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#86 Massenmord

Willkommen zurück. Freut ihr euch?
Ich mich schon, nicht? Doch.
Es ist viel passiert. Ich wollte eigentlich diese erste Folge des Jahres mit einer ganz tollen Neuigkeit anfangen,
weil ich gehört habe, dass ein mutmaßlicher Straftäter, über den wir mal gesprochen haben,
jetzt zur Verantwortung gezogen wird. Aber ich konnte diese Info leider nicht verifizieren.
Deswegen kann ich das jetzt leider doch noch nicht verkünden.
Oh Mann, sowas hasse ich. Ja, blöd, ne?
Ja, das machen auch viele InfluencerInnen immer. Ich habe ein ganz tolles neues Projekt,
aber darüber darf ich jetzt noch nicht sprechen. Das ist das Frustrierendste.
Das sind unsere Art von Projekten.
Eigentlich hasse ich solche Leute auch, weil dann denkt man doch immer, halt einfach dann die Gusche.
Ja.
Dann sag doch einfach nichts, weil dann fühle ich mich nicht getriggert. Also es tut mir sehr leid,
aber das sollte eigentlich der Anfang werden. Deswegen muss ich jetzt auf eine nur halb so gute Geschichte zurückgreifen.
Laura wollte unbedingt nochmal hören, dass ich ein Kind aus dem See gezogen habe.
Also ich war vor Weihnachten in einem Park mit Fussel und Fussels Papa und sehe auf so einem halb zugefrorenen Teich zwei Jungs spielen und die haben die Füße so über dem Teich hängen lassen.
Und als ich das gesehen habe, da kam mir sofort diese Folge Fahrlässigkeit in den Kopf, wo ich diesen Fall erzählt habe von diesen beiden Mädchen, die da eingebrochen sind in so einem Tümpel.
Und dachte mir noch so, also er wird ja jetzt wohl nicht, weil es war ein Tag vor Weihnachten und es war halt gar nicht kalt. Also war eigentlich eher mild.
Ja, und in dem Moment hebte sich der Po ab. Also dieser Junge stand nicht mal eine Sekunde da drauf, weil das so absurd war. Das war halt null zugefroren.
Also nur so ein ganz bisschen.
Naja, und dann sehe ich schon eingebrochen und der Rand von diesem Teich war aber so hoch, dass der da auch nicht mehr von alleine rausgekommen wäre.
Wie weit warst du da von weg von dieser Szenerie?
Oh, ich bin ja richtig schlecht mit Metern.
100?
Bist du dann dahin gesprintet?
Nee, vielleicht ist es doch ein bisschen zu weit weg.
50 bis 70 Meter vielleicht. Aber ja, also ich bin schon einen Weg gerannt.
Okay.
Krass schon.
Ja.
Naja, und dann habe ich halt so alle Sachen fallen lassen und bin, und Fussels Papa dachte so, was ist mit der jetzt?
Der hat das wahrscheinlich gar nicht gesehen, ne?
Und ich war, während ich gelaufen bin, so wütend, weil ich wollte an dem Tag wirklich nicht laufen, ne?
Und ich war so sauer auf dieses Kind, dass es mich jetzt laufen gemacht hat.
Und habe halt so währenddessen so einen vollen Wutanfall gemeint.
Das war doch klar, dass das einbricht, ne?
Naja, und dann habe ich den immer so rausgezogen.
Und dann gucke ich den so an und sein Freund war so völlig so, es hat den gar nicht interessiert.
Und dann meinte ich so, sind deine Eltern hier?
Und dann meinte der so, ja.
Ich so, gehst du jetzt bitte nach Hause?
Er so, okay.
Und das war's.
Und du so, kann hier jemand sehen, was für eine Heldentat ich vollbracht habe?
Nee, gar nicht.
Ich war einfach nur, ich war nur so genervt und war so, vor allem man sieht auch echt nicht geil aus,
wenn man in so einem dicken Mantel sprintet, ne?
Eigentlich dachte ich mir so, ich hoffe, es hat keiner gesehen.
Aber es ist schon irre, dass man gleich so diese Assoziation zu den Folgen hat, ne?
Dass die so präsent sind, gerade wenn Fälle einen so mitgenommen haben, dass man dann bei so einem Bild irgendwie sofort daran denken muss, ja?
Ja.
Was ist bei dir noch so passiert?
Also von sowas kann ich jetzt nicht berichten.
Ich habe noch nicht mal eine gute Tat vollbracht.
Doch, ich habe ja eine tolle Tat vollbracht.
Ich habe dir ja ein Weihnachtsgeschenk gemacht.
Ja, das stimmt, dass dieses Chloroformdöschen, in Anführungsstrichen, also warte, ich hole das kurz.
Das ist so groß wie Paulinas Kopf.
Das ist größer.
Also da steht drauf, minder giftig.
Aber da war mal ein anderer Aufkleber vorher noch drunter.
Also weiß man nicht, was für Spuren...
Oh, da steht doch...
Ach so, doch.
Ich sehe das von hinten.
Da steht auch Chloroform drauf.
Okay.
Abgefahren.
Also haben die Chloroform mit Chloroform überklebt.
Und du hast ja jemanden anderen geschickt, um das abzuholen.
Und der Verkäufer hat zu der Person gesagt, bitte nicht dran riechen.
Quatsch.
Ja.
Aber das ist doch sauber gemacht, oder?
Von innen.
Nicht dran riechen.
Ich rieche natürlich gerade dran.
Paulina kippt um.
Wir können diese Folge leider nicht mehr aufnehmen.
Sie endet hier.
Es riecht nicht so, als hätte da jemand sauber gemacht.
Sag ich mal so.
Schön.
Ich finde, das passt gut zu deiner neuen Wohnung.
Ja, und das passt auch gut zu diesem Podcast.
Und damit herzlich willkommen zu Mordlust, einem Podcast von Partner in Crime.
Daran müsst ihr euch jetzt gewöhnen.
Mein Name ist Paulina Kraser.
Und ich bin Laura Wohlers.
In jeder Folge gibt es ein bestimmtes Oberthema.
Zu dem wir zwei wahre Kriminalfälle nacherzählen, darüber diskutieren und auch mit Menschen
mit Expertise sprechen.
Wir reden hier auch ein bisschen lockerer miteinander.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass uns die Ernsthaftigkeit fehlt, sondern das ist für
uns immer so eine Art Comic Relief, damit wir zwischendurch auch mal aufatmen können.
Das ist aber natürlich nicht despektierlich gemeint.
Was auch nicht despektierlich gemeint ist, ist, dass wir jetzt in diesem Podcast auch Werbung schalten, weil
irgendwie muss man sich ja finanzieren.
Diese wunderbare Stimme, die spricht auch das Intro von Mordlust.
Und das ist keine von uns, weil das wurden wir schon öfter mal gefragt.
Das ist unsere Kollegin Anna Kreuzberg, die wir noch aus Frühstücksfernsehenzeiten kennen.
In unserer heutigen Folge geht es um das Thema Massenmord.
Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich Massenmord höre, dann denke ich erst mal an den Holocaust mit Millionen von Toten.
Aber laut Definition ist schon eine Tat mit vier Opfern als Massenmord anzusehen.
Also wenn sie alle an einem Ort getötet werden.
Masse hört sich jetzt auch nach wahnsinnig vielen Morden an.
Und es gibt diese Fälle natürlich auch, wo es etliche Opfer gibt.
Aber insgesamt machen Massenmorde nur unter einem Prozent aller Morde aus.
Also das passiert so selten, dass die polizeiliche Kriminalstatistik Massenmorde an sich jetzt nicht nochmal extra aufführt.
Verschiedliche Formen vom Massenmord allerdings schon.
Da gehe ich aber später in meinem Fall dann nochmal drauf ein.
In den USA sieht das etwas anders aus.
Da gibt es seit 2016 zumindest eine Datenerhebung, die Massenmorde abbildet.
Und die hat aber auch bis zurück in die 70er Jahre geschaut.
Und die hat gezeigt, dass das bis dahin stärkste Massenmordjahr in den USA 2019 war.
Und zwar mit 41 Massenmorden.
Jetzt nicht zu verwechseln mit diesem Mass-Shooting.
Also wo natürlich auch viel geschossen wird, aber dann vielleicht nicht unbedingt vier Leute umkommen.
Weil davon gibt es natürlich viel, viel mehr.
Aber bei diesen 41 Massenmorden, da kamen immerhin 210 Menschen ums Leben.
Da gab es ganz unterschiedliche Motive.
Und auch die Fälle, die wir heute mitgebracht haben, hatten ganz unterschiedliche Auslöser,
die dann zu den Massenhinrichtungen geführt haben.
Wir sagen ja immer Triggerwarnung in der Folgenbeschreibung.
Aber ich weiß von einigen von euch, dass die da nicht immer nachgucken und dann kalt erwischt werden.
Weil ich bei dem Thema, das jetzt kommt, selbst immer sehr emotional werde, sage ich jetzt gleich, worum es geht.
Und bestimmt haben viele von euch schon von den Auschwitz-Prozessen oder zum Beispiel vom Eichmann-Prozess gehört.
Aber von der Verhandlung, von der ich heute erzähle, wissen gar nicht so viele.
Dabei hatte sie die systematische Strafverfolgung der NS-Verbrechen in Deutschland erst so richtig in Gang gebracht.
Und das nicht etwa, weil 1958 hier besonders viele Menschen der Meinung waren,
man müsse die NS-Verbrecher zur Verantwortung ziehen,
sondern eigentlich einzig und allein wegen eines sehr dreisten Mannes.
Ulm, 1953.
Hier lebt Bernd Fischer mit seiner Frau und dem kleinen Sohn ein ganz normales Leben.
Für den Geschmack des 49-Jährigen ein bisschen zu normal.
Früher, vor und während des Krieges, war er nämlich einmal angesehener Polizeidirektor gewesen
und hatte sehr gutes Geld verdient.
Nicht so wie jetzt als Staubsauger-Vertreter.
Bernd Fischer will jetzt zurück in den Staatsdienst
und so bewirbt er sich Ende 1953 auf die Stelle des Leiters einer Geflüchtetenunterkunft,
in der mehr als 4000 sogenannte Heimatvertriebene aus Gebieten wie Ostpreußen, Pommern oder dem Sudetenland untergebracht sind.
Er kriegt die Stelle und blüht geradezu auf in seinem neuen Job.
In der Lokalpresse wird er gefeiert, dafür, dass er sich so engagiert sogar ein Planschbecken für die Kinder besorgt.
Ein paar Monate nach seinem Antritt prüft sein Arbeitgeber, wie Bernd Fischer im öffentlichen Dienst einzustufen ist,
da er ja zuvor bereits viele Jahre als Beamter gearbeitet hatte.
Doch bei diesem Backgroundcheck kommt heraus, dass sich der neue Leiter mit falschem Namen beworben hatte
und früher nicht bloß Polizeidirektor war, sondern auch SS-Offizier.
So einen Mann will man nicht als Aushängeschild für eine Geflüchtetenunterkunft
und so wird Bernd Fischer, der eigentlich Bernhard Fischer Schweder heißt,
trotz seiner gelobten Arbeit nahegelegt zu kündigen.
Widerwillig geht der dieser Bitte nach und bewirbt sich kurze Zeit später schon beim Regierungspräsidium Südbaden.
Wenn nicht als Lagerleiter, dann doch bitte als Polizist zurück in den Staatsdienst,
denkt sich Fischer Schweder und sieht sich im Recht,
als er sich bei der Bewerbung auf das Ausführungsgesetz beruft,
das die Wiedereinstellung der 1945 entlassenen Beamten regelt.
Doch es dauert nicht lange, da flattert eine Absage ins Haus.
Darüber und über seine Kündigung ist Fischer Schweder so wütend,
dass er vors Arbeitsgericht zieht, um seine Wiederbeschäftigung zu erzwingen.
Doch auch die Klage wird abgelehnt.
Verzweifelt verfasst Fischer Schweder einen Leserbrief an die Lokalzeitung,
um auf das Unrecht aufmerksam zu machen,
das ihm als, Zitat, ehrenhaftem Staatsbürger sowie Freund der Juden und Polen, Zitat Ende, gerade widerfährt.
Wow. Wow. Wow.
Ich kann's jetzt schon nicht fassen. Ich bin jetzt schon so sauer.
Diese Zeitung gerät unter anderem in die Hände eines Mannes,
der früher für Fischer Schweder gearbeitet hat.
Mit wachsender Empörung liest er den Leserbrief seines ehemaligen Vorgesetzten.
Denn dieser Mann weiß mehr über die Vergangenheit des SS-Offiziers
und meldet sich daraufhin bei der Zeitung.
Damit bringt er eine Kette in Bewegung,
an deren Ende eine Strafanzeige auf dem Tisch des Ulmer Staatsanwalts landet.
Die Ermittlungen gegen Bernhard Fischer Schweder beginnen
und was dabei in den nächsten Jahren an die Oberfläche befördert wird,
zeigt, wie astronomisch weit Fischer Schweders Selbsteinschätzung in seinem Leserbrief
von der Realität entfernt liegt.
