusammengeschlagen wurde und im Krankenhaus im Koma liegt.
00:17:02
Gabi kriegt Panik.
00:17:04
In der Klinik angekommen, darf sie Amadeo nicht sehen.
00:17:07
Später weiß sie, dass es besser für sie und das ungeborene Kind war.
00:17:11
Denn Amadeo ist fast nicht mehr wiederzuerkennen.
00:17:14
So starke Verletzungen hat er am Kopf erlitten.
00:17:16
Die sind so stark, dass er nicht mehr aufwachen wird und elf Tage später verstirbt.
00:17:22
Als Gabi davon erfährt, bricht sie zusammen.
00:17:26
Der Vater ihres Babys wurde getötet.
00:17:29
In Eberswalde ist die Nachricht vom Tod des Angolaners aber nur eine kleine Pressemeldung wert.
00:17:34
Statt des großen Aufschreis in der Bevölkerung wird das, was passiert ist, kleingeredet.
00:17:39
Und der offen zur Schau getragene und gewaltbereite Rassismus geht weiter.
00:17:42
So brennen nur drei Tage später zwei Wohnungen, in denen Familien aus Mosambik mit kleinen Kindern wohnen.
00:17:48
Erst als die überregionale Presse Wind davon bekommt, dass in Eberswalde ein Mann aufgrund seiner Hautfarbe getötet wurde,
00:17:54
bekommt der Fall die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt und die Polizei den Druck, der sie zum Ermitteln drängt.
00:18:00
Denn bisher ist nicht viel passiert.
00:18:02
Weder wurden ordentlich Beweise gesichert, noch TatzeugInnen vernommen.
00:18:06
Am 9. Januar 1991 und damit sieben Wochen nach der Tat, wird Amadeus und Gabis Sohn geboren.
00:18:13
Gabi benennt ihn nach seinem Vater, dessen Leichnam nur zwei Stunden nach der Geburt im Flieger nach Angola liegt.
00:18:20
Dort kommt er bei Mutter Helena und Amadeus' Geschwistern ohne Ankündigung an.
00:18:25
Auch ohne Erklärung dazu, was passiert ist und ohne Beileidsbekundung.
00:18:29
Für die Beerdigung muss die mittellose Familie alleine aufkommen.
00:18:33
Und so steht kein Grabstein und kein Kreuz auf dem Friedhof.
00:18:37
Ein kleiner Steinhaufen markiert die Stelle, an der Amadeus begraben wurde.
00:18:42
Als Gabi in Deutschland schließlich aus dem Krankenhaus entlassen wird,
00:18:46
findet sie den neu gekauften Kinderwagen mit Hakenkreuzen beschmiert.
00:18:49
Ein paar Wochen später wird er in Flammen stehen und Gabi Morddrohungen bekommen.
00:18:56
Als sie es in Eberswalde nicht mehr aushält, zieht sie Hals über Kopf nach Berlin.
00:18:59
Erst eineinhalb Jahre später kommt sie zurück.
00:19:02
Zum Prozess, der viel zu lange auf sich warten ließ.
00:19:05
Gabi nimmt sich fest vor, jeden Tag im Gerichtssaal zu sitzen und mit dafür zu sorgen,
00:19:10
dass die, Zitat, Deutschen nicht denken, sie könnten mit anderen Menschen machen, was sie wollen.
00:19:15
Bei dem Prozess sind sechs Männer wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagt.
00:19:21
Die 21 anderen Strafanzeigen hatten die Behörden einstellen müssen.
00:19:25
Die vielen einzelnen Tritte und Schläge seien Einzelpersonen nicht zuzuordnen gewesen.
00:19:30
Es wird also nur ein Teil der Gruppe, die für den Tod Amadeus verantwortlich ist, vor Gericht gestellt.
00:19:36
Und von den sechs sind am ersten Verhandlungstag auch nur fünf vor Ort.
00:19:40
Der mutmaßliche Haupttäter ist auf der Flucht.
00:19:42
Möglich ist das, weil die Angeklagten nicht in Untersuchungshaft sind, sondern frei herumlaufen.
00:19:48
Dementsprechend locker schlendern sie mit ihren Freundinnen an der Hand an diesem Tag ins Gerichtsgebäude.
00:19:53
In die Fernsehkameras erklären sie mit dem Tod von Amadeus nichts zu tun zu haben.
00:19:58
Und wenn man ProzessbesucherInnen fragt, dann seien die sechs jungen Männer eigentlich anständige Burschen.
00:20:04
Anständige Burschen, die jetzt vor Gericht stehen, weil sie einen Mann wegen seiner Hautfarbe zu Tode geprügelt haben
00:20:10
und die aus ihrer rechten Gesinnung auch hier im Saal keinen Hehl machen.
00:20:13
Besonders bekommt das Gabi zu spüren, die ihnen mit ihrem Anwalt gegenüber sitzt.
00:20:19
Ein Mann, der das alles genau beobachtet, ist von der Genfer Internationalen Juristenkommission geschickt worden,
00:20:34
da man befürchtet, dass die Schuld dem Opfer zugeschoben werden könnte und die Täter straffrei ausgehen.
00:20:39
Nach letzterem sieht es aus.
00:20:41
Die Angeklagten geben alle an, sie seien zwar vor Ort gewesen, um Zitat N-Wort aufzuklatschen,
00:20:47
die tödlichen Schläge und Tritte hätte aber niemand von ihnen verursacht.
00:20:51
Gesehen hätten sie schon, wie andere mit Anlauf, volle Pulle, auf das Opfer gesprungen sind,
00:20:56
doch wer das war, keine Ahnung.
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Die gleiche Antwort haben auch die rund 50 TatzeugInnen, die während der nächsten Verhandlungstage geladen werden.
00:21:04
Kollektives Schweigen und chronisches Vergessen füllt den Gerichtssaal.
00:21:10
Vor der chemischen Fabrik fand ich ein N-Wort.
00:21:14
Er lag auf der Straße und hat geröchelt.
00:21:16
Als ich sah, dass sein Gesicht eingeschlagen war, bin ich weitergegangen.
00:21:19
Es war mir egal, es war ja nur ein N-Wort, erklärt eine 18-jährige Augenzeuge.
00:21:26
Und die, die auf der anderen Seite standen, die die hier jetzt Täter erkennen und belasten könnten,
00:21:31
von denen sind viele schon vor Prozessbeginn nach Mosambik abgeschoben worden.
00:21:35
Und die wenigen, die noch da sind, trauen sich verständlicherweise aus Angst vor Rache nicht den Mund aufzumachen.
00:21:41
Und wenn doch, dann wird ihnen nicht zugehört.
00:21:44
So wie dem Zeugen Francisco dos Santos, der in der Tatnacht mit einem Messer im Gesicht verletzt wurde.
00:21:51
Ihn fragt der Richter, sprechen Sie deutsch?
00:21:53
Ja, ein bisschen, antwortet Francisco.
00:21:55
Das klingt doch schon ganz gut, hm?
00:21:57
Sind Sie mit jemandem im Saal verwandt oder verschwägert?
00:22:00
Francisco versteht nicht, was damit gemeint ist.
00:22:03
Schaut dann auf die Angeklagten und sagt ja.
00:22:06
Daraufhin beantragt Gabis Anwalt einen Dolmetscher.
00:22:10
Der Antrag wird abgelehnt.
00:22:11
Vom Richter zu ihrer politischen Einstellung befragt, sind alle Angeklagten aufgeschlossen.
00:22:19
Sie zählen sich wohl, salopp gesagt, auch zu den Glatzen.
00:22:22
Grinsend und Kaugummi-Count antwortet einer der fünf, nee, eigentlich nicht.
00:22:27
Sind Sie Hitler-freundlich?
00:22:29
Nee, würde ich nicht sagen, antwortet der 20-Jährige, auf dessen rechten Fingern das Wort Hass in SS-Ruhnen tätowiert ist.
00:22:36
Ey, ich kann nicht mehr, was für eine Shitshow.
00:22:39
Was für eine Shitshow ist das?
00:22:41
Nationalsozialistisch?
00:22:43
Nee, so kaiserreich rum.
00:22:46
Ich bin ein rechtsextremer Jugendlicher.
00:22:48
Extrem ist mir zu ungenau.
00:22:50
Sind Sie gewaltbereit?
00:22:51
Nee, mehr so, na, äh, mit Plakate kleben.
00:22:57
Gabis Anwalt hat zwar nur eingeschränktes Fragerecht.
00:23:01
Ihm ist es aber wichtig zu zeigen, wie präsent das rassistische Motiv der Tat war.
00:23:06
Deshalb will er die Angeklagten auch nochmal zu ihren politischen Einstellungen befragen, doch der Richter wirkt ihn ab.
00:23:11
Er würde die Angeklagten damit überfordern.
00:23:14
Den Richter interessiert mehr die Vergangenheit der Täter und ihre Familienverhältnisse.
00:23:19
Das rassistische Motiv versucht er weitestgehend auszublenden.
00:23:22
Besonders verstörend ist dabei, dass der Vorsitzende den Meinungen der Männer nichts entgegensetzt und ihre Aussagen einfach so stehen lässt.
00:23:31
Außerdem verwendet er selbst immer wieder das N-Wort.
00:23:34
Danach von der Presse darauf angesprochen, erklärt er, er würde das machen, weil er in der Sprache der Zeuginnen und der Angeklagten mit ihnen reden wollte.
00:23:42
Auch die drei Zivilpolizisten, die an dem Abend im Einsatz waren, werden als Zeugen gerufen.
00:23:48
Ich rief sofort meine beiden Kollegen zurück, da ich verhindern wollte, dass die mit der Gruppe in Konflikt geraten, erklärt einer.
00:23:54
Waren sie bewaffnet? fragt der Richter daraufhin.
00:23:58
Wären sie eingeschritten, wenn sie gewusst hätten, dass ein Mensch zu Tode kommt?
00:24:02
Der Polizist schweigt.
00:24:04
Der Richter empfiehlt ihm daraufhin, sein Recht wahrzunehmen, die Aussage zu verweigern, falls er sich damit selber belasten würde.
00:24:10
Der nimmt das dankbar an.
00:24:12
Eine Zeugin, die danach befragt wird, erzählt, sie habe gehört, wie einer der Polizisten gerufen habe,
00:24:18
ich tue für einen Afrikaner nichts, ich setze nicht mein Leben aufs Spiel.
00:24:21
Deutlich wird nach der Befragung der Beamten, dass Amadeus Tod wahrscheinlich hätte verhindert werden können,
00:24:27
wenn sie früher eingeschritten wären oder mehr Präsenz gezeigt hätten.
00:24:31
Weil sie aber deshalb nicht so nah dran waren, können auch sie zur Täterbeschreibung nicht viel beitragen.
00:24:36
Bis kurz vor Ende des Prozesses sieht es deshalb so aus, als könne man die Tat keinem der Angeklagten wirklich nachweisen.
00:24:42
Dafür steht die Mauer des Schweigens zu fest.
00:24:44
Doch dann wird am letzten Verhandlungstag der sechste Angeklagte in den Saal geführt.
00:24:50
Man hatte ihn in Stuttgart festgenommen und nun zum Kronzäugen gemacht, der die anderen schwer belastet.
00:24:55
Alle damals wussten, um was es geht und alle wollten es.
00:25:00
Da war nicht einer, der nicht zugeschlagen hat, erklärt er.
00:25:03
Der Richter glaubt ihm letztendlich und spricht am 14. September 1992 die Urteile,
00:25:08
an deren Ende Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren stehen.
00:25:12
Also das kann er ja nicht fassen.
00:25:14
Das kann ich nicht fassen.
00:25:15
Und wir wissen ja auch alle, was die Höchststrafe bei Körperverletzungen mit Todesfolge ist.
00:25:20
Und zwar 15 Jahre.
00:25:21
Und das hier ist ganz weit davon entfernt.
00:25:26
In seiner Urteilsbegründung erklärt der Richter, dass die ausländerfeindliche Motivation strafverschärfend gewirkt habe.
00:25:33
Strafmildernd seien aber die gesellschaftspolitischen Umstände in Eberswalde nach der Wende.
00:25:37
Also die Arbeitslosigkeit und die Ungewissheit.
00:25:41
Außerdem die Tatsache, dass der Tod nicht geplant gewesen sei, sondern eher Ergebnis einer jugendtypischen Verfehlung und eines Rituals mit Gruppendynamik.
00:25:51
Dass die Mehrheit der Angeklagten einen Arbeitsplatz und eine Wohnung hat, wird ausgeblendet.
00:25:55
Auch der familiäre Hintergrund oder die schulische Laufbahn lieferten keine Hinweise auf überdurchschnittliche soziale Probleme.
00:26:02
Es ist ein Verharmlosen der Tat.
00:26:04
Ein Entpolitisieren.
00:26:06
Und damit steht es stellvertretend für die Meinung vieler damals.
00:26:10
Nach dem Prozess übernehmen viele Medien das Urteil in ihrer Berichterstattung nicht.
00:26:24
Sie sprechen stattdessen von Mord.
00:26:26
Mord aus Hass auf andere.
00:26:28
Der Fall und der Umgang mit ihm macht deutlich, dass es sich bei den Gewaltexzessen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR um mehr als harmlose Jugendkrawalle handelt.