Bernhard Fischer Schweder wird am 12. Januar 1904 in Spandau geboren.
Schon als Jugendlicher findet er Anschluss an Kreise der extremen politischen Rechten.
Mit 17 Jahren schließt er sich paramilitärischen Verbänden an,
die sich die Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg nicht eingestehen wollen
und sich schon auf einen neuen Krieg vorbereiten.
Mit 21 wird er dann Mitglied der NSDAP und deren Sturmabteilung, einer paramilitärischen Kampforganisation.
Von dort an geht es steil bergauf in der Nazi-Karriere.
Fischer Schweder schafft es in den nächsten Jahren bis zum SA-Oberführer und zum Kriminalkommissar in Breslau.
Im Oktober 1940 wird er dann als Polizeichef nach Memel geschickt.
Das ist eine Hafenstadt in Litauen, die die Menschen dort Claypeda nennen und die 1939 vom Deutschen Reich annektiert wurde.
Mit der Genehmigung des Reichsführers SS Heinrich Himmler wird Fischer Schweder 1941 in die SS übernommen und SS-Oberführer.
Wir erinnern uns, 1941 ist das Deutsche Reich mitten im Krieg und ab Sommer dabei, in die Sowjetunion reinzumarschieren.
Im Juni 1941 soll dann in Memel das Einsatzkommando Tilsit zur Unterstützung der Einsatzgruppe A aufgestellt werden.
Die Einsatzgruppen haben den Auftrag, die eroberten Gebiete zu, Zitat, säubern.
Es handelt sich also um mobile Tötungskommandos, die dem Herr hinterherreisen und Menschen anderen, vor allem jüdischen Glaubens, anderer politischer Ansicht oder auch Menschen mit psychischen oder physischen Behinderung töten.
Das Einsatzkommando Tilsit soll sich um das deutsch-litauische Grenzgebiet kümmern, damit die Einsatzgruppe A dem Herr auf den Fersen bleiben kann.
Deutsch-Litauisch ist die Grenze übrigens, weil zu dem Zeitpunkt Polen auch schon Teil des Deutschen Reichs war.
Zusammenstellen soll das Kommando der Memeler Gestapo-Chef Hans-Joachim Böhme.
Weil der aber nicht genug Männer hat, bittet er Bernhard Fischer-Schweder um Hilfe, der seine Polizisten dafür gerne bereitstellt.
Das erste Mal zum Einsatz kommt das Kommando am 24. Juni 1941 in der kleinen Stadt Garsten.
An diesem Tag werden dort unter Anweisung von Fischer-Schweder und Böhme 200 jüdische Männer und eine jüdische Frau erschossen.
Es ist der Beginn eines mehrere Monate dauernden Massakers, das das mobile Todeskommando in dem 25 Kilometer breiten Landstreifen verrichtet.
Und immer sehen die Einsätze ähnlich aus.
Männer, Frauen, Greise und auch Kinder werden aus ihren Häusern geführt und zu Hunderten in Kolonnen außerhalb der Ortschaft auf eine Wiese oder an einen Waldrand getrieben.
Dort müssen sie teilweise nackt ihre eigenen Massengräber ausheben, vor die sie sich dann gruppenweise aufzustellen haben.
Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen, wird gerufen, dann abgedrückt.
Diese unwahre Erschießungsformel hatte Fischer-Schweder vorgeschlagen.
Indem er seinen Leuten sagt, dass die Menschen, die sie erschießen sollen, die Wehrmacht angegriffen hätten,
will er ihnen das Töten erleichtern und der Sache einen militärischen Anstrich geben.
Wer nicht in die Grube fällt, muss von der nachfolgenden Gruppe in den Graben geworfen werden.
Wer nicht gleich stirbt, bekommt einen Gnadenschuss, so nennen es die Befehlshaber.
Diese gibt Fischer-Schweder auch höchstpersönlich ab.
Doch nicht immer wird mit Schusswaffen getötet.
Um Munition zu sparen, werden Frauen und Kinder auch mit Eisenstangen erschlagen.
Neben dem Massensterben lassen sich Bernhard Fischer-Schweder und die anderen in stolzer Pose fotografieren.
Danach betrinken sie sich in der Gastwirtschaft und bezahlen mit dem Geld, das sie ihren Opfern zuvor abgenommen haben.
So zieht das Einsatzkommando Tilsit durch das heutige Litauen und hinterlässt eine breite Blutspur.
5.502 Menschen werden durch die Gruppe bis September 1941 getötet.
Bis Ende des Jahres fallen allen Einsatzgruppen zusammen mehr als eine halbe Million Juden und Jüdinnen zum Opfer.
Nach der Auflösung des Kommandos im September 1941 bleibt Bernhard Fischer-Schweder noch ein Jahr lang in Memel,
bis er in die Ukraine abkommandiert wird.
1944 wird er zum SS-Untersturmführer befördert und 1945 als Kompanieführer zur 12. SS-Panzerdivision versetzt.
Dabei wird er am 11. April 1945 in Niederösterreich durch eine Granate verletzt und in US-amerikanische Gefangenschaft genommen.
Sechs Wochen später wird er entlassen, weil er seine frühere SS-Zugehörigkeit verheimlicht.
Nach seiner Entlassung und dem Ende des Krieges taucht Bernhard Fischer-Schweder in Deutschland unter und als Bernd Fischer wieder auf.
In seinem Meldebogen für die Entnazifizierung verschweigt er seine Vergangenheit und schafft es dadurch,
von der Spruchkammer Bad Neustadt an der Saale als nicht betroffen eingestuft zu werden.
Und so fängt Bernd Fischer ein neues Leben in Ulm an, gründet eine Familie und will eben irgendwann unbedingt wieder in den Staatsdienst zurück
und glaubt, dass das sein gutes Recht sei.
Wegen seines Engagements steht 1954 sein Name also auf einer Strafanzeige.
Doch bei der Staatsanwaltschaft Ulm erkennt man die Wichtigkeit dieser Anzeige nicht oder will sie nicht erkennen.
In Deutschland hat sich nämlich eingebürgert, die Verbrechen der Nazis lieber zu vergessen als zu verfolgen.
Und so schleppen sich die Ermittlungen über ein Jahr hin.
Als Bernhard Fischer-Schweder irgendwann selbst zu den Vorwürfen vernommen wird, belastet er sich aber so sehr,
dass er im Juni 1956 vorläufig festgenommen wird.
Doch in Haft sieht sich Fischer-Schweder natürlich gar nicht, weshalb er mehrere Haftbeschwerden einlegt.
So landet sein Fall schließlich auf dem Schreibtisch des Generalstaatsanwalts des Stuttgarter Oberlandesgerichts.
Der Generalstaatsanwalt erkennt schließlich die besondere Bedeutung des Falls und übergibt ihn dem Stuttgarter Staatsanwalt Erwin Schüle.
Ab da kommt Bewegung in die Sache und schnell merkt Schüle, dass er es hier nicht mit einem normalen Fall zu tun hat,
den er so angehen kann wie andere.
So setzt er durch, dass nicht nur die Vorwürfe gegen Fischer-Schweder zum Gegenstand der Ermittlungen gemacht werden,
sondern der gesamte Komplex der Verbrechen des Einsatzkommandos Tilsit.
In den Dokumenten aus den Nürnberger Prozessen von 1948 und den SS-Personalakten,
die die Amerikaner im Berlin Document Center zusammengetragen hatten,
findet Erwin Schüle so gut wie alles, was er braucht.
Denn die Blutspur, die das Kommando hinter sich hergezogen hatte,
hatten die damaligen Verantwortlichen gut dokumentiert.
Und zwar in den von ihr verfassten Einsatzmeldungen UDSSR,
in denen Tatorte und Opferzahlen genau genannt wurden.
Schüle wird es im späteren Prozess die Buchführung des Todes nennen.
Seitenlange Schriftstücke, die sich lesen wie ein nüchterner Bericht über einen Mastbetrieb.
Da wird von den Befehlshabern geschrieben, Zitat,
Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen,
vom Einsatzkommando erreicht worden ist.
Diese Berichte sind unglaublich wichtig für den kommenden Prozess,
denn ZeugInnen aufzutreiben, stellt sich als Problem heraus.
Überlebende Opfer gibt es so gut wie keine.
Und die Täter schweigen, um sich selbst nicht zu belasten oder andere nicht zu verraten.
Wieder andere begehen noch während der Ermittlung Suizid.
Diejenigen Verdächtigen, die gefunden werden können, führen ein schönes Leben.
Genau wie Bernhard Fischer Schweder leben sie unbehelligt mitten in der Gesellschaft.
Sie sind Handelsvertreter, Wirtschaftsjuristen, Verwaltungsangestellte,
Buchhalter, kaufmännische Angestellte, Optikermeister oder Kriminalsekretär.
Darunter auch Hans-Joachim Böhme, der Leiter des Einsatzkommandos.
Er lebt im August 1956 in Karlsruhe und arbeitet mit gefälschtem Doktortitel in einer Bausparkasse,
als zwei Beamten ihn verhaften wollen.
Nach kurzer Vernehmung gibt Böhme seine Beteiligung zu.
Als die Polizisten dann kurz den Raum verlassen, um mit seinem Chef zu sprechen,
versucht Böhme aber, aus dem Fenster in den Tod zu springen.
Die Beamten können ihn gerade noch stoppen.
Daraufhin sagt der ehemalige Gestapo-Chef aus Memel,
ich wollte die Sache erledigen, ich kann es nicht ertragen.
Am Ende sind es zehn Männer, die auf der Anklagebank Platz nehmen müssen,
deren Namen immer wieder in den Unterlagen zu finden waren.
Es ist der erste große Prozess vor einem deutschen Schwurgericht,
der den Massenmord an jüdischen Menschen behandelt.
Am ersten Verhandlungstag, dem 28. April 1958,
verließ jetzt Oberstaatsanwalt Erwin Schüle die 247 Seiten lange Anklageschrift.
Den zehn Männern wird vorgeworfen, von Ende Juni bis Herbst 1941
entlang der deutschen Grenze auf litauischem Boden
auf Befehl an Massenmorden von jüdischen Menschen und kommunistisch verdächtigen Personen mitgewirkt zu haben.
Durch die ausführliche Anklageschrift wird die Nachkriegsgesellschaft mit grauenhaften Tatsachen konfrontiert
und deutlich gemacht, wie systematisch die Nazis den Massenmord betrieben haben.
Auch durch die Aussagen der 170 Zeuginnen wird das Unglaubliche real.
Eine davon ist die Litauerin Onna Rodaites.
Die mittlerweile 67-Jährige hat im Sommer 1941 an der Grenze zum Deutschen Reich Bekannte in einem Nachbardorf besucht.
Als sie am nächsten Morgen über eine Kuhwiese nach Hause lief,
wurde sie Augenzeugin einer Massenexekution.
Dabei erkannte sie eine Frau und ein Kind unter den Toten wieder.
Außerdem sah sie, wie ein Kind verwundet wurde und blutend zu seiner Mutter lief.
Die Mutter, nur in einem Hemd bekleidet, versuchte etwas von dem Hemdstoff abzureißen, um das Kind zu verbinden.
Dann kamen Schüsse von hinten und beide stürzten in den Graben vor ihnen.
Ich bin dann ohnmächtig geworden, erzählt Onna Rodaites.
Ein Kuhhirte zog sie daraufhin hinter die grasenden Tiere, wo sie sich versteckte, bis alles vorüber war.
Andere Zeuginnen erzählen von einer Szene, in der zwei jüdische Männer mit Spaten bewaffnet aufeinander losgegangen sind.
Angestachelt von einem der SS-Männer, der ihnen versprochen hatte, der Sieger dürfe am Leben bleiben.
Was natürlich nicht der Fall war.
Andere davon, wie Kinder auf die Knie gefallen sind und gebetet haben.
Wie ein SS-Mann zu dem Rabbi, der sich schützend vor sie gestellt hatte, sagte, Rabbi, du bist bald bei deinem Gott.
Bei diesen Zeugenaussagen hört man es schluchzen, seufzen und weinen von den Zuschauerrängen.
So laut, dass der Richter immer wieder Pausen einlegen muss.
Die Presse schreibt in diesen Tagen Schlagzeilen wie das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte.
In Ulm steht eine ganze Epoche vor Gericht und endlich kam die Wahrheit an den Tag.
Die verdrängte Vergangenheit lässt sich nun nicht länger verleugnen.
Der organisierte Verwaltungsmassenmord steht vor Gericht.
Echte Menschen, die echte Menschen aufgrund ihrer Religion eiskalt getötet haben.
Und was tun die Angeklagten in ihren spießigen Anzügen?
Die Hauptverdächtigen Böhme und Fischer Schweder tun zumindest so, als würde sie dieses Verfahren nicht so recht etwas angehen.
Fischer Schweder sitzt wahlweise mit Zeitung oder Sonnenbrille vor den Augen im Gerichtssaal.
Und Böhme strahlt Kälte aus.
So extrem, dass sogar der Richter ihm sein subtiles Grinsen verbietet, wenn es um Beschreibungen der Taten geht.
Die Strategie der Verteidiger ist zu behaupten, ihre Mandanten hätten nicht anders handeln können und dabei berufen sie sich auf den sogenannten Befehlsnotstand.
Denn sie hätten ja mit dem eigenen Leben dafür bezahlen müssen, wenn sie einen Mordbefehl verweigert hätten.
Und einem Befehl, dem leistet man Folge.
Vor allem, wenn er von so weit oben komme.
Einer der Angeklagten sagt, ich musste mich damals von mir selbst rechtfertigen, dass ich da mitgewirkt habe.
Aber ich tat dies, indem ich mich eisern an meinen Befehl klammerte, der mich dazu verpflichtete.
Außerdem erklären die Verteidiger, dass ihre Mandanten die Tat nicht überblicken konnten und auch die Rechtswidrigkeit des Befehls nicht erkannten.
Das sieht Staatsanwalt Schüle etwas anders und bezieht sich sogar auf Josef Goebbels, der 1944 im Völkischen Beobachter schreibt.
Es ist in keinem Kriegsgesetz vorgesehen, dass ein Soldat bei einem schimpflichen Verbrechen dadurch straffrei wird, wenn er sich auf seine Vorgesetzten beruft,
zumal wenn dessen Anordnungen im eklatanten Widerspruch zu jeder menschlichen Moral und jeder internationalen Übung der Kriegsführung stehen.
Außerdem erklärt Schüle, dass es keinen einzigen Fall gäbe, wo ein Mann den Mordbefehl verweigerte und daraufhin getötet wurde.
Fischer Schweders Anwalt bezieht sich nicht auf den Befehlsnotstand.
Kann er ja auch gar nicht, weil Fischer Schweder keinen direkten Befehl hatte, bei den Exekutionen mitzuwirken.
Er war bloß der Bitte von Hans-Joachim Böhme nachgekommen und hatte freiwillig seine Gruppe angeboten.
Seine Verteidigung ist eine andere.
Er erklärt, er habe vieles gar nicht gewusst, zum Beispiel, dass es sich bei den Opfern nur um jüdische Menschen gehandelt hatte.
Der Mann, der das goldene Parteiabzeichen mit Stolz getragen hatte, kann sich jetzt vor Gericht nicht mehr so richtig erinnern, an den Exekutionen überhaupt teilgenommen zu haben.
Dass Fischer Schweder ein guter Lügner ist, beweisen aber die anderen Angeklagten die Aussagen, dass er sehr wohl gewusst hatte, warum und wer getötet wird
und dass er sich teilweise sogar als Leiter des Kommandos aufgeführt hatte.
Nach 60 Verhandlungstagen spricht Staatsanwalt Schüle sein emotionales Schlussplädoyer.
Es waren Menschen, die gelacht, geweint, geliebt und gearbeitet hatten.
Seit 17 Jahren scheint für sie die Sonne nicht mehr.
Und nicht einmal die Ruhe des Grabes hat man den Opfern gelassen.
Ihre Gräber wurden später aufgerissen, die Leichen verbrannt und die Asche in alle Winde zerstreut.
Weiter reflektiert er, der Grund, warum dieser Prozess als unangenehm empfunden wird, liegt darin, dass wir alle ein schlechtes Gewissen haben,
wenn wir an jene Jahre des Ungeistes zurückdenken.
Es ist schon so, dass wir alle, wenn wir ehrlich sind, mit uns ins Gericht gehen und bekennen müssen, wir waren damals alle zu feige.
Zu den Angeklagten gerichtet erklärt Schüle, wenn nun die Angeklagten heute vor Gericht stehen,
dann nicht etwa, weil sie früher der NSDAP, der SA, der SS, der Gestapo, dem SD oder der Schubo angehört haben,
sondern einzig deshalb, weil ihnen die Mitwirkung bei einer Reihe von Verbrechen zur Last gelegt wird.
Diese Taten sind nicht erst nach dem heute geltenden, sondern auch dem zum Tatzeit geltenden Recht strafbar gewesen.
Am Ende seines Plädoyers fordert Schüle eine Verurteilung aller zehn Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Mordes.
Nach neun Tagen Beratung werden schließlich am 29. August 1958 die Urteile verkündet.
Bernhard Fischer-Schweder wird wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 526 Fällen
zu einer Zuchthausstrafe von zehn Jahren verurteilt.
Außerdem werden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte für sieben Jahre entzogen,
worunter zum Beispiel das Wahlrecht fällt.
Die anderen Männer werden ebenfalls wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord
zu Zuchthausstrafen von zwischen drei und 15 Jahren verurteilt.
Aufgeteilt auf alle Opfer sind es am Ende fünf Tage Gefängnis für ein Menschenleben.
Auch wenn die Fotos der Täter und ihre Empathielosigkeit im Gericht zeigen,
wie wenig es ihnen ausgemacht hat, unschuldige Menschen einem nach dem anderen zu töten,
beschließt das Gericht am Ende, sie nicht als Mörder zu verurteilen.
Für die Kammer sind drei andere, die Haupttäter.
Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Reinhard Heidrich.
Die Angeklagten hätten, so der Vorsitzende, nur als Gehilfen gehandelt,
als Werkzeuge des Führers, die ihrer inneren Einstellung nach die Tat nicht gewollt hätten.
Sie wirkten also als Gehilfen, gemeinschaftlich handelnd,
bei der Ausführung des von den Haupttätern als mittelbare Täter erteilten Befehls mit.
Zu den Verbrechen an sich erklärt der Richter,
dass es im Grunde wie auf einem Schlachthof abgelaufen war
und grausam und aus niedrigen Beweggründen gehandelt wurde.
Auf die Verurteilten bezogen zeichnet er das Bild der kalten Henker
und macht immer wieder klar, dass niemand den Befehlen hätte Folgen leisten müssen,
weil sie rechtswidrig waren.
Zu dem Mann, der gar keinen Befehl gehabt hatte, Bernhard Fischer-Schweder,
erklärt der Richter, dass er aus reinem Geltungsbedürfnis mitgemacht hat.
Dass er, der sich selbst als Prototyp des Germanen sah,
einfach auch eine Rolle in dem Geschehen spielen wollte.
In der Presse werden die Urteile danach zum Teil scharf kritisiert.
Doch generell entspricht die vom Gericht vorgenommene Herabstufung von Mördern zu Gehilfen,
der in der Bundesrepublik vorherrschenden Sicht auf die Vergangenheit.
Nach dem Motto, ich bin's nicht, Adolf Hitler ist es gewesen.
Doch trotz der milden Urteile wird der Ulmer-Einsatzgruppenprozess zum Wendepunkt
in der öffentlichen Wahrnehmung der Bestrafung nationalsozialistischer Verbrechen.
Nur wenige Wochen nach dem Prozess wird die zentrale Stelle der Landesjustizverwaltung
zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg eingerichtet.
Erwin Schüle wird Leiter dieser Zentrale
und stößt die breit angelegte strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen an.
Darunter auch die, die 1963 zu den Ausschwitzprozessen in Frankfurt am Main führt.
Doch die bekommt Bernhard Fischer-Schweder gar nicht mehr mit.
Nach vier Jahren in Haft stirbt der 56-Jährige im November 1960 an einer Lungenembolie.
Auch die anderen Verurteilten bleiben nicht viel länger als er in Haft.
Die meisten werden noch in dem Jahr oder in den zwei darauf folgenden vorzeitig entlassen.
Nur Hans-Joachim Böhme sitzt zehn Jahre im Gefängnis
und wird dann wegen eines Herzinfarkts vorzeitig entlassen.
Die zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen
hat bis heute über 7.600 Vorermittlungen geführt,
die sie an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergegeben hat.
Dazu ist zu sagen, dass es sich vor allem um sogenannte Sammelverfahren handelt,
bei denen es eine große Zahl von Beschuldigten gibt.
Seit ihrer Einführung konnten neben Bernhard Fischer-Schweder
und der anderen neuen Mitglieder des Einsatzkommandos Tilsit
so noch um die 6.500 Täter rechtskräftig in Deutschland verurteilt werden.
Das sind im Angesicht von mehr als 100.000 Beschuldigten natürlich trotzdem viel zu wenige.
Aber vielleicht wäre es auch zu diesen Verurteilungen nie oder erst viel zu spät gekommen,
ohne den Ulmer Einsatzgruppenprozess und ohne den sehr dreisten Mann.
Also als du das mit dreist angefangen hast, da habe ich schon Böses geahnt.
Aber das ist ja jenseits dessen, was man ertragen kann.
Also offenbar haben ja weder er noch der Leiter dieses Einsatzkommandos irgendeine Art von Empathiegefühl.
Oder sind sich auch nur ansatzweise im Klaren, was die da gemacht haben.
Ja, und ich glaube, das Gericht hat das ganz richtig eingeschätzt, was er für ein Typ ist, weißt du?
Dass er das für seinen Geltungsdrang gemacht hat.
Genau wie er damals dann nach dem Krieg auch unbedingt wieder in den Staatsdienst wollte
und hier irgendwie gedacht hätte, er hätte das Recht darauf.
Alleine das Recht darauf haben.
Also, weißt du, der hat Menschen erschossen, die seiner Meinung nach kein Recht hatten zu leben.
Ja, und danach hat er sich in der Zeitung als Freund der Juden und Polen bezeichnet.
Also wie kann man denn bitte, also wie kann man überhaupt so sein?
Also ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich jetzt fertig bin mit dem Fall.
Weil so wichtig diese Thematik ist, ich kann die Ungerechtigkeit nur sehr schwer ertragen.
Musste natürlich auch wieder ein paar Mal heulen bei der Recherche.
Ich habe dir ja auch ein bisschen schon was erzählt, weil ich nicht mehr konnte.
Ich wusste dann auch nicht mehr, wen ich das noch erzählen kann, so was Schlimmes.
Ja, und ich immer so, nein, lass es einfach, ich möchte.
Aber das ist ja auch ein Problem.
Man möchte es einfach nicht hören.
Und das war auch damals das Problem.
Ganz weit weg von uns, bitte.
Ja.
Aber das ist natürlich ein Riesending, wenn dadurch die Aufarbeitung gehindert wird.
Ja.
Und eine Person, mit der ich gesprochen habe, meinte dann, dass sie ein Einzelschicksal,
also zum Beispiel den Mord an einem Kind, mehr mitnehmen würde als ein Fall wie der, den ich jetzt erzählt habe.
Wie ist das bei dir?
Kannst du das überhaupt sagen?
Aber das ist ja falsch.
Also das sind ja ganz viele Einzelschicksale gewesen.
Wir haben die jetzt natürlich nicht gehört, aber von all den Personen, von denen du da gerade gesprochen hast,
das sind alles Menschen mit einer Geschichte, mit einem Schicksal, die man alle auch einzeln hätte erzählen können.
Und die siehst du halt jetzt nur in dieser Gruppe, was die Opfer ja auch irgendwie anonymisiert.
Möglicherweise fand ich es jetzt in dem Fall okay, weil ich wäre hier sonst auch gar nicht mehr rausgekommen aus dem Flan.
Aber das ist, glaube ich, dieser Trugschluss, das ist immer die Opfer, die Gruppe.
Man schiebt das so weg und distanziert sich so ein bisschen dann davon.
Aber du hättest auch genauso gut ein einzelnes Schicksal erzählen können.
Und dann wäre es ein Fall gewesen, wie du ihn sonst erzählst, nur nochmal mit einer ganz anderen politischen und grauenvollen Komponente.
Ja.
Ich habe mich auch ein bisschen gewundert, als die Person das gesagt hat, weil ich das auch irgendwie gar nicht habe.
Und er hat das Gefühl, dass es bei mir andersrum ist, auch wenn man sowieso Opfer oder Betroffene überhaupt nicht miteinander vergleichen sollte oder kann.
Aber wenn ich mich mit Amokläufen oder Terroranschlägen oder eben dem Holocaust beschäftige,
dann nimmt mich das noch mehr mit, weil ich diese Taten irgendwie, auch wenn das komplett bescheuert klingt,
ich sehe diese Taten als Angriff auf die Menschlichkeit und als Angriff auf uns alle als Menschen, weißt du.
Aber bei der Recherche zu genau diesem Thema habe ich in einem Beitrag des US-Psychologen Paul Slovich gelesen,
dass es eigentlich offenbar normal ist, dass Menschen von einem Einzelschicksal stärker angesprochen werden als von einer Reihe von Schicksalen.
Laut Slovich sind Menschen daher seelisch nicht in der Lage, angemessen auf beispielsweise einen Völkermord zu reagieren.
Was man laut dem Psychologen zum Beispiel Anfang der 2000er in Davor gesehen hat,
wo innerhalb von wenigen Jahren hunderttausende Menschen bei einem Völkermord ums Leben kamen
und von der Weltbevölkerung nicht so viel Empathie, sage ich jetzt mal, rüberkam.