00:26:37
Auch in der Politik werden die Urteile kritisiert.
00:26:40
Die Brandenburger Ausländerbeauftragte befürchtet, so eine Urteilsbegründung könnte geradezu als Ermutigung für ausländerfeindliche Übergriffe gedeutet werden.
00:26:47
Abschreckung sehe anders aus.
00:26:50
Auch dass 1994 die Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen gegen die Beamten, die in der Tat nach nur zugeschaut hatten, zurückgewiesen wird, zeigt, dass mit der Tat lieber abgeschlossen wird.
00:27:03
Für Gabi und den kleinen Amadeo ist das aber nicht möglich.
00:27:07
Sie können nicht abschließen.
00:27:09
Auch zehn Jahre nach der Tat nicht.
00:27:11
Nicht, wenn der Zehnjährige an der Gedenktafel für seinen verstorbenen Vater vorbeigeht, die wieder einmal mit einem Hakenkreuz beschmiert wurde.
00:27:18
Und auch nicht, wenn er auf der Straße als Zitat N-Wort-Bastard bezeichnet wird.
00:27:23
Amadeo hat es sehr schwer.
00:27:26
Er braucht psychologische Betreuung und muss die dritte Klasse wiederholen.
00:27:29
Zusätzlich hat die Familie Probleme mit den Behörden.
00:27:32
Denn die zweifeln an, dass Amadeo der leibliche Sohn seines Vaters ist.
00:27:39
Ende 1994 hatte ein Gutachter festgestellt, dass die Vaterschaft nicht eindeutig nachgewiesen werden könne, da das dem Toten entnommene Organmaterial durch die lange Zeit der Aufbewahrung bereits degeneriert war.
00:27:51
Kurze Zeit später wurde dem Kind deshalb die Opferentschädigungsrente von ungefähr 170 Mark im Monat gestrichen.
00:27:58
Das ist nicht dein Ernst. Das kann ja wohl nun wirklich nicht wahr sein.
00:28:02
Das ist doch nicht deren Schuld, dass die das nicht nachweisen können.
00:28:05
Ja, es ist wirklich, es ist unglaublich.
00:28:08
Mittlerweile wird sie unter Vorbehalt wieder ausbezahlt, aber eben nur bis bewiesen ist, dass Amadeo wirklich mit dem Verstorbenen verwandt ist.
00:28:17
Bewiesen werden kann das aber nur mithilfe von Amadeos Familie in Afrika.
00:28:21
Doch das Geld, um Oma Helena für einen Gentest nach Deutschland zu holen, fehlt Gabi und natürlich auch der Familie in Angola.
00:28:28
In welchem Jahr sind wir jetzt?
00:28:30
Da sind wir jetzt im Jahr 2000.
00:28:33
Dabei will Oma Helena unbedingt nach Deutschland kommen, um ihrem Enkel zu helfen.
00:28:37
Als das TV-Magazin Panorama im Jahr 2000 über genau dieses Problem einen Bericht sendet, kommen schließlich so viele Spenden zusammen, dass Helena nach Deutschland kommen kann.
00:28:49
2001 fliegt sie also zum ersten Mal in das Land, in dem ihr Erstgeborener gestorben ist und trifft endlich auf ihren Enkel, den sie fest in ihre Arme schließt.
00:28:58
Zusammen besuchen sie den Ort, an dem fremde Männer ihren Sohn zu Tode prügelten und Helena legt Wein und Blumen ab.
00:29:05
Danach hat sie noch einen Termin beim Bürgermeister, alles organisiert durch JournalistInnen von Panorama.
00:29:11
Doch der Amtsträger lässt sich kurz vor dem Termin ohne Erklärung entschuldigen.
00:29:17
Enttäuscht ist Helena nicht wirklich, hat sie doch nichts anderes erwartet.
00:29:21
Bis heute hatte sich niemand von der Stadt Eberswalde je bei ihr und ihrer Familie gemeldet.
00:29:25
Jetzt sitzt Oma Helena eben beim Kaffeekränzchen mit der Pressesprecherin, die auch nicht wirklich erklären kann, warum das so war oder warum noch niemand auf die Idee kam, die Familie hierher einzuladen.
00:29:39
Kanzleriniert macht sich die alte Dame danach auf zur Rechtsmedizin, Blut abnehmen.
00:29:43
Die Rente für den kleinen Amadeo soll schließlich gesichert werden.
00:29:46
Ihr eigener Anspruch auf Entschädigungen ist längst verjährt.
00:29:50
Dass so etwas je bestanden hatte, war ihr aber auch nicht mitgeteilt worden.
00:29:55
Doch dank Helena und der Hilfe der SpenderInnen kann nach elf Jahren endlich festgestellt werden, was der Familie sowieso schon klar war.
00:30:01
Amadeo ist der Sohn des Getöteten.
00:30:05
Bis heute lebt er in Eberswalde.
00:30:07
Es ist sein Zuhause.
00:30:09
Heute kann er sich hier eigentlich frei bewegen, ohne Angst vor einem Angriff oder Beleidigungen zu haben.
00:30:14
Es hat sich einiges verändert.
00:30:16
Inzwischen setzen sich mehrere Bürgerinitiativen in der Stadt gegen Rassismus ein.
00:30:20
Auch mithilfe der Amadeo Antonio Stiftung, die 1998 ins Leben gerufen wurde und seitdem tolle Arbeit in Sachen Rassismusbekämpfung und Aufklärung macht.
00:30:29
Seit 2014 ist auch das Bürgerbildungszentrum in Eberswalde nach seinem Vater benannt,
00:30:34
das nach Angaben der Stadt ein Ort der gelebten Vielfalt, Toleranz und Diskriminierungssensibilität ist.
00:30:40
Nur in die Dörfer geht Amadeo nicht.
00:30:43
Da seien die Dorfnazis, sagt er.
00:30:45
Die sind es auch, die manchmal noch heute die Gedenktafel seines Vaters beschmieren
00:30:50
oder sich dagegen einsetzen, dass die Straße, in der er starb, in Amadeo Antonio Straße umbenannt werden soll.
00:30:55
Aber es sind deutlich weniger als noch vor 30 Jahren
00:30:59
und gefühlt wird Rassismus von den EberswalderInnen heute nicht mehr einfach so hingenommen.
00:31:04
Zumindest von dem, was ich gelesen habe.
00:31:09
Also das Schlimme finde ich, dass diese ganze Tragödie einen riesigen Anlauf genommen hat
00:31:15
und es auch nach der Tat ja nicht aufhörte.
00:31:18
Also wie oft die Gabi immer wieder durch die Hölle gegangen ist
00:31:25
und immer wieder mit dem Rassismus konfrontiert wurde.
00:31:28
Weißt du, das ist ja auch für eine Mutter.
00:31:30
Guck mal, der Vater deines Sohnes wird getötet wegen Rassismus.
00:31:37
Und jetzt ist da diese Mutter, deren Sohn dasselbe entgegengebracht bekommt
00:31:41
und du hast ja ständig Angst, dass du den davon nicht schützen kannst.
00:31:46
Und sie erlebt es ja auch, sie kann es ja nicht.
00:31:48
Ja, und was man sich ja auch fragt, diese Stadt, also wer ist da verantwortlich
00:31:56
und wieso passiert da nichts?
00:31:57
Wieso kann man da nicht hinschreiben und sich entschuldigen,
00:32:03
die Leute oder der Familie dann wenigstens helfen,
00:32:06
dass man diesen blöden Gentest machen kann?
00:32:08
Also ich hatte jetzt wirklich das Gefühl beim Recherchieren,
00:32:11
dass die Stadt am liebsten damit nicht mehr zu tun hat.
00:32:16
Ja, dass man diesen Fall mal langsam vergisst.
00:32:18
Naja, klar, das ist ja schlecht für deine Stadt.
00:32:21
Das ist schlecht für die Außenwirkung.
00:32:22
Das möchte ja niemand haben.
00:32:23
Ja, und dann werden halt tausend Unterschriften gesammelt,
00:32:27
dass man diese Straße umbenennt.
00:32:29
Und zwei Wochen später werden tausend zweihundert Stimmen gesammelt,
00:32:32
dass man sie eben nicht umbenennt.
00:32:33
Es ist auch so, warum?
00:32:36
Was kümmert dich das denn?
00:32:39
Wie klein ist deine Welt, dass sich das aufregt?
00:32:41
Der Fall von Amadeu war damals ja leider kein Einzelfall.
00:32:46
Anfang der 90er Jahre gab es vor allem in Ostdeutschland
00:32:48
eine ganze Reihe von rassistisch motivierten Straftaten.
00:32:52
Und solche Ausbrüche gibt es immer mal wieder.
00:32:56
Und warum das so ist, darum geht es jetzt in meinem AHA.
00:32:58
Dazu habe ich mit Ulrich Wagner gesprochen,
00:33:00
der lange als Professor für Psychologie an der Uni Marburg zu dem Thema geforscht hat.
00:33:04
Er sagt, dass große gesellschaftliche Veränderungen und politische Entscheidungen
00:33:09
Auslöser für Rassismus sein können.
00:33:11
Genau die gab es Anfang der 90er Jahre in Ostdeutschland, so Wagner.
00:33:15
Dieser Umbruch mit der Vereinigung hat die Menschen total verunsichert.
00:33:19
Und wenn wir uns zurückerinnern, was ist auch passiert mit der Ökonomie in Ostdeutschland?
00:33:23
Er ist total zusammengebrochen.
00:33:25
Die Unternehmen sind verkauft worden.
00:33:27
Die Menschen waren total hilflos.
00:33:28
Wenn man sich in einer solchen totalen, hilflosen Situation befindet,
00:33:32
also nicht mehr weiß, wie kann man den eigenen Lebensunterhalt sicherstellen,
00:33:35
dann gibt es ja eine Möglichkeit, eine Identifikationsmöglichkeit,
00:33:39
auf die man sich zurückziehen kann.
00:33:40
Man ist zumindest Deutscher oder Deutsche.
00:33:43
Und das ist dann so ein Abgrenzungskriterium geworden in den 1990er Jahren.
00:33:47
Man muss allerdings auch sagen, wichtiges Begleitphänomen und auch wichtige Auslöser mit
00:33:52
war eine Debatte im Bundestag über die Beschränkung des Asylrechts.
00:33:55
Diese politische Debatte ist in die Bevölkerung hineingeschwappt
00:33:58
und damit wurden die Fremden wieder zu den Sündenböcken gemacht.
00:34:01
Und zu was für Aussagen das geführt hat, kann man ganz gut in alten TV-Beiträgen hören.
00:34:06
In einem Video von Spiegel TV von 1992 sagt ein 20-Jähriger über Amadeo,
00:34:13
Wenn Kohl vor ihm gestanden hätte, weiß ich auch nicht, ob er das dann noch gemacht hätte.
00:34:28
Der war ja doch eher so kolossmäßig gebaut.
00:34:31
Ja, wahrscheinlich nicht.
00:34:32
Und ein anderer sagt, man kriegt hier keine Wohnung, aber irgendein N-Wort kriegt eine Wohnung.
00:34:38
Wo gibt's denn sowas?
00:34:40
Und indem die Leute die anderen halt für ihre Probleme verantwortlich machen und auch sogar gegen die vorgehen,
00:34:46
schaffen sie es ja aus ihrer Ohnmacht zurück in so eine aktive Rolle, was denen dann hilft, mit der Situation umzugehen.
00:34:54
Und das soll ja gar keine Rechtfertigung sein oder sowas, sondern die Reaktionen dieser Leute erklären.
00:35:01
Und rassistisch gewalttätig werden laut Wagner vor allem junge Männer mit Aggressionspotenzial und Identitätskrise,
00:35:06
bei denen entweder Vorurteile schon vorhanden sind oder die nach einfachen Antworten auf ihre Fragen suchen.
00:35:14
Genau das Gleiche haben wir auch 2015, 2016 gesehen, nachdem Deutschland eben nicht auf die Menge an Geflüchteten vorbereitet war.
00:35:23
Weil danach haben die rassistischen Angriffe ja auch deutlich zugenommen.
00:35:26
Da ging's dann um die Angst davor, dass die eigene Kultur bedroht ist und diese behauptete Islamisierung des Abendlandes.
00:35:34
Und was den Rassismus in solchen Situationen dann noch verstärken kann, sind die Medien, so Wagner.
00:35:39
Die Medien und verantwortliche Medienvertreterinnen und Vertreter sind nach meinem Dafürhalten in einem großen Dilemma.
00:35:46
Weil auf der einen Seite erwarten wir von ihnen natürlich, dass sie berichten.
00:35:50
Und auf der anderen Seite muss man sagen, dass Medienberichterstattung Auswirkungen darauf haben kann, wie Menschen mit den Fremden umgehen.
00:35:59
Das hat viel damit zu tun, wie die Dinge dargestellt werden.
00:36:02
Es gab in den 1990er Jahren Rostock-Lichtenhagen, wo einfach relativ kommentarlos dokumentiert wurde, wie ein Mob ein Hochhaus belagert und die Polizei tut nichts.
00:36:15
Das ist natürlich ein massiv schlechtes Vorbild.