Mit einem Experiment wollte er die Stärke des Mitleids testen und hatte dazu einer Gruppe von schwedischen StudentInnen,
das Foto eines sterbenden afrikanischen Mädchen gezeigt, einer anderen, das eines sterbenden Jungen und der dritten Gruppe,
beide Fotos zusammen.
Die Teilnehmenden konnten dann sagen, wie viel sie jeweils spenden würden, um dem Kind oder eben beiden zu helfen.
Und das Ergebnis war, dass die Empathie der Probandinnen beiden einzelnen Kindern etwa in gleichem Maße gegolten hatte,
es aber deutlich geringer war, wenn beide Kinder zusammen zu sehen waren.
Weil sie dann denken, die beiden sind ja nicht alleine und weil sie irgendwie mehr ein Verantwortungsgefühl haben,
wenn es sich um eine Einzelperson handelt.
Also der Slovitsch, der interpretiert das so, dass unsere Fähigkeit mitzufühlen begrenzt ist und abnimmt mit der Anzahl der Menschen, die leiden sozusagen.
Und vielleicht erklärt das ja auch irgendwie für ein paar der TäterInnen im Zweiten Weltkrieg, wie sie überhaupt zu diesen Taten in der Lage waren.
Naja, also ich verstehe dieses Phänomen, dass das einzelne Schicksal in einer Gruppe Menschen verschwimmt.
Aber also das muss sich ja jeder bewusst machen, dass zwei Menschen immer noch zwei einzelne Schicksale sind.
Ja.
Also.
Es ist wahrscheinlich eher dieses auf den ersten Blick, wenn man eben nicht darüber nachdenkt.
Kommen wir zurück zum Fall, warum von mehr als 100.000 Beschuldigten von NS-Verbrechen nur ein kleiner Teil am Ende verurteilt wurde,
hat mit der deutschen Rechtsprechung in Bezug auf MassenmörderInnen der NS-Zeit zu tun.
Und darum geht es jetzt in meinem AHA.
Bevor man NS-VerbrecherInnen überhaupt vor Gericht gestellt hat, hatte man sich vorher darauf geeinigt,
auf Grundlage jener Teile des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zu verhandeln,
die sowohl in der NS-Zeit als dann auch in der Bundesrepublik Gültigkeit hatten.
Damit halt klar war, nach welchem Recht die Menschen jetzt verurteilt werden können.
Das führte dazu, dass lediglich TäterInnen, denen eine unmittelbare Mordbeteiligung nachgewiesen werden konnte,
verurteilt werden konnten.
Aber dass Menschen, die zum Beispiel als Wachen in Vernichtungslagern gearbeitet haben,
ja auch zu den Massenmorden beigetragen haben, das haben deutsche Gerichte zu lange so nicht gesehen.
Obwohl es ja im Strafgesetzbuch unter Paragraf 27 heißt, als Gehilfe wird bestraft,
wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
Die Gerichte sahen in der Tätigkeit der meisten Menschen in den KZs diese Beihilfe eben nicht.
Und der BGH bestätigte dann auch viele Freisprüche mit der Begründung,
dass man nicht jede Person, die in irgendeiner Form für das Vernichtungsprogramm der Nazis tätig war,
für alles, was dort geschah, verantwortlich machen könne.
Und so wurden in den folgenden Jahrzehnten viele Verfahren, vor allem gegen SS-Wachmänner, eingestellt,
eben weil ihnen keine konkreten Einzeltaten nachgewiesen werden konnten.
Das änderte sich erst mit dem Prozess gegen den ehemaligen Wachmann John Demjanyuk,
der im Vernichtungslager Sobibor gearbeitet hatte.
Der wurde 2011 vom Münchner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen
zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
What the fuck? Also was ist das für eine Diskrepanz?
28.060 Menschen und fünf Jahre Haft.
Ja, das sieht man immer wieder in diesen Verfahren, diese gefühlt unangemessene Bestrafung.
Aber hier, der musste nicht mal einen Tag davon absitzen, weil er dann verstorben ist.
Aber zum ersten Mal wurde damit ein Mensch in Deutschland wegen der Beihilfe zum Mord verurteilt,
ohne dass ihm eine konkrete Tötungshandlung persönlich zugeschrieben werden konnte.
Das Gericht begründete sein Urteil damit, dass Demjanyuk eben Teil der Vernichtungsmaschinerie gewesen war.
Das Urteil wurde aber wegen der eingelegten Revision von Demjanyuk nie rechtskräftig, weil er dann eben verstarb.
Aber trotzdem war das Münchner Urteil wegweisend, denn in dem Prozess gegen Oskar Gröning im Jahr 2015
entschied auch das Landgericht Lüneburg, dass jemand, der als Buchhalter im KZ gearbeitet hat, mitverantwortlich war.
Oskar Gröning wurde wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt.
Der BGH bestätigte das Urteil und änderte damit die Rechtsprechung.
Also geht es jetzt darum, dass man nicht konkrete Opfer oder Geschädigte mehr zuordnen muss?
Weil wie kommt man denn auf diese konkreten Zahlen, also 28.060?
Ja, das stimmt, das ist ein bisschen verwirrend.
Genau, es muss nicht eine konkrete Person in einem konkreten Tötungsvorgang sein sozusagen.
Und auf diese fiktive Zahl der Opfer kommen die in dem Fall von dem Demjanyuk zum Beispiel,
in dem die sich dann auf die Listen von den Deportationszügen bezogen haben,
um irgendwie eine Anzahl von Opfern zu erhalten.
Aber seit 2011 sind also eben diese Weichen gestellt, auch die kleinen Rädchen in Anführungszeichen
in der Vernichtungsmaschinerie wegen Beihilfe zum Mord zur Verantwortung zu ziehen.
Naja, kleine Rädchen, also du hast ja das Anführungszeichen gesagt, aber es ist halt immer noch so,
wenn ich von manchen, also jetzt nicht von dir, aber von manchen Leuten so die Einschätzung höre,
dann denke ich immer so, irgendwie hat man wahnsinnig Empathie mit den Leuten gehabt,
die nachher nichts anderes machen konnten und man wusste ja damals auch noch nicht anders und so,
aber kaum Empathie mit den Opfern.
Ja, kleine Rädchen ist dann zum Beispiel bezogen auf die Sekretärin, die irgendwo saßen.
Aber klar, das sind die kleinen Rädchen, die alle zusammen dazu beigetragen haben,
dass diese Vernichtungsmaschinerie überhaupt funktioniert hat.
Ohne die hätte das eben auch nicht funktioniert.
Und gerade steht deshalb die 96-jährige Irmgard F.
wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11.000 Fällen vor dem Landgericht Itzehoe.
Als Schreibkraft habe sie den Verantwortlichen des Lagers Stutthof
bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet, so die Anklage.
Weil sie alle Schreiben des damaligen Lagerkommandanten erfasst und sortiert habe,
habe sie von allen Geschehnissen im Lager und von den Tötungsarten gewusst.
Dieser Prozess wird wahrscheinlich einer der letzten dieser Art sein,
obwohl es ja Tausende Irmgard F., Grönings und auch dem Jan Jux in Deutschland gab.
Aber eben gab, weil viele von ihnen bereits verstorben sind und die Rechtsprechung sich für sie einfach zu spät geändert hat.
Ja, das ist ganz schlimm, was Deutschland da verpasst hat.
Was unser Land verpasst hat, an Aufarbeitung zu leisten und zu sühnen
und so halt auch den Angehörigen der Opfer von damals auch ein Stück Gerechtigkeit wiederzugeben.
Und dann ist es auch egal, wenn du 96 und gebrechlich bist, ehrlich.
Ja.
Du musst einfach auch dann noch Jahre später für das gerade stehen, was du da getan hast, wenn du es getan hast.
Ja, genau. Und um ja eine Verantwortung generell vielleicht nochmal deutlich zu machen.
Wenn ich jetzt mit ein paar Leuten ausmache, dass jetzt, keine Ahnung, die 10a der Gesamtschule blablabla getötet werden soll
und ich bin dann dabei zuständig dafür, diese ganze Klasse zu einem bestimmten Platz zu bringen, wo diese Klasse dann erschossen wird.
Da kann ich ja im Nachhinein auch nicht sagen, da war ich jetzt gar nicht dran schuld, dass da Menschen gestorben sind.
Ich war halt auch dabei.
Genau, genau. Also in deinem Beispiel hast du ja jetzt auch selber den Tatentschluss dann gefasst.
Das ist dann ja schon irgendwie was anderes.
Aber auch wenn du das nicht gemacht hättest, du bist halt dabei.
Ich bin der Uwe und ich bin auch dabei.
Weißt du? Also du warst halt dabei.
Ja.
Wenn du dabei warst, dann musst du dafür die Verantwortung tragen.
Ja.
Ich habe aber jetzt auch mit meiner Oma darüber geredet, über diesen Fall von Irmgard F., ne?
Und die so die arme Oma.
Meine Oma hat, ja, eben eine andere Meinung dazu, was ja auch okay ist.
Also sie sagt eben, sie findet es halt übertrieben, so eine alte Frau, die als 18-Jährige als Sekretärin gearbeitet hat, zu bestrafen.
Ich glaube auch vor allen Dingen in Bezug darauf, dass sie weiß, dass versäumt wurde, dass die anderen Menschen, die, sag ich jetzt mal, schlimmere Sachen gemacht haben, weil sie direkt beteiligt waren und getötet haben, nicht verurteilt wurden.
Ich kann mir vorstellen, dass das irgendwie von da kommt.
Und aber, to be honest, manche Großeltern kriegen dieses Denken von damals auch nicht so richtig raus, weil sie das, was damals passiert ist, ja auch irgendwie vor sich selber rechtfertigen müssen oder das zumindest versuchen, indem sie halt ihre eigene Beteiligung oder eben die Beteiligung anderer runterspielen.
Ja, ja, aber ich meine, deswegen sage ich ja auch, das ist okay, dass sie das so sieht, ja.
Ich weiß nicht, wie wir, wir können uns halt nicht da reinversetzen, wie das damals war, ja, und ob man sich da nochmal irgendwie von abkapseln kann irgendwann.
Naja, ich meinte dann auf jeden Fall zu ihr, oder habe sie gefragt, ob man, weil sie ist ja quasi die Expertin, also ob man so einen Job denn machen musste oder ob man sich das auch aussuchen konnte,
weil ja manchmal, die sagen, sie so sagen, dass sie dazu verpflichtet wurden oder so, ne.
Und da meinte sie halt eben, nein, dass man sich das schon aussuchen konnte.
Ja.
Dann ich zu ihr, ja, hättest du denn dann da gearbeitet?
Und da meinte sie, nein.
Und das ist es halt eben.
Wenn man da hingeht und merkt, was geht hier ab, hatte man immer noch nein sagen können.
Ja, die haben ja nicht die ganzen Deutschen versklavt, ne.
Also das wäre es ja dann gewesen, wenn man sich das nicht hätte aussuchen können, dann wäre ganz Deutschland versklavt gewesen noch dazu.
Also natürlich nicht.
Und ich will ja auch jetzt nicht, ich fordere ja jetzt auch nicht eine 10-jährige Haftstrafe für eine 96-jährige Person, ne.
Aber wenn man Irmgard F. jetzt im Laufe dieses Prozesses nachweisen kann, dass sie wusste, was da genau vor sich ging,
dann finde ich es für die Opfer, die teilweise auch schon in dem Prozess ausgesagt haben und die ihr Leben lang darauf gewartet haben,
wichtig, dass mal ein deutsches Gericht feststellt, ja, jede Person, die davon wusste, hat Mitschuld da dran.
Aber das Absurde an dem Fall von Irmgard F. ist ja eigentlich, dass sie als 96-Jährige vor der Jugendkammer steht,
weil sie, als sie angefangen hat, dort zu arbeiten, halt noch 18 war.
Wäre sie dann auch in die Jugendstrafanstalten gekommen?
Ja, wahrscheinlich nur mit so jugendlichen Schlägertypen in eine Zelle.
Aber noch absurder finde ich eigentlich, dass sie im September erst geflohen ist und dann nicht zu ihrem eigenen Prozess erschienen.
Also aus ihrer Seniorenunterkunft geflohen.
Ja, dieser Fall hat einfach ganz viele Aspekte, wo man den Kopf schütteln möchte.
Aber als eine Seniorin vor der Jugendstrafkammer aus dem Heim fliehen, ist auch weird.
Die Triggerwarnung für meinen Fall findet ihr in der Folgenbeschreibung und einige Namen habe ich geändert.
Nur noch eine Woche die Schulbank drücken, dann sind endlich Sommerferien.
Das liegt an diesem Freitagabend irgendwie in der Luft.
Die Sonne scheint, die Stimmung ist ausgelassen und die Laune gut.
Und das, obwohl Fußball heute ausgefallen ist.
Jan hat eigentlich jeden Freitag Training und das nimmt er normalerweise sehr ernst.
Der 14-Jährige will später mal Profifußballer werden.
Seine Mutter sagt sogar, Jan sei fußballverrückt.