00:36:18
Also die Verantwortung der Medien ist groß und sie bezieht sich vor allen Dingen darauf, wirklich sorgfältig zu überlegen, was mache ich eigentlich.
00:36:25
Ja, ehrlicherweise muss man ja auch sagen, dass nach dieser Silvesternacht 2015 auch erstmal nicht berichtet wurde, weil die Kölner Polizei öffentlich von einer friedlichen Nacht gesprochen hat und dann auch auf Nachfrage nicht so richtig damit rausrückte, was da alles passiert ist.
00:36:41
Und das weckt natürlich auch Misstrauen in der Bevölkerung, weil man denkt sich ja, wieso wird mir das denn jetzt verheimlicht? Was will man denn damit bezwecken?
00:36:48
Ja, voll. Aber wenn man berichtet, dann muss man auch aufpassen, wie man was sagt.
00:36:53
Weil 2015, 2016 wurde ja immer wieder von Flüchtlingskrise und Flüchtlingswelle gesprochen.
00:36:59
Und das kann dann ein ganz bestimmtes Bild in den Köpfen der Menschen auslösen.
00:37:04
Also quasi eins von einem Tsunami, der Deutschland überrollt, was natürlich auch Ängste schürt.
00:37:11
Und gerade erleben wir auch wieder große gesellschaftliche Veränderungen und politische Entscheidungen und zwar in dieser Pandemie und wegen der Pandemie.
00:37:19
Und das führt leider auch wieder zu vermehrten rassistischen Angriffen.
00:37:24
Und nochmal, damit will ich hier keine Entschuldigung finden oder sowas, sondern die Faktoren aufzeigen, die dann zu solch einem Verhalten führen.
00:37:33
Ja, also es ist ja generell schwer, irgendwie eine verlässliche Aussage zu der Verteilung von rechter Gewalt zu machen, also bezüglich Ost- und Westdeutschland.
00:37:40
Trotzdem waren die sogenannten neuen Bundesländer in der Vergangenheit im Ranking immer unter den Top 7, wenn es um die Häufigkeit rechter Gewalt ging.
00:37:51
Und man sieht das ja auch, dass McPom, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, muss man ja einfach so sagen, sich politisch im Vergleich stärker nach rechts orientieren.
00:38:01
Dass mein Fall jetzt auch in Ostdeutschland spielt, das ist Zufall, das haben wir nicht absichtlich so ausgesucht.
00:38:08
Der Rassismus gibt es auf jeden Fall in ganz Deutschland.
00:38:11
Aber ihr werdet auch sehen, mein Fall hat jetzt nichts mit der Historie von Ostdeutschland zu tun.
00:38:16
Einige Namen habe ich geändert.
00:38:19
Als Marwa El-Sherbini sich an diesem Tag im August 2008 das Kopftuch feststeckt, tut sie das, obwohl sie weiß, dass manche Menschen sie deswegen ablehnen.
00:38:29
Das hatte sie selbst bitter zu spüren bekommen, als sie 31-Jährige auf der Suche nach einem Praktikumsplatz war.
00:38:35
Einigen hatte ihr Kopftuch nicht gepasst und das hatte man ihr auch relativ unverhohlen gesagt.
00:38:41
Dabei braucht Marwa das Praktikum, um ihre Zulassung als Apothekerin hier in Deutschland zu bekommen.
00:38:47
Marwa hat in Ägypten an der Universität von Alexandria Pharmazie studiert und auch schon Erfahrung als Apothekerin.
00:38:54
Ihr Mann Elvi ist Pharmazeut.
00:38:56
Als er 2003 für einen Master nach Bremen zieht, geht Marwa mit.
00:39:01
Und auch als er die Chance bekommt, in Dresden am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik zu promovieren, steht sie an seiner Seite.
00:39:10
Marwas Eltern sind ChemikerInnen in Ägypten und Marwa selbst war nicht nur im Studium erfolgreich, sondern auch in der Hand bei Nationalmannschaft der Frauen und ist dadurch viel gereist.
00:39:21
2006 kommt Marwas und Elvys gemeinsamer Sohn Mustafa in Deutschland auf die Welt und weil er jetzt auch schon zwei Jahre alt ist, geht Marwa ihre Apothekerinnenkarriere wieder an.
00:39:32
Ab Herbst beginnt das Praktikum in dem Universitätsklinikum mit Kopftuch, das sie sich an diesem Tag wieder selbstverständlich umbindet.
00:39:41
Gegen 19 Uhr beschließt Marwa mit Mustafa nochmal rauszugehen und eine Runde im Dresdner Stadtteil Johannstadt zu drehen.
00:39:48
Das Wetter ist heute so schön mild.
00:39:50
Die beiden kommen an einem Spielplatz in der Hopfgartenstraße vorbei.
00:39:55
Einem kleinen, etwas tristen Spielplatz, umgeben von hohen Mehrfamilienhäusern, der nicht so viele Möglichkeiten zum Austoben bietet.
00:40:03
Aber eine Tischtennisplatte, ein Klettergerüst mit Sandkasten und zwei Schaukeln gibt es.
00:40:09
Auf einer schaukelt ein kleines Mädchen, auf der anderen sitzt ein Mann.
00:40:14
Mustafa möchte auch schaukeln.
00:40:15
Marwa wartet noch eine Weile, doch nachdem sich der Mann nicht bewegt, fragt sie ihn, ob er für ihren kleinen Platz machen könne.
00:40:22
Der Mann reagiert doch ganz anders, als sie sich das hatte vorstellen können.
00:40:27
Er schimpft sofort auf Marwa ein.
00:40:29
Sie sei eine Terroristin, Islamistin und Schlampe.
00:40:32
Er dulde nicht, dass seine kleine Nichte so etwas ansehen müsse und macht deutlich, dass er damit Marwa's Kopftuch meint.
00:40:40
Deutschland braucht keine Islamisten, ruft er und droht den kleinen Mustafa Tor zu schaukeln, damit er nicht auch noch zum Terroristen wird.
00:40:48
Marwa empfindet die Situation als bedrohlich.
00:40:51
Aber das Feld räumen will sie nicht.
00:40:53
Das ist nicht ihre Art.
00:40:54
Andere Erwachsene sind auch schon aufmerksam geworden auf den Mann, der immer weiter wütend auf Marwa einredet.
00:41:00
Eine Frau spricht auf Russisch zu ihm.
00:41:03
Auch sein Akzent lässt vermuten, dass er selbst nicht aus Deutschland kommt.
00:41:07
Jemand reicht Marwa ein Handy und Marwa will die 110.
00:41:11
Auch die herbeigerufenen BeamtInnen können die Situation nicht schlichten.
00:41:15
Immer wieder müssen sie sich schützend vor Marwa's Stellen, weil der Mann einfach nicht aufhört, seine Hasstiraden gegen sie loszulassen.
00:41:22
MuslimInnen seien keine Menschen und ihnen soll er auch nicht erlaubt werden, Kinder in die Welt zu setzen, sagt er.
00:41:28
Marwa und Mustafa werden daraufhin von der Polizei nach Hause gebracht.
00:41:33
Zu Hause erzählt sie Elvi davon, was sie gerade auf dem Spielplatz erlebt hat.
00:41:37
Weil die Polizei involviert war und sich der Mann mehr als uneinsichtig zeigte, erstattet die Polizei Anzeige.
00:41:46
Und so wird gegen den Mann ein Strafbefehl erlassen und eine Geldstrafe von 330 Euro verhängt.
00:41:52
Doch wie Marwa erfährt, hat er Einspruch dagegen eingelegt und deshalb wird sie als Zeugin vorgeladen.
00:41:58
Mittlerweile ist der Sommer weitergezogen und in Dresden ist es kühler geworden,
00:42:03
als Marwa und Elvi an diesem Novembertag das Amtsgericht Dresden betreten.
00:42:07
Es ist das erste Mal, dass sie wieder auf den Mann treffen.
00:42:11
Marwa macht ihre Aussage und Jascha Marecki, so der Name des Mannes,
00:42:16
rechtfertigt seine Worte vor Gericht damit, dass er seinen Lebenstraum verteidigen wollte.
00:42:22
Was genau er damit meint, bleibt offen, aber es zeigt, dass er sich noch immer im Recht sieht,
00:42:27
so mit Marwa umgegangen zu sein.
00:42:29
Laut seiner Aussage hätte ihm gar keine beleidigungsfähige Person gegenüber gestanden,
00:42:35
da Marwa in seinen Augen keine Bürgerin oder auch nur ein Mensch sei.
00:42:40
Für Marwa und Elvi ist die Situation eh schon nicht leicht.
00:42:43
Was sie aber gar nicht verstehen können ist, dass in dem Verfahren ihre Adresse verlesen wird.
00:42:49
Zumal Marecki nur ein paar hundert Meter von den beiden entfernt wohnt.
00:42:53
Wenig überraschend, das Gericht verurteilt ihn diesmal zu einer Geldstrafe von 780 Euro plus Verfahrenskosten.
00:43:02
Dass Marecki das Geld nicht zahlen will, hat er schon bei der Verhandlung klargemacht
00:43:06
und so legt er gleich am nächsten Tag Berufung ein.
00:43:09
Doch auch die Staatsanwaltschaft ist wegen seiner unverbesserlichen Art
00:43:12
und seinen sich ständig wiederholenden rassistischen Aussagen nicht zufrieden mit dem Urteil.
00:43:17
Sie würde am liebsten eine Freiheitsstrafe erlangen.
00:43:20
Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch nichts über Mareckis Hintergrund weiß.
00:43:25
Jascha Marecki hat einen fanatischen Hass auf Menschen, von denen er denkt, sie gehören nicht nach Deutschland.
00:43:32
Schon lange fällt er mit rassistischen Äußerungen auf, allerdings nie polizeilich.
00:43:37
Die Äußerungen sieht er von seiner Meinungsfreiheit abgedeckt.
00:43:41
Als der damals 22-Jährige 2003 von Russland nach Deutschland kommt,
00:43:46
zieht er gemeinsam mit seiner Mutter und seiner Schwester in ein Übergangswohnheim.
00:43:50
Auch dort fällt er negativ auf, weil er immer mal wieder seine Mutter oder andere BewohnerInnen anschreit.
00:43:56
Besonders schlimm ist es aber bei seinem Qualifikationskurs für Übersiedler.
00:44:02
Deutschland gehöre nur den Deutschen und Schwarzen hätten hier nichts zu suchen, behauptet Marecki immer mal wieder.
00:44:07
Er ist leicht provozierbar, gibt aber schnell klein, wenn er merkt, dass jemand mental stärker ist als er.
00:44:12
Auch auf dem Arbeitsamt kennt man Marecki bereits.
00:44:16
Dort schreibt er 2003 eine Mitarbeiterin so laut an, dass diese um Hilfe rufen muss.
00:44:21
Einer anderen droht er bei dem darauf folgenden Streit, ihr auf dem Nachhauseweg aufzulauern.
00:44:26
Die Frau berichtet später, Marecki habe ihr daraufhin gegen die Brust und auf den Arm geschlagen.
00:44:30
Einen Job findet Marecki hier nicht.
00:44:34
Oder eher, er will ihn nicht.
00:44:36
Das Arbeitsamt macht mehrere Vorschläge, aber er lehnt alles ab, lebt lieber von Hartz IV und bezieht eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Johannstadt.
00:44:44
Als er dann nach den Beleidigungen auf dem Spielplatz auf das Polizeirevier gerufen wird, erklärt er den BeamtInnen vor Ort, dass Mawa genauso aussehen würde, wie die Selbstmordattentäterin, die er in den Nachrichten gesehen habe.
00:44:57
Weil sein Hass auf Muslime so offensichtlich ist und das auch für einen Strafbefehl langt, wird ihm damit eine Geldstrafe von 330 Euro aufgedrückt.
00:45:05
Doch wie wir wissen, denkt Marecki nicht daran, die Strafe zu bezahlen und macht sich daran, seinen Einspruch zu schreiben.
00:45:11
Darum begründet er, dass er nicht verstehe, dass in einem Rechtsstaat wie Deutschland nicht die Wahrheit gesagt werden dürfte.
00:45:18
Und dann folgen in dem Widerspruch noch weitere Dinge, bei denen ich beim Lesen schwer schlucken müsste.
00:45:24
Marecki sagt, dass der religiöse Wahnsinn der Islamisten nicht nur religionsbedingt, sondern vor allem auch auf die Rasse der Islamisten zurückzuführen sei.
00:45:33
Ansonsten hätte sich ihre Kultur anders entwickelt.
00:45:36
Damit beweist Marecki, dass er sich in seinen rassistischen Gedanken schon total verloren hat.
00:45:42
Außerdem habe Marecki ein Kopftuch getragen, was Marecki als Anzeichen von totaler religiöser und kultureller Unterwerfung der Männer und dem Satan sieht.
00:45:52
Ein kurzer Exkurs.
00:45:53
Antimuslimischer Rassismus wegen des Kopftuchs ist gar nicht so selten.
00:45:57
Frauen mit Kopftuch werden besonders häufig angegriffen, sagt Gabriel Bosniasi, der Taz, weil das Kopftuch halt eben natürlich nicht zu übersehen ist.
00:46:07
Außerdem verbinden viele das Kopftuch oder den Hijab mit der Unterdrückung der Frau.