Doch heute, am 22. Juli 2016, muss er darauf verzichten und sich eine Alternative für den Abend überlegen.
Der neue Plan ist, sich mit Freunden im Magus zu treffen, wie Jugendliche in Jans Alter zu McDonalds sagen.
Jan trägt an diesem Tag wie so oft seine Käppi über seinen Undercut.
Meist hat er sie falsch herum auf.
Dann gucken die großen braunen Augen unter dem Verschluss hervor.
Gemeinsam mit seinem Freund Seljuk, der in der Nachbarschaft wohnt, macht er sich auf nach Mosach.
Dem Stadtteil in München, in dem auch das Olympia-Einkaufszentrum steht.
Das alle nur OEZ nennen.
Die Hanauer Straße ist an diesem Tag sehr belebt.
Es ist gegen halb sechs Uhr abends und viele aus dem Viertel strömen Richtung OEZ, um noch Besorgungen für das Wochenende zu machen.
Jan und seine Clique, bestehend aus Armella und Sabine, beide 14 Jahre alt, Roberto und Seljuk, beide 15,
und dem 13-jährigen Bennett sitzen im Schnellimbiss neben dem Einkaufszentrum umeinander herum und läuten das Wochenende ein.
Bestellt haben sie noch nicht.
Was die Jugendlichen nicht bemerken ist, dass bereits seit kurz nach 17 Uhr ein junger Mann, nur wenige Jahre älter als Jan, durch das Restaurant streunert.
Ein paar Stunden zuvor hatte dieser sich mit einem Fake-Account bei Facebook eingeloggt und unter dem Namen Selina A. gepostet.
Kommt heute um 16 Uhr Maggie am OEZ und ich spendiere euch was, wenn ihr wollt, aber nicht zu teuer.
Nachdem der junge Mann nicht auf die traf, auf die er treffen wollte, verließ er die Filiale wieder.
Und jetzt ist er zurück, schleppt sich mit seinem Rucksack bepackt die Treppe in den ersten Stock hoch und verschwindet auf der Toilette.
Gleich neben dem Tisch von Jan und seinen FreundInnen.
Wenig später öffnet sich die Tür wieder.
Der junge Mann kommt raus und hält jetzt etwas in der Hand.
Eine langen Waffe.
Damit tritt er an den Tisch der sechsköpfigen Gruppe heran und schießt.
18 Mal feuert er auf alle sechs.
Es ist 17.51 Uhr, als die Schüsse die wuselige Hintergrundakustik durch Schnellimbisses durchschneiden.
Dann bricht Panik aus.
Menschen rennen nach draußen.
Auch von dort hat man die Schüsse gehört.
Ein Jugendlicher flüchtet mit seiner Schwester über die Terrasse des McDonalds in Richtung Saturn.
Wenige Augenblicke später sehen PassantInnen einen jungen Mann mit Waffe in der Hand ebenfalls Richtung Elektromarkt gehen.
Dort schießt er an der Einfahrt zur Tiefgarage auf zwei Autos und danach auf einen Jugendlichen.
Es ist der Jugendliche, der gerade mit seiner Schwester Richtung Saturn geflüchtet war, in der Hoffnung, sich in die richtige Richtung zu retten.
Insgesamt schießt der Mann 16 Mal.
Auch auf Flüchtende verletzt dabei eine Mutter, die mit ihren zwei Söhnen unterwegs ist, tödlich.
Alles ist laut und viele wissen nicht, woher die Schüsse kommen.
Am U-Bahn-Ausgang in der Höhe des Saturns wird eine andere Mutter, die mit ihren drei Kindern und ihrem Ehemann unterwegs ist, von hinten in die Unterschenkel getroffen.
Die Familie kann sich danach noch in den Saturn retten.
Auf dem Gehweg vor der Filiale wird ein 19-Jähriger von fünf Schüssen getroffen.
Dann wendet sich der Täter der Ampel zu, um die Straßenseite zu überqueren.
Es ist rot.
Er stoppt und wartet, bis es grün wird.
Das Olympia-Einkaufszentrum heißt so, weil es 1972 für die Olympischen Sommerspiele eröffnet wurde.
135 Geschäfte passen hier auf zwei Ebenen.
Diamant, 20 Jahre alt, hat sich hier heute mit einem Freund auf eine Limo verabredet.
Als Dimo, wie ihn seine Freunde nennen, gerade mit der Rolltreppe ins obere Geschoss fährt, hat er noch nichts von den Schüssen mitbekommen.
Ihm fällt der junge Mann mit der Waffe in der Hand auch nicht auf, der an ihm vorbeigeht.
Dimo fällt aber ihm auf.
Der Mann lässt Dimo vorbeiziehen, dreht sich dann um und läuft ihm hinterher.
Dann schießt er von hinten auf ihn.
Das ist gerade kurz nach sechs.
Die Lage draußen ist unübersichtlich.
Innerhalb weniger Minuten gehen etliche Notrufe bei der Polizei ein.
Menschen haben einen Täter gesehen, andere mehrere.
Doch wo er oder sie sich jetzt aufhalten, kann keiner sagen.
Die Polizei schickt etliche Einsatzkräfte zum Einkaufszentrum, versucht das Gebiet herum weiträumig abzusperren,
während sich die Menschen, die eben noch auf der Straße standen, in den Saturn retten.
Um 18.04 Uhr wird ein bewaffneter Mann auf dem sonst leeren Parkdeck der Shopping Mall gesichtet.
Auch ein Anwohner in dem Mehrfamilienhaus gegenüber des Decks bemerkt den Mann und beginnt ihn aus dem fünften Stock anzubrüllen.
Darauf schießt der Bewaffnete auf den Mann, trifft aber nur den Balkon.
Darauf schießt der Bewaffnete auf den Mann, trifft aber nur den Balkon.
Weil Teile des Geschosses aber abprallen, erleidet ein Nachbar eine Splitterverletzung.
Einige PolizistInnen treffen auf dem Parkdeck ein.
Sie waren den Hinweisen einiger ZeugInnen gefolgt und eröffnen jetzt das Feuer auf den Mann.
Aber verfehlen.
Der Mann flüchtet über den Notausgang, verliert dabei zwei Handys und ist danach wie vom Erdboden verschluckt.
Inzwischen kursieren die ersten Videos und Bilder im Netz.
Anschlag, Amok, Terror steht darunter.
Dabei weiß man eigentlich gar nichts.
Weil die Aussagen der ZeugInnen alle unterschiedlich sind, fällt es der Polizei schwer, den Überblick zu behalten.
Um 19.02 Uhr, gut eine Stunde nach den ersten Schüssen, gehen bei der Polizei Meldungen ein, dass auch am Stachus geschossen wird.
Der Stachus ist ein großer touristischer Platz in München, an dem sich viele U- und S-Bahnlinien kreuzen.
Viele Menschen passieren ihnen jeden Tag, um zur Arbeit zu kommen.
Während nun auch dorthin mehrere Einsatzkräfte unterwegs sind, versucht man am OEZ noch immer einen Überblick zu bekommen.
In der McDonalds-Filiale, wo sich nur wenige Minuten zuvor Can noch mit seinen FreundInnen unterhalten hat, herrscht noch immer Chaos.
Der Mann hatte zwar auf alle sechs geschossen, doch einer von ihnen hatte sich wegducken können.
Zwar wurde er von den Schüssen in den Oberkiefer und in den Brustkorb getroffen, aber er lebt noch.
Blutend schleppt er sich zur Rettungstreppe und haucht, ich brauch Hilfe.
Vor dem McDonalds sammeln zwei Erwachsene den Teenager auf und rufen einen Krankenwagen.
Der rast mit seinem Patienten in die Haunersche Kinderklinik.
Mittlerweile wird die Münchner Polizei durch das Spezialeinsatzkommando der Antiterroreinheit GSG 9 unterstützt.
Einsatzkräfte aus Hessen und Thüringen und sogar aus Österreich rollen an, um die Lage in den Griff zu bekommen.
Obwohl die Polizei noch immer kommuniziert, dass die Lage unübersichtlich ist, kursieren im Netz die ersten Gerüchte von Terror.
Um 19.24 Uhr gibt die Polizei das erste Mal raus, womöglich Terroranschlag, mehrere Anschlagsorte, mehrere Täter.
Nicht mal zehn Minuten später bestätigt die Polizei Schüsse in der Fußgängerzone.
Damit wird die große Angst vor einem Anschlag in Deutschland Gewissheit.
Der Anschlag in Nizza, bei dem ein Mann in einem LKW in eine Menschenmenge fuhr und 86 Menschen, darunter auch drei aus Deutschland, tötete,
ist erst acht Tage her und sitzt noch tief in den Knochen.
Und auch der Anschlag in der Regionalbahn in Würzburg, bei dem ein Täter fünf Menschen schwer mit einer Axt verletzte und danach vom SEK erschossen wurde, war erst vor vier Tagen.
Und jetzt auch noch München.
Viele haben das Gefühl, der Terror hat Europa überrollt.
Ganz weit weg von diesem Gefühl sind zu diesem Zeitpunkt noch Susanne und Tom, die gerade ins Hofbräuhaus einkehren.
Das Hofbräuhaus ist eine Art Bier-Oase, in der man zu Maß und Weißwurst eine laute Geräuschkulisse aus etlich verschiedenen Sprachen bekommt.
Über 1500 Leute sind heute zu Gast, wie immer aus der ganzen Welt.
Susanne trinkt eigentlich gar kein Bier, aber das soll ihr an diesem Tag egal sein, denn im Sommer kann man im Hofbräuhaus so schön draußen sitzen.
Man kommt hier immer mit den unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch, neben die man auf die Bierbank gesetzt wird.
Rechts von Susanne sitzen Navy Seals, links eine amerikanische Familie mit Kindern.
Doch nach einer Weile weicht die ausgelassene Stimmung besorgten Gesichtern.
Etwas auf dem Handy weckt die Aufmerksamkeit der Sitznachbarn.
Über WhatsApp bekommen die Touris Nachrichten, dass es am OEZ Schüsse gab.
Ob das weit weg sei, wollen sie von Susanne und Tom wissen.
Dicht dran ist es nicht, circa 10 Kilometer, also erstmal kein Grund zur Panik, denkt Susanne.
Kurz darauf fliegen Helikopter über ihre Köpfe.
Ob das denn auch normal sei, will der Ehemann der amerikanischen Familie wissen.
Susanne überlegt.
Ganz in der Nähe ist ein Klinikum, vielleicht hat das ja was damit zu tun.
Es ist 19.20 Uhr, als Susanne und Tom beschließen zu gehen.
Doch als sie gerade aufstehen und zur Kasse wollen, stürmen ihnen drei schreiende Kellner entgegen, die nach Hilfe rufen.
Sowas hat Susanne noch nie in ihrem Leben gesehen.
Männer, die schreien.
Jemand ruft, draußen wird geschossen.
Von der einen auf die andere Sekunde bleibt nichts mehr an seinem Platz.
Tische und Stühle fliegen umher, Teller und Maßkrüge zerscheppern.
Von außen drückt sich eine Welle in das Hofbräuhaus.
Und Susanne und Tom hören es jetzt auch.
Klack, patsch, klack, patsch.
Richtig laut.
Die Soldaten, die eben noch neben Tom und Susanne saßen, springen unter die Tische.
Die einen Gäste sehen Angst und Panik in den Augen der anderen.
Und als wäre das Anstecken, verfallen sie selbst in eine.
Susanne und Tom versuchen sich Richtung Servicestation zu retten.
Susanne wirft sich auf den Boden, Tom sich schützend auf sie drauf.
Drei bis vier Minuten hören die beiden einen Mix aus Schüssen, Hilfe schreien und den Lärm der Hubschrauber über ihn.
Mittlerweile wurde am Olympiapark, am Isartor und im Hofbräuhaus Schüsse gemeldet.
Auch Sibel und Hasan Leyla haben inzwischen erfahren, was in München los ist und sorgen sich um ihren Sohn Can, der heute ins OEZ wollte.
Mehrmals versuchen sie ihn auf seinem Handy zu erreichen.
Vergeblich.
Und auch die Familie von Seljuk, dem Jungen von nebenan, kommt nicht zu ihm durch.
Voller Sorge entschließen sich die Leylas zum Einkaufszentrum zu fahren.
Von dort werden sie mit einem Bus zu einer Sammelstelle für Angehörige gebracht, die jemanden vermissen.
Weiter kommen sie nicht, alles andere ist abgesperrt.
Bei der Sammelstelle ist viel los, nichts wirkt organisiert.
Die Leylas müssen ein Kärtchen ausfüllen, auf dem sie den Namen ihres Sohnes Can schreiben.
Dort sitzen sie nun und warten.
Er hat sich sicherlich versteckt, redet Hasan Sibel zu, die immer tiefer in Sorge versinkt.
Es ist 20.11 Uhr, als die Polizei auf Facebook vermeldet, dass ZeugInnen drei verschiedene Personen mit Schusswaffen gemeldet haben.
Auf der Spur sind sie zu diesem Zeitpunkt keiner von ihnen.
Dafür gibt es immer wieder neue Meldungen von Orten, wo Schüsse fallen und es Verletzte gibt.
Im Hofbräuhaus hat sich die Lage inzwischen beruhigt.
Es ist leiser geworden.
Viele Menschen sind schon nach draußen geflüchtet.
Susanne und Tom stehen auf und sehen das, was die letzten Minuten angerichtet haben.
Drohne Fensterscheiben, Blut an den Rahmen, Glas liegt überall rum.
Andere, die sich auch gerade aus ihrem Versteck trauen, gucken verängstigt umher.
Eine Frau berichtet, sie habe von der Balustrade einen Mann herunterfallen sehen, der von einer Kugel getroffen wurde.
Susanne und Tom haben in diesem Moment gelernt, was es heißt, Todesangst zu haben,
erklären sie Jahre später im Dokumentarfilm München Stadt in Angst vom BR.
Als der Krankenwagen vom OEZ mit Blaulicht auf das Gelände der Haunerschen Kinderklinik rast,
steht Oberarzt Florian Hoffmann schon bereit.
In den Kliniken rund um München gab es die Ansage, dass mit etwa 100 Schwerverletzten zu rechnen sei.
Der Jugendliche, den Oberarzt Hoffmann behandeln soll, kommt direkt aus dem McDonald's.
Hat schwere Schussverletzungen, teilt man ihm mit.
Der Patient wird sofort versorgt.
An diesem Abend herrscht Hochbetrieb in dem Klinikum, auf dessen Gänge bunte Malereien hängen,
um den Ort kinderfreundlich zu machen.
Dann meldet sich der Klinikfördner.
Die Station muss sofort verbarrikadiert werden.
Am besten alle auf den Boden und weg von den Fenstern.
Er habe ein oder mehrere bewaffnete Personen auf dem Klinikgelände gesehen.
Das Klinikpersonal schaltet sofort und versperrt die Stationstür.
ÄrztInnen und das Pflegepersonal versammeln sich im Aufenthaltsraum.
Jetzt bricht auch auf der Intensivstation die Panik aus.
Einige weinen.
Das Personal verharrt in dem Raum, bis mehrere Busse vors Krankenhaus vorfahren.
Darin etliche SEK-BeamtInnen, die das ganze Gebäude durchforsten.
Es ist 20.28 Uhr, als eine Funkstreife ein paar hundert Meter vom OEZ entfernt in eine Sackgasse
einbiegt und dort einen jungen Mann sichtet, der gerade aus dem Fahrradraum eines Hochhauses
die Treppe hochstapft.
Er sieht den Mann ähnlich, den Zeugnen beschrieben haben.
Die Farbe seines Shirts passt zwar nicht, aber der auffällige Rucksack, den mehrere beschrieben
hatten.
Die BeamtInnen wollen den Mann stellen, befehlen ihm, die Hände hochzunehmen, aber er reagiert
nicht auf sie.
Sie schießen, treffen ihn aber nicht.
Einer der Polizisten gibt noch über Funk durch, dass sie eine verdächtige Person ausmachen
konnten.
Da knallt's auch schon.
Der Mann hatte sich selbst in den Kopf geschossen.
Um 20 vor 10 bestätigt die Polizei in einem Fernsehinterview mindestens fünf Tote.
Ob John dabei ist, wissen seine Eltern auch jetzt noch nicht.
Noch immer harren sie bei der Sammelstelle aus, bis sich Hasan Leila dazu entschließt, bei
einer extra eingerichteten Hotline anzurufen.
Dort wird er aufgefordert, den Namen seines Sohnes anzugeben.
Nein, der sei weder unter den Toten noch unter den Verletzten, sagt die andere Stimme am Telefon.
Auch Seljuk sei nicht dabei.
Doch beide Jungs melden sich nach wie vor nicht bei ihrer Familie.
Hasan und Sibel entscheiden sich, sich auf den Weg zur anderen Seite des OEZ zu machen, um
dort vielleicht mehr Informationen abgreifen zu können.
Mittlerweile ist es mitten in der Nacht.
Kurz nachdem sie die Sammelstelle verlassen haben, klingelt das Handy.
Es ist eine Cousine von Hasan, die mit ihnen an der Sammelstelle gewartet hatte.
Hier sind BeamtInnen, die mit euch reden wollen, sagt sie.
Also drehen die beiden wieder um.
Reden ist nicht nötig.
Die Eltern können sofort an den Gesichtern ihrer Familie Mitglieder ablesen, worum es geht.
Der Beamte fragt Hasan, ob John eine Käppi getragen habe.
Hasan bejaht.
Tut mir leid, der ist tot, sagt der Mann.
Und dreht sich, so schildert es Hasan im SZ-Podcast Terror am OEZ um und steigt in ein Auto und fährt weg.
Hasan und Sibel stehen allein da.
Da ist niemand, der ihre Gefühle auffangen oder ihnen Hilfe geben kann.
Kein medizinisches Personal, keine Polizei, keine Betreuung.
Nur noch sie, Leere und Schmerz.
Um 21.16 Uhr tritt die Polizei das erste Mal in einer Art Pressekonferenz vor die Kamera.
Man suche immer noch nach einem bis drei Tätern.
Allerdings dementiert der Pressesprecher, dass es am Stachusschüsse gegeben habe.
Generell habe bisher kein weiterer Schauplatz der vielen Gemeldeten bestätigt werden können.
Tatsächlich gibt es keinen der anderen Tatorte, die gemeldet wurden, wirklich.
Dass trotzdem immer wieder Männer mit Waffen gesehen wurden und werden, lässt sich vermutlich so erklären,
dass viele Polizisten in Zivil unterwegs sind, die für Täter gehalten werden.
So war es zum Beispiel bei der Kinderklinik.
Dort stellt sich heraus, dass der Mann, den der Förtner gesehen hatte, ein bewaffneter Zivilpolizist war,
der in der Nähe der Klinik wohnt und zum Goetheplatz wollte.
Und weil der Weg über das Krankenhausgelände eine Abkürzung ist, hatte er den genommen.
Das wusste der Wachmann aber natürlich nicht und sah unter den aktuellen Umständen,
in dem Mann mit Pistole eine potenzielle Bedrohung.
So wie dem Wachmann geht es an diesem Tag vielen Menschen.
Noch dazu kommt, dass der Mann, der sich selbst in den Kopf geschossen hatte,
anders gekleidet war als der Mann, den man am OEZ beschrieben hatte.
Auch deshalb ist man sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher,
ob es sich nicht um mehrere Täter handeln könnte.
Später kommt heraus, dass der Mann zwei Oberteile übereinander trug,
von denen er eines im Laufe des Abends auszog.
Das wurde später in dem roten Rucksack gefunden.
Bis spät in die Nacht wissen also weder die 2000 Einsatzkräfte noch die MünchnerInnen,
was, wo und wie viele.
Erst um halb drei Uhr morgens gibt die Polizei bekannt,
es habe nach aktuellen Ermittlungen nur einen Täter gegeben und der habe sich selbst erschossen.
Ein kurzes Aufatmen, nachdem die Stadt über Stunden in Panik verfallen war.
Es war kein von einer Organisation ausgeübter islamistischer Terrorakt, vor dem man sich 2016 so fürchtet,
sondern ein Einzeltäter, der die Tat für sich allein plante und neun Menschen tötete.
36 wurden laut SZ schwer verletzt, inklusive derer, die bei der Massenpanik verwundet wurden, und die, die angeschossen wurden.
Darunter auch Jans Freund Bennett, der 13-Jährige, der Jüngste der Clique.
Er sieht noch aus wie ein Kind.
Nachdem er von zwei glatten Durchschüssen getroffen wurde und sich die Treppe des McDonalds nach außen schleppte,
wurde er von dem Team in der Haunaschen Kinderklinik versorgt und für einige Tage ins künstliche Koma versetzt.
Vier Wochen später kam er wieder nach Hause.
Sein Oberkiefer und seine Zähne sind zwar kaputt, aber immerhin lebt er noch.
Als einziger seiner Freunde.
Auch seine Eltern wussten den ganzen Abend nicht, was mit ihrem Sohn ist.
Sie wussten nur, dass Bennett ins OEZ gehen wollte, um sich dort Latschen für den Sommer zu kaufen.
Dann rief irgendwann ein Freund von Bennett bei der Familie an und berichtete,
er habe entweder im Fernsehen oder im Internet ein Bild von Bennett gesehen, wie er regungslos auf einer Trage lag.
Erst als ein Arzt für die Eltern in der Kinderklinik anrief und Entwarnung gab, dass ihr Sohn noch lebe, hatten die Eltern Gewissheit.
Davor verbrachten sie stundenlang in Angst.
Eine Angst, die an dem Abend nicht nur Eltern und Angehörige übermannte, sondern fast die ganze Stadt.
Bei der islamistisch motivierten Anschlagsserie in Paris neun Monate zuvor
hatte es insgesamt acht verschiedene Tatorte in und um Paris herumgegeben.
Bei den Anschlägen vier Monate zuvor in Brüssel gab es zwei Orte, an denen der Terror einbrach.
Der Flughafen und die Metrostation.
Kein Wunder also, dass man in München nach der Meldung vom OEZ dachte, Männer mit Waffen seien Terroristen.
Und deswegen hörte sich auch für viele jeder Knall wie ein Schuss an.
So ist das selbst mit dem Handyvideo, das Anwohner im Hofbräuhaus gemacht haben.
Das kann man jetzt noch im Internet sehen.
Du siehst Menschen in Panik fliehen und hörst Klackpatsch, Klackpatsch, wie Thomas in der BR-Doku beschrieben hat.
Und auch für mich hat sich das mit diesen rennenden Menschen tatsächlich halt angehört wie Schüsse.
Nur war es eigentlich das Geräusch, das entsteht, wenn man versucht, mit einem Maßkrug ein Fenster, eben das des Hofbrauhauses, einzuschlagen.
Was um uns herum passiert, wie andere Menschen sich verhalten, hat enormen Einfluss darauf, wie wir Sachen wahrnehmen.
Eine Frau war mit einer Menschenmenge in der Innenstadt von einem sogenannten Phantom-Tatort geflüchtet.
Dabei hatte sie sich die Beine offenbar an einer Scherbe aufgeschlitzt.
Bis zum Schluss hatte die Frau bei der Polizei behauptet, dass das eine Schutzverletzung sei.
An diesem Abend gingen über 5000 Notrufe ein.
Die Meldungen über 74 unterschiedliche Tatorte enthielten, wo entweder angeblich geschossen wurde oder Tote oder Verletzte gesehen worden sein sollen.
Auch die sozialen Medien und die Presse hatte dazu beigetragen, dass sich die Panik hochschaukelte.
Etliche Falschinformationen wurden gepostet, die dann immer wieder geteilt wurden.
Am Ende gab es nur einen Tatort, also der Bereich rund ums OEZ, und einen Täter.
Als das final bekannt wird, scheint es, als würde Deutschland kurz aufatmen.
Als wäre das, was in München passiert ist, jetzt nicht so schlimm.
Ich erinnere mich auch noch, wie ich damals dachte, ach, zum Glück kein Terror in Deutschland.
Aber das war ein Irrglaube.
Und bis das in Deutschland anerkannt wird, wird es einige Jahre dauern.
Kevin H., so nenne ich den Täter, weil wir ja spätestens seit unserem ersten Hater wissen,
dass man die vollen Namen von AmokläuferInnen nicht nennt.
Weil sie das für eine gewisse Gruppe Menschen groß macht und es auch NachahmungstäterInnen animieren könnte.
Ganz auf diese Amok-Sache passt dieser Fall zwar nicht, aber dazu muss ich noch ein bisschen ausholen.
Nachdem klar war, dass für den Anschlag am OEZ nur ein Täter verantwortlich ist,
spricht sich schnell rum, dass es sich um einen Amoklauf gehandelt haben muss.
Untermauert wird das davon, dass die ErmittlerInnen bei der Durchsuchung von Kevin H.'s Sachen
ein Buch mit dem Titel
»Amok im Kopf Warum Schüler töten« finden.
Außerdem finden die ErmittlerInnen heraus,
dass Kevin H. keine sonderlich tiefe Bindung zu seinen Eltern hatte,
viel mehr Zeit mit Ego-Shootern und in Internetforen als in der realen Welt verbrachte,
keine FreundInnen hatte, psychologisch schon lange auffällig war
und in der Schule einige Zeit sehr gemobbt wurde.
Diese Sachen verfestigen das Bild des Amokläufers.
Dass Kevin H. vor allem Menschen töten wollte, die aussahen wie jene,
von denen er früher in der Schule fertig gemacht wurde
und das waren vor allem Jugendliche mit Migrationshintergrund
wertet man als persönliche Rache.
Mit dem Fake-Account hatte er vor allem versucht,
seinen Peiniger aus der Schule in den McDonald's zu locken.
Und auch zu dem Mann im Hochhaus sagte er im Streit
»Wegen euch bin ich gemobbt worden, sieben Jahre lang,
und jetzt musste ich mir eine Waffe kaufen, um euch alle abzuknallen.«
Kevin H. hatte sich schon lange Zeit intensiv mit Amokläufen beschäftigt
und den anderen Tätern ein Vorbild gesehen.