00:46:12
Entweder so die Annahme ist in der Familie eh klar, dass es Pflicht ist, das Kopftuch zu tragen.
00:46:18
Oder aber das Druck ausgeübt wird auf die Frauen, weil man sie sonst nicht als ernstzunehmende und religionstreue Musliminnen in der Gemeinde ansehen würde.
00:46:26
Und das ist sicherlich auch bei einigen so, aber halt längst nicht bei allen.
00:46:31
Ich habe mit Merna, einer Hörerin, die Kopftuch trägt gesprochen, um das mal ein bisschen besser nachvollziehen zu können, weil viele, und dazu gehörte eine Zeit lang auch ich, ja davon ausgehen, dass das Kopftuch vor allem dafür sorgen soll, dass Frauen nicht zu sexualisierten Objekten gemacht werden.
00:46:49
Was mich immer ein bisschen an die Täter-Opfer-Umkehr erinnert hat, weil ich denke mir, naja, aber das ist doch dann nicht die Aufgabe der Frauen, das zu verhindern, sondern eigentlich die Aufgabe der Männer.
00:47:00
Merna hat mir aber auch gesagt, dass Belästigung zu verhindern sicherlich nicht ihre Aufgabe ist.
00:47:05
Viele würden die Pflicht des Kopftuchs betonen und vergessen dabei aber, dass es zum Beispiel auch eine Pflicht ist, dass die Männer ihren Blick senken.
00:47:12
Und für Merna ist der Hijab ein spirituelles Konzept, nicht nur ein Kopftuch.
00:47:18
Dadurch ist sie sich ihrer Rolle als muslimische Frau ständig bewusst und sie hat mir erzählt, dass das auch ihr Handeln und ihr Denken beeinflusst.
00:47:25
Also zum Beispiel, dass sie immer daran erinnert wird, dass ihr Aussehen zweitrangig ist und dass man auf Oberflächlichkeiten verzichten sollte.
00:47:32
Durch das Kopftuch signalisiert sie aber auch, dass sie sich an Fähr- und Gebote des Islams hält und das heißt halt eben auch kein Sex vor der Ehe.
00:47:39
Und das macht Merna, weil sie an den Islam glaubt und an die Weisheiten seiner Regeln.
00:47:44
Ich finde jetzt, diese Regeln, die kann man ja hinterfragen.
00:47:46
Also man darf Islamkritik üben und das darf man wiederum dann nicht mit Rassismus verwechseln.
00:47:52
Das, was Jascha Marecki gemacht hat, war aber alles andere als Islamkritik.
00:47:57
Er hat Mauer aufgrund ihres Kopftuchs als Muslime erkannt und sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit und Einwanderungsvergangenheit rassistisch angegangen.
00:48:05
Wie wir wissen, hat Marecki mit seinem Einspruch auch Erfolg und das liegt sicherlich nicht an den rassistischen, absurden Rechtfertigungen,
00:48:11
sondern einfach daran, dass er ein Recht hat, Einspruch einzulegen.
00:48:14
Dass seine Straftat bei der ersten Verhandlung hochgesetzt wird und er auch noch die Prozesskosten tragen soll,
00:48:20
sieht Marecki als Schikane der Justiz an und wehrt sich deswegen dagegen.
00:48:25
Und so muss Mauer ein Jahr nach der Attacke auf dem Spielplatz ein zweites Mal vor einem Gericht vortragen,
00:48:30
was Jascha Marecki zu ihr gesagt hat.
00:48:33
Diesmal vor dem Landgericht Dresden.
00:48:36
Wieder ist Elvi an ihrer Seite und diesmal auch der mittlerweile dreijährige Mustafa,
00:48:41
der sich heute krank fühlt und deswegen nicht zur Betreuung gebracht werden konnte.
00:48:46
Die kleine Familie sitzt auf dem Flur des Landgerichts, als Jascha Marecki plötzlich an ihnen vorbeiläuft.
00:48:52
Er fixiert die drei. Das alles ist etwas unangenehm.
00:48:56
Danach verschwindet er in dem Gerichtssaal und die Familie wartet, bis sie über Lautsprecher aufgerufen wird.
00:49:02
Die drei betreten den Saal vorbei an der Anklagebank, auf der Marecki Platz genommen hat.
00:49:08
Dann setzt Mauer sich auf den Zeugenstuhl, während Elvi und Mustafa ihr dabei von der Zuschauerbank auszuhören.
00:49:13
Mauer erklärt, als sei das überhaupt notwendig, ganz ruhig, dass sie eine friedliebende Muslima sei.
00:49:20
Wieder zeigt sich Jascha Marecki uneinsichtig.
00:49:23
Das Ganze hat auch schon deswegen was von einem Déjà-vu, weil Mauer wieder die Worte wiederholt,
00:49:28
die sie schon vor dem Amtsgericht ausgesagt hat und Jascha Marecki darauf wieder mit nur einer Frage antwortet.
00:49:34
Was Mauer denn hier in Deutschland überhaupt wolle?
00:49:38
Ja, was will er denn in Deutschland?
00:49:39
Ich musste mich mal kurz aufrichten und sauer sein.
00:49:44
Er möchte ja Deutscher sein. Er sieht sich auch als Deutscher.
00:49:47
Ja, und warum darf er sie fragen, was sie hier will?
00:49:51
Du, ich bin nicht in dem Korb eines Rassistischen, meiner Meinung nach auch ein bisschen Wahnsinnigen.
00:49:58
Ich kann dir das nicht erklären, sodass du nachher sagst, ah, okay, verstehe ich.
00:50:02
Die Provokationen prallen anders als bei Laura.
00:50:08
Der Vorsitzende Richter lässt Mareckis Frage nicht zu, verabschiedet Mauer nach 15 Minuten
00:50:14
und gibt ihr noch eine Telefonnummer, bei der sie sich melden kann, um den Ausgang der Verhandlung zu erfahren.
00:50:19
Dann geht Mauer Richtung Ausgang und Elvi und Mustafa stehen auf, um sie zu begleiten.
00:50:25
Mauer nimmt Mustafa an die Hand und als die drei schon kurz vor der Tür sind, regt sich Marecki plötzlich.
00:50:31
Dann springt er auf und stürzt sich auf Mauer.
00:50:33
Elvi reißt Mustafa zur Seite, will sich schützend vor seine Frau stellen.
00:50:38
Es entsteht ein großes Durcheinander, in das sich Elvi immer wieder versucht reinzuwerfen.
00:50:42
Erst jetzt bemerkt er, dass er blutet.
00:50:45
Marecki hat sich mit einem Messer auf Marua gestürzt.
00:50:48
Sie liegt am Boden.
00:50:49
Marecki sticht mehrfach auf sie ein.
00:50:52
Der Vorsitzende kann von seinem Pult aus gar nicht so richtig erkennen, was da vor sich geht.
00:50:57
Er steht auf, nähert sich dem Gewusel und erkennt, dass der Angeklagte da ein Messer in der Hand hat.
00:51:02
Dann rennt er zurück zum Richtertisch und drückt den Notknopf.
00:51:07
Zwei Schöfen fliehen in das Beratungszimmer, die Staatsanwältin schreit.
00:51:11
Elvi versucht noch immer, Marecki von seiner Frau fernzuhalten, reißt an ihm.
00:51:15
Mareckis Verteidiger wirft mit Stühlen nach seinem Mandanten, versucht dann mit Elvi einen Tisch zwischen Marecki und Marua zu schieben.
00:51:22
Doch Marecki lehnt sich darüber und lässt nicht von ihr ab.
00:51:25
Man rechnet nicht damit, dass so ein Gewaltangriff leise abläuft.
00:51:29
Marecki schreit dabei nicht.
00:51:33
Zur gleichen Zeit befinden sich einige Bundespolizisten als Zeugen in einem anderen Gerichtssaal.
00:51:38
Die Verhandlung wird spontan unterbrochen, als sie hören, was in einem anderen Saal vor sich geht.
00:51:43
Als die Polizisten in Zivil und ein bewaffneter Kollege herbeistürmen, gelingt es Elvi gerade, Marecki festzuhalten.
00:51:50
Beide kämpfen auf dem Boden miteinander, zerren am Messer.
00:51:53
Messer weg, schreit einer der Polizisten.
00:51:56
Dann löst sich ein Schuss.
00:51:58
Der Beamte hat auf den Mann gezielt, der gerade das Messer in der Hand hatte.
00:52:06
Sein Bein ist getroffen.
00:52:07
Die Männer stützen sich auf ihn.
00:52:09
Das ist der Falsche, ruft Mareckis Verteidiger.
00:52:13
Marecki schimpft auf Russisch und Deutsch und schreit immer wieder, dass sie ihn erschießen sollen.
00:52:18
Der Kampf ist vorbei.
00:52:19
Marecki kann fixiert und unter Kontrolle gebracht werden.
00:52:22
Elvi hat mehrere Stichverletzungen am Oberkörper und blutet stark aus dem Bein.
00:52:28
Erhaltungskräfte eilen herbei und bringen den Schwerverletzten ins Krankenhaus.
00:52:33
Die Reanimierungsversuche bringen nichts.
00:52:35
Sie ist schon tot.
00:52:37
Sie und das Kind, was sie in sich trug.
00:52:40
Marecki war im dritten Monat schwanger.
00:52:45
Der dreijährige Mustafa, der das alles mit ansehen musste und dessen Eltern sich schützend vor ihn stellten, ist völlig desorientiert.
00:52:53
Einer der Wachmänner kümmert sich um den Jungen.
00:52:55
Meine Hose ist ganz dreckig, sagt Mustafa.
00:52:58
Auf ihr klebt das Blut seiner Mutter.
00:53:01
Danach wird er ins Krankenhaus und erstmal in die Hände des Jugendamts gegeben, weil sein Vater noch immer ums Überleben kämpft.
00:53:08
Elwin muss mehrfach operiert werden, wird sogar ins künstliche Koma versetzt, aus dem er erst zwei Tage später zurückgeholt wird.
00:53:16
Das Medienecho ist erschreckenderweise recht verhalten.
00:53:21
In Maruas Herkunftsland Ägypten ist man entsetzt über den Rassismus in Deutschland.
00:53:26
Während hier teilweise so getan wird, als wäre das nicht unser Problem, weil der Täter nicht hier geboren wurde, obwohl er die deutsche Staatsbürgerschaft hatte.
00:53:35
Die Taz schreibt später von einem Artikel in der Süddeutschen, in dem von einem Kampf fremder Kulturen auf deutschem Boden die Rede war.
00:53:43
Der Artikel der Süddeutschen lässt sich heute aber nicht mehr im Internet finden.
00:53:47
Stefan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, besucht Elwi im Krankenhaus und ist mehr als irritiert, dass die Zeitungen daraufhin von einem Bündnis der Minderheiten schreiben
00:53:58
und wundert sich, warum zu diesem vermeintlichen Bündnis keine VertreterInnen der deutschen Mehrheitsgesellschaft gestoßen sind.
00:54:06
Fast vier Monate später versammeln sich etliche MedienvertreterInnen vor dem Landgericht Dresden, um den Mordprozess gegen Jascha Maretsky zu verfolgen.
00:54:15
Mittlerweile hat das Interesse auch vor allem deswegen zugenommen, weil deutsche Medien von Ausländischen harsch kritisiert wurden.
00:54:21
Fürs Wegschauen.
00:54:23
Auch russische und ägyptische Fernsehteams sind gekommen und selbst der ägyptische Botschafter wohnt dem Prozess bei.
00:54:29
Doch diesmal läuft vieles ganz anders als ein paar Monate zuvor beim letzten Prozess gegen Maretsky im selben Gebäude.
00:54:38
Das Aufgebot an Polizei und Sicherheitskräften ist enorm und jede Person, die ins Gericht will, wird gründlich durchleuchtet.
00:54:45
Im Saal hat man für 50.000 Euro eine riesige Panzerscheibe angebracht, die die Prozessteilnehmenden von den Zuschauern trennt.
00:54:52
Diese Vorsichtsmaßnahme dient nicht dem Schutz vor Jascha Maretsky, sondern ihm.
00:54:57
Weil wenige Monate zuvor ein relativ unbekannter Imam in Ägypten zum Rache-Mord an Jascha Maretsky aufgerufen hat, geht das LKA Sachsen von einer Gefährdungslage aus.
00:55:08
Von mehreren Wachmännern begleitet, betritt Maretsky an Händen und Füßen gefesselt den Saal.
00:55:13
Er trägt eine Sturmhaube, eine Sonnenbrille und eine blaue Basecap, über die er die Mütze seines blauen Hoodies gezogen hat.
00:55:20
Auch nach mehrmaliger Aufforderung weigert Maretsky sich, die Sonnenbrille abzusetzen.
00:55:26
Dafür kassiert er ein Ordnungsgeld von der vorsitzenden Richterin.
00:55:29
Auch seine Personalien will er nicht angeben.
00:55:32
Es ist der erste Hinweis darauf, wie der Prozess mit Maretsky verlaufen wird.
00:55:38
Die Anklagebank gegenüber ist gut besetzt.
00:55:41
Elvi ist auf Krücken dahin gehumpelt.
00:55:43
Der Schuss hat Nervenschäden in seinem linken Oberschenkel verursacht.
00:55:47
Ob er jemals wieder normal gehen kann, ist nicht klar.
00:55:50
Neben ihm sitzt Maruas Bruder und Anwälte, die auch ihre Eltern vertreten.
00:55:55
Elvi erzählt gefasst und ruhig von den Erlebnissen vier Monate zuvor.
00:56:00
Er hat sich entschieden, seine Aussage auf Arabisch zu machen.
00:56:03
Er betont, dass Maruas ihr Kopftuch nicht aus Zwang trug, sondern aus religiöser Überzeugung.
00:56:09
Zwar wurde in vielen Medien zuvor berichtet, dass Maruas selbst Anzeige gegen Maretsky erstattete und sich dem Rassismus entgegenstellte.
00:56:17
Elvi berichtigt beim Prozess aber, dass die Polizei diesen Schritt selbst einleitete und Maruas nur aussagte, weil sie geladen wurde.
00:56:26
Als Zeugen und Zeuginnen sagen diesmal Leute aus, die sonst selbst über Recht und Unrecht urteilen.
00:56:31
Die RichterInnen und der Verteidiger von Maretsky, die beim Berufungsverfahren anwesend waren.
00:56:37
Besonders tragisch ist, dass der Vorsitzende eigentlich schon beschlossen hatte, dass er Maruas Aussage gar nicht mehr hören brauchte, um ein Urteil zu fällen.
00:56:43
Dafür reichte ihm offenbar alles, was er vorher von Maretsky gehört hatte.
00:56:49
Doch einer der Schöffen bestand wohl auf ihrer Aussage.
00:56:51
Der Vorsitzende Richter, der den Notknopf drückte, redet vor Gericht in den besten Tönen von Mauer und dass sie viel besser Deutsch sprach als Jascha Maretsky, den das sicher schmerzen muss.
00:57:02
Ist er doch in seinem Deutschkurs immer aufgefallen, weil er überaus strebsam war und unbedingt so gut Deutsch sprechen wollte, so erzählen es andere Teilnehmende, dass niemand ihn für einen Russen hielte.
00:57:13
In seinen Augen sind Deutsche besser als Russen.
00:57:16
In dem Einspruchschreiben schrieb er davon, dass er als deutscher Bürger zugunsten von Ausländern benachteiligt wurde und dem deutschen Schuldgefühl der Geschichte zum Opfer gefallen sei.
00:57:26
Elvi hatte Anzeige gegen eben jenen Richter der Berufungsverhandlungen, gegen den Präsidenten des Landgerichts und auch gegen den Polizisten, der versehentlich auf ihn geschossen hatte, Anzeige erstattet.
00:57:39
Weil sie nichts getan hätten für Maruas Sicherheit.
00:57:42
Ja, der Berufungsrichter, der hat ja geholfen, aber warum sorgt die deutsche Justiz nicht für den Schutz von Menschen, deren Kindern mit dem Tod bedroht werden?
00:57:50
Wenn doch klar war, was in Maretskis Kopf abging, hatte er doch all seine Verblendungen niedergeschrieben.
00:57:57
Am Ende laufen Elvys Anzeigen aber ins Leere.
00:58:00
Der Richter ist seit der Tat krankgeschrieben.
00:58:03
Man kann ihm ansehen, wie ihn das alles noch mitnimmt.
00:58:06
Er hatte neben Elvi auf dem Boden verharrt, während die Rettungskräfte kamen.
00:58:10
Sie stirbt, sie stirbt, hatte Elvi immer wieder gesagt.
00:58:14
Nein, sie stirbt nicht, hatte der Richter geantwortet.
00:58:17
Da hatte Maruas Herz schon nicht mehr geschlagen.
00:58:19
In dem Gerichtssaal herrscht oft bedrücktes Schweigen.
00:58:23
Bei der Anhörung der Gerichtsmedizinerin kann Elvys Vater seine Tränen kaum unterdrücken.
00:58:28
Über Maretskis Wut und Hass kann man nur zerbrechen.
00:58:33
Umso fragwürdiger ist Strafverteidiger Falko Bartels Verteidigungsstrategie.
00:58:37
Er fordert, dass herauszufinden sei, welches Bild der Islam von sich selbst zeichne bzw. zeichnen lasse.
00:58:44
Nur damit ließ er sich herausfinden, was seinen Mandanten zu dem gemacht hat, was er heute sei.
00:58:50
Kopfschütteln im Publikum.
00:58:52
Natürlich versucht er auch den Mordvorwurf abzuwenden.
00:58:55
Dazu führt er an, dass Maretsky das Messer angeblich immer bei sich trug
00:58:59
und sich in der Zeit zwischen der ersten Hauptverhandlung und dem Berufungsverfahren
00:59:03
in einen Zustand aus Angst und Panik gesteigert habe.
00:59:06
Doch dagegen spricht, dass sich Maretsky beim Berufungsverfahren
00:59:10
nicht auf den Platz setzen wollte, den sein Anwalt für ihn vorgesehen hatte.
00:59:14
Dicht am Richtertisch, sondern den nehmen wollte, auf dem sein Verteidiger bereits saß.
00:59:20
Der Dichter an der Tür war.
00:59:21
Hoffnung kann die Verteidigung allerdings schöpfen,
00:59:24
als ein Fangs der Generalstaatsanwaltschaft der russischen Föderation das Gericht erreicht.
00:59:30
Jascha Maretsky hätte damals den Wehrdienst nicht antreten können,
00:59:34
weil bei ihm eine nicht differenzierte Schizophrenie festgestellt worden sei.
00:59:38
Das könnte für eine verminderte Schuldfähigkeit sprechen.
00:59:42
Allerdings wiederholt der bestellte psychiatrische Gutachter noch einmal,
00:59:45
dass er dafür keine Anhaltspunkte finden konnte.
00:59:48
Jascha Maretsky selbst will sich dazu allerdings nicht äußern.
00:59:52
Er sagt generell nichts im Verfahren, lässt nur die Einlassungen durch Verteidiger Bartel verlesen,
00:59:57
in der es komplett an Reue fehlt und er stört den Prozess durch Stampfen
01:00:02
und indem er seinen Kopf auf die Tischplatte schlägt.
01:00:04
Während sich die RichterInnen nach dem letzten Verhandlungstag zur Beratung zurückziehen,
01:00:09
kann man vor dem Landgericht durch zwei Lautsprecher Gebetsrufe hören.
01:00:12
Davor haben muslimische Männer ihre Knie in den feuchten Rasen gedrückt
01:00:16
und verneigen sich in Richtung Mekka.
01:00:18
Einige haben Schilder dabei, auf denen steht Stopp die Hetz-Kampagne gegen den Islam.
01:00:22
Jascha Maretsky wird wegen Mordes an Marwa El-Shabini
01:00:27
und versuchten Mordes an Elvi zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.
01:00:31
Außerdem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt,
01:00:34
weil gleich zwei Mordmerkmale, Heimtücke und niedrige Beweggründe erfüllt waren
01:00:39
und die Tat vor dem kleinen Mustafa geschah.
01:00:42
Sein Motiv sei ganz klar rassistischer Natur gewesen, aber auch Rache.
01:00:46
Jascha Maretsky soll es nicht ertragen haben können,
01:00:49
dass er wegen Marwa eine Geldstrafe zahlen musste,
01:00:52
für etwas, das er als vollkommen gerechtfertigt ansah.
01:00:55
Er nimmt das Urteil weitestgehend regungslos zur Kenntnis.
01:01:00
Die Vorsitzende Richterin betont, dass das Gericht dieses Urteil auch bei jedem anderen gefällt hätte
01:01:04
und sich nicht habe vor dem öffentlichen Druck beeinflussen lassen.
01:01:07
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland kommentiert das Urteil mit
01:01:12
»Wir sind stolz auf unser Rechtssystem und unsere unabhängige Justiz«.
01:01:17
Ein Jahr nach dem Mord wird im Dresdner Landgericht eine Gedenktafel für Marwa entfüllt.
01:01:21
Elvi ist an diesem Tag nicht dabei.
01:01:24
Er ist zurück nach Ägypten gegangen, um sich dort um Mustafa zu kümmern,
01:01:27
den er schon vorher zu Marwas Familie geschickt hatte.
01:01:30
Elvi hatte schon beim Prozess durchblicken lassen,
01:01:33
dass er in Dresden wohl keine Zukunft mehr für sich sehe.
01:01:35
Auf der Tafel steht auf Arabisch und auf Deutsch.
01:01:39
Wir ehren unsere ägyptische Mitbürgerin Marwa El-Shabini.
01:01:42
Sie wurde Opfer von Islamfeindlichkeit und Fremdenhass.
01:01:46
Wir verneigen uns vor dem Opfer dieser schrecklichen und unfassbaren Tat
01:01:50
und trauern mit ihrer Familie.
01:01:51
Die Justiz des Freistaats Sachs.
01:01:56
Ich bin so froh, dass sie dieses Urteil so gesprochen haben
01:02:02
und dass auch diese Gedenktafel da jetzt ist,
01:02:06
weil das war ja vor 30 Jahren bei Amadeu halt noch ganz anders.
01:02:12
Und offenbar hat man da gelernt.
01:02:15
Und das macht mir auch so ein bisschen Hoffnung,
01:02:18
auch wenn dieser Fall einfach so schrecklich ist.
01:02:22
Und ich finde es auch so traurig,
01:02:25
dass Marwa und Elvi sozusagen das Gefühl hatten,
01:02:28
dass sie vor Gericht auch nochmal klarstellen müssen,
01:02:30
dass sie halt friedlebende Muslime sind.
01:02:34
Weil das müsste ja eigentlich klar sein
01:02:37
und das müsste selbstverständlich sein
01:02:39
und dass sie das nicht nochmal sagen müssen.
01:02:41
Aber dadurch, dass sie das machen, daran sieht man ja,
01:02:44
wie viel noch falsch läuft, wie viele Vorurteile es da gibt
01:02:48
und die wahrscheinlich täglich damit irgendwie zu kämpfen hatten.
01:02:54
Das sollte auch nicht notwendig sein, sondern eine Selbstverständlichkeit.
01:02:57
In diesem Fall war es ja so, dass die Medien oft versucht haben,
01:03:02
die Tat von Deutschland zu distanzieren, indem sie immer wieder betont haben,
01:03:05
Maretsky sei kein richtiger Deutscher, sondern nur, nur eingebürgert.
01:03:10
Maretsky hingegen wollte unbedingt als Deutscher wahrgenommen werden,
01:03:14
weil er meinte, Deutsche seien höherwertig als Russen beispielsweise.
01:03:18
Das können wir zwar jetzt gar nicht nachvollziehen,
01:03:20
aber in abgeschwächter Form kommt das immer mal wieder vor.
01:03:23
Und da habe ich Malcolm O'Hanwe mal zu reden gehört.
01:03:26
Er ist Journalist, Host vom Funk-Format Kanackische Welle
01:03:30
und unser Experte, der uns jetzt weiterhin in der Folge begleiten wird.
01:03:37
Du redest in einem Format von, mir relativ egal, von guten Ausländern und bösen Ausländern.
01:03:43
Was ist das für ein Phänomen?
01:03:45
Wenn man sich jetzt zum Beispiel Studien anguckt,
01:03:47
dann ist es so, dass gerade wenn du zum Beispiel einen muslimisch klingenden Namen hast,
01:03:52
dass du nachweislich schlechtere Noten für dieselbe Leistung bekommst,
01:03:56
niedrige Chancen hast im Wohnungsmarkt
01:03:58
und auch niedrige Chancen hast, einen Job zu bekommen bei identischer Qualifikation.
01:04:02
Also das ist auch wissenschaftlich bestätigt.
01:04:04
Und insofern gibt es diese Hierarchie.
01:04:07
Und natürlich gibt es ja auch unterschiedliche Vorurteile.
01:04:09
Also was ganz banal ist, wenn jetzt deutsche, weiße Menschen in ein italienisches Restaurant gehen,
01:04:17
dann lieben die das, ihr grottiges Italienisch auszupacken.
01:04:20
Oh, Susi, Expresso per favore.
01:04:23
Das ist so, die finden das super.
01:04:25
Aber in einem türkischen Restaurant käme keiner da drauf, irgendwie türkisch zu reden.
01:04:30
Bei Marecki war das ja so, Deutsch ganz oben, darunter Russisch
01:04:33
und erst später Menschen aus Ländern, wo man an den Islam glaubt.
01:04:37
Was eigentlich, also das ist natürlich alles absurd, aber man könnte ja jetzt auch annehmen,
01:04:42
in dem Kopf eines rassistisch denkenden Menschen, eine Person aus Ägypten, eine Person aus Russland, gleiche Stufe.
01:04:48
In Russland gibt es auch ganz viele ethnische Minderheiten, Tschechchenen und andere Gruppen,
01:04:52
Tartaren, die muslimisch sind, die systemische Gewalt auch in der Sowjetunion erlebt haben.
01:04:57
Und natürlich sind diese ganzen Bilder schon da.
01:05:01
Das Krasse an Rassismus ist ja auch, er ist schon da, bevor die Menschen da sind.
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Also du hast schon rassistische Vorurteile, bevor du jemanden triffst, der dieser Gruppe angehört.