Ein ideologisches Motiv sehen die ErmittlerInnen zunächst nicht im Vordergrund.
Medien mutmaßen, dass das so sein könnte,
weil Kevin H. selbst iranische Wurzeln hatte.
Ein Jahr nach der Tat wird vor dem Uezat ein Denkmal für die Opfer errichtet.
Ein großer Edelstahlring mit Porträts der Opfer
und einem Baum, der durch den Ring durchwächst.
In Erinnerung an alle Opfer des Amoklaufs vom 22.07.2016
steht in dem Ring wie eine Gravur.
Für Jans Eltern ist die Innenschrift des Denkmals eine Erniedrigung.
Die Tat habe sich in Deutschland ereignet.
Aber Can, Seljuk, Sabine, Sefta, Hussein, Roberto, Giuliano, Armela und Diamant
hatten alle einen Migrationshintergrund.
Sieben waren muslimischen Glaubens.
Und das soll kein rassistischer Terrorakt gewesen sein?
fragt er.
Nein, meint das Landesamt für Verfassungsschutz Bayern.
Selbst wenn der Täter rechtes Gedankengut hatte und AusländerInnen hasste,
hasste er eigentlich alle Menschen.
Dabei spricht tatsächlich ziemlich viel dafür,
dass es Kevin H. nur auf Menschen abgesehen hatte,
die seiner Meinung nach nicht zu Deutschland gehörten.
Kevin H. hieß bis kurz vor der Tat noch Mohammed H.,
ließ den Namen aber ändern, weil er ihn als minderwertig empfand.
Das OIZ, also dort, wo Kevin H. seine Tat ausübte,
war ein Ort, der vor allem von Menschen mit Migrationshintergrund
aus dem Viertel frequentiert wurde.
Einige ZeugInnen, die vom äußeren Erscheinungsbild Deutsch zu sein schienen,
berichteten, dass der Täter ihnen gesagt hatte,
dass sie zur Seite gehen sollen.
Bei einem Aufenthalt in einer Psychiatrie
habe Kevin H. Hakenkreuze an die Wand gemalt.
Und auch in dem Streitgespräch mit dem Mann aus dem Hochhaus
betonte er, dass er in Deutschland geboren wurde.
Zudem hatte er ein Manifest verfasst,
in dem er von ausländischen Untermenschen sprach,
die für eine Destabilisierung verantwortlich seien.
Also was hatte Kevin H. jetzt mit seiner Tat bezwecken wollen?
Hatte er alle gehasst und ging es ihm um seine persönliche Rache?
Oder hatte er ein Feindbild entwickelt und war politisch motiviert?
Die Stadt München beauftragt drei unabhängige Gutachter,
die über ein Jahr später alle zu dem Schluss kommen,
dass die Tat von Kevin H. einen rechtsextremen Hintergrund gehabt habe
und demnach als politisch rechtsmotiviert einzuordnen sei.
Trotzdem ändert das nichts an der Antwort,
die das Bayerische Staatsministerium des Inneren und das LKA für sich gefunden haben.
Und die lautet eben Amok.
Der Fokus rückt in den kommenden Wochen mehr auf andere Fragen.
Zum Beispiel, wie schwer die Schuld des Mannes wiegt,
der Kevin H. die Tatwaffe im Darknet verkaufte.
Rico, so hatte sich der Mann genannt, war genau wie Kevin H. in Internetforen unterwegs,
in denen er seinen Hass gegen Menschen mit Migrationshintergrund zum Ausdruck brachte.
Für über 4000 Euro verkaufte der Anfang 30-jährige Rico Kevin H. Waffe und Munition bei einem Treffen in Marburg,
bei dem sie auch zu einem McDonalds ging.
Danach gab es noch ein weiteres Treffen.
Es steht im Raum, dass Rico von Kevins Plänen gewusst haben könnte.
Das verneint das Landgericht München 1 aber und meint,
es konnte nicht feststellen, dass Rico Kenntnis von Kevin H.s Tatplan,
ein Massenmord zu begehen hatte.
Im Januar 2018 wird Rico wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen
und Verstoß gegen das Waffengesetz zu sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt
und stellt fest, dass nicht der geringste Zweifel besteht,
dass die Tat rassistisch und fremdenfeindlich motiviert war.
Ein paar Monate später wird zudem noch bekannt,
dass Kevin H. Kontakt über das Internet zu einem amerikanischen Attentäter hatte,
der nach der Tat am OEZ zwei amerikanische MitschülerInnen tötete.
Der amerikanische Attentäter hatte offenbar einen Anti-Refugees-Club gegründet,
in dem er sich mit anderen über rassistische Inhalte austauschte.
Und darunter war auch Kevin H.
Nach Kevins Tat lobte der Amerikaner ihn im Forum.
Nach dem Prozess und den neuesten Informationen
beschließt der Innenausschuss des Bayerischen Landtags,
dass die Tat unter den neuen Erkenntnissen nochmal bewertet werden muss.
Im Oktober 2019 kommt dann auch das Bayerische Landeskriminalamt zu dem Schluss,
es war eine politisch motivierte Gewaltkriminalität rechts.
Für diese Erkenntnis haben die Angehörigen der Opfer über drei Jahre gekämpft.
In den Jahren haben sie sich unverstanden und fremd gefühlt.
Für sie ist es wichtig, dass alle anerkennen,
dass das nicht die Tat eines Spinneres war, der wahllos auf Menschen schoss,
sondern eines rassistischen Rechtsradikalen, der einen Hass auf Menschen wie Can hatte.
Das ist wichtig, um Konsequenzen zu ziehen.
Nur wenn die Tat in der polizeilichen Kriminalstatistik richtig eingeordnet wird,
kann man politisch darauf reagieren, mehr aufklären, mehr Gelder in Prävention stecken.
Vier Jahre nachdem ihr Sohn Can vom Attentäter erschossen wurde,
wird die Innenschrift auf dem Denkmal endlich geändert.
Der Amoklauf weicht dem rassistischen Attentat.
Aber zum Erinnern hilft das nicht, meint Hassan Leyla.
Wenn über rechten Terror in Deutschland gesprochen wird,
ist das Attentat vom OEZ, als sein Sohn starb, meist nie dabei.
Für viele ist das immer noch ein Amoklauf.
An dem Fall wird klar, dass Deutschland noch viel zu lernen hat.
Übers Zuhören, übers Einordnen, über Erinnerungskultur und Informationsverbreitung.
München hat an diesem Tag nicht nur den Terror von Kevin H. erlebt,
sondern auch den Terror, den andere Menschen gemacht haben.
Den wir gemacht haben, so sagt es Martin Breitkopf, Reporter vom BR,
der an dem Tag aus München berichtete und meint damit die Medien und Twitter-Meldungen.
Das Wort Terror, das sich wie ein Lauffeuer in den Netzwerken verbreitete,
hatte an dem Tag in vielen die Verknüpfung mit islamistischem Terror hervorgerufen,
hatte Menschen in Todesangst versetzt, die gar nicht in Gefahr waren.
Und am Ende hatte es auch dafür gesorgt, dass der Terror nicht nur an einem Ort seine Wirkung entfaltete,
sondern an 74.
Hm, vielleicht war es für die Öffentlichkeit ja irgendwie einfacher oder besser zu verkraften,
wenn man sagt, das war ein Amoklauf.
Also, das war ein verrückter Einzeltäter, der sich rächen wollte, weil er als Schüler gemobbt wurde.
Genau, aber damit verdrängt man ja auch ganz viel, weil man sich dann nicht damit auseinandersetzen muss,
dass Deutschland ein Rassismusproblem hat.
Ja, und was ich auch so unfassbar an dem Fall finde, ist diese Panik, die da entstanden ist.
Also, dass Leute ja wirklich davon überzeugt waren, dass sie eine Schusswunde hatten
oder dass es da in dem Hofbräuhaus Schüsse gab.
Also, was Angst in den Menschen auslösen kann.
Ja, also die ganze Stadt ist einfach in Panik verfallen und teilweise haben die Menschen eben Dinge gesehen
oder gehört, die es ja gar nicht gab.
Ja, haben ja auch viele berichtet eben auch, weil zu der Zeit die Angst vor dem Terror einfach so groß war.
Ja, und dann, wenn selbst die Polizei das dann twittert, dass sie von einem Terroranschlag ausgehen,
dann ist wahrscheinlich alles zu spät.
Ja, also man hat wahrscheinlich zu früh das Wort Terror in den Mund genommen, auch wenn es am Ende Terror war.
Aber was das in den Menschen ausgelöst hat, ist islamistischer Terror und davor hatten alle Angst in dem Moment,
auch wenn das natürlich genauso schlimm ist wie rechtsradikaler Terror.
Ja.
Aber das hat eben diese Massenpanik verursacht, weil auf einmal alle überall das Knallen gehört haben.
Ja.
In dem Fall, da stand das Motiv ja lange im Mittelpunkt der hitzigen Diskussion.
Also, Rache an allen oder Vernichtung Menschen einer bestimmten Gruppe.
Aber natürlich haben MassenmörderInnen noch ganz andere Gründe, weshalb sie eine Tat begehen.
Forschende haben schon Ende der 90er fünf Motive für Massenmorde festgemacht,
die manchmal auch so ein bisschen ineinander übergehen.
Und darum geht es in meinem Aha.
Untersuchungen ergaben, dass Rache das häufigste Motiv bei Massentötungen sein soll,
wie wir das eben auch von Amokläufen kennen.
Aber eigentlich sind die meisten Opfer von Massenmorden Familienmitglieder.
So war es zum Beispiel bei Christiane K., die bei ihrem Noch-Ehemann Pascal bemerkte,
dass er sein WhatsApp-Bild geändert hatte.
In was hat er das dann bitte geändert?
In einem Bild mit seiner neuen Freundin.
Ach so.
Okay.
Und daraufhin kam es dann zum Streit.
Die 28-Jährige schreibt in ihrer Wut, dass er die Kinder nie wieder sehen wird.
Daraufhin betäubt sie ihre fünf Kinder, die gerade bei ihr zu Hause sind,
mit einem Giftcocktail aus verschiedenen Medikamenten, der die Kinder sediert.
Anschließend tötet sie die Kinder nacheinander, indem sie sie erstickt oder in der Badewanne ertränkt.
Nur das sechste Kind wird nicht getötet.
Es ist zu dem Zeitpunkt in der Schule.
Christiane K. wird wegen fünffachen heimtürkisch begangenen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.
Der vorsitzende Richter beschreibt die Tat in der Urteilsbegründung als eine Mischung aus Wut,
Verzweiflung, Demütigung und Rache.
Christiane K. wurde als Kind in der Schule gemobbt.
In der heilen Großfamilienwelt hatte sie ihre Rolle und ihre Bestätigung gefunden.
Als dieses Bild nicht mehr aufrecht gehalten werden konnte, wurde sie zur Massenmörderin.
Bei der Familie jetzt sind die Opfer ja gezielt ausgewählt.
Und bei Amokläufen an Schulen beispielsweise, da geht es ja oft auch um Rache, weil die TäterInnen früher gemobbt wurden.
Und da werden dann aber halt eben oft stellvertretend für diese MobberInnen von früher andere getötet.
Das zweite Motiv ist Macht.
TäterInnen, die sich vorher als gesellschaftliche VerliererInnen gefühlt haben,
bringen sich mit dieser Tat in eine Position, in der sie Macht über andere haben.
In dem Zusammenhang spricht die Forensik auch von einem Pseudokommando.
Das meint, dass der Täter oder die Täterin seinen oder ihren eigenen Racheplan ausführt.
Eben oft schwer bewaffnet und in voller Montur.
Also wie wir hier jetzt auch schon sehen, spielt die Rache bei dem Motiv Macht auch irgendwie eine große Rolle.
Also das kann man schlecht voneinander abgrenzen.
Und dann gibt es noch das dritte Motiv, was sich total makaber anhört, wie ich finde.
Und zwar Loyalität.
Das kommt mir derbe Absurd vor.
Das ist zum Beispiel dann das Motiv, wenn, von so einem Fall hattest du hier im Podcast schon mal erzählt,
ein Vater zum Beispiel Schulden hat und sich dann suizidieren will,
aber meint, dass seine Familie ohne ihn nicht klarkommen würde und die dann mit umbringt.
Also so einen erweiterten Suizid begeht.
Und dann gibt es noch den Terrorismus, wie in meinem Fall oder auch beim Attentat des IS von Paris 2015,
bei dem 130 Menschen starben.
Und den Profit, das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn bei einem Raubüberfall ZeugInnen erschossen werden,
damit die TäterInnen mit der Beute dann davon kommen können.
Und was bei einigen MassenmörderInnen ja ein wichtiger Teil ihrer Tat darstellt,
ist das, was sie damit aussagen wollen.
Also sozusagen Massenmord als Message.