01:05:10
Marwa El-Scherbini hat ihn nicht zum Rassisten gemacht.
01:05:14
Der Typ war schon vorher ein Rassist und ist nicht durch die Anwesenheit von ihr zum Rassisten geworden.
01:05:22
Und das ist, glaube ich, auf den Trugschluss, dass man denkt, naja, die Vorurteile entstehen doch, weil die Leute dort sind.
01:05:28
Nee, diese Ideologie und diese Gedanken existieren schon vorher, weil es eben Kolonialreisen gab
01:05:34
und in Anführungszeichen Forscher, Menschenforscher, Anthropologen, bewusst männlich jetzt gegendert,
01:05:41
weil sie eigentlich Männer waren, die irgendwelche Geschichten sich ausgedacht haben.
01:05:45
Im Fall jetzt von den Anführungszeichen muslimischen Menschen sind das so Leute wie Goethe oder Marco Polo.
01:05:51
Und die haben noch nie, also die haben teilweise Dinge erfunden und dann ist es der barbarische Araber, der Messer schluckt oder sowas.
01:05:57
Und über dieses Phänomen, da war ich letztens bei einer Lesung auch von Alice Hassers, die ist Kollegin beim RBB
01:06:03
und die hat mit einem Autoren gesprochen, der heißt Ozan Zakaria Kiskinfilic
01:06:07
und der hat gerade ein Buch auch dazu rausgebracht, also das heißt Muslimaniac
01:06:10
und das hat mir auch nochmal besser geholfen zu präzisieren, wie gerade Rassismus funktioniert,
01:06:18
wenn er als Ziel Menschen hat, die er als Arabisch wahrnimmt und oder als Muslimisch.
01:06:24
Deswegen ist es auf jeden Fall nochmal eine Empfehlung, sich dieses Buch anzugucken,
01:06:28
weil es mir zumindest geholfen hat, das Ganze besser zu verstehen und auch meine Gedanken geschärft hat.
01:06:34
Und natürlich ist man sich dessen gewahr.
01:06:36
Ich würde mich als schwarze Person oder als bärtiger Araber oder mit Kopftuch,
01:06:42
würde ich mich das niemals in meinem ganzen Leben trauen, irgendeine Waffe zu haben
01:06:46
und damit in ein deutsches Gericht zu gehen.
01:06:47
Aber weil er weiß, weil er sich dessen gewahr ist, dass er weiß ist, dass er europäisch aussieht,
01:06:53
hat er sich das getraut und natürlich ist dann da auch ein Bewusstsein dafür,
01:06:56
dass es eine Hackordnung gibt.
01:06:57
Was ich in Bezug zur Black Lives Matter Bewegung auch oft gehört habe,
01:07:01
sind Aussagen, bei denen der eigene Migrationshintergrund genutzt wurde,
01:07:05
um rassistische Aussagen zu rechtfertigen.
01:07:07
Also so von wegen, ich kann ja gar nicht rassistisch sein, ich bin ja selber eingewandert
01:07:11
oder ich habe ja selbst Eltern, die kommen da und da her.
01:07:14
Warum ist das absolut kein Rechtfertigungsgrund?
01:07:17
Im Notfall ist sogar eigentlich, macht es nur noch schlimmer,
01:07:21
Nehmen wir jetzt zum Beispiel verschiedene Einwanderungsgruppen in Deutschland,
01:07:24
also Leute, die Wurzeln haben im Kosovo oder in Russland oder in der Türkei
01:07:29
oder in Rumänien oder in Italien oder in Griechenland.
01:07:31
All diese Länder haben gemein, dass sie eine ganz lange Geschichte haben,
01:07:36
zum Beispiel von Rassismus gegen Romnia und Sinti, also Roma und Sinti.
01:07:41
Und das heißt teilweise sogar noch schlimmer, also zum Beispiel rumänische Migranten,
01:07:45
in deren Heimat, in Rumänien, wurden Roma und Sinti über Jahrhunderte versklavt.
01:07:51
Darüber haben wir auch eine ganze Folge gemacht bei uns im Podcast.
01:07:53
Und wenn dann diese Person sagt, ja, ich bin ja Rumän, ich kann doch nicht rassistisch sein.
01:07:58
Vielleicht bist du gerade deswegen rassistisch, weil es natürlich in der Gesellschaft,
01:08:02
in dem Fernsehen, was es in dieser Sprache gibt, in den Büchern, die es in dieser Schule gibt,
01:08:05
das, was deine Eltern und Großeltern gelernt haben, natürlich auch diese rassistischen Bilder hat.
01:08:10
Und genauso, es gibt paar Formen, auch Antischwarzer Rassismus,
01:08:13
der durchzieht sich leider nicht nur im deutschen Bildungssystem und in der deutschen Geschichte.
01:08:17
Natürlich kann auch jemand, der einen französischen Migrationshintergrund hat,
01:08:20
die haben ganz Afrika kolonialisiert.
01:08:22
In deren Büchern stehen ganz schlimme Dinge über schwarze Menschen drin.
01:08:25
Und das hat wahrscheinlich deine Mutter, deine Oma oder dein Großvater auch aufgeschnappt.
01:08:29
Das heißt, also das ist so irrelevant, ob du jetzt einen Migrationshintergrund hast oder nicht.
01:08:34
Ja, nur der Vollständigkeit halber, das waren natürlich nicht nur die Franzosen,
01:08:37
aber ich weiß total, was du meinst.
01:08:40
Nur weil du auch nicht aus dem Land kommst, in dem du gerade bist, heißt das halt nicht,
01:08:44
dass du nicht vorher von anderer Seite auch mal rassistische Gedanken mitgegeben bekommen hast
01:08:49
oder man irgendwie so geprägt wurde.
01:08:52
Und Malcolm im Fall von Marwa, da haben die Medien auch von dem sogenannten Fremdenhass geschrieben.
01:08:58
Das fand ich auch völlig verwirrend, weil Marwa war ja nicht mehr oder weniger fremd als ihr Mörder.
01:09:04
Und es geht ja auch gar nicht darum, dass jemand fremd ist oder nicht,
01:09:07
weil wenn Marwa jetzt Deutsche gewesen wäre, also deutsche Staatsbürgerin und nicht ethnisch deutsch oder so,
01:09:13
dann wäre sie trotzdem zum Opfer gefallen, weil es nicht darum geht, ob jemand fremd ist oder ob jemand Ausländer ist,
01:09:18
sondern ob er in seinen Augen einer niederen Rasse angehört.
01:09:22
Und diese ganze Debatte um Rassismus und Rassen ist natürlich wahnsinnig unangenehm für uns in Deutschland.
01:09:28
Man möchte diese Begriffe nicht benutzen, aber du musst das Kind beim Namen nennen.
01:09:32
Es geht hier wirklich um blanken Rassismus.
01:09:34
Es geht hier um Menschen, die das Gefühl haben, sie gehören der Herrenrasse an
01:09:39
und sie werden irgendwie überflutet mit Menschen, die niedrigeres, schlechtes Erbgut haben
01:09:45
und von denen muss man sich entsorgen.
01:09:47
Und das hat ganz, ganz gefährliche Ausmaße, weil Menschen, die eigentlich bedroht sind,
01:09:52
denen es schlecht geht, die in einer schwachen Position sind,
01:09:56
zu animalischen Monstern stilisiert werden, die dich umbringen.
01:10:00
Wir haben gerade auch darüber gesprochen, dass man mit dem Fall hier in Deutschland nichts zu tun haben wollte
01:10:05
oder so den weggeschoben hat, weil der Täter ja quasi auch fremd in Anführungsstrichen war,
01:10:11
weil er ja nicht in Deutschland geboren wurde, obwohl er den deutschen Pass hatte.
01:10:16
Das ist ja das klassische Rosinenpicken.
01:10:19
Also wenn dieser Jascha jetzt was richtig Geiles gemacht hätte oder zum Beispiel die von Biontech,
01:10:25
die Erfinder, die türkische Wurzeln, dann sind sie Deutsche, made in Germany, das ist unser Deutscher bliblablub.
01:10:32
Aber wenn diese Person dann Scheiße baut und Leute umbringt, ach, das sind die fremden Kulturen,
01:10:37
das sind die anderen, die etwas machen.
01:10:39
Das heißt, der Rassismus ist auch flexibel.
01:10:41
Ihnen gelingt es, sich immer so zu winden, wie es gerade passt.
01:10:45
Da gibt es ein ganz lustiges Beispiel.
01:10:47
In Ostafrika, heute Äthiopien oder Eritrea oder so, da gab es ganz viele Hochkulturen und Schriften und was auch immer.
01:10:56
Aber die Menschen waren schwarz.
01:10:58
Und dann dachten sich die Rassisten, ja, aber das geht nicht, das sind doch schwarz,
01:11:02
die können doch keine, die können doch nicht Pyramiden in Sudan haben und so.
01:11:05
Und dann haben die sich die Hamitentheorie ausgedacht und haben gesagt, das sind verbrannte weiße Leute,
01:11:09
die einfach von der Sonne so braun geworden sind.
01:11:11
Also das zeigt, wie absurd das ist.
01:11:14
Oder in der Evolutionstheorie war es erst so, dass man dachte, der erste Mensch war weiß und vollkommen
01:11:20
und dann ist ja immer wer schlechter geworden und degeneriert und schwarz geworden.
01:11:23
Als dann rausgekommen ist, dass der erste Mensch schwarz war, hat man sich umgedreht.
01:11:27
Nein, nein, nein, dann war er noch nicht vollständig und musste erst mal zu seiner vollkommenen Fassung werden.
01:11:32
Das heißt, der Rassismus ist so irrational und sucht sich das immer genauso aus, wie es funktioniert.
01:11:38
Und er macht dich zum Deutschen, wenn du dich gut verhältst und wenn du gut bist und wenn du schlecht bist,
01:11:42
dann bist du kein Deutscher.
01:11:43
Dieser Jascha war ein deutscher Staatsbürger, hat in Deutschland gelebt und dann musst du durch gute Zeiten
01:11:48
und durch schlechte Zeiten mit deinen Mitbürgern und Mitbürgerinnen.
01:11:51
Die beiden Fälle, die wir jetzt erzählt haben, Paulina und ich, das waren welche, in denen zwei Personen
01:11:57
politischen Straftaten zum Opfer gefallen sind.
01:11:59
Aber Rassismus hat ja nicht nur zu Einzeltaten geführt.
01:12:03
Diese wissenschaftlich widerlegte, falsche Rassentheorie war ja eigentlich verantwortlich für die größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte.
01:12:12
Also Kolonialismus, 400 Jahre Sklaverei, Völkermord, Holocaust, Apartheid und so weiter.
01:12:19
Dieser Gedanke der weißen Überlegenheit ist ja eine Pseudo-Fantasie, eine pseudowissenschaftliche Fantasie,
01:12:26
mit der man die europäischen christlichen Gesellschaften legitimieren konnte, warum haben sie denn Menschen versklavt.
01:12:33
Weil damals waren die Leute, als es den Kolonialismus gab, die Apartheid, haben sich als Christen verstanden.
01:12:38
Aber in der Bibel steht nicht, dass du Menschen umbringen sollst.
01:12:42
Und dann haben sie sich gedacht, aber was ist, wenn es keine richtigen Menschen sind, sondern eigentlich nur Untermenschen?
01:12:48
Dann ist es doch eigentlich okay.
01:12:49
Und so ist eigentlich der Rassismus entstanden.
01:12:52
Also der Rassismus gab es schon, bevor es irgendwelche Gruppen gab.
01:12:57
Der Rassismus ist erfunden worden, damit man verschiedene Gruppen kreieren kann.
01:13:01
Ja, und auch heute haben wir in Deutschland ja noch mit Rassismus zu kämpfen.
01:13:05
2020 gab es 84 Angriffe zum Beispiel auf Flüchtlingsheime.
01:13:11
Und das mit unserem Background, den wir als Deutsche ja haben und auch den Debatten, die immer wieder kommen.
01:13:17
Also als letztes war ja die Debatte richtig groß und laut, als George Floyd getötet wurde.
01:13:25
Malcolm, kannst du dir erklären, wieso wir das als Gesellschaft, trotz unseres Backgrounds, trotz der Debatten, die wir ja immer mal wieder führen, es nicht schaffen, dass sich da langfristig was verändert?
01:13:38
Also ich habe mich damit auch mal auseinandergesetzt und dafür recherchiert.
01:13:43
Ich habe da einen Text für Zeit Online geschrieben und da habe ich mit Historikerinnen gesprochen.
01:13:47
Und wir sind ja eigentlich sehr stolz in Deutschland auf unsere Erinnerungskultur und dass wir sozusagen die Zeit des Nationalsozialismus so gut aufarbeiten.
01:13:57
Aber eigentlich ist dem überhaupt nicht so.
01:13:59
Also erstens wissen wir zum Beispiel gar nicht, wir haben es jetzt schon erwähnt, aber es sind ja zum Beispiel auch 1,5 Millionen Roma und sind hier gestorben oder eine halbe Million bis 1,5 Millionen Menschen.
01:14:10
Und man denkt immer in der Schule, also zumindest ging es mir so, das waren, die wurden halt so mit Z bezeichnet und ich dachte, das sind so wandernde, rumstrawandelnde Leute.