Das sieht man zum Beispiel immer wieder bei islamistischen Anschlägen,
weil das Ziel dieser Massenmorde ist häufig zu zeigen, wie mächtig die Gruppen angeblich sind
und dass sie sich nichts gefallen lassen.
Mit dem Anschlag auf die Satire-Zeitung Charlie Hebdo in Frankreich hatte die Terrorgruppe Al-Qaida zum Beispiel
klar machen wollen, dass man so nicht mit Mohammed beziehungsweise ihrer Religion umgehen könne.
Die Zeitung hatte ja zuvor provokante Mohammed-Karikaturen veröffentlicht,
die im Auge der Terroristen eben Verbrechen gegen den Islam waren.
Andere TäterInnen wollen mit ihrer Tat beispielsweise ihre Weltansicht bekannt machen oder verbreiten,
so wie der Attentäter von Halle, der im Oktober 2019 versuchte,
einen Massenmord an jüdischen Menschen zu verüben
und davor auch so ein Manifest im Internet hochgeladen hatte.
Er glaubte an eine jüdische Weltverschwörung und wollte mit seiner Tat die Zitat
moral unterdrückter Weißer erhöhen und möglichst viele Nachahmungstäter mobilisieren.
Besonders erschreckend fand ich bei der Recherche zu dem Fall,
dass er halt vorher den Tatablauf mit Ausdrücken aus so Ego-Shooter-Spielen beschrieben hatte
und dass er in Online-Foren unterwegs war,
in denen Massenmorde mit Punkten und Rangfolgen bewertet werden.
Also man staunt, dass sowas nicht auffällt
und dass da auch keiner den anderen mal meldet.
Nach der Tat sollen dann mehrere Personen in diesen Communities dazu aufgerufen haben,
seinen makabren Score zu toppen,
so die Extremismus-Expertin Julia Ebner gegenüber dem ZDF.
Was solchen Tätern gemein ist,
hat uns die forensische Psychiaterin Dr. Nala Saimé erklärt.
Sie brauchen ein inneres Gefühl von Wut und Hass
und das Gefühl, dass sie zu irgendetwas ganz Großem, aber was Negativem berufen sind.
Also es ist ja im Leben relativ schwierig, etwas Großartiges zu leisten, was konstruktiv ist.
Es ist aber relativ einfach, etwas Großartiges zu leisten, was destruktiv ist.
Sie brauchen die Fähigkeit im Internet, sich Informationen zu besorgen.
Das fällt den meisten Menschen relativ leicht.
Sie brauchen vielleicht ein bisschen was an Geld und sie brauchen Zeit, um sich einen Plan zu überlegen.
Und dann suchen sie im Netz nach Gleichgesinnten und nach Leuten,
die ihnen Ideologien für ihre eigenen Wünsche anbieten.
Weil sie müssen ja das, was sie tun, irgendwie vor sich rechtfertigen.
Also nur zu sagen, irgendwie, ich gehe jetzt nach draußen und schieße einfach ein paar Leute über den Haufen.
Das ist ja auch die dümmere Variante.
Sondern normalerweise ist es ja so, dass sie sich selber fragen müssen,
Warum darf ich das jetzt tun?
Also warum sollte ich das jetzt tun?
Was berechtigt mich dazu, das jetzt zu tun?
Wie begründe ich das denn eigentlich?
Oder was will ich denn meiner Nachwelt an Informationen hinterlassen?
Und von daher suchen sie sich im Grunde eine Bestätigung für ihre Denkungsweise.
Dann fangen sie an zu gucken, wer könnte denn mein Vorbild sein?
Das heißt, sie gucken sich sozusagen ihre negativen Helden an, ihre malignen Helden an.
Und orientieren sich daran.
Und dann schauen sie, wie könnte das sein, wenn ich das selber auch mache.
Und das sozusagen gefördert ihre Größenideen.
Also sie erleben sich als mächtig, sie erleben sich als wirkmächtig, sie erleben sich als stark.
Und das tun sie meistens nur in dieser Fantasie, weil sie sich im Alltag eben nicht als wirkmächtig erleben.
Im Grunde ist es doch die Sehnsucht nach einem großen Rausch, nach einem großen Rauscherlebnis eigener Größe und eigener Mächtigkeit.
Also wir wissen ja jetzt, dass Massenmorde ganz unterschiedlich sind und total viel in diesen Begriff reinfließt.
Und deswegen ist es jetzt auch schwer, so ein typisches Bild eines Massenmörders oder einer Massenmörderin zu zeichnen.
Also versucht man das manchmal in so verschiedene Kategorien zu quetschen, quasi so ein bisschen als Alternative zu den Motiven.
Und eine von diesen Kategorien ist Amok.
Und das kann sowohl an Schulen sein, als auch zum Beispiel am Arbeitsplatz.
Dann gibt es Familientötungen.
Und auch wenn ich jetzt vorhin das Beispiel von dieser Mutter mit den Kindern erzählt habe,
in der Regel sind das halt eben Väter, die einen erweiterten Suizid begehen.
Terrorismus, Genozide, Massenmord im Zusammenhang mit anderen Straftaten, eben diese Raubüberfälle.
Oder eben diese Massensuizide in Sekten, wenn sich beispielsweise mehrere Menschen auf Geheiß ihres spirituellen Anführers oder der Anführerin töten.
Im Vergleich zum Serienmörder oder der Serienmörderin findet ein Massenmord meist an einem Ort statt und zeitgleich.
Also es gibt zwischen den Taten keine Bedenkzeit und sie wird als eine Tat bewertet.
Beim Serienmord liegen meistens ja Tage, Monate oder teilweise auch Jahre zwischen diesen unterschiedlichen Taten.
Außerdem wollen die meisten SerienmörderInnen unentdeckt bleiben.
Das ist bei vielen MassenmörderInnen nicht so.
Also dass sie sich bei der Tat selbst töten oder von der Polizei getötet werden, das ist eigentlich üblich.
Laut Dr. Michael Stone, Professor für Psychiatrie an der Columbia University,
sind MassenmörderInnen im Allgemeinen unzufriedene Menschen mit wenig Sozialintelligenz und kaum FreundInnen.
Laut Stone sind 96,5 Prozent der MassenmörderInnen männlich.
Und viele von ihnen morden mit einer Waffe, wie wir eben zu Beginn schon erzählt haben, gab es in den USA 2019 41 Massenmorde.
Davon wurden 33 mit einer Schusswaffe begangen.
Die Erkenntnisse zu demografischen Eigenschaften, die beziehen sich aber nur auf diese Mass-Shooters generell.
Aber da die einen Großteil ausmachen von den Massenmordenden und auch andere Untersuchungen zu Übereinstimmung kommen,
kann man wohl sagen, dass die meisten MassenmörderInnen, zumindest in den USA, männlich, weiß und zwischen 20 und 39 Jahre alt sind.
1999 gab es noch eine Untersuchung in den USA und Kanada, bei der stichprobenartig 30 MassenmörderInnen analysiert wurden.
Und dabei kam heraus, dass viele vorher einen Verlust erlitten haben, also entweder Arbeit oder Beziehung.
Und oft waren die Taten geplant und Alkohol hatte nur selten eine Rolle gespielt.
Aber sie waren vorher schon oft psychologisch auffällig.
Das war doch bei deinem Täter auch so, oder? War der nicht vorher auch mal in der Behandlung?
Bestraft werden MassenmörderInnen in Deutschland wie in Anführungszeichen normale MörderInnen auch.
Denn es gibt keinen eigenen Straftatbestand für Massenmord.
Dafür kommt er auch einfach viel zu selten vor, wie du schon gesagt hast.
Aber wenn es dann doch zu so einem Fall kommt, dann stellt das für das Gericht natürlich ein Problem dar, das angemessen zu bestrafen.
Weil in Deutschland gilt das sogenannte Absorptionsprinzip.
Das besagt, dass wenn jemand mehrere Straftaten oder eine Straftat mehrmals begangen hat,
also zum Beispiel eben mehrere Morde, nur auf eine Strafe erkannt wird.
Damit will man einerseits verhindern, dass ein Täter oder eine Täterin mehrere Strafen für ein und dieselbe Handlung erhält.
Und andererseits, dass halt ein lebensfremdes Strafmaß daraus resultiert.
Weil bei zehnfachem Mord jetzt zum Beispiel würden ohne dieses Absorptionsprinzip ja am Ende mindestens 150 Jahre Haft stehen.
Ja, und in manchen Ländern ist das ja auch so.
Ein Massenmörder, der 2012 in einem Kino im US-Bundesstaat Colorado während der Vorstellung zu The Dark Knight Rises zwölf Menschen tötete,
wurde dann auch zu zwölfmal lebenslang verurteilt.
Das kennen wir ja aus einigen amerikanischen Fällen, die wir hier schon hatten.
Da heißt es dann dreimal lebenslang plus 120 Jahre oder so.
Ja, sowas ist in Deutschland aber eben nicht möglich.
Hier kann man sich in Fällen von Massenmord, wenn dann mit der besonderen Schere der Schuld behelfen,
die dann dazu führt, dass TäterInnen nicht schon nach 15 Jahren einen Antrag auf Entlassung stellen dürfen.
Das Verstreckungsgericht überprüft dann in solchen Fällen nach 15 Jahren regelmäßig,
ob die Schuld gesühnt ist und die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.
Das hat dann aber viel damit zu tun, wie die Verurteilten sich in Haft und auch gegenüber ihrer Tat verhalten.
Mit der Anordnung einer Sicherungsverwahrung können Verurteilte natürlich auch theoretisch länger hinter Schloss und Regel bleiben.
Das ist aber ja keine Strafmaßnahme, sondern die wird angeordnet,
wenn von den Verurteilten eine so große Gefahr für die Allgemeinheit ausgeht,
dass man sie auch nach dem Verbüßen der Haftstrafe sicher verwahren will.
So ist das zum Beispiel bei dem Attentiter von Halle.
Um Massenmorde wie den Genozid an jüdischen Menschen in der NS-Zeit in Zukunft
bitte nie wieder besser bestrafen zu können,
wurde 1948 von den Vereinten Nationen die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes eingeführt
und der Genozid so zum Straftatbestand im Völkerstrafrecht.
Heute steht deshalb in § 6 des deutschen Völkerstrafgesetzbuch,
Zitat, wer in der Absicht eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
beispielsweise ein Mitglied der Gruppe tötet oder Maßregeln verhängt, die die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern soll,
wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
Übrigens wurde nur wegen der Massenmorde in der NS-Zeit die Verjährung von Mord in Deutschland abgeschafft.
Nach mehrfachen Fristverlängerungen entschied der Bundestag 1979 nämlich das Mord nicht mehr wie gehabt nach 20 Jahren verjährt,
sondern niemals, um die NS-Verbrechen noch weiter verfolgen zu können.
Und das ist ja auch richtig so.
Und zwar nicht nur für die Aufarbeitung von NS-Verbrechen, sondern das hat uns ja auch lange Zeit den Arsch bei der Strafverfolgung gerettet,
als die DNA-Analyse immer besser wurde und man so dann halt irgendwann Morde aufklären konnte,
bei denen das vorher nicht ging, weil die Ermittlungstechniken halt damals noch nicht so weit waren.
Und wenigstens den Mord, den konnte man dann so halt noch sühnen, weil Totschlag jetzt nicht, aber wenigstens das.
Ja.
Gut, das war jetzt ein ganz schöner Brummer hier für die erste Folge im neuen Jahr.
Gleich mal mit schwerer Kost anfangen.
Hast du was Schönes zum Dessert oder so ein Verdauerli?
Ja, Verge und Tour zum Beispiel.
Das fände ich gut.
Wir sind dieses Jahr auf Tour und es gibt noch ein paar Resttickets.
Könnt ihr auf Eventim erwerben unter Mordlust.
Dann könnt ihr uns und den Podcast live sehen.
Und Merch wird es dann auch auf der Tour geben, zu kaufen.
Und vielleicht machen wir auch bald wieder Online-Drop.
Wenn das soweit ist, dann hört ihr das auf jeden Fall jetzt auch hier.
Wir haben auch schon ein paar coole Ideen für neue Shirts.
Ja?
Eigentlich nur eine.
Aber vielleicht fragen wir mal die HörerInnen, ob die Ideen haben.
Was war unsere andere nochmal?
Das mit dem Garant auf Lebenszeit?
Ja, das ist die Idee.
Ja.
Jemand wollte ein Kevin-Merch?
Oh.
Ihr müsst uns da mal helfen.
Ja.
Wir packen euch in den nächsten Tagen mal was auf Instagram bei Mordlust, der Podcast,
wo ihr uns eure Ideen mitteilen könnt.
Einreichen könnt.
Der Gewinner oder die Gewinnerin kriegt denn das selbstdesignte am besten noch.
Also gerne auch mit Design-Forschert.
Zum Sparpreis.
Nein, umsonst.
Ja, natürlich.
Ja, und ansonsten sind wir auch happy, hier wieder zurück zu sein und freuen uns sehr auf ein weiteres Jahr Mordlust mit euch.
Ja, natürlich.