01:14:19
Ich wusste nicht, dass es eine ethnische Gruppe ist, die ihre Wurzeln in Südasien hat, die einfach eine andere Herkunft hat, das wusste ich nicht.
01:14:26
Und genauso wusste ich auch nicht genau, ich wusste zwar, dass 6 Millionen Juden gestorben sind, aber was Antisemitismus wirklich ist, wie der funktioniert, was es für Vorurteile gibt, warum die letzten Endes getötet worden sind, das wurde uns auch nicht erklärt.
01:14:41
Und wir sind so stolz auf diesen Schuldkult sozusagen, dass wir gar nicht lernen, dass es noch lange erstens nicht gut ist und auch nicht genug ist.
01:14:49
Und ich glaube, das gibt uns das Gefühl, wir haben doch schon alles erledigt.
01:14:52
Einmal im Jahr machen wir den Gedenktag, never forget.
01:14:55
Und dadurch haben wir gar keinen Raum mehr und gar keine Energie mehr, um zu sagen, nein, nein, nein, wir sollten mal wirklich, wie funktioniert Antisemitismus, wie funktioniert Rassismus gegen Romnia und Sintetze und wie funktioniert auch Rassismus allgemein?
01:15:09
Als ich mich jetzt auf die Folge vorbereitet habe bei der Recherche, ist mir das dann auch sehr schwer gefallen, mit so viel Ungerechtigkeit umzugehen.
01:15:16
Und da habe ich auch gemerkt, dass ich mich eben nicht so gerne mit dem Thema Rassismus beschäftige, was ja ein Problem ist als weiße Person.
01:15:26
Hast du auch das Gefühl, dass sich weiße Menschen zu wenig vielleicht dafür interessieren oder einsetzen generell?
01:15:35
Das ist schwierig, das pauschal zu sagen, aber ich glaube natürlich, dass wenn manchen Leuten fehlt die intrinsische Motivation, was bedeutet das?
01:15:44
Also sozusagen, dass du von innen heraus eine Erfahrung machst, die dich aktiviert oder die den Gärungsprozess lostretet oder die dir so diesen Trigger-Moment gibt, okay, jetzt setze ich mich dafür ein.
01:15:56
Das ist halt wie bei vielen Themen, wenn du keine Behinderung hast, dann setzt du dich auch wahrscheinlich seltener ein für die Rechte von blinden Menschen oder von Menschen im Rollstuhl, weil du teilweise das gar nicht siehst.
01:16:07
Du hast den Luxus, das komplett auszublenden.
01:16:09
Ja, und das ist ja ein Problem, weil ohne die deutsche Mehrheitsbevölkerung kann man dem Rassismus ja nicht begegnen, aber die meisten werden ja solche Trigger-Erfahrungen gar nicht erleben.
01:16:19
Ich glaube, dass man zum Beispiel, wenn jetzt jemand davon erzählt, dass man das ernst nehmen sollte und dieser Person glauben sollte, keiner möchte sich auf Spaß sowas erzählen.
01:16:29
Wenn jemand zu dir kommt und sagt, hey, das war rassistisch oder das hat mich verletzt, ist glaube ich das Erste so, okay, I see you, ich gebe dir Vertrauensvorschuss, ich glaube dir jetzt erstmal.
01:16:40
Warum sollte die Person denn lügen? Welchen Grund hat sie denn? Was bringt das denn? Wer will sich denn mit so einer Erfahrung schmücken? Ist ja wahnsinnig verletzend.
01:16:46
Und ich glaube, das ist schon mal der erste Schritt, dieses Anerkennen und nicht so in Argumentationen verfallen.
01:16:54
Ich glaube auch, dass es mittlerweile in Deutschland genug Möglichkeiten gibt, wenn du keine Bücher lesen magst, dann kannst du Podcasts hören, wie den unseren oder anderen Podcasts, die es gibt.
01:17:04
Und da kannst du ganz umsonst einfach mal zuhören und dann auch merken, oh, stimmt, vielleicht habe ich sowas auch schon mal gemacht und dann nächstes Mal drauf achten.
01:17:13
Ich lerne auch immer wieder Sachen dazu.
01:17:14
Ja, also in unserem Podcast hier sind wir ja auch immer voll bedacht darauf, niemanden zu verletzen und alle zu inkludieren.
01:17:21
Wiederum, manche Menschen wissen oder sagen immer, dass sie ja gar nicht mehr wissen, was jetzt eigentlich noch erlaubt ist und was man sagen darf und was nicht.
01:17:31
Das erlebe ich bei Menschen, die außerhalb meiner Bubble sich bewegen.
01:17:35
Für die, die das bisher nicht geschafft haben, sich selbst darüber zu informieren, weil ich das Gespräch auch neulich erst wieder mit einer Person hatte, kannst du uns einmal erklären, weil Laura hat das in ihrem Fall ja auch so gesagt, warum man nicht mehr das N-Wort sagt und wenn man es sagt, wem ist es vorbehalten, das zu sagen?
01:17:54
Dieser Begriff ist entstanden in einer Zeit oder wurde auch benutzt in einer Zeit, in der, wir bleiben jetzt zwar nur in Deutschland, lassen wir mal nur, weil es viele Leute gehen immer in die USA, wir bleiben mal nur in Deutschland.
01:18:05
Vor, ich weiß nicht, in den 40ern, 30ern hat man diesen Begriff verwendet und in der NS-Zeit gab es ja die Nürnberger Rassengesetze und da waren N-Wörter keine vollwertigen Menschen.
01:18:19
Sie sind auch in KZs verbrannt worden, also es wurden nicht nur Juden und Roma und Sinti und Homosexuelle, sondern auch schwarze Menschen sind dort gelandet und gestorben.
01:18:27
Viele von ihnen mussten fliehen.
01:18:29
Dieser Begriff bezeichnet keine Menschen, er bezeichnet eine niedere Rasse, die eliminiert werden muss.
01:18:35
Das heißt, in der Kontext, in dem dieser Begriff entstanden ist, wie er benutzt wird, also es gibt so ein Lied wie N-Wort, putz mir die Schuhe oder wenn du sagst, hey, kannst du mir mal Wasser bringen, dann höre ich das auch, ich bin doch nicht dein N-Wort.
01:18:47
Auch der Schokoschaumkuss, der N-Wortkuss ist exotisierend, es hat ja auch eine sexistisch sexualisierende Komponente und diese Geschichte, die schwarze Menschen auch haben, dass sie auf ihre sexuelle Natur reduziert werden, gibt es auch.
01:19:01
In deutschen Zoos wurden schwarze Menschen aus Afrika und auch aus den heutigen Gebieten um Australien ausgestellt, in Hamburg.
01:19:09
Da gab es Menschenausstellungen, auch in München bei uns, weil man dann ihre dicken Ärsche und ihre Körper, ihre Lippen analysiert hat.
01:19:17
Und in so einem Gedanken ist auch diese Schokospeise entstanden, weil man schwarzen Menschen konsumiert wie eine Ware, man käme ja gar nicht da drauf.
01:19:27
Irgendwie solche Assoziationen, irgendwie, ach, deine Haut ist so weiß wie rohes Hühnchen oder wie, keine Ahnung, vergorene Milch oder wie Joghurt oder so, das macht man ja nicht bei weißen Menschen.
01:19:40
Aber bei schwarzen Leuten gibt es alles, von Kakao bis Mokka bis Schokolade bis blablabla, was ich nicht alles gehört habe.
01:19:46
In all diesem Kontext ist dieses Endwort verwendet und benutzt worden.
01:19:50
Das größte Argument ist einfach, wie es benutzt wurde, in welcher Zeit es in Deutschland benutzt wurde und wofür es steht.
01:19:57
Also ich finde es einen ganz schlimmen Begriff, wenn schwarze Menschen selber diesen Begriff so benutzen.
01:20:04
Das ist hier so ein bisschen vergleichbar, über deine eigene Mama kannst du lästern oder über deine Schwester oder so oder ihr vielleicht übereinander, aber ich kenne euch jetzt noch nicht so gut.
01:20:13
Und bevor ich jetzt voll dir, Laura, über Paulina lästere, dann sagst du auch so, wenn dann ich, aber nicht du, du kennst sie dir auch gar nicht so gut.
01:20:21
Das würde ich dir auch nicht raten.
01:20:24
Und das ist genau dasselbe Prinzip, also wenn man unter sich sagt, keine Ahnung, wenn sich dicke Menschen mit dicken feindlichen Begriffen irgendwie umeinander werfen, dann ist es ihre Art, damit umzugehen.
01:20:34
Aber ich finde es dann nicht angemessen, als schlanker Mensch dann da irgendwie reinzugrätschen.
01:20:39
Es ist ja auch einfach kein Argument zu sagen, ja, aber ich meine das ja gar nicht abwertend oder rassistisch.
01:20:45
Das geht mir halt auch so wahnsinnig auf die Nerven, diese Befindlichkeit, seine eigenen Verhaltensweisen zu ändern, weil man es ja gar nicht so meint.
01:20:52
So kann sein, aber wir sind im 21. Jahrhundert und man muss Dinge anders machen.
01:20:57
Das ist auch in der Soziologie natürlich eine typische Verhaltensweise von so einer Dominanzgruppe.
01:21:02
Also wir haben ja auch den Fall von dem Mörder von Marwa El-Sherbini, der kommt ja nicht, kommt nicht darauf klar, dass er jetzt 300 Euro zahlen muss.
01:21:08
Der war so, nein, wer bist du, wer bist du, kleine Muslime, dass du mir jetzt sagst, was ich zu machen habe.
01:21:15
Und ich glaube, es ist eine ähnliche Dynamik.
01:21:16
Wer bist du, dass ich jetzt nicht, ich bin hier in Deutschland und ich sage, was ich will und du kannst mir gar nichts wegnehmen.
01:21:22
Und ich zum Beispiel, der ich natürlich Rassismus erlebt habe, habe schon ganz ruhig gemerkt, es gibt manche Dinge, die kann ich nicht machen.
01:21:28
Das kommt vielleicht nicht so gut, nicht so aggressiv, nicht so laut rüberkommt, weil dann könnte ich Probleme bekommen.
01:21:33
Oder als Frau merkst du nicht Beine breit oder vielleicht nicht so rülpsen oder meine Haare nicht so viel Raum einnehmen.
01:21:40
Weil so, und wenn Männer dann einmal damit konfrontiert werden, kannst du mal eine Pille nehmen oder so.
01:21:45
Nee, nein, warum sollte ich mich jetzt in meiner Freiheit einschränken?
01:21:48
Und das ist so, ja, Frauen haben das schon die ganze Zeit gemacht.
01:21:51
Und ich glaube, das ist dieses, man ist dann so auf einmal, man denkt, Gleichberechtigung ist Unterdrückung.
01:21:57
Man nimmt diesen einen kleinen Kompromiss, den du machen musst, direkt als Unterdrückung wahr.
01:22:02
Ja, genau. Also es geht ganz oft um uns, wir, unsere Kultur, unsere Identität und alles andere ist fremd.
01:22:10
Das ist übrigens auch so ein Wort, was man ja nicht mehr sagen soll, zu Recht finde ich auch, Fremdenhass.
01:22:16
Weil damit distanziert man sich ja von den Menschen, in diesem Fall von den Opfern, schon wieder so.
01:22:22
Die sind Fremde und die gehören nicht zu uns.
01:22:25
Genau, und es spielt mit diesem, naja, es gibt so viele Fremde hier und deswegen hat man da so einen Hass gegenüber diesen Leuten.
01:22:35
Und es rationalisiert das ja auch so ein bisschen, weil die Angst vor dem Fremden, das ist etwas, was wir aus der Küchenpsychologie kennen, die hat doch jeder.
01:22:42
Man hat doch, was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht.
01:22:46
Und das, nein, erstens, der Bauer kennt das schon sehr gut, weil er schon hunderte Vorurteile hat, also er kennt es nicht gut, aber er denkt es zu kennen.
01:22:53
Und zweitens, es geht nicht darum, weil es gibt eben auch Leute, die kennt er nicht gut, die kommen erst seit kurzem her und die erleben diese Sachen nicht.
01:23:02
Es hat nichts mit der naturgegebenen Angst vor dem Fremden zu tun, weil das höre ich auch oft an.
01:23:08
Genau, das ist die sogenannte Xenophobie und die wird immer oft angeführt so von wegen, naja, wir haben uns früher ja schon immer in Stämmen zusammengeschlossen, um eben überlebensfähig zu sein, um uns von anderen Stämmen abzugrenzen, um mit denen nur in unserem Stamm das Essen zu teilen und all das.
01:23:23
Und das ist, also es ist auch gar nicht so, dass das genetisch irgendwie übertragbar wäre.
01:23:27
Das ist nichts, kein geschlossenes System, womit man nicht heute mit ein bisschen Education oder so gegenwirken könnte, ja.
01:23:36
Erstens das und zweitens ist es aber auch so, dass sich dann so vorgestellt wird, als gäbe es so ein reines, unbeflecktes Deutschland, wo die Deutschen die reines Erdgut haben und dann der Rest kommt irgendwie dazu.
01:23:49
Aber jüdische Menschen, schwarze Menschen, wie gesagt, Roma und Sinti, Sorben, Friesen, so viele Völker leben nicht seit 60 Jahren, seit 100 Jahren, sondern seit 700, 800 Jahren auf dem Gebiet, was wir heute Deutschland nennen.
01:24:05
Und ich glaube auch nochmal, was du sagst mit der Xenophobie, natürlich gibt es so etwas auch, also es gibt auch diese Angst vor dem Fremden, aber die äußert sich ganz anders.
01:24:13
Also wenn ich jetzt als Ausländer nach, in ein anderes Land gehe, sei das jetzt zum Beispiel Ghana oder so, dann merke ich schon, dass ich halt fremd bin, aber ich werde nicht abgewertet.
01:24:27
Ich bin halt einfach nur fremd, ich bin ein anderer, ich bin jemand, den sie nicht kennen.
01:24:31
Sie stellen neugierigere Fragen, aber die werten mich nicht ab.
01:24:34
Aber in Deutschland, obwohl ich nicht fremd bin, werde ich abwertend gefragt, stimmt es, dass ihr alle so stinkt?
01:24:42
Du bist aber klug für einen Schwarzen, du kannst aber gut Deutsch sprechen.
01:24:46
Das bedeutet, es geht nicht wirklich darum, es ist eigentlich schon legitim, fast schon zu sagen, Unterschiede zu erkennen.
01:24:53
Das ist ja okay, wir haben Unterschiede, aber wenn du dann eine Werte daraus ziehst oder jemanden schlechter oder besser machst, dann fängt das Problem an und dann ist es Rassismus und nicht Fremdenfeindlichkeit.
01:25:05
Und es ist ja jetzt auch ein großer Unterschied, ob man jetzt Angst vor etwas Neuem hat, was man nur noch nicht kennt oder halt Berührungsängste oder dem Neuen direkt Hass entgegenbringt.
01:25:16
Also ich habe wirklich eine ganz unangenehme Geschichte, die ich jetzt erzählen würde.
01:25:19
Ich dachte, ich teile die jetzt einfach mal.
01:25:22
Oh Gott, es ist unangenehm.
01:25:23
Also es ist jetzt einmal, um zu zeigen, dass die Erziehung halt auch sau wichtig ist.
01:25:28
Also ich war früher ja viel bei so Tageseltern.
01:25:31
Und bei der einen Tagesmama, da gab es halt einen schwarzen Jungen, der hieß Kobi.
01:25:36
Und als meine Mama mich dann da das erste Mal abgesetzt hat und ich Kobi das erste Mal gesehen habe, habe ich halt angefangen zu weinen.
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Und ich meine, das, weil ich, also ich möchte wirklich, bin ich der Meinung, dass das ja in dem Moment, ich als kleines Mädchen irgendwie von drei, vier Jahren oder so, habe ja noch nicht diese ganzen politischen, kulturell rassistischen Hintergründe erfahren und so.
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Also ich habe einfach das erste Mal ein schwarzes Kind gesehen, weil ich das in den Büchern nie gesehen habe.
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Ich habe es in den Filmen wahrscheinlich vorher irgendwie nie gesehen.
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Und wenn, dann hat es halt, okay, vielleicht habe ich es bei Pippi Langstrumpf irgendwie mitbekommen.
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Aber das finde ich schon irgendwie erschreckend eigentlich, dass wenn, also das auch, nee, ich finde es gar nicht erschreckend, aber ich finde, daran sieht man eigentlich, dass Eltern einen ganz großen Teil dieser Verantwortung haben, dass man eben Kinder vorbereitet irgendwie, dass alle Menschen gleich sind und so.
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Und wenn sie es nicht machen, dann führt das halt eben zu solchen Reaktionen und der arme Kobi sitzt da und weiß ja gar nicht, wie dem geschieht, ja.
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Ja, das ist, und ich habe auch mal im Kindergarten gearbeitet.
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Einer hat sich den Finger abgeschleckt und wollte meine Haut so abmachen, weil er dachte, das ist, ich bin, ich bin so schmutzig oder sowas.
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Also das ist manchmal einfach auch im frühen Alter, aber ich glaube, bei deiner Situation, man ist ein Kind, man darf, man muss einfach drüber reden und dann lernt man solche Sachen.
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Ja, also meine Eltern haben das schon versucht, also mir zu zeigen, dass es andere Hautfarben gibt.
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Das ist aber irgendwie nach hinten losgegangen.
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Und zwar haben die mir zu Weihnachten, als ich, keine Ahnung, vier war oder so, eine Babyborn geschenkt, die schwarz war.
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Und als ich diese Puppe ausgepackt habe, habe ich sofort angefangen zu weinen.
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Ja, und ich habe also geheult und meine Eltern haben dann aber falsch reagiert.
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Also anstatt, dass sie ihren Lehrauftrag durchziehen, haben die dann einfach gesagt,
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oh, ups, das haben wir gar nicht gesehen.
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Da war es so dunkel im Spielwarengeschäft.
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Also, weiß ich nicht, was, also würde ich jetzt heutzutage anders machen, aber ich meine, sie haben es wenigstens probiert, ne?
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Und ich habe auch irgendwann mit der Puppe gespielt.
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Hast du deinen Freundinnen dann erzählt, dass du die adoptiert hast?
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Ich finde die Story mit dieser Babyborn richtig cool.
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Aber ich finde, und das wird es unabhängig von dir, ich möchte das jetzt nicht an Einzelpersonen festmachen,
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wenn du dann so nicht nur auf eine Puppe reagierst, zum Beispiel auf mich oder auf andere Kinder
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und dann fangen die an zu weinen oder angsterfüllt zu sein,
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dann ist das natürlich traumatisierend für Kinder oft, also die betroffenen Kinder, nicht für die weißen Kinder.
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Und zusätzlich ist es so, dass es auch eigentlich davon zeugt,
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dass Kinder schon sehr früh und sehr schnell rassistische, sexistische Vorurteile aufschnappen
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und dass man auch nicht früh genug anfangen kann, da bewusst sich mit auseinanderzusetzen,
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zumindest als Elternteil und die Kinder da sensibel für solche Dinge zu machen.
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Also das ist leider, oft denkt man, das ist irgendwie harmlos und man kann ja nichts dafür
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und du kannst als Kind nichts dafür, aber dennoch kann es sein, dass man irgendwas im Fernsehen gesehen hat
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oder irgendeine komische Karikatur in einem Malbuch gelesen hat und deswegen dann auch bei einer Babyborn anfängt zu weinen.
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Studien belegen, dass bei Kindern diese rassistischen Vorurteile vor allen Dingen so mit 5, 6 sehr ausgeprägt sind
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und auch dann wieder in der Pubertät.
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Und zwar also immer in so Phasen, in denen Kinder oder Jugendliche ihren Platz in der Gesellschaft suchen
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und sich ihre Identität ausbilden, indem sie ja auch sich von anderen abgrenzen.
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Und da muss man auch aufpassen, weil solche Kinder und Jugendliche, die sind dann halt auch anfälliger für rechte Ideologien.
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Malcolm, ich würde mit dir gerne noch einmal über mein Lieblingsthema sprechen.
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In Deutschland, da haben wir ja im Strafrecht keine Hasskriminalität, wie das jetzt beispielsweise manche andere Länder eingeführt haben,
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um die Schwere solcher Taten auch im Strafmaß wieder zu spiegeln.
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Bei uns kann eine Tötung aus rechtsradikalen Motiven aber trotzdem mit der maximalen Freiheitsstrafe geahndet werden.
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Zum Beispiel dann, wenn die Tat aus einem niedrigen Beweggrund begangen wurde.
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Deswegen wird sie dann zum Mord.
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Dafür muss das rassistische Motiv dann aber im Vordergrund gestanden haben.
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Also es reicht nicht aus, wenn Hass oder Vorurteile gegen MigrantInnen oder Leute mit einer bestimmten Religion,
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wenn das zwar da war, aber nicht ausschlaggebend war für die Tat.
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In den USA kann bei einer Tat, die aufgrund solcher Vorurteile begangen wurde, der Strafrahmen aber viel höher sein,
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als wenn dieselbe Tat aus anderen Motiven begangen wurde.
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Weil das dann halt eben ein sogenanntes Hate Crime ist.
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So gibt es das in Deutschland nicht.
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Würdest du dir das wünschen?
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Ich könnte mir vorstellen, dass für eine Anwältin oder einen Anwalt das natürlich nützlich und hilfreich ist,
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wenn es so etwas gibt wie Hasskriminalität im deutschen Justizsystem.
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Und insofern, ja, kann man das eigentlich befürworten, dass wenn eine Tat aufgrund von einer Hassideologie geschieht,
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dass man dann mehr Möglichkeiten und Instrumente hat, noch härter, noch schärfer dagegen vorzugehen,
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weil solche Ideologien brandgefährlich sind, Menschenleben kosten.
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Und dann muss auch eine demokratisch-freiheitliche Gesellschaft, die sich klar gegen diese Diskriminierungen und Menschenrechtsverletzungen stellt,
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auch ermöglichen, dass man juristisch dagegen vorgehen kann.
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Und insofern finde ich, wenn man ein gutes Konzept dafür entwickelt,
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eine Art Strafrahmen oder eine Art, ja, Konzept von Hasskriminalität auf offizieller Ebene etwas sehr Spannendes und Gutes.
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Also in Deutschland ist es schon so, dass man die Taten, die aus rassistischen Gründen geschehen, auch härter bestrafen kann.
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Das kann man mit dem Paragraf 46.
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Da geht es dann nur um diese Strafzumessung.
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Da steht aber dann nur, dass das Gericht halt bei seiner Entscheidung das berücksichtigen soll, und zwar strafverschärfend.
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Aber da steht jetzt nicht irgendwie, dann gibt es das und das.
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Und das ist natürlich dann auch immer sehr Auslegungssache.
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Mit Straftaten beschäftigt ihr euch ja auch in eurem Podcast Kanakische Welle.
01:32:04
Und das interessiert bestimmt dann auch viele von unseren HörerInnen.
01:32:07
Deswegen erzähl doch mal, was ihr da vorhabt oder was ihr da schon gemacht habt.
01:32:11
Genau, Kanakische Welle ist auch ein Podcast von Funk.
01:32:14
Wir beschäftigen uns zweimal im Monat mit dem Thema Identität im Einwanderungsland Deutschland.
01:32:19
Und wir haben uns auch mal ein True Crime gewagt.
01:32:22
Und zwar haben wir einen rassistischen Terroranschlag aufgearbeitet in München.
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Der passierte vor circa fünf Jahren, ein bisschen mehr als fünf Jahren.
01:32:32
Da hat ein Mensch, mehrere Menschen in einer McDonald's niedergeschossen.
01:32:37
Und der hatte auch eine zutiefst rassistische Gesinnung.
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Und ganz frisch haben wir uns jetzt auch beschäftigt mit sehr, ja, sehr heiklem Thema, sogenannte Ehrenmorde.
01:32:47
Wir sind auf Ehrenmorde eingegangen, weil mir persönlich in meinem Bekanntenkreis, Familienkreis, ich bin mit einer Person verschwägert, die leider ihr Leben verloren hat, weil sie mit den Sitten der Zucht gebrochen hat.
01:33:00
Sie hat die Ehre ihrer palästinensischen Familie beschmutzt und musste den teuersten Preis dafür zahlen.
01:33:06
Wir beschäftigen uns da ausführlich mit dieser Ideologie, die auch hinter Frauenhass steht.
01:33:12
Also warum Frauen auch gefährdet sind für ihre Sexualität, für ihre Körper, für ihre Freizügigkeit mit ihrem Leben, mit ihrer psychischen Gesundheit zu bezahlen.
01:33:21
Da haben wir mit einer Menschenrechtsaktivistin gesprochen.
01:33:23
Wir haben Betroffene gesprochen und darüber gesprochen, warum es dieses Phänomen gibt und wie man dagegen ankämpfen kann.
01:33:33
Und das ist unsere aktuellste Folge.
01:33:35
Die heißt Ehrenmorde und Slutshaming.
01:33:37
Bisschen Mordlust inspiriert.
01:33:39
Und da hast du mit unseren ZuhörerInnen bestimmt ein gut interessiertes Publikum.
01:33:45
Da sind viele dabei, die das interessant finden.
01:33:49
Kommt vorbei und zeigt, dass ihr von Mordlust kommt, indem ihr bei uns eine Rezension schreibt und sagt, ihr seid von Mordlust gekommen.
01:33:57
Dann wissen wir, wie stark die Mordlust-Community ist.
01:34:00
Und wenn ihr gerade dabei seid, dann bitte denkt auch daran, uns nochmal ein paar Sternchen zu hinterlassen und unseren Podcast zu abonnieren.
01:34:08
Egal auf welcher Podcast-Plattform ihr den hört.
01:34:10
Das hilft uns dabei, besser ausgespielt zu werden.
01:34:13
Malcolm, vielen Dank.
01:34:14
Wir danken dir beide ganz herzlich, dass du hier warst.
01:34:19
Hat super Spaß gemacht.
01:34:21
Und ich freue mich, dass ihr euch mit diesem Thema beschäftigt habt.
01:34:24
Das war ein Podcast von Funk